Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Sippen in Helgenzell

Früher kamen sich die Bauern wie Weltreisende vor, wenn sie sich von einem Tal ins Nachbartal begaben. Der einzige Verkehr ging talauf und talab. Nicht einmal das Fahrrad hatte daran viel geändert. Jetzt, im Zeitalter des Motors, gab es keine Hindernisse mehr, wie einen Bergrücken, der die Wasser in zwei Täler schiedlich schickt. Er würde überwunden, und das jenseitige Tal tat sich auf.

Da kam freilich ein neuer Zug in die jungen 136 Bauern, wenn sie tief veranlagt waren, sie sahen jetzt, wie die Landschaft anders geartet war, ihre Weite, Gliederung und ihre Eigenart. Es war ehedem eine Freude des Städters allein, sich der Landschaft hinzugeben. Jetzt erschloß sich auch manchem Bauern das Wesen der Natur, der ihm fremden zuerst. Die eigene Landschaft sah er nicht mehr nur als Werkraum an, als einen vom Schweiß der Arbeit zehrenden und Ernte spendenden Arbeitsplatz, sondern als mehr, als schönen Reichtum, der ihn selbst dann noch freute, wenn Boden und Wald dem Nachbarn gehörten.

Es war vieles anders geworden, von innen her. Der Heiner konnte doch über einen Kleeacker weit hinaussehen und vor sich hin denken, wie viele Farben da draußen seien. Wenn ein Maler so etwas in ein Bild brachte, glaubte man es ihm fast nicht, daß es echt sei. So ganz einfach und nur auf ihre Arbeit bedacht waren die Bauern heute nicht mehr, wie die Stadtleute meinen. Sie hörten am Rundfunk vieles, was ihre Gedanken beschäftigte und ihre Augen neugieriger machte. Die Türen und Plakate der Lichtspielsäle waren für alle offen, für die Jungen vorab. Und jeder Bauer brauchte heute seine Zeitung. So kamen tausendfältig die Stimmen der Welt zu ihm alle Tage, die Bilder sprachen ihn an, und keine Einöd war zu einsam, es streifte sie doch der Verkehr der Kraftwagen und der Motorräder. Und wo ein Einödshof wirklich noch so einsam geblieben war, daß Rundfunk und Motor, Zeitung und Flugzeug ihn nicht berührten, da mußte entweder Stumpfheit, Dummheit oder sinnloser Eigenwille hausen oder, aber das empfanden nur die Städter, es mußte sich 137 hierher die Stille höchstselbst schwermütig zurückgezogen haben.

Manchmal wenn die Völker auf dem entferntesten Feld schafften und auch die Meistersleute irgendwo in einem Rebberg oder im Waldgebiet verschwunden arbeiteten, lag der Helgenzeller Hof der Familie Hurst so da, als wäre die Stille allem Sägenlärm im Lautergrund, allem Straßenstaub, dem Austoben des Lärms in den Städten hierhin entflohen, wo nur ein breiter Weg vom Tal abzweigte und zwei Rebenbuckel wie eine Gasse durchschnitt, die Senke überwand, sanft anstieg, einen breiten Hügel überkreuzte mit Feldern und Matten, sanft und in gedehnten Windungen abfiel, durch Wiesen lief, einen Mannsschritt breiten Bachlauf mit breitem Bohlensteg überquerte, wieder gemach sich eines Anstiegs freute, an dessen Ende breit und hoch der Hof des Thomas Hurst Halt gebot.

