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In der Schenke zum Gladiator.

Vor einem niedrigen Hause, das zu jenem von Gladiatoren und Lohnfechtern bewohnten Quartier gehörte, stand eine Gruppe Männer, deren kurze, herkulische Nacken, deren harte, fühllose Züge die Helden der Arena andeuteten.

Ein oberhalb des Eingangs befestigtes Brett, welches irdene Krüge trug, sowie ein an der Wand angebrachtes Gemälde, welches trinkende Gladiatoren darstellte, zeigte an, daß man sich vor einer Schenke befand. Im Zimmer derselben standen mehrere Tischchen, an denen eine Anzahl Männer saß, einige trinkend, andere würfelnd.

Es war noch früh vormittags; wenn trotzdem die Schenke reichlich Gäste beherbergte, so ließ dies am besten auf den Hang zum Müßiggang schließen.

»Beim Pollux,« rief einer von den Gladiatoren, indem er sich gegen den Türpfeiler lehnte, »der Wein, den du an uns ausschenkst, alter Silen, kann einem das beste Blut in den Adern verdünnen.« Damit klopfte er einer vierschrötigen Gestalt auf die Schultern.

Der mit solcher Schmeichelei begrüßte Mann, dessen entblößte Arme, weiße Schürze und nachlässig in den Gürtel gesteckten Schlüssel samt Wischtuch ihn als Wirt der Schenke bezeichneten, befand sich bereits in dem Herbst seines Lebens; aber noch immer zeigten seine Körperverhältnisse eine athletische Kraftfülle, welche die markigen Figuren neben ihm hätte beschämen können.

»Keine von deinen einfältigen Possen gegen mich,« brummte der riesige Gastgeber mit dem sanften Halbgebrüll eines ungehaltenen Tigers. »Mein Wein ist gut genug für einen Menschen, der bald den Staub des Spolariums (Totenkammer) einsaugen wird.«

»Krächzest du also, alter Rabe?« erwiderte der Gladiator verächtlich. »Sollst dich noch aus Ärger aufhängen, wenn du mich die Palmenkrone gewinnen siehst. Bekomm ich die Börse im Amphitheater, wie sicherlich geschieht, so soll mein erstes Gelübde an Herkules sein, daß ich dich und dein elendes Gesindel für immer abschwöre.«

»Hahaha,« rief der Wirt lachend den übrigen Gästen zu, »Sporus, Niger, Tetraides, er meint, er gewinne euch den Preis ab. Könnt ihr doch, bei den Göttern, mit jedem Muskel den ganzen Kerl zusammendrücken, oder ich verstehe nichts von der Arena.«

»Ha,« entgegnete der Gladiator und ward rot vor Zorn, »unser Lanista (Fechtmeister) weiß da andere Geschichten zu erzählen.«

»Welche Geschichten könnte er gegen mich erzählen, großmäuliger Lydon?« fragte Tetraides mit gefurchter Stirn.

»Oder gegen mich, der in fünfzehn Kämpfen gesiegt?« fügte der gigantische Niger hinzu, indem er auf den Gladiator zuschritt.

»Oder mich?« brummte Sporus mit flammenden Augen.

»Still,« gebot Lydon, die Arme kreuzend und seine Gegner mit unerschütterter, herausfordernder Miene ansehend. »Die Probezeit wird bald da sein; spart euern Mut bis dahin.«

»Ja, tut das,« sagte der griesgrämige Wirt, »und wenn ich den Daumen einschlage, um euer Leben zu retten, Wollten die Zuschauer einen besiegten Gladiator erhalten wissen, so schlugen sie den Daumen ein. Wollten sie ihm keine Gnade widerfahren lassen, so richteten sie den Daumen in die Höhe, was das Zeichen war, daß er das gesenkte Schwert wieder erheben und bis zum Tod kämpfen solle. sollen die Parzen meinen Faden abschneiden.«

»Deinen Strick, willst du sagen,« erwiderte Lydon höhnisch. »Hier ist ein Sesterz, um einen zu kaufen.«

Der titanenhafte Weinhändler ergriff die ihm dargebotene Hand und klemmte sie mit der Gewalt einer Schraube zusammen, so daß das Blut unter den Fingernägeln hervorspritzte.

Bei diesem Anblick schlugen die Gäste ein wildes Gelächter aus.

»Ich will dich lehren, junger Prahlhans, den Mazedonier gegen mich zu spielen. Ich bin kein ärmlicher Perser, sage ich dir! Was, Kerl, habe ich nicht zwanzig Jahre lang in der Arena gefochten, ohne meine Arme ein einzigesmal zu senken, und soll jetzt von einem Gelbschnabel geschult werden?« Damit stieß er die Hand verächtlich von sich.

