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Des Trankes Wirkung.

Der Tag, an welchem Diomed die auserlesensten seiner Freunde zu einem Gastmahle um sich versammelte, war erschienen. Glaukus und seine Genossen bildeten nur den kleinsten Teil der Gäste, welche sich vorzugsweise aus solchen Personen zusammensetzten, den gern auf fremder Leute Kosten dinierten. Da gab es einen Kriegsobersten aus Herkulanum, der gern von seinen unbekannten Heldentaten erzählte; da spreizte sich ein Dichter Fulvius, der seine ungelesenen Gedichte gern an den Mann brachte; da suchte eine Witwe gleichen Namens geistreich zu erscheinen und über Cicero den Stab zu brechen, trotzdem sie von seinen Reden kaum eine gelesen hatte. Kurzum, es war eine Gesellschaft, die einem Glaukus nicht behagen konnte, ganz abgesehen von der Taktlosigkeit der einzelnen, die dem Sohn des Hauses auf alle Art schmeichelten und die feste Zuversicht aussprachen, wenn Gerechtigkeit unter den Philosophen Pompejis walte, daß er unbedingt den Preis erringen müsse.

Julia, die heute in ihrer blendendsten Toilette erschien, nahm alle diese Ergüsse mit großem Behagen auf und lächelte dem Bruder vergnügt zu, während ein frohlockendes Lächeln über ihre Lippen glitt, sobald ihr Blick den sich still mit Sallust unterhaltenden Glaukus streifte.

Das Gespräch der Tafel wandte sich von dem geistigen Wettkampf dem bevorstehenden körperlichen im Amphitheater zu.

»Teure Julia,« rief die Witwe Fulvius der Tochter Diomeds über die Tafel zu. »Hast du schon den Tiger gesehen?«

»Nein.«

»Ei, alle Damen haben ihm bereits ihren Besuch abgestattet; er ist so hübsch.«

»Hoffentlich bekommen wir einen Verbrecher oder sonst jemand für ihn und den Löwen,« erwiderte Julia. »Dein Gemahl,« wandte sie sich zu der Gattin des gleichfalls anwesenden Pansa, »läßt sich die Sache nicht so angelegen sein, als er sollte.«

»Wahrhaftig, die Gesetze sind auch zu mild,« entgegnete die Dame; »es gibt nur wenige Verbrecher, gegen welche man die Strafe der Arena verfügen kann. Zudem werden die Gladiatoren nach und nach weichlich. Die stämmigsten Tierkämpfer erklären, sie wollten wohl lieber gegen einen Bären oder Bullen fechten, aber gegen Löwen oder Tiger, meinen sie, könnte der Spaß zu ernsthaft werden.«

»Sie verdienen, eine Mitra zu tragen,« erwiderte Julia verächtlich.

Die Mahlzeit schritt fort – die Gäste wurden immer gesprächiger und lauter; das Dessert oder der letzte Gang stand bereits auf dem Tisch, und die Sklaven boten den Gästen Wasser mit Myrrhe und Ysop zum Waschen dar. Im nämlichen Augenblick schien sich ein rundes Tischchen, das den Gästen gegenüber stand, plötzlich wie durch Zauberei in der Mitte zu öffnen und goß einen duftenden Staubregen auf Tafel und Menschen. Als dieser nachließ, wurde der obenschwebende Baldachin weggezogen, die Gäste sahen ein Seil quer unter der Zimmerdecke hingespannt, und einer von jenen behenden Tänzern, um derentwillen Pompeji so berühmt war, begann seinen lustigen Reigen genau über den Köpfen der Anwesenden.

Der Tänzer hielt endlich in seinen grotesken Sprüngen inne, schwang sich vom Seil herab und voltigierte über den Köpfen der Gäste hinweg auf den Fußboden, um hierauf mit einer Verbeugung zu verschwinden.

Der Kriegsoberste, welcher nach Herkulanum zurückkehren mußte, erhob sich und gab dadurch das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Die Mehrzahl der Gäste zog – da das Fahren mit Fuhrwerken innerhalb der engen Straßen der Stadt ziemlich gefährlich war – es vor, zu Fuß und nur unter Begleitung ihrer Sklaven nach Hause zurückzukehren.

Während Diomed und Lepidus den Fremden das Geleit bis zur unteren Treppe gaben, näherte sich Julia dem Athener, welcher auf ein Zeichen von ihr zurückgeblieben war.