Es war kein Einödhof im Sinne von kargem und mühsam zur Ernte gebrachtem Boden. Die Einsamkeit hatte sich ein kleines Paradiestal ausgesucht, um hier Abgeschlossenheit und Stille zu finden. Es standen einige Häuser an den gehügelten Hängen; sie alle gehörten zum Thomashof, dessen mächtiges Haupthaus deutlich die anderen beherrschte. Das schmucke Leibdinghaus stand für sich beiseite und ein wenig näher an den Hang gerückt, mehr in Schutz und Wärme; denn hinter dem Hof begann schon das Gehürst des weitläufigen Kammwaldes, der, etwa hundertfünfzig Morgen groß, dem Thomas Hurst gehörte, dessen Erbe Daniel war. Schier dreihundert Morgen Land gehörte überhaupt zum reichen Hof mit Mühlenrecht 138 und Fischenz und Jagdrecht für die Hofbauern. Dazu das Brennrecht für die Kirschen und das rauhe Korn, das auf dem mageren Boden im Thomasloh gedieh, 139 wo der Wald im Norden ein Ende hatte und an die Schwende des Nachbarhofes grenzte, halbstündigen Weg, vielmehr halbstündige Unwegsamkeit entfernt. Jener Hof neigte in ein anderes Tal, das die Helgenzeller nicht einmal aus Gründen der Sippenverwandtschaft etwas anging. Zwischen Thomasloh und Thiesenschwend hörte für die Helgenzeller die zu beachtende Welt auf, als ob dort Neger oder Indianer wohnten. Dabei war der Thiesenhof nicht viel kleiner als der Helgenzeller. Doch oben, wo Loh und Schwend sich grenzgerecht stießen, trennten sich die Quellen. Und Quellenscheiden trennen oft mehr als gewöhnliches Wasser, sie trennen Blut und Seele. Das geht nicht mit lauten und sichtbaren Dingen zu.

Auf dem Thomasloh wuchs rauhe Frucht, die, zu schlecht für Brot, gebrannt wurde. Auch die wilden Kirschen, die droben noch in später Reife gediehen, wanderten in den Brennkessel. Es war der einzige minderwertige Grund, den die Helgenzeller besaßen, und der mußte noch etwas abwerfen, was Wert hatte. Es kam nichts um auf dem Hof. Seit langem schon erbte sich das umsichtige Bauernwesen unter der Hurstsippe mit viel Glück aus dem Blut und großer Gnade von Gott fort. In der Flur mehrten sich darob von Geschlecht zu Geschlecht die Bildstöcke und Kreuze, die Menschen gaben aus zufriedenem Herzen Gott was Gottes ist. Nur gaben sie nicht einen einzigen Mann her ins Priestergewand, wie andere große Bauernfamilien; es gediehen ja auch bisher nur wilde, lebfrohe Männer unter ihnen, kein mildes und verzichtendes Blut. 140

Der alte Thomas Hurst, es war der Großvater von Daniel und Petra – der Vater, gleichfalls Thomas genannt, war einem Wilderer zum Opfer gefallen, die Mutter durch einen Stier zu Tode gedrückt worden – der alte Thomas Hurst herrschte noch mit voller Kraft. Er wartete auf Daniels Mündigwerden und Heirat, und war auch schon längst nach talüblicher Bauernart heimlich auf die Brautwahl gegangen. Der Severin Danner hatte gut geplant. Auch der Thomas Hurst fand, daß es nur eine Braut für den Daniel gäbe, aber auch nur einen Mann für die Petra, den Heiner. Und so sah er eines Sonntags mit heller Freude, daß das Kraftrad, das er sonst haßte, mit beiden Dannerkindern auf den Hof kam. Petra und Mariann waren Schulkameradinnen, beide ahnungslos, was die Pläne zwischen Heiner und Petra anbetraf. Petra war nie auf Heiner aus, sie zielte auf Nikolaus, sie schlug aus der Art, weil sie nicht Bäuerin werden wollte, sie hatte mit zuviel Lust die Stadtluft geschluckt, das leichtere und flinkere, das glitzrige Leben in der Stadt gefiel ihr besser. Sie wollte einen Städter heiraten, das stand bei ihr fest.

