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Ein Jahr war verstrichen, seit die beiden Schweden vom Schrecken gejagt die wilden Gebiete verlassen hatten, in denen der Scheich der Machthaber war. Die kleine Meriem spielte noch immer mit Geeka und verschwendete alle ihre kindliche Liebe und Zuneigung an diese Puppe, die kaum mehr eine Puppe war und selbst in ihren besten Tagen nicht im entferntesten reizend oder gar liebenswert hätte genannt werden können. Allein für Meriem war und blieb Geeka eben das »süße, liebe, gute« Kind. Sie drückte den arg mitgenommenen Elfenbeinkopf an ihre Wangen und flüsterte Geeka in die tauben Ohren, was sie an Sorgen und auch an Hoffnungen und Wünschen bewegte; denn mochte ihre Lage noch so trostlos sein, mochte es scheinen, als könne sie nie mehr der Gewalt ihrer rohen »Eltern« entrinnen, sie hörte nicht auf zu hoffen und ließ ihr Herz voller Wünsche und Sehnsüchte lebendig bleiben. Was ihr immer vorschwebte, war wohl nicht klar umrissen und wogte in ihrem Innern wie in einer Nebelwolke, die in einem schönen Augenblick von den Strahlen der Sonne sieghaft durchbrochen werden kann. In der Hauptsache liefen ihre Wünsche aber sicher darauf hinaus, daß sie mit Geeka nach einem weit entlegenen und unbekannten Fleckchen Erde entfliehen wollte, jedenfalls irgendwohin, wo es keinen Scheich und keine Mabunu gab, wo El Adrea nicht plötzlich hervorstürzen konnte und wo sie selbst alle Tage unter Blumen, Blüten, Vögeln und harmlosen kleinen Kletteräffchen lustig und ungestört würde spielen können. –
Eines Tages hockte Meriem unter einem großen schattigen Baum dicht am Dorfrand und noch innerhalb des Palisadenzaunes. Sie baute ein Blätterzelt für Geeka. Vor dem Zelt lagen ein paar Holzstückchen, kleinere Blätter und einige Steine; das sollte Geekas Haus- und Küchengerät sein, denn Geeka sollte das Mittagessen kochen. Während die kleine Meriem sich an diesem kindlichen Spiel ergötzte, erzählte sie sich immer das lustigste Zeug mit ihrer stummen Gefährtin, der sie fürsorglich auch noch eine Art Rückenlehne aus dürren Zweigen gefertigt, damit sie bequem sitzen konnte. Meriem war derart in Geekas kleine häusliche Pflichten vertieft, daß sie es gar nicht merkte, wie es erst in den Zweigen ihres großen Baumdaches leise rauschte, und wie dann ein Fremdling von der Dschungel her vorsichtig auf die dicken Äste des Baumriesen herüberglitt.
Nichts, auch gar nichts ahnte das kleine Mädchen in seinem glücklichen Spiel davon, daß zwei Augen fest und unverwandt von oben auf sie herabblickten und sich kaum satt sehen konnten. Wie sollte auch jetzt jemand kommen! Sie wußte, daß niemand außer ihr in diesem jetzt so stillen Dorfwinkel war, den sie so oft schon aufgesucht, seit der Scheich vor Monaten eine weite Reise nach dem Norden angetreten. Sie ahnte nicht, daß der Scheich an der Spitze seiner Karawane gerade heimkehrte. Noch war er draußen in der Dschungel, aber in einer Stunde schon mußte er da sein.
*
Ein Jahr war ins Land gegangen, seit die Weißen den anschleichenden Jack mit wütendem Gewehrfeuer empfangen und in die Dschungeltiefen zurückgejagt, seitdem er sich entschlossen, die großen Affen zu suchen, die nun als einzige in der weiten Wildnis ihm Freunde und Kameraden sein sollten. Monatelang waren die beiden ostwärts gewandert, tiefer und immer tiefer in die Waldwildnis hinein. Dies Jahr hatte den Jungen weiter gewandelt. Seine von vornherein schon kräftigen Muskeln bargen jetzt Kräfte, die Stahl und Eisen getrotzt hätten. Er baute und zimmerte aus Holz, was immer der Augenblick oder sein praktischer Sinn ihm eingaben. Er war ein Meister auf der Fährte der Urwaldbestien, ein Meister im Gebrauch der Waffen, die ihm die Natur verliehen und die er sich selbst zur Ergänzung geschaffen. Es grenzte ans Wunderbare, was Erfahrung, instinktives Erkennen und die Tat ihm in dieser kurzen Spanne Zeit gelehrt hatten.
