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Die Brüder.
Die Rheinufer weiteten sich jetzt zu prunkenden Ebenen aus, und zur Rechten erhob sich die ehemalige Reichsstadt Boppart. Auf keinem andern Weg gleicher Länge stößt man auf so viele auffallende Belege für die Veränderlichkeit und den Wechsel der Erdenmacht. Eine Stadt, wie Memphis in Egypten, zu einem Haufen verlassener Ruinen eingesunken, das Gesumm und Gelärm und den lauten Markt eines Volks in die Stille verwitternder Gräber eingelullt zu sehen, ist nicht so demüthigend für menschliche Eitelkeit, als wenn man dem Rhein entlang beobachtet, wie die königliche Stadt zu einem bescheidenen Marktflecken oder einem öden Dorf einschwindet: Der Verfasser scheint hier durch den Ausdruck imperial town (kaiserliche Stadt), wie wahrscheinlich der Uebersetzer von Schreibers Handbuch das deutsche »Reichsstadt« im Englischen wiedergab, mißleitet worden zu seyn, Boppart war nie eine Stadt von ausgezeichneter Bedeutung. — Der Uebersetzer. Verfall ohne Größe in den Trümmern, Veränderung ohne die Schauder der Einsamkeit. An der Stelle, wo Drusus einst seinen Römerthurm, die Frankenkönige ihre Paläste aufsteigen ließen, schäffelt jetzt der Handel mit Tabakspfeifen und wandelt das alte Frauenkloster Marienberg in eine treffliche Baumwollenmanufaktur um. Sey es so; das ist die fortschreitende Ordnung der Dinge; – bald wird die Welt selbst eine treffliche Baumwollenmanufaktur seyn!
»Sieh,« sprach Trevylyan im Vorüberfahren, »sieh jenen Berg mit seinen zwei der Legendenwelt angehörigen Schlössern Liebenstein und Sternfels.«
Massiv und gewaltig stiegen die Ruinen über dem grünen Felsen hervor, zu dessen Füßen, in glücklicher Geborgenheit gegen Zeit und Wechsel, die gedrängten Häuschen der Landleute, mit einem vereinzelten, über das ruhige Dorf sich erhebenden Kirchthurm lagen.
65 »Knüpft sich nicht eine berühmte Sage an diese Schlösser?« fragte Gertrud. »Ist mir doch, als hätt' ich ihre Namen in Bezug auf Dein Amt als Geschichtenerzähler nennen gehört.«
»Ja,« erwiederte Trevylyan, »die Geschichte handelt von den letzten Herren jener zerfallenen Burgen und . . . . . .«
»Du setzst Dich näher zu mir und fängst an,« unterbrach ihn Gertrud mit ihrem kindlichen Befehlton: – nur zu!«
Die Brüder.
Eine Erzählung. Diese Geschichte gründet sich wirklich auf die schöne Sage von Liebenstein und Sternfels.
»Stelle Dir denn einen schönen Sommertag vor, theure Gertrud,« hob Trevylyan an, »und baue mit der reichen Fülle Deiner Dichterkraft, der es gelungen, selbst in mir etwas von diesem himmlischen Funken anzufachen, jene versunkenen Zinnen in ihrer alten Pracht wieder auf; erhebe Halle und Gänge, bemanne die Warte mit Wächtern, und laß die stolzen Banner tapfern Ritterthums auf den Wällen wehen. Und oben, abschüssig über die Felsen herab, denke Dir die hängenden Gärten von Liebenstein voll süßen Blumendufts im Glanz der Mittagssonne.
Auf grünem Rasen, im Schatten einer Eiche saßen drei Personen in der Blüthe der Jugend. Zwei davon waren Brüder, die Dritte ein verwaistes Fräulein, das der Besitzer des gegenüber liegenden Schlosses Sternfels dem Schutz seines Bruders, des Herrn von Liebenstein, hinterlassen hatte. Die Burg selbst, nebst den dazu gehörigen Ländereien erbte nicht auf die weibliche Linie, sondern fiel Otto, dem jüngern der beiden Brüder, die auf dem Rasen saßen, anheim.
»Ah,« fragte der Aeltere, mit Namen Walter, »ah, geliebte Hildegard, Du wandest meinem Bruder einen Kranz; hast Du denn nicht eine einzige Blume für mich?«
Die schöne Waise (denn sie war schön, Gertrud, wie es der Heldin einer Geschichte, die Du zu hören wünschest, geziemt; – muß sie 66 in den Träumen meiner Phantasie nicht Dein glänzendes Haar und süßes Lächeln und das Blau Deiner Augen tragen, deren Sprache niemals schweigt? Vergib mir, daß ich der Heldin einer frühern Erzählung Deine Schönheit versagt habe und erinnere Dich, daß ich ihr als Ersatz die Reize Deiner Seele geliehen) – die schöne Waise erröthete bis in die Stirn, und suchte aus den Blumen auf ihrem Schoos die frischesten Rosen hervor, um sie für Walter zum Kranz zu winden.
»Es wäre besser,« bemerkte der muntere Otto, »meinem gesetzten Bruder die Cypresse und Raute zu wählen; die heitre Rose taugt nicht für einen so ernsthaften Ritter.«
Hildegard hob den Finger verweisend empor.
»Laß ihn lachen, geliebtes Mühmchen,« entgegnete Walter, während sein Blick leidenschaftlich auf ihren beweglichen Zügen haftete, »und glaub mir, Hildegard, daß ein stiller Strom am tiefsten ist.«
In diesem Moment hörte man die Stimme des alten Ritters, ihres Vaters, der laut nach dem Fräulein rief; denn immer, wenn er von der Jagd heimkehrte, verlangte ihn nach ihrer milden Nähe, und die Halle dünkte ihm öd, wenn nicht ihr leichter Tritt und die Musik ihrer Worte ihm zum Willkommen entgegen tönten.
