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Meriem bekommt neue Herren

Meriem wurde wieder gefesselt und unter Bewachung in Kovudoos eigener Hütte untergebracht. Die Nacht verging und der neue Tag kam, ohne daß Korak, den sie jede Minute erwartete, aufgetaucht wäre. Sie zweifelte nicht im geringsten, daß er zurückkehrte. Korak war in ihren Augen nahezu allmächtig, der Stärkste und Beste zugleich. Mit Stolz gedachte sie seiner Tapferkeit und verehrte ihn geradezu wegen seiner rücksichtsvollen Art.

So lag sie jetzt, träumte von ihm und wartete, daß er kam. Sie verglich ihn in ihrer Langeweile mit ihrem Vater, dem Scheich, doch als sie sich den finsteren alten grauhaarigen Araber recht vorstellte, lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Nicht einmal die Schwarzen waren so unbarmherzig wie er! Nun, sie verstand die Sprache der Eingeborenen nicht und konnte nicht ahnen, wozu man sie gefangenhielt. Sie wußte zwar, daß es Kannibalen gab. Aber jetzt war sie schon einige Zeit in der Gewalt dieser Schwarzen, ohne daß man ihr ein Leid angetan hätte. Sie konnte nicht ahnen, daß man einen Eilboten nach dem weit abgelegenen Dorf des Scheichs geschickt hatte, um mit ihm wegen des Lösegelds für sie zu verhandeln. Sie wußte auch nicht – und ebensowenig Kovudoo – daß der Eilbote sein Ziel überhaupt nicht erreicht hatte, sondern auf die Träger Jenssens und Malbihns gestoßen war und – geschwätzig, wie die Eingeborenen sind – den schwarzen Leuten der beiden Schweden seinen ganzen Auftrag erzählt hatte. Die hatten die Neuigkeit ihren Herren sofort hinterbracht. Als dann der Eilbote kaum das Lager verlassen hatte, krachte ein Schuß – und der Schwarze war das Opfer seiner Schwatzhaftigkeit geworden.

Malbihn schlenderte ins Lager zurück und verbreitete dort, es sei ihm vorhin ein stattlicher Bock vor die Büchse gekommen, er habe aber leider danebengeschossen.

Die Schweden mußten sich zu solchen Beschönigungen häufiger verstehen, denn sie wußten genau, daß sie bei ihren Leuten keineswegs beliebt waren. Wäre diesen irgendein feindlicher Akt gegen Kovudoo bekannt geworden, würden sie es dem Häuptling bei der ersten besten Gelegenheit mitgeteilt haben. Und man war doch nicht stark genug bewaffnet und konnte auch nicht mit der unbedingten Zuverlässigkeit der Träger und Askari rechnen, um es auf eine ordentliche Auseinandersetzung mit dem alten schlauen Häuptling ankommen zu lassen.

Es folgte dann jener Zusammenstoß mit den Pavianen und dem unbekannten weißen Naturmenschen, der sich mit diesen Urwaldtieren zum Kampf gegen Menschen verbündet hatte. Nur ihrer unermüdlichen Findigkeit und Schnelligkeit und einer gehörigen Portion Pulver und Blei hatten die Schweden es zu verdanken gehabt, daß sie sich die wütenden Paviane einigermaßen vom Halse halten konnten. Stundenlang säumten noch Hunderte dieser Großaffen bellend das Lager.

Die Schweden schlugen mit ihren Gewehren noch manchen Angriff ab. Es war aber kein Zweifel, daß die Tiere obgesiegt hätten, würden sie unter einer einheitlichen Führung herangestürmt sein. Ab und zu meinten die beiden, sie sähen den glatthäutigen wilden Affenmenschen drüben unter den Pavianen am Waldrand, und im nächsten Augenblick würde er die Kampflustigen wieder zum geschlossenen Vorstoß ansetzen. Der bloße Gedanke war schon mehr als ungemütlich, und sie würden sonst etwas dafür gegeben haben, hätten sie ihn gleich bei der ersten Begegnung zur Strecke gebracht. Denn daß ihnen das gefangene stattliche Pavianexemplar entgangen und daß die ganze Paviangesellschaft über sie hergefallen war und sich noch immer nicht beruhigte, war nach ihrer Ansicht allein das Werk dieses unheimlichen Fremdlings.

Das muß derselbe Kerl sein, auf den wir schon vor einigen Jahren gefeuert haben, meinte Malbihn schließlich. Damals wurde er von einem Gorilla begleitet. Hast du ihn richtig gesehen, Carl?