Unglaublich schier diese Kraft und diese Klugheit, in einem Menschen zu stolzer Größe geballt, der im Grunde immer noch ein Knabe war! Oft hatte Jack zum Spaß mit dem stattlichen Menschenaffen gerungen, und immer war es für ihn nur eine Kleinigkeit gewesen, seinen Gegner niederzuwerfen. Ein Kinderspiel war solch ein Kampf für seine überstarken Muskeln, und mehr nicht. Akut hatte auch die Gelegenheit benutzt, um ihn in die Kampfgeheimnisse des Menschenaffenstammes einzuweihen. Nie hätte einer besser dazu gepaßt als Akut, und keiner hätte wohl diese wildgewaltige Kampftaktik der Urmenschheit so leicht gelernt, wie Jack, der alles rasch erfaßte und beim nächsten Dschungelkampf sofort in die Tat umzusetzen wußte ...
Sie nährten sich vom Besten, was die Dschungel bot, während sie monatelang auf der Suche nach jener schon fast ausgestorbenen Affengattung waren, zu der Akut gehörte. Antilopen und Zebras mußten unter Jacks Speer verbluten, oder die beiden beutehungrigen »Bestien« sprangen ihren Opfern vom schwankenden Ast aus in den Nacken und zwangen sie zu Boden. Oft lauerten sie auch in dichtem Gestrüpp und Büschen, wenn die Tiere ahnungslos auf schmalem Waldpfad zur Tränke zogen.
Ein Leopardenfell deckte Jacks jugendlichen Körper. Nicht Scham war es oder Rückkehr zu den Gewohnheiten der zivilisierten Welt: Als damals die Kugeln aus den Gewehren der Weißen an ihm vorüberpfiffen, da war das wilde Tier in ihm erwacht mit all den Instinkten, die jeder Sterbliche in sich trägt, und die in Jack in jenem Augenblick gleich hellen Flammen aufloderten. War doch sein Vater einst nicht mehr und nicht weniger als ein Raubtier gewesen. Er trug das Leopardenfell, diese prächtige Trophäe, mit Stolz und Genugtuung, es machte ihm immer wieder Freude, sich darin zu bewundern, denn er hatte den Leoparden mit seinem Messer im »Handgemenge« getötet, Auge in Auge hatte er mit diesem seinem furchtbaren Gegner gekämpft. Das Fell war schön und schmeichelte seinen Sinnen, die von jeher für fremdartigen Schmuck eingenommen gewesen. Als es dann mit der Zeit hart und brüchig wurde, und die weichen Haare sich lösten, weil er keine Ahnung hatte, wie solch ein Fell zu gerben war, brachte er es nur schwer übers Herz, sich von diesem einst so prächtigen Wahrzeichen seiner Tapferkeit zu trennen. Schließlich tat er es doch. Bald darauf kam ihm zufällig ein schwarzer Krieger allein auf einsamem Dschungelpfad entgegen. Jack sah, daß er ein Leopardenfell trug; es schien das wahre Gegenstück zu dem, das er einst selbst erbeutet. Blitzartig sprang er aus hohem Geäst dem ahnungslosen Schwarzen in den Nacken und stieß ihm den scharfen Stahl ins Herz. Er hatte wieder ein Fell – und noch dazu eines, das kunstgerecht gegerbt war!
