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Ohne mich mit langen Umschweifen aufzuhalten, bat ich den jungen Großherzog, mir in seinen Staaten eine sichere Zuflucht für die Zeit meines Aufenthaltes zu gewähren, und um allen Fragen von seiner Seite zuvorzukommen, beeilte ich mich, ihm zu sagen, aus welchen Gründen die Türen meiner Heimat mir verschlossen wären.
»Was meinen Lebensunterhalt anlangt,« fügte ich hinzu, »so bitte ich Eure Kaiserliche Hoheit zu glauben, daß ich keines Menschen bedarf, da die Mittel, die ich besitze, mir in dieser Hinsicht völlige Unabhängigkeit gewähren, übrigens gedenke ich meine ganze Zeit nur dem Studium zu widmen.«
»Wenn Sie sich gut aufführen,« antwortete mir der Fürst, »so genügen die Gesetze meines Landes, um Ihnen ein unabhängiges Dasein zu sichern; immerhin ist es mir sehr angenehm, daß Sie sich an mich gewandt haben. Was für Bekannte haben Sie in Florenz?«
»Gnädiger Herr, vor zehn Jahren verkehrte ich hier in mehreren vornehmen Häusern; da ich jedoch die Absicht habe, sehr zurückgezogen zu leben, so gedenke ich nicht, diese Bekanntschaften zu erneuern.«
Hiermit endigte mein Gespräch mit dem jungen Herrscher. Der Schritt, den ich getan hatte, schien mir unumgänglich notwendig zu sein, zugleich aber auch genügend, um mich gegen jedes Unglück zu schützen.
Was mir vor zehn Jahren in Toskana widerfahren war, mußte vergessen oder doch wenigstens in der Erinnerung stark abgeblaßt sein, denn die neue Regierung hatte gar keine Beziehungen zu der früheren.
Vom großherzoglichen Palast begab ich mich zu einem Buchhändler, bei dem ich die Bücher kaufte, deren ich bedurfte. Ein Herr von vornehmem Aussehen bemerkte, daß ich mich nach griechischer Literatur erkundigte, und redete mich an. Er gefiel mir, und ich sagte ihm, daß ich an einer Übersetzung der Ilias arbeitete. Er dankte mir für meine Mitteilung und vertraute mir an, daß er mit einer Anthologie griechischer Epigramme beschäftigt sei, die er in lateinischen und italienischen Versen veröffentlichen wolle. Ich sprach ihm den Wunsch aus, seine Arbeit kennen zu lernen, und er fragte mich, wo ich wohne. Ich beantwortete seine Frage, erkundigte mich aber später nach seinem Namen und seiner Wohnung, weil ich seinem Besuche zuvorkommen wollte. Ich ging gleich am nächsten Tage zu ihm, und den Tag darauf erwiderte er meinen Besuch. Wir zeigten uns unsere wissenschaftliche Arbeiten, wurden Freunde und blieben es bis zu meiner Abreise von Florenz. Wir sahen uns jeden Tag entweder in seiner oder in meiner Wohnung, ohne jemals daran zu denken, miteinander zu essen oder auch nur einen Spaziergang zu machen.
Eine Freundschaft zwischen zwei Jüngern der Wissenschaft schließt oft alle materiellen Genüsse aus, weil sie sich diesen nur hingeben könnten, wenn sie die für die Literatur bestimmte Zeit darauf verwendeten.
Dieser ehrenwerte Florentiner Edelmann hieß oder heißt, wenn er noch lebt, Everardo de' Medici.
Meine Wohnung bei Giambattista Allegranti war sehr hübsch; ich hatte dort Einsamkeit und die Ruhe, die ich brauchte, um den Homer zu studieren und mich meiner Arbeit hinzugeben; trotzdem entschloß ich mich, eine andere Wohnung zu nehmen. Maddalena, die Nichte meines Wirtes, beinahe noch ein Kind, war so schön, so anmutig, so klug und reizvoll, daß sie mich fortwährend von meinen Studien ablenkte. Sie kam zuweilen in mein Zimmer, wünschte mir guten Tag und fragte mich, wie ich die Nacht verbracht hätte, ob ich irgend etwas nötig hätte. Ihr Anblick, der Klang ihrer Stimme .... ich konnte nicht widerstehen. Ich fürchtete von ihr verführt zu werden, und wollte sie nicht verführen, und da fand ich kein anderes Hilfsmittel, als die Flucht zu ergreifen.
Einige Jahre später wurde Maddalena eine berühmte Sängerin.
Ich zog also von Allegranti aus und nahm zwei Zimmer bei einem Bürgersmann, dessen Frau häßlich und der weder eine hübsche Tochter noch eine verführerische Nichte hatte.
Hier lebte ich drei Wochen sehr anständig, wie Lafontaines Ratte. Dann aber kam Graf Stratico mit seinem Zögling, dem achtzehnjährigen Cavaliere Morosini, nach Florenz.
Ich konnte nicht umhin, ihnen meinen Besuch zu machen. Das gebrochene Bein war noch nicht wieder so kräftig, daß er hätte gehen können. Er konnte also seinen Zögling nicht begleiten, und da dieser alle Laster der Jugend ohne eine einzige ihrer guten Eigenschaften besaß, so bat mich der Professor, der beständig in Angst vor einem Unglück schwebte, ich möchte mich doch des Jünglings annehmen und nötigenfalls mich sogar an seinen Vergnügungen beteiligen, damit er nicht allein an Orte ginge, wo er nur schlechte Gesellschaft finden und vielleicht gar in Gefahr geraten könnte.
Hierdurch wurden meine Studien unterbrochen und meine friedliche Lebensweise völlig geändert. Ich mußte aus Gefälligkeit an den Ausschweifungen eines jungen Wüstlings teilnehmen.
Cavaliere Morosini war wirklich ein zügelloser Wüstling; von Literatur, von guter Gesellschaft, von vernünftigen Leuten wollte er nichts wissen. Pferde zu Schanden reiten, auf die Gefahr seines eigenen Lebens, im gestreckten Galopp über Stock und Stein sausen, alle möglichen Arten Wein trinken, bis er das Bewußtsein verlor, mit Prostituierten, die er oftmals prügelte, sich den wüstesten Ausschweifungen hingeben, – das waren die Genüsse, denen er Tag für Tag nachging. Der junge Cavaliere zahlte einen Lohndiener eigens zu dem Zweck, ihm jeden Tag ein Mädchen oder eine Frau zu verschaffen, die nicht in Florenz als öffentliche Dirne bekannt wäre.
In zwei Monaten, die der Tollkopf in Florenz verbrachte, rettete ich ihm zwanzigmal das Leben. Es war für mich ein Höllendasein, aber ich hielt mich für verpflichtet, ihn nicht im Stich zu lassen.
Um die Ausgaben brauchte ich mich nicht zu kümmern, denn er war freigebig bis zur Verschwendung und würde es niemals gelitten haben, daß ich die Börse zog. Aber selbst dies war eine Unannehmlichkeit, worüber es zwischen uns oft zum Streit kam; denn da er bezahlte, so behauptete er, ich müßte ebensoviel essen und trinken wie er und müßte ihm auch bei seinen anderen Ausschweifungen nachahmen, sei es mit denselben Weibern, sei es mit anderen. In dieser Beziehung befriedigte ich jedoch nur selten seinen Wunsch, sondern tat, was mir selber genehm war.
Eines Tages waren wir nach Lucca gefahren, um dort die Oper zu sehen; zum Abendessen nahmen wir zwei Tänzerinnen mit in unseren Gasthof. Morosini, der wie gewöhnlich zu viel getrunken hatte, bediente sehr schlecht die von ihm gewählte, obgleich sie ein herrliches Geschöpf war.
Da ich mit der anderen, die zwar hübsch war, aber mit ihrer Freundin nicht verglichen werden konnte, nur getändelt hatte, so verschaffte ich der Schönen eine kräftige Genugtuung. Sie hielt mich für den Vater des jungen Cavaliere und gab mir den freundlichen Rat, ihm eine bessere Erziehung geben zu lassen.
Als Graf Stratico vollkommen wieder hergestellt war, reiste er mit seinem jungen Herrn ab, und ich nahm meine Studien wieder auf, doch soupierte ich jeden Abend bei der früheren Tänzerin Denis, die den Dienst des Königs von Preußen verlassen und sich nach Florenz zurückgezogen hatte.
Die Denis war ungefähr von meinem Alter; das will sagen: sie war nicht mehr jung, besonders für eine Frau; trotzdem besaß sie noch genügende Überreste ihrer Schönheit, um zärtliche Gefühle einflößen zu können; denn wer sie nicht kannte, würde ihr höchstens dreißig Jahre gegeben haben. Sie war von einer reizenden Frische, hatte das liebenswürdige Wesen eines jungen Mädchens, besaß viel Anmut, beherrschte den Ton und die Gewohnheiten der guten Gesellschaft und wußte sich ganz entzückend anzuziehen. Außerdem hatte sie eine wundervolle Wohnung am Hauptplatz, im ersten Stockwerk oberhalb des besuchtesten Kaffeehauses von Florenz. Zu ihrer Wohnung gehörte ein herrlicher Balkon, auf dem man in den warmen Nächten die köstlichste kühle Luft genoß.