Ja, meinte Jenssen. Kaum fünf Schritt von mir war er, als ich feuerte. Er machte auf mich den Eindruck, als sei er ein intelligenter Europäer und fast noch ein richtiger Junge. Nichts von Entartung in seinen Zügen und in seinem Benehmen. Nein, der Bursche ist aus festem Holz geschnitzt. Man muß ihn unbedingt fürchten. Sollte er diese Gesellschaft wirklich noch einmal in wohldurchdachtem Ansturm über uns herjagen, so könnte es uns an den Kragen gehen.

Doch der weiße Riese kam nicht, und so zog sich die erregte Pavianhorde nach und nach wieder in die Dschungel zurück. Die noch immer entsetzten Träger waren heilfroh, als sie endlich aufatmen konnten.

Am nächsten Tage machten sich die Schweden nach dem Dorfe Kovudoos auf, um das weiße Mädchen, das man nach der Aussage des Eilboten Kovudoos dort gefangen hielt, in ihre Gewalt zu bekommen.

Alles war gut bedacht. Die weiße Gefangene wurde nicht mit einem Wörtchen erwähnt. Sie hielten es für besser, so zu tun, als wüßten sie von dem Mädchen überhaupt nichts. Für den alten Häuptling brachten sie reiche Geschenke und feilschten nun mit dessen Bevollmächtigten lange um die übliche Gegengabe, denn einseitige Freigebigkeit würde verdächtig gewesen sein.

Man erzählte dem Alten im Laufe der Unterhaltung alle die Klatschgeschichten, die ihnen beim Durchmarsch durch mehrere andere Dörfer zu Gehör gekommen. Kovudoo gab dafür seine Neuigkeiten zum Besten, und so wurde ein stundenlanges und schließlich auch überaus langweiliges Palawer aus dem vorgesehenen Plauderstündchen. Kovudoo erwähnte nichts von seiner Gefangenen und schien – nach den Führern und den bedeutenden Geschenken zu urteilen, die er seinen Gästen zur Verfügung stellte – vor allem darauf bedacht, die beiden Weißen möglichst bald abzuschieben. Malbihn war es, der beiläufig ins Gespräch einfließen ließ, wie bedauerlich es sei, daß der Scheich ein unglückliches Ende gehabt habe. Kovudoo war sichtlich überrascht und interessiert.

Du weißt nichts davon? fragte Malbihn verwundert. Sonderbar! Im letzten Monat war es. Sein Pferd geriet mit dem Fuß in ein Loch, er stürzte kopfüber herunter und das Pferd über ihn. Als seine Leute ihn schließlich fanden, war er tot.

Der Negerhäuptling kratzte sich hinterm Ohr. Das war allerdings eine böse Enttäuschung. Der Scheich tot, das hieß ja so viel wie das Lösegeld für die Weiße war hin. Das Mädchen war wertlos, es sei denn ... als Frau? Der Gedanke kam ihm nicht übel vor und schien etwas tröstlicher. Er sah Malbihn prüfend an. Diese Weißen hatten viel Geld, viel Geld. Sie waren weit, weit weg von ihrer Heimat und hatten keine Frauen mit. Aber er wußte, daß sie etwas für Frauen übrig hatten. Es fragte sich nur, wieviel sie anlegen würden, und diese Ungewißheit machte Kovudoo noch Kopfschmerzen. Ich habe ein weißes Mädchen hier, warf er ganz unvermittelt ein. Wenn ihr sie kaufen wollt, sie ist billig.

Malbihn zuckte die Achseln. Wir haben so schon genug Scherereien, gab er zurück. Wir werden uns doch nicht einen alten Drachen aufhalsen lassen und auch noch etwas dafür bezahlen ...

Malbihn schnippte mit den Fingern und hatte eine spöttische Miene aufgesetzt.

Und wenn sie nun jung ist, fuhr Kovudoo fort ... und sehr hübsch?

Die Schweden lachten. Hübsche weiße Frauen in Zentralafrika? So etwas gibt es nicht, warf Jenssen sofort ein. Du solltest dich schämen, deine alten guten Freunde so zum Narren zu halten.

Kovudoo sprang auf. Kommt mit, rief er, ich will euch zeigen, daß sie so jung und hübsch ist, wie ich sagte.

