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Alles ging gut. Dem Sägbauern wurde im Spätsommer ein Bub geboren, den sie Helmut hießen. Es schien ihnen, er müsse einen besonderen Namen haben, einen, der noch nicht von Ahnen getragen worden. Bisher hatten die Danner entweder Severin, Florian oder Heinrich geheißen, die Dannertöchter meist Maria mit einem zweiten Namen, Maria Magdalena, Maria Barbara, Maria Anna, Maria Theresia, Maria Rosa.
Der Sägbauer hatte, als die Pia in ihre schwere Stunde kam, gleich den Doktor Bachroth gerufen, er wußte, wie nötig der Arzt jedesmal gebraucht wurde. Die Pia mußte einen ganzen Hofstaat um ihr Bett 43 versammeln, wenn sie in die Wehen kam. Hoffentlich stand in diesem Hofstaat nicht wieder unsichtbar der Tod und nahm das Kind gleich nach dem ersten Atemzug mit.
Doch es ging gut wie noch nie. Pia brachte das neue Kind leicht zur Welt, und es war ein kräftiger Knabe, der gleich tüchtig schrie. Dazu gesellte sich das Lachen und Rufen des ganzen von Freude erfüllten Hauses. Der Severin rannte über den Hof wie ein junger Bursche zum Großvater ins Leibding, die Botschaft zu sagen, dann auf die Säge, wo Heiner schaffte und die beiden Vettern. Als er Heiner sah, kam es ihm erst, daß dem jungen Kerl nicht leicht zu sagen war, er habe einen Bruder bekommen. Heiner hatte die Mutter seit Monaten ziemlich schlecht behandelt, hatte ihr keine rechten Antworten gegeben, war ihr sichtlich aus dem Weg gegangen. Sonst hatten die beiden doch immer gut miteinander gestanden.
Eine Weile blieb der Vater bei den Sägern stehen, beobachtete, wie butterweich sich die neue Säge in die Buchenstämme fraß. »Das flutscht nur so«, lobte Xaver Runz, der mit Franz die Stämme heranschaffte.
»Ja, ja«, gab der Sägbauer zu, bedachtsam tuend, »heut scheint alles nur so zu flutschen, man hat halt Glücksfäll' manchmal.«
Der Heiner hob rasch den Kopf, schaute den Vater an, tat aber dann, als schlenkerte er sich nur die Schweißtropfen von der Stirn, und fuhr mit der langen, schlanken Hand darüber.
Der Vater lachte: »Ja, guck nur, einen Bruder hast gekriegt.« 44
»Was!« schrien die beiden Brüder Runz, die Arbeiter vom Holzplatz hörten alle zu schaffen auf. »Was!« schrien die Brüder wie aus einem Mund und stürzten beide auf den Sägbauern los, seine Hände in ihren Pratzen schier zermalmend.
»Ein Bub, das ist doch was Rechtes! Da muß man eigentlich mit Böllern schießen. Los, Heiner, knall einen ab, der Säger hat einen Prinzen, was stehst und stierst in ein Loch 'nein?«
Der Heiner wischte sich die Hände an der Ribbelessamthose ab, er war so störrisch, daß es ihm selbst auffiel. Warum eigentlich? Kann er nicht hingehen zum Vater und sagen: Herrschaft, das ist ja großartig. Kann er nicht die Kappe in die Luft werfen und einen Jodler loslassen, daß es die Mutter in ihrer Kammer freut? Nein, er kann das einfach nicht! So gern er es von innen her möchte, er bringt es nicht über sich.
Der Vater und er klammern die Blicke ineinander, nur für einen Augenblick. Da wird der Sägbauer von den Leuten umringt, jeder wünscht ihm Glück, im Hintergrund winkt auch ein Fest für alle, denn der Danner hat sich noch nie lumpen lassen. Er sagt auch: »Leut, das wird gefeiert. Heut mittag wird um viere Feierabend gemacht. Ihr könnt ja den Mittag kürzer halten. Die Fuhre für Offenburg muß unbedingt noch geladen werden. Der Heiner fahrt mit dem Vinzenz ab, wenn geladen ist.« Vinzenz ist ein taubstummer Fuhrmann, der schon beim alten Danner auf dem Hof war.