Hildegard eilte zu ihrem Vormund, und die Jünglinge blieben allein.
Nichts konnte ungleicher seyn, als Züge und Charaktere der beiden Brüder. Das kräftige Roth der Gesundheit färbte Otto's Wange; seine braunen Augen waren voll Feuer; dunkles Haar umwallte in kurzen Locken seine freie, offene Stirn; nie erstarb der Scherz auf seinen Lippen, und sein Fuß hatte die Schwungkraft des Alpenjägers. Er war regen und kühnen Geistes; zeigte er auch manchmal den kecken Uebermuth der Jugend, so dachte er doch edel, und war er nicht jeder Zeit geneigt, Reue über einen Fehltritt blicken zu lassen, so war er es doch stets, sich für einen Freund in Gefahr zu stürzen.
67 Walter, wenn gleich nicht minder kräftig als der Bruder, war zärter gebaut. Langes blondes Haar, das Zeichen seiner nordischen Abkunft, beschattete von beiden Seiten das bleiche Gesicht, dessen sinnige Stille man fast schwermüthig nennen konnte. Auch verließ dieser Ausdruck selten seine Züge, die übrigens regelmäßiger und edler als die Züge Otto's waren. Entschlossener noch als der Bruder, war er minder heftig; tief fühlend hatte er nicht dessen wechselnde Laune.
Nachdem Hildegard die Brüder verlassen, schwiegen Beide still. Otto gürtete nachläßig sein Schwert, das er neben sich ins Gras gelegt hatte; aber Walter sammelte die Blumen, die von des Fräulein zarter Hand berührt worden, und schob sie in den Busen.
Otto, den dies verdroß, biß sich in die Lippen und wechselte die Farbe; endlich sagte er mit gezwungenem Lachen:
»Man muß gestehen, Bruder, daß Du die Anhänglichkeit an unsre schöne Muhme auf einen Grad treibst, den selbst Verwandtschaft kaum zu rechtfertigen scheint.«
»Es ist wahr,« erwiederte Walter ruhig, »ich bin durch eine stärkere Liebe, als durch die Bande des Bluts an sie gekettet.«
»Wie?« rief Otto mit Ungestüm, »Du könntest es wagen, um Hildegard zu werben?«
»Wagen?« wiederholte Walter, indem seine farblose Wange noch tiefer erbleichte.
»Ja, ich habe das Wort ausgesprochen! Wisse, Walter, daß auch ich Hildegard liebe, daß auch ich sie zur Braut erkoren habe. Nie so lang ich ein Schwert schwingen und die ritterlichen Sporen tragen kann, werd' ich einem Nebenbuhler weichen. Selbst dann nicht,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu, »wenn dieser Nebenbuhler mein Bruder seyn sollte!«
Walter antwortete nicht; seine ganze Seele schien erschüttert; er starrte den Bruder lang und gedankenvoll an und mit abgewandtem Gesicht stieg er stillschweigend den Felsen hinab.
68 Dieses Schweigen machte Otto bestürzt. Gewohnt, jeder Empfindung Worte zu geben, konnte er die Mäßigung Walters nicht begreifen; kannte jedoch dessen edlen und tapfern Sinn zu wohl, um dieselbe der Furcht zuzuschreiben. Mochte sie nicht vielmehr Verachtung seyn? oder wollte Walter etwa sogleich den Vater aufsuchen, dem Bruder mit einer Erklärung seiner Liebe für die Waise zuvorkommen, und zugleich sein Vorrecht als Aeltester geltend machen? Von solchem Verdacht durchzuckt, eilte der ungestüme Otto dem Bruder nach, und rief, die Hand auf seine Schulter legend, hastig: »Wohin gehst Du; willigst Du ein, mir Hildegards Hand abzutreten?«
»Liebt sie Dich, Otto?« erwiederte Walter nach langem Stillschweigen, und seine Stimme bekundete eine so tiefe Angst, daß selbst Otto's aufgeregte Leidenschaft dadurch entwaffnet wurde.
»Du bist es jetzt, der schweigt,« fuhr Walter fort; »sprich: liebt sie Dich und hat es ihre Lippe bekannt?«
»Ich glaubte, daß sie mich liebe,« stammelte Otto, »aber ihr Benehmen ist jungfräulich und ihr Mund hat es mir allerdings nie gestanden.«
»Genug,« sagte Walter, »laß mich los.«
»Halt!« rief Otto, dessen Argwohn wieder erwachte, »halt! – nur noch ein Wort: suchst Du den Vater? Er ehrte Dich immer mehr als mich; willst Du ihm Deine Liebe gestehen und Dein Recht als Erstgeborener geltend machen? Versuch's und, bei meiner Seele und meiner Hoffnung auf Seligkeit, Einer von uns muß fallen!«
»Armer Knabe,« erwiederte Walter bitter, »wie wenig verstehst Du ein Herz, das wahrhaft liebt. Glaubst Du, daß ich sie mein nennen möchte, wenn sie Dich liebt? Glaubst Du, daß ich mein Glück erkaufen wollte, wenn es ihr auch nur eine Minute Schmerz kostete? Weg mit solchen Gedanken – hinweg!«
»Du willst also nicht den Vater aufsuchen?«
»Den Vater? – hat der Vater Hildegards Neigung zu 69 vergeben?« erwiederte Walter, und die Hand des Bruders wegstoßend, ging er dem Schloß zu.
Beim Eintritt in die Halle durchzitterte ihn Hildegards Stimme, die dem alten Ritter eine jener einfachen Balladen sang, wie sie Jäger und Krieger lieben. Er stand still, um den Zauber nicht zu stören, der ihm mächtiger däuchte, als