Malbihn und Jenssen folgten, versäumten aber nicht, sich bei dieser Gelegenheit unauffällig ihre Freude über den guten Anfang zuzuzwinkern. Kovudoo betrat mit ihnen die Hütte, doch war es drinnen so dunkel, daß sie nicht mehr erkennen konnten, als daß dort eine weibliche Person gefesselt auf einer Schlafmatte lag. Malbihn tat, als hätte er gleich beim ersten Blick genug und ging hinaus. Die muß ja tausend Jahre alt sein, Kovudoo, meinte er verächtlich.

Nein, blutjung ist sie! rief der Wilde. Es ist hier nur finster, und du kannst dir gar kein Bild von ihr machen. Warte ab, ich bringe sie hinaus ins Helle. Und er befahl den beiden Kriegern, die das Mädchen bewachten, die Beinfesseln zu lösen und sie draußen vorzuführen.

Malbihn und Jenssen blieben völlig gleichgültig. Sie wollten nur wissen, ob es das Mädchen war, das man dem Scheich vor ein paar Jahren geraubt und meinten, sie würden sie ohne weiteres sofort wieder erkennen. Denn nach der Beschreibung des Eilboten, den Kovudoo neulich zum Scheich geschickt, schien es sicher, daß es sich um das gleiche Mädchen handelte, das sie selber dem Scheich hatten abhandeln wollen.

Als man dann Meriem aus der dunklen Hütte herausbrachte und im Tageslicht präsentierte, wandten sich wohl die Blicke der beiden Schweden zu ihr, doch hatte es den Anschein, als hielten sie es eigentlich für überflüssig. In Wahrheit vermochte Malbihn kaum einen Ausruf des Entzückens zu unterdrücken. Doch es hieß jetzt, das Schauspiel ohne Störung zu Ende zu führen.

Wie? Hübsch und jung? wandte er sich an Kovudoo.

Ist sie nicht blutjung und wunderschön? meinte der Häuptling im Brustton der Überzeugung.

Nicht gerade alt, entgegnete Malbihn gelassen. So eine wird einem aber besonders zur Last. Du kannst dir doch denken, daß wir aus unserem Norden nicht hierher gereist sind, um uns mit Frauen zu versorgen. Gibt es dort oben mehr als genug.

Meriem blickte den Weihen scharf in die Augen. Sie erwartete nichts von ihnen, sie waren für sie in gleicher Weise Feinde wie die Schwarzen. Sie fürchtete alle Männer.

Wir sind gute Freunde, sprach Malbihn sie auf Arabisch an. Wünschst du, daß wir dich von hier mitnehmen?

Ich möchte gerne frei sein, gab sie zurück. Und dann möchte ich wieder zu Korak.

Du wünschst, dich uns anzuschließen? drang Malbihn auf sie ein. Nein, erwiderte Meriem.

Malbihn wandte sich wieder an Kovudoo. Sie will nicht mit uns von hier fort, bemerkte er trocken.

Ihr seid doch Männer, meinte der Schwarze ein wenig ärgerlich. Könnt ihr doch mit Gewalt Beine machen!

Nein, nein! Wir hätten nur noch mehr Ärger, warf der Schwede ein. Nein, Kovudoo, wir wollen sie nicht. Wenn du sie aber ... durchaus los sein möchtest, na – denn in Anbetracht unserer großen Freundschaft könnten wir es schließlich einmal versuchen.

Kovudoo wußte, daß das Geschäft jetzt sicher war. Aha, sie waren also doch nicht abgeneigt! Und nun begann er zu feilschen. Am Ende war Meriem von dem schwarzen Häuptling an die beiden Schweden um 5½ Meter amerikanisches Tuch, drei leere Messingpatronenhülsen und ein blankes Jagdmesser von New Jersey verschachert. Alle – außer Meriem – rieben sich die Hände ob des guten Geschäfts. Man war zufrieden.

Kovudoo hatte sich nur noch eines ausbedungen: Die Europäer sollten am nächsten Morgen in aller Frühe das Dorf verlassen und das Mädchen sofort mitnehmen. Als der Handel tatsächlich abgeschlossen war, hielt er auch nicht mehr mit seinen Gründen für diese etwas befremdliche Forderung hinter dem Berg, erzählte vielmehr offen von ihrem wilden Genossen und dessen verzweifelten Anstrengungen, sie wiederzubekommen, und fügte hinzu, daß sie sich das Mädchen um so besser sichern würden, je rascher sie mit ihr diesen Gebieten den Rücken kehrten.