Ohne einen Muskel zu ändern und mit demselben lächelnden Gesicht, womit er den Wirt zuvor bespöttelt hatte, ertrug der Gladiator die schmerzliche Umfassung. Kaum jedoch fühlte er seine Hand frei, als er sich einen Augenblick niederduckte, wie eine wilde Katze; das Haar sträubte sich ihm aus dem Kopf und Bart empor, und unter einem wilden, gellenden Schrei fuhr er dem Riesen mit einer Gewalt an die Kehle, welche diesen trotz seiner Stämmigkeit aus dem Gleichgewicht brachte. Mit dem Getöse eines stürzenden Felsens fiel er nieder und über ihn auch sein rachedurstiger Gegner.

Vielleicht hätte der Wirt des ihm von Lydon so freundlich empfohlenen Strickes nicht bedurft, wäre er drei Minuten länger in dieser Stellung geblieben. Aber das Geräusch seines Falles rief aus einem anstoßenden Zimmer eine Frau auf den Kampfplatz herbei. Dieselbe war lang, dürr und mit nervigen Armen ausgestattet, um die sie ein Gladiator beneiden konnte. Die zarte Ehehälfte Burbos, des Weinschenken, hatte gleich ihm selbst in den Schranken, ja vor dem Kaiser, gefochten. Dieses holde Geschöpf bemerkte nicht sobald die drohende Gefahr ihres Eheherren, als sie sofort auf den Gladiator zuschoß, ihn mit ihren langen, schlangenartigen Armen mitten um den Leib packte und mit einem plötzlichen Ruck vom Körper des Gemahls emporriß, so daß nur Lydons Hände noch den Hals seines Gegners umklammerten.

Unterdessen drängten sich die Gladiatoren, mit Blut großgezogen und gemästet, voll Wonnegefühl um die Kämpfer her; weit öffneten sich ihre Nüstern, die Lippen grinsten, die Augen hasteten gierig auf der zugeschnürten Kehle des einen und den zappelnden Fersen des andern.

» Habet! (er hat's!) habet!« riefen sie nach Art der Zuschauer im Amphitheater mit einem Gejauchze und rieben sich die nervigen Hände.

» Non habeo, ich hab's nicht, ihr Lügenpack,« brüllte der Wirt, als er sich mit mächtiger Anstrengung endlich von den Krallen des Gegners losgewunden hatte und atemlos, keuchend, zerschunden und blutig auf die Füße sprang. Mit rollenden Augen wandte er sich gegen den stieren Blick, die knirschenden Zähne des überwundenen Widerparts, der jetzt gegen den Griff der stämmigen Amazone mit Verachtung ankämpfte.

»Gleiches Spiel!« riefen die Gladiatoren, »einer gegen einen!« Damit drängten sie sich um Lydon und das Weib und trennten den racheschnaubenden Wirt von seinem beleidigten Gast.

Lydon aber, der sich über seine nunmehrige Lage schämte und die Umklammerung der Vigaro vergebens abzuschütteln suchte, fuhr mit der Hand in den Gürtel und zog ein kurzes Messer. So drohend war sein Blick, so hell funkelnd die Klinge, daß Stratonice, bloß an den Faustkampf gewöhnt, erschrocken zurückwich.

»O Götter!« rief sie, »der Schurke! – er hat Waffen versteckt! – ist das redlich? heißt es handeln wie ein Mann von Ehre und ein Gladiator? Nein, wahrhaftig, solche Kerle verachte ich!« Damit wandte sie dem Fechter hohnvoll den Rücken und eilte, den Zustand ihres Mannes zu untersuchen. Dieser jedoch, an dergleichen Leibesübungen gewöhnt, wie ein englischer Bullenbeißer an den Kampf mit einem zarteren Gegner, hatte sich bereits wieder erholt. Das Hochrot seiner aufgedunsenen Wangen schwand, und die Stirnader schrumpfte zu ihrer gewohnten Größe ein. Mit wohlgefälligem Grunzen schüttelte er sich, zufrieden, daß er noch lebe, und überblickte dann seinen Feind vom Kopf bis zum Fuß mit einer Miene höherer Würdigung, als er ihm bisher je hatte angedeihen lassen.

»Beim Castor!« rief er, »ein stärkerer Bursch, als ich geglaubt! Ich sehe, du bist ein Mann von Verdienst und Tugend; gib mir deine Hand, mein Held!«

»Braver alter Burbo!« jauchzten die Gladiatoren applaudierend, »durch und durch ein Kerl. Gib ihm die Hand, Lydon.«

»O gewiß,« sagte der Gladiator, »aber da ich jetzt einmal sein Blut gekostet, möcht ich es ganz einschlucken.«

»Beim Herkules!« gab ihm der Wirt ganz freundlich zurück, »das ist die wahre Empfindung eines Gladiators. Beim Pollux! Was gute Zucht aus einem Menschen machen kann; könnte doch kein Tier wilder sein.«

»Ein Tier? Einfalt! Tiere können's mit uns nicht aufnehmen!« rief Tetraides.