Sie begrüßte den Heiner ohne Sorge offen und frei mit Lachen und Tändeleien. Das sah der Großvater aus seinem Stubenfenster und deutete es nach seinem Wunsche. Petra entdeckte freilich an diesem Nachmittag zum erstenmal, daß der Heiner schon wie ein Mann war mit einer festen Stimme und so groß, daß ihr Kopf gerade mit seiner Schulter abschloß, wenn sie neben ihm stand. Das war hübsch, das machte ihr warm, und sie versuchte, den Heiner ein wenig anzuheizen, das verstand sie schon. Sie summte und 141 wiegte sich leicht dazu: O que je t'aime. Der Heiner ahnte wohl nicht, was das hieß! Darin irrte sie sich. Der Heiner war so oft in den Ferien bei der Straßburger Gotte (Patin), daß er auch ein wenig »parlieren« konnte. Er wurde puterrot und sagte spöttisch: »Merkwürdig, auf französisch kann man das frechste Zeug sagen, und der deutsche Michel merkt nichts. Übersetz es mir auf deutsch, aber schnell.«

Er packte sie um die Schultern mit einem Arm und drückte sie, daß ihr der Atem wegblieb: »Sag's mir auf deutsch!«

Sie versuchte, sich zu befreien, aber sein Druck schwächte sie, daß sie um Gnade flehen mußte. Nicht um die Welt hätte sie ihm den leichtsinnigen Satz auf deutsch ins Gesicht sagen können. Ihre dunklen Augen füllten sich mit Tränen vor Schmerz und Scham. Da ließ er sie los und sagte lachend: »Das hab' ich doch gewußt, daß du nur auf französisch so lügen kannst.«

Und wenn's nit gelogen wär? dachte Petra, wagte es aber nicht zu fragen. Der Heiner hatte die tiefe Falte in der Stirn, und das wußte sie aus Kindheitstagen noch, daß dann mit ihm nicht gut Kirschen essen war.

Auch diese Zänkerei, nein Liebelei, hatte der alte Thomas mitangesehen und sie nach seinem Wunsch schmunzelnd gedeutet.

Die vier jungen Menschen, Gespielen seit früher Kindheit schon, betraten jetzt die Stube. Daniel und Petra tischten auf. Der Alte kam herein, begrüßte die Danners ernst und zurückhaltend, als ob sie ihm gleichgültig wären. Die Dannerkinder bezahlten im 142 Auftrag des Sägbauern das gelieferte Holz. Umständlich zählte Heiner die Summe mit heimlichem Hochmut auf das Dannersche Geld auf den Tisch. Umständlich zählte der Thomasbauer nach, trippelte mit gichtigen Beinen an den Sekretär und setzte gelassen seinen Namen unter die Quittung.

Der Daniel ließ die Augen nicht von Mariann, die ruhig in der großen Stube umhersah, auch die Aussicht aus dem Fenster bewunderte, in das Tal des Helgenbachs hinab, der später zur Lauter floß.

»Alles, was du aus den Fenstern siehst, gehört uns«, sagte Daniel stolz. »Früher hat man gar nicht alles ins Aug' so fassen können, da gehörte noch viel mehr dazu.«

»Wie hat auch ein einzelner Hof so groß werden können?« fragte Mariann bewundernd. Reichtum liebte sie, schon als Schulkind war sie heilfroh, daß sie nicht armen, geringen Leuten gehörte. Die Mutter, aus armem Heimwesen kommend, hatte ihr den Hochmut oft verwiesen und sich Sorge gemacht, weil Mariann so rechnerisch war. Doch wie sollte sie es der Tochter erklären, daß Besitz nicht nur nach der Menge geschätzt werden dürfe, sondern auch nach der Pflicht, die er forderte, sie zu erfüllen. Kalte Zahlen hielten ihn nicht zusammen, helle Gier auch nicht, Güte und Würdigkeit jedoch machen ihn gesund. Mariann fehlte es daran nicht, das zeigte sich bald; denn sie war ein warmherziges Wesen trotz allem.

