Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Die Hellen und die Dunkeln

Es war wie verhext mit der Barbara, das traf den Heimgekehrten schwer. Am Morgen nach der nächtlichen Ankunft erfuhr er, sie halte sich im Helgenzeller Hof auf, um Marianns Kinder zu pflegen, die am Scharlachfieber erkrankt lagen. Sie hatte den Leuten in der Säge streng anbefohlen, wegen Helmut fern zu bleiben, der ein zarter Bub war und von allen Krankheiten angesteckt wurde, sowie sie nur in seiner Nähe auftraten.

So erfuhr sie nicht, daß der Heiner wieder daheim war, und wurde es erst gewahr, als sie in einem 278 andern Hof der großen Vetternschaft des Doktor Bachroth die Kleinen betreute. Die Seuche sprang von Haus zu Haus über, in den meisten Höfen, wo Kinder waren, lag eines fiebernd oder schlaff und blaß in der Kammer, und der Tod stand bereit zu Häupten kleiner Bettchen. Doch der Bachroth und ein junger Arzt, der im hinteren Tal seine Sippe hatte, kämpften unermüdlich um die schlagenden Herzlein der zarten Zukunft. Bachroth vorab kam kaum mehr aus den Kleidern. Er betrat nur das untere Stockwerk des Hauses, um seinen kleinen Buben nicht in Gefahr zu bringen, den ihm Petra mit unsäglicher Mühe und todnaher Erschöpfung zur Welt gebracht hatte. Das Kind war gottlob kräftig und brav, aber Petra machte ihm Sorgen. Nach dem Erlöschen der Seuche wollte er Barbara mit Petra in den Süden schicken. Barbara sollte auch einmal ausspannen.

Er sah mit Staunen und Kopfschütteln, wie seine stolze, blonde Tochter sich in den Höfen wohlfühlte, mit Umsicht, ja geradezu mit Leidenschaft die bäuerlichen Arbeiten und Notwendigkeiten leitete und übte. Da schlägt etwas durch, was eben in uns ist, fand sich Bachroth damit ab. Doch er bedauerte es, wenn er die Tochter durch Oberspring gehen sah und dabei beobachtete, daß ihr die Blicke der Männer bewundernd folgten, die der Kurgäste vorab. Roman Bachroth meinte bei sich, sie sei zu schade für einen Hof, obwohl er genau wußte, wohin Barbara ihre Gedanken und ihre heimlich verwahrte Leidenschaft richtete. Er hätte ja blind sein müssen.

Zuweilen nahm er sich vor, einmal mit seiner Tochter durch dick und dünn darüber zu sprechen, sie 279 vorsichtig zu warnen, sie nicht im Zweifel zu lassen über ihre Aussichten bei städtischen und wohlgestellten Männern, ihr zu sagen, wie wirksam schön und prachtvoll sie sei. Aber hatte sie das alles bei ihrer oft gar nüchternen Klugheit übersehen? Wußte sie über sich selber nicht Bescheid? Das konnte er nicht glauben! Und er beschloß wieder, ihr in ihren Entschlüssen freien Lauf zu lassen. Es kam auch ganz darauf an, ob der Heinrich Danner wirklich noch frei war und sich überhaupt an Barbara wagte. Das würde sich finden.

Er traf den Heiner ganz unversehens in Oberspring, als der sich mit Daniel Hurst und ein paar anderen Jungbauern des Tales zu einem Reiterfest einfand. Donner und Doria, saß der helle Kerl nicht wie ein Prinz auf dem wohlgepflegten Fuchs mit leuchtenden Augen und einem straff federnden Sitz, als wäre er in den Sattel hineingeboren! Da konnte er Barbara nicht unrecht geben, die wählte, fast mußte man sagen, die beste Rasse im Umkreis.

Bachroth begrüßte Heiner mit höflich-leutseligem Abstand und dachte dabei: Der Bub soll nur seinen Hochmut ein wenig dämpfen; der Doktor Bachroth schreibt sich nicht von, wenn er den Sägbauernsohn Danner zum Tochtermann bekommt. Er erwartet, daß der junge Mann deutlich und ausdrücklich um Barbara wirbt und nicht gleich durch offene Türen stürmt.