»Na, na,« erwiderte Stratonice, ihr Haar glättend und ihre Locken ordnend, »wenn ihr jetzt wieder alle gute Freunde seid, so empfehle ich euch, ruhig und ordentlich zu sein, denn einige junge Herren, euere Gönner und Beschützer, haben vermelden lassen, sie wollen euch hier einen Besuch machen; – sie möchten euch mit mehr Bequemlichkeit sehen als in der Fechtschule, ehe sie ihre Wetten auf den großen Kampf im Amphitheater abschließen, sie kommen jedesmal zu diesem Zweck in unser Haus; sie wissen, daß wir nur die besten Gladiatoren in Pompeji aufnehmen, – unsere Gesellschaft ist, den Göttern sei Dank, sehr auserlesen.«

»Ja!« fuhr Burbo fort und stürzte einen Becher Weins hinunter, »ein Mann, der meine Lorbeeren errungen, kann nur die Tapfersten begünstigen. Lydon, trink mein Junge; mögest du ein ehrenvolles Alter, wie ich, erleben!«

»Pst!« zischelte die Stimme Stratonices ihrem Gatten zu. »Kalenus hat sich eben verkleidet durch die Hintertür eingeschlichen; hoffentlich hat er die Sesterze gebracht.«

»Ja? Da will ich gleich zu ihm; halt indessen ein wachsames Auge auf die Becher und gib aufs Kerbholz acht; laß dich nicht betrügen, Weib; es sind freilich ganze Kerle, aber arge Spitzbuben.«

»Habe meinetwegen keine Sorge, Narr,« lautete die zärtliche Antwort; und Burbo, zufrieden, mit dieser liebevollen Versicherung, schritt durch das Zimmer in die Penetralia des Hauses.

»Also diese mildtätigen Gönner wollen sich unsere Muskeln besehen,« äußerte inzwischen Niger. »Wer hat dich davon benachrichtigen lassen, Wirtin?«

»Lepidus. Er bringt den Klodius mit, den glücklichsten Wetter in Pompeji, und den jungen Griechen Glaukus.«

»Eine Wette aus eine Wette!« rief Tetraides, »Klodius wettet auf mich, es gilt zwanzig Sesterze! Was sagst du, Lydon?«

»Er wettet auf mich,« erwiderte Lydon.

»Nein, auf mich!« brummte Sporus.

»Tröpfe, glaubt ihr, er werde einen von euch dem Niger vorziehen?« fragte der Gigant, sich selbst in dieser bescheidenen Weise nennend.

»Na, na,« rief Stratonice, indem sie eine große Amphora für die Gäste anstach, die sich jetzt an einen der Tische gesetzt hatten, »so großes Vertrauen ihr auch aus eure Körperkraft haben möget, wer wird's denn mit dem numidischen Löwen aufnehmen wollen, falls sich kein Übeltäter finden sollte, der euch die Wahl erspart.«

»Ich, der deinen Armen entgangen, gewaltige Stratonice,« erwiderte Lydon, »könnte mich wohl ohne Gefahr mit dem Löwen einlassen.«

»Sage mir doch,« fragte Tetraides, »wo ist denn deine hübsche Sklavin, das blinde Mädchen mit den glänzenden Augen? Habe sie schon lange Zeit her nicht zu Gesicht bekommen.«

»Wir schicken sie in die Stadt, um Blumen zu verkaufen und den Damen zu singen; auf diese Art trägt sie uns mehr Geld ein, als wenn sie die Gäste bedient.«

»Aber höre mal, Stratonice, wie kamst du zu so einer zarten Sklavin? Sie würde eher zum Dienstmädchen bei einer reichen Matrone in Rom als bei dir taugen.«

