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Bald bequem auf Tantors breitem Rücken, bald in Schwung und Sprung auf halber Höhe der Bäume dahingleitend drang Korak langsam nach Südwesten vor. Er nahm sich Zeit. Ein paar Meilen mehr oder weniger täglich, das machte ja nichts aus. Er hatte noch ein ganzes langes Leben hier vor sich und brauchte nichts zu versäumen. Vielleicht würde er aber schließlich doch ein schärferes Tempo angeschlagen haben, hätte er sich nicht im stillen gesagt, daß er sich mit jeder Meile zweifellos immer weiter und weiter von Meriem entfernte. Und wenn auch nicht mehr von seiner Meriem, da ihr Herz nun doch einem anderen gehörte, dann aber wenigstens von der lieben Meriem, die einst seine treue Gefährtin gewesen war.
So kam er denn der Bande des Scheichs auf die Spur, als sie an dem großen Strom entlang zog. Korak wußte ganz genau, daß der Scheich nicht mehr weit sein konnte; er kannte die ganze Gesellschaft genau wie alle, die seit Jahren ab und zu die Dschungel durchquerten. Aber diesmal wollte er mit dem alten Scheich nichts zu tun haben. Mochte er machen, was er wollte. Ihm war es am liebsten, wenn ihm jetzt Menschen überhaupt nicht in den Weg liefen. Er hatte genug von der Sorte. Sie brachten ihm doch nur Sorgen und trübe Stunden – und er wollte sich die Laune nicht wieder von ihnen verderben lassen.
Der Strom da lockte ihn anders. Hier gab es Fische in Fülle. Und so vertrödelte er gleich einen ganzen langen Nachmittag am Ufer, fing sich die flinken, glatten Kerle nach einer von ihm selbst erfundenen Methode und verspeiste sie gleich roh. Als die Nacht ihre Schatten herabsenkte, verkroch er sich ein wenig höher hinauf in seinen Baum, von dem aus er am Nachmittag »geangelt« hatte, und schlief bald ein. Numas Gebrüll scheuchte ihn nach ein paar Stunden indessen wieder auf.
Eben wollte Korak höhnend und schmähend über den unverschämten Störenfried herfallen, als ein neues Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er horchte gespannt. Machte sich da nicht jemand an seinem Baum etwas zu schaffen? Er beugte sich nach unten. Richtig, hier wollte jemand klettern. Er hörte, wie plötzlich ein Krokodil unten aus den Fluten heraustauchte, wie die Kinnladen des Wasserungetüms scharf aufeinanderknackten – und dann: Halloh ... das Vieh hätte mich beinahe gepackt!
Er griff sich an den Kopf. Die Stimme kam ihm so bekannt vor. Er strengte seine Augen an, um sich ein klares Bild zu machen, was da unten eigentlich los war. Schwach nur hob sich die Silhouette eines Mannes gegen die im Vergleich zum Dunkel ringsum doch etwas hellere Wasserfläche ab. Er hörte, wie sich der Mann verzweifelt zu mühen schien, auf den Ast zu kommen. Langsam und leise glitt Korak hinab. Sein Fuß spürte eine Hand ... kalt ... fast starr. Blitzschnell beugte sich Korak nieder und hob den Mann zu sich nach oben. Daß dieser sich auch noch dagegen sträubte! Viel Kraft schien er freilich nicht mehr zu haben, der arme Kerl. Mochte er sich ruhig winden und krümmen wie ein Wurm. Was tat das einem Korak? Als ob sich Tantor um das Zappeln einer Ameise kümmerte!
Er trug seine widerspenstige Last gleichsam spielend hinauf zu der breiten bequemen Astgabel, auf der er vorhin so schön geruht hatte, und lehnte den Mann dann mit dem Rücken an den dicken Stamm. Inzwischen hatte sich Numa schon wieder gemeldet.