Es ist gut, daß sich Barbara auf die Reise mit Petra freut.

Die letzten Oktobertage streiften mit goldenen Händen den Herbst von den Bäumen und von Blütenstengeln und verschlossen im kühlen Abend die Bienenstände und die Häuser der Weinbergschnecken. Sie 280 atmeten alle in den Heimen auf, die Kinderseuche staute ab, sie hatte keine Opfer gekostet, aus keiner Tür brauchten sie ein Särglein zu tragen und kleine Vergißmeinnicht und Strohblumenkränze über stille Hügel zu legen.

Das Herbstfest mit Kirchweih und Markt konnte herrlich gefeiert werden. Heiner ritt also morgens mit den Kameraden zum Reiterfest nach Oberspring. Es waren alle Bauern aus dem Tal auf den Beinen mit Weib und Kind. Die Hauptarbeit war für dies Jahr getan, der Sinn stand hell auf die Feste des ausklingenden Jahres. Auch Barbara sah den Heinrich Danner hoch zu Roß im Zug vorüberreiten. Sie winkte ihm lebhafter zu, als es ihr eigen war, und seine Augen blitzten zu ihr hinauf. Sie stand neben Petra auf dem Balkon des Doktorhauses, eine Riesin fast neben der zierlichen Frau mit dem blaßgelben Gesicht und den dunklen Tatarenaugen.

»Ei, der Heinerle«, rief Petra, die trotz ihrer zarten Gesundheit noch die frohe, rasche Art hatte, gehoben noch von ihrem Glück, dem geliebten Mann den Sohn geboren zu haben, »hei, der Heinerle!«, und wollte sich ausschütten vor Lachen, weil der so rot wurde, daß sie noch weithin seine roten Ohren leuchten sahen.

Der Bachroth, wuchtig auf den Gaul gewachsen wie ein wohlhäbiger Ritter, winkte mit betonter Würde den Frauen seines Hauses zu. Petra, der schwarze Teufel, schämte sich nicht, ihm mit beiden Händen Handküsse zuzuwerfen. Wo die Krott nur dieses Sprühwesen her hatte, diesen Scharm einer immer wachen, verwöhnten Frau! So etwas wuchs auf dem einsamsten Hof in Helgenzell auf wie eine fremde 281 Kostbarkeit aus einer alten, sagenhaften Vergangenheit der Völker, auf den Wellen der Geschlechterströme heraufgehoben in die Gegenwart: in die reife, 282 lebenstüchtige Gegenwart des Doktor Roman Bachroth, der schon zwei Frauen ins Grab hatte sehen müssen und der dritten beinahe auch. Bachroth, Bachroth, du bist ja mitten im Wirbel.

Er mußte sich noch einmal umwenden, einen Blick der Petra erhaschen, ihr Glück sehen, solang und so oft es nur möglich. War er nicht ein hungriger Geist, stark im Lebendigen? Er hätte der jungen Frau davon abgeben können, mehr als die Hälfte. Sie winkte ihm nach. Ob es Glück oder Angst war, das ihm die Kehle fast abwürgte? Petra strahlte so im Gesicht und schien doch so winzig neben Barbara.

Heiner führte sein Pferd nach dem Festzug in den »Bären«, versorgte es gut und schlenderte ledig durch die Budenreihen der festlichen Stadt. Wieviel Bauern waren da, von hinten im Tal, vom unteren Tal, aus den Zinken und Weilern in den Seitentälern, die Busam, die Bachroth, die Hurst, die Huber, die Falk, die Droll, die Erdrich, die Geltrich, die Bühler, die Keller, die Runz und die Schnurr, die Kohler, die Stefan und wie sie alle hießen. Heiner schritt aufmerksam schauend durch die Menge. Viele kannte er. Wer zur nahen Sippe gehörte, blieb bei ihm stehen, ein paar Worte taten es bei der Begrüßung, alle wollten, so gut es ging, alle begrüßen.

