Casanova
Erinnerungen
Casanova

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Achtzehntes Kapitels

Ich speise mit Armellina und Emilia im Wirtshaus zu Abend.

Die Neuerungen, von denen ich soeben gesprochen habe, verteilten sich auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Vor allen Dingen wurde die Bestimmung abgeschafft, wonach es verboten war, das Speisezimmer und überhaupt das Innere des Klosters zu betreten; da keine Gelübde abgelegt worden waren und eine Klausur nicht bestand, so erhielt die Oberin freie Verfügung, nach ihrem Gutdünken zu handeln. Menicuccio erhielt davon durch ein Briefchen seiner Schwester Nachricht. Er brachte mir dies freudestrahlend und forderte mich auf, ihn nach dem Kloster zu begleiten, wie seine Schwester ihn bat, um ihrer Aufseherin ein Vergnügen zu machen. Sie sagte ihm, wir möchten ihre junge Freundin herunterbitten; sie würde entweder mit ihr allein oder mit ihrer Aufseherin herunterkommen; aber die Hauptsache wäre, daß ich sie rufen ließe. Ich war von Herzen gern dazu bereit, denn ich war ungeduldig, die Gesichter der drei Eingesperrten zu sehen und ihre Bemerkungen über das große Ereignis zu hören. Wir gingen daher sofort hin.

Im großen Sprechzimmer sah ich zwei Gitter; an dem einen befand sich der Abbate Guasco, den ich im Jahre 1751 in Paris bei Giulietta kennen gelernt hatte; an dem anderen saßen ein russischer Kavalier, Iwan Iwanowitsch Schuwaloff, und der gelehrte Astronom Pater Jaquier aus dem Minimitenkloster der Trinita de' monti. Im Innern bemerkte ich sehr hübsche Personen.

Als unsere Freundinnen gekommen waren, begannen wir eine sehr interessante Unterhaltung, aber wir mußten leise sprechen, weil man uns hören konnte. Erst als die anderen Besucher fort waren, wurde es für uns behaglich. Die Geliebte meines jungen Freundes war ein sehr hübsches Mädchen, aber seine Schwester war entzückend. Sie war eben sechzehn Jahre alt geworden; hochgewachsen und von üppigen Formen; sie entzückte mich. Niemals glaubte ich eine weißere Haut, schwärzere Augen, Brauen und Haare gesehen zu haben; unwiderstehlich aber wurden ihre Reize durch die Sanftheit ihrer Blicke und ihrer Stimme und durch die geistvolle Naivität ihrer Bemerkungen. Ihre Aufseherin, die zehn oder zwölf Jahre älter war als sie, war ebenfalls sehr liebenswürdig; sie war blaß und traurig und sah aus, wie wenn sie unaufhörlich ein verzehrendes Feuer unterdrücken müßte. Sie machte mir viel Vergnügen, indem sie mir ausführlich erzählte, welche Verwirrung die neue Ordnung der Dinge im Hause angerichtet hatte.

»Die Oberin ist sehr zufrieden damit,« erzählte sie mir, »und alle meine jungen Kameradinnen sind selig vor Freude; aber die alten, die natürlich fromm geworden sind, zetern über den Skandal. Die Oberin hat bereits Befehle gegeben, in dem dunklen Sprechzimmer Fenster anzubringen, obgleich die Alten behaupten, sie dürfe nicht weiter gehen, als der Beichtvater ihr erlaubt habe.«

Die Oberin hatte vollkommen recht, indem sie sagte, die dunklen Sprechzimmer seien lächerlich, seitdem es jedermann erlaubt sei, in das helle Sprechzimmer zu gehen. Ferner hatte sie bestimmt, daß das zweite Gitter zu entfernen sei, da im großen Sprechzimmer sich ebenfalls nur eines befinde. Ich fand, daß die Oberin eine kluge Frau sein mußte, und bekam Lust, ihre Bekanntschaft zu machen. Emilia verschaffte mir dieses Vergnügen am nächsten Tage.

Emilia hieß die traurige Freundin von Menicuccios Schwester Armellina.

Dieser erste Besuch dauerte zwei Stunden, die mir sehr kurz vorkamen. Menicuccio war mit seiner Geliebten und der Aufseherin an ein anderes Gitter gegangen.

Ich entfernte mich, nachdem ich ihnen wie das erstemal zehn römische Taler zurückgelassen und Armellinas schöne Hände geküßt hatte; ihr Gesicht überzog sich mit einem hellen Rot, als sie meine Lippen fühlte. Niemals hatte bis zu diesem Augenblick eine Männerhand diese kleinen, zarten Hände berührt, und sie war ganz verwirrt, als sie sah, mit welcher Wollust ich sie ihr küßte.

Verliebt in die junge Schönheit ging ich nach Hause. Ohne an die Schwierigkeiten zu denken, die ihrer Eroberung entgegenstanden, überließ ich mich dieser Leidenschaft; es schien mir die süßeste und innigste zu sein, die ich jemals empfunden hätte.

Mein junger Freund war ganz selig vor Freude. Er hatte seiner Schönen seine Liebe erklärt, und sie war von Herzen gern bereit, seine Frau zu werden, wenn er sich die Einwilligung des Kardinals beschaffen konnte. Da er, um diese Einwilligung zu erhalten, nur nachzuweisen brauchte, daß er durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt erwerben konnte, so versprach ich ihm hundert römische Taler, sobald er sie nötig hätte, und meine Protektion, um ihm Kunden zu verschaffen; denn da er seine Lehrzeit bestanden und schon als Schneidergeselle gearbeitet hatte, so konnte er eine Werkstatt für eigene Rechnung eröffnen.

»Ich beneide dich um dein Los,« sagte ich zu ihm; »denn du hast die Gewißheit, glücklich zu sein, während ich in Verzweiflung bin, da ich deine Schwester liebe und sie unmöglich heiraten kann.«

»Sie sind also verheiratet?« fragte er mich.

»Leider ja. Aber wir dürfen nichts davon sagen; denn ich will sie jeden Tag besuchen, und wenn man erführe, daß ich verheiratet bin, würden meine Besuche verdächtig werden.«

Ich sah mich zu dieser Lüge gezwungen, einerseits, damit ich nicht etwa die Dummheit beging, mich zu verheiraten, andererseits damit Armellina sich nicht einbildete, daß ich in dieser Absicht zu ihr käme.

Ich fand die Oberin des Klosters sehr liebenswürdig, sehr höflich, geistreich und vorurteilsfrei. Nachdem sie einmal an das Sprechgitter gekommen war, um meinen Höflichkeitsbesuch zu empfangen, erschien sie später mehrere Male zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie wußte, daß ich der Urheber der glücklichen Veränderung war, die sich in ihrem Hause vollzogen hatte, und sie gab mir Bericht, sobald sie eine neue Verpflichtung gegen mich zu haben glaubte, und deren waren sehr viele, denn in weniger als sechs Wochen hatte sie das Glück, daß drei von ihren jüngeren Zöglingen aus dem Kloster austraten, um sehr gute Heiratspartien zu machen, und man hatte sechshundert römische Taler zu dem Betrage hinzugefügt, den sie jährlich zur Unterhaltung des von ihr verwalteten Hauses empfing.

Die Oberin vertraute mir an, daß sie mit einem von den Beichtvätern unzufrieden sei. Sie sagte zu mir: »Es ist ein Dominikaner, der von seinen Beichtkindern verlangt, daß sie jeden Sonn- und Festtag vor den Tisch des Herrn treten; er ist stundenlang mit ihnen im Beichtstuhl und legt ihnen zur Buße Entbehrungen auf, unter denen ihre Gesundheit leiden kann. Dies kann ihre Moral nicht verbessern und kostet ihnen viel Zeit, so daß ihre Arbeit darunter leidet und infolgedessen auch ihr Wohlbefinden; denn nur durch ihre kleine Hausindustrie können sie sich einige Annehmlichkeiten verschaffen.«

»Wie viele Beichtväter haben Sie?«

»Im ganzen vier.«

»Sind Sie mit den anderen zufrieden?«

»Ja. Sie sind sehr vernünftige Priester, die von der menschlichen Natur nicht mehr verlangen, als was sie ohne Anstrengung leisten kann.«

»Ich übernehme es, Ihre gerechten Beschwerden dem Kardinal mitzuteilen; wollen Sie sie niederschreiben?«

»Haben Sie die Güte, mir ein Muster anzufertigen.«

Ich tat dies. Sie schrieb die Beschwerde ab, unterzeichnete sie und gab sie mir. Ich ließ sie Seiner Eminenz zustellen, und wenige Tage darauf erhielt der Dominikaner einen anderen Wirkungskreis, und seine Beichtkinder wurden unter die drei anderen Beichtväter verteilt. Dies verschaffte mir bei den jüngeren Insassen des Hauses außerordentliche Ehre.