Aha, der alte Freund war nicht entzückt, daß man ihm die lang ersehnte Mahlzeit vor der Nase weggeschnappt hatte! Korak überschüttete ihn mit den schmeichelhaftesten Schmähungen, die die Affensprache für Numa kannte.
Alter grünäugiger Aasfresser du! höhnte Korak. Du Hyäne, du Bruder des Dango ... schere dich fort oder ...
Mr. Morison Baynes hatte sofort den Eindruck, daß er einem Gorilla zum Opfer gefallen sein mußte. Er zog den Revolver vorsichtig aus dem Leibgurt ... Komme, was da wolle, der Gorilla sollte sich verrechnet haben. Doch da hörte er deutlich, wie der Gorilla auf einmal in vollendetem Englisch fragte, wer er sei.
Baynes wäre vor Freude beinahe abgestürzt. Seine Hände klammerten sich zitternd an die Astgabel. Sie sind also ... ein Mensch ...? stieß er stockend hervor, als würge ihn etwas im Halse.
Was dachten Sie denn? gab Korak rasch zurück.
Ein Gorilla. Wahrhaftig: ein Gorilla!
Korak lachte laut auf. Na, wer sind Sie nun, Sie komischer Mensch?
Ich bin ein Engländer. Baynes mein Name. Aber wer zum Teufel sind Sie?
Man nennt mich den »Töter«, erwiderte Korak und gebrauchte dabei die englische Übersetzung des stolzen Namens, den Akut ihm verliehen hatte. Nach einer längeren Pause, in der Mister Morison vergeblich versucht hatte, den seltsamen Fremdling, dem er nun fast auf Gnade und Ungnade ausgeliefert schien, näher zu mustern, fuhr Korak fort:
Sie sind derselbe Herr, den ich schon einmal drüben im Osten nicht weit von der großen Ebene gesehen habe. Es war Nacht. Aus einer Lichtung. Entsinnen Sie sich? Sie küßten ein Mädchen ... und dann sprang der Löwe?
Stimmt, gab Baynes zurück.
Was führt Sie hierher?
Das Mädchen ist mir geraubt worden ... Ich hoffe, sie noch zu befreien.
Geraubt! Das Wort schoß aus Koraks Kehle wie eine Kugel, die aus dem Gewehrlauf zischt. Wer hat sie geraubt? Wer? Der Schwede Hanson. Ein Händler oder so etwas Ähnliches. Wer ist dieser Hanson? Hanson ... Hanson ...? Kenne ich nicht.
Baynes eröffnete Korak alles, was er über Hanson gehört und was er erlebt hatte, seit er mit ihm in dessen Lager geritten war.
Und als der Morgen graute, kam die Stunde, die Korak zur Tat rief. Er bettete den Engländer noch bequem auf der Astgabel, holte ihm in seiner Feldflasche frisches Wasser aus dem Strom und brachte ihm Früchte in Hülle und Fülle.
Leben Sie wohl! meinte Korak schließlich und reichte Baynes die Hand. Ich gehe jetzt sofort nach dem Lager und sehe zu, daß ich das Mädchen befreie. Wir kommen dann hierher.
Halt, da will ich mit! warf Baynes ein und richtete sich halb auf. Das ist doch meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ist auch mein Recht, denn Meriem soll ja meine Frau werden. Korak drückte Baynes sanft auf sein Blätterlager nieder. Schonen Sie sich! Sie sind verwundet! Den Marsch können Sie gar nicht aushalten, ganz abgesehen davon, daß ich zehnmal schneller dort bin.
Gut, dann gehen Sie nur immer! erwiderte Baynes. Aber ich komme bestimmt nach; das ist selbstverständlich meine Pflicht. Wie Sie wollen! sagte Korak noch und zuckte die Achseln. Was ging es ihn weiter an, wenn der Mann es sich durchaus in den Kopf gesetzt hatte, sich kaputt zu machen? Liebte Meriem diesen Baynes tatsächlich, dann mußte er in ihrem Interesse dafür sorgen, daß der Verwundete sich nicht zu viel zumutete. Und das hatte er in selbstloser Weise getan. Er hatte ihn eindringlich vor dem Marsche gewarnt. Kam dieser Baynes nun doch nach, mußte er die Folgen für seine Gesundheit vor sich und seiner Geliebten selbst verantworten.