Wer etwa meint, Jack müsse sich doch hinterher Gewissensbisse gemacht haben, kennt die Gesetze der Dschungel nicht. In der Dschungel geht Macht vor Recht, und keinem, der einmal in der Dschungel hausen muß, braucht dies erst lange eingehämmert zu werden, gleichviel, was für Ansichten und Grundsätze er vorher gehabt hat. Jack wußte eben ganz genau, daß der Schwarze ihn einfach getötet hätte, wenn er es darauf hätte ankommen lassen. Niemand hätte an seiner Stelle anders gehandelt, niemand war besser oder schlechter als er: Weder der Schwarze, noch der Löwe oder der Büffel, noch das Zebra oder die Antilope oder all die unzähligen Kreaturen, die durch die dunklen unendlichen Wälder streiften, schlichen, flüchteten oder kletterten. Jedes hatte nur sein Leben, hatte es auch nur einmal, und – viele trachteten darnach, es zu vernichten. Je mehr Feinde tot und erledigt, um so größer die Aussicht, sich sein Leben länger zu erhalten, – das war doch am Ende die Weisheit der Dschungel.
Und so huschte ein Lächeln über Jacks Gesicht, als er das schmucke Leopardenfell des Besiegten nahm und mit Akut weiterschritt. Es hieß die Menschenaffen finden, sie mußten suchen und immer wieder suchen, denn eines Tages würde man doch am Ziele sein und von den Freunden mit offenen Armen aufgenommen werden.
Und endlich kam der Tag. Tief in den Tiefen der Dschungel, dort, wo keines Menschen Auge und Fuß je hingedrungen, stießen sie auf ein Amphitheater, in dem sich gewöhnlich die tollen Dum-Dum-Tänze der Menschenaffen abspielten, wie sie Jacks Vater vor langen, langen Jahren selbst miterlebt hatte. Schon aus großer Entfernung hatten die beiden den Trommellärm gehört: Sie hatten friedlich hoch oben im sicheren Baumnest geschlafen, da drang mit einem Male jenes dumpfe Dröhnen und Brummen an ihr Ohr und scheuchte sie auf. Akut wußte sofort, was los war.
Die großen Affen! brummte er laut in freudiger Erregung. Sie tanzen die Dum-Dum-Tänze. Komm mit, Korak, du Sohn Tarzans, wir wollen hin zu unseren Stammesgenossen! –
Vor einigen Monaten schon hatte Akut dem Jungen nach eigenem Gutdünken einen anderen Namen gegeben, weil er den Menschennamen Jack einfach nicht aussprechen konnte. »Korak« nannte er ihn, wobei wir diesen Namen, so gut es eben geht, in die Menschensprache übertragen haben. In der Affensprache bedeutet er jedenfalls so viel wie »der Töter«. Der Töter erhob sich sogleich von dem Aste des Baumriesen, gegen dessen Stamm gelehnt er geschlafen hatte, und streckte seine jungen geschmeidigen Arme dem bleichen zauberhaften Mondlicht entgegen, das durch das Blätterdach vom Nachthimmel herabschimmerte und kleine Lichtpünktchen auf seiner braunen Haut tanzen ließ.
Der Affe richtete sich ebenfalls auf und blieb halbgebückt, wie es so Affenart ist, stehen. Dumpfes Brummen quoll aus den Tiefen seiner Brust und in diesem Brummen kam seine ganze freudige Erwartung zum Ausdruck. Und Jack brummte mit. Dann glitt der Menschenaffe langsam hinab auf die Erde.
