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Die Saga des Vesuvs.

Etwa drei Stunden von Pompeji entfernt, stand eine alte Ruine, die Überreste eines Tempels griechischen Ursprungs enthaltend. Da auf Glaukus und Ione alles Griechische eine Anziehungskraft ausübte, so hatten sie beschlossen, diese Trümmer zu besuchen.

In einem bequemen Gefährt, das genügend Platz für drei Personen enthielt, legten sie, nur von einer Sklavin begleitet, die Fahrt dahin zurück.

Der Weg führte zwischen Weingärten und Olivenwäldchen hin, ward aber in der Folge, sich höher und höher am Vesuv hinaufwindend, ziemlich rauh. Langsam und mit vieler Mühe bewegten sich die Maultiere, und bei jeder Öffnung im Gehölz erblickte das Brautpaar schauerliche Höhlen in dem dürren, eingefressenen Gestein. Die sich bereits zum Untergang neigende Sonne warf lange, tiefe Schatten über die Höhen und vergoldete auch zahlreiche bogenförmige Gewinde, die sich von Baum zu Baum hinzogen und in denen, vom Lächeln des vorgerückten Sommers bereits mit Purpur angehaucht, Trauben glühten.

Der Weg der Reisenden führte immer mehr bergan, bis sie endlich bei den Ruinen anlangten, deren Gemäuer sie mit jener Liebe prüften, womit wir die geheiligten, heimischen Spuren unserer Väter verfolgen; sie weilten daselbst, bis der Abendstern am rosigen Himmel erschien. Als sie im Zwielicht zurückkehrten, begannen die ersten Anzeichen jenes Sturmes, den der Ägypter vorausgesagt, warnte ein leiser, ferner Donner vor dem nahenden Kampf der Elemente und rollte dann über den dunkeln Schichten gedrängter Wolken rasch dahin. Einige große Tropfen fielen schwer auf die Zweige, die den Weg halb überhingen, und gleich darauf zuckte ein rascher, blendender Blitz hart vor den Augen der Reisenden vorüber und ward von dem angewachsenen Dunkel wieder verschlungen.

»Schneller, guter Carrucarius,« rief Glaukus dem Wagenführer zu, »der Sturm kommt mit Macht.«

Der Sklave trieb die Maultiere an; rasch ging es über die unebene, steinige Straße; die Wolken wurden dichter; näher und näher tönte der Donner, und in Strömen stürzte der Regen herab.

In diesem Augenblick stieß der leicht gebaute Wagen gegen einen im Wege liegenden Baumstamm; der Führer trieb die Maultiere noch stärker gegen das Hemmnis an, ein Rad krachte, und das Gefährt schlug um.

Glaukus wand sich schnell aus dem Vehikel heraus und eilte Ione zu Hilfe, die glücklicherweise unbeschädigt war. Mit großer Mühe richtete man die Carruca auf, fand aber, daß sie selbst gänzlich unbrauchbar geworden war.

»Etwa eine Viertelstunde von hier wohnt ein Schmied,« äußerte der Carrucarius, »ich könnte ihn holen, er würde wenigstens das Rad an der Carruca befestigen; aber beim Jupiter, wie der Regen schlägt! Meine Gebieterin wird ganz durchnäßt sein, bis ich wiederkomme.«

»Lauf hin,« rief Glaukus, »wir erwarten dort unter den Bäumen deine Rückkunft.«

Während sich der Wagenlenker entfernte, suchte Glaukus unter dem größten, zunächststehenden Baume Schutz; allein der strömende Regen fand seinen Weg auch durch das dichte Laubdach, und es nutzte nur wenig, daß Glaukus der zitternden Ione seinen Mantel überwarf. Während er der Verzagenden Mut zusprach, traf der Blitz jählings einen der Bäume unmittelbar vor ihnen und spaltete den gewaltigen Stamm unter lautem Krachen entzwei. Glaukus, die Gefährlichkeit des Zufluchtsortes einsehend, spähte nach einem anderen aus.