Korak wandte sich also rasch nach Norden. Kaum war er im Dickicht entschwunden, als auch Baynes sich aufmachte. Er kam natürlich nur langsam vorwärts, humpelte wie ein gebrochener Greis und hatte viele Schmerzen auszustehen. Als Korak schon am Ufer gegenüber dem Lager Malbihns anlangte, hatte Baynes kaum zwei Meilen hinter sich.
Es war schon spät am Nachmittag, als der Engländer, der vor lauter Mattigkeit ab und zu erschöpft im Gras niedersank, um erst einmal wieder zu verschnaufen, einen Reiter im Galopp herannahen hörte. Er verkroch sich augenblicklich im dichten Unterholz und ließ den einsamen Reitersmann vorbeirasen, ohne sich durch Zuruf bemerkbar zu machen. Es war ein Araber in der typischen weißen Kleidung. Baynes hatte genug von den zweifelhaften Elementen gehört, die von der Wüste her weitgreifend nach Süden die Wildnis durchstreiften. Eine Giftschlange oder ein Leopard konnten nicht gefährlicher werden als diese Hyänensöhne aus dem Norden.
Der Reiter war Abdul Kamak. Als er nordwärts im Walde untergetaucht war, nahm Baynes alsbald seinen Marsch wieder auf. Doch schon nach einer halben Stunde vernahm er von rückwärts abermals Pferdegetrappel, doch klang es so, als käme jetzt ein ganzer Trupp herangaloppiert. Sich nur ja nicht sehen lassen, war sein erster Gedanke. Er kreuzte gerade eine Lichtung. Hier durfte er auf keinen Fall bleiben. Allen Schmerzen zum Trotz mußte er ein paar Sprünge wagen, so gut es eben ging. Sonst war er verloren. Doch schon nach den ersten paar Metern versagten die Beine den Dienst. Er hatte seine Kräfte überschätzt, und noch ehe er den Dschungelsaum drüben erreichen konnte, sprengten weißgewandete Reiter über die Lichtung.
Sie hatten ihn sofort bemerkt und schrien ihm auf Arabisch etwas Unverständliches zu. Im Handumdrehen hatten sie ihn umzingelt und überschütteten ihn mit Fragen, die er ebensowenig beantworten konnte, wie sie mit seinem Englisch etwas anzufangen wußten. Aus ihren drohenden Gesten war jedoch zu schließen, daß man nicht lange zu verhandeln gedachte. Der Führer verlor jedenfalls bereits nach wenigen Minuten die Geduld und bestimmte zwei Leute, die den verdächtigen Fremdling entwaffneten. Der eine hob Baynes ohne viel Federlesen auf sein Pferd, und dann ritten die beiden mit ihm in südlicher Richtung zurück, während der Hauptteil des Arabertrupps die Verfolgung Abdul Kamaks wieder aufnahm.
*
Als Korak vom Ufer des Afi aus Malbihns Lager auf der anderen Seite des Stromes erblickte, als er sah, daß drüben reges Leben und Treiben herrschte, atmete er erst einmal ordentlich auf. Dieser Hanson war also zweifellos noch da.
Eine andere Frage erhob sich freilich sogleich: Wie sollte er jetzt über den Strom kommen?
Schwimmen? Er sagte sich, daß damit das Gelingen seines Planes von vornherein vereitelt werden mußte. Der Tod lauerte in den Wassern; Korak hatte seine Erfahrungen.