Für den Daniel Hurst schien sie just die rechte Frau. Denn wie der mit leichtem Lächeln im schmalen Gesicht erzählte, seine dunklen Augen standen etwas zu nahe beisammen und gaben ihm einen eigensinnigen Zug ins 143 Kleine, brachte kluges Handeln und stetige Arbeit den Reichtum der Helgenzeller zusammen. Aus Mühle und zwei Hofgütern floß er zusammen.

Der Thomas Hurst lauschte aufmerksam und pries sich geschickt, daß er dem Daniel oft genug die Familiengeschichte berichtet hatte. Jetzt horchten die Dannerschen mit allen Sinnen. Also, es kam früher oft vor, daß ein junger Mann eine alte Hofbäuerin ehelichte, wenn sie Witwe war. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das gang und gäbe. Da heiratete ein neunzehnjähriger Hurst eine fünfzigjährige Bachroth.

»Bachroth?« unterbrach Heiner.

»Wohl«, bestätigte der Großvater, »im Weistum steht's, das ich im Schreibpult hab'. Der Hof hat den Bachröthern gehört seit Menschengedenken. Die Bachroth hat einen Sohn gehabt, der ist vom Hof gegangen zu einer anderen Hofbäuerin. Die vom Nachbarhof war es. Kein Stein steht mehr auf dem andern von sellem Haus, das Feld ist unser. Die alte Frau Hurst ist bald gestorben, der junge Hofbauer hat alles geerbt und sich eine zweite Frau genommen, die Tochter vom Glashof oben am Wald. Dadurch ist auch der Wald an uns gekommen bis an die Schwend. Auch der junge Bachroth ist früh gestorben, an der Auszehrung heißt es, dann heiratete die Bachrothbäuerin nicht mehr. Sie zog eine Tochter auf. Die nahm der junge Hurst aus der Ehe mit der Glashoferin. So kamen die ganzen Höfe von Helgenzell in eine Hand. Wir alle haben gewußt, daß das gut ist und großartig. Solche Sachen sind nicht nur bei uns geschehen, du gibt es viele Beispiele. Alte, große Höfe sind so zusammengekommen durch gute Heiraten, 144 das ist wichtiger, als wenn eins meint, durch eine große Liebe ist das ganze Leben schon ein Paradies. Ja Dreck, die Lieb' vergeht, der Hof besteht. Man darf nie nur an sich denken, der Hof gehört nicht nur dem Hofbauer, er gehört schon Kind und Kindeskind. Was wär auch am Schinden und Schaffen, wenn man nicht wüßt, daß es über uns hinaus währt, in Kind und Kindeskind leben wir doch weiter und auf dem gleichen Grund dann in der gleichen Heimat. Das ist der Sinn.«

Es ist was dran, dachte Heiner, aber es ist vielleicht eine zu harte und zu einfache Rechnung. Wo bleibt da der liebe Gott mit seinem Himmel und mit seinem Fegfeuer? Er dachte das nur. Die erdstolzen Hurst hätten nie begriffen, daß es noch etwas anderes geben müsse, um die Zukunft zu gewinnen, als das Grundherrichten und -erwerben für Kind und Kindeskind.

Mariann hingegen sah dem Daniel bei seiner und des Altbauern Erzählung fest ins Gesicht mit einem rätselhaft lächelnden und fernen Ausdruck. Sie sah sich über diesen Besitz walten, sie sah aber den Damel nicht daneben. Er war nicht so wichtig, schien es ihr, nicht so wichtig, daß sie um ihn zu leiden hätte wie – daß ihr jeder Gedanke an Nikolaus doch immer einen Stich gab! – um Nikolaus ohne Land. So hatte er sich selber in letzter Zeit dann und wann einmal ihr gegenüber genannt.