»Ist es also wahr,« redete sie ihn an, »daß du bald deine Hochzeit mit der edeln Ione feiern wirst?«

»Wenn es die Götter gestatten, ist es mein sehnlichster Wunsch,« entgegnete Glaukus.

»Dann dürftest du kaum Zeit zur Erledigung der Studien für die Preisarbeit erhalten,« äußerte Julia in scherzendem Ton.

»Wahre und innige Liebe erhöht den Ehrgeiz,« gab Glaukus zurück. »Ich fühle, daß ich in der philosophischen Wissenschaft Fortschritte gemacht.«

»In der Tat?« rief die Dame, sich auf die Lippen beißend. »Schon glaubte ich, daß du diesmal von dem Wettkampf zurücktreten würdest.«

Glaukus verneinte und fügte hinzu:

»Erst will ich mich von der Wissenschaft krönen lassen, ehe ich Jone meine Hand fürs Leben reiche.«

»Sieh, sieh,« lächelte Julia, »du ordnest deine Siege wie ein Zeremonienmeister ein Fest bei Hose. Wer möchte auch gegen deinen Geist ankämpfen. Indessen gestatte der Freundschaft, dir ein Geschenk für deine Braut zu überreichen.«

»Von deiner Hand erscheint mir jede Gabe wert,« erwiderte Glaukus.

»Wirklich?« rief Diomeds Tochter mit blitzenden Augen. »So begleite mich nach meinem Zimmer, um das Geschenk aus meiner Hand in Empfang zu nehmen.«

Glaukus verbeugte sich und folgte der Sprecherin nach.

In ihrem Gemach angelangt, entnahm Julia aus einem mit Perlen ausgelegten Kästchen ein Futteral, das sie dem Griechen mit den Worten einhändigte:

»Bringe diese Perlen deiner Braut; möge ihr Juno Gesundheit geben, um diesen Schmuck lange zu tragen.«

Nach der damaligen Sitte trug Glaukus kein Bedenken, das kostbare Geschenk anzunehmen; gleichwohl sagte er:

»Du bietest Ionen Perlen, – und Perlen bedeuten Tränen.«

»Ist der weise Glaukus so abergläubisch?« neckte Julia, »dann wird es wohl geraten sein, sein Bedenken dadurch zu überwinden, daß ich ihn auf Iones Gesundheit noch einen Becher Weins trinken lasse.«

»Deine Aufmerksamkeit erfreut mich,« erwiderte Glaukus, während Julia einen Becher zur Hand nahm und ihn mit Wein füllte. »Auf das Wohl deiner Braut!« rief sie, das Trinkgefäß an ihre Lippen führend und es hierauf dem Athener darreichend.

Dis Sitte heischte, daß Glaukus den Becher leerte, und er verfehlte nicht, derselben nachzukommen.

Julia, den Betrug Nydias nicht ahnend, beobachtete den Trinkenden mit funkelnden Augen, und nur schwer vermochte sie ihre innere Freude vor ihm zu verbergen.

Nachdem er sich entfernt hatte, blieb sie triumphierend an der Türe stehen und murmelte, die Rechte hoch erhebend:

»Nur noch wenige Stunden, Weiser Glaukus, und der Trank hat dich in einen Narren verwandelt!«

Als Glaukus nach Hause zurückkehrte, fand er Nydia unter der Säulenhalle im Garten sitzen.

»Wartest du auf mich, mein Kind?« rief er überrascht.

»Nein, ich habe die Blumen begossen und blieb noch ein wenig, um auszuruhen.«

»Es war heute warm,« sagte Glaukus, indem er ebenfalls auf einem der Sitze in der Säulenhalle Platz nahm.

»Sehr warm.«

»Der Wein, den ich getrunken, hat mich erhitzt,« sprach Glaukus weiter; »ich durste nach etwas Kühlendem.«

Das Herz der Blinden schlug plötzlich heftig. In ihrer übergroßen Dankbarkeit, die sie für den Griechen in ihrem Herzen fühlte, war sie zu dem Entschluß gelangt, ihn jenes Elixier trinken zu lassen, das Julia für ihren Bruder bestimmt gehabt, um seinen Geist zu erleuchten. Der Gedanke, daß Glaukus fortan der weiseste Mann in ganz Pompeji sein werde, erfüllte das kindische Herz der Blinden mit Freude. In bewegtem Tone äußerte sie jetzt ihrem Wohltäter:

»Ich will dir aus Honig und gekühltem Wein einen erfrischenden Trank bereiten, wie ihn Ione liebt.«

»Dank,« erwiderte der ahnungslose Glaukus, »wenn ihn Ione liebt, so ist er gut und wird mir angenehm sein.«

Nydia entfernte sich rasch, um bald wieder mit einem gefüllten Becher zurückzukehren.