Heiner sah seinen Landsleuten forschend ins Gesicht, streifte ihre Gestalt, und er fand, daß die Danners und die Bachroths stets die Großen und die Hellen stellten, andere Familien jedoch die Kleinen und Dunklen. Die Kleinen und Dunkelhaarigen bildeten die Regel, das war nicht abzustreiten. Mariann und Daniel mit zwei Kindern kamen ihm auch entgegen, 283 und er freute sich, daß der Daniel nicht gar so klein und dunkel war, daß ihn die helle Schwester nur um weniges überragte und die Kinder helle Augen hatten, Danneraugen. Es fiel ihm ein, daß in den Helgenzellern die Bachrothsippe steckte, das schien ihm gut. Auch in den Danners steckte die Bachrothsippe, alle waren sie weitläufig miteinander verwandt. Er wollte doch einmal, wenn es sich schickte, mit dem Doktor über diese Dinge reden – wie war das in Tirol so schön! Der Bachroth würde ihm vielleicht übers Maul fahren, wenn er kund tat, daß er sich mit einer Wissenschaft abgegeben hatte, die für einen Sägbauern nutzlos war; vielleicht aber würde er sich freuen, ihn auf solcher Fährte zu wissen.

Es war wie ein buntes Spiel, das Heiner mit den heiteren Leuten trieb, indem er seine Buchweisheit im Augenschein nachprüfte und sich seines ernsten Wissens freute. Dabei ging im Geiste stets Barbara neben ihm. Er ertappte sich, wie er sie auf manches aufmerksam machte: Schau, der Bögelsbauer, was für ein feiner Schlag, er gehört zu den zähen, beweglichen Dunklen, die im Alter ganz schmale, adlige Köpfe bekommen unter ihren runden Hüten. Und schau der Thoma Cyriak vom Kaltenbronn, der sieht aus wie ein Tiroler Säger mit seinen hohen Beinen und der langen Hakennase.

Die Barbara wunderte sich: Was du nit alles weißt, Heiner!

Das könnte jetzt doch grad sein, daß sie so nah und verwundert neben ihm herschritte, allen Vettern und Basen vor Augen, die sagen würden: Guck dahin, der Heiner und die Barbara, wie die hoffärtig beinander 284 sind, aber ein schönes Gespann, das muß man ihnen lassen.

Heiner blieb stehen, ganz benommen von seinen Gedanken. Da schlug ihm der Niklaus Vogt leicht mit der Hand unters Kinn, der Freund aus Kindheitstagen. Was für ein breiter Kerl war aus dem schmalen Niklaus geworden. Er war mit der Annette Onemus aus Straßburg verlobt.

»Und du hast deine Königin noch nicht erobert, Heiner?

Ach, sei doch nicht gleich so empfindlich, ich weiß, daß es noch immer die blonde Bärbel ist. Du bist ja nicht davon zu heilen. Komm, wir pfetzen einen.«

Heiner ging mit und erfuhr jetzt von Niklaus, der den Wein bald spürte, wie es mit Barbara und dem Pitt gegangen; denn der Niklaus hatte sich mit dem Doktor Boll angefreundet und war von ihm auch für eine Studienreise nach Mexiko als Assistent eingeladen worden. Der Vereinsamte hatte dem jungen, ruhigen Niklaus Vogt in einer langen Nacht seine Enttäuschung mit Barbara nach einer weinfrohen Sitzung im »Goldenen Sternen« erzählt. Er hatte eingesehen, daß das Mädchen einen jungen Mann brauche, aber sie habe ihn zu lang auf dem Glauben gelassen, es gäbe für ihn zu hoffen.

»Das hätte Barbara nicht tun sollen, Heiner. Vielleicht warst du schuld.«

»Jetzt laß die Sache fallen, Klaus, ich bitt' dich. Der Pitt tut mir leid, doch ich kann mich nicht nach ihm richten. Die Barbara hat bis jetzt auch tun können, was ihr genehm war, und ich bin auch meine Wege gegangen. Ich geh sie auch weiterhin.« 285

»Niemand schwätzt dir doch drein, Heiner. Nur als Freund mußt ich dir das berichten, was ich weiß. Ich habe geglaubt, du seist ahnungslos geblieben, weil du jahrelang fort warst. Ich habe nichts gegen die Bachroth, nur das, daß sie mir ein wenig zu kaltschnäuzig mit dir und dem guten Pitt spielt. Das kommt mir so vor. Aber hör vielleicht nicht drauf. Ich bin eure Partei gegen Barbara, vor allem Bolls Partei – und hab' jetzt ein bissel den Schwätzerich.«

Heiner lachte: »So kommt's mir vor, Klaus.«

Er verabschiedete sich von dem Freund und äußerte dabei, vielleicht gäbe es sich, daß sie sich am Abend im »Sternen« noch einmal träfen.