Nicht weit von dort und in der Richtung, aus der der Trommellärm des Dum-Dum-Festes herüberschallte, öffnete sich der Wald. Die Silberstrahlen des Mondes fluteten in märchenhafter Fülle über die Lichtung, als der große Affe sie kreuzte. Halbgebeugt, wie immer, trottete er vorwärts, und neben ihm – in scharfem Kontrast zu der linkischen Haltung seines Gefährten – schritt elastisch und aufrecht der junge Mensch, wobei der dunkle zottige Pelz des Affen ab und zu seine glatte glänzende Haut leicht streifte. Jack summte einen Gassenhauer, den er früher in der Schule aufgeschnappt hatte. Nein, die Schulbank würde er nicht wieder drücken; so wie jetzt, so war es recht! Glücklich und voller Erwartung sah er dem Augenblick entgegen, den er so oft und heiß ersehnt, und der nun endlich zur Wirklichkeit werden sollte: Nach Hause kam er jetzt endlich, noch ein paar Stunden – und er war daheim! Die letzten Monate – bald waren sie langsam dahingeschlichen, bald schien es, als rase die Zeit nur so dahin, je nachdem, ob Entbehrungen oder wilde Abenteuer auf der Tagesordnung gestanden. Oft hatte Jack an sein Elternhaus zurückgedacht, und doch: die Bilder von dort waren – vielleicht eben gerade deswegen – immer mehr verblaßt. Sein früheres Leben war ihm mehr Traum als Wirklichkeit. Zudem war sein fester Entschluß, die Küste zu erreichen und nach London zurückzukehren, damals so schmählich aus der Bahn geschleudert worden, daß ihm die bloße Hoffnung auf die Möglichkeit einer Heimreise in weite, weite Ferne gerückt schien. Schön, davon zu träumen, aber mehr nicht!
All die Erinnerungen an London und an das, was sich Zivilisation nannte, waren gleichsam tief in seinem Unterbewußtsein versunken; dort ruhten sie, als wären sie nie wirklich gewesen. Er war jetzt – wenn man von seiner Statur und seinem überragenden Verstand absah – ein Affe, genau wie das große, grimmige Tier an seiner Seite.
In seiner überschwenglichen Freude gab er dem Affen einen Klaps auf den Kopf. Halb ärgerlich, halb zum Scherze wandte sich Akut gegen den Übeltäter. Seine Fangzähne grinsten ihm kampflustig entgegen, seine langen, zottigen Arme streckten sich nach ihm aus und packten ihn an den Schultern. Die beiden wurden – wie tausendmal schon, seit sie die Dschungel durchstreiften – miteinander handgemein: Sie wälzten sich im Grase, schlugen um sich, knurrten, »bissen« sich, ohne dabei ihren Zähnen mehr als ein paar harmlose Schrammen zu gestatten. Das Ganze war eben weiter nichts als eine übermütige Balgerei, bei der beide sich in ihrer Kampfweise für den Ernstfall übten. So wendete Jack besonders gern Ringertricks an, die er in der Schule gelernt. Akut bekam mit der Zeit auch mancherlei davon weg und wußte sogar bisweilen im rechten Augenblick den rechten Gegengriff. Umgekehrt lernte Jack von Akut immer neue und im Grunde doch uralte Kampfmethoden: Sie stammten von Akuts und Jacks gemeinsamen Ahnen, die einst die fruchtbare Erde bevölkerten, als die Farnkräuter wie Bäume zum Himmel ragten, und die Krokodile noch zu den Vögeln gehörten, und hatten sich über die Jahrtausende nur bei den Menschenaffenstämmen erhalten.
Ein »Kunststück« brächte Akut jedoch im Gegensatz zu Jack nie recht fertig, wenn er sich auch noch so große Mühe gab und bisweilen für einen Affen ganz nette Ansätze zeigte: Das leidige Boxen! Wie ein Stier stürzte er sich auf den Jungen los – und da war der Ansturm auch jedesmal bald gebrochen, wenn er nicht gar gleich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, weil Jacks plötzlich geballte Faust ihm auf die Schnauze niedersauste oder mit einem furchtbaren Stoß in die Magengegend landete. Akut war stets außer sich, ja er bekam dann oft solche Wut, daß er das weiche Fleisch seines Freundes am liebsten mal ordentlich mit seinen Zähnen bearbeitet hätte; denn er war ja schließlich immer noch ein Affe – leicht reizbar und mit all den brutalen Instinkten seiner Stammesgenossen. Allein es war schwierig für das Tier, solange es in voller Wut war, an seinen Peiniger auch nur heranzukommen. Verlor er wirklich einmal den Kopf und raste wie wahnsinnig auf den Jungen los, dann mußte er es immer wieder erleben, wie geradezu ein Hagel wuchtiger Stöße und Schläge auf Gesicht und Leib niederprasselte – und nie daneben! Der Knabe traf immer sein Ziel, und das Ende war stets, daß der Affe die Arme sinken ließ und sich vor Schmerzen krümmte. Mit bitterbösem Brummen schlug er sich dann seitwärts in die Büsche und blickte mit weitaufgerissenem Rachen noch ein paarmal grimmig zu Jack herüber, bis sich nach ein oder zwei Stunden sein Groll gelegt hatte. Wenn er wiederkam, war zwischen den beiden Freunden alles beim alten.