»Das ist wahr, und ich denke auch dereinst noch durch ihren Verkauf einen schönen Gewinn zu machen. Wie ich zu Nydia gekommen, fragst du? Nun, meine Sklavin Staphyla starb, und dies war mir ein großer Verlust, da ging ich auf den Markt, mir eine andere Sklavin zu kaufen. Aber bei den Göttern, sie waren alle so teuer geworden, seit ich die arme Staphyla gekauft, und das Geld war so rar, daß ich den Platz eben ohne alle Hoffnung wieder verlassen wollte, als mich ein Kaufmann am Rock zupfte. ›Frau,‹ sprach er. ›möchtest du eine wohlfeile Sklavin kaufen? Ich habe da ein Mädchen, mit dem sich ein hübscher Handel machen ließe. Sie ist zwar klein und noch fast ein Kind, aber flink und still, gelehrig und verständig, singt hübsch, stickt und ist von gutem Blut, ich versichere dich.‹ Aus welchem Lande? fragte ich. ›Eine Thessalierin.‹ Nun wußte ich, daß die Thessalierinnen flink und doch sanft sind. Ich sagte also, ich wolle das Mädchen ansehen. Ich fand sie gerade, wie ihr sie noch jetzt seht, dem Äußern nach kaum ein wenig kleiner und jünger. Sie sah geduldig und unterwürfig aus mit ihren auf der Brust gekreuzten Armen und niedergeschlagenen Augen. Ich fragte den Händler nach dem Preis; er war mäßig, und ich kaufte sie sogleich. Der Mensch brachte sie in mein Haus und verschwand im Augenblick wieder. Denkt euch aber mein Erstaunen und meine Wut, als ich entdeckte, daß sie blind sei! He, ein sauberer Zeisig, der Kaufmann! Ich lief gleich zur Obrigkeit, aber der Schurke war bereits aus Pompeji weg. So mußte ich denn in sehr übler Laune nach Hause, und das blinde Ding bekam die Wirkungen davon zu fühlen. Es war aber nicht ihr Fehler, daß sie blind war, denn sie war's von Geburt an gewesen. Allmählich söhnten wir uns mit unserem Kauf wieder aus. Freilich hatte sie nicht die Stärke der Staphyla und war von sehr geringem Nutzen im Haus, aber in der Stadt fand sie ihren Weg bald so gut, als hätte sie die Augen des Argus gehabt; und als sie uns eines Morgens eine Handvoll Sesterze mit zurückbrachte, die sie, wie sie sagte, vom Verkauf einiger Blumen aus unserm armseligen, kleinen Gärtchen erlöst hatte, glaubten wir, die Götter hätten sie uns zugeschickt. Seit der Zeit lassen wir sie ausgehen, wie sie will, das Körbchen mit Blumen gefüllt, die sie nach der thessalischen Art in Kränze windet. Dies gefällt den Modeherren, und die vornehmen Leute scheinen einen besonderen Geschmack an ihr zu finden, denn sie zahlen ihr immer besser als irgendeinem anderen Blumenmädchen, und jederzeit bringt sie uns alles zurück, was gewiß mehr ist, als jede andere Sklavin tun würde. So verrichte ich denn die Arbeit im Hause selbst, aber ihre Einnahme wird mir bald so viel eingetragen haben, daß ich mir eine zweite Sklavin kaufen kann. Ohne Zweifel hat der thessalische Händler das blinde Mädchen von ordentlichen Leuten gestohlen. Außer ihrer Fertigkeit im Kranzwinden singt sie auch und spielt aus der Zither, was uns ebenfalls Gewinn trägt.«

»Laß dein Geschwätz, gute Frau, und bring uns unser Essen, ich bin hungrig,« fiel Sporus ungeduldig ein.

»Ich auch,« wiederholte der grimmige Niger, sein Messer an der flachen Hand wetzend.

Die Amazone schritt nach der Küche und kehrte bald mit einem Brett voll großer, halbgekochter Fleischstücke zurück; denn dadurch glaubten die Helden des Lohnkampfs ihre Stärke und Wildheit am besten zu erhalten. Sie setzten sich an den Tisch mit den Blicken ausgehungerter Wölfe; das Fleisch verschwand, und der Wein floß.

Während dessen saß Burbo mit dem neuen Ankömmling in einem Hinterstübchen, das durch einen schmalen Gang mit der rückwärtigen kleinen Pforte in Verbindung stand, die sich in jedem Hause Pompejis vorfand.

Kalenus war in einen weiten Mantel gehüllt, der jetzt nur noch lose um seine Schultern hing. Er und Burbo verkehrten in großer Vertraulichkeit miteinander, was um so weniger verwundern konnte, da der Wirt der Gladiatorenschenke ein Verwandter des Isispriesters war. Der letztere stammte von niedrigen Eltern ab; trotzdem hatte er aber eine gute Erziehung genossen und von seinem Vater sogar ein kleines Vermögen geerbt, das er jedoch in kurzer Zeit durchgebracht. Er entschied sich für den Priesterstand als das letzte Rettungsmittel gegen den Mangel, denn die Diener eines Tempels hatten sich nie über den Ertrag ihres Berufs zu beklagen. Kein Gewerbe ist so gewinnbringend als das, welches den Aberglauben der Menge zur Unterlage hat.