»Der Heiner fahrt?« Franz und Xaver schauen sich an. Da stimmt was nicht. Der Heiner hat auch 45 so gleichgültig getan. Der hat am End Angst, er käm im Erbteil zu kurz?
Der Heiner fährt. Es ist ihm recht. Er hat eine große Wut im Leib und weiß doch nicht, woher die stammt. Er kommt sich selber fremd vor in der eigenen Haut. Er ist stumm.
Der Vater ist mit dem Doktor Bachroth nach Oberspring gefahren, amtliche Dinge zu regeln, er will auch in seiner Unruhe nicht daheim bleiben. Es scheint fast, als scheue er sich, mit Heiner am Tisch zu sitzen. Die Pia fragt ein paarmal nach dem Burschen, ob er es wisse. Nein, lügt der Danner in seiner Not, der sei noch gar nicht auf dem Hof gewesen.
Unterwegs fragte ihn der Doktor: »Habt Ihr schon Paten, Sägbauer?«
Oha, daran hatten sie noch gar nicht gedacht! Hat ja noch Zeit!
Bachroth lachte: »Danner, ich trag mich an, das tät mir Spaß machen.«
»Gut«, schrie der Säger vor Freude, »und Ihre Tochter hebt den Schlingel über die Tauf', wenn's ihr nicht zu gering ist.«
Den Bachroth sticht's ein wenig wegen der jungen Leute Heiner und Barbara; aber ha, dachte er, was zusammen muß, rennt auch ohne uns zusammen, zudem darf man, da man sich antrug, die andere Anfrage nicht abschlagen.
»Ihr seid klug«, sagte er drum, »man gibt Euch den Finger, schon packt Ihr die ganze Hand. Die Barbara wird es sicherlich freuen.«
Der Severin Danner wurde ins Doktorhaus 46 gebeten, da kann er es der Barbara gleich ins Gesicht hinein sagen.
Zuerst kam die Frau Doktor hereingestochelt auf ihren modernen Schuhen, lachte geziert und gab dem großen Danner die Spitze des Mittelfingers zum Gruß. Der Danner machte seine Verbeugung gut wie ein Stadtherr.
Ist doch eigentlich noch ein ganz junger Kerl, dachte der Bachroth bei sich. Wie alt nur? Er rechnete nach: Mit neunzehn Jahren hat er der Pia zum Heiner verholfen, ist danach zum Militär, dann in den Krieg. Der Heiner ist siebzehn, der Severin Danner also nach Adam Riese siebenunddreißig Jahre alt, die Pia desgleichen.
Bachroth schenkte dem jungen Vater einen doppelten Kirsch ein; da merkte Severin erst, daß er noch nichts gegessen hatte. Er dachte bei sich: Na, auf den leeren Magen, das kann gut werden, bis es Abend ist. Barbara wurde jetzt gerufen. Sie kam in der weißen Ärmelschürze ins Zimmer; sie hatte sich schon fertig gemacht, dem Vater in der Sprechstunde zu helfen. Sie reichte ohne Verlegenheit dem Danner die Hand, der spürte sie, obschon es eine feine Mädchenhand war. Die läuft auch nicht mit Stöckelschuhen herum, stellte Danner fest, aber eine Frau, die der Pia auf dem Hof und in Stall und Stuben das Wasser reichen kann, gäb das nie. Der Luser soll nur die Finger von der lassen.