Ein paar Minuten saß er nachdenklich hinter dem Ufergestrüpp. Dann schien er die Lösung gefunden zu haben. Er sprang auf und eilte in die Dschungel zurück. Ab und zu rief er schrill und laut, dann blieb er wieder einmal stehen und horchte, ob nicht aus den unergründlichen Tiefen das Echo zurückhallte, das allein auf diesen Lockruf antworten konnte. Doch vergeblich. Immer weiter und weiter mußte er vordringen. Wie lange nur noch? Seine Stirn zog sich in Falten.
Endlich kam Antwort. Der Elefant hatte ihn also doch gehört! Wie er trompetete! Als sei es ihm selber unangenehm, daß er so lange hatte auf sich warten lassen. Korak brach in ein paar raschen Sätzen durch den Blätterwall, der ihn noch von Tantor trennte. Da war er ja, der alte Freund. Wie er den Rüssel hochschwang, und wie seine großen Ohren sich spreizten!
Nun aber schnell, Tantor! rief der Affenmensch. Der Koloß wand seinen Rüssel um Koraks Lenden und hob ihn auf seinen Nacken.
Spute dich! Und der gewaltige Dickhäuter trottete los, von Koraks nackten Füßen gelenkt. Korak hielt sich nach Nordwesten, denn er wußte dort etwa ein bis zwei Meilen oberhalb von Malbihns Lager eine Furt durch den Afi, die wenigstens für Elefanten gangbar war. Einmal am Ufer angekommen, duldete der Affenmensch keinen Aufschub mehr. Tantor mußte sofort ins Wasser, ob er gerade Lust hatte oder nicht. Und Tantor tat ihm den Gefallen. Er hob seinen Rüssel und watete langsam, aber mit vollendeter Sicherheit durch die Fluten. Einmal schoß zwar ein wütendes Krokodil dicht vor ihm aus seinem Wassernest hervor, doch Tantor bewahrte von jeher bei solchen Angriffen die Ruhe. Schwapp – und sein Rüssel sauste auf das heimtückische Wasserungetüm. Im Nu hatte er den richtigen Griff und schleuderte den unverschämten Wegelagerer in großem Bogen heftig beiseite, daß er erst etwa dreißig Meter stromabwärts wieder ins Wasser plumpste. Und so gelangte Korak trockenen Fußes »hoch zu Roß« ans andere Ufer.
Drüben ging es sofort unentwegt weiter. Nur den größeren Bäumen wich Tantor aus, wie er sich jetzt dröhnenden Schritts und leicht schwankend gleichsam durch die Dschungel wälzte. Von Zeit zu Zeit mußte Korak zu Fuß auf halber Höhe der Bäume weiterklettern, weil Tantor sich oft so dicht unter den knorrigen Riesenästen hindurchdrängte, daß Korak glatt heruntergefegt worden wäre.
Endlich hatte man die Lichtung mit dem Lager des Schweden erreicht, doch auch jetzt wurde nicht lange gezögert, überraschen hieß gewinnen. Das Lagertor befand sich an der Ostseite. Tantor und Korak kamen von Norden her – und dort war keinerlei Eingang festzustellen. Doch was kümmerten sich Tantor und Korak um Tore oder dergleichen? Das Tor war überall, wo sie es haben wollten.
Der Affenmensch rief Tantor etwas ins Ohr. Der Riese schwenkte zur Bestätigung seinen Rüssel hoch nach oben und brach in stampfendem Tritt durch den Dornenwall, als sei dieser überhaupt nicht dagewesen. Etwa ein Dutzend Schwarze, die vor ihren Hütten hockten, fuhren entsetzt auf und rannten mit Angstgeschrei durch das offene Tor davon. Tantor wäre ihnen am liebsten nachgestürzt, denn er haßte die Menschen und dachte, Korak hätte es auf diese Eingeborenen abgesehen. Der Affenmensch beschwichtigte ihn indessen und lenkte ihn nach dem Leinenzelt in der Mitte des Lagers. Dort würde dieser »Hanson« und das Mädchen zweifellos zu finden sein.