Ein herrlicher Tag für das Tal. Im bunten Gewoge trafen sich Vettern und Freunde, aus den Buden und Reitschulen dudelte es, Pfeifen und Trompeten quäkten und bläksten, farbige Luftballone entwischten klebrigen Kinderhänden, der wahre Jakob schrie seine Witze, umlagert von lachenden Zuhörern, in die brodelnde Heiterkeit des lärmvollen Markttages. Im Bierzelt war kein Platz frei, unermüdlich wurden Würstle aus Kesseln oder vom Rost verkauft, und mit einem Klecks Senf und einem Weck waren hungrige Mägen wiederhergestellt. Die richtigen Männer zwar saßen mit ihren Frauen beim Wein in den schattigen Wirtsstuben und hielten sich an eingebröselte Schnitzel oder Koteletts mit Kartoffelsalat, denn die bekamen sie daheim selten. Aus den Lautsprechern schallten Märsche und Tänze, doch niemand hörte richtig hin.

Auf der Festwiese, auf einem erhöhten Tanzboden, führten sie den Hammeltanz auf, Dutzende von 286 Photogeräten zielten gierig, das Ereignis festzuhalten, um womöglich das schönste Paar vor die Linse zu bekommen. Auch Heiner hatte die Lust unabweisbar erfaßt, sich auf der Tanzbühne zu drehen. Er nahm ein ihm ganz unbekanntes Mädchen in der Tracht der Schutterwälder zur Tänzerin und führte es sicher und mit steigender Lust durch den festlichen Reigen.

Das Mädchen in der heiteren Tanztracht der stolzen Gemeinde in der Ebene diente in der Oberspringer Apotheke. Es war rank und dunkeläugig und so leicht, daß Heiner auch die nächsten Tänze mit ihr drehte. Dann bat es um eine Pause. Heiner versprach, die Fremde später wieder zu holen, aber es kam nicht dazu. Als er die Stufen vom Tanzboden hinabsprang, stand er plötzlich Aug in Aug mit der Barbara. Ja, die Menge drängte sie so nahe einander entgegen, daß sie schier Mund an Mund gerieten.

»Das hat so sollen sein«, sagte Heiner erregt und erhitzt, »komm!« Er führte sie, die gar nichts antworten konnte und auch nicht widerstrebte, sogleich wieder die Stufen zur Bühne hinauf, wo die Musik einen Walzer begann. Die beiden tanzten so stolz und herrlich, daß es Paare gab, die sich lieber einmal, statt zu tanzen, an das Geländer stellten, um ihnen zuzuschauen. Die Musikanten gaben ihr Bestes her, die Brüder Runz waren dabei, diesmal der Xaver mit dem Saxhorn, der Franz mit der Klarinette. Was die nicht alles mit ihren groben und vernarbten Sägerfingern konnten! Wo die Musik machten, war Leben und scharfer Takt und Abwechslung in den Tänzen, das wußte man talauf, talab. Ohne die Sternenbrüder kam keine so großartige Stimmung auf, daß alle 287 Gelenke locker wurden und niemand an Müdigkeit dachte.

Für Heiner und Barbara spielten sie besonders schön und vornehm. Ja, jetzt nahmen sie zu einem Solo ihre Ziehharmonikas auf, diese mächtigen Hohner mit den Tasten wie bei einem Klavier, nagelneue Instrumente, die viel Geld gekostet hatten, mehrere hundert Mark ihrer Ersparnisse, und zeigten ihre Kunst in den unsterblichen Melodien der »Gschichten aus dem Wiener Wald«. Es brauchte niemand darauf aufmerksam zu machen, daß dies ein Sonderwalzer für die Doktorstochter und den Danner Heinrich sei, das spürten alle von selber und traten neugierig und lachend an das Geländer, dem Paar allein den Boden zu überlassen.