»Jungfer«, lärmte der Doktor Bachroth durch den Salon, »hohe Ehre trifft dich. Der Herr Danner meint, du sollst Patin bei seinem zweiten Jungen werden.« 47
»Ach«, sagte Barbara überrascht, »der Heiner hat einen Bruder bekommen?«
Sie faßte sich rasch, hielt dem Danner nochmals die Hand hin: »Alles Glück wünsch ich Ihnen, der Mutter und dem Bubele. Natürlich bin ich gern Patin, vielen Dank! Es soll Euch nicht gereuen. Und wer ist Pate?«
»Oh, der Vater? Der Heiner nicht?«
Sie zog ihre Hand zurück.
»Der Heiner«, gab Severin zur Antwort und lief unerwartet rot an, »der Heiner, scheint mir, gönnt dem Kind das Leben nicht. Der hat, bigott, ein finsteres Gesicht gemacht und kein Wort gefunden. Weiß nicht, was der Luser sich einbildet, der ist imstand und hängt 48 seiner eigenen Mutter das Maul an, weil sie niedergekommen ist.«
»Das wird doch nicht sein?« rief Barbara und schaute ihren Vater an.
Doktor Bachroth lachte dröhnend, klopfte dem Sägbauer auf die Schulter und meinte: »Der Heiner ist nicht uneben, Danner, nur in einem Alter, wo eins nicht weiß, wohin mit Händen und Füßen und mit dem unruhigen Blut, da wird halt auch das Gemüt verdrillt. Schämen tut sich eins da und weiß nicht worüber und meint, es sei zornmütig, wenn es halt doch nur irgendwo innen traurig ist. Schickt den Burschen in die Fremde, da vergeht ihm der Watz. Aber ich muß jetzt in die Werkstatt, Danner, wir reden morgen darüber, ich wüßt vielleicht einen Platz für den Heiner, im Tirolischen auf einem Sägbauerngut, das doppelt so groß ist wie die Dannersäge und ein Rebgut dazu.«
Die Frau Doktor gab Danner zwei Finger ihrer beringten Hand. Der stattliche Bauer mit den hellen, starken Augen gefiel ihr, sie blinkerte ihm ins Gesicht mit schmalen Lidern. Danner war kein stumpfer Mann, er dachte bei sich: Donnerwetter, die ist gerissen, und hielt ihrem Blick stand, er hatte ja auch einen starken Kirsch auf nüchternen Magen im Leib.
Wie einem Hochzeiter war ihm zumut, als er aus dem Doktorhaus auf die Mittagsstraße trat. Er ging in den »Bären« und aß erst einmal tüchtig. Grundlagen mußte er schon schaffen für heute. Danach reichte es gerade noch zum Pfarrer und aufs Postamt, ehe der Kurort Oberspring zu Tische ging und dann in den sanften Mittagsschlaf des schwer von Blumen und Obstdüften durchsüßten Spätsommertages verfiel. Er 49 sagte es keinem mehr, daß er vor wenigen Stunden Bubenvater geworden. Das hätte protzig ausgesehen, und er hatte auch keine Lust, auf jeden derben Scherz, der reifen Männern bei solchen Gelegenheiten über die Lippen sprang, einzugehen. So erhielt auch der Bärenwirt auf die Frage: »Und wie geht es Deinere?« nur die Antwort: »Ha, gut, gut.«
Es schlug ein Uhr, als der Danner rüstig die niederfallende Straße gewann, die nach Tiefenspring führte. Es war ihm ganz recht, daß er zu Fuß gehen konnte, dreiviertel Stunden, das beruhigte, und er konnte sich dabei mancherlei überlegen. Den Doktor würde er beim Wort nehmen. Der Heiner mußte fort. Es war bisher auch der Mariann gut bekommen, einmal nach anderer Leute Art und Weisung sich richten zu müssen. Tirol, das würde dem Burschen wahrscheinlich passen, ist weit fort, sind Berge haufengenug, da kann er seine Schneeschuh mitnehmen. Seltsam, dem Danner ist arg darum zu tun, daß der Heiner gern geht. Es soll nicht so aussehen, als ob er minderer geworden wäre. Plötzlich begriff der Danner seinen Ältesten. Es war ja auch ein Streich, mannbaren Kindern ein neues Geschwister ins Nest zu legen.
