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Gertrud. Spaziergang nach Hammerstein. Gedanken.
Am folgenden Tag besuchten sie die Umgebungen von Brohl. Gertrud war gegen ihre Gewohnheit schweigsam, denn in der Regel strömte ihr von Natur helles, sonniges Gemüth auf Alles, was sie sah, seinen Glanz aus. Ach, wie leicht war einst dieser Schritt gewesen! – wie lebenwogend die jungen Grazien dieser Glieder! – wie froh hatten einst die Locken um diese lachenden Wangen gegaukelt! – Aber mit noch innigerer Zärtlichkeit, als sonst, klammerte sie sich an Trevylyans markige Gestalt, und noch aufmerksamer hing sie an seinen Worten. Ihre Hand suchte die seinige, und oft drückte sie dieselbe an die Lippen und seufzte, wenn sie so that. Etwas, das sie nicht sagen wollte, schien in ihr vorzugehen, und verernstete das kindlich spielende Gemüth. Jedoch war es ein auffallender Zug in Gertrud, daß Alles, was ihre Heiterkeit minderte, ihre Liebesfähigkeit mehrte. Die Schwäche des Körpers theilte sich der Seele nie mit. Sie war freundlich, sanft, zärtlich bis zum letzten Augenblick.
Sie hatten sich auf das jenseitige Ufer setzen lassen, um das Schloß Hammerstein zu besuchen. Der Abend war durchsichtig klar, und noch hing die Sonnenwärme an der Luft, obwohl, als ihr Kahn auf einem Umweg nach dem Dorf zurückkehrte, die Dämmerung 154 bereits geendet hatte, und der Mond am Himmel stand. Breit und gerad strömt der Rhein an dieser Stelle seines Bettes. Auf der einen Seite liegt, von Waldung umschattet, das Dorf Namedy, der Weiler Fornich als Vorgrund der kreuzborner Ley (Fels) und die Berge, welche das geheimnißvolle Brohl schirmen; auf dem jenseitigen Ufer sahen sie den mächtigen Felsen von Hammerstein mit seinen grünen, todtenfarbigen Ruinen im schwermüthigen Mondlicht schlafen. Zwei Thürme stiegen hoch über das niedere, mehr zerfallene Getrümmer auf. Welcher Wechsel, seit abwechselnd die Fahnen der Schweden und der Spanier in jenem großen Krieg, worin der schimmernde Wallenstein seine Lorbeeren gewann, von diesen Wällen geweht! Und in seiner mächtigen Ruhe floß der Vater Rhein dahin, den Nachen auf den glatten Spiegel zurückstrahlend; oben warf der Mond, von dünnen, schattenhaften Wolken umgürtet, seinen Dämmerglanz auf umgrünte Felsen und hob in ruhiger Ferne die Doppelthürme Andernachs in verschwimmendem Licht hervor.
»Wie schön ist diese Stunde!« sprach Gertrud mit leiser Stimme. »Wahrhaftig, wir leben nicht genug in der Nacht, – die halbe Schönheit der Welt wird verschlafen. Was am Tag kommt der heiligen Ruhe, der Lieblichkeit und Stille gleich, die der Mond jetzt auf die Erde gießt? Das,« fuhr sie, Trevylyans Hand drückend, fort, »sind Stunden für das spätere Andenken, und Du, – wirst Du sie je vergessen?«
In der Nachempfindung solcher Zeiten und Orte liegt Etwas, das dem gewöhnlichen Leben nicht anzugehören scheint, sondern eher eine Abschweifung in dessen Geschichte bildet; sie gleicht einer Wanderung in eine idealere Welt, verbindet sich mit unsern gemeinern Erinnerungen nicht, sondern ruht geschieden und vereinzelt in uns, um dort ewig als hoher Schatz zu liegen, aber nicht leicht zur Sprache gebracht zu werden. Es lebt Niemand, dem wir ihn anvertrauen können: – Wer vermag sich in das zu versetzen, was wir damals gefühlt? Solche Angedenken sind es, die den Dichter, die das Buch 155 machen – das Buch, das wir als Vertrauten für die Gedanken, die auf unserer Brust lasten, uns hervorrufen. Wir schreiben, denn das Geschriebene ist unser Freund, das leblose Papier unser Beichtiger; wir strömen auf dasselbe die Gefühle aus, die wir keinem lebenden Ohr mittheilen können, und sind erleichtert, – sind getröstet. Und hat der Dichter ein schöneres Vorrecht als die übrigen Menschen, so ist es das Vermögen, die Todten zu ehren – die Schönheit, die Tugend, die nicht mehr sind, ins Leben zurückzurufen; Kränze, die den Tag überdauern, um die Urne zu winden, welche die Welt sonst vergessen würde. Klagt er in unsterblichen Liedern um die Verstorbenen, so glaubt nicht, daß irdischer Ruhm seiner Seele vorschwebe! – sie ist mit Gedanken, mit Empfindungen gefüllt, welche alles Lebende von ihr ausschließen. Er flüstert seinem Genius – jenem einzigen und ewigen Freund, der von der Wiege an mit ihm aufwuchs – Schmerzen zu, die zu zart sind für menschliches Mitgefühl. Uebergibt er dieses Geständniß später der Menge, so geschieht es allerdings in Hoffnung auf Ehre, – aber Ehre nicht für sich selbst, sondern für das Wesen, das nicht mehr ist.