Hei nun, Heiner, der du in Wien gewesen bist und in seinen Tanzhallen nicht verlegen wurdest, wenn du mit den Gstettnertöchtern auf modische Art, gelehrig und musikalisch über die spiegelnden Böden glittest, zeige, was du kannst! Es ist wahr, die Jugend des Lautertales versteht auch zu tanzen, artvoll und gewandt, sie ist keine schwerfällige Bauernjugend, die gewaltig hopst und stampft, daß die Dielen dröhnen und die Füße von den Körpern fliegen wie die scheuer Gäule. Sie hat Musik im Blut und leichte Glieder, die drehen sich lieber, als wild zu hampeln mit hoch emporgeworfenen Mädchen, deren Röcke dabei bis in die Hüften fliegen sollen. Das geschah höchstens, wenn sie in ihrem Dorf spät nach Mitternacht vor Übermut und Weinnebel nicht mehr wußten wohin mit all der Lust, und die tollsten dabei waren dann die älteren Männer, in deren Jugendjahren noch die überlieferten 288 Bauerntänze mit Sprüngen und Schwüngen und Juhu und Klöpfen und Schnalzen gang und gäbe waren. Diese männiglich kühnen und zugriffigen Tänzer sorgten so dafür, daß auch bei den Jungen noch die Überlieferung hangenblieb und sie auf diese Art auch einmal dem sprödesten Mädchen derber an den Leib kamen als bei den braven Gehtänzen, wie sie jetzt in Stadt und Dorf beliebt waren.

Heiner und Barbara tanzten mit ernsten Gesichtern, so, als müßten sie sich um die Note Eins bewerben wie die Turniertanzpaare in Baden-Baden; aber sie tanzten den Walzer, wie ihn die Einheimischen kaum mehr konnten. Barbara hatte so noch nie getanzt. Doch ihre anfängliche Unsicherheit wich rasch, und sie lernte sich bei jedem Takt dem geschmeidigen Tänzer zu fügen.

Zuletzt waren sie wie ein Leib, beiden fiel es auf, sie trafen sich mit den Blicken und sagten sich, was sie sich in Worten hätten niemals sagen können. Blick blieb in Blick, und Lächeln legte sich auf Lächeln, sie vergaßen alles um sich, vergaßen, daß ihnen im Geviert viele Paare zuschauten, daß Petra und der Doktor unten auf der Wiese vor der Treppe standen und sie anschauten und vielleicht die einzigen waren, die es mit heimlicher Erregung durchrieselte, weil von dem tanzenden Paar ein Strahlen der Liebe ausging, das alle Liebeerfahrenen in Bann schlug.

Bachroth empfand es bis zur Erschütterung – die tanzten wie geweiht, das war kein Walzertanz zu den reichen Klängen der Harmonikas, das war ein tiefes, göttliches Einschwingen von zwei zu einem. Er wußte alles, er würde mit keinem Wort und keinem Gedanken mehr die beiden zu trennen versuchen. 289

Er schob die heiße Hand unter Petras dünnen Arm. Sie sah zu ihm auf, und in ihren dunklen Augen stand zärtliches Bekennen. Das hätte der Doktor nie gedacht, selbst in den Wochen des Verlöbnisses nicht, daß ihn jetzt erst die große Liebe erfassen würde, größer und leidenschaftlicher, selbstvergessener, so schien es ihm, als die zur Mutter Barbaras gewesen. Nein, er wollte nicht Barbara mit ihr in den Süden schicken, er selber, Bachroth, wollte sich frei machen, er ließ diese Flamme seiner hohen Manneszeit nicht mehr von sich, und wenn ganz Oberspring vor Spötterei zerplatzte, weil der Bachroth um die Petra, die Bauerntochter, seinen gelassenen Verstand verloren hatte und zum erstenmal in seinem Doktorleben Urlaub nahm, Ferien machte und seine Patienten im Stich ließ.

Der Tanz war zu Ende. Heiner und Barbara lösten sich voneinander ab und schritten frei, kaum merklich ermüdet, die Stufen hinab.

 


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