Jetzt dachte Danner an den Buben, Helmut sollte er heißen, und dabei fiel ihm endlich ein, daß er, ohne Pia zu fragen, die Patenschaft geregelt hatte. Bei so Wichtigem, Severin, fragt man doch erst die häusliche Schlüsselgewalt! Geschehen ist geschehen, der Paten brauchte sie sich nicht zu schämen.
Je näher er dem Tiefenspringer Dorf kam, um so lustiger wurde ihm zumut; er stieg sogar wie ein Schulbub auf den Birnbaumstamm, der im Graben 50 lag – ein Gewittersturm hatte ihn abgedreht –, und lief über ihn weg, ohne zu wanken. War er nicht stets ein guter Turner, ein Handläufer wie im Zirkus, ein großartiger Reiter auch gewesen. Hoppla, das Reiten, das könnte er sich eigentlich leisten! Der Bachroth ritt doch auch sonntags, wenn er Zeit hatte, um Oberspring herum und war Vorstand vom Reiterverein. Er lachte breit, auf was für neue Gedanken doch einer kommen kann, dem der Herrgott ein Glück in die Wiege legt. Nie hat Danner eine Niederkunft der Frau so wichtig genommen, auch die erste nicht; denn er war damals mit der Pia auf Tod und Leben schon einig. Er war stolz auf den Heiner und hat ihn nie verleugnet.
Seht den Danner-Severin, ein Mann im Glück!
Die Frau aus schlichtem Haus, Forstwart war ihr Vater, hat nie versagt. Wie hat sie die Zügel in die Hand genommen nach dem Tod der alten Dannerin. Niemand hätte dem »Menschle«, wie die gehässigen Klatschweiber zu einer ledigen Kindsmutter sagten, zugetraut, daß sie das große Hauswesen mit soviel Mäulern am Tisch und im Stall meistere. Es ging ganz glatt, nur wurde sie gar zu schnell warm im Dannerhof, der Severin lachte in sich hinein, gar zu schnell. Der Vater und er hatten ihren sicheren Willen bis in den kleinen Schlendrian hinein verspürt, den sie sich nach der blitzäugigen Hausmutter Tod geleistet hatten. Mittags befahlen sie guten Wein auf den Tisch, alle Tage Braten oder Schinken, auch Wild, auch eine fette Gans, es kam gar nicht so darauf an. Die Mägde ließen es sich und die Säger auch anmerken, daß kaum jemand über Fetthäfen und 51 Rauchfang wachte und die Schlüssel im großen Rocksack klingeln ließ, abgezogen vom Kirschwasserkeller, von den Obstkammern, vom Honigschrank, von der Kommode mit den Büchsen voll guten Kaffees und chinesischen Tees.
Da kam das junge Wesen ins Hau, die Pia Falk, des Forstwarts Tochter, mit ihrem ledigen Kind, das der Severin gleich beim Aufgebot ehelich gemacht hatte, und nach drei Tagen wußte jedes, wer Herrin im Haus war. Die Schlüssel blieben allerdings im Körbchen auf der Birnbaumkommode liegen. »Wer so streng verschließt, hat kein Vertrauen zu den Leuten im Haus. Der könnte sie alle entlassen; denn solche Leute werden in Gedanken unehrlich«, sagte Pia nachts zu ihrem Mann. »Ich hab' auch gedient und wäre beleidigt gewesen, hätte meine Herrin in Offenburg vor mir das Sach verschlossen. Ich will es soweit bringen, wenn ich alles selber weiß, wieviel da ist und wo es ist, daß keine Schublad und keine Tür verschlossen wird, der Schlüssel bleibt dann stecken.«
»Da wirst keine guten Erfahrungen sammeln«. brummte der Severin, »die sind nicht besser als der Alte und ich, denen du den guten Wein am Werktag abgesprochen hast.«
Sie lachte in das pfulmige Deckbett hinein und sagte nichts.