Der Leser hat vielleicht nicht vergessen, auf welche Weise ich im Jahre 1764 in Berlin ihr Freund geworden war; als wir durch einen glücklichen Zufall in Florenz uns wiederfanden, entzündete unsere Glut sich von neuem, und wir setzten die Komödie fort, die wir in Preußen begonnen hatten.
Die Hauptmieterin des Hauses, in welchem die Denis wohnte, war jene Brigonzi, die ich auf dem Wege von Petersburg in Memel getroffen hatte.
Diese Dame Brigonzi, welche behauptete, ich hätte sie vor fünfundzwanzig Jahren geliebt, besuchte ihre Mieterin oft mit dem Marchese Capponi, einem sehr liebenswürdigen und gebildeten Mann, der früher ihr Liebhaber gewesen war.
Da ich sah, daß er sich gern mit mir unterhielt, erleichterte ich es ihm, meine Bekanntschaft zu machen, indem ich ihm meinen Besuch abstattete. Er erwiderte denselben und ließ eine Karte zurück, da er mich nicht antraf.
Als ich ihn daraufhin abermals aufsuchte, stellte er mich seiner Familie vor und lud mich zum Mittagessen ein. Um seiner Einladung Ehre zu machen, kleidete ich mich zum ersten Male mit Eleganz und legte alle meine Schmucksachen an.
Beim Marchese Capponi machte ich die Bekanntschaft des berühmten Liebhabers der Corilla, des Marchese Ginori. Dieser führte mich in ein Florenzer Haus ein, wo ich meinem Schicksal nicht entgehen konnte. Ich verliebte mich in eine noch junge Witwe, eine gebildete und ziemlich reiche Dame. Sie hatte einige Monate in Paris zugebracht und dadurch sich jenen guten Ton und jene Höflichkeit zu eigen gemacht, die jeder Bewegung Anmut und Würde verleihen.
Die drei Monate, die ich noch in Florenz verbrachte, wurden mir durch diese unglückliche Liebe zur Qual.
Zu Anfang des Monats Oktober kam Graf Medini in Florenz an; er hatte keinen Heller und konnte nicht einmal seinen Fuhrmann bezahlen, weshalb dieser ihn verhaften ließ. Dieser unglückselige Medini, der mich zu verfolgen schien, wohnte bei einem Irländer, der ein armer Mann war, obwohl er sein ganzes Leben lang ein Gauner gewesen war.
Ich weiß nicht, wie Medini erfuhr, daß ich in Florenz war; genug, er schrieb an mich und bat mich flehentlich, ihm die Sbirren vom Halse zu schaffen, die ihn in seinem Zimmer bewachten und ihn ins Gefängnis bringen wollten. Er schrieb mir, es wäre nicht notwendig, daß ich für ihn bezahlte, sondern ich brauchte nur Bürgschaft für ihn zu stellen und dies wäre für mich ganz gefahrlos, da er sicher wäre, in einigen Tagen bezahlen zu können. Meine Leser wissen, welche Gründe ich hatte, um Medini nicht zu lieben. Trotz diesen Gründen besaß ich nicht die Kraft, seine Bitte einfach unbeachtet zu lassen. Ich war sogar geneigt, mich für ihn zu verbürgen, wenn er mir hätte beweisen können, daß er wirklich imstande wäre, die Summe bald zu bezahlen, um deren willen man ihn verhaftet hatte. Übrigens dachte ich nicht, daß diese Summe sehr groß sein könnte, und ich begriff nicht, warum sein Wirt ihm nicht den Gefallen tat. Ich wunderte mich jedoch nicht mehr, als ich in Medinis Zimmer trat.
Sobald ich eintrat, eilte er auf mich zu, umarmte mich und bat mich, alles zu vergessen und ihn aus seiner peinlichen Verlegenheit zu befreien.
Ich sah mich schnell im Zimmer um und erblickte drei große Koffer, die beinahe leer waren, weil die darin enthalten gewesenen Sachen im ganzen Zimmer herumgestreut waren. Seine Geliebte, die ich kannte und die mich aus gewissen Gründen nicht gern hatte, blickte mich nicht an; ihre elf- oder zwölfjährige junge Schwester weinte; ihre Mutter schimpfte, nannte Medini einen Gauner und drohte, ihn beim Richter zu verklagen; denn es wäre doch nicht möglich, rief sie, daß man ihr ihre Kleider und die ihrer Töchter wegnähme, um damit seine Schuld bei dem Fuhrmann zu decken.
Ich fragte den Wirt, warum er keine Bürgschaft leistete, da er doch die Leute und ihre Sachen bei sich hätte und infolgedessen jedes Risiko ausgeschlossen wäre.
»Alles, was Sie hier sehen«, antwortete er mir, »genügt nicht, um den Fuhrmann zu bezahlen. Ich will diese Leute nicht bei mir behalten.«
Ich war überrascht und begriff nicht, daß alle diese Sachen nicht genügen sollten, um die Schuld bei dem Fuhrmann zu decken. Ich fragte daher den Knecht des Fuhrmanns, wie hoch seine Forderung denn sei.
Er übergab mir ein von Medini unterschriebenes Papier, worauf ich die Summe von zweihundertvierzig römischen Talern las.
»Wie?« rief ich voll Erstaunen; »woher kann denn nur eine so große Schuld entstanden sein?«
Mein Erstaunen legte sich, als der Kutscher mir sagte, er bediene den Grafen und die drei Frauen seit sechs Wochen; er habe sie von Rom nach Livorno, von Livorno nach Pisa und dann kreuz und quer durch ganz Toskana gefahren und habe sie überall verpflegt.
»Der Fuhrmann«, sagte ich zu Medini, »kann mich nicht als Bürgen für eine so bedeutende Summe annehmen; selbst wenn er soviel Vertrauen zu mir haben sollte, würde ich niemals die Torheit begehen, mich auf eine derartige Verpflichtung einzulassen.«
»Haben Sie die Güte, mit mir in das Nebenzimmer zu treten,« sagte der Graf zu mir, »ich werde Sie überreden.«
»Gern.«
Zwei von den Sbirren widersetzten sich jedoch seinem Vorhaben und sagten, er dürfe das Zimmer nicht verlassen, weil er aus dem Fenster entfliehen könnte.
»Ihr könnt ihn mit mir allein lassen; ich bürge für ihn.«
In diesem Augenblick erschien der arme Fuhrmann; er küßte mir die Hand und sagte mir, wenn ich für den Grafen bürgen wollte, so würde er mir zur Bezahlung drei Monate Zeit lassen.
Zufällig war der brave Mann derselbe, der mich mit der von dem Schauspieler Etoile verführten Engländerin nach Rom gefahren hatte. Ich sagte ihm, er möchte warten.
Medini war ein großer Redner und schamloser Lügner, der stets seiner Sache gewiß war. Er glaubte mich zu überreden, indem er mir Briefe zeigte, die ihn in pomphaften Ausdrücken an die ersten adeligen Häuser von Florenz empfahlen. Ich las diese Briefe, aber ich fand in keinem derselben eine Anweisung, ihm Geld zu geben, und machte ihn darauf aufmerksam.
»Das ist allerdings richtig,« sagte er zu mir, »aber in diesen Häusern wird gespielt, und wenn ich abziehe, bin ich sicher, ungeheuere Summen zu gewinnen.«
»Wie Sie wissen, habe ich wenig Vertrauen zu Ihrem Glück.«
»Für alle Fälle habe ich noch eine andere Hilfsquelle.«
»Welche?«
Er zeigte mir hierauf eine große Mappe, die eine Menge Hefte enthielt. Es waren drei Viertel der Henriade Voltaires, ausgezeichnet in italienische Stanzen übersetzt. Die Verse waren denen des Tasso gleichwertig. Er gedachte dieses schöne Gedicht in Florenz zu vollenden und es dem Großherzog zu überreichen; er war überzeugt, daß er nicht nur ein prachtvolles Geschenk von ihm erhalten, sondern sogar der Günstling des Fürsten werden würde.
Ich wagte es nicht, ihm seinen Irrtum zu benehmen, aber ich mußte innerlich lachen. Medini wußte nicht, daß der Großherzog sich nur den Anschein gab, die Literatur zu lieben.
Ein gewisser Abbate Fontaine, ein geschickter Mensch, amüsierte den Fürsten mit etwas Naturgeschichte; dies war die einzige Wissenschaft, wofür er sich interessierte. Im übrigen zog er die schlechteste Prosa den schönsten Versen vor, ohne Zweifel, weil er nicht die Organe besaß, um poetische Schönheiten zu schätzen und sich an ihren Reizen zu erfreuen. Er hatte nur zwei Leidenschaften: Weiber und Geld.