Meriem war wieder gefesselt worden, doch hatte man sie jetzt im Zeltlager der Schweden untergebracht. Malbihn knüpfte ein Gespräch mit ihr an und suchte sie dazu zu bewegen, sich ihnen freiwillig anzuschließen. Erst sagte er ihr, daß man sie in das Dorf ihres Vaters zurückbringen würde, doch wie er merkte, daß sie eher sterben als je wieder dem alten Scheich ausgeliefert sein wollte, beteuerte er, sie wären nur froh darüber. Sie würde nie wieder dem Scheich zu Gesicht kommen, und im übrigen hätten sie im Ernst gar nicht an eine derartige Lösung gedacht. Während er so sprach, ruhten seine Augen mit einem gewissen Wohlbehagen auf dem Antlitz der schönen Gefangenen. Groß und schlank und reifer war sie geworden, diese junge Blüte, seit er sie einst – o, es war doch schon lange her – im Dorfe des Scheichs gesehen. Damals hatte ihm bei ihrem Anblick nur die märchenhafte Belohnung vor den Augen geflimmert, die ihm sicher war, wenn er das Mädchen den Eltern zurückbrachte. Er hatte in ihr nur die Verkörperung des vielen Geldes gesehen, das ihm tausend Freuden und Genüsse verhieß. Doch jetzt? Wie sie da so vor ihm stand, blühend und sprühend, nahte sich ihm ein anderer Verführer. Neue Möglichkeiten taten sich auf. Er trat näher an sie heran und legte seine Hand auf ihren Nacken. Das Mädchen wich zurück. Er faßte sie mit beiden Händen, er wollte sie küssen – aber da gab sie ihm einen Schlag auf den Mund. Im selben Augenblick trat Jenssen ins Zelt.

Malbihn! lachte er ärgerlich. Du Narr!

Sven Malbihn wandte sich seinem Gefährten zu. Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen. Er fühlte die Blamage, die dieser Zwischenfall für ihn bedeutete.

Was zum Teufel hast du vor? Willst du uns denn jede Aussicht auf die Riesensumme vernichten? Wenn wir sie übel behandeln, bekommen wir nicht einen Pfifferling. Man wird uns für unsere jahrelangen Mühen womöglich noch ins Gefängnis sperren. Ich glaubte bisher, du hättest ein bißchen mehr Verstand im Kopfe, Malbihn!

Ich bin eben kein Holzklotz, gab Malbihn mürrisch zurück.

Besser, du wärest einer, warf Jenssen schlagfertig ein. Wenigstens, bis wir das Mädchen in Sicherheit gebracht und das, was uns zukommt, eingestrichen haben.

O, Hölle und Teufel! erwiderte Malbihn triumphierend. Was hat das zu sagen? Sie werden froh sein, wenn wir sie doch noch heimbringen. Und das Mädchen? Sind wir erst einmal dort, wird sie vor lauter Freude über das Wiedersehen reinen Mund halten. Und dann verschwinden wir doch sofort! Also?

Nein, und nochmals nein! entgegnete Jenssen bestimmt. Du hast immer den Ton angeben können, Sven. Doch diesmal muß das gelten, was ich sage, ganz einfach, weil ich hier recht habe und du nicht. Das weißt du auch, genau so gut wie ich.

Bist auf einmal die Tugend selber, spottete Malbihn. Meinst du, ich hätte die Sache – mit der Wirtstochter vergessen; was? Und die kleine Celalla? – Und ... die schwarze ...

Halt' den Mund! fuhr Jenssen auf. Hier dreht es sich nicht um Tugend, Moral und dergleichen. Das brauche ich dir gar nicht erst zu erzählen. Ich will mich auch nicht mit dir zanken, aber das laß dir gesagt sein, Sven: Ich werde nicht dulden, daß du dem Mädchen ein Leid antust. Sieh dich also vor! Ich habe mich in den letzten neun bis zehn Jahren schlimmer als ein Sklave abgeschunden, habe gekämpft und gelitten und vierzigmal oder noch mehr am Rande des Grabes gestanden – und alles nur, um das Glück zu erjagen, das uns nun endlich, endlich – man möchte fast sagen in letzter Stunde – gleichsam in den Schoß gefallen. Du verstehst, daß ich nicht Lust habe, mich jetzt um die Früchte dieses Jahrzehnts betrügen zu lassen, weil sich in dir gerade mal das Tier regt. Sei ein Mann, Sven! Ich warne dich nochmals ...