Heute stecken die Schlüssel längst, sann Severin weiter, kürzte den Weg ab und setzte mit einem flotten Sprung über einen Stangenhag, um durch die abgeöhmdeten Matten zu laufen. Die Säge lag bachüberwärts in aufsteigender Mulde. Wie um ein Herrengut sammelten sich abseits des langgestreckten 52 Säghauses die Häuser: das Leibding, das Backhaus, der Pferdestall, die Scheuer, das Wohnhaus mit dem Kuhstall, das Brennhäusle, das Stromhäusle. Selbsterzeuger zu sein, das war stets der Stolz der Danner; kein Kaiser konnte ihm dreinreden.
Der Severin ging rasch durch die Säge. Sie schafften noch mit sonntäglichen Gesichtern. Saubere Kerle, seine Leute; er nahm auch nicht jeden, der um Arbeit anhielt.
Auf dem Holzplatz räumten die Halbwüchsigen schon auf, legten Bretter ordentlich luftig. Aha, der Hurst überm Berg hat die versprochenen Tannenstämme angefahren. Wer war beim Fuhrwerk? Der Daniel, so?
Der Daniel Hurst erbt den großen, alten, reichen Hof in Helgenzell drüben. Es sind Verwandte der Pia, die Großmütter waren Schwestern. Herrschaft noch mal, heut ist der Dannerbauer nicht auf den Kopf gefallen, im Hinüberschreiten zum Haus kommt es in ihn, der Daniel wär bei Gott ein Mann für die Mariann. Der Daniel macht sicher deshalb die Fuhren in Danners Säge selber und läßt nicht mehr die Fuhrleut allein fahren. Der Daniel Hurst! Das muß man in guter Stunde der Pia beibringen, die Weiber wissen es ohnedies besser als die Männer, wie man Ehen stiftet. Der Daniel Hurst – richtig, richtig! Schade, daß er schon wieder abgefahren ist.
Die Mariann sollte morgen kommen. Er rief in Straßburg an. Die Jungfer machte vor Freude mit der Stimme rechte Purzelbäume. Christina Onemus hat es vor drei Wochen mit einem Buben hingelegt. Die drallen Basen und ihr schlanker, flotter Vater sind außer Rand und Band. Mit stolzen Worten 53 hat es in die Zeitung müssen: ein Sohn Fortunat. Patenleute waren Heiner und Marianne. Zu gleicher Zeit hat ein orientalischer König im Geschäft Onemus große Einkäufe gemacht. Ist das nicht ein bißchen viel auf einmal?
Glück über den Familien Onemus und Danner!
Es tut Severin eigentlich leid. daß er den Heiner fortgeschickt hat; er will nur frohe Gesichter sehen, warum auch nicht?
Die Pia liegt blaß und schmal in den Kissen und fragt Severin: »Bist du auch schon in der Kapelle gewesen, Mann?«
»Ach wo, wann denn?« Er hat müssen allerlei besorgen.
»Und wer ist Pate, Pia, Pate und Patin von Helmut, dem Schlingel? Der Doktor Bachroth und sein Fräulein Tochter Barbara!«
»Ja wollen denn die, Severin?«
»Der Bachroth hat förmlich darauf gewartet. Ich weiß, ich hätte dich fragen sollen, Kindbetteri, aber es hat sich auf dem Weg nach Oberspring so ergeben. Wir dürfen auch froh sein, nicht wahr?«
»Ja schon«, sagte Pia, und es war ihr auch recht. Das würde dem Heiner Freude machen, dachte sie.
»Wo ist der Heiner denn, Mann?«
»Ach, der mußte schnell mit der Offenburger Fuhre ab. Besser, er geht, der Vinzenz ist dabei, als einer von den andern, die warten doch nur auf den Glückwunschtrunk.«
Pia war unendlich müde, dennoch fühlte sie ganz genau, daß etwas mit Heiner und dem Mann nicht stimmte. 54
Severin sah zum Kind hinein ins Wiegenbett. Einen roten Kopf hatte der Strolch wie ein Zinser. Aber das roch so weichlich sauer. Severin hatte bei allen Kindern diesen Geruch in die Nase bekommen, und ihm war dabei oft fast schlecht geworden. Nichts für Männer.