Von Kalenus' Verwandten in Pompeji lebte nur noch Burbo. Der Diener der Isis stahl sich oft verkleidet von seinen vermeintlich so strengen Andachtsübungen weg, schlich sich durch das Hinterpförtchen in das Haus des zur Ruhe gesetzten Gladiators, eines durch innere Verdorbenheit und Beruf gleich ehrlosen Menschen, und freute sich, dort den Lappen der Heuchelei wegzuwerfen. Burbo, der ihm heute gegenüber saß, zählte auf einem zwischen ihnen stehenden Tisch sorgfältig ein Häufchen kleiner Münzen, die der Priester soeben aus seiner Börse geschüttelt.

»Du siehst,« äußerte Kalenus, »daß wir dich hübsch bezahlen, und solltest mir danken, daß ich dich auf einen so einträglichen Markt empfohlen habe.«

»Das tue ich, Vetter,« erwiderte Burbo mit Wärme, indem er die Geldstücke in ein ledernes Säckchen strich, das er sofort in den Gürtel steckte. »Und bei der Isis, Pisis und Nysis, oder was noch sonst für Götter in Ägypten sein mögen, meine kleine Nydia ist für mich ein wahrer Hesperidengarten, eine Goldgrube.«

»Sie singt gut und hat ein Saitenspiel wie eine Muse,« entgegnete Kalenus, »das sind Eigenschaften, die mein Patron stets freigebig bezahlt.«

»Er ist ein Gott!« ries Burbo begeistert aus. »Jeder großmütige Reiche verdient göttliche Verehrung. Aber trinke einen Becher Wein und erkläre mir mehr von diesen geheimnisvollen Dingen. Was hat sie zu tun? Sie ist eingeschüchtert, faselt von ihrem Eid und will mit der Sprache nicht heraus.«

»Sowenig als ich,« äußerte Kalenus. »Auch ich habe diesen furchtbaren Eid der Geheimhaltung geschworen.«

»Eid,« lachte Burbo verächtlich, »was sind Eide für unsereins?«

»Wär's so ein Alltagseid; aber dieser!« Der herkulische Priester schauderte. »Ja,« fuhr er fort, einen mächtigen Becher ungemischten Weins leerend, »ich gestehe dir, es ist nicht so sehr der Eid, den ich fürchte, als die Rache dessen, der ihn mir abgenommen. Bei den Göttern, er ist ein gewaltiger Zauberer und könnte die Kunde vom Bruch meines Geheimnisses selbst vom Mond herabziehen, wenn ich es diesem auszuschwatzen wagte.«

»In diesem Augenblick vernahmen sie ein leichtes Geräusch, als ob jemand nach der Klinke fühlte. Der Priester verhüllte rasch mit der Kapuze das Gesicht.

»Sei ruhig,« erwiderte der Wirt, »es ist nur das blinde Mädchen.«

Nydia hatte die Tür geöffnet und trat jetzt in das Zimmer.

»Na, Kind, wie geht dir's?« redete Burbo die Eintretende an.

Ohne Antwort zu geben, sank das Mädchen mit dem Ausdruck der Mattigkeit auf einen Sitz. Ihre Farbe kam und ging in raschem Wechsel; ungeduldig stampfte sie mit den Füßchen den Boden, erhob dann plötzlich den Kopf und sagte in entschlossenem Ton:

»Herr, du kannst mich verhungern lassen, wenn du willst, kannst mich schlagen, mit dem Tode bedrohen, – aber nach diesem unheimlichen Ort gehe ich nicht wieder.«

»Was, Narr,« rief Burbo wild, »was, du widerspenstiges Ding? Nimm dich in acht.«

»Ich habe es ausgesprochen,« entgegnete das arme Mädchen, die Hände über der Brust kreuzend.

»Was,« schrie jetzt der Wirt, »du willst nicht mehr hingehen? Hahaha, so wird man dich hintragen.«

»Dann mögen mir die Götter helfen,« rief verzweifelnd das blinde Mädchen. »Ich wende mich an die Obrigkeit.«

» Denke an deinen Eid,« mahnte Kalenus' hohle Stimme.

Bei diesen Worten erfaßte ein Zittern den ganzen Körper des blinden Kindes; flehend faltete sie ihre Hände. »Unglückliche, die ich bin,« rief sie und brach in heftiges Schluchzen aus.

Mochte es dieser laute Schmerzenston gewesen sein, der Stratonice herbeiführte oder nicht, genug, ihre schreckhafte Gestalt erschien in diesem Augenblick im Zimmer.

»Was gibt es mit meiner Sklavin?« wandte sie sich grimmig an Burbo.