»Wir befinden uns hier,« äußerte er, »auf halber Höhe des Vesuvs; in dem rebenbekleideten Felsen muß wohl irgendeine Grotte oder Höhle sein.«

Mit diesen Worten trat der Athener unter den Bäumen vor und entdeckte nach anstrengender Durchsuchung der Umgegend, daß ein rotes, zitterndes Licht in nicht großer Entfernung durch die zunehmende Finsternis schimmerte. »Das muß,« rief er, »vom Herd eines Hirten oder Winzers kommen; – es wird uns zu irgendeinem gastlichen Obdach führen.«

Ione nickte ihm beistimmend zu, und so traten sie, von der zitternden Sklavin gefolgt, den beschwerlichen Weg an. Plötzlich hörte der Regen auf; steile rauhe Klippen von ausgebrannter Lava starrten ihnen entgegen, durch die zuckenden Blitze noch schauriger hervorgehoben. Die Wanderer hielten plötzlich an, denn aus der Finsternis leuchtete ihnen in dichter Nähe, wenn schon hoch über ihnen, das geheimnisvolle Licht wieder entgegen. Ein neuer Strahl, der Himmel und Erde rötete, zeigte ihnen die ganze Umgebung; kein Haus befand sich in der Nähe, aber eben, wo sie das Licht bemerkt hatten, glaubten sie im Hintergrund einer Höhle den Umriß einer menschlichen Gestalt wahrzunehmen. Abermals kehrte die Finsternis zurück, und das Licht, nicht mehr vom Feuer des Himmels überglänzt, trat von neuem hervor.

Nicht ohne Anstrengung gelang es Glaukus, die sich auf ihn stützende Ione über Felsstücke hinwegzuheben, bis er sich endlich mit ihr vor dem Eingang der Höhle befand, die augenscheinlich durch mächtige, übereinander gefallene Felstrümmer gebildet worden war.

Ein Feuer brannte im Hintergrund – mit einem kleinen Kessel darüber; aus einer hohen dünnen Säule von Eisen stand eine rohe Lampe; an demjenigen Teil der Wandung, an dessen Fuß das Feuer brannte, hingen eine Menge Kräuter in mehrfachen Reihen wie zum Trocknen. Ein vor der Flamme liegender Fuchs stierte die Fremdlinge mit seinen hellen, roten Augen an; sein Haar sträubte empor, und ein leises Geknurr stahl sich zwischen den Zähnen hervor. Mitten in der Höhle stand eine irdene Statue mit drei Köpfen von seltsamer, fantastischer Art, denn sie wurden durch die wirklichen Schädel eines Hundes, eines Pferdes und eines Bären angedeutet. Ein niederer Dreifuß war vor diesem Abbild der gefürchteten Hekate aufgestellt.

Doch nicht diese seltsame Szenerie war es, welche das Blut der Ankömmlinge fast erstarren machte, sondern die Höhlenbewohnerin selbst. Vor dem Feuer hockte ein Weib von beträchtlichem Alter. Ihre steinernen Augen stierten den Fremden entgegen, als ob es der verglaste Blick einer Leiche, wie denn überhaupt alles an dieser seltsamen Gestalt in die Farbe des Grases getaucht erschien; von den blauen, eingeschrumpften Lippen, den herabhängenden, hohlen Wangen angefangen, bis zu dem erstorbenen, schlaffen, blaßgrauen Haar und der blaugrünen, gespensterhaften Haut.

»Es ist etwas Totes,« sagte Glaukus.

»Nein, es bewegt sich, es ist ein Geist,« stammelte Ione und klammerte sich fester an den Athener.

»Hinweg, hinweg,« ächzte die Sklavin; »es ist die Hexe des Vesuvs!«

»Wer seid ihr?« fragte eine hohle, gespensterartige Stimme, »und was tut ihr hier?«

»Wir sind vom Gewitter verschlagene Reisende aus der benachbarten Stadt,« antwortete Glaukus, »und von diesem Licht hergelockt, bitten wir um die Erlaubnis, uns an deinem Herde wärmen zu dürfen.«

Während dieser Worte erhob sich der Fuchs vom Boden und nahte sich den Fremden. Er zeigte seine Weißen Zähne und knurrte feindselig.

»Ruhig, Sklave,« gebot die Hexe.

Beim Ton dieser Stimme legte sich das Tier sogleich nieder, bedeckte den Kopf mit dem Schweif und lugte nur mit seinen listigen Augen zu den Fremden hinüber.