Menicuccio besuchte seine Freundin an jedem Festtag. Ich war in seine Schwester rasend verliebt und ging jeden Morgen um neun Uhr zu ihr. Ich frühstückte mit ihr und Emilia und blieb bis elf Uhr im Sprechzimmer mit ihnen allein. Da nur ein einziges Sprechgitter in diesem Zimmer war, so schloß ich mich ein; aber dies nützte mir nichts, denn man konnte vom Innern des Hauses das Gitter sehen. Weil nämlich kein Fenster vorhanden war, ließ man die Tür auf, um Licht einzulassen. Dies war mir sehr lästig, denn jeden Augenblick sah ich junge oder alte Insassen des Hauses vor dieser Tür vorübergehen; sie blieben zwar niemals stehen, warfen jedoch unfehlbar einen Blick nach dem Gitter, und dies verhinderte meine schöne Armellina, ihre Hand meinen liebedurstigen Lippen zu überlassen.

Als gegen Ende des Dezembers die Kälte sehr fühlbar wurde, benützte ich diesen Umstand zu einer Bitte an die Oberin, sie möchte mir gestatten, einen Wandschirm ins Kloster zu schicken, um mich vor einer Erkältung zu bewahren, der ich sonst durch die beständige Zugluft unfehlbar ausgesetzt sein würde. Die Frau begriff, daß die Tür nicht geschlossen werden konnte, und nahm daher keinen Anstand, mir meine Bitte zu gewähren. Nun machten wir es uns bequem, aber was ich erlangte, hielt sich im Vergleich zu den heftigen Begierden, die Armellina mir einflößte, in so engen Grenzen, daß ich vor Liebessehnsucht beinahe starb.

Am Neujahrstage 1771 schenkte ich jedem der beiden Mädchen ein gutes Winterkleid und sandte der Oberin eine größere Menge Schokolade, Zucker und Kaffee. Dieses Geschenk wurde herzlich gern und mit bestem Dank angenommen.

Emilia war mehrere Male eine Viertelstunde vor Armellina an das Gitter gekommen, weil ihre Freundin noch nicht fertig war. Ebenso begann Armellina allein zu kommen, um mich nicht allein zu lassen, wenn ihre Aufseherin mit irgend etwas anderem beschäftigt war. In diesen kurzen Augenblicken ungestörten Beisammenseins eroberte die engelhafte Sanftmut dieses anbetungswürdigen Mädchens mich ganz und gar.

Emilia und Armellina waren in der innigsten Freundschaft verbunden; trotzdem waren ihre Vorurteile in bezug auf sinnliche Genüsse so stark, daß es mir noch nicht gelungen war, sie dahin zu bringen, daß sie freie Bemerkungen anhörten oder mir kleine Ungezogenheiten verziehen, die ich mir gerne erlaubte, und mit denen man sich in Erwartung eines Besseren einstweilen begnügt.

Eines Tages waren sie ganz starr vor Entsetzen, als ich sie fragte, ob sie nicht zuweilen miteinander im Bett lägen, um sich gegenseitig Beweise der zärtlichsten Freundschaft zu geben. Sie wurden bei diesen Worten dunkelrot.

Emilia fragte mich mit der Einfalt der Unschuld, was es denn mit Freundschaft zu tun hätte, wenn man sich die Unbequemlichkeit machte, zu zweien in einem sehr engen Bette zu liegen.

Ich hütete mich wohl, meine Frage zu erläutern, denn ich sah, daß der von mir angeregte Gedanke sie beunruhigte. Natürlich waren sie so gut wie ich von Fleisch und Blut, aber unsere Erziehung war nicht von gleicher Art. Ich hielt sie für aufrichtig. Sie hatten sich niemals ihre intimen Geheimnisse mitgeteilt und hatten sie vielleicht nicht einmal ihrem Beichtvater eingestanden, sei es aus unüberwindlicher Schamhaftigkeit, sei es, weil sie gar keine Sünde begangen zu haben glaubten, indem sie ihren Händen gewisse Freiheiten an ihrem eigenen Körper erlaubten.

Eines Tages schenkte ich ihnen seidene Strümpfe, die mit Plüsch gefüttert waren, um gegen die Kälte zu schützen. Sie empfingen dieses Geschenk mit Bekundungen lebhaftester Dankbarkeit, aber ich bat sie vergeblich, die Strümpfe in meiner Gegenwart anzuziehen. Ich sagte ihnen, es sei kein Unterschied zwischen den Beinen eines jungen Mädchens und denen eines Mannes; es wäre nicht einmal eine läßliche Sünde, und ihr Beichtvater würde sie auslachen, wenn sie es als ein Verbrechen beichten wollten. Sie antworteten mir stets übereinstimmend und errötend, Mädchen könne so etwas nie erlaubt sein, denn man habe ihnen die Röcke gegeben, um ihre Beine zu bedecken.

Ich erriet Emiliens Gedanken: sie war überzeugt, daß sie sich in meinen Äugen erniedrigen und daß ich eine ungünstige Meinung von ihr haben würde, wenn sie anders gehandelt hätte. Und doch war Emilia bereits siebenundzwanzig Jahre alt und durchaus nicht übertrieben fromm.

Armellina schämte sich offenbar, weniger sittenstreng zu sein als ihre Freundin, in der sie ihr Vorbild zu erblicken gewohnt war. Mir schien, daß sie mich liebte, und daß es mir weniger schwer sein würde, im geheimen Gunstbezeigungen von ihr zu erlangen, als in Gegenwart ihrer Freundin; in dieser Beziehung war sie allerdings anders als die meisten jungen Mädchen.

Ich stellte sie auf die Probe, als sie eines Morgens allein am Gitter erschien und mir sagte, ihre Aufseherin sei für einige Augenblicke beschäftigt. Ich rief: »Ich bete Sie an, und darum bin ich der unglücklichste aller Menschen; denn da ich verheiratet bin, so kann ich nicht darauf hoffen, mich mit Ihnen zu vermählen und mir auf diese Weise das Glück zu verschaffen, Sie in meinen Armen zu halten und mit meinen Küssen zu bedecken. Wie ist es mir möglich, schöne Armellina, daß ich noch leben kann, da ich keinen anderen Trost habe, als daß ich Ihre reizenden Hände küssen darf?«

Ich sprach diese Worte im leidenschaftlichsten Ton; sie sah mich mit ihren schönen Augen an, dachte einige Sekunden nach und küßte dann meine Hände ebenso feurig, wie ich die ihrigen geküßt hatte.

Nun bat ich sie, ihren Mund dem Gitter zu nähern, gegen das ich meine Lippen gepreßt hatte. Sie errötete, schlug die Augen nieder und rührte sich nicht. Ich beklagte mich bitter darüber, aber vergebens. Sie war taub und stumm, bis Emilia kam, die uns fragte, warum wir nicht so fröhlich wären wie sonst.

An einem der ersten Tage des Jahres 1771 sah ich jene Mariuccia bei mir eintreten, welche ich vor zehn Jahren mit einem braven jungen Menschen verheiratet hatte, der einen Barbierladen aufgemacht hatte. Meine Leser werden sich vielleicht erinnern, daß ich sie bei dem Abbate Momolo, dem Scopatore des Papstes Rezzonico, kennen gelernt hatte. In den drei Monaten, seit ich wieder in Rom war, hatte ich vergeblich Nachforschungen angestellt, um zu erfahren, was aus ihr geworden wäre. Ihr Erscheinen war mir daher sehr angenehm, um so mehr, da ich sie sehr wenig verändert fand.

»Ich habe Sie bei der Weihnachtsmesse in Sankt Peter gesehen,« sagte sie zu mir; »wegen der Gesellschaft, in der ich mich befand, wagte ich jedoch nicht, mich Ihnen zu nähern, und bat daher einen von meinen Bekannten, Ihnen nachzugehen, um zu erfahren, wo Sie wohnten.«

»Wie kommt es, daß ich in drei Monaten nichts von Ihnen habe erfahren können?«

»Seit acht Jahren hat mein Mann sein Geschäft in Frascati, wo wir sehr glücklich leben.«

»Das freut mich. Haben Sie Kinder?«

»Vier, und die älteste, die jetzt neun Jahre alt, sieht Ihnen sehr ähnlich.«

»Lieben Sie sie?«

»Ich bete sie an; aber ich habe die drei anderen ebenso lieb.«

Da ich mit Armellina frühstücken wollte, bat ich Margherita, meiner alten Freundin bis zu meiner Rückkehr Gesellschaft zu leisten.

Mariuccia speiste mit mir zu Mittag, und ich verbrachte den Rest des Tages auf die angenehmste Weise mit ihr, ohne mich versucht zu fühlen, unser Liebesverhältnis zu erneuern. Unsere Erlebnisse boten reichlichen Stoff für unsere Unterhaltung; sie machte mir die interessante Mitteilung, daß mein früherer Kammerdiener Costa drei Jahre nach meiner Abreise mit großem Pomp nach Rom zurückgekehrt war und Momolos Tochter geheiratet hatte, in die er sich verliebt hatte, als er in meinem Dienste stand.