»Ich geh jetzt in die Kapell, Pia, wie Ihr es befehlet, ganz ergebenster Diener und dankbarer Hausvater.«
Lachend und laut verließ er die von einer zarten Spätmittagssonne verklärte Stube. Er ging wirklich in die Kapelle ob dem Dannerhof, die ein frommer Vorfahr um 1700 gebaut hatte, weil ein Blitzschlag so nahe neben ihm niedergegangen war, daß er ihm die Sense aus der Hand gerissen, ihn aber aus dem Streich gelassen hatte, wie einen Gefeiten. Zu Gottes Wohlgefallen errichtete er die Kapelle. Auf dem First saß im hölzernen Dachreiterchen eine kleine Glocke, gegossen in Ulm. Sie beierte beim Läuten: Noi, noi, noi! Sie schwäbelt halt, sagten die Bauern ringsum, wenn sie die Stimme hörten, die Freude und Leid der Familie Danner über Tal und Hügel hinweg verkündete.
Zur Mittagszeit, wenn viele Leute draußen auf den Feldern oder droben im Wald waren, läutete die Glocke noi, noi, noi – noi, noi, noi – noi, noi, noi, und es klang den Hungrigen wie nein, nein, nein, das heißt hinein in die Stub zum Essen. Und keiner zauderte, die Frau hielt auf Pünktlichkeit wie ein General. Gut so; denn was das Essen anbetrifft, da konnte eine Frau nicht pünktlich genug sein. Wenn ein Lehrbub trödelte, weil diese Luser immer etwas anderes 55 im Kopf haben, was sie noch schnell machen wollen, wurde er von der Frau einmal gehörig an den Ohren gezobbelt, und dann war es nie mehr nötig. Die großen, lichten Augen der Dannerbäuerin wurden auch so dunkel und gebieterisch, wenn man in ihrer Ordnung etwas störte. Es ist ja wahr, ein Rädlein, das falsch läuft oder ungleichmäßig, stört das ganze Getriebe, und wo wäre Frau Pia hingekommen, wenn jeder von den vielen eigensinnigen Männern, die der Sägbauernhof untertags beherbergte, nach seiner Laune sich betätigt hätte? Dann wäre sie halt genau so abgeschafft wie viele Frauen weitum, mit vierzig Jahren eine Vogelscheuche in schlampenden Röcken, mit Runzeln im Gesicht und rotgeränderten Augen. Das wollte Pia nicht, sie hielt auf sich, damit Danners Augen nicht anderswo ihr Wohlgefallen suchten. Die Danner waren darin um kein Haar besser als andere vollblütige Männer, eher um ein paar Grad schleckiger.
Die Pia sah noch jung aus und hielt auch bei der Arbeit auf ordentliche Kleidung. Nachts bürstete sie ihr reiches, hellbraunes Haar, daß es durch die Stube knisterte und der Mann, schon im Bett, zu ihr herüberrief: »Mach 's Licht aus, du hast eigene Elektrizität. Wenn du im Mittelalter gelebt hättest, dich hätten sie gewiß als Hexe verbronnen, genau wie die Dannerin dazumals, die sie auf dem Marktplatz zu Oberspring haben brennen lassen.«
Zwei Dannerinnen hatte der Irrwahn den Folterknechten überliefert, die Euphrosina Danner war dabei den Knechten tot in den Händen geblieben. Heute machten sie Witze über diese furchtbaren Schicksale im Dannerschen Sippenreigen. Die Mütter – diese 56 Mütter, wie mußten sie büßen, daß sie schöne, stolze Frauen waren, beide noch jung. Die Chronik berichtete genau davon, und gebrochene Dannermänner hatten es in die alten Papiere geschrieben, knapp und scheu. Beide waren Gerichtsschöffen der Talgemeinde gewesen.