»Tretet ans Feuer, wenn ihr wollt,« fuhr die Alte gegen Glaukus und dessen Begleiterinnen fort; »ich heiße nie etwas Lebendes willkommen, außer die Eule, den Fuchs, die Kröte und die Schlange; darum kann ich euch keinen Willkommen bieten, tretet aber ohne Willkomm ans Feuer.«

Die Sprache, worin sich die Alte an ihre Gäste wandte, war ein seltsames, barbarisches Latein, vermischt mit einer älteren, rauheren Mundart. Sie bewegte sich nicht von ihrem Platz, schaute aber steinern zu, als Glaukus Ionen den umhüllenden Mantel abnahm, sie einlud, sich auf einen Baumstumpf, den einzigen Sitz, den er zur Hand fand, niederzulassen und mit seinem Atem die Kohlen zu stärkerem Feuer anfachte. Die Sklavin, durch die Kühnheit ihrer Gebieterin ermutigt, legte gleichfalls ihre lange Palla ab und schlich furchtsam auf die andere Seite des Feuers.

»Ich besorge, wir stören dich,« sagte Ione mit begütigender Silberstimme.

Die Hexe gab keine Antwort; sie schien wie ein Wesen, das auf einen Augenblick vom Tode erwacht ist und dann wieder in den ewigen Schlummer zurückfällt.

»Sagt mir,« fragte sie plötzlich nach langer Pause, »seid ihr Bruder und Schwester?«

»Nein,« entgegnete Glaukus, »wir sind Braut und Bräutigam.«

Die Hexe schlug eine gellende Lache auf, welche die Anwesenden mit Schauder erfüllte.

»Wohnst du schon lange hier?« fragte Glaukus nach einer neuen Pause.

»O ja, lang.«

»Es ist ein trauriger Aufenthalt,« fügte Ione hinzu.

»Ja,« tönte es zurück. – »Die Hölle ist unter uns. Ich will dir ein Geheimnis sagen,« fuhr sie, auf den Boden deutend, mit flüsternder Stimme fort: »Das Dunkel da unten rüstet seinen Zorn gegen euch.«

»Solche Worte klingen unziemlich aus dem Munde der Obdachspenderin,« versetzte Glaukus aufwallend; »ich will lieber draußen den Regen ertragen als dein Obdach.«

»Daran wirst du wohltun. Nur Unglückliche sollten zu mir kommen.«

»Und warum Unglückliche?«

»Ich bin die Hexe des Berges,« antwortete die Zauberin mit gespensterhaftem Grinsen. »Mein Gewerbe ist, den Hoffnungslosesten Hoffnung zu geben, den Geizigen Zusagen von Schätzen, für den Zornigen Rachetränke, für Glückliche und Gute aber habe ich nur, was das Leben selbst bietet – Flüche. Belästigt mich nicht weiter.«

Damit sank die grimmige Bewohnerin der Höhle in ein so hartnäckiges und verstocktes Schweigen, daß Glaukus' Versuche sie in ein weiteres Gespräch zu ziehen, fruchtlos blieben. Sie deutete nicht einmal durch irgendeine Veränderung ihrer verschlossenen, starren Züge an, daß sie ihn nur höre. Glücklicherweise begann das Gewitter, das ebenso kurz als heftig war, nachzulassen. Die Wut des Regens nahm mehr und mehr ab, ja endlich teilten sich die Wolken; der Mond trat hervor und ließ sein Licht voll und klar auf die einsame Kluft niederströmen.

Als sich Glaukus der Hexe wieder zuwandte, bemerkte er plötzlich unter ihrem Sitz den funkelnden Blick und aufgeblähten Kopf einer großen Schlange. Vielleicht mochte die lebhafte Farbe seines über Iones Schultern geworfenen Mantels den Zorn des Gewürms gereizt haben; sein Kamm fing an zu schwellen, als bereite es sich drohend zu einem Sprunge gegen die Neapolitanerin. Glaukus griff schnell nach einem brennenden Holzscheit im Feuer; wie erbost über diese Bewegung schoß die Schlange unter ihrem Obdach hervor und richtete sich unter lautem Gezisch auf, bis ihre Höhe derjenigen des Griechen beinahe gleich kam.

»Hexe,« ries Glaukus, »bedeute dein Tier, oder du siehst es tot zu deinen Füßen.«

»Es ist seines Giftes beraubt,« erwiderte die Hexe, durch solche Drohung aufgeschreckt; aber noch ehe diese Worte gesprochen, war die Schlange auf Glaukus zugeschnellt. Behend und wachsam sprang der gelenkige Grieche beiseite und führte einen so gewandten, kräftigen Streich auf den Kopf des Ungetüms, daß es zu Boden fiel und sich in der Asche hin und her wiegte.