Ich verbrachte zwei sehr langweilige Stunden mit diesem unglückseligen Medini, der ein geistvoller, aber gänzlich urteilsloser Mensch war. Ich bereute es sehr, meiner Neugier nachgegeben zu haben, um zu hören, was er von mir wollte, und sagte ihm schließlich kurz und bündig, daß ich nichts tun könnte, um ihm aus seiner Verlegenheit zu helfen. Als ich aber auf die Tür zuschritt, wagte er es, mich am Kragen zu packen.
Verzweiflung treibt die Menschen zu traurigen Ausschreitungen.
In seiner blinden Verzweiflung packte der leidenschaftliche Medini mich am Kragen, ohne eine Waffe in der Hand zu haben, ohne daran zu denken, daß ich vielleicht stärker war als er, daß ich ihn bereits zweimal im Duell verwundet hatte und daß die Sbirren, der Wirt, der Fuhrmann und die Bedienten im Nebenzimmer waren. Wenn ich feige gewesen wäre, hätte ich um Hilfe gerufen; aber da ich größer war als er, so überwältigte ich ihn: ich packte mit beiden Händen seinen Hals, hielt ihn mir vom Leibe und preßte ihm die Gurgel zusammen, bis er die Zunge herausstreckte und mich loslassen mußte. Nun aber packte ich ihn am Kragen und fragte ihn, ob er verrückt geworden wäre. Nachdem ich ihn mit einem heftigen Stoß gegen die Wand geworfen hatte, öffnete ich die Türe, und die vier Sbirren traten ein.
Ich sagte dem Fuhrmann, ich könnte nicht bürgen und er dürfte nicht auf mich rechnen.
In dem Augenblick, wo ich den Türdrücker in die Hand nahm, sprang Medini nach der Tür und rief, ich dürfte ihn nicht im Stich lassen.
Ich hatte die Tür geöffnet. Die Sbirren befürchteten, daß er entfliehen würde, und eilten herbei, um ihn festzuhalten. Und nun entspann sich ein Kampf, der mein tiefes Mitgefühl erregte. Medini, ohne Waffen und im Schlafrock, traktierte die vier Feiglinge, die doch ihre Degen an der Seite hatten, mit Ohrfeigen, Fußtritten und Faustschlägen.
Inzwischen hielt ich die Tür zu, um den irländischen Wirt zu verhindern, daß er das Zimmer verließ und Hilfe herbeirief. Medini war ganz von Blut überströmt, da er einen Fausthieb auf die Nase erhalten hatte; sein Schlafrock und sein Hemd waren zerrissen. Trotzdem prügelte er die vier Sbirren so lange, bis sie von ihm abließen. Wenn auch sein Mut nur einer blinden Verzweiflung entsprang, so flößte er mir doch Achtung ein, und ich beklagte ihn.
Als es einen Augenblick still wurde, fragte ich seine beiden Livreebedienten, die neben mir standen, warum sie ihren Herrn nicht verteidigt hätten? Der eine von den beiden antwortete mir, er sei ihnen den Lohn für sechs Monate schuldig; der andere sagte, er wolle ihn ebenfalls verhaften lassen.
Während Medini sich bemühte, das aus seiner Nase strömende Blut mit kaltem Wasser zum Stillstand zu bringen, sagte der Fuhrmann zu mir: da ich mich weigerte, für seinen Schuldner Bürgschaft zu leisten, so wäre das ein Zeichen, daß er ihn ins Gefängnis bringen lassen müßte.
Was ich sah, rührte mich, und ich sagte zu ihm: »Geben Sie ihm vierzehn Tage Aufschub; wenn er mir in dieser Zeit entflieht, werde ich bezahlen.«
Nachdem er einige Augenblicke nachgedacht hatte, sagte er: »Gut, Signore. Aber ich will keine Kosten bezahlen.«
Ich erkundigte mich, wieviel diese Kosten ausmachten, und bezahlte, ohne auf die Sbirren zu hören, die eine Entschädigung für die empfangenen Schläge verlangten.
Nun aber sagten die beiden niederträchtigen Lakaien zu mir, wenn ich nicht auch zu ihren Gunsten Bürgschaft leistete, würden sie den Grafen für ihre Rechnung verhaften lassen. Medini rief: »Kümmern Sie sich gar nicht um die Leute! Lassen Sie sie machen, was sie wollen.«
Nachdem ich dem Fuhrmann schriftlich die erforderliche Bestätigung gegeben und vier oder fünf Taler für die Sbirren bezahlt hatte, sagte Medini mir, er müsse noch einmal mit mir sprechen. Ich hörte jedoch nicht mehr auf ihn, sondern drehte ihm den Rücken zu und ging zum Mittagessen.
Zwei Stunden darauf kam einer von den Lakaien zu mir und sagte mir: wenn ich ihm sechs Zechinen versprechen wollte, würde er mir Bescheid sagen, sobald er bemerken würde, daß sein Herr die Flucht ergreifen wolle.
Ich antwortete ihm kurz angebunden, sein Eifer sei für mich ohne Wert, denn ich sei sicher, daß der Graf noch vor dem festgesetzten Termine alle seine Schulden bezahlen werde. Am nächsten Morgen setzte ich den Grafen von dem Schritte seines Dieners in Kenntnis. Als Antwort schrieb er mir einen langen Brief, voll von Versicherungen seiner Dankbarkeit; zugleich bot er noch einmal seine ganze Beredsamkeit auf, daß ich ihn doch in den Stand setzen möchte, mit Ehren seinen Verpflichtungen nachzukommen. Ich antwortete ihm nicht.
Sein guter Geist, der es noch nicht müde geworden war, ihn zu beschützen, ließ jemanden nach Florenz kommen, der ihn aus seiner Verlegenheit erlöste. Das war Premislav Zanowitsch, der später ebenfalls berühmt wurde, wie sein Bruder, der die Amsterdamer Kaufleute betrog und sich den Namen und Rang eines Fürsten Skanderbeg beilegte. Ich werde später von ihnen sprechen. Diese Falschspieler großen Stiles nahmen beide ein schlechtes Ende.
Premislav Zanowitsch stand damals im glücklichen Alter von fünfundzwanzig Jahren; er war der Sohn eines Edelmannes von Budua, der letzten Stadt von Dalmatien an der albanischen Grenze, früher der Republik Venedig, heute dem Großtürken untertan; es ist das alte Epirus.
Premislav war ein kluger Mann: er hatte in Venedig studiert und dort in der vornehmen Welt verkehrt. Er hatte sich an die Genüsse gewöhnt, an denen diese große Stadt so reich ist, und konnte sich nicht entschließen, nach Budua zurückzukehren, wo er nur rohe und ungebildete Slavonier gefunden hätte, die wie das liebe Vieh in den Tag hinein lebten, nichts von Künsten und Wissenschaften wußten und von den Vorgängen in der Welt draußen nur etwas erfuhren, wenn zufällig einmal ein Schiff bei ihnen anlegte. Als daher der Rat der Zehn ihm und seinem noch klügeren Bruder Steffano den Befehl gab, in ihrer Heimat die großen Summen zu verzehren, die sie im Spiel gewonnen hatten, beschlossen sie, sich zu trennen und der eine den Norden, der andere den Süden Europas aufzusuchen, um überall Leute zu betrügen, wo ihr guter Stern ihnen eine Gelegenheit dazu bieten würde.
Premislav, den ich als Kind gekannt hatte und der sich bereits eines gewissen Ruhmes erfreute, weil er in Neapel den Cavaliere Morosini geprellt hatte, indem er ihn veranlaßte, sich für eine Summe von sechstausend Dukaten zu verbürgen, – Premislav kam nach Florenz in einem schönen Wagen mit seiner Maitresse, zwei großen Lakaien und einem Kammerdiener, der ihm als Kurier diente. Er bezog eine schöne Wohnung, mietete Wagen und Pferde, nahm eine Loge in der Oper und gab seiner schönen Geliebten eine Gesellschaftsdame. Hierauf begab er sich, prachtvoll angezogen und mit Juwelen bedeckt, allein in das adlige Kasino.
Man kannte ihn unter dem Namen Graf Premislav Zanowitsch. Die Florentiner haben ein sogenanntes adliges Kasino. Jeder Fremde kann hingehen, ohne vorgestellt zu sein; aber wehe ihm, wenn er sich nicht so zu benehmen weiß, daß er die Berechtigung zum Besuch eines solchen Ortes dadurch kund tut; denn die Florentiner behandeln ihn mit eisiger Kälte und sprechen niemals ein Wort mit ihm. Es kommt daher selten vor, daß einer, dem es so ergangen ist, sich zum zweiten Male einfindet. In diesem Kasino geht es sehr anständig und zugleich sehr zwanglos her: man liest Zeitungen, spielt alle möglichen Spiele, ißt und trinkt für sein Geld. Es fehlt sogar an Liebe nicht: denn auch Damen besuchen dieses Kasino, und dies gilt sogar für besonders guten Ton.