Malbihn lag in seiner Hängematte vor seinem Zelt unter einer aufgespannten Zeltbahn. Seine Wunden hatten ihn arg geschwächt; er hatte viel Blut verloren und bedurfte sorgfältiger Pflege. Was war das? Er hörte, wie seine Leute mit einem Male schreiend und kreischend davonstoben ... Er drehte sich unter Schmerzen auf die andere Seite ... Ein wilder Elefant hier?
Leichenblaß ließ er sich auf das Kissen zurücksinken. Der Pfleger, der ihn ohnehin nur widerwillig versorgte, stürzte seinen Kameraden nach. Malbihn war allein. Er fühlte, daß er rettungslos dem Tode geweiht war.
Näher und immer näher kam der Koloß – und Malbihn konnte nichts anderes, als starr vor Entsetzen sein Schicksal erwarten, das in dem mächtigen Hirn und hinter den kleinen, blutgeränderten Augen des wütenden Dickhäuters sicher bereits beschlossene Sache war.
Er war begreiflicherweise über die Maßen erstaunt, als mit einem Male ein Mann hinter dem Elefanten austauchte und rasch auf ihn zuschritt. Erst wollte er erleichtert aufatmen, denn vielleicht gelang es dem Fremden, ihn vor dem Verderben zu retten; doch im nächsten Augenblick erkannte er auch schon in ihm den unheimlichen »Jäger«, der mit Affen und Pavianen die Dschungel durchstreifte, denselben weißen »Krieger«, der damals den Paviankönig befreit und ihm und Jenssen die ganze teuflische Pavianherde auf den Hals gejagt hatte. Malbihn krümmte sich stöhnend auf seinem Lager.
Wo steckt das Mädchen? fragte Korak auf Englisch.
Was für ein Mädchen? Ich wüßte nicht, daß wir ein Mädchen hier hätten. Oder wollen Sie etwa eines der schwarzen Weiber meiner Leute?
Nein, ich suche das weiße Mädchen, gab Korak barsch zurück. Lügen können Sie sich sparen, Verehrtester! Sie haben das Mädchen hier, denn Sie selber haben es ja aus den Armen seiner Freunde weggelockt. Wo steckt es? Wird's bald?
Wie soll ich das wissen! fuhr Malbihn auf. Ein Engländer hatte mich beauftragt, sie zu entführen, weil er es nicht wagte. Er wollte sie dann mit zu sich nach London nehmen. Sie war schließlich auch bereit, ihm zu folgen. Der Herr heißt Baynes. Wenden Sie sich also bitte mit Ihren Wünschen dorthin!
Schon gut! Ich komme nämlich gerade von ihm. Verstanden? Er schickt mich hierher. Vielleicht bequemen Sie sich nun zur Wahrheit und lassen das Schwindeln sein. Also, wo haben Sie das Mädchen? Korak trat mit unmißverständlicher Gebärde einen Schritt näher. Malbihn zuckte zusammen. Er sah die Gewitterwolke auf Koraks Stirn.
So will ich Ihnen alles anvertrauen, jammerte Malbihn. Lassen Sie mich armen, geplagten Menschen nur in Ruhe! Ich verschweige Ihnen dann gewiß nichts. Also hören Sie! Das Mädchen war hier, das kann ich nicht leugnen. Baynes hatte sie mit allerlei schönen Reden soweit gebracht, daß sie ihren Freunden den Rücken kehrte, weil er versprach, sie zu heiraten. Dieser Baynes weiß aber überhaupt nicht, wer das Mädchen ist und woher sie stammt. Ich dagegen kann Ihnen verraten, daß der eine Riesenbelohnung erhält, der sie zu ihren Eltern zurückbringt. Sehen Sie, das war alles, was ich mit dem Mädchen vorhatte. Sie ist mir aber wieder fortgelaufen. Nahm sich heimlich ein Boot ... und verschwand dann da drüben in den Wäldern. Natürlich bin ich ihr sofort nach, denn das war doch Wahnsinn, so allein davonzulaufen. Und das Unglück will, daß ich zu spät komme! Der Scheich muß drüben auf der Lauer gelegen haben. Ich sah noch, daß man sie gefangen hatte, dann griffen die Kerle uns an und jagten uns hierher zurück. Das Trauerspiel war aber noch nicht zu Ende. Baynes erschien mit einem Male. Wahrscheinlich aus Wut darüber, daß er das Mädchen hergeben mußte, hat er mich so zugerichtet. Da ... sehen Sie! Eine elende Schießerei war das gestern. Wenn Sie das Mädchen für sich begehren, rate ich Ihnen also, sich mit dem Scheich in Verbindung zu setzen. Seit früher Jugend ist sie seine Pflegetochter. Er hat jetzt allein über sie zu verfügen.