Die Alte fuhr auf und stand Glaukus mit einem an die Furien mahnenden Antlitz so feindselig und zornerfüllt gegenüber.

»Du hast,« begann sie mit langsamer, ruhiger Stimme, welche den Ausdruck ihres Gesichts Lügen strafte, »du hast Schutz und Obdach an meinem Herd genossen – du hast für Gutes mir Böses vergolten; hast das Wesen, das mich liebte und mein war, ja, noch mehr, das Geschöpf, das vor allen anderen den Göttern geweiht ist und von den Menschen für verehrungswürdig gehalten wird, geschlagen und vielleicht getötet. Beim Mond, dem Beschützer der Zauberinnen, beim Orkus, dem Sammler der Rache, verfluche ich dich. Möge deine Liebe verdorren, möge dein Name geschändet werden, mögen die Unterirdischen ihre Malzeichen auf dich drücken, möge dein Herz verwelken und verbrennen, möge deine letzte Stunde dir die Prophetenstimme der Saga des Vesuvs zurückrufen. Und du,« fügte sie bei, indem sie sich grimmig gegen Ione wandte und ihren rechten Arm erhob; aber Glaukus unterbrach ihre Rede ungestüm.

»Hexe,« rief er, »halt ein; mich hast du verflucht, doch ich vertraue den Göttern – ich trotze dir und verachte dich. Aber sprich nur ein Wort gegen diese Jungfrau, und ich verwandle den Fluch auf deiner scheußlichen Lippe zu deinem Todesgestöhn. Hüte dich!«

»Reize sie nicht, Glaukus,« flehte Ione.

»Ich bin fertig,« erwiderte die Hexe mit wildem Gelächter; »denn in deinem Schicksal ist auch die, welche dich liebt, verflucht. Und das um so gewisser, als ihre Lippen jetzt deinen Namen ausgesprochen, und ich weiß, durch welches Wort ich dich der Rache der Dämonen empfehlen soll. Glaukus, du bist deinem Schicksal verfallen.« Damit wandte sie sich von dem Athener ab, kniete neben ihrem verwundeten Liebling nieder und hob ihn aus der Asche auf.

»O Glaukus,« rief Ione heftig erschreckt, »was haben wir getan? – laß uns diesem Ort entrinnen! Der Sturm hat aufgehört. Gute Wirtin, verzeih ihm, widerrufe deine Worte – er wollte sich ja bloß verteidigen. – Empfange diese Liebesgabe und nimm das Gesagte zurück.« Damit bückte sie sich und legte ihre Börse in den Schoß der Hexe.

»Hinweg!« rief diese bitter, »den einmal ausgesprochenen Fluch können nur die Parzen wieder lösen – hinweg!«

»Komm, Ione,« rief Glaukus drängend, »glaubst du, die Götter hören auf das ohnmächtige Toben des Aberwitzes? – Komm!«

Lang und laut warf der Wiederhall der Höhle das grimmige Gelächter der Saga zurück; zu einer andern Antwort ließ sie sich nicht herab.

Glaukus und Ione atmeten freier, als die Höhle endlich hinter ihnen lag; aber ihre Seele bebte noch unter dem furchtbaren Eindruck, den das schreckhafte Abenteuer zurückgelassen.

Nach großer Mühe und Anstrengung erreichten sie die Straße wieder, wo sie den Wagen zur Weiterreise bereits hinlänglich hergestellt fanden.

Sie langten bald vor dem Stadttore an; als ihnen dasselbe geöffnet wurde, sperrte eine kleine, von Sklaven getragene Sänfte den Weg.

»Es ist zu spät, um ausgelassen zu werden!« rief die Wache dem Insassen der Sänfte zu.

»Nicht doch,« entgegnete eine Stimme, bei deren Klange Glaukus und Ione zusammenfuhren. »Ich muß nach der Villa des Markus Polybius und kehre in kurzer Zeit wieder zurück. Ich bin Arbaces, der Ägypter.

Die Bedenklichkeit der Wache war gehoben, und die Sänfte zog hart am Gefährt des Atheners vorbei.