»Das ist ein Lump, der mich bestohlen hat.«

»Ich habe es erraten; aber es hat ihm keinen Nutzen gebracht. Zwei Jahre nach der Heirat hat er seine Frau verlassen, und man weiß nicht, wo er jetzt ist.«

»Was ist aus seiner Frau geworden?«

»Sie befindet sich in Rom und lebt seit dem Tode ihres Vaters im tiefsten Elend.

Ich hatte keine Lust, die unglückliche arme Frau zu besuchen, denn ich konnte ihr nichts Gutes tun und wollte sie nicht betrüben. Ich hätte mich nicht enthalten können, ihr zu sagen, daß ich ihren Mann hängen lassen würde, wenn ich ihn wiederträfe. Diese Absicht habe ich in der Tat bis zum Jahre 1785 gehabt; zu dieser Zeit fand ich den Taugenichts in Wien, wo er Kammerdiener des Grafen Hardegg war. Wenn wir so weit sind, werde ich sagen, was ich mit ihm machte.

Ich versprach Mariuccia, sie während der Fastenzeit einmal zu besuchen.

Die Fürstin Santa-Croce und der gute Kardinal Bernis bedauerten mich wegen meiner unglücklichen Liebe zu Armellina; trotz ihrem Mitleid aber amüsierte ich sie oft, indem ich ihnen von meinen Leiden erzählte.

Der Kardinal sagte der Fürstin, sie könnte mir wohl den Gefallen tun, beim Kardinal Orsini die Erlaubnis auszuwirken, mit Armellina ins Theater zu gehen; ich würde dann mitgehen und könnte sie vielleicht gefügiger machen. »An der Zustimmung des Kardinals können Sie nicht zweifeln, denn Armellina hat kein Gelübde getan; da es jedoch notwendig ist, daß Sie den Gegenstand der heißen Liebe unseres Freundes kennen, bevor Sie diese Bitte aussprechen, so brauchen Sie nur dem Kardinal zu sagen, Sie seien neugierig, das Innere des Hauses zu besichtigen.«

»Glauben Sie, daß er mir das erlauben wird?«

»Sofort; denn die Klausur ist nur eine innere Verwaltungsmaßregel. Wir werden mit Ihnen gehen.«

»Sie gehen mit? Oh, mein lieber Kardinal, das ist eine reizende Partie.«

»Bitten Sie um die Erlaubnis, und wir werden den Zeitpunkt festsetzen.«

Ich fand diesen Plan köstlich. Ich erriet, daß der galante Kardinal neugierig war, Armellina zu sehen; aber seine Neugier beunruhigte mich nicht, denn ich wußte, daß er treu war. Außerdem war ich überzeugt, daß er und die Fürstin, wenn die schöne Eingesperrte ihnen gefiel, sich bemühen würden, einen Mann für sie zu finden, der sie glücklich machen könnte; sie brauchten ihr nur einige von den milden Stiftungen zuzuwenden, die in Rom, wie in allen schlecht regierten Ländern, sehr zahlreich sind.

Drei oder vier Tags darauf ließ die Fürstin mich in ihre Loge im Theater Aliberti rufen und zeigte mir einen Brief vom Kardinal Orsini, der ihr schrieb, sie könnte mit einer beliebigen Anzahl von Personen das Innere des Klosters besichtigen.

»Morgen Nachmittag«, sagte die liebenswürdige Fürstin zu mir, »werden wir Tag und Stunde festsetzen.«

Als ich am nächsten Morgen meinen gewöhnlichen Besuch machte, kam die Oberin an das Gitter, um mir zu sagen, der Kardinal-Protektor habe ihr mitgeteilt, daß die Fürstin Santa-Croce mit einer Gesellschaft das Haus besichtigen werde; dies mache ihr viel Vergnügen.

»Ich weiß es; ich werde bei der Fürstin sein.«

»Und wann wird sie kommen?«

»Das weiß ich noch nicht; aber ich werde Ihnen Bescheid geben, sobald ich es erfahre.«

»Die Neuigkeit hat das ganze Haus in Aufregung gebracht. Unsere Frommen laufen wie geistesabwesend herum; denn mit Ausnahme einiger Priester, des Arztes und des Wundarztes hat seit der Begründung des Hauses kein Mensch jemals Lust gezeigt, das Innere zu besichtigen.«

»Die Exkommunikation ist aufgehoben, Signora, und infolgedessen kann man an eine Klausur nicht mehr denken. Sie brauchen keine Erlaubnis von Seiner Eminenz, um Privatbesuche zu empfangen.«

»Das fühle ich wohl; trotzdem würde ich es aber nicht wagen.«

Am Nachmittag wurde die Stunde des Besuches festgesetzt, und ich meldete dies der Oberin gleich am nächsten Morgen. Die Herzogin von Fiano wollte ebenfalls den Besuch mitmachen, und um drei Uhr waren wir im Kloster. Der Kardinal trug kein Abzeichen seiner hohen Würde. Er erkannte Armellina, sobald er sie sah; so genau war die Beschreibung gewesen, die ich von ihr entworfen hatte. Er machte ihr ein Kompliment wegen ihrer Schönheit und wünschte ihr Glück, daß sie meine Eroberung gemacht hätte.

Das arme Mädchen errötete bis in das Weiße der Augen, und ich glaubte, sie würde ohnmächtig werden, als die Fürstin ihr sagte, niemand im ganzen Hause sei so schön wie sie, und ihr zwei zärtliche Küsse gab, die nach den Regeln des Hauses streng verboten waren.

Nachdem die Fürstin Armellina in dieser Weise geliebkost hatte, machte sie der Oberin Komplimente; sie sagte ihr, ich hätte mit Recht ihre Klugheit gelobt, denn sie fände diese durch die Ordnung und Sauberkeit, die im Hause herrschte, vollauf bestätigt. Sie würde mit dem Kardinal Orsini über sie sprechen, und die Oberin könnte sich darauf verlassen, daß sie ihr alle Gerechtigkeit würde widerfahren lassen, die sie verdiente.

Nachdem wir alle Zimmer gesehen hatten, in denen nichts Merkwürdiges zu sehen war, stellte ich Emilia der Fürstin vor. Diese begrüßte sie auf das herzlichste und sagte zu ihr: »Ich weiß, daß Sie traurig sind, und ich errate die Ursache: Sie sind gut und hübsch; ich werde dafür sorgen, daß Sie einen Mann bekommen werden, der Sie wieder fröhlich machen wird.«

Die Oberin zollte diesem Kompliment ein freundliches Lächeln; aber ich sah ein Dutzend alter Betschwestern fürchterliche Gesichter schneiden.

Emilia wagte nicht zu antworten, aber sie ergriff die Hand der Fürstin und küßte sie inbrünstig, wie wenn sie sie auffordern wollte, ihr Versprechen zu halten.

Ich sah mit Stolz, daß in der ganzen Schar wirklich schöner Mädchen kein einziges es mit meiner Armellina aufnehmen konnte. Sie überstrahlte sie alle, wie vor dem Glanz des Tagesgestirnes die glänzendsten Sterne erbleichen.

Als wir nach dem Sprechzimmer hinuntergingen, sagte die Fürstin zu Armellina, sie würde den Kardinal um Erlaubnis bitten, sie während des Karnevals drei- oder viermal ins Theater zu führen. Über diese Worte machten alle ganz erstaunte Gesichter; nur die Oberin sagte zur Fürstin, Seine Eminenz habe das Recht, in einem Hause, wo die Mädchen nur solange blieben, um sich gut zu verheiraten, alle strengen Maßregeln zu unterdrücken.

Die arme Armellina war halb ohnmächtig vor Scham und Freude. Sie fand keine passenden Worte, um der Fürstin zu danken, die beim Abschied sie und ihre Freundin Emilia noch einmal der Oberin warm empfahl und dieser eine Anweisung übergab, um für sie anzuschaffen, was sie am dringendsten nötig hätten.

Die Herzogin von Fiano wollte an Großmut nicht zurückbleiben und sagte der Oberin, sie würde ihr durch mich ein kleines Geschenk zustellen, das sie Armellina und Emilia zu machen wünschte.

Man kann sich denken, wie eifrig ich der Fürstin meinen Dank abstattete, sobald wir im Wagen saßen.

Ich brauchte Armellina nicht zu entschuldigen; denn die Fürstin und der Kardinal hatten ihr Wesen richtig erkannt. Eine natürliche Verwirrtheit hatte sie gehindert, Geist zu zeigen, aber ihr lebhaftes Auge ließ den Verdacht nicht aufkommen, daß sie keinen Geist hätte, übrigens konnte sie nicht anders sein, als wie die Erziehung sie gemacht hatte.

Die Fürstin war ungeduldig, sie im Theater zu sehen und hierauf nach römischem Brauch im Gasthof mit ihr zu speisen.