Dann ist sie also gar nicht einmal die Tochter des Scheichs? forschte Korak, verblüfft durch die unerwartete Eröffnung des Schweden.
Gar nicht daran zu denken! bestätigte Malbihn sofort.
Wer ist sie dann? fragte Korak freundlicher.
Malbihn fühlte, daß er jetzt einen Vorteil in die Hand bekam, den er wenigstens so ausnützen mußte, daß er mit heiler Haut davonkam; denn er war überzeugt, daß dieser wilde Affenmensch ihn, ohne sich Gewissensbisse zu machen, einfach vernichten würde, wenn er ihm nicht aus der Klemme half. Ein guter Rat könnte ihm vielleicht das Leben retten.
Wenn Sie das Mädchen finden, will ich Sie in alles Nähere einweihen, begann Malbihn mit gewichtiger Stimme. Sie müssen mir aber versprechen, mich zu schonen und die bewußte Belohnung mit mir zu teilen. Tun Sie mir etwas an, erfahren Sie das Geheimnis nie. Nur der Scheich weiß noch Bescheid ... und aus dem werden Sie niemals etwas über die Vergangenheit seiner Pflegetochter herausbringen. Das Mädchen selbst hat keine Ahnung, wo sie eigentlich herstammt.
Abgemacht. Haben Sie nicht gelogen, will ich Sie laufen lassen. Ich wende mich jetzt sofort zum Scheich. Er wird sich vermutlich in seinem Dorfe aufhalten. Finde ich das Mädchen nicht dort, komme ich wieder und Sie dürfen sich dann auf etwas gefaßt machen! Was den zweiten Punkt anlangt, so werden wir, sofern das Mädchen einwilligt, schon Mittel und Wege finden, Sie gesprächiger zu machen, mein verehrter Herr.
Der Blick des Töters bei den Worten »Mittel und Wege finden« zusammen mit dem eigenartigen Unterton in seiner Stimme kam Malbihn nicht gerade verheißungsvoll vor. Gelang es ihm nicht, sich in der Abwesenheit des Affenmenschen ganz aus dem Staube zu machen, konnte es passieren, daß dieser Teufelskerl ihm das Geheimnis abzwang und ihn dafür noch ins Jenseits beförderte, ohne daß er selbst einen Finger zu rühren vermochte. Wenn er dann wenigstens diesen Affenmenschen gleich auch daran glauben lassen könnte!
Zunächst war freilich die Hauptsache, daß der Fremde diesen Elefantenkoloß, der anscheinend auch zu seinen wilden Duzfreunden gehörte, auf die Reise nach dem Dorfe des Scheichs mitnahm.
Die kleinen bösen Augen des Dickhäuters folgten nämlich jeder Bewegung Malbihns mit einem Mißtrauen, das – abgesehen von dem leichten Hin- und Herschwanken des Riesenleibes – den so schon überreizten Schweden nur noch nervöser machte.
