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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die Unsterblichkeit der Seele. – Ein noch in keinem Buch besprochenes, häufig vorkommendes Begegniß. – Trevylyan und Gertrud.

Der Tag war, als er jetzt zum Abend erblaßte, kalt, und scharf kam die Luft über die zarte Gestalt der Leidenden.

Sie beschlossen nicht weiter zu fahren, und da sie Dienerschaft und Gepäck mitführten, so daß ihr Weiterkommen von den gewöhnlichen Behelfmitteln fast unabhängig war, lenkten sie nach dem gegenüberliegenden Gestad, und landeten vor einem reizend in einem Thal gelegenen Dorf. Glücklicherweis fanden sie dort ein Quartier, wie man es in Gegenden, die man blos des malerischen Eindrucks halber besucht, selten trifft.

Nachdem sich Gertrud zu noch ziemlich früher Stunde zur Ruhe begeben, fielen Vane und Du–e in ein spekulatives Gespräch über die Menschennatur. Vanes Philosophie war ein ruhiger, passiver Skepticismus; der Arzt wagte Kühneres und ging vom Zweifel zur Negation über. Die Aufmerksamkeit des sinnend zur Seite sitzenden Trevylyan ward gegen seinen Willen erregt. Er merkte auf eine Unterredung, woran er selbst keinen Theil nahm; ihr dunkler Gegenstand hatte plötzlich ein Interesse für ihn gewonnen, das im Feuer der Jugend und in der Beschäftigung mit der Welt nie so mächtig in ihm angeregt worden war.

»Großer Gott!« dachte er unter unaussprechlicher Angst, als er auf den gewaltigen Eifer des Franzosen und die ruhige Beistimmung Vanes hörte: »wenn dieser Glaube wirklich wahr wäre, – wenn es 95 keine andre Welt gäbe – so wäre Gertrud auf ewig für mich verloren; – durch die furchtbare Nacht des Grabes bräche dann kein Stern!«

Es gibt eine eigenthümliche Lage, worein vielleicht Jeder von uns zu seiner Zeit gerathen mag, die ich aber noch nie in Büchern angedeutet gefunden habe; – das Vernehmen eines Zweifels über die Zukunft gerad in dem Augenblick, wo die Gegenwart am meisten umwölkt ist, so daß man in demselben Moment die jetzige Welt ihrer Wahnbilder, die künftige ihrer Tröstungen beraubt findet. Mehr vielleicht um Anderer, als um unserer selbst willen bedarf das liebende Herz ein Jenseits. Die lautlose Ruhe, die Nacht, das Schweigen, der bloße Stillstand des Lebensrades haben nichts Schreckliches für den Weisen, welcher den wahren Werth der Welt kennt:

»Nach den Wogen der stürmischen See
Ist endlich der Hafen der Ruhe süß.«

Aber nicht so, wenn diese Stille uns auf ewig von Andern scheiden soll: wenn Die, welche wir mit der ganzen Leidenschaft, mit der Hingabe, mit der heiligen Hut des schwachen Menschenherzens geliebt haben, nicht mehr für uns da seyn sollen! – wenn nach langen Jahren der Verlassenheit und Verwaisung auf Erden keine Hoffnung zum Wiederfinden in der Unsichtbarkeit jenseits der Sterne ist; wenn nicht nur des Lebens, sondern auch der Liebe Fackel in dem dunkeln Strom gelöscht werden soll, und das Grab, von welchem wir die Wiederanknüpfung gebrochener Bande hoffen möchten, nur das dumpfe Siegel hoffnungsloser – gänzlicher – unerbittlicher Trennung ist! Dieser Gedanke, diese Empfindung sind es, was den Schmerz zur Religion umwandelt und das trauernde Herz glauben lehrt, das im Jubel vereinter Zärtlichkeit die Nothwendigkeit eines Himmels nicht empfunden hatte! Für wie Viele ist der Tod der Geliebten der Vater der Unsterblichkeitsforderung!