»Arbaces zu dieser Stunde! Er, der von seiner Wunde kaum genesen sein kann; wohin und warum verläßt er die Stadt?« fragte Glaukus beklommen.

»Ach,« erwiderte Ione und brach in Tränen aus, »meiner Seele drängt sich mehr und mehr das Vorgefühl eines Unglücks auf. Erhaltet uns, o Götter; oder wenigstens,« fügte sie leise hinzu, »erhaltet meinen Glaukus!« …

Arbaces hatte nur auf das Aufhören des Sturmes gewartet, um unter dem Mantel der Nacht die Saga des Vesuvs zu besuchen. Von denjenigen seiner vertrauten Sklaven getragen, deren er sich bei jedem geheimen Unternehmen zu bedienen pflegte, lag er auf der Sänfte ausgestreckt, und sein sanguinisches Gemüt gab sich bereits dem Traume gestillter Rache hin.

Alsbald langten die Sklaven mit der Sänfte bei einem schmalen Fußpfad an. Dieser Weg führte am Rande des dichten Rebenbaues hin gerade nach der Höhle der Hexe. Der Ägypter ließ die Sänfte halten, befahl seinen Leuten, sich mit derselben unter dem Weinlaub vor den etwa Vorüberkommenden verborgen zu halten, und stieg dann, sich auf einen Stab stützend, an dem öden, schroffen Fels empor. Er sah dasselbe Licht vor sich, das die Schritte seiner beabsichtigten Opfer geleitet hatte.

Als er sich endlich dem Eingang zur Höhle näherte, hielt er an, um Atem zu schöpfen, und trat dann mit der gewohnten, festen, stolzen Haltung über die unheimliche Schwelle.

Der Fuchs sprang beim Anblick des neuen Ankömmlings auf und kündigte seiner Gebieterin durch ein langes Geheul den abermaligen Besuch an.

Die Hexe hatte ihrem Sitz wieder eingenommen, und wieder drückte ihr Gesicht jene grabmäßige, grimme Ruhe aus. Zu ihren Füßen lag die verwundete Schlange auf einer Streu von trockenen Kräutern, die sie halb bedeckten; das scharfe Auge des Ägypters bemerkte jedoch sogleich, wie ihre Schuppen im Wiederschein des Feuers glänzten und sie in Schmerz und ungestillter Wut ihre Ringe bald zusammenzog, bald verlängerte.

»Nieder, Sklave!« rief die Hexe, wie zuvor, dem Fuchs zu, und abermals legte sich das Tier auf den Boden – stumm, aber wachsam.

»Auf, Dienerin der Nacht,« rief Arbaces gebieterisch, »ein Höherer in deiner Kunst begrüßt dich! Auf und heiße ihn willkommen.«

Bei diesen Worten wandte die Hexe ihren Blick auf die hohe Gestalt und die dunkeln Züge des Ägypters. Lang und fest sah sie ihn an, wie er in seiner morgenländischen Tracht mit gekreuzten Armen und unerschütterter, hoheitsvoller Stirn vor ihr stand.

»Wer bist du,« fragte sie endlich, »der sich größer nennt in der Kunst als die Saga der brennenden Gefilde und die Tochter des untergegangenen, etruskischen Geschlechts?«

»Ich bin der,« antwortete Arbaces, »von welchem alle Meister der Magie von Nord und Süd, von Ost und West, vom Ganges und Nil bis zu den Tälern Thessaliens und den Ufern der gelben Tiber in Demut gelernt haben.«

»Es gibt nur einen solchen Mann in diesem Lande,« versetzte die Hexe, »Arbaces, den Ägypter.«

»Ich bin dieser Mann,« tönte es zurück.

Die Hexe sprang auf und warf sich ihm zu Füßen.

»Stehe auf,« gebot Arbaces, »ich bin deiner benötigt.«

Dabei ließ er sich auf denselben Baumstumpf nieder, auf dem zuvor Ione geruht hatte, und winkte der Alten zu, ihren Platz wieder einzunehmen.