Sie schrieb Armellinas und Emilias Namen in ihr Notizbuch ein, um ihnen alle nur möglichen Vergünstigungen zu verschaffen.

Ich dachte an die Geliebte meines armen Menicuccio; aber der Augenblick war nicht günstig, um sie zu empfehlen. Am nächsten Tage zeigte sich jedoch ein günstiger Augenblick, und ich vertraute dem Kardinal Bernis an, warum ich mich für den jungen Menschen interessierte. Der Kardinal ließ ihn kommen, und da Menicuccio ihm gefiel, so interessierte er sich so wirksam für ihn, daß der junge Mensch noch vor dem Ende des Karnevals seine Geliebte mit einer Ausstattung von fünfhundert römischen Talern heiraten konnte. Mit dieser Summe und mit den hundert Talern, die ich ihm schenkte, war er imstande, sich eine gute Einrichtung zu beschaffen und eine Schneiderwerkstatt für eigene Rechnung aufzumachen.

Der Tag nach unserem Besuch im Kloster war für mich ein wahrer Triumph. Als ich wie gewöhnlich am Sprechgitter erschien, sagte man sofort der Oberin Bescheid, die eilends herunterkam, um mir ihren Dank abzustatten.

Die Anweisung, die die Frau Fürstin ihr gegeben hatte, lautete über fünfzig römische Taler; sie sagte mir, sie werde diese darauf verwenden, Armellina und Emilia mit Wäsche zu versehen.

Die lieben Geschöpfe waren ganz starr vor Staunen, als ich ihnen sagte, der dicke Abbate sei der Kardinal Bernis gewesen, denn sie wußten nicht, daß ein Kardinal den Purpur nach seinem Belieben ablegen darf.

Die Herzogin von Fiano hatte ihnen ein Faß Wein geschickt. Dies war ein Genuß, dessen das Haus seit langer Zeit hatte entbehren müssen, und so viele Geschenke erweckten die Hoffnung, daß ihnen noch andere folgen würden. Sie betrachteten mich als den ersten Urheber ihres Glückes, und ihre Dankbarkeit malte sich in ihren Blicken, in dem Klange jedes Wortes, das sie sprachen. Ich glaubte daher, alles hoffen zu können.

Einige Tage darauf stattete die Fürstin dem Kardinal Orsini ihren Dank ab und sagte ihm, sie nehme an zwei von den jungen Mädchen des Klosters besonders Anteil; um passende Partien für sie zu finden, wünsche sie, sie zuweilen ins Theater führen zu können, damit sie die Welt ein bißchen kennen lernten; sie verpflichte sich, sie im Kloster abzuholen und wieder dorthin zu bringen oder sie nur sicheren Leuten anzuvertrauen. Der Kardinal antwortete ihr, die Oberin werde in dieser Beziehung alle Befehle empfangen, die die Fürstin nur wünschen könne.

Als die Fürstin Santa-Croce mir über ihre Unterhaltung mit dem Kardinal berichtete, sagte ich ihr, ich würde dafür sorgen, daß sie alle Befehle erführe, die die Oberin erhielte. Wirklich sagte die Oberin mir schon am nächsten Tage, der Auditor des Kardinals sei bei ihr gewesen und habe ihr gesagt, Seine Eminenz überlasse es ihrer Weisheit, die ihrer Obhut anvertrauten jungen Mädchen bestens zu lenken, und bitte sie auf die Wünsche der Fürstin Santa- Croce alle nur mögliche Rücksicht zu nehmen.

»Ich habe ferner«, erzählte mir die Oberin, »den Befehl erhalten, Seiner Eminenz die Namen derjenigen mitzuteilen, die über dreißig Jahre alt sind und das Kloster verlassen möchten; sie werden die Erlaubnis und zweihundert Scudi erhalten. Ich habe diesen Auftrag noch nicht bekannt gemacht, aber ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich Ihnen sage, daß ich mindestens zwanzig Mädchen auf diese Weise los werde.«

Ich gab der Fürstin Bericht über die Aufträge des Kardinals, und sie fand, daß Seine Eminenz wirklich nicht vornehmer handeln könnte.

Kardinal Bernis, der bei unserer Unterhaltung zugegen war, sagte ihr, sie werde wohl daran tun, wenn sie das erste Mal ihre jungen Schützlinge persönlich abholte und der Oberin sagte, sie werde die jungen Mädchen stets nur mit ihrem eigenen Wagen und von Leuten, die ihre Livree trügen, abholen lassen.

Natürlich stimmte die Fürstin dem Kardinal bei, und wenige Tage darauf fuhr sie allein nach dem Kloster und fuhr mit ihnen nach ihrem Palazzo am Campo di Fiore, wo der Kardinal, der Fürst, ihr Gemahl, die Herzogin von Fiano und ich auf sie warteten.

Man empfing sie mit der größten Liebenswürdigkeit, sprach gütig mit ihnen, ermutigte sie zu antworten, zu lachen und ihre Gedanken frei auszusprechen. Alles war vergeblich: sie befanden sich zum ersten Male in einem so herrlich ausgestatteten Saal, in einer glänzenden Gesellschaft und waren so verwirrt, daß sie sich nicht entschließen konnten, ein Wort zu sprechen, weil sie Angst hatten, daß sie Dummheiten sagen würden. Emilia wagte keine zwei Worte zu sagen, ohne aufzustehen, und Armellina glänzte nur durch ihre Schönheit. Die Röte, die bei jeder meiner an sie gerichteten Fragen ihr Gesicht überzog, gab ihrem schönen Antlitz neues Leben. Die Fürstin bedeckte sie mit Küssen, aber sie konnte sie durch nichts bewegen, diese zu erwidern.

Bald jedoch wurde Armellina ein bißchen zuversichtlich: sie ergriff die Hand der Fürstin und preßte inbrünstig ihre Lippen darauf; als aber die schöne Römerin sie auf den Mund küßte, blieb das junge Mädchen untätig und schien von der so natürlichen und süßen Kunst des Küssens gar keine Ahnung zu haben.

Der Kardinal und der Fürst lachten; die Herzogin aber sagte, eine solche Zurückhaltung sei nicht natürlich. Ich stand Höllenqualen aus, denn ein so linkisches Benehmen schien mir an Dummheit zu grenzen, weil Armellina nur mit den Lippen der Fürstin dasselbe zu machen brauchte, was sie mit deren Händen machte. Ohne Zweifel glaubte sie, gegen den Respekt zu verstoßen, indem sie es ebenso machte wie die Fürstin, obgleich diese sie so dringend dazu aufforderte.

Erziehung verdirbt die Natur, wenn sie sie nicht vervollkommnet.

Der Kardinal nahm mich beiseite und sagte mir, es komme ihm unmöglich vor, daß ich in zwei Monaten das junge Mädchen noch nicht verführt habe; er müsse jedoch wohl davon überzeugt sein und anerkennen, welche Macht eine lange Gewohnheit ist, wenn sie von Vorurteilen unterstützt wird.

Dieses erste Mal wollte die Fürstin mit ihnen ins Theater von Torre di Nona fahren, wo Schwänke gespielt werden; sie mußten über die Späße lachen, und dies erweckte unsere Hoffnungen.

Nach der Vorstellung gingen wir in ein Wirtshaus und aßen zu Abend. Das gute Essen und mein Zuspruch lösten endlich ihre Befangenheit. Wir überredeten sie, Wein zu trinken, und dies gab ihnen Mut. Emilia legte ihre Traurigkeit ab, und Armellina gab endlich der Fürstin richtige schöne Küsse. Wir klatschten Beifall, und dies bewies ihr, daß sie nicht unrecht getan hatte.

Natürlich übertrug die Fürstin mir die angenehme Aufgabe, ihre beiden Gäste nach ihrem Kloster zurückzubringen, und dies war der Augenblick, wo ich den ersten Schritt tun mußte, um das große Ziel zu erreichen. Kaum war aber der Wagen abgefahren, da merkte ich, daß ich unrecht daran getan hatte, die Rechnung ohne den Wirt zu machen: Wenn ich Küsse geben wollte, drehte man den Kopf zur Seite; wenn ich mir einen unbescheidenen Griff erlaubte, hüllte man sich in seine Röcke; wenn ich den Zugang mit Gewalt erkämpfen wollte, leistete man mir gewaltsamen Widerstand; wenn ich mich beklagte, sagte man mir, ich hätte unrecht; wenn ich zornig wurde, ließ man mich reden, und wenn ich drohte, ich würde mich nicht wieder sehen lassen, so glaubte man mir nicht.

Als wir im Kloster angekommen waren, öffnete eine Magd die Nebenpforte, und da ich sah, daß sie die Tür nicht wieder zumachte, nachdem die beiden Mädchen eingetreten waren, so ging ich ebenfalls ins Kloster und begab mich mit ihnen zur Oberin, die in ihrem Bett lag und über meinen Anblick durchaus nicht erstaunt zu sein schien. Ich sagte ihr, ich hätte es für meine Pflicht gehalten, ihr ihre beiden Zöglinge persönlich zurückzubringen. Sie dankte mir, sagte mir, ich hätte sehr recht getan, fragte die Mädchen, ob sie sich auch gut unterhalten und tüchtig gelacht hätten, und wünschte mir gute Nacht, indem sie mich bat, beim Hinausgehen möglichst wenig Geräusch zu machen.

