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Bekanntlich fehlten im Zwölften Band der edition originale die Kapitel IV und V (in meiner Ausgabe Kap.XX und XXI dieses Bandes). Schon der Herausgeber der éd. orig. sprach die Vermutung aus, daß Casanova selber die beiden Kapitel von dem anderen Manuskript abgetrennt habe, wahrscheinlich um sie zu überarbeiten oder aus einem ähnlichen Grunde. Diese Vermutung hat sich als richtig erwiesen: Die beiden Kapitel befanden sich in Dux bei C.s anderen Papieren, die bekanntlich schon seit Jahrzehnten geordnet sind. Ja, noch mehr: seit zwanzig Jahren befand sich eine Abschrift der beiden Kapitel in Paris in den Händen des Herrn Octave Uzanne! Da dieser seither eine ganze Anzahl Casanoviana von geringerer Bedeutung veröffentlichte, so ist es wirklich verwunderlich, daß er mit der Bekanntgabe dieser bedeutungsvollen Kapitel bis zum Jahre 1906 gezögert hat. Sie sind im August- und Septemberheft der von Uzanne herausgegebenen Zeitschrift L'Ermitage veröffentlicht.
Mit der den Franzosen eigenen Fixigkeit in der Fabrikation und Ergänzung von Memoiren war natürlich die Lücke schon in ziemlich frühen französischen und belgischen Ausgaben der Mémoires ausgefüllt worden. Diese Fälschungen waren auch in einige der schlechten deutschen Ausgaben übergegangen. Selbstverständlich ist es völlig aus der Luft gegriffenes, dummes Zeug.
Warum Casanova diese Kapitel wieder an sich genommen hatte, darüber kann man natürlich nur Vermutungen aufstellen. Vielleicht hatte einer seiner Freunde, die die Mémoires erwiesenermaßen gelesen haben (Fürst de Ligne, Graf Salmour u. a.) ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die Geschichte von dem abermaligen Lotteriegewinn auf Nr. 27 denn doch sehr sonderbar erscheint. Daß übrigens ein Werk von einem derartigen Umfang, besonders in den nebensächlichen Geschichten, die gewissermaßen Arabesken sind, eine Menge Dichtung enthält, ist wohl selbstverständlich. Die innere Wahrhaftigkeit des Ganzen wird dadurch nicht im geringsten in Frage gestellt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich doch einmal besonders darauf hinweisen, daß ein volles Drittel, nämlich die Bände V und VI, meiner Ausgabe für Deutschland sozusagen etwas ganz Neues ist. Buhl, von dem man bisher, ohne eine genauere Vergleichung anzustellen, angenommen hatte, daß ihm die édition originale als Vorlage gedient habe und daß daher seine Ausgabe, abgesehen von einigen geringfügigen Kürzungen, vollständig sei, hat nach der sechsbändigen Rosezschen Ausgabe übersetzt. Daß diese sich als édition originale, la seule complète ausgiebt, muß man wirklich als eine ganz erstaunliche Frechheit bezeichnen. Denn von dem, was die letzten vier Bände meiner Ausgabe bringen, fehlt mindestens ein Drittel, 600 bis 700 Druckseiten (so z. B. die ganze, menschlich doch gewiß äußerst interessante Episode seines Bruders des Abbate, der Venezianerin Marcolina usw.). Und schlimmer noch: in dem, was gebracht wird, ist Casanovas Schilderung oft geradezu auf den Kopf gestellt.
Auch die (vor der éd. orig.) erschienene Bearbeitung des Herrn von Schütz erwies sich mir bei weiterem Vorschreiten meiner Arbeit als ein ganz erbärmliches Machwerk. Entweder hat von Schütz die französische Sprache nur in sehr geringem Maße beherrscht – und dann durfte er eine solche Aufgabe nicht übernehmen – oder er hat bewußt gefälscht.
Es ist nur zu bedauern, daß die Buhlsche wie die Schützsche Ausgabe in Deutschland immerhin noch ziemlich verbreitet sind und sich einer gewissen Wertschätzung erfreuen. Aus ihnen kann man von Casanova unmöglich den richtigen Begriff bekommen.