Nachdem Glaukus das Trinkgefäß aus ihrer Hand genommen, lehnte sich das zitternde Mädchen an die Wand. Ihr vorher so glühendes Gesicht war weiß wie Schnee; die zarten Hände krampfhaft ineinander gepreßt, die Lippen geöffnet, die Augen auf den Boden gesenkt, harrte sie der Wirkung des wuntertätigen Trankes.

Glaukus hatte inzwischen den Becher an die Lippen gesetzt und einen Teil des Inhalts getrunken, als er von der seltsamen Veränderung im Antlitz der Thessalierin derart gefesselt ward, daß er, den Becher absetzend, rief:

»Nydia, was fehlt dir, bist du krank?« Mit diesen Worten wollte er sich dem Mädchen nähern, doch ein plötzlicher Stich im Herzen hinderte ihn daran. Zu dem Schmerz gesellte sich eine wilde, wirre, schwindelnde Empfindung im Gehirn. Der Boden schien unter ihm zu weichen – es war ihm, als erhöben sich seine Füße in die Luft; eine mächtige, überirdische Freudigkeit durchbrauste seinen Geist; – er fühlte sich zu stürmisch bewegt für die Erde, – er sehnte sich nach Flügeln. Unwillkürlich brach er in ein lautes, markerschütterndes Gelächter aus. Er klatschte in die Hände. Aber schnell, wie es gekommen, verlor sich dieses unnatürliche Entzücken. Laut und rasch fühlte er jetzt das Blut durch die Adern strömen; es schien zu toben wie ein Strom, der seine Ufer durchbrochen hat und dem Ozean zuströmt. In seinem Ohr klang mächtiges Gebrause; er fühlte es zur Stirn emporsteigen, – fühlte, wie die Adern an seinen Schläfen sich dehnten und schwellten, als vermöchten sie die brausende, wachsende Flut nicht langer in sich zu behalten. Dann kam eine Art Finsternis über seine Augen, und durch die dämmerigen Schatten sah er die gegenüberstehende Wand glühen, während sich die darauf gemalten Figuren wie Geister zu regen und zu bewegen schienen. Was am seltsamsten war, er fühlte sich nicht unwohl; er erlag, er sank dem furchtbaren Wahnsinn, der sich über ihn zusammenzog, nicht; es war ihm vielmehr, als ob eine frische Gesundheit über ihn gekommen sei. So eilte er dem Wahnsinn zu, ohne es zu wissen.

Das furchtbare Gelächter des Atheners hatte Nydia aus ihrer ängstlichen Spannung aufgeschreckt. Mit unsäglicher Bestürzung vernahm sie seine abgebrochenen, unzusammenhängenden Reden. Sie eilte auf ihn zu, warf sich vor ihm nieder und umschlang seine Knie.

»O Glaukus, kennst du Nydia nicht?« rief sie mit Tränen der Angst.

»Was steigst du auf, finsterer Schatten,« rief der Unglückliche in schmerzlicher Bewegung. »Der Tod sitzt in deinem Lächeln! Sieh, ich kenne dich; magst du selber dich auch Orkus nennen, ich weiß, daß du Arbaces bist! Fliehe, finsterer Schatten, deine Zauber helfen dir nichts.«

»Glaukus! Glaukus!« flüsterte Nydia, indem sie ihn losließ und, überwältigt von Angst und Schmerz, ohnmächtig auf den Boden fiel.

»Wer ruft?« fragte er mit lauter Stimme; »es ist Ione, sie haben sie weggeschleppt, – wir wollen sie retten, – wo ist dein Dolch? Ha, da hab ich ihn! Ich komme, Ione, zu deiner Erlösung; ich komme! Ich komme!«

Mit diesen Worten setzte der Athener mit einem einzigen Sprung aus der Säulenhalle, eilte aus dem Haus und stürzte mit schnellen, aber wankenden Schritten die sternenhellen Straßen hinab. Die ihm begegnenden Menschen wichen scheu vor ihm zurück, und so stürmte er unausgehalten weiter, dem Haine am Ufer des Sarnus zu, wo Olinth die Unterredung mit Äpäcides gehalten hatte.

*


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