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Der Ägypter Arbaces war von seinem Spaziergang am Gestade des Meeres nach dem Stadtteile zurückgekehrt, wo sich der neuerrichtete Isistempel erhob.
Mit ziemlicher Verachtung blickte er auf die ihm begegnenden Menschen, die der siegreichen Nation der Römer angehörten, durch deren Emporkommen das Geschlecht seiner mächtigen Ahnen gestürzt worden war. Mit Ingrimm im Herzen dachte Arbaces daran, daß der römische Adler auf der Schlange des Nils thronte, und die Pyramiden nicht mehr den Herrschersitz der Ramasaten schirmten. Der Ägypter haßte das Römervolk, und seine einzige Genugtuung bestand darin, dasselbe mit Hilfe der Orakel seiner Religion zu täuschen. Er triumphierte über die Albernheit der römischen Sieger, über deren Aberglauben er hoch erhaben stand.
Das dem Isisdienst geweihte Gebäude stand erst seit kurzer Zeit, doch hatte es schon massenhaften Zulauf, da der alte Götterglaube der Römer bereits zu wanken begann, und der geheimnisvolle ägyptische Kult einen mächtigen Reiz ausübte. Dazu kam noch, daß die Orakel der Göttin stets genau auf die Verhältnisse der einzelnen Personen paßten und somit in einem merkwürdigen Gegensatz zu den unbestimmten und allgemein gehaltenen Aussprüchen der mit ihnen rivalisierenden römischen Tempel standen. Als Arbaces vor dem Gitter anlangte, das den Ungeweihten von dem Heiligtum abschied, umgab eine allen Klassen angehörende Menge von Andächtigen in tiefster Stille und Ehrfurcht die Altäre in dem offenen Hof.
In den Wänden der Cella, die hinter sieben Stufen von parischem Marmor aufstieg, standen verschiedene Bildsäulen in Nischen; die Wände selbst waren mit den der Isis geheiligten Granatäpfeln geziert; das innere Gebäude nahm ein längliches Fußgestell ein, worauf sich zwei Statuen erhoben, eine die Göttin selbst, die andere ihren Gefährten, den schweigenden, mystischen Osiris, vorstellend. Außerdem enthielt der Tempel noch viele andere Gottheiten, um der Göttin ein glänzendes Gefolge beizugeben; wie zum Beispiel den hundeköpfigen Anubis, den Stier Apis, und mehrere ägyptische Idole.
Zu beiden Seiten der Stufen war die Opferschar in weißen Gewändern aufgestellt, während hoch oben zwei Unterpriester standen, von denen der eine einen Palmenzweig und der andere ein Ährenbüschel trug. In den engen Zugang drängten sich die Zuschauer, welche zum größten Teil dem Handelsstande angehörten, wie denn überhaupt die kommerzielle Verbindung den Isisdienst nach Pompeji gebracht hatte.
»Welche Veranlassung versammelt euch heute vor den Altären der ehrwürdigen Isis?« fragte Arbaces einen der Kaufleute, welcher niemand anders, als der reiche Diomed war. »Ihr scheint ein Orakel zu erwarten?«
»Wir sind Kaufleute,« antwortete Diomed, »die das Schicksal unserer morgen nach Alexandria absegelnden Frachtschiffe zu erfahren wünschen. Wir bringen der Göttin unser Opfer dar und erflehen ihre Antwort.«
»Wenn schon Isis die Göttin des Ackerbaues ist,« gab der Ägypter in tiefernstem Ton zurück, »so beschützt sie doch auch gern den Handel, als den treuen Gefährten des ersteren.«
Auf den oberen Stufen erschien jetzt ein weißgekleideter Priester, dessen Schleier sich auf dem Scheitel teilte. Gleichzeitig stimmte ein unten an der Treppe sitzender Priester eine feierliche Weise aus einem langen Blasinstrument an, während als Zugabe zu dem malerischen Anblick dieser morgenländischen Festlichkeit der stattliche Ibis (ein dem ägyptischen Götterdienst geheiligter Vogel) um den unten an der Treppe befindlichen Altar langsam herumwandelte.
An diesem Altar stand jetzt der Oberpriester.
Während die Heruspices (Opferbeschauer) die Eingeweide der geopferten Tiere untersuchten, schien das Gesicht des Arbaces seine ganze strenge Ruhe zu verlieren und in andächtiger Spannung zu schweben – sofort aber sich freudig aufzuhellen, als die Zeichen für günstig erklärt wurden, und das Feuer anfing, den geheiligten Teil des Tieres in lichter Lohe, unter Düften von Myrrhen und Weihrauch, zu verzehren. Unter der Versammlung herrschte Todesstille. Die Priester umstanden die Cella, ein Hierodule (Tempelsklave) stürzte hervor und flehte in einem wilden Tanz die Göttin um Antwort an. Erschöpft hörte er endlich auf, und alsbald ließ sich ein leises, murmelndes Geräusch im Körper der Statue vernehmen. Dreimal nickte das Haupt, die Lippen öffneten sich und eine hohle Stimme sprach sofort folgende geheimnisvolle Worte:
»Es gibt Lüfte, wie Rosse zum Kampfe verbunden,
Es gibt Grüfte, gegraben im Felsenriff drunten;
Auf der Stirne der Zukunft brüten Gefahren,
Doch das Schiff wird die furchtbare Stunde bewahren.«
Die Stimme schwieg – die Menge atmete freier.
»Nichts kann deutlicher sein,« flüsterte Diomed seinem Nachbar zu, »es wird einen Sturm auf der See geben, wie dies bei Beginn des Herbstes sehr häufig der Fall ist, aber unsere Schiffe werden gerettet werden. O, wohltätige Isis!«
»In Ewigkeit sei die Göttin gelobt!« äußerten die Kaufleute.
Die Hand zum Zeichen des Stillschweigens erhebend, denn die Feier der Isis legte den lebhaften Pompejanern eine Zügelung ihrer sonst so beweglichen Zunge auf, sprengte der Oberpriester feine Libation auf den Altar; nach kurzem Schlußgebet war die Zeremonie vorüber, und die Versammelten wurden entlassen.
Der Ägypter verweilte noch immer an dem Geländer, und als der Raum etwas leer geworden, näherte sich einer der Priester und grüßte ihn mit dem Anschein enger Vertraulichkeit.
Das Gesicht des Nahenden hatte etwas auffallend Widerliches. Sein kahler Schädel erinnerte in seiner Bildung an den eines Negers, die dunkeln, kleinen Augen rollten in trüben, gelben Höhlen; die kurze, dicke Nase stülpte sich an den Nüstern wie bei einem Satyr auf; die wulstigen Lippen und die hohen Backenknochen vervollständigten endlich ein Antlitz, das niemand ohne Widerwillen und wenige ohne Schrecken und Mißtrauen sehen konnten. Die eisernen Kehlmuskeln, die breite Brust, die nervigen Hände und gedrungenen, fettlosen Arme, die er bis über den Ellbogen entblößt trug, deuteten auf einen Gliederbau, der ebenso sehr zu großer selbsttätiger Anstrengung als zu passiver Ausdauer taugte.
» Kalenus,« äußerte der Ägypter zu diesem unheimlichen Priester, »du hast durch Beachtung meines Winkes die Stimme der Statue bedeutend verbessert, und deine Verse sind trefflich; du prophezeist stets Glück, falls dessen Erfüllung nicht geradezu unmöglich ist.«
»Ei nun,« erwiderte der Priester lachend, »wenn ein Sturm kommt und die verwünschten Schiffe verschlingt, haben wir's nicht vorausverkündet? Sind die Schiffe nicht Wohl bewahrt, wenn sie in Ruhe liegen, und kann der Schiffer mehr Ruhe haben, als auf dem Grund derselben?«
»Recht, mein Kalmus; ich wollte, Apäcides ging bei deiner Weisheit in die Schule. Doch ich muß mit dir über ihn und andere Dinge sprechen; kannst du mich nicht in eines eurer minder heiligen Gemächer führen?«
»Sogleich,« erwiderte der Priester und ging nach einem der kleinen Zimmer voran, welche das offene Tor umgaben. Hier nahm das Paar vor einem Tischchen Platz, das mit Tellern voll Obst, Eiern und verschiedenen kalten Gerichten, sowie mit Gefäßen voll herrlichen Weins besetzt war. Während die beiden Gefährten davon genossen, verbarg sie ein Vorhang, der an dem nach dem Hof führenden Eingang herabhing.
»Du weißt,« begann Arbaces mit flüsternder Stimme, »daß ich vor einiger Zeit in Neapolis auf Ione und Apäcides stieß. Bruder und Schwester, Kinder von Athenern, die sich in Neapolis niedergelassen. Der Tod ihrer Eltern, die mich kannten und schätzten, machte mich zu ihrem Vormund. Ich vernachlässigte die mir übergebene Obhut nicht. Der Jüngling, mild und gelehrig, fügte sich willig den Eindrücken, die ich ihm einzuprägen suchte. Ich liebe das Land meiner Väter; mich reizt es, seinen dunkeln, geheimnisvollen Glauben lebendig zu erhalten, ihn auf entfernte Küsten zu verpflanzen. Den Apäcides unterwies ich in der heiligen Lehre der Isis. In seiner für religiöse Glut besonders empfänglichen Seele fachte ich die Begeisterung an, welche aus der Einbildungskraft Glauben erzeugt. Ich habe meinen Lehrling euch beigegeben.«
»Er ist der unsere,« erwiderte Kalenus, »aber indem du seinen Glauben entflammtest, hast du ihn der Klugheit beraubt. Die Einführung in unsere Mysterien hat ihn enttäuscht und wie vom Donner gerührt; unsere sprechenden Bildsäulen und geheimen Treppen empören ihn; er trauert und verweigert die Teilnahme an unseren Zeremonien. Man weiß, daß er den Umgang von Menschen sucht, die im Verdacht stehen, sich zu jenem neuen, nazarenischen Glauben hinzuneigen, der alle unsere Götter leugnet und unsere Orakel Eingebungen des bösen Geistes nennt. Nun freilich, wir wissen wohl,« schloß der Sprecher mit einem widerlichen Lachen, »wessen Eingebungen sie sind.«
»Du sagst mir da nichts neues,« erwiderte Arbaces nachdenklich. »Seit einiger Zeit flieht er meine Gesellschaft. Ich muß ihn aufsuchen, um meinen Unterricht fortzusetzen. Ich will ihn lehren, daß es Stufen der Heiligkeit gibt – die erste heißt Glauben und die zweite Täuschung; die erste ist für die Menge, die zweite dagegen für den Weisen.«
»Ich glaube kaum,« bemerkte Kalenus, »daß es dir gelingen wird, Apäcides zu einem Weisen zu erziehen. Er ist ein gutmütiger Tor, dessen Herz vor jedem Körnchen Unwahrheit zurückschreckt.«
»Was mir nicht gelingt, wird ein anderer bei ihm erreichen.«
»Und dieser andere?« fragte Kalenus gespannt.
»Ist ein Weib.«
»Ich verstehe dich nicht –«
»Seine Schwester Ione. Sie soll mir seine Erziehung vollenden helfen.«
»Du sprichst noch immer in Rätseln.«
Arbaces lächelte geringschätzig und fuhr erst nach einer Weile fort: »Ich werde die Macht, welche ich über sie als Vormund besitze, dazu benutzen, aus Ione eine Priesterin der Isis zu machen.«
Kalenus blickte den Sprecher hochüberrascht an, welcher nach kurzer Pause abermals begann:
»Ione besitzt einen kühnen Geist, der alles zu beherrschen weiß. Fantasie und Vernunft liegen bei ihr nicht im Kampf; sie stimmen überein und leiten ihr Wesen, wie Winde und Wogen ein hohes Schiff leiten. Damit verbindet sie eine mutige Unabhängigkeit der Ansichten; sie kann allein in der Welt stehen, kann ebenso herzhaft sein, als sanft, sie besitzt – doch du mußt ihre Geschichte hören,« fügte Arbaces abbrechend hinzu. »Als ihr Bruder von ihr schied und in euern Bund trat, zog auch sie, um ihm nahe zu bleiben, nach Pompeji. Sie gab zu, daß ihre Talente bekannt wurden, denn sie ist stolz auf ihren Geist, den Zauber ihrer Poesie und den Reiz ihrer Unterhaltung. Sie ladet die vornehme Welt Pompejis in ihr Haus, und ihre Stimme bezaubert, und ihre Dichtungen überwältigen ihre Gäste.«
»Und du glaubst,« versetzte Kalenus mit einem sarkastischen Lächeln, »daß diese eitle, allbewunderte Ione den Schauplatz ihres Ruhms verlassen wird, um das schlichte Kleid der Isispriesterin anzulegen und in Abgeschiedenheit ihr Leben zu verbringen? Du glaubst wirklich, daß du diese Macht über sie besitzest?«
»Hast du es schon je erlebt,« erwiderte der Ägypter mit drohend finsterm Blick, »daß Arbaces ein Plan mißlungen ist, bei dessen Ausführung er seine ganze Energie ins Treffen geführt?«
Der Genosse mußte verneinen, und der Ägypter fuhr fort:
»So unterdrücke auch jetzt deine Zweifel und höre mich zu Ende. Seit einiger Zeit zeigt sich Ione stiller als jemals. Sie liebt jetzt schwermütige, weiche Musik, seufzt ohne äußere Veranlassung. Ich muß hinter die Ursache dieser geheimnisvollen Umwandlung kommen, welche für meine Pläne günstig ist, und du sollst mir dabei behilflich sein.«
»Verfüge über deinen treuen Diener,« erwiderte Kalenus.
Der Ägypter gab ihm ein Zeichen, sich zu erheben, und beide Männer schritten, in ein geheimnisvolles Gespräch vertieft, langsam der Wohnung des Arbaces zu.
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