Korak war in das Zelt gegangen, um sich davon zu überzeugen, daß Meriem wirklich nicht dort versteckt gehalten wurde. Kaum merkte Tantor, daß er mit Malbihn allein war, stapfte er einen Schritt näher, anscheinend, um sich über irgend etwas zu vergewissern, was ihm an dem Mann in der Hängematte aufgefallen war. Ein Elefant hat bekanntlich nicht besonders gute Augen, aber das blondbärtige Menschlein mußte doch schon gleich beim ersten Blick irgendeinen Verdacht in ihm ausgelöst haben. Wie eine Schlange wand sich jetzt sein elastischer Rüssel auf den Schweden zu, der sich sogleich noch tiefer in seine Hängematte duckte. Tantor nahm es mit der Untersuchung genau. Das Rüsselende tastete von oben bis unten über Malbihns Leib ... und plötzlich stieß der Riese einen tiefen unwilligen Laut hervor. In seine kleinen Augen kam jäh ein unheimlicher Glanz. Wie winzige Feuerkugeln funkelten sie. Tantor hatte endlich, ja endlich die verruchte Kreatur wiedererkannt, die sein Weibchen vor langen Jahren schmählich abgeschossen hatte. Und Tantor, der Elefant, kennt kein Vergeben und Vergessen!
Malbihn sah die Veränderung, die mit dem Riesen auf einmal vorgegangen war, sah, daß sein Stündlein geschlagen hatte.
Hilfe, Hilfe! schrie er aus Leibeskräften. Der Teufel tötet mich, tötet ...
Korak stürzte sofort aus dem Zelt. Der wütende Elefant hatte schon sein Opfer samt Hängematte und Zeltbahn mit seinem Rüssel umschlungen und hoch über seinen Kopf emporgerissen. Korak war mit einem Satz bei Tantor und befahl ihm mit unverkennbarer Entrüstung, seine Last langsam und ohne ihr etwas zuleide zu tun sofort niederzulegen. Allein der Befehl verhallte ungehört. Korak hätte genau so gut dem Strom, der seine Fluten ewig und immer zu Tale wälzte, befehlen können, er solle auf der Stelle umkehren zu seinen Quellen ...
Tantor drehte sich wie eine Katze im Kreise, schleuderte Malbihn zu Boden und sank blitzschnell über ihm in die Knie. Seine scharfen Stoßzähne gaben dem Unglücklichen den Rest. Laut schallte weithin der schrille Trompetenton, vermischt mit erbittertem Gebrüll, zum Zeichen, daß der Vergeltung Genüge getan war.
Korak war erschüttert. So viel an ihm lag, hätte er dem Schweden gerne dieses Ende erspart, wiewohl er ihn im Grunde seines Herzens haßte. Nun war mit ihm auch noch das Geheimnis für immer begraben, es sei denn, daß der Scheich sich irgendwie einmal verplapperte. Doch darauf ließ sich nicht bauen, selbst wenn man sich bei der Verhandlung noch so geschickt benahm, um den alten Araber aufs Eis zu führen.
Der Affenmensch ließ den mächtigen Tantor indessen nichts von seiner Verstimmung merken. Er gab seinem alten Freund zu verstehen, daß man hier nichts mehr zu suchen habe, worauf Tantor sofort – folgsam und zahm wie ein junges Kätzchen – herantrottete und den Töter mit einer äußerst rücksichtsvollen Bewegung seines Rüssels wieder auf seinen Nackensitz beförderte.
Malbihns Leute hatten von ihrem Dschungelversteck aus das ganze Drama mit angesehen. Sie waren einfach sprachlos, als der fremde weiße Krieger jetzt auch noch so sicher oben dicht hinter Tantors Riesenhaupt hockte, nachdem der Elefant eben erst seinen Menschenhaß unzweideutig gezeigt hatte. Längst war der schreckliche Koloß mit seinem rätselhaften Reiter drüben in der Dschungel verschwunden, als die Schwarzen noch immer in tausend Ängsten in ihren Verstecken ausharrten. Wer konnte wissen, ob diese Teufel nicht wiederkamen?