Heiner sann dem Namen Bachroth nach, von dem der Hurst sagte, er stamme aus dem Helgenzeller Zinken. Petra war sehr lieb zu ihm. Er mußte ihr versprechen, sie einmal auf die Grinde und an den Mummelsee zu fahren. 145

»Ja, ich hol dich ab, so daß wir im Vollmond um Mitternacht dort sind, dir tun die Mummeln nichts, bist selber eine.«

»Du, ich kratz dir die Augen aus, wenn du das noch einmal sagst.«

Heiner lachte. Auch Mariann kam es jetzt so vor, als wäre Heiner kein dummer, störrischer Bursch mehr, sondern ein Mann, dessen Wort Geltung hatte, selbst wenn er Spaß machte. Und blitzhaft dachte sie auch Heiner und Petra zusammen. Das gab noch ein Gespann, der lange helle Heiner und die kleine dunkle Petra. Petra würde bald die Hosen anhaben, und Heiner würde es sich nicht gefallen lassen wollen, aber die Petra hatte schon in der Schule alle Rechte für sich gewonnen.

Die Hurst wollten die Geschwister nicht so rasch fortlassen. Daniel zumal hätte gern der Mariann allein noch manches gezeigt. Zum Beispiel den mächtigen Webstuhl, der in der Giebelstube stand, auf dem die Großmutter noch, als er ein Hosenmatz war, Betttuch webte und Kleiderzeug. Noch jetzt war es ihm manchmal nachts, wenn der Wind ums Haus wuhrte und wepfte, als ginge der Webstuhl, wie er im Morgengrauen unter der Großmutter rastlosen Händen gegangen war.

Aber die Danners hatten es eilig, und Petra schwätzte und lachte dem Heiner zuviel. Diese Dinge im Haus, die gewesen und noch waren, wollte Daniel der Mariann allein zeigen. Er meinte, das hätten sie nicht in der Säge, und war des Glaubens, der alte Reichtum des Hofes rede auch aus dem alten Kram. 146 Niemand hätte ihm das gesagt, er war auch kein besonders begabter Mensch, der das Gras wachsen hörte, doch alles in Haus und Hof vernahm er wie mit inneren Stimmen im Gespräch. Im Dachgebälk des alten Schopfes, das weiß vielleicht nur er noch, hing hinter einem dicken Balken, von Staub und Spinnhudeln überdeckt, ein Pferdeschädel. Er schwieg darüber, spürte aber ins alte Wissen von der Kraft des Glaubens der Vorväter an bannende und bekennende Dinge.

In der Säge hatten sie auch in der Stube keine Decke aus gewölbeartig hochgeschwungenen Brettern. Der Heiner mußte sich beinahe in der niederen Stube bücken. Für die kleinwüchsigen Helgenzeller bestand diese Notwendigkeit nicht.

Daniel dachte aber jetzt schon daran, daß Mariann nicht mehr viel wachsen dürfe, sonst müsse er ihretwegen die Stube höher machen. Die Sägbauern hatten das schon längst getan. Über ihrer Stube klaffte im Hausgewänd eine Lücke, ein Hohlraum trennte die Stubendecke vom Boden des zweiten Stockes. Dort war ehedem die Nußbühne. Dieser Hohlraum wurde einfach vermauert und die Stubendecke um den Hohlraum hinaufgerückt. Daniel konnte dies der Mariann nicht verheimlichen. Er mußte ihr doch, ehe sie ging, etwas mitgeben, was ihr zu schaffen machte: »Ja, die Stubendecke wird bald höher sein, die Stube ist mir zu nieder. Man muß halt doch ein wenig mit der Zeit gehen.« Er lachte leise, und Mariann merkte wohl, wie er alles meinte. Sie wurde rot und ärgerlich: Wie die schon mit ihr rechneten, womöglich verrechneten sie sich noch. 147

Sie drängte Heiner: »Mach jetzt, wir müssen heim, der Helmut ist doch so krank!«

Sie nahmen Abschied vom alten Hurst, von Petra und Daniel wie würdige Leute, diese flüggen Kinder mit dem frühgereiften Bewußtsein ihres Wertes.

»Die Petra ist doch nett«, stupfte Mariann, als sie unterwegs einmal im Eichenbann anhielten, wo Heiner nachschauen sollte, wieviel Stämme noch lagen.

