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Köln. – Spuren des römischen Jochs. – Die St. Marienkirche. – Trevylyans Betrachtungen über das Klosterleben. – Das Grab der drei Könige. – Eine Abendspazierfahrt auf dem Rhein.
Rom – herrliches Rom! wohin der Pilger sich wendet, grüßen deiner Herrschaft Spuren seinen Blick. Noch ist der Eindruck der Adlersklaue ins Herz des kühnen, deutschen Stammes gegraben, und auf unsern Wanderungen an den Ufern des Rheins stehen wir verwundert still vor den großen Denkmalen des italischen Joches.
In Köln hielten unsere Reisenden einige Tage an. Sie befanden sich in der Stadt, welcher das Lager des Markus Agrippa den Ursprung gegeben. Dieser Fleck hatte vom bewehrten Tritt der Legionen Traians wiedergehallt; in diesen Mauern waren Vitellius, Silvanus zu Kaisern ausgerufen worden; in jener Kirche In der St. Severinkirche, wo eingelegte Marmorfiguren noch den Ort bezeichnen, wo der Kaiser ermordet worden seyn soll. — Der Uebersetzer. erhielt Letzterer den Todesstreich.
Vor den Thoren der St. Marienkirche begegnete das liebende Paar einigen Landleuten, die auf dem geweihten Boden umherschlenderten, und beim Anblick von Gertrudens zarten Wangen ihren Gruß 94 mit mehr als gewöhnlicher Achtung aussprachen. Da, wo sie im Augenblick standen, schwingt sich das Gebäude zu einer Kreisform aus; es hat, der Sage nach, im Grundwerk noch Reste des römischen Gemäuers. Gerad vor ihnen stieg der Thurm einer schlichten, schmucklosen Kirche auf und bildete durch die Einfachheit des erneuten Glaubens einen eigenthümlichen Gegensatz zu dem Pomp des alten.
Die St. Marienkirche nimmt eine Seite des römischen Kapitols ein, und der Platz führt immer noch seinen römischen Namen; ja in den Zügen des Volks deutet stets noch etwas auf den Ursprung des Bluts.
Gertrud, in deren Natur ein Hang zur Hingabe an etwas Höheres mächtig hervortrat, besuchte alte, gothische Kirchen, die mit so beredter Sprache das Lebende mit dem Todten vereinen, besonders gern.
»Verweile einen Augenblick,« sagte Trevylyan, ehe sie in die Marienkirche traten. »Welche Erinnerungen drängen hier auf uns ein. An der Seite des römischen Kapitols sehen wir eine christliche Kirche und ein Kloster errichtet! Von Wem? Von der Mutter Karl Martels, des Besiegers der Sarazenen, des Haupthelden der Christenheit. Sie hieß Plektrudis. Ihr steinernes Bild ist hinter dem Chor der Kirche an der Straße eingemauert, ihr Grab befindet sich in der Kirche selbst. — Der Uebersetzer. In dieser Stille stiller Abgeschiedenheit in den Säulengängen des Stiftes, das einst zu der Kirche gehörte, suchte eine königliche Dulderin, – die Gemahlin Heinrich IV. – das Opfer Richelieu's – die unglückliche Maria von Medicis, Ruhe für ihr erdrücktes Gemüt. »Die hin und wieder verbreitete Nachricht« – bemerkt Aloys Schreiber in seinem Handbuch für Reisende am Rhein – »als habe die aus ihrem Vaterland vertriebene Maria von Medicis, die Gemahlin Heinrichs IV. und die Mutter Ludwigs XIII., in diesem geistlichen Stift ihre letzten Tage zugebracht und sey auch in dieser Kirche beigesetzt worden, ist irrig. Die unglückliche Königin starb in der Sternengasse Nr. 10, und ihre Leiche ward nach Frankreich gebracht, wie Beides in einer vor der Thür des bemerkten Hauses angebrachten Inschrift von Prof. Wallraf zu lesen ist. — Der Uebersetzer.. Ach! Zelle und Kloster sind nur leere Erfindungszeichen 95 für jene Sehnsucht gramgebeugter Seelen, sich zu Gott zu retten; die Einsamkeit lindert den Schmerz, aber die Einförmigkeit ruft ihn von Neuem hervor. Für meinen Theil sah ich auf meinen häufigen Wanderungen durch katholische Länder die stillen Wände, worin sich mönchische Eitelkeit vor der Welt zu verschließen hoffte, nie ohne ein wehmüthiges Gefühl. Welche Kämpfe des Herzens! – welche unnachlassende Reue!– welches Schmachten nach der Vergangenheit! welche langen, schönen Jahre durch eine augenblickliche Uebereilung, durch eine getäuschte Hoffnung einem moralischen Tod verfallen! In diesen Kirchen dagegen ertönt der Ruf nach oben eindringlicher und minder traurig. Das müde Herz hat aufgehört zu klagen, – die brennenden Pulse sind leis geworden, – der umgejagte Geist ist zu der einzigen Ruhe entflohen, die keine Täuschung ist. Haß und Liebe – Hoffnung und Furcht – Geiz – Ehrbegierde – sie sind endlich erstickt! – Der Tod ist das einzige Kloster – das Grab die einzige Zelle, und der Kirchhof neben dem Kloster der bitterste Spott auf die Entbehrlichkeit des letztern.«