»Du besitzest, soviel ich weiß, eine genaue Kenntnis von der Wirkung giftiger Kräuter. Überschätze ich deine Kunst? sprich die Wahrheit.«

»Mächtiger Arbaces, das ist meine Wissenschaft. Wirf einen Blick auf meine leichenähnlichen Züge; die Lebensfarbe ist ihnen abgewelkt, bloß, weil ich über den giftigen Kräutern wache, die Tag und Nacht in jenem Kessel schmoren.«

»Es ist gut,« nickte der Ägypter. »Aber zu deiner Aufgabe. Mit den Sternen der morgigen Nacht wird ein Mädchen zu dir kommen, die deine Kunst um einen Trank ansprechen wird, gib ihr einen von deinem wirksamsten Gifte.«

»Verzeihung,« rief die Alte bebend, »aber so etwas wage ich nicht, das Gesetz ist streng und wachsam; man wird mich fassen und töten.«

»Armseliges Geschöpf,« entgegnete der Ägypter verächtlich, »das sich mit Mysterien umgibt und die Menschen fürchtet. Ich befehle dir, mir zu gehorchen! Um der Rache willen habe ich dich ausgesucht. Dieser Glaukus hat es gewagt, mir in den Weg zu treten, meine Pläne zu kreuzen.«

»Glaukus!« rief die Hexe mit weit geöffneten Augen.

»Ja, so heißt er; aber was kümmert dich der Name?«

»Nichts, nichts,« versetzte die Alte verwirrt; doch rasch sich fassend fügte sie hinzu: »Ein Mittel, das den Feind tötet, wage ich jenem Mädchen nicht zu verabfolgen. Ich fürchte die Entdeckung, da der Mord stets seinen Rächer findet. Aber sie soll einen Trank bekommen, der das Hirn verbrennt und versengt, der den Verstand zum Wahnsinn, die Jugend zum kindischen Alter verwandelt.«

»Einverstanden, Alte, einen Trank, der den Geist umnachtet und verwirrt,« rief Arbaces frohlockend. Ein solches Leben ist schrecklicher als der Tod. Hier ist dein Lohn.« Damit warf er ihr eine schwere Börse zu, und der goldene Klang des Inhalts schlug angenehm an das Ohr der Saga. Der Ägypter aber wartete nicht auf den Dank der Alten, sondern verließ die Höhle und stieg den Berg wieder hinab.

Die Hexe blickte ihm lange nach. Endlich ergriff sie die Lampe und schritt, die schwere Börse in der Hand, nach dem Hintergrund der Höhle, die sich dort zu einem schmalen Gang verengte. Derselbe führte etwas bergab. Bei einem großen Stein blieb die Alte stehen, setzte die Lampe auf den Boden und schob den Block beiseite. Es trat jetzt eine mit den verschiedensten Münzen angefüllte Öffnung zutage; es war der Erlös, den sie aus der Leichtgläubigkeit ihrer Besucher zog. Sie schüttete den reichen Inhalt der Börse in die weite Öffnung, sich nochmals an dem Klang des edeln Metalls erlabend. Hieraus wälzte sie den Stein an seinen vorigen Ort zurück und schritt dann noch weiter den schmalen Gang herab. Vor einer tiefen, breiten Spalte im Boden machte sie abermals Halt. Sie beugte sich nieder und begann zu lauschen. Seltsam rollende Töne, die aus der Tiefe kamen, schlugen an ihr Ohr; dunkle Rauchsäulen stiegen aus dem Spalt auf.

»Die Geister sind geschäftig,« murmelte die Hexe und schüttelte die grauen Locken. Indem sie in die Kluft hinabsah, bemerkte sie weit unten den Schimmer eines langen Lichtstreifens von einem heißen, dunkeln Rot. »Seltsam,« sprach sie zurückschaudernd, »erst seit zwei Tagen zeigt sich dieses dumpfe, tiefe Licht – was mag es bedeuten?«

Der Fuchs, der seiner Gebieterin nachgefolgt war, stieß ein furchtsames Geheul aus und rannte mit eingezogenem Schweif nach der Höhle zurück. Ein kalter Schauer ergriff die Hexe bei dem Aufschrei des Tieres, der, da sich keine erklärbare Ursache dafür zeigte, nach dem Aberglauben der damaligen Zeit für höchst unheilbringend angesehen werden mußte.

Sie murmelte ihren besänftigenden Zauber und wankte in die Höhle zurück, wo sie sich inmitten ihrer Kräuter und Beschwörungen anschickte, dem Befehle des Ägypters nachzukommen.

Die Saga rief in beschwörendem Tone:

»Brenne Flamme, koche Kraut, dörre Kröte – ich habe den Athener verflucht, sein Geist soll verdorren!«

*


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