Zanowitsch spielte den Liebenswürdigen, wartete nicht, bis man ihn anredete, machte Verbeugungen nach rechts und links und wünschte sich Glück, daß er sich inmitten einer so vornehmen Gesellschaft befinde. Er sprach von Neapel, von wo er kam, zog Vergleiche, durch die die Anwesenden sich geschmeichelt fühlten, und nannte bei einer passenden Gelegenheit in ganz unauffälliger Weise seinen Namen, spielte sehr vornehm, verlor, ohne sich seine gute Laune trüben zu lassen, bezahlte, nachdem er erst getan hatte, wie wenn er es vergessen hätte, und gefiel allgemein. Ich erfuhr dies alles am nächsten Tage bei der Denis aus dem Munde des weisen Marchese Capponi. Er erzählte mir, man habe Zanowitsch gefragt, ob er mich kenne, und er habe geantwortet, bei meiner Abreise aus Venedig sei er noch auf der Schule gewesen, aber er habe seinen Vater stets mit großer Achtung von mir sprechen hören. Der Cavaliere Morosini war sein bester Freund, und Graf Medini, der seit acht Tagen in Florenz war, war ebenfalls ein Bekannter von ihm und sprach nur Gutes von ihm. Der Marchese fragte mich, ob ich den jungen Mann kenne. Ich sprach mich lobend über ihn aus und hielt mich nicht für verpflichtet, zu erzählen, was ich wußte und was ihm hätte Schaden bringen können. Die Denis sprach den Wunsch aus, ihn kennen zu lernen, und Cavaliere Puzzi versprach ihr, den jungen Herrn zu ihr zu führen. Dies tat er auch wirklich drei oder vier Tage darauf.
Ich war zufällig bei Frau Denis anwesend, als Puzzi ihr den Grafen Zanowitsch vorstellte. Ich sah einen schönen jungen Mann, der sich mit vollendeter Sicherheit benahm und überall Eindruck machen mußte. Zwar waren seine Gesichtszüge nicht eigentlich schön, und seine Gestalt war nicht imponierend, aber er benahm sich mit einem ungezwungenen, edlen Anstand, wußte geistreich zu unterhalten und besaß eine fröhliche Laune, die ansteckend wirkte. Er sprach niemals von sich selber und wußte sehr geschickt seine Teilnahme für andere kund zu geben. Als die Rede auf seine Heimat kam, beschrieb er seine Herrschaft, die zur Hälfte von den Staaten des Sultans eingeschlossen war, als einen Ort, von dem der Frohsinn verbannt wäre und wo der größte Menschenfeind unfehlbar an Traurigkeit zugrunde gehen müßte.
Als er erfuhr, wer ich war, machte er mir die angenehmsten Komplimente, ohne daß diese etwas von Schmeichelei an sich hatten. Ich erkannte den jungen Mann, einen künftigen großen Abenteurer, der es zu großen Erfolgen bringen konnte, wenn er sich zu benehmen wußte; aber sein Luxus verriet mir die schwache Stelle seines Panzers. Er glich mir, wie ich vor fünfzehn Jahren gewesen war; ich konnte jedoch nicht annehmen, daß er meine Hilfsmittel besäße, und konnte mich daher nicht enthalten, ihn zu bedauern.
Zanowitsch machte mir einen Besuch und sagte mir beiläufig, Medini habe ihm leid getan, und er habe alle seine Schulden bezahlt.
Ich lobte ihn wegen dieser guten Handlung und sprach ihm meinen Dank aus, aber diese Freigebigkeit brachte mich auf die Vermutung, daß sie irgendein Komplott nach ihrer Art angesponnen hätten, das jedenfalls bald zur Ausführung gelangen würde. Ich wünschte ihnen alles Glück dazu, aber es lag mir nichts daran, daran beteiligt zu sein.
Gleich am nächsten Tage erwiderte ich seinen Besuch. Er saß mit seiner Geliebten bei Tisch: ich hätte gerne getan, wie wenn ich sie nicht kannte, aber sie nannte sofort zu meinem Unglück meinen Namen und sprach ihre Freude über das Wiedersehen aus.
Als sie mich Don Giacomo anredete, nannte ich sie mit einer Miene der Ungewißheit Donna Ippolita, und sie antwortete mir, ich täusche mich nicht, denn sie sei größer und stärker geworden, aber immer noch dieselbe.
Ich hatte mit Lord Baltimore und ihr in den Crocielle soupiert, und sie war sehr hübsch.
Zanowitsch lud mich für den nächsten Tag zum Mittagessen ein, ich dankte ihm aber, da ich keine Lust hatte, enge Bekanntschaft zu schließen. Ippolita wußte mich jedoch zur Annahme der Einladung zu veranlassen, indem sie mir sagte, ich würde Gesellschaft finden und ihr Koch habe sich verpflichtet, den Beifall aller Gäste zu erringen.
Ich war ein wenig neugierig, die Gesellschaft kennen zu lernen, die sich zu dieser Mahlzeit einfinden würde, und um dem Grafen Zanowitsch zu zeigen, daß er nicht zu befürchten brauchte, ich würde seine Börse in Anspruch nehmen, legte ich zum zweiten Male während meines Aufenthaltes in Florenz meinen ganzen Staat an.
Wie ich erwartet hatte, fand ich Medini mit seiner Geliebten, außerdem zwei fremde Damen mit ihren Kavalieren und einen sehr glänzend gekleideten Venetianer, einen ziemlich schönen Mann von etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahren, den ich nicht wiedererkannt haben würde, wenn Zanowitsch mir nicht seinen Namen genannt hätte. Es war Aloisio Zen.
Da die Zen eine patrizische Familie sind, so hielt ich es für angebracht, ihn zu fragen, mit welchen Titeln ich ihn anzureden hätte.
Er antwortete mir: »Wie einen alten Freund, den Sie natürlich nicht wiedererkennen; denn ich war erst zehn Jahre alt, als ich Sie kannte.«
Er erzählte mir hierauf, daß er der Sohn des Hauptmanns wäre, den ich gekannt hätte, als ich im Fort Sant' Andrea in Haft gewesen wäre.
»Seitdem sind«, antwortete ich, »achtundzwanzig Jahre vergangen. Jetzt erinnere ich mich Ihrer, mein Herr, obgleich Sie damals noch nicht die Pocken gehabt hatten.«
Ich sah, daß es ihm unangenehm war, dies zugeben zu müssen; aber das war seine eigene Schuld; denn er hätte ja nicht nötig gehabt, mir zu sagen, daß er mich dort gekannt hätte und daß der Adjutant sein Vater gewesen sei.
Sein Vater war der natürliche Sohn eines venetianischen Nobile, und er selber war der größte Schlingel auf der ganzen Festung gewesen, ein Herumtreiber und Taugenichts im wahren Sinne des Wortes.
Als ich ihn in Florenz traf, kam er von Madrid, wo er viel Geld gewonnen hatte, indem er im Hause des venetianischen Botschafters Marco Zen eine Pharaobank gehalten hatte. Ich war sehr erfreut, ihn persönlich kennen zu lernen. Beim Essen bemerkte ich jedoch, daß er weder Bildung noch Erziehung genossen hatte, und daß seine Manieren und seine Sprache nicht die eines Mannes von gutem Ton waren; aber er selber hätte nicht sein Talent, das Glück zu verbessern, gegen alle diese Vorzüge vertauschen mögen. Medini und Zanowitsch waren ganz andere Leute. Die beiden Fremden waren die Opfer, die sie sich zum Prellen ausersehen hatten. Ich wünschte nicht zu wissen, wie die Sache verlief; sobald ich sah, daß der Spieltisch zurecht gemacht wurde und daß Zen eine große Börse voll Gold darauf ausschüttete, grüßte ich die Gesellschaft und entfernte mich.
So lebte ich während der sieben Monate, die ich in Florenz zubrachte.
Seit diesem Diner sah ich Zen, Zanowitsch und Medini nur gelegentlich aus Zufall an öffentlichen Orten.
Gegen Mitte des Dezembers aber ereignete sich folgendes.
Lord Lincoln, ein Jüngling von achtzehn Jahren, verliebte sich in eine venetianische Tänzerin, namens Lamberti, eine Tochter des Wirtes in der Karrengasse. Dieses junge Mädchen gefiel aller Welt. Nach jeder Opernvorstellung sah man den jungen Engländer sie in ihrer Ankleidekammer besuchen, und alle Beobachter wunderten sich, daß er sie nicht in ihrer Wohnung besuchte, wo er sicher sein konnte, von ihr gut aufgenommen zu werden, nicht nur als Engländer, der natürlich für sehr reich galt, sondern auch wegen seiner Jugend und Schönheit. Ich glaube, er war der einzige Sohn des Grafen von Newcastle.
Zanowitsch machte diese Beobachtungen nicht vergebens und wurde in wenigen Tagen der vertraute Freund der Lamberti. Als er dies erreicht hatte, machte er die Bekanntschaft des jungen Lords Lincoln und führte ihn zu seiner Schönen, wie eben ein höflicher Mann einen Freund zu seiner Geliebten führt.