»Sei ruhig, Weib,« lautete die halb trotzige, halb schüchterne Antwort. »Du brauchst neue Gürtel und hübsche Kleider, nicht wahr?«

Wie durch plötzlichen Antrieb fuhr Nydia von der Wand, an welcher sie gelehnt, auf, warf sich zu Stratonices Füßen, umschlang ihre Knie und sah mit den lichtlosen aber rührenden Augen zu ihr empor:

»O, meine Gebieterin,« schluchzte sie, »du könntest meine Mutter sein – beschütze mich und gib nicht ferner mehr zu, daß ich zu einem Betruge verhelfen muß, dem alle jene Tausende ausgesetzt sind, die täglich in dem Tempel der Isis um Hilfe flehen.«

»Dummheiten!« rief das rohe Weib und riß die Blinde an einer ihrer zarten Hände empor, die zu keiner härteren Arbeit gebildet waren, als Blumen zu Kränzen zu winden. »Dummheiten, dergleichen Bedenken sind nicht für Sklavinnen.«

»Höre einmal,« sagte Burbo und klingelte mit der gezogenen Börse; »du vernimmst diese Musik, Frau; beim Pollux, wenn du das alberne Ding da nicht scharf im Zaume hältst, so bekommst du den verlockenden Klang nicht sobald wieder zu hören.«

»Das Mädchen ist jetzt ermüdet,« erwiderte Stratonice, dem Kalenus zunickend, »wenn ihr ihrer Dienste wieder bedürft, wird sie schon fügsamer sein.«

» Ihr! Ihr! Wer ist hier?« fragte Nydia, einen furchtbaren, angespannten Blick durchs Zimmer gleiten lassend, daß Kalenus erschrocken vom Stuhl aufsprang.

»Sie muß mit diesen Augen sehen,« murmelte er.

»Wer ist hier? Sprich um Himmelswillen! Ach, wäret ihr blind wie ich, ihr würdet nicht so grausam sein,« rief sie und brach von neuem in Tränen aus.

»Nimm sie fort,« äußerte Burbo ungeduldig. »Ich kann dieses Gewinsel nicht leiden.«

»Fort!« rief Stratonice und stieß das arme Kind in die Schultern.

Nydia beugte sich auf die Seite mit einer Miene, welcher die Entschlossenheit plötzlich ein stolzes Ansehen gab.

»Hört mich,« sprach sie, »ich habe euch treu gedient, ich, die erzogen wurde – ach, meine Mutter, meine arme Mutter, hättest du geträumt, daß es dahin mit mir käme.«

Sie wischte die Tränen aus den Augen und fuhr fort: »Befehlt mir alles andere, und ich will gehorchen, aber ich sage euch hiermit, so hart, streng, unerbittlich ihr auch seid, ich sage euch, daß ich nicht mehr dorthin gehe, oder wenn man mich zwingt, das Erbarmen des Prätors selbst anrufe. Ich habe es ausgesprochen; hört mich, ihr Götter, ich schwöre!«

Die Augen Stratonices glühten Feuer; sie faßte das Kind mit einer Hand bei den Haaren und hob die andere hoch auf – die furchtbare Rechte, deren geringster Schlag die schwache, zarte Gestalt, die unter ihrem Griff zitterte, zermalmen zu müssen schien. Es war, als durchzucke die Gebieterin selbst dieser Gedanke, denn sie schob den Streich auf, änderte ihren Vorsatz, zerrte Nydia nach der Wand, nahm einen Strick vom Haken, und im nächsten Augenblick tönte schmerzliches Gestöhne durch das Haus.

Inzwischen waren die erwarteten vornehmen Gäste in dem Raume, wo die Gladiatoren zechten, angelangt. Die Kämpfer erhoben sich von dem Tisch, um die drei Elegants zu begrüßen, die als die reichsten und lebensfrohesten jungen Männer in Pompeji bekannt waren, und deren Stimmen daher über den Ruhm im Amphitheater verfügen konnten.

»Was für schöne Exemplare,« äußerte Klodius zu Glaukus, »wert, Gladiatoren zu sein.«

»Schade, daß sie keine Krieger sind,« antwortete Glaukus, der auf Anstiften des ränkesüchtigen Lepidus von seinen Büchern weggeholt worden war, denn der Plan von Diomeds Sohn ging dahin, seinen Rivalen durch Zerstreuungen und Vergnügungen aller Art von seinen ernsten Studien abzuziehen.