»Schon! Für mich aber nichts, falls Ihr da Pläne hättet.«

»Warum nicht? Sie hat etwas gelernt und hält was auf sich«, entgegnete Mariann.

»Trotzdem ist sie mir in allem zu städtisch und zu verspielt«, knurrte Heiner, »fang du nur nit auch an mit mir zu rechnen, da kämst, bei Gott, an den letzen«, warnte er.

»Ich mein' es doch bloß so von weitem«, beschwichtigte sie, »weil ich weiß, daß die, die du willst, nicht für dich gewachsen ist.«

»Das will ich erst noch sehen«, schrie er, denn er gab schon Gas, noch ehe Mariann merkte, daß es losging.

*

Immer noch lag Helmut im Fieber. Doch gegen Morgen schien es, als beruhige sich das kleine Wesen. Als der Doktor erschien, hellte sich sein ernstes Gesicht auf.

»Geht in die Kapelle, Danner, ihr habt Grund zu danken. Ich denk, das Büble ist überm Berg. Das wird die Göttel Barbara freuen.«

Allen Frauen im Haus sprang das Wasser über die Wangen, als sie die hoffnungsvolle Kunde 148 vernahmen, und immer wieder stieg eines, sobald die Arbeit es zuließ, in die Kapelle hinauf, um die Hände zu falten. Niemand hatte die Mägde dazu angehalten, und manche von den Sägern gingen auch von selbst. Es hatte keiner mit den Meistersleuten zu rechten um etwas, alles ging in Frieden und Ordnung im Sägbauernhof zu, und jede Arbeit erhielt ihren Lohn mit freundlichem Gesicht. Ein Unglück in der Dannerfamilie hätte alle Völker im Hofe im Herzen betroffen.

Wäre mittlerweile alles stillgestanden, Säge- und Holzlärm auf dem Lageplatz, Peitschenlärm und Roßgewieher, Kettengerassel und Kuhgebrumm, Geisengemecker und Hahnenschrei, Katzenmusik und Hundegebell, so schien jetzt alles nach den langen Stunden banger Furcht, nun das winzige Leben gerettet war, doppelt da zu sein. Es hatte aber bisher nichts stillgestanden, nur hatten alle ihr Ohr woanders gehabt, ausschließlich am verlöschenden Herzen des kleinen Danner. Das pochte nun wieder dem Leben entgegen, und die treuen Ohren der Leute im Hofe nahmen wieder die Geräusche des Alltags auf.

Abends kam die Barbara zu Fuß auf den Hof, sah nach dem Kleinen und bat dann Heiner, sie nach Oberspring zurückzubringen. Beim Abschied vor dem Doktorhaus sagte sie ihm, daß sie in ein paar Wochen bereits nach Baden-Baden in das Sanatorium müsse, das dem Freund ihres Vaters gehöre, um sich in der Krankenpflege und Arzthilfe noch besser auszubilden.

Heiner verschlug es das Denken, er hatte daran nicht mehr gedacht. Nun teilte sie es ihm ganz kühl mit. Er war eigentlich ganz verdattert, so daß sie ein ärgerliches Mitleid mit ihm bekam. 149

»Also, gut Nacht«, sagte sie kurz, »eine große Fahrt zum Abschied wünsch ich mir noch mit dir. Überleg es dir wohin.«

Das brachte ihn wieder zu sich. Vor lauter Überlegen vergaß er, daß es Abschied nehmen hieß und daß sich Barbara in einem Beruf ausbilden wollte, der nichts mit dem Sägbauernhof zu tun hatte. Die zweite Neuigkeit, die Heiner an diesem Abend erfuhr, war, daß Peter Boll eintreffen würde. Die Runz im »Sternen«, wo er noch einkehrte, saßen mit ein paar Bauern am Ofentisch und sprachen von ihm, dem Weltforscher und Schiffsarzt Peter Boll, der sich selber Pitt nannte und auch bald im ganzen Tal nur Pitt hieß.

 


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