Die Lamberti spielte mit dem Gauner unter einer Decke und geizte dem jungen Insulaner gegenüber nicht mit ihrer Gunst. Er soupierte bei ihr jeden Abend mit Zanowitsch und Zen, den Zanowitsch ihm vorgestellt hatte, weil er ihn entweder brauchte, um die Bank mit barem Golde zu halten oder weil er selber nicht gut genug zu betrügen verstand.
Natürlich ließen die Gauner an den ersten Abenden den jungen Lord einige hundert Zechinen gewinnen. Da sie erst nach dem Abendessen spielten und Lord Lincoln nach der echten Gewohnheit der Engländer sich so betrank, daß er nicht mehr seine rechte Hand von seiner linken unterscheiden konnte, so war er ganz erstaunt, beim Erwachen am anderen Morgen sich vom Glück ebensogut behandelt zu sehen wie von der Liebe. Der arme Junge sollte sein Lehrgeld bezahlen, er fand den Köder lecker und biß an.
Das Erwachen sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Zen gewann von dem jungen Lord zwölftausend Pfund Sterling, und Zanowitsch lieh diesem die Summe in kleinen Beträgen von drei- und vierhundert Louis; denn der Engländer hatte seinem Hofmeister versprochen, niemals auf Wort zu spielen.
Zanowitsch mußte natürlich glücklich sein, denn sonst hätte der Plan nicht durchgeführt werden können. Er gewann daher von Zen alles, was Zen von dem Lord gewann, und so machte dasselbe Geld fortwährend die Runde um den Tisch, wobei die Schuld des jungen Dummkopfs immer größer wurde.
Zum Schluß wurde gezählt, und es stellte sich heraus, daß Lord Lincoln die ungeheure Summe von zwölftausend Pfund Sterling oder dreimalhunderttausend Franken schuldig war.
Der Engländer versprach, dreitausend Guineen am nächsten Tage zu bezahlen, und unterschrieb zwei Wechsel im gleichen Betrage, die in Abständen von drei Monaten bei seinem Londoner Bankier zahlbar waren.
Ich erfuhr diesen ganzen Schwindel von Lord Lincoln selber, als wir uns drei Monate später in Bologna trafen. Schon am Tage nach diesem denkwürdigen Abend begann man in ganz Florenz von diesem Streich zu sprechen. Der Bankier Sasso Sassi hatte auf MylordS Befehl sechstausend Zechinen an Zanowitsch ausgezahlt.
Medini kam zu mir. Er war wütend, daß Zanowitsch ihn nicht zu der Partie zugezogen hatte. Ich hingegen wünschte mir Glück, daß ich nicht dabei gewesen war. Man stelle sich meine Überraschung vor, als ich drei Tage darauf einen Menschen in mein Zimmer treten sah, der mich nach meinem Namen fragte und mir sodann im Namen des Großherzogs befahl, Florenz binnen drei Tagen und Toskana binnen acht Tagen zu verlassen.
Ganz verblüfft ließ ich meinen Wirt heraufkommen, um einen Zeugen für den gegen mich ergangenen unwürdigen Befehl zu haben.
Es war am achtundzwanzigsten Dezember. Am gleichen Tage hatte ich vor drei Jahren in Barcelona den Befehl erhalten, die Stadt binnen dreimal vierundzwanzig Stunden zu verlassen.
Nachdem ich mich in aller Eile angekleidet hatte, begab ich mich zum Auditore, um zu erfahren, was meine Ausweisung veranlaßt hatte, denn diese schien mir nicht natürlich zu sein.
Als ich das Amtszimmer betrat, sah ich vor mir denselben Mann, der mich vor elf Jahren wegen des falschen Wechsels des Russen Ivan aus Florenz ausgewiesen hatte.
Auf meine Frage, aus welchem Grunde er mir den Befehl zur Abreise zugestellt hätte, antwortete er mir kalt, es sei der Wille Seiner Kaiserlichen Hoheit.
»Aber Seine Kaiserliche Hoheit kann diesen Willen nicht ohne Grund haben, und ich habe, wie mir scheint, das Recht, mich darnach zu erkundigen.«
»Wenn Sie dieses Recht haben, das ich Ihnen durchaus nicht bestreite, so erkundigen Sie sich beim Fürsten darnach; denn ich für meine Person weiß nicht, worum es sich handelt. Der Großherzog ist gestern nach Pisa abgereist, wo er drei Tage bleiben wird; es steht in Ihrem Belieben, dorthin zu gehen.«
»Und wird er mir die Reise bezahlen, wenn ich nach Pisa fahre?«
»Das bezweifle ich; aber Sie werden ja jedenfalls sehen, ob er Ihnen diese Höflichkeit erweist.«
»Ich werde nicht nach Pisa gehen, aber ich werde an Seine Kaiserliche Hoheit schreiben, wenn Sie mir versprechen wollen, ihm meinen Brief zuzustellen.«
»Ich werde ihm den Brief sofort schicken; denn dies ist meine Pflicht.«
»Gut, mein Herr, Sie werden ihn noch vormittags erhalten, und morgen vor Sonnenaufgang werde ich auf päpstlichem Gebiet sein.«
»Sie brauchen sich nicht so sehr zu beeilen.«
»Ich habe es im Gegenteil außerordentlich eilig, denn ich finde keine Ruhe in einem von Despotismus und Gewalt regierten Lande, dessen Herrscher mir sein Wort bricht, und wo das Völkerrecht verletzt wird. Dies alles werde ich Ihrem Herrn schreiben.«
Draußen vor der Tür begegnete ich Medini, der sich aus demselben Grunde wie ich zum Auditeur begab.
»Ich habe ihn eben aus demselben Grunde belästigt,« sagte ich lachend zu ihm, »und er hat mir gesagt, ich möchte nach Pisa gehen und den Großherzog nach dem Grunde des Ausweisungsbefehls fragen.«
»Wie? Sie haben ebenfalls den Befehl zur Abreise empfangen?«
»Ja.«
»Was haben Sie getan?«
»Nichts.«
»Ich auch nicht. Gehen wir nach Pisa.«
»Sie können ja hinfahren, wenn es Ihnen Spaß macht. Ich aber verlasse das Land noch vor heute Abend.«
Ich ging nach Hause und befahl meinem Wirt, meinen Wagen nachsehen zu lassen und zum Einbruch der Nacht vier Postpferde zu bestellen. Dann schrieb ich an den Großherzog den Brief, den ich hier in wörtlicher Übersetzung mitteile:
»Gnädiger Herr! Jupiter hat Ihnen den Blitz nur anvertraut, um ihn gegen die Schuldigen zu schleudern, und Sie sind ungehorsam gegen den Gott, indem Sie ihn auf mein Haupt schleudern. Vor sieben Monaten haben Sie mir versprochen, ich könnte bei Ihnen in vollem Frieden leben, vorausgesetzt, daß ich niemals die gute Ordnung der Gesellschaft störte und daß ich die Gesetze achtete; diese gerechte Bedingung habe ich gewissenhaft erfüllt; Sie aber, Kaiserliche Hoheit, haben Ihr Wort gebrochen. Ich schreibe Ihnen, gnädiger Herr, nur zu dem Zwecke, um Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen verzeihe. Infolgedessen werde ich mich keinem Menschen gegenüber beklagen und werde Sie von Bologna, wo ich übermorgen sein werde, weder schriftlich noch mündlich der Ungerechtigkeit beschuldigen. Ich wünsche sogar, ich könnte diese Wunde, die Ihre Willkür meiner Ehre geschlagen hat, vergessen, aber ich möchte sie im Gedächtnis behalten, damit ich niemals wieder meinen Fuß auf den Boden setze, zu dessen Herrn Gott Sie gemacht hat. Der Auditore, der an der Spitze Ihrer Polizei steht, hat mir gesagt, ich könnte in Pisa mit Eurer Kaiserlichen Hoheit sprechen; aber ich habe gefürchtet, ein solcher Schritt von meiner Seite könne einem Fürsten allzu kühn erscheinen, der nach dem allgemein geltenden Rechte nicht nach ihrer Verurteilung mit den Menschen sprechen muß, sondern vor derselben.
Ich bin usw.«
Sobald ich mit meinem Brief fertig war, schickte ich ihn dem Auditore; dann begann ich, meine Koffer zu packen.
Als ich mich zu Tische setzen wollte, sah ich Medini bei mir eintreten. Er schimpfte fürchterlich auf Zanowitsch und Zen, die an seinem Unglück schuld wären; denn nur wegen der zwölftausend Guineen, die sie dem Engländer abgewonnen hätten, müßte er Florenz verlassen, und nun weigerten sie sich, ihm hundert Zechinen zu geben, ohne die er doch nicht abreisen könnte.
»Wir fahren alle nach Pisa,« sagte er zu mir, »und wir sind sehr erstaunt, daß Sie nicht ebenfalls hinfahren.«
»Daß Sie überrascht sind, macht mich lachen,« rief ich lachend; »aber ich bitte Sie, mich allein zu lassen, denn ich muß meine Koffer packen.«
Wie ich es erwartet hatte, bat er mich darauf, ihm Geld zu leihen; als ich dies aber auf die unzweideutigste Art abschlug, bestand er nicht länger darauf, sondern entfernte sich.