»Ha, Niger, wie wirst du fechten?« fragte Lepidus, »und mit wem?«

»Sporus hat mich herausgefordert,« erwiderte der Riese, »wir werden hoffentlich kämpfen, bis einer tot ist.«

»Bei den Göttern, so soll es geschehen,« brummte Sporus, mit seinen kleinen Augen blinzelnd. »Er nimmt das Schwert, ich das Netz und den Dreizack; es wird einen seltenen Spaß geben. Ich hoffe, der Überlebende wird genug zu tun haben, die Würde der Siegerkrone aufrecht zu erhalten.«

»Sei unbesorgt, wir wollen die Börse füllen, mein Hektor,« erwiderte Klodius. »Laß sehen, du fichtst gegen Niger; Glaukus, eine Wette. Ich setze auf Niger.«

»Sagt ich's euch nicht?« rief Niger jubelnd; »der edle Klodius kennt mich; rechne dich bereits für tot, Sporus.«

Klodius nahm seine Schreibtafel heraus. »Eine Wette, zehn Sesterzien. Was meinst du?«

»Sei es so,« antwortete Glaukus. »Aber wer ist jener dort? Diesen Helden habe ich noch nicht gesehen.« Damit betrachtete er Lydon, dessen Gliederbau schmächtiger als der seiner Gefährten erschien, wie auch in seinen Zügen etwas Anmutiges, ja Edles lag, das sein Beruf noch nicht ganz zerstört hatte.

»Es ist Lydon, ein Anfänger, der bis jetzt bloß das hölzerne Schwert handhabte,« entgegnete Niger mit Herablassung. »Aber er hat das echte Blut in sich und hat den Tetraides gefordert.«

»Er hat mich gefordert,« sagte Lydon, »ich nehme den Vorschlag nur an.«

»Und wie fichtst du?« fragte Lepidus. Warte noch ein wenig, bis du es mit dem Tetraides versuchst.«

Lydon lächelte verächtlich.

»Ist er Bürger oder ein Sklave?« fragte Klodius.

»Ein Bürger, wir alle sind Bürger hier,« antwortete Niger.

»Was ist deine Waffe?« fragte Klodius, die Schreibtafel noch immer in der Hand haltend, den jungen Kämpfer.

»Wir kämpfen zuerst mit dem Cestus, Handschuhe bis an den Ellenbogen, in welche Blei genäht war. nachher, wenn wir beide noch das Leben haben, mit Schwertern,« erwiderte Tetraides spitzig, mit neidischem Gesicht.

»Mit dem Cestus?« rief Glaukus, »da hast du unrecht, Lydon. Der Cestus ist die griechische Art; ich kenne ihn wohl. Deine Glieder sind für diese Kampfart zu zart.«

Der Gladiator schüttelte energisch den Kopf.

Klodius schlug eine neue Wette vor, welche Glaukus annahm.

»Also zehn Sesterzien gegen dreißig,« rief Klodius, »daß Tetraides Sieger bleibt, und Lydon nicht zum Schwert gelangt.«

»Meinetwegen,« lächelte Glaukus, worauf der andere die abgeschlossene Wette in die Schreibtafel verzeichnete.

»Verzeihe, mein edler Gönner,« flüsterte Lydon dem Athener zu, »wieviel glaubst du, daß der Sieger gewinne?«

»Wie viel? Nun, etwa sieben Sesterzien.«

»Wird es gewiß so viel sein?«

»Zum mindesten. Aber schäme dich, daß du an das Geld und nicht an die Ehre denkst! O, Römer! Überall bleibt ihr doch Römer!«

Eine Röte zuckte über die dunkle Wange des Gladiators. »Tue mir nicht unrecht, edler Glaukus, ich denke an beides; aber nur um des Geldes willen bin ich Gladiator geworden.« Damit zog er sich nach der andern Seite des Zimmers zurück.

Bild: Eugen Hanetzog

»Aber wo ist Burbo, ich sehe ihn nicht,« rief Klodius, »ich muß ihn sprechen.«

»Er ist da drin,« antwortete Niger und wies auf die Tür im Hintergrund.

»Und Stratonice, die tapfere Alte, wo ist sie?« fragte Lepidus.

»Kurz vor eurem Eintritt verließ sie das Zimmer.«

In diesem Augenblick erschreckte ein lautes Geschrei des Schmerzes und der Angst die Sprechenden.

»O, schone mich! Ich bin nur ein Kind, ich bin blind, ist das nicht Strafe genug?«

»O, Pallas! Ich kenne diese Stimme; es ist mein armes Blumenmädchen,« rief Glaukus und stürzte nach dem Orte zu, woher die Jammertöne kamen. Er stieß die Tür auf und sah, wie Nydia sich unter den Händen des wütenden Weibes krümmte. Der bereits mit Blut benetzte Strick war hoch in die Luft erhoben. »Furie!« schrie der Athener, indem er den Strick ergriff und festhielt. »Wie magst du ein hilfloses Mädchen so behandeln!«

»O, bist du es, ist es Glaukus?« rief das Blumenmädchen aufatmend. Die Tränen standen ihr auf den Wangen still; sie lächelte, klammerte sich an ihn und küßte sein Gewand.