Heute nacht gab es keinen Boxmatch. Sie amüsierten sich dafür lieber mit dem harmloseren Ringkampf. Mit einem Male – sie mochten sich erst ein paar Minuten auf der mondbestrahlten Lichtung gebalgt haben – witterten sie Sheeta, den Leoparden. Rasch und sofort mit allen Fasern gespannt sprangen sie auf. Die große Katze schlich dicht drüben am Dschungelrand entlang; jetzt schien sie zu warten und aufzuhorchen. Jack und der Affe brummten drohend hinüber, laut und wie aus einem Munde. Und – die Bestie trottete davon; sie hatte wohl so schon genug ...
Dann wanderten die beiden weiter; immer näher rückte der Lärm des Dum-Dum-Festes an sie heran, immer lauter und lauter dröhnte der dumpfe Trommelwirbel herüber. Bald hörten sie schon das Brummen der Festgesellschaft. Deutlich spürten sie den Geruch, der von ihren Artgenossen herüberwehte. Jack überkam ein sonderbares Zittern, und Akuts Nackenhaare sträubten sich vor freudiger Erregung. Wie eigenartig, daß sich Glück und Schmerz oft in so ähnlichen Symptomen äußern!
Leise drangen sie jetzt auf halber Höhe der Bäume durch das Dschungeldickicht voran und, je näher man an den Festplatz herankam, um so vorsichtiger schlängelten sie sich von Ast zu Ast. Man mußte immerhin aufpassen, daß man nicht den Wachposten in die Hände fiel.
Plötzlich gab eine Lücke im dichten Laubwerk den Blick frei, und vor den erstaunten Augen des Jungen entrollte sich das ganze gewaltige Urwaldschauspiel. Jack war entzückt; Akut blieb gleichgültig, denn für ihn war das alles nichts Neues. Um so mehr für seinen Korak, dem die Freude in alle Glieder gefahren zu sein schien, wie er die großen Affen im grellen Mondlicht da unten gewahrte. Drei alte Weibchen hockten neben der Erdtrommel, die glatten, in langjährigem Gebrauch abgenutzten Stöcke in ihren Händen wirbelten dumpf dröhnend auf die flache Wölbung, und ringsum sprangen in unregelmäßigem Tanze die stattlichen Männchen.
Akut kannte Temperament und Gebräuche seiner Artgenossen genau; er war klug genug, um zu wissen, daß niemand etwas von den heimlichen Zuschauern merken durfte, ehe nicht der tolle, rasende Tanz vorüber war. Erst wenn der Trommellärm verklungen, wenn sie sich ihre Bäuche gehörig gefüllt, war der Augenblick gekommen, in dem sich die Begrüßung wagen ließ. Man würde natürlich zunächst unterhandeln müssen, doch dann würde man ihn und Korak als seinesgleichen in die Stammesgemeinschaft aufnehmen. Sicher würden auch einige dagegen sein, doch die konnte man ja einfach mit Gewalt zur Ruhe bringen. Daran sollte es bei ihm und dem Jungen nicht fehlen, sie hatten ja Kräfte mehr als genug. Andere würden sie zweifellos zunächst gerade nur dulden, doch nach ein paar Wochen oder schlimmstenfalls Monaten würde auch bei denen das Mißtrauen schwinden; bis dann der Tag kam, da sie wie leibhaftige Brüder mit diesen Artgenossen zusammenleben würden.
Akut hoffte auch, daß diese Affen hier derselben Sippe angehörten, die einst Tarzan bei sich aufgenommen; denn das würde ihm die Einführung Koraks wesentlich erleichtern. Vielleicht würde ihm dann auch sein sehnlichster Wunsch, Korak zum König der Affen zu machen, rascher erfüllt!