Nach dem Essen verabschiedete ich mich von Herrn de' Medici und machte einen letzten Besuch bei Madame Denis. Sie wußte bereits die ganze Geschichte und schimpfte auf den Großherzog, von dem sie nicht begreifen konnte, wie er dazu käme, die Unschuldigen mit den Schuldigen zu verwechseln. Sie erzählte mir, daß nicht nur die Lamberti ebenfalls den Befehl zur Abreise erhatten hätte, sondern auch ein kleiner, buckeliger venetianischer Abbate, der die Tänzerin zu besuchen pflegte, aber niemals bei ihr soupiert hatte. Der Großherzog hatte offenbar mit allen Venetianern aufgeräumt, die sich damals in Florenz befanden.
Auf dem Heimwege traf ich Lincolns Hofmeister, den ich vor elf Jahren in Lausanne kennen gelernt hatte. Ich erzählte ihm mit verächtlicher Miene, was mir begegnet war, weil sein Schüler sich von den Gaunern hatte ausbeuten lassen. Er sagte mir lachend, der Großherzog habe dem Lord mitgeteilt, er brauche die verlorene Summe nicht zu bezahlen; der Jüngling habe ihm jedoch antworten lassen, wenn er nicht bezahlte, würde er sich eine unanständige Handlungsweise zuschulden kommen lassen; denn das verlorene Geld sei geliehenes Geld, da er niemals auf Wort gespielt habe.
Er konnte wohl den Verdacht hegen, daß Spieler und Darleiher unter einer Decke steckten, aber er hatte keine Gewißheit dafür.
Meine Abreise von Florenz heilte mich von einer sehr unglücklichen Liebe, die ohne Zweifel verhängnisvolle Folgen gehabt haben würde, wenn ich mich nicht so plötzlich entfernt hätte. Ich habe die traurige Geschichte meinen Lesern erspart, weil ich auch jetzt nur mit einem Gefühl des Schmerzes mich ihrer erinnern kann. Die Witwe, die ich liebte, und der ich mich in meiner Schwachheit offenbart hatte, spannte mich nur deshalb vor ihren Triumphwagen, um mich nach Herzenslust demütigen zu können: sie verachtete mich und machte sich mit dem Stolz eines jungen Weibes ein Vergnügen daraus, mir dies zu zeigen. Ich wollte sie durchaus besiegen und bemerkte erst, als die Abwesenheit mich geheilt hatte, daß ich meine Zeit verloren haben würde.
Ich hatte mich noch nicht mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß das Alter kein junges Herz erweichen kann, besonders, wenn noch Armut dazu kommt. Das ist eine böse Erfahrung, die man jedoch unvermeidlich machen muß, wenn man nicht so weise ist, sich selber zur rechten Zeit richtig zu beurteilen.
Ich verließ Florenz mit hundert Zechinen weniger als bei meiner Ankunft. Ich hatte immer verständig gelebt und niemals unnütz Geld ausgegeben.
Am ersten Posthause auf päpstlichem Gebiet machte ich Halt, und am vorletzten Tage des Jahres stieg ich in Bologna im Gasthof San Marco ab.
Mein erster Besuch galt dem florentinischen Geschäftsträger, Grafen Marulli. Ich bat ihn, Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Groß- herzog zu schreiben, daß ich aus Dankbarkeit für meine Ausweisung es mir aller Orten zur Pflicht machen würde, seine Tugenden zu preisen.
Da der Graf einen Brief erhalten hatte, der ihm die Geschichte in allen Einzelheiten mitteilte, so glaubte er nicht, daß meine Worte mit meinen Gedanken in Einklang ständen.
»Sie können davon halten, was Sie wollen,« sagte ich zu ihm; »aber wenn Sie alles wüßten, so würden Sie sehen, daß ich Seiner Hoheit wirklich zu großem Dank verpflichtet bin, obwohl er sich allerdings nichts dabei gedacht hat.«
Er versprach mir, seinem Herrn mitzuteilen, wie ich von ihm dächte und spräche.
Am Neujahrstage 1772 stellte ich mich dem päpstlichen Legaten, Kardinal Brancaforte, vor; ich hatte ihn vor zwanzig Jahren in Paris kennen gelernt, als er von Benedikt dem Vierzehnten dorthin gesandt worden war, um den neugeborenen Herzog von Burgund die geweihten Windeln zu bringen.
Wir waren in der Freimaurerloge zusammengetroffen; denn die Mitglieder des Heiligen Kollegiums, die gegen die Maurer donnern, wissen wohl, daß ihre Bannflüche nur den Schwachen gelten, die durch ein zu grelles Licht geblendet werden könnten. Wir hatten auch in Gesellschaft des Don Francesco Sensale und des Grafen Ranucci mit hübschen Sünderinnen feine Soupers veranstaltet und hatten uns diesen gegenüber als Sünder benommen. Mit einem Wort, dieser Kardinal war ein geistvoller Mensch und ein sogenannter Lebemann.
»Ah, da sind Sie ja!« rief er, als er mich sah; »ich hatte Sie erwartet.«
»Wie konnten Sie das, gnädiger Herr, da doch nichts mich verpflichtete, gerade nach Bologna zu gehen?«
»Aus zwei Gründen: Erstens, weil Bologna besser ist als viele andere Orte; zweitens, weil ich mir schmeichelte, Sie würden an mich gedacht haben. Aber es ist nicht nötig, hier zu erzählen, was für einen Lebenswandel wir in unseren jungen Jahren führten.«
»Die Erinnerung daran ist stets süß.«
»Ganz gewiß. Graf Marulli sagte mir gestern, Sie halten große Lobreden auf den Großherzog; daran tun Sie recht. Unter uns gesprochen, – Sie können sich darauf verlassen, daß nichts über die Wände des Zimmers hinausdringen wird – wie viele von euch haben sich in die zwölftausend Guineen geteilt?«
Ich erzählte ihm die Geschichte vollkommen wahrheitsgemäß und zeigte ihm schließlich die Abschrift des Briefes, den ich an den Großherzog geschrieben hatte. Er antwortete mir lachend, es tue ihm leid, daß ich unschuldig sei.
Als er hörte, daß ich mich einige Monate in Bologna aufzuhalten gedächte, sagte er mir, ich könnte auf die größte Freiheit rechnen, und sobald der erste Lärm vorüber wäre, würde er mir seine Freundschaft durch die Tat beweisen.
Nachdem ich diesen notwendigen Besuch erledigt hatte, richtete ich mich so ein, um in Bologna auf dieselbe Weise zu leben, wie ich es in Florenz getan hatte. Es gibt in ganz Italien keine Stadt, wo man freier leben könnte als in Bologna: die Lebensmittel sind gut und billig, und man kann sich mit geringen Kosten alle Freuden des Lebens verschaffen. Außerdem ist die Stadt schön, und fast alle Straßen sind mit Säulengängen eingefaßt – eine große Annehmlichkeit in einem Klima, wo die Hitze sich zuweilen mit großer Kraft fühlbar macht.
Um die Gesellschaft kümmerte ich mich nicht. Ich kannte die Bolognesen: der Adel ist stolz, und seine Angehörigen sind schlau, unhöflich und gewalttätig; das niedere Volk, die sogenannten Birichini, taugt noch weniger als die Lazzaroni von Neapel, während die bürgerlichen Klassen, der Mittelstand, im allgemeinen sehr nette Leute sind. Es ist bemerkenswert, daß in Bologna und Neapel die beiden äußersten Schichten der Bevölkerung verdorben sind, während die mittleren Klassen in jeder Beziehung Achtung verdienen. In diesen Klassen finden sich denn auch, abgesehen von wenigen Ausnahmen, alle Tugenden, alles Können und Wissen.
Übrigens kam es mir wenig auf den Charakter der Gesellschaft an, da ich die Absicht hatte, mich nur meinen Studien hinzugeben und meine Zeit mit einigen Gelehrten hinzubringen, deren Bekanntschaft überall leicht zu machen ist.
Die Florentiner sind im allgemeinen unwissend in bezug auf ihre Sprache, obwohl man dort sehr gut spricht; diese Vollkommenheit ist jedoch kein Verdienst, und ich nenne einen jeden unwissend, der seine Sprache nicht ihrem Wesen nach kennt. In Bologna dagegen hat alles einen literarischen Anstrich. Die Universität hat dreimal soviel Professoren als irgendeine andere; aber sie führen alle ein kümmerliches Dasein, weil sie schlecht bezahlt werden. Es gibt Professoren, die nur fünfzig römische Taler im Jahr bekommen; diese halten sich an den sehr zahlreichen Studenten schadlos. Die Druckereien arbeiten billiger als anderswo, und die Presse ist trotz der Inquisition sehr frei.
Vier oder fünf Tage nach mir kamen alle anderen Florentiner Verbannten in Bologna an. Die Lamberti reiste gleich nach Venedig weiter. Zanowitsch und Zen blieben fünf oder sechs Tage, aber sie wohnten nicht zusammen; denn sie hatten sich bei der Teilung des Raubes veruneinigt.