»Dein Streben geht immer auf Handlung,« entgegnete Gertrud. »Du räumst der Einsamkeit keinen Reiz ein und stille Betrachtung dünkt Dir eine Qual. Kommt je ein großer Schmerz über Dich, so wirst Du als Balsam auf denselben nie die Abgeschiedenheit suchen. Du wirst Dich in die Welt stürzen und im allgemeinen Lebensstrom ein Vergessen Deines persönlichen Daseyns trinken.«
»Ah sprich nicht von Schmerz!« rief Trevylyan heftig; – »laß uns in die Kirche treten.«
Nachher begaben sie sich zu dem berühmten Dom, einem der edelsten Denkmale unter den Triumphen, welche deutsche Baukunst errungen hat. Gleichwohl ist derselbe für den, der die Poesie des Herzens sucht, noch bemerkenswerther als für den Alterthumsforscher, denn 96 hier erblickt man hinter dem Hochaltar das Grab der drei Könige, welche die Sage vor unserem Heiland sich demuthsvoll niederwerfen läßt. Die Legende weiß tausend Geschichten von den heiligen Ueberresten. Die drei Könige von Köln sind schützende Namen für jenen beseligenden Aberglauben, der oft mehr Anhänger zählt, als die Religion, der er entsprungen ist, selbst. Für Gertrud reichte die einfache Erzählung von Lucilien hin, ihr für den Augenblick die Wunderkraft des Ortes als wirklich erscheinen zu lassen. Hinter dem Grab warfen drei gothische Fenster ihr frommes Dämmerlicht auf den gewürfelten Boden und den jonischen Pfeilern entlang. Einige jener Gläubigen, die von der Aechtheit der verehrten Reste überzeugt sind, knieten vor dem Grab. Jene hielten ihre Schritte an, um nicht in einer Andacht zu stören, die, wenn sie sich mit Gebeten zufrieden gibt und keine Verfolgung ausübt, in ihrem Wahn nie ohne etwas Heiliges ist. Noch immer, nimmt man an, geben die Gebeine der Weisen dem Grab seine Weihe und an dem obern Theil des Monumentes hat der Künstler ihre Anbetung vor dem Jesuskind dargestellt.
Mit stiller, ruhiger Schönheit nahte der Abend, und als sich die Sonne zum Untergang neigte, ließen die Wanderer ihre Barke zu einer Lustfahrt von ein bis zwei Stunden vom Land stoßen. Gertrud befand sich in jener glücklichen Stimmung, worin die Ruhe der Natur wie ein Bad für die Seele genossen wird, und die Gegenwart dessen, welcher der Gott ihrer irdischen Laufbahn war, erhob diese Stille zu einem noch köstlichern, durchgreifendern Frieden. Nicht ahnete ihr, als das Boot über das Wasser hinglitt und die Thürme von Köln in die blaue Abendluft emporstiegen, wie wenige Stunden zwischen ihr und dem Grab lagen! Indessen wie süß ist beim Zurückblick auf das Leben einer geliebten Person der Gedanke, daß ihre letzten Tage Tage des Lichtes gewesen, daß die Schönheit der sinkenden Sonne nie durch eine Wolke verdüstert worden, und daß, wenn die Zeit ihres sterblichen Daseyns kurz war, Alles, was dieses Daseyn Zartes und Heiliges hat, 97 in diesen kurzen Raum sich drängte! Nichts Dunkles oder Bitteres schläft dann neben unserer Erinnerung an die Verlorenen; wir trauern, aber nicht die Betrauerten sind zu beklagen: – um uns selbst ist unser Schmerz. Wenden wir uns zum Gegenstand desselben, so strahlen die Farben der Seligkeit um diesen her, und eben die Liebe, welche die Mutter unseres Grames ist, war der Trost – der Triumph der Entschlafenen.
Der majestätische Rhein war ruhig, wie ein See; nur das Geplätscher des Ruders unterbrach die Stille. Nach einer langen Pause im Gespräch legte Gertrud ihre Hand auf Trevylyans Arm und erinnerte ihn an das Versprechen einer Geschichte. Denn auch er hatte seine Anfälle von Trübsinn, denen sie ihn ihrerseits zu entlocken suchte; zudem war ihr seine Stimme eine Art Bedürfniß geworden, nach dessen Genuß sie dürstete, sobald es ihr etwas länger abging.
»Sey es ein der Stunde angemessenes Mährchen; keine wilde Sage, kein buntscheckiges Phantasiebild, sondern etwas, das die Farben eines zärtern Aberglaubens trägt. Handle es von Liebe – von Frauenliebe – von Liebe, die dem Grab trotzt. Denn gewiß lebt die Liebe auch nach dem Tod; und der Himmel wäre kaum ein Himmel, wenn die Rückerinnerung unter seinen Seligkeiten keinen Platz hätte.«
»Ich entsinne mich,« hob Trevylyan nach leichtem Bedenken an, »eines kurzen, deutschen Mährchens, dessen Einfachheit mich sehr rührte. Aber,« fügte er mit sanftem Lächeln hinzu, »Frauenlieb erscheint in diesem Mährchen um so viel getreuer als Männerliebe, daß ein Mann es kaum erzählen sollte.«
»Nein,« entgegnete Gertrud zärtlich, »der Frevel des Treulosen erhöht nur unsere Dankbarkeit für den Treuen.« 98