Ins Innerste getroffen von seinen Gefühlen, stand Trevylyan plötzlich auf, stahl sich von der kleinen Herberge weg, und wandelte 96 fort in der heiter dunkelnden Nacht. Von Gertrudens Zimmer strömte das Licht ruhig in den Purpurschimmer der Luft.

In ungleichem Schritt, oft stehen bleibend, ging er unter dem Fenster auf und ab und überließ sich seinen Gedanken. Wie innig fühlte er, daß Gertrud Alles für ihn war: wie schmerzlich sah er den Wechsel in seinem Schicksal und Charakter voraus, den ihr Tod hervorbringen würde! Denn Wer, der ihn in spätern Jahren traf, hätte sichs je träumen lassen, daß so sanfte und doch so glühende Empfindungen einst in einer so strengen Brust gewohnt? Wer hätte je geglaubt, daß der geglättete, kalte Trevylyan einst unter dem Zimmer eines Wesens, das so wenig Aehnlichkeit mit ihm selbst hatte, wie Gertrud, in einem abgeschiedenen, einsamen Dörfchen gewacht habe, eingeschlossen von den gespensterrüchigen Bergen des Rheins und unter dem Mondlicht des romantischen Nordens?

Während er also hinwandelte, war das Licht in Gertruds Zimmer plötzlich ausgelöscht; Worte vermögen nicht auszudrücken, wie sehr ihn dieser geringfügige Umstand angriff! Glich er doch einem Wahrzeichen Dessen, was da kommen sollte; das Licht war das einzige Zeugniß des Lebens gewesen, das diese Stunde noch durchdrang, und jetzt stand er allein mit den Schatten der Nacht. Schien dies nicht eine Verkündigung von Gertruds eigenem Tod? das Erlöschen des einzigen lebenden Strahls, der in die Finsterniß der Welt eingedrungen!

Seine Angst, sein Vorgefühl gänzlicher Verödung wuchs. Er seufzte laut; er schlug die geballte Faust gegen die Brust – große kalte Schmerzenstropfen fielen ihm von der Stirn. »Vater,« rief er mit bebender Stimme, »laß diesen Kelch vor mir vorübergehen! Treffe meinen Ehrgeiz in der Wurzel, straf mich mit Armuth, Schande, Krankheit: aber laß mir diesen einzigen Trost, diese einzige Gefährtin meines Schicksals!«

In diesem Augenblick öffnete sich Gertrudens Fenster leise, und besänftigend hörte er ihre Töne in sein Ohr schleichen:

97 »Ist das nicht Deine Stimme, Albert?« sagte sie mild. »Ich vernahm sie, als ich mich eben zur Ruhe legte und kann nicht schlafen, wenn Du also der feuchten Nachtluft ausgesetzt bist. Du antwortest nicht; es ist doch gewiß Deine Stimme; wann hab ich sie je mit einer andern verwechselt?«

Mit gewaltsamer Anstrengung seine Empfindungen meisternd, antwortete Trevylyan mit krampfhafter Heiterkeit:

»Kannst Du an diese Ufer kommen, geliebte Gertrud, ohne mit der ihnen geziemenden Chevalerie geehrt zu werden? Welcher Wind, welcher Thau kann mir schaden so lang ich im Umkreis Deiner Gegenwart bleibe? Welcher Schlaf kann mir so holde Träume bringen, als der wachende Gedanke an Dich?«

»Es ist kalt,« erwiederte Gertrud schaudernd. »Komm herein, lieber Albert, ich bitte Dich, und will Dir morgen danken!« Gertruds Worte wurden durch den hektischen Husten unterbrochen, der wie ein Pfeil durch Trevylyans Herz fuhr. Jetzt erinnerte er sich, daß sie in ihrer Aengstlichkeit um ihn den eignen Körper der ungesunden Nacht aussetze.

Ohne etwas weiter zu sprechen, eilte er in das Haus, und als das graue Morgenlicht über seine verdüsterten, durch den Mangel an Schlaf kraß gewordenen Züge hereinbrach, hätte es nach diesem trüben Auge und dieser eingesunkenen Wange scheinen mögen, die Liebenden würden auch durch den Tod nicht getrennt werden.

 


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