Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Heimat, du süße

Der Mond blickte still und sicher über die Wälder in das träumende Tal der silbernen Lauter. Weiß wie Schnee gleißten die Stapelplätze der Bretter und Balken von den Sägen her. Das milde Licht vom Himmel rieselte über die Dächer der Höfe im guten Schutz der Hangmulden vor den Wäldern. Dann und wann kreiselte wispernd ein herbstmüdes Blatt auf die harte, trockene Straße, fiel eine vergessene Kastanie oder Nuß nieder unter der Berührung des leisen Windes oder eines lautlosen Nachtvogels. An den Mattenrändern glühten Smaragde paarweise auf, die Augen wildernder Katzen, und flußüberwärts, wo die feuchte Wiese gegen den Saumbusch des Buchenwaldes stieß, beschien der Mond dann und wann die flüchtlings gegen die Straße gekehrten Spiegel der Rehe; denn es ging harter Schritt bergan, ein einsamer Wanderer pochte gegen den heiligen Raum der Nacht, die voll von Wassergesprächen, von scheuen Tieren, von zart hinsterbenden Blättern, eigenwillig 272 fallenden Früchten, von tastenden Winden und hauchdünn gewebten Nebeln um Weidenköpfe, voll vom Rascheln der Mäuse im dürren Laub war.

Noch schrien die Käuze aus den Bäumen, und die Igel schmatzten im Graben. Es wurde noch nicht kühl in der Nacht, obschon es jetzt Weinmond war. Doch der Sommer dachte nicht, selbst nachdem der Herbst doch bereits alt geworden, ans Abschiednehmen. Die Fülle des Herbstes konnte er freilich nicht mehr erwirken, so sehr er sich mit aller Wärme und Helle in die Landschaft ergossen hatte, der böse Winterrückfall in der Blütezeit hatte dem Keim das kalte Siegel der Unfruchtbarkeit aufgedrückt, das küßte kein noch so langer und mächtiger Kuß des Sommers mehr weg.

Eine Wegstrecke lang roch es sonderbar. Da war vor kurzem eine Schafherde gezogen. Es war Herbst, wenn die Schäfer durch das Tal trieben, und wurde Frühling, wenn sie wiederkamen. Sie schlossen den Winter zwischen ihrem Kommen und Gehen ein.

Heiner dachte an die Kinderzeit, wo er eines Tages mit dem Schäfer Siegele bis hoch ins Gebirge fortzog, wo das Gras an Heidekraut stieß. Sie hatten es beide vergessen, daß er dem Säger drunten gehörte und zu rechter Zeit daheim sein mußte. Er spielte mit den Schafen und mit den Hunden und stand stolz am Schäferstab mit der putzigen blanken Schipp wie der Meister über die große Herde und versuchte, die Tiere zu zählen. Ja er geriet in furchtbare Wut, weil die Schafe durcheinander und übereinander wusselten und somit unzählbar waren, wie es der Siegele auf die Frage: »Wieviel sind es?« gesagt hatte. »Unzählbare, Bibele!« 273

»Warum denn, die kann man doch zählen?«

»Probier's halt, Bibele!«

Der Witzbold sollte recht behalten.

Mit Laternen und Geschrei durch Nacht und Wald hatten damals Vater und Mutter, Knecht und Magd, Polizeidiener und Holzmacher und der Hund den verloffenen Heiner gesucht und ihn endlich gefunden, auf dem Steglein des Schäferkarrens eingeschlafen. Die Nacht war über dem Zählen gekommen, und Siegele hatte zu tief ins Glas geschaut gehabt, um zu merken, wie bös es unten in der Säge aussehen werde, wenn der Heiner nicht heimkehrte, der Erbe und Liebling.

Der Vater hatte nur mit elend heisriger Stimme zum Siegele gesagt: »Das Fell ghört dir versohlt, daß du nimmer stehn und liegen kannst. Den Bub so mitzuzackere in die Nacht hinein.«

Mit dem Heiner hatte weder Vater noch Mutter ein Wort geredet, bis sie daheim in der Stube waren. Da hatte dann der Vater arg mit dem Stock geschwätzt, und die Mutter, weil sie Sorge hatte, er könne sich erkältet haben, hat ihm einen Eibischtee gekocht, den er sowieso nicht leiden konnte, und das alles stammte wahrhaftig nicht von schlechten Eltern.