Die Pia sann mancherlei im Bett. Die rastlose Frau empfand das Liegen so Tag für Tag eigentlich als gütige Gabe. Neckte der Mann auch nur, leise Ungeduld am vierten Tag doch schon in der Stimme: »Na, du in deinem Sanatorium, du willst wohl Hände bekommen wie ein Kinostar? Hast dich aus dem öffentlichen Leben wohl ganz zurückgezogen?«
Sie lächelte und sprach lautlos in sich hinein: »Ach, Mann, es ist auch mal schön, wenn man sich selber spürt und nicht immer nur andere.« Sie hatte zuweilen so eigenartige Gedanken. Es fiel ihr manchmal schwer, immer getrieben zu sein, immer getrieben und immer treiben zu müssen; aber das währte nur kurz, dann packte sie die Freude am Umtrieb, und sie fuhrwerkte um so tüchtiger in Haus und Hof herum.
Die Mariann war da. Was für ein besonderes Ding war die geworden, fülliger und größer, gelassen fast im Tun! Sie sorgte für die Mutter, badete das Büblein, zeigte mit kleiner Eitelkeit, was sie in der Fremde gelernt hatte, und die Mutter hörte es im Bett. Sie befahl und trieb wie die Mutter selber, und war, ohne es zu wissen, schon getrieben von allem, was sie zu treiben glaubte.
Mariann war in den Schultern größer und breiter geworden als die Mutter, sie schlug deutlich ins Danner-Geschlecht. Der Severin schaute auch stolz auf 57 sie. Den Plan mit dem Daniel Hurst vergaß er aber zu keiner Stunde.
Mariann sah gleich, daß der Vater mittags Wein vom besten auf dem Tisch hatte. Sie dachte daran, daß die Mutter als junge Frau diesen Luxus abzustellen wußte.
Der Heiner – weiß der Himmel, was dem fehlte! – saß blaß am Tisch: aber zum Wein langte auch er hin, ein wenig zuviel sogar.
Mariann sollte anderntags wieder Wein aus dem Keller holen. Sie brachte aber Most und sagte mit verschmitztem Lächeln dem Vater kerzengrad ins Gesicht: »Es könnte sein, daß die Mutter morgen aufsteht, und sie soll sich nicht ärgern. Ist ja auch nicht nötig, das Beste am Werktag, was soll man denn am Sonntag Besonderes hinstellen?«
Der Severin war sprachlos. Er erhob sich vom Tisch, trat ganz nahe vor die kecke Tochter hin und sagte: »So, so, jetzt führen wohl zwei Weiber das Oberkommando? Was getrunken wird, bestimm ich, nicht du, du Rotznas'«, langte den Rock vom Haken, krachte die Tür hinter sich zu und lief mit wuchtig dröhnenden Schritten vom Essen weg. Die Leute grinsten, der Vetter Franz sagte: »Was denkst auch, du darfst doch dem Vater nicht dreinreden!«
»Was denkst auch?« fragte als Widerhall der Xaver Runz.
Der Heiner aber lächelte fein um den schmalen Mund und sah die Schwester nur aus halbgeschlossenen Augen an, halb spöttisch, halb zustimmend: Herrschaft, die nimmt's mit dem Alten auf!
Schweigend aßen sie dann, es wollte jedoch keinem 58 recht schmecken. Den Mostkrug rührte keiner an, nicht einmal der Hirtenbub. Sie fanden alle, daß die Mariann sich zuviel herausgenommen hatte. Der schmale, sehnige Säger Großferdi, der schon zwanzig Jahre in Danners Sägewerk war, meinte sogar, während sie wieder der Arbeit zugingen: »Ich an Danner seiner Stell hätt' sie, so groß und tüchtig sie ist, hinausgeworfen.«
Nachts erst sagte der Mann der Frau, was los gewesen, warum die Mariann mit verheultem Gesicht herumgelaufen sei und die Magd Anna so scheu geguckt habe, als sie die Schlafkammer sauber machte. Pia hatte keines fragen wollen, sie wußte, der Danner würde schon reden. Sie fand auch, daß Mariann ein wenig zu stark ins Zeug gegangen sei, aber der Vater hätte ihr tüchtig nachher die Meinung sagen müssen, nicht einfach fortrennen und den Platz im jähen Zorn räumen.