Malbihn zuckte mit den Achseln und verließ mit einem bösen Blick auf seinen Freund das Zelt.

Belästigt er dich wieder, rufe mich! wandte sich Jenssen jetzt an Meriem. Ich halte mich immer hier in der Nähe auf.

Das Mädchen hatte kein Wort von der Unterhaltung ihrer neuen Herren verstanden, da sie die schwedische Sprache nicht kannte. Als Jenssen sie indessen auf Arabisch jetzt seiner Unterstützung versicherte, sah sie klar, was sich zwischen den beiden abgespielt haben mußte. Der jähe Wechsel im Gesichtsausdruck, die lebhaften Handbewegungen ... es ließ sich jetzt alles gut zusammenreimen. Jedenfalls hatte es eine ernste Auseinandersetzung gegeben. Jenssen war ihr aber offenbar freundlich gesinnt, und so meinte sie in ihrer jugendlich-kindlichen Vertrauensseligkeit, daß es das beste sei, ihn sofort um volles Erbarmen zu bitten. Sie trug ihm vor, er möge sie freilassen, damit sie zu Korak und in ihr geliebtes Dschungelleben zurückkehren könne. Doch da war sie aus dem Regen in die Traufe gekommen. Der Schwede lachte gerade heraus und gab ihr zu verstehen, daß sie jeden Fluchtversuch schwer zu büßen haben werde.

Die Nacht über lag Meriem wach und wartete gespannt auf irgendein Zeichen von Korak. Von der Dschungel ringsum drangen all die Töne und Laute herüber, die die Urwaldnacht durchzittern; nichts konnte ihrem feinen Gehör entgehen, sie verstand jede kleine Regung zu deuten, wie wir vielleicht einen guten Freund am Tonfall der Stimme von ferne erkennen. O, sie hörte mehr, als alle zusammen hier im Lager ... aber ihr Korak gab noch immer kein Lebenszeichen. Sie wußte indessen, daß er noch kommen würde. Nur wenn der Tod ihm den Fuß gehemmt hatte, würde er sein Wort nicht halten können. Was sollte ihm aber zugestoßen sein?

*

Die Nacht hatte ihr Korak und die ersehnte Befreiung nicht gebracht. Schon graute der Morgen, doch Meriems Hoffnung war nicht erschüttert, wenn sie auch ab und zu ein dunkles Bangen um ihren einzigen Freund beschlich. Zwar kam es ihr so unwahrscheinlich vor, daß ihr starker und kluger Korak, der täglich unversehrt unzähligen Gefahren und Schrecken der Dschungel entging, einem ernstlichen Unglück zum Opfer gefallen sein sollte, aber ...

Hell strahlte die Sonne vom Morgenhimmel. Man frühstückte, das Lager wurde abgebrochen, und dann ging die Reise gen Norden, immer unter scharfer Bewachung und ohne daß der erwartete Retter aufgetaucht wäre.

Man marschierte den ganzen Tag und den nächsten und übernächsten auch. Keine Spur war von Korak zu sehen, und doch verlor Meriem die Geduld nicht. Sie beherrschte sich und hielt schweigend in der Kolonne aus.

Malbihn blieb mürrisch und abweisend. Wenn Jenssen mit ein paar begütigenden Worten wieder anzuknüpfen suchte, bekam er stets eine knappe, ausweichende Antwort. Mit Meriem sprach Malbihn überhaupt nicht, doch ertappte sie ihn öfters, wie er sie mit halb zusammengekniffenen Augen fixierte. Dann drückte sie Geeka fester an ihr Herz. Hätte sie nur noch ihren Dolch! Aber den hatte man ihr genommen, als sie von Kovudoo in die Gefangenschaft geführt wurde.

Am vierten Tage begann Meriem die Hoffnung aufzugeben. Korak war sicher etwas zugestoßen. Es gab keine andere Möglichkeit mehr. Er würde nie wiederkommen, und diese Männer würden sie nun weit wegschleppen. Vielleicht mußte sie sterben? Und durfte Korak, ihren Korak, nie wiedersehen?

Die Schweden hatten endlich beschlossen, einen Tag zu rasten, denn man hatte bisher keine Minute versäumt, und die Leute waren todmüde. Malbihn und Jenssen gingen jeder für sich auf die Jagd. Sie mochten etwa eine Stunde fort sein, als sich der Vorhang zu Meriems Zelt hob, und zu ihrem Schrecken Malbihns Gesicht auftauchte.


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