Heiner trug sein Soldatenköfferchen am Ginsterstock, am Reservistenstecken, über der Schulter. Einen hellen, modischen Filzhut hatte er nach hinten und ein wenig schief gesetzt. Er war mit einem kleinen Dampf zusammen mit etlichen Kameraden von Ulm abgefahren. Es fiel ihm schwer, vom Soldatsein Abschied zu nehmen. Er hatte sich wohlgefühlt in der straffen Haut des Dienstes und der herzwarmen Derbheit der 274 Kameradschaft. Er sang freilich jubelnd mit den andern, weil die Dienstzeit vorbei war, das gehörte sich so, aber er sang und sprach nicht davon wie von einer Erlösung. Wäre die Säge, der Hof daheim nicht gewesen, der Vater, den es so bös hingeschlagen, und sonst noch manches, das bei seinen Entschlüssen zu beachten war, Barbara etwa, er hätte sich nicht lang überlegt, Soldat zu bleiben, ehrgeiziger Soldat mit Hingabe an den Beruf. Die Offiziere hatten ihn gelobt und ihn auch locken wollen. Er hätte in ihrem Kreis bei seiner geraden Art und seinem sauberen Aussehen nicht schlecht gewirkt. Sie hatten ihm diesen Sprung, diesen Weg des Dienstes von der Pike auf zugetraut, unbedingt; aber daheim war er nötiger und freier. Auch das bedachte er, sich fast zum Troste.

Schwungvoll schritt er aus. Das dachte niemand, daß er zu Fuß von der Bahnstation her in der Nacht käme. Ihm aber und seinem noch nicht ganz vom Kater der Abschiedstrünke geräumten Kopf tat der Marsch in die Heimat wohl, an den vielen Sägen des Lautertales vorüber, deren pochendes, stampfendes, kreischendes, singendes Werk schlief.

Nur das Wasser war wach. Immer ist das Wasser wach, tagein, tagaus, nachtein, nachtaus, lebendig, gesprächig, Gestirnenlicht spiegelnd und von Fischen durchspielt. Schliefen die Forellen jetzt?

Heiner hielt sich an manchem auf, was ihm auf dieser nächtlichen Heimkehr in die Heimat in den Sinn und auf den Weg kam. Ob die Forellen nachts schliefen? Er ging an das Ufer hinab und faßte in das Wasser mit zutastendem Griff – zwar ins gleißende Dunkel –, wie sie als Buben zugegriffen hatten, seit 276 Erstklässlerjahren in dieser Art von Fischfang geübt. Heimat, du süße, das sang in ihm.

Einen verzauberten Fisch gedachte er zu fangen, Heiner, der Träumer, der aus dem traumlosesten Beruf der Männer Abschied genommen, dem Soldatsein. Einen verzauberten Fisch, den er erlöst aus langer Kühlblütigkeit, aus kieselkaltem Bann, einen, der sich in seiner Hand wandelte, unter seinem Atem, und schlank und silbern und blau niemand anders war als Barbara, dem warmen Herzschlag der Liebe durch den kühnen Burschen aus der Säge gewonnen. Hei, wenn ein Schneider eine Prinzessin gewinnen konnte, ein Hirtenbüblein die Königstochter, warum nicht ein Bauer die Barbara?

Der Heiner schlenkerte das Lauterwasser von den Händen, das lautere Wasser, hutzelte wieder das Soldatenköfferchen über die Schulter, schob den städtischen Sonntagnachmittagspoussierhut wieder sittsamer auf den Kopf und nahm die Straße herzhafter als bisher in Angriff. Er sah den Mond an, der schief in der Achse saß wie in den Witzblättern.

»Aber du bist mein Mond«, rief er hinauf, »unser Mond, der Mond des Lautertales.

Und deine Wiege, oh, das wissen nur wir, ist die stillste Stelle des »hohen Gebürgs«, die Moos genannt. Du bist brauchbar, Geselle, die Straße machst du mir hell und klar, die ganze Heimat. Heimat, du süße!«

Er träumte, wie es wäre, wenn nun von seinen Wünschen herbeigerufen Barbara herabkäme, ihm entgegen, und was sie dann sagen und tun würden. 277 Dabei wußte niemand um sein Kommen. Sie kommt also nicht. Unmöglich. Aber wenn sie jetzt käme?

Nun, gradaus ist vorwärts, Heiner, und der Angriff ist die beste Haltung des Soldaten.

Es war ihm ganz gleich, ob das Tal erbebte unter der Störung seines nächtlichen Friedens, der Heiner schmetterte ein keckes Soldatenlied seinen Schritten voraus und verlor nicht den Atem dabei, obschon es stets bergan ging. Er schmetterte es weg, das zarte, schwächende Lied »Heimat, du süße«, fort von dem jungen Soldatenmund, dem bäuerlichen Raum schon nahe, wo Kühe brummten, Pferde stalpten, die Dreschmaschine lärmte und die Sägblätter schnurrten. Doch im Tiefen, wo man nicht marschiert, nicht werkt und abschätzt und plant, da blieb die kleine, selige Liebesmusik »Heimat, du süße« und schloß nichts als Liebe mit ein.

 


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