»Du hast gut raten, Pia, mir hat's in der Hand gejuckt, ihr eine Gehörige zu wischen, aber wie ich so nah vor der gestanden bin, Aug in Aug, die ist ja jetzt so groß wie unsereiner, da war mir, als schau ich in mein eigen Gesicht, und ins eigene Gesicht hab' ich nicht hauen können, das ist alles. Ihr Weiber macht den stärksten Mann zum Waschlappen, pfui Deufel!«
Der Bub greinte ein bissel, da seufzte der Severin erleichtert auf: »Gottlob, jetzt sind wir drei Männer im Haus, also im Übergewicht.«
Das klang so merkwürdig, daß Pia hell hinauslachte. Es war im stillen Haus bis unters Dach zu hören. 59
Mariann in ihrer Kammer dachte: Hei, die Mutter ist lustig, und schlief nach soviel Tränen erleichtert ein.
Der Heiner saß noch draußen auf einem Bretterlager und starrte in die Nacht. Der Vater hatte ihm gestern gesagt, er komme für einige Zeit fort nach Tirol zu einem großen Bauern und Säger. Der Bauer habe auch Reben. Es wär besser, der Heiner würde sich dort mehr im Bauerngeschäft umtun als in der Sägerei. Die habe er in Danners Säge tüchtig gelernt, er brauche sich draußen nicht zu schämen. Halb war es dem Heiner recht, in die Fremde zu dürfen, halb auch nicht. Immer fühlte er in letzter Zeit alles mit zwei Seiten, das riß ihn hin und her.
Zuletzt, als er den Plan durchsonnen hatte bis ins kleinste, schien es ihm günstig, daß er am Sonntag, wenn die Taufe war, der Barbara Bachroth ganz ruhig hinsagen konnte: Nächstens reise ich ja nach Tirol, die Gutswirtschaft zu studieren.
Oh, was für ein feiner Herr! würde sie dann denken.
Vielleicht sagte sie auch: Oh, schade, da sehen wir uns lange nicht mehr. Wollen wir noch einmal auf die Hornisgrinde miteinander?
Ja, würde dann in aller Ruhe der Heiner Danner sagen, wir fahren mit dem Motorrad hinauf, wenn Sie gern wollen, es ist ein guter Sitz hinten; denn der Vater hatte ihm ein Motorrad versprochen. Der Tiroler schrieb nämlich in einem Brief: Auch wär es nicht schlecht, wenn der junge Mann ein Motorrad mitbekäme, unsere Unternehmen sind weitläufig.
Da würde ein Danner sich nicht lumpen lassen.
Auch Heiner hörte die Mutter lachen. Ein warmer Quell bespülte sein Herz. Niemand, am wenigsten der 60 Vater sollte ahnen, daß der Heiner den prachtvollen Feldblumenstrauß in der Nacht nach der Geburt des Helmut auf das Fenstersims geschwungen hatte. Die Mutter hatte es sofort gewußt und hatte zum Fenster hinaus, an das sie sich bald mittags auf ein Stündchen setzte, leise mit dem störrischen Heiner darüber gesprochen. Sie verstand den Buben gut, er war ein Danner und ein Falk zugleich, als Danner stolz und innen sehr weich, als Falk eigensinnig, wild und verschlossen, wie es der Forstwart gewesen. Obschon Pia nichts von Heiners Huldigung verriet, wußte auch Danner Bescheid, als er den Strauß sah.