Ich entfernte mich, indem ich ihr eine angenehme Nacht wünschte, und nachdem ich der Magd eine Zechine gegeben hatte und dem Kutscher ebenfalls eine, ließ ich mich vor meiner Wohnung absetzen, wo ich Margherita auf einem Lehnstuhl eingeschlafen fand. Sie schimpfte, als sie mich sah, aber sie wurde bald besänftigt, als sie an der Kraft meiner Liebkosungen merkte, daß ich keiner Untreue fähig war.

Ich stand erst mittags auf; um drei Uhr begab ich mich zur Fürstin, bei der ich den Kardinal fand.

Sie erwartete, von einem Triumph zu hören; als ich ihr aber das Gegenteil erzählte, war sie sehr überrascht, und noch mehr darüber, daß ich mich so gleichgültig zeigte.

Ich muß jedoch gestehen, daß mein Gesichtsausdruck nicht der Wahrheit entsprach. Da ich über das Alter, mich wie ein Kind zu beklagen, hinaus war, so gab ich meiner Enttäuschung einen komischen Anstrich und sagte ihr, ich liebte die Pamelas nicht und hätte daher beschlossen, den Versuch aufzugeben.

»Mein Lieber,« sagte der Kardinal zu mir, »in drei Tagen werde ich Ihnen meinen Glückwunsch abstatten.«

Er kannte das menschliche Herz.

Als Armellina mich an diesem Tage nicht sah, glaubte sie, ich hätte die Zeit verschlafen; als aber auch der zweite Tag verging, ohne daß ich mich zeigte, ließ sie ihren Bruder holen, um sich zu erkundigen, ob ich krank sei; denn ich hatte bisher nie zwei Tage vergehen lassen, ohne sie zu besuchen.

Menicuccio kam also zu mir und sagte mir, wie unruhig seine Schwester sei; zugleich freute er sich, ihr sagen zu können, daß ich mich ausgezeichnet wohl befände.

»Ja, mein lieber Freund, sage deiner Schwester, daß ich mich auch weiterhin bemühen werde, ihr die Gunst der Fürstin zu erwirken, daß sie mich aber nicht mehr sehen wird.«

»Warum denn nicht?«

»Ich will versuchen, von meiner unglückseligen Leidenschaft zu genesen. Deine Schwester liebt mich nicht; davon bin ich überzeugt. Ich bin nicht mehr jung, und ich fühle mich durchaus nicht geneigt, ein Märtyrer ihrer Tugend zu werden. Ein junges Mädchen, das liebt, darf die Tugend nicht so weit treiben, daß sie dem Manne, der sie anbetet, nicht einen einzigen Kuß bewilligt.«

»Das hätte ich aber wirklich nicht von ihr geglaubt!«

»Aber es ist so, und ich muß der Sache ein Ende machen. Deine Schwester ist zu jung; sie weiß nicht, welche Folgen es haben kann, wenn sie sich gegen einen Verliebten von meinem Alter so benimmt. Sage ihr dies alles, Menicuccio, aber laß dir nicht einfallen, ihr Ratschläge zu geben.«

»Sie können sich gar nicht vorstellen, wie leid mir das alles tut; aber vielleicht schämt sie sich in Gegenwart Emilias.«

»Nein. Ich habe sie auch unter vier Augen oft mit meinen Bitten bestürmt, ohne etwas von ihr zu erlangen. Ich will von meiner Leidenschaft genesen; denn wenn sie mich nicht liebt, will ich sie weder verführen noch durch Dankbarkeit für mich gewinnen. Tugendhaft zu sein, kostet einem Mädchen, das nicht liebt, keine Mühe; sie fühlt vielleicht, daß sie undankbar ist, aber es macht ihr Vergnügen, die Dankbarkeit dem Vorurteil zu opfern. Wie behandelt dich deine Zukünftige?«

»Seitdem sie sicher ist, daß ich sie heiraten werde, ist sie sehr lieb.«

Ich bedauerte, daß ich mich für einen verheirateten Mann ausgegeben hatte, denn in meinem damaligen Gemütszustand würde ich ihr auch versprochen haben, sie zu heiraten, und ich würde durchaus nicht die Absicht gehabt haben, sie mit diesem Versprechen zu täuschen.

Menicuccio entfernte sich ganz betrübt, und ich begab mich nach dem Kapitol zur Versammlung der Akademie, wo die Marquise d'Août ihr Aufnahmegedicht vortragen sollte. Diese Marquise war eine junge Französin, die sich seit sechs Monaten mit ihrem Gatten in Rom befand. Er war ein freundlicher und liebenswürdiger Mensch, der es jedoch in bezug auf Geist durchaus nicht mit ihr aufnehmen konnte; denn sie war sogar genial zu nennen. Ich befreundete mich an diesem Tage mit ihr, ohne jedoch an ein Liebesverhältnis zu denken. Der Platz war bereits besetzt von einem französischen Abbé, der rasend in sie verliebt war und ihretwegen auf seine aussichtsreiche geistliche Laufbahn verzichtete.

Die Fürstin von Santa-Croce sagte mir jeden Tag, sie würde mir die Schlüssel ihrer Loge geben, so oft ich Lust hätte, mit Armellina und Emilia allein in die Oper zu gehen. Als sie aber sah, daß ich in acht Tagen noch nicht wieder dagewesen war, begann sie zu glauben, daß ich wirklich mit dem Mädchen gebrochen hätte.

Der Kardinal dagegen hielt mich immer noch für verliebt und lobte mein Verhalten. Er prophezeite mir, daß die Oberin mir schreiben würde, und er hatte richtig geraten; denn nach acht Tagen schrieb sie mir ein sehr höfliches Briefchen und bat mich, sie zu besuchen. Ich glaubte mich diesem Besuch nicht entziehen zu können.

Am Sprechgitter sagte ich, daß ich sie allein zu sehen wünschte; sie kam und fragte mich, warum ich so plötzlich meine Besuche eingestellt hätte.

»Weil ich in Armellina verliebt bin.«

»Wenn dieser Grund stark genug war, um Sie jeden Tag hierher zu führen, so kann ich nicht begreifen, warum er jetzt auf einmal genau das Entgegengesetzte bewirkt.«

»Das ist doch ganz natürlich, Signora: wenn man liebt, begehrt man, und wenn man vergeblich begehrt, leidet man; ein beständiges Leiden aber macht den Menschen unglücklich. Sie sehen wohl ein, daß ich alles, was in meinen Kräften steht, tun muß, um nicht mehr unglücklich zu sein.«

»Ich beklage Sie und ich sehe ein, daß Sie weise handeln; aber wenn die Sache sich so verhält, wie ich glaube, so möchte ich Ihnen sagen, daß Sie Armellina achten müssen und daß Sie sie nicht auf diese Weise verlassen dürfen; denn dadurch werden alle ihre Freundinnen veranlaßt, ein Urteil über sie zu fällen, das der Wahrheit widerspricht.«

»Was für ein Urteil denn, Signora?«

»Daß Ihre Liebe nur eine Laune war, und daß Sie, sobald Sie diese befriedigt hatten, Armellina verlassen haben.«

»Das wäre der Gipfel der Bosheit; aber ich kann nichts dagegen machen, denn ich habe nur dieses eine Heilmittel, um von meiner Torheit zu genesen. Kennen Sie ein anderes, Signora? So nennen Sie es mir gütigst.«

»Ich verstehe nicht viel von dieser Krankheit; aber mir scheint, die Liebe wird allmählich zur Freundschaft werden, und dann wird man wieder ruhig.«

»Das ist richtig; aber um zur Freundschaft werden zu können, darf die Liebe nicht beleidigt werden. Wenn der geliebte Gegenstand sie nicht schont, gerät sie in Verzweiflung und wird dann zur Verachtung oder Gleichgültigkeit. Ich will weder in Verzweiflung geraten noch Armellina verachten; denn sie ist ein Engel an Schönheit und Tugend. Ich werde mich ihr nützlich machen, genau so wie wenn sie mich glücklich gemacht hätte; aber ich will sie nicht mehr sehen, und ich bin überzeugt, daß dies ihr nicht mißfallen kann, denn sie muß meinen Zorn bemerkt haben. Das darf nicht wieder vorkommen.«

»Ich tappe vollkommen im Dunklen; sie haben mir fortwährend versichert, daß Sie durchaus keinen Verstoß gegen sie begangen haben, und daß sie nicht zu erraten vermögen, warum Sie nicht mehr kommen.«