Zanowitsch weigerte sich, einen von den Wechseln des jungen Lords an Zen zu girieren, weil er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, selber für die Summen Schuldner zu werden, wenn der Engländer nicht bezahlte. Er wollte nach England gehen, und stellte es Zen frei, sich ebenfalls dorthin zu begeben.
Sie reisten nach Mailand, ohne sich geeinigt zu haben; die Mailänder Regierung befahl ihnen jedoch, die Lombardei zu verlassen, und ich habe nicht erfahren, wie sie sich geeinigt haben. Einige Zeit darauf hörte ich, daß die Wechsel des jungen Lords pünktlich bezahlt worden waren.
Medini hatte immer noch kein Geld. Er war in demselben Gasthof abgestiegen, wo ich wohnte, und schleppte immer noch seine Geliebte, deren kleine Schwester und Mutter mit sich, hatte jedoch nur noch einen Bedienten. Er sagte mir, der Großherzog habe in Pisa niemanden anhören wollen; er habe abermals einen Ausweisungsbefehl erhalten und infolgedessen alles verkaufen müssen. Natürlich bat er mich dann wieder, daß ich ihm helfen möchte, aber vergeblich.
Ich sah diesen Abenteurer niemals anders als in verzweifelter Stimmung wegen Geldmangels; trotzdem wollte oder konnte er sich niemals entschließen, seine Ausgaben zu mäßigen, sondern zog sich stets per fas et nefas aus der Schlinge. In Bologna hatte er das Glück, einen slavonischen Franziskanermönch, namens de Dominis, zu finden, der nach Rom ging, um vom Papst die Erlaubnis zu erwirken, Weltgeistlicher zu werden. Der Mönch verliebte sich in seine Geliebte, die ihm natürlich ihre Huld teuer bezahlen ließ.
Nach drei Wochen reiste Medini ab. Er ging nach Deutschland, wo er seine Henriade drucken ließ, nachdem er im Kurfürsten von der Pfalz einen freigebigen Mäzen gefunden hatte.
Hierauf irrte er noch ein Dutzend Jahre in allen Ländern Europas umher, um schließlich im Jahre 1788 in einem Londoner Gefängnis zu sterben.
Ich hatte ihm stets gesagt, er solle England meiden, denn ich war gewiß, daß er dort dem Gefängnis nicht entgehen und daß er lebend nicht mehr herauskommen würde, wenn er einmal hinter Schloß und Riegel säße. Er hat meinen Rat verachtet, und wenn er dies getan hat, um mich Lügen zu strafen, so hat er unrecht gehabt, denn er hat mich zum Propheten gemacht.
Medini war von vornehmer Geburt; er hatte eine gute Erziehung genossen und besaß Geist; da er jedoch arm war und gerne Geld ausgab, sich aber nur durch das Spiel halten konnte, so verbesserte er das Glück oder machte Schulden, die er niemals bezahlen konnte, die ihn folglich zwangen, überall die Flucht zu ergreifen, um nicht mit allen Gefängnissen Europas Bekanntschaft zu machen.
So hat dieser Mensch siebzig Jahre lang gelebt, und er würde vielleicht noch leben, wenn er meinen Rat befolgt hätte.
Vor acht Jahren erzählte Graf Tosio mir, er habe Medini in London im Gefängnis besucht, und der Narr habe ihm gesagt, er würde niemals nach England gegangen sein, wenn ich ihm nicht so grausam sein Unglück prophezeit und wenn er nicht Lust gehabt hätte, mich Lügen zu strafen. Er hatte sehr unrecht, und ich würde es für vernünftiger gehalten haben, wenn er mich innerlich für einen Lügner erklärt hätte, als daß er sich der Gefahr aussetzte, auf seine eigenen Kosten die Erfahrung zu machen, daß er recht hatte.
Medinis Torheit soll mich nicht abhalten, jedem Unglücklichen, den ich am Rande eines Abgrundes sehe, einen guten Rat zu geben. Diesem Grundsatz folgend sagte ich vor zwanzig Jahren in Venedig dem Grafen Cagliostro, der sich Graf Pellegrini nennen ließ, und von dem ich damals nicht wußte, daß er ein abgefeimter Gauner war: er sollte sich hüten, Rom zu betreten. Wenn er mir geglaubt hätte, so wäre er nicht elendiglich in der Festung San Leone zugrunde gegangen.
Ich habe nicht vergessen, daß vor dreißig Jahren ein Weiser mir sagte, ich sollte mich vor Spanien in acht nehmen. Trotz dem guten Rat reiste ich hin, und der Leser weiß, ob ich mich dessen zu freuen habe.
Etwa eine Woche nach meiner Ankunft in Bologna machte ich beim Buchhändler Tarufi die Bekanntschaft eines jungen Abbaten, in dem ich binnen einer Viertelstunde einen geistreichen und geschmackvollen Gelehrten fand. Er schenkte mir zwei Hefte, die neuesten Geisteserzeugnisse zweier jungen Professoren von der Universität. Er sagte mir, ich würde beim Lesen lachen, und er hatte recht.
Die eine dieser beiden Schriften suchte zu beweisen, daß man den Frauen alle ihre Fehler verzeihen müßte, weil für diese ihre Gebärmutter verantwortlich wäre, auf deren Antrieb sie unwillkürlich handelten. Die zweite Schrift war eine Kritik der ersten. Der Verfasser gab zu, daß allerdings der Uterus ein Tier für sich sei; aber er behauptete er übe keinen Einfluß auf die Vernunft des Weibes aus, denn die berühmtesten Anatomen hätten niemals auch nur die geringste Verbindung zwischen dem Behältnis des Fötus und dem Gehirn entdeckt.
Ich bekam Lust, eine Streitschrift gegen diese beiden Abhandlungen drucken zu lassen, und ich verfaßte sie in drei Tagen. Als sie fertig war, schickte ich sie Herrn Dandolo, um fünfhundert Exemplare davon abziehen zu lassen. Ich empfing sie ohne Zeitverlust und gab sie einem Buchhändler, um sie auf meine Rechnung zu vertreiben; in weniger als vierzehn Tagen sah ich mich auf Kosten der beiden schöngeistigen Ärzte im Besitz von hundert Zechinen.
Die erste von diesen beiden Schriften trug den Titel: L'utero pensante – der denkende Uterus. Die zweite Schrift, die Kritik der ersten, war französisch geschrieben und trug den Titel: La force vitale – die Lebenskraft. Ich betitelte die meinige: Lana caprina – Ziegenwolle. Ich behandelte den Stoff in scherzhafter Art, aber doch nicht ohne Tiefe, und machte mich über die beiden Doktoren lustig. Ich hatte eine französische Vorrede vorausgeschickt, die mit echt pariserischen Redensarten gespickt war, so daß sie für jeden unverständlich war, der nicht in der Riesenstadt gelebt hatte. Dieser Schelmenstreich verschaffte mir die Bekanntschaft vieler junger Leute.
Durch den schielenden Abbaten, der Zacchierdi hieß, wurde ich mit dem Abbaten Severini bekannt, mit dem ich in etwa zehn oder zwölf Tagen vertraute Freundschaft schloß. Er veranlaßte mich, aus dem Gasthof auszuziehen, indem er mir zwei schöne Zimmer bei einer früheren Virtuosa verschaffte, der Witwe des Tenors Carlani, die sich von der Bühne zurückgezogen hatte. Mit einem Pastetenbäcker machte er für mich einen Vertrag wegen der Lieferung meines Mittag- und Abendessens, das mir ins Haus geschickt wurde. Dies alles, mit Einschluß eines Bedienten, den ich nehmen mußte, kostete mir nicht mehr als zehn Zechinen im Monat.
Severini wurde die, übrigens sehr angenehme, Ursache, daß ich für den Augenblick meinen Geschmack an den Studien verlor. Ich ließ meine Iliade liegen, um sie wieder aufzunehmen, sobald ich Lust bekommen würde.
Severini stellte mich seiner Familie vor, in der ich bald wie ein guter alter Freund verkehrte. Besonders gern hatte mich seine Schwester, dreißig Jahre alt, eher häßlich als hübsch, aber ein kluges Mädchen; da sie sich in die Notwendigkeit versetzt sah, sich ohne Mann zu behelfen, so spielte sie die Stolze, die die Ehe verachtete.
Während der Fastenzeit verschaffte mir der Abbate die Bekanntschaft aller hübschen Tänzerinnen und Sängerinnen von Bologna.
Bologna ist die Pflanzschule dieses Gezüchtes, und alle diese Theaterheldinnen sind sehr vernünftig und sehr billig zu haben, solange sie sich in ihrer Heimat befinden.
Jede Woche machte mein gefälliger Abbate mich mit einer neuen bekannt. Wie ein wahrer Freund paßte er auf, daß ich nicht zu viel Geld ausgab. Da er arm war, so gab er selber nichts für die Partien aus, die er mit der Geschicklichkeit eines fürstlichen Günstlings zustande brachte; aber ohne ihn hätten diese Vergnügungen mir das Doppelte gekostet, und so fanden wir beide unsere Rechnung dabei.