Der Junge war jetzt kaum mehr zu halten, er hätte sich am liebsten gleich den vielen Menschenaffen in die Arme geworfen. Im letzten Augenblick gelang es Akut aber noch, ihn zur Vernunft zu bringen. Schrecklich wäre solch unbesonnenes Unterfangen für beide abgelaufen; man würde sie gleichsam hinweggefegt haben, denn mit den großen Affen war nun einmal nicht zu spaßen, wenn sie sich bei ihren feierlichen Zeremonien in geradezu wahnsinnige Ekstase hineinsteigerten. Selbst die wildesten Urwaldbestien machten in solchen Stunden einen großen Bogen um die Stätte dieser schauerlichen Nachtfeiern.
Als sich der Mond langsam hinter die hohen Blättermauern des Urwaldtheaters verkroch, ließ das Trommeln allmählich nach. Die Bewegungen der Tänzer wurden matter und matter, bis ein letztes dumpfes Dröhnen der Trommel das Ende des Dum-Dum verkündete. Die Tierriesen stürzten sich nun wie besessen über den Festschmaus, der, wie immer, dieses nächtliche Fest krönte.
Soviel Akut aus dem, was er gehört und gesehen, schließen zu dürfen glaubte, handelte es sich hier um die Wahl eines neuen Königs. Er erklärte Korak die Bedeutung der einzelnen Zeremonien und machte ihn noch besonders auf den neuen König aufmerksam. Ein gewaltiger dichtbehaarter Affe war es, der Anerkennung seiner Herrscherwürde gefordert, die er zweifellos – ähnlich wie viele Machthaber bei den Menschen – durch Beseitigung seines Vorgängers an sich gerissen hatte. Das Festmahl war zu Ende; die Affen hatten sich gesättigt und lagen größtenteils schlafend unter den Bäumen.
Akut zupfte Korak am Arm.
Komm! flüsterte er. Aber leise! Und halte dich immer dicht an mich. Du mußt unbedingt auf mich hören!
Langsam wand er sich oben durch die Zweige, bis er einen dicken Ast dicht am Rande des Amphitheaters erreicht hatte. Einen Augenblick schwieg er noch, dann drang ein tiefes Brummen aus seiner Kehle. Sofort sprangen unten die Affen auf. Ihre kleinen wildfunkelnden Augen suchten rasch das weite Rund der Waldlichtung von oben bis unten ab. Der Affenkönig, der die beiden Fremdlinge zuerst entdeckt hatte, stieß einen schrillen Warnungsschrei aus und stürzte polternd auf den Baum zu, auf dem sich die frechen Eindringlinge eingenistet haben mußten. Seine Haare standen ihm förmlich zu Berge; seine Beine steiften sich in seiner Wut, was seinen so schon hinkenden Gang nur noch komischer erscheinen ließ. Eine stattliche Schar seiner männlichen Stammesgenossen folgte ihm dicht auf dem Fuße.
Ein paar Schritte noch – und er war im Sprungbereich der beiden Ruhestörer, die immer noch oben auf dem dicken Ast hockten. Doch der König war auf der Hut und blieb rechtzeitig stehen. Ein Zittern durchlief seinen Körper und schwoll an zu gewaltigem Zucken, daß der wuchtige Leib auf den kurzen Beinen hin und her schwankte, als seien tausend Teufel in ihn hineingefahren. Aus weitaufgerissenem Rachen blitzten furchtbar seine königlichen Fangzähne, und immer lauter und heftiger drang drohendes Brummen aus seiner Brust, bis es in der Wandlung zu schreckengebietendem Gebrüll seinen Höhepunkt erreichte. Akut wußte, daß der König sich nur deshalb zu diesem Wutrausch aufpeitschte, um schließlich mit voller Wucht zum Angriff auf ihn und Korak übergehen zu können. Der alte Affe wollte aber gar nicht kämpfen; er begehrte nicht mehr, als mit dem Menschenjungen in die Lebens- und Schicksalgemeinschaft dieses Affenstammes aufgenommen zu werden.