»Sie haben gelogen, entweder aus Schüchternheit oder aus Vorsicht oder aus Zartgefühl oder aus Furcht, mir bei Ihnen zu schaden. Aber Sie verdienen alles zu wissen, Signora, und meine Ehre verlangt, daß ich Ihnen alles sage.«

»Ich bitte Sie darum; Sie können auf meine Verschwiegenheit rechnen.«

Hierauf erzählte ich ihr alles ganz ausführlich. Sie war ganz bestürzt und sagte: »Ich habe den Grundsatz, an das Böse nur zu glauben, wenn wirklich Anlaß dazu vorliegt; aber da ich die menschliche Schwäche kenne, so würde ich niemals geglaubt haben, daß Sie beide, die seit drei Monaten jeden Tag mehrere Stunden zusammen waren, sich in so strengen Grenzen gehalten hätten. Mir scheint, ein Kuß hätte weniger geschadet als das Gerede, das Ihr Fernbleiben verursacht.«

»Ich bin überzeugt, daß Armellina sich nichts daraus macht.«

»Sie weint den ganzen Tag.«

»Ihre Tränen entspringen vielleicht einem Gefühl von Eitelkeit oder auch dem Verdruß über den Grund, dem man meine Unbeständigkeit zuschreibt.«

»Nein, das kann nicht sein; denn ich habe allen mitgeteilt, Sie seien krank.«

»Und was sagt Emilia?«

»Sie weint nicht, aber sie ist sehr traurig; sie sagt mir fortwährend, es sei nicht ihre Schuld, daß Sie nicht mehr kommen, und mir scheint, sie will damit sagen, daß Armellina schuld habe. Tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie morgen! Sie haben die größte Lust, einmal die Oper im Theater Aliberti und die Komische Oper in der Capronica zu sehen.«

»Nun gut denn, Signora; ich werde morgen vormittag zum Frühstück kommen, und morgen abend werden sie die Oper sehen.«

»Das freut mich außerordentlich, und ich danke Ihnen recht sehr dafür. Kann ich ihnen diese Neuigkeit mitteilen?«

»Ich bitte Sie sogar, Armellina zu sagen, daß ich mich nur in Anbetracht der mir von Ihnen genannten Gründe entschlossen habe, sie wiederzusehen.«

Die Fürstin frohlockte, als ich ihr mein Gespräch mit der Oberin erzählte, und der gute Kardinal rief triumphierend, er habe richtig geraten. Die Fürstin gab mir den Schlüssel zu ihrer Loge und erteilte den Befehl, daß am Abend ein Wagen für mich bereit gehalten werden sollte.

Als ich am anderen Tage Armellina rufen ließ, kam Emilia zuerst herunter, um mir Vorwürfe wegen meiner Grausamkeit zu machen. Sie sagte mir, wenn ein Mann wirklich liebte, könnte er nicht so handeln, und es wäre unrecht von mir gewesen, der Oberin alles zu sagen.

»Ich würde ihr nichts gesagt haben, liebe Emilia, wenn ich ihr etwas von Bedeutung zu sagen gehabt hätte.«

»Armellina ist unglücklich, seitdem sie Sie kennt.«

»Und warum denn, bitte?«

»Weil sie nicht gegen ihre Pflicht verstoßen will, und weil sie sieht, daß Sie sie nur lieben, um sie vom Wege der Pflicht abzubringen.«

»Aber ihr Unglück wird doch aufhören, sobald ich sie nicht mehr behellige.«

»Indem Sie sie zugleich nicht mehr besuchen?«

»Ganz recht. Glauben Sie, das sei mir nicht schmerzlich? Aber um meiner Ruhe willen muß ich mich überwinden.«

»Dann wird sie überzeugt sein, daß Sie sie nicht geliebt haben.«

»Sie mag denken, was sie will. Ich bin überzeugt, daß wir längst einig wären, wenn sie mich liebte, wie ich sie liebe.«

»Wir haben Pflichten, die Sie nicht zu haben glauben.«

»So seien Sie Ihren vermeintlichen Pflichten getreu, aber nehmen Sie es nicht übel, wenn ein Ehrenmann diese Pflichten achtet, sich jedoch Ihnen fernhält.«

Armellina erschien. Ich fand sie verändert.

»Wie kommt es denn, daß Sie so bleich sind? Wo ist Ihre lachende Miene geblieben?«

»Sie haben mir Kummer gemacht.«

»Nun, beruhigen Sie sich nur. Verschaffen Sie sich Ihre gute Laune wieder, und gestatten Sie, daß ich mich von einer Leidenschaft zu heilen suche, die ihrer Natur nach mich veranlaßt, Sie von Ihren Pflichten abwendig zu machen. Deshalb bleibe ich doch Ihr Freund und werde Sie, solange ich in Rom bin, einmal die Woche besuchen.«

»Einmal die Woche! Dann hätten Sie nicht damit anfangen müssen, jeden Tag zu kommen.«

»Sie haben recht. Ihr Gesicht hat mich zu einem Irrtum verleitet; aber ich hoffe, Sie werden aus bloßer Dankbarkeit damit einverstanden sein, daß ich mich bemühe, wieder vernünftig zu werden. Damit aber dieses Heilmittel wirken kann, muß ich es mir zum Gesetz machen, Sie möglichst wenig zu sehen. Denken Sie selber ein wenig darüber nach, und Sie werden finden, daß mein Entschluß weise und Ihrer Achtung würdig ist.«

»Es ist recht schmerzlich, daß Sie mich nicht so lieben können, wie ich Sie liebe!«

»Das heißt: in aller Ruhe und ohne jeden Wunsch.«

«Das will ich nicht sagen; aber so, daß Sie Ihre Wünsche im Zaum zu halten wissen, wenn diese Wünsche unserer Pflicht widersprechen.«

»Das wäre eine Kunst, die ich in meinem Alter nicht erlernen könnte und die ich auch wirklich gar nicht lernen möchte. Möchten Sie mir wohl sagen, ob Sie viel leiden, indem Sie die Wünsche zurückhalten, die Ihre Liebe zu mir Ihnen einflößt?«

»Es würde mir sehr leid tun, wenn ich Wünsche zurückdrängen müßte, indem ich an Sie denke. Im Gegenteil, ich hätschele diese Wünsche. Ich möchte, Sie würden Papst; zuweilen wünsche ich, Sie wären mein Vater, damit ich, frei von jedem Zwange, Sie tausendfach liebkosen könnte; in meinen Träumen wünsche ich, Sie würden ein Mädchen, wie ich, damit ich alle Stunden des Tages mit Ihnen zusammen sein könnte.«

Über ihre naive, aber ebenso natürliche und wahre wie eigenartige Ausdrucksweise mußte ich unwillkürlich lachen. Nachdem ich ihnen gesagt hatte, daß ich sie abholen und mit ihnen ins Theater Aliberti gehen würde, verließ ich sie sehr befriedigt; denn in allem, was Armellina mir gesagt hatte, fand ich nicht die geringste Verstellung oder Koketterie. Ich sah klar und deutlich, daß sie mich liebte, aber sich selber dies durchaus nicht gestehen wollte. Darum empfand sie einen Widerwillen, mir Gunstbezeigungen zu bewilligen, die sie hätte teilen müssen. Dadurch würde sie von ihren wahren Gefühlen überzeugt worden sein. Dies alles sagte ihr ihr Gefühl, denn ihre Seele wußte nichts von Verstellung, und die Erfahrung hatte sie noch nicht gelehrt, daß sie entweder mich fliehen oder sich darein ergeben mußte, unserer Liebe zu erliegen.

Zur rechten Zeit holte ich die beiden Freundinnen wieder mit demselben Wagen ab, und sie ließen mich nicht warten. Ich war allein in dem Wagen, aber dies überraschte sie nicht. Emilia überbrachte mir die Empfehlungen der Oberin, die mich bitten ließ, sie am nächsten Tage zu besuchen. In der Oper machte ich keinen Versuch, ihre Aufmerksamkeit von dem Schauspiel abzulenken, das sie zum ersten Male sahen. Ich war weder fröhlich noch traurig und beschäftigte mich nur damit, ihre Fragen zu beantworten. Da sie Römerinnen waren, mußten sie einigermaßen wissen, was ein Kastrat ist; trotzdem hielt Armellina den Unglücklichen, der die Primadonna spielte, für eine Frau; sie glaubte, ihrer Sache gewiß zu sein, weil man seinen Busen sah, der allerdings sehr schön war.

»Würden Sie es wagen,« fragte ich sie, »sich mit ihm in ein Bett zu legen?«

»Nein, aber nur deshalb nicht, weil ein anständiges Mädchen stets allein im Bett liegen muß.«

So strenge waren bis dahin die Mädchen in ihrer Anstalt erzogen worden. Diese geheimnisvolle Zurückhaltung in bezug auf alles, was zum Liebesgenuß reizen konnte, war schuld daran, daß jeder Blick und jede Berührung die größte Bedeutung erhielten. Dies war der Grund, warum Armellina mir erst nach langem Kampf ihre Hände überlassen hatte, und weshalb weder sie noch Emilia niemals gestatten wollten, daß ich mich durch den Augenschein überzeugte, ob meine gefütterten Seidenstrümpfe ihnen gut säßen. Das strenge Verbot, mit einem anderen Mädchen zusammenzuschlafen, ließ es ihnen als eine große Sünde erscheinen, sich vor einer Freundin nackt sehen zu lassen; sich gar einem Manne so zu zeigen, mußte in ihren Augen eine Verruchtheit sondergleichen sein. Bei dem bloßen Gedanken daran mußten ihnen die Haare zu Berge stehen.

Sooft ich mir am Sprechgitter eine etwas freie Bemerkung über die Freuden der Liebe erlaubt hatte, hatte ich sie stumm und taub gefunden.

Obgleich Emilia trotz ihrer Blässe frisch und hübsch war, interessierte ich mich nicht genug für sie, um mir Mühe zu geben, ihre Traurigkeit zu verjagen; aber in meiner Liebesglut geriet ich in Verzweiflung, als ich sah, daß Armellinas lachendes Gesicht seinen Ausdruck veränderte, weil ich mir die Frage erlaubte, ob sie von dem Unterschied in der körperlichen Bildung einer Frau und eines Mannes eine Ahnung hätte.

Nach der Oper sagte Armellina mir, sie hätte guten Appetit, denn sie hätte wegen des Kummers, den ich ihr machte, seit acht Tagen fast gar nichts gegessen.

»Wenn ich dies hätte ahnen können, hätte ich ein gutes Abendessen bestellt, während ich Ihnen jetzt nichts weiter anbieten kann, als was der Zufall uns gewährt.«

»Oh, das macht nichts. Wie viele werden wir sein?«

»Nur wir drei.«

»Um so besser; wir werden freier sein.«

»Sie lieben also die Fürstin nicht?«

»Ich bitte Sie um Verzeihung, aber sie verlangt von mir Küsse, die mir nicht gefallen.«

»Sie haben ihr aber doch recht heiße Küsse gegeben.«

»Nur aus Furcht, daß sie mich für eine dumme Gans halten würde, wenn ich es nicht täte.«

»Wollen Sie mir sagen, ob Sie eine Sünde zu begehen glaubten, indem Sie ihr diese Küsse gaben?«

»Nein, ganz gewiß nicht! Denn ich habe nicht nur kein Vergnügen daran gefunden, sondern mich gewaltsam überwinden müssen.«

»Warum haben Sie denn nicht diese Anstrengung auch zu meinen Gunsten gemacht?«

Sie schwieg. Wir kamen in den Gasthof, wo ich vor allen Dingen ein gutes Feuer anzünden ließ; hierauf bestellte ich ein gutes Abendessen.

Der Kellner fragte mich, ob ich Austern wünschte; da ich sah, daß meine Gäste sehr neugierig darauf waren, fragte ich ihn nach dem Preise.

»Sie kommen aus dem Arsenal von Venedig, und wir können sie nicht billiger geben als zu fünfzig Paoli das Hundert.«

»Gut; lassen Sie hundert auftragen; aber ich wünsche, daß sie hier geöffnet werden.«

Armellina war erstaunt, daß ihre Laune mir fünf römische Taler kosten sollte, und bat mich, die Bestellung zu widerrufen; sie schwieg jedoch, als ich ihr sagte, mir wäre nichts zu teuer, wenn ich annehmen könnte, ihr damit ein Vergnügen zu machen.

Als sie diese Antwort hörte, ergriff sie meine Hand und wollte sie an ihre Lippen ziehen; sie war ganz traurig, als ich meine Hand etwas heftig zurückzog.

Ich saß vor dem Feuer zwischen den beiden Mädchen. Armellinas Verwirrung tat mir sehr leid, und ich sagte zu ihr: »Ich bitte Sie um Verzeihung, Armellina; ich habe meine Hand nur zurückgezogen, weil sie nicht würdig ist, daß Sie Ihre schönen Lippen darauf drücken.«

Trotz meiner Entschuldigung konnte sie nicht verhindern, daß zwei große Tränen über ihre Rosenwangen rollten. Ich empfand einen tiefen Schmerz, als ich dies sah.

Armellina war eine zarte Taube, die nicht hart behandelt werden durfte. Ich konnte auf ihre Liebe verzichten; da ich aber nicht die Absicht hatte, mich ihr verhaßt zu machen, so mußte ich entweder aufhören, sie zu sehen, oder sie ganz anders behandeln.

Die beiden Tränen zeigten mir, daß ich ihr Zartgefühl tief verletzt hatte. Ich stand auf und ging hinaus, um Champagner zu bestellen.

Als ich einige Minuten später wieder hereinkam, sah ich, daß sie ihren Tränen freien Lauf gelassen hatte und daß sie sich mit traurigem Herzen zu Tische setzen würde. Ich war darüber untröstlich. Ich durfte keine Zeit verlieren: ich wiederholte meine Entschuldigung und bat sie, wieder ein fröhliches Gesicht zu machen, wenn sie mich nicht auf das allerhärteste bestrafen wollte.

Emilia unterstützte meine Bitte; ich ergriff Armellinas Hand, bedeckte sie mit zärtlichen Küssen und hatte das Glück, ihre schönen Augen in neuer Heiterkeit strahlen zu sehen.

Die Austern wurden in unserer Gegenwart geöffnet, und das Erstaunen der jungen Mädchen würde mir viel Spaß gemacht haben, wenn mein Herz besser zufrieden gewesen wäre. Aber die Liebe brachte mich zur Verzweiflung, und ich fühlte mich unbehaglich. Vergeblich bat Armellina mich, ich möchte doch heiter sein, wie im Anfang unserer Bekanntschaft. Die Stimmung hängt ja nicht vom Willen ab.

Wir setzten uns zu Tisch, und ich lehrte meine liebenswürdigen Gäste Austern schlürfen. Diese waren ausgezeichnet und schwammen in ihrem Wasser.

Nachdem Armellina ein halbes Dutzend hinuntergeschluckt hatte, sagte sie zu ihrer Freundin, einen so köstlichen Bissen zu essen, müßte eine Sünde sein.

Emilia antwortete: »Nicht, weil der Bissen so köstlich ist, muß es eine Sünde sein, meine Liebe, aber, weil wir mit jedem Mundvoll einen halben Paolo hinunterschlucken.«

»Einen halben Paolo! Und unser Heiliger Vater, der Papst, verbietet das nicht? Wenn dies keine Todsünde der Völlerei ist, so weiß ich nicht, was man so nennen kann. Ich esse diese Austern mit großem Vergnügen, aber ich habe bereits daran gedacht, mich in der Beichte dieser Sünde zu beschuldigen, um zu sehen, was mein Beichtvater mir sagen wird.«

Diese Naivitäten waren ein großes Vergnügen für meinen Geist; aber mein Leib wollte auch sein Vergnügen haben, und dies fehlte mir. Meine Liebe war neidisch auf meinen Mund.

Während wir fünfzig Austern aßen, tranken wir zwei Flaschen schäumenden Champagners. Der Wein brachte meine beiden Gäste zum Lachen und zum Erröten, indem er sie nötigte, die Unschicklichkeit des Aufstoßens zu begehen.

Ich hätte gern gelacht und Armellina mit Küssen verschlungen; leider aber konnte ich sie nur mit den Augen verschlingen.

Indem ich den Rest der Austern für den Nachtisch zurückhielt, befahl ich das Essen aufzutragen, und da ich ein wenig auf Bacchus rechnete, so tat ich das Wasser in Acht und Bann.

Das Abendessen war über alle Erwartungen gut, und meine beiden Heldinnen langten tüchtig zu. Zum Schluß war sogar Emilia ganz entflammt.

Ich ließ Zitronen und eine Flasche Rum kommen, und nachdem ich die fünfzig zurückbehaltenen Austern hatte anrichten lassen, schickte ich den Kellner fort und machte eine Bowle Punsch, den ich dadurch verbesserte, daß ich eine Flasche Champagner hineingoß.

Nachdem wir einige Austern geschlürft und von dem Punsch, der die beiden Freundinnen zu lauten Ausrufen der Bewunderung hinriß, ein oder zwei Gläser getrunken hatten, erlaubte ich mir, Emilia zu bitten, mir eine Auster mit ihren Lippen zu geben. »Sie besitzen zu viel Geist,« sagte ich zu ihr, »um sich einbilden zu können, daß etwas Böses dabei sein könnte.«

Erstaunt über diesen Vorschlag dachte Emilia darüber nach. Armellina sah sie aufmerksam an; augenscheinlich war sie neugierig, welche Antwort sie mir geben würde.

»Warum«, sagte Emilia schließlich, »machen Sie diesen Vorschlag nicht Ihrer Armellina?«

»Gib du zuerst ihm die Auster,« sagte Armellina zu ihr, »wenn du den Mut hast, werde ich ihn auch haben.«

»Was für ein Mut ist dazu nötig? Es ist ja nur ein kindlicher Scherz und gar nichts Schlimmes dabei.«

Als ich diese Antwort vernahm, glaubte ich Victoria rufen zu können. Ich hielt ihr die Austernschalen an den Mund, und nachdem sie viel gelacht hatte, schlürfte sie die Auster ein und hielt sie zwischen den Lippen fest. Schnell nahm ich die Auster, indem ich meine Lippen auf ihren Mund preßte; ich tat dies jedoch in sehr anständiger Weise.

Armellina klatschte in die Hände und sagte, sie hätte Emilia nicht für so tapfer gehalten. Hierauf machte sie es genau ebenso wie ihre Freundin. Sie war entzückt über das Zartgefühl, womit ich ihre Auster nahm, indem ich kaum ihre schönen Lippen streifte. Aber man stelle sich meine angenehme Überraschung vor, als ich sie zu mir sagen hörte, es komme mir zu, das Geschenk zurückzuerstatten. Man kann sich denken, mit welcher Wonne ich dies tat.

Nach diesem reizenden Scherz fuhren wir fort, unsere Austern zu essen und unseren Punsch zu trinken.

Wir saßen in einer Reihe, den Rücken dem Feuer zugewandt. Wir waren berauscht, aber niemals hatte es einen fröhlicheren und vernünftigeren Rausch gegeben. Wir erstickten vor Hitze, aber der Punsch war noch nicht ausgetrunken. Da ich es nicht mehr aushalten konnte, zog ich meinen Rock aus, und sie mußten ihre Kleider aufschnüren, deren Mieder mit Pelz gefüttert waren.

Ich erriet, daß sie Bedürfnisse hatten, von denen sie nicht zu sprechen wagten, und zeigte ihnen eine Kammer, wo sie es sich bequem machen konnten. Sie faßten sich an der Hand und liefen schnell dorthin. Als sie wieder hereinkamen, waren sie nicht mehr zwei schüchterne Klosterzöglinge; sie lachten laut auf, als sie sahen, daß sie nur noch im Zickzack gehen konnten.

Wir saßen vor dem Feuer, und ich diente ihnen als Ofenschirm. Ich verschlang mit meinen Blicken tausend Reize, die sie mir in dem Zustande, worin sie sich befanden, nicht verbergen konnten. Ich sagte ihnen, wir dürften unter keinen Umständen fortgehen, bevor wir den Punsch ausgetrunken hätten, und sie antworteten mir wie aus einem Munde, aus vollem Halse lachend, es würde eine Sünde sein, wenn wir etwas so Gutes umkommen ließen.

Hierauf wagte ich ihnen zu sagen, ihre Beine wären vollendet schön, und ich würde in Verlegenheit sein, wenn ich erklären sollte, welche von ihnen die schönsten hätte. Dies verdoppelte ihre Heiterkeit, denn sie hatten nicht bemerkt, daß ihre offenen Kleider und kurzen Unterröcke mich die Hälfte ihrer Beine sehen ließen.

Nachdem wir den letzten Tropfen von unserem Punsch getrunken hatten, plauderten wir noch eine halbe Stunde lang. Ich wünschte mir innerlich Glück, daß ich die Selbstbeherrschung besessen hatte, nichts gegen sie zu unternehmen. Im Augenblick des Aufbruchs fragte ich sie, ob sie sich über mich beklagen könnten. Armellina antwortete mir sofort: wenn ich sie als meine Tochter annehmen wollte, wäre sie bereit, mir bis ans Ende der Welt zu folgen.

»Sie fürchten also nicht mehr, daß ich Sie verleiten könnte, gegen Ihre Pflicht zu verstoßen?«

»Nein, ich fühle mich bei Ihnen vollkommen sicher.«

»Und Sie, liebe Emilia?«

»Ich, ich werde Sie lieben, wenn Sie für mich tun, was die Oberin Ihnen morgen sagen wird.«

»Ich werde alles tun, aber ich werde erst gegen Abend mit ihr sprechen; denn es ist fast drei Uhr.«

Da ging das Gelächter von neuem los: »Was wird Mama sagen? Was wird Mama sagen?«

Ich bezahlte die Rechnung, belohnte den Kellner, der uns gut bedient hatte, und fuhr mit ihnen nach ihrem Kloster, dessen Pförtnerin mit der veränderten Hausordnung sehr zufrieden war, als sie zwei Zechinen in ihrer Hand sah.

Da es bereits zu spät war, um noch zur Oberin hinaufzugehen, so fuhr ich mit dem Wagen der Fürstin zu meiner Wohnung, wo ich den Kutscher und den Lakaien reichlich belohnte.

Margherita, die mir die Augen ausgekratzt haben würde, wenn ich ihr nicht bewiesen hätte, daß ich ihr treu war, war sehr mit mir zufrieden; denn ich löschte an ihr die Glut, die Armellina und der Punsch in meinen Sinnen entzündet hatten. Ich sagte ihr, ich sei durch eine Spielpartie zurückgehalten worden, und da sie ihre Leidenschaft befriedigt sah, so fragte sie nicht weiter.

Am nächsten Tage erheiterte ich die Fürstin und den Kardinal durch die ausführliche Erzählung des Vorgefallenen.

»Sie haben den rechten Augenblick versäumt!« sagte die Prinzessin zu mir.

»Das glaube ich nicht,« bemerkte der Kardinal; »ich denke im Gegenteil, Casanova hat sich dadurch einen vollständigen Sieg für ein anderes Mal gesichert.«

Am Abend begab ich mich nach dem Kloster, wo die gute Oberin mich aufs beste empfing. Sie machte mir ein Kompliment darüber, daß ich mich mit ihren beiden Mädchen bis drei Uhr in der Früh hätte belustigen können, ohne gegen die Ehrbarkeit zu verstoßen. Sie hatten ihr erzählt, auf welche Weise wir das halbe Hundert Austern gegessen hatten, und sie sagte mir, ich hätte da einen sehr scherzhaften Einfall gehabt. Ich bewunderte ihre Unschuld, ihre Einfalt oder ihre Philosophie.

Nach dieser Einleitung sagte sie mir, ich könnte Emilia glücklich machen, indem ich die Fürstin veranlaßte, ihr eine Befreiung von dem dreimaligen Aufgebot zu verschaffen. »Ein Kaufmann von Civita vecchia würde sie schon längst geheiratet haben, wenn nicht das Aufgebot wäre. Es ist nämlich eine Frau vorhanden, die ein Vorrecht auf ihn zu haben behauptet, obgleich dies durchaus nicht der Fall ist. Ihr Einspruch würde einen Prozeß zur Folge haben, und Gott weiß, wann dieser endigen würde. Wenn Sie diese Sache in Ordnung brächten, würde Emilia glücklich werden, und das würde sie nur Ihnen zu verdanken haben.«

Ich schrieb nur den Namen des Mannes auf und versprach ihr, der Fürstin die Sache bestens ans Herz zu legen.

»Haben Sie immer noch die Absicht, sich von Ihrer Liebe zu Armellina zu heilen?«

»Ja, aber ich werde erst in der Fastenzeit aufhören, sie zu besuchen.«

»Nun, dann wünsche ich Ihnen Glück dazu, daß der Karneval dieses Jahr sehr lang ist.«

Am nächsten Tage sprach ich mit der Fürstin über die Sache. Der Dispens konnte nicht ohne eine Bescheinigung des Bischofs von Civita vecchia erlangt werden, woraus hervorginge, daß der Bittsteller ein unabhängiger Mann wäre. Der Kardinal sagte mir, wir müßten den Mann kommen lassen und er würde sich seiner annehmen, wenn er durch zwei bekannte Zeugen bescheinigen lassen könnte, daß er nicht verheiratet wäre.

Ich meldete der Oberin den Bescheid Seiner Eminenz. Sie schrieb nach Civita vecchia, und einige Tage darauf sah ich den Mann am Gitter eines anderen Sprechzimmers mit der Oberin und Emilia. Nachdem er sich meinem Wohlwollen angelegentlich empfohlen hatte, vertraute er mir an, daß er sich nicht verheiraten könnte, wenn er nicht sicher wäre, sechshundert römische Taler zu bekommen. Es handelte sich nur darum, ihm eine Gabe von zweihundert Scudi zu verschaffen, da das Kloster ihm ja vierhundert geben mußte. Es gelang mir, ihm dieses Geld zu verschaffen; zuvor aber verabredete ich noch ein Abendessen mit Armellina, die mich jeden Morgen fragte, wann ich sie in die Komische Oper führen würde. Ich antwortete ihr, ich müßte befürchten, daß meine Zärtlichkeit mich nötigen würde, sie ihren Pflichten abspenstig zu machen; sie antwortete jedoch, die Erfahrung habe sie und ihre Freundin gelehrt, mich nicht zu fürchten.


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