Ein bologneser großer Herr, der Marchese Albergati Capacelli, machte damals von sich reden. Er hatte dem Publikum sein Theater geschenkt und war selber ein sehr guter Schauspieler. Er hatte sich berühmt gemacht, indem er seine Ehe mit der Tochter eines sehr guten Hauses, die er nicht liebte, für nichtig erklären ließ, um eine Tänzerin zu heiraten, von der er bereits zwei Kinder hatte. Das Komische bei dieser Scheidung war, daß er sein Verlangen mit seiner angeblichen Impotenz begründete und daß er sie sogar bewiesen hatte, indem er sich dem sogenannten Congresso unterwarf, einem ebenso barbarischen wie lächerlichen Gebrauch, der noch jetzt in dem größten Teil von Italien in Kraft ist.
Vier erfahrene, gerechte und unbestochene Richter nahmen mit dem völlig entkleideten Marchese alle Handlungen vor, die sie für geeignet hielten, um eine Erektion bei ihm hervorzubringen. Er bestand alle Proben und wußte in vollkommener Nullität zu verharren; die Ehe wurde daher wegen relativer Impotenz für nichtig erklärt, denn man wußte, daß er Kinder hatte.
Hätte man sich nicht an das alte Vorurteil gekehrt, sondern die Vernunft zu Rate gezogen, so würde man einen anderen Spruch gefällt haben; denn welchen Zweck hatte der Congresso, wenn die relative Impotenz genügend war, um auf Nichtigkeit der Ehe zu erkennen?
Es hätte genügen müssen, wenn der Marchese geschworen hätte, daß er bei seiner Frau ohnmächtig wäre; hätte die Signora dies nicht zugeben wollen, so hätte der Marchese sie auffordern können, ihn eigenhändig in einen Zustand zu versetzen, der ihr recht gegeben hätte.
Aber es sind Jahrhunderte nötig, um Bräuche zu zerstören, die auf leeren Vorurteilen beruhen.
Ich war neugierig, dieses Original kennen zu lernen, und schrieb an Herrn Dandolo, er möchte mir einen Empfehlungsbrief an den Marchese besorgen.
Acht Tage darauf empfing ich von meinem guten alten Freunde den gewünschten Brief. Er war von einem guten Freunde Albergatis, einem edlen Venetianer, namens Zaguri.
Da der Brief nicht versiegelt war, so las ich ihn und war sehr befriedigt davon; denn unmöglich konnte man eine Person besser empfehlen, die man selber nicht kennt, die einem aber durch einen guten Freund empfohlen ist.
Ich glaubte Herrn Zaguri einen Danksagungsbrief schreiben zu sollen, worin ich zum Ausdruck brachte, daß sein Schreiben in mir den lebhaftesten Wunsch erweckt hätte, meine Begnadigung zu erlangen, um Gelegenheit zu haben, den edlen Herrn, der zu meinen Gunsten einen so schönen Brief geschrieben, persönlich kennen zu lernen.
Ich erwartete keine Antwort, aber ich empfing eine, worin Herr von Zaguri mir sagte, er finde meinen Wunsch so schmeichelhaft, daß er sich bemühen werde, mir Vergebung für das Vergangene und Erlaubnis der Rückkehr in mein Vaterland zu erwirken.
Wie man sehen wird, gelang ihm dies, jedoch erst nach zweieinhalbjähriger Bemühung und mit der Unterstützung einiger mächtiger Freunde.
Albergati war von Bologna abwesend: sobald jedoch Severini mir seine Rückkehr mitteilte, begab ich mich nach seinem Palazzo. Der Türsteher sagte mir, Seine Exzellenz – diesen Titel beanspruchen in Bologna alle Edelleute – habe sich nach seinem Landsitz begeben und werde dort das ganze Frühjahr verbringen.
Zwei oder drei Tags später nahm ich Postpferde und fuhr in meinem eigenen Wagen nach der Villa des hohen Herrn hinaus.
Ich fand einen sehr hübschen Landsitz. Da niemand an der Tür war, so ging ich die Treppe hinauf und trat in einen Saal ein, wo ich einen Herrn und eine sehr hübsche Dame erblickte, die sich gerade zu Tisch setzen wollten. Das Essen war angerichtet, und es waren nur zwei Gedecke aufgelegt.
Nachdem ich eine sehr höfliche Verbeugung gemacht hatte, fragte ich den Herrn, ob ich die Ehre hätte, mit dem Herrn Marchese Albergati zu sprechen. Auf seine bejahende Antwort hin überreichte ich ihm den Brief, den ich bei mir hatte. Er nahm ihn, las die Aufschrift, steckte ihn in seine Tasche und sagte, er danke mir, daß ich mir die Mühe gemacht habe, ihm den Brief zu überbringen; er werde nicht verfehlen, ihn zu lesen.
»Es hat mir durchaus keine Mühe gemacht, Ihnen diesen Brief zu bringen, den ich Sie zu lesen bitte. Er ist vom Herrn von Zaguri, den ich darum gebeten habe, da ich die Ehre zu haben wünschte, die Bekanntschaft des Herrn Marchese zu machen.«
Er antwortete mir mit einem liebenswürdigen Lachen, er lese niemals Briefe, wenn er sich zu Tische setze; er werde den Brief nach Tisch lesen und die Befehle ausführen, die sein Freund Zaguri ihm gebe.
Dieses ganze kleine Gespräch führten wir im Stehen; es nahm weniger Zeit in Anspruch, als ich gebraucht habe, um es niederzuschreiben. Da nichts mehr zu sagen war, so fand ich das Benehmen des Herrn sehr unpassend, ging, ohne zu grüßen, hinaus und die Treppe hinunter. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit, um den Postillon davon abzuhalten, daß er seine Pferde ausspannte. Ich sagte ihm mit lachender Miene, indem ich ihm ein doppeltes Trinkgeld versprach, er möchte mich nach irgendeinem Dorf fahren; ich wünschte zu frühstücken, und er könnte dort seine Pferde ausruhen lassen.
Im Augenblick, wo ich in meinen sehr hübschen und sehr bequemen Wagen einstieg und der Postillon sich zu Pferde setzen wollte, sah ich einen Bedienten herbeieilen; er trat sehr höflich an den Wagenschlag und sagte mir, Seine Exzellenz lasse mich bitten, nach oben zu kommen.
Ich fand, daß der dumme Marchese sehr schlecht Komödie spielte, zog eine Karte mit meinem Namen und meiner Adresse aus der Tasche und gab diese dem Bedienten, indem ich ihm sagte, dies sei, was sein Herr wünsche. Zugleich befahl ich dem Postillion, im Galopp abzufahren.
Eine halbe Stunde von der Villa hielten wir bei einem guten Gasthof an; hierauf fuhren wir nach Bologna zurück.
Am selben Tage noch berichtete ich Herrn von Zaguri ganz ausführlich über den Empfang, der mir zuteil geworden war, und über meine Abfahrt. Ich schickte meinen Brief offen an Herrn Dandolo mit der Bitte, ihn abzugeben. Ich schloß meinen Brief, indem ich den edlen Venetianer bat, dem Bolognesen zu schreiben, daß ich mich beleidigt fühlte, und daß er es mir nicht übel nehmen könnte, wenn ich meinen berechtigten Ärger nach allen Regeln der Ehre an ihm ausließe.
Ich mußte herzlich lachen, als ich am nächsten Tage nach Hause kam und meine Wirtin mir eine Visitenkarte übergab, worauf ich las: General Marchese d' Albergati. Sie sagte mir, der Herr habe ihr die Karte persönlich übergeben, nachdem er gehört habe, daß ich nicht zu Hause sei.
Ich fühlte mich durch diese Genugtuung keineswegs zufriedengestellt, sondern wartete auf den Erfolg des Briefes, den ich an Herrn Zaguri geschrieben hatte, um mich dann erst zu entschließen, welche Art von Genugtuung ich zu fordern hätte. Ich betrachtete die Karte, die der täppische Marchese mir dagelassen hatte, und konnte nicht begreifen, wie er dazu kam, sich den Generalstitel beizulegen. Während ich darüber nachgrübelte, kam mein lieber Severini; dieser sagte mir, der Marchese habe vor drei Jahren vom König von Polen den Stanislaus-Orden und den Kammerherrntitel erhalten.
»Aber ist er denn auch General im Dienste dieses Fürsten?«
»Ich bezweifle es; indessen weiß ich nichts Gewisses.«
Ah! Ich errate es! sagte ich bei mir selber: In Polen hat ein Kammerherr den Rang eines Generaladjutanten. Darum nennt der Marchese sich General!
Ich war entzückt, mich rächen zu können, indem ich den Mann lächerlich machte. Ich schrieb ein Gespräch in burleskem Stil und ließ es am nächsten Tage drucken. Die ganze Auflage schenkte ich meinem Buchhändler, und dieser verkaufte in drei oder vier Tagen sämtliche Exemplare zu einem Bajocco das Stück.