Ich bin Akut, wandte er sich an den König. Und dies ist Korak. Korak ist der Sohn Tarzans, der einst König der Affen war. Auch ich war einmal König der Affen. Mein Stamm wohnte auf einer Insel mitten in den großen Wassern. Wir sind zu euch gekommen, um mit euch zu jagen; wir wollen eure Kampfgenossen sein. Wir sind große Jäger, wir sind auch mächtige Kämpfer. Nehmt uns in Frieden bei euch auf!
Der König schwankte nicht mehr in wilder Erregung hin und her, doch aus seinen blutunterlaufenen Augen funkelten Tücke und Wut unter den buschigen Brauen hervor, als er jetzt die beiden Fremdlinge musterte. Jung, blutjung war seine königliche Macht und Würde. Wer wollte es ihm verdenken, wenn er diesen beiden Eindringlingen mit Mißtrauen und Eifersucht begegnete? Er kannte sie nicht, und ... vor Nebenbuhlern mußte man sich hüten! Der glatte, braune, unbehaarte Körper des Jungen sagte ihm zudem deutlich, daß er es auch mit einem »Menschen« zu tun hatte, und Menschen fürchtete er nicht nur, nein, er haßte sie.
Schert euch fort! brüllte er hinauf. Macht, daß ihr fortkommt ... oder ich töte euch!
Voll fieberhafter Erwartung und in stiller Vorfreude hatte Jack erst hinter Akut gelehnt. Das Land seiner Träume war erreicht, er brauchte nur noch hinabzuspringen mitten unter diese zottigen Geschöpfe ... noch ein paar Minuten – und er wollte es ihnen schon beweisen, daß er ihr Freund und ihresgleichen war. Doch was sollte das jetzt auf einmal bedeuten, was da unten vorging? Er hatte gedacht, sie würden ihn mit offenen Armen aufnehmen ... und nun diese herausfordernde Wut des Affenkönigs? Schmerz und Empörung füllten mit einem Male wieder seine Brust. Die Schwarzen waren auf ihn mit Speeren losgegangen und hatten ihn davongejagt. Er war den Weißen nachgelaufen, die doch Menschen wie er waren, ... und mit Gewehrgeknatter hatten sie ihn empfangen, statt ihn mit freundlichen Worten willkommen zu heißen, wie er es erwartet. Die großen Affen waren seine einzige Hoffnung gewesen. Monatelang hatte er sie gesucht, um ihr Kamerad zu werden, weil Menschen ihm ihre Freundschaft versagten. Kein Wunder, er war jetzt außer sich vor Enttäuschung.
Der Affenkönig stand fast dicht unter ihm, während die anderen einige Meter weiter zurück im Halbkreis gespannt dem Verlauf der heftigen Auseinandersetzung folgten. Akut hatte natürlich keine Ahnung, was sich in den letzten paar Sekunden im Innern des Jungen abgespielt; er war vielmehr geradezu bestürzt, als Jack mit einem Male zu Boden sprang und sich dem König in den Weg stellte, dessen wahnsinnige Wut inzwischen zu gewaltiger Kampflust gestiegen war.
Ich bin Korak, schrie der Knabe. Ich bin der Töter! Ich war hierher gekommen, um mit euch als Freund zu leben. Ihr wollt mich fortjagen? Gut, ich werde gehen. Doch zuvor will ich euch beweisen, daß der Sohn Tarzans euer Herr ist, vor dem ihr in den Staub liegen müßt, wie früher vor seinem Vater. Der Sohn Tarzans kennt keine Furcht. Weder vor euch, noch vor eurem König.
Der Affenkönig war ein paar Sekunden starr vor Überraschung, denn ein derartig herausforderndes Auftreten hatte er keinem der beiden Eindringlinge zugetraut. Auch Akut war ganz außer Fassung, rief aber dann Korak mit erregter Stimme zu, er solle sich sofort zurückziehen; denn er wußte, daß die Affenschar hier in der heiligen Arena ohne weiteres ihrem König im Kampfe gegen einen unerwünschten Außenseiter beistehen würde, wenn der König entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch Hilfe brauchen sollte. Und hatten diese mächtigen Zähne sich einmal im weichen Nacken des Jungen verbissen, dann mußte alles rasch zu Ende gehen ...
Sollte er ihn zu retten suchen? Es würde auch sein Tod sein. Aber der alte brave Affe achtete der Bedenken nicht und sprang knurrend und mit gesträubtem Haar hinab in die Kampfbahn, als der König sich gerade zum Angriff anschickte.
Die Hände der Bestie krampften sich gierig zusammen, als sie auf Jack losstürzte, und aus ihrem weitgeöffneten Rachen funkelten gelbe Fangzähne, bereit, im nächsten Augenblick tief in den braunen Körper des verhaßten Gegners einzuhauen. Auch Korak hatte inzwischen zum Sprunge ausgeholt, um diesem ungastlichen König zu begegnen, wie er es verdiente. Tief geduckt sauste er vorwärts, seine Arme weit nach vorn ausgestreckt. Und ehe die Gegner noch aufeinanderprallten, hatte sich Jack blitzschnell auf einem Fuße seitwärts gedreht und dem Affen mit der vollen Wucht seines Körpers und unter Einsatz seiner ganzen Muskelkraft die geballte Faust in die Magengegend gerammt. Ein halberstickter Aufschrei, und der Affenkönig sank in sich zusammen. Vergeblich sein wild-verzweifeltes Umherfuchteln ..., der nackte Junge hatte sich schon durch einen raschen Seitensprung den weitgreifenden Fangarmen des Königs entzogen.
Schreckliches Wutgeheul war die Antwort der Affen, die bisher in stummer Erbitterung dem Ringen zugeschaut. Die Niederlage des Königs heischte Vergeltung, und so stürmten sie im nächsten Augenblick geschlossen auf Korak und Akut ein. Allein der alte Akut war klug genug, um es nicht erst auf solch einen ungleichen Kampf ankommen zu lassen. Er wußte aber auch, daß es zwecklos gewesen wäre, Jack zum Rückzug zu bewegen, ganz abgesehen davon, daß Warnen nur unersetzlicher Zeitverlust sein mußte. Zögerte er nur eine Sekunde, war das Schicksal der beiden Todeskandidaten besiegelt. Es gab überhaupt nur noch eine Rettungsmöglichkeit – und Akut hatte sie richtig erkannt. Mit eisernem Griff den Jungen an den Hüften packen, vom Boden wegzerren und über die Schultern schwingen – war eins. Den Baum da drüben mit seinen starken Ästen, die sich wie hilfsbereite Arme ihm entgegenreckten, mußte er zu erreichen suchen. Und in rasendem Lauf stürzte er davon, die erbitterte Affenmeute dicht auf seinen Fersen. Doch Akut war schneller als seine bösen Verfolger, mochte er auch noch so sehr unter Koraks Last keuchen, der sich obendrein wie ein unvernünftiges Kind gebärdete und sich am liebsten von seinem Retter losgerissen hätte.
Ein fast verzweifelter Sprung – Akut umklammerte den dicken Ast und zog sich samt dem Jungen auf seinem Rücken behend und gewandt wie ein kleiner Kletteraffe hinauf. Für ein paar Sekunden war man hier wohl in Sicherheit. Doch sich nur nicht unnütz aufhalten, dachte Akut, und schwang sich in Windeseile mit seiner schweren Bürde von Ast zu Ast, immer tiefer hinein in die schwarze Dschungelnacht. Eine Zeitlang waren die Verfolger scharf hinter ihm her, doch als die flinkeren Gegner ihre weniger raschen Kameraden immer mehr hinter sich zurückbleiben und damit ihre anfängliche Übermacht stark zusammenschmelzen sahen, mochten sie wohl den Mut verlieren und gaben die tolle Hetzjagd auf. Eine Weile noch hallte ihr lautes Geknurr und Brüllen den Flüchtenden nach; dann kehrten sie enttäuscht nach dem Schauplatz des nächtlichen Zusammenstoßes zurück.