»Und wie magst du, naseweiser Fremdling, dich zwischen ein freies Weib und ihre Sklavin werfen? Bei den Göttern! Trotz deiner schönen Tunika und deinen ekelhaften Wohlgerüchen glaube ich, du bist nicht einmal römischer Bürger, mein Püppchen!«

»Höflich, Frau,« gebot Klodius, der jetzt mit Lepidus eintrat, »das ist mein Freund und Bundesbruder.«

»Gib mir meine Sklavin!« schrie das Weib und faßte nach der Blinden.

»Nein, und wenn dir alle Furien hülfen,« erwiderte Glaukus. »Fürchte nichts, Nydia; ein Athener verläßt den andern im Unglück nie!«

»Heda!« rief Burbo, indem er zögernd aufstand, »was für ein Lärm ist das um einer Sklavin willen! Laß den jungen Herrn los, Weib – laß ihn los, um seinetwillen soll dem naseweisen Ding diesmal verziehen werden.« Damit schob er sein grausames Weib beiseite.

»Meinte ich doch, als wir eintraten, sei noch jemand dagewesen,« bemerkte Klodius. »Er ist fort.«

In der Tat hatte es der Isispriester für hohe Zeit erachtet zu verschwinden.

»O, ein Freund von mir, ein Zechbruder,« versetzte Burbo leichthin. »Aber geh, Kind, du zerreißest dem Herrn die Tunika, wenn du dich so fest an ihn anklammerst. Geh, es soll dir verziehen sein.«

»O, verlaß mich nicht!« bat Nydia und klammerte sich noch fester an den Athener.

Ergriffen von ihrer Hilflosigkeit, zog der junge Grieche, indem er sich auf einem der Stühle niederließ, Nydia zu sich und flüsterte ihr tröstende Worte zu.

»Mein guter Mann,« redete er Burbo dann an, »das ist deine Sklavin; sie singt gut und ist an die Blumenwartung gewöhnt; ich wünsche einer Dame eine solche Sklavin zum Geschenk zu machen. Willst du sie an mich verkaufen?« Bei diesen Worten fühlte er, wie der ganze Körper des armen Kindes vor Freude bebte; sie fuhr auf, streifte das aufgelöste Haar aus den Augen und blickte umher, als hätte sie die Kraft des Sehens.

»Unsere Nydia verkaufen? Nein, wahrhaftig!« erwiderte Stratonice griesgrämig.

Nydia sank mit einem langen Seufzer zurück und faßte von neuem das Kleid ihres Beschützers.

»Unsinn,« rief Klodius gebieterisch, »ihr müßt es mir zu Gefallen tun. Bedenkt, ihr bekommt mich sonst zum Feinde. Bin ich nicht das Orakel des Amphitheaters und seiner Helden? Ein einziges Wort von mir, und ihr könnt eure Krüge zerschlagen. Glaukus, die Sklavin ist dein.«

Burbo kratzte sich den gewaltigen Kopf in sichtbarer Verlegenheit.

»Das Mädchen müßte mir mit Gold ausgewogen werden.«

»Nennt den Preis, ich bin reich,« entgegnete Glaukus.

»Ich habe sechs Sesterzien für sie bezahlt, jetzt ist sie zwölf wert,« brummte Stratonice.

»Ihr sollt zwanzig haben; kommt sogleich vor die Obrigkeit und folgt mir dann in mein Haus, daß ich euch das Geld einhändige.«

»Ich hätte das liebe Kind nicht um hundert Sesterzien verkauft,« entgegnete Burbo weinerlich, »wäre es nicht gewesen, dem edlen Klodius einen Gefallen zu erweisen. Und du willst also mit Pansa über die Stelle eines Designators beim Amphitheater sprechen, edler Klodius? Das wäre eben ein Plätzchen für mich.«

»Du sollst sie haben,« erwiderte Klodius und setzte flüsternd hinzu, »dieser Grieche kann dein Glück machen; das Geld läuft durch ihn, wie durch ein Sieb.«

»So gehe ich denn mit dir – o Glück!« lispelte Nydia.

»Ja, niedliche Kleine,« nickte Glaukus, »und deine härteste Arbeit soll fortan sein, deine griechischen Lieder der lieblichsten Dame in Pompeji zu singen.«

Bald nachher folgte Burbo dem mit Nydia voranschreitenden Athener nach dessen Wohnung, um den Kaufpreis für die Sklavin in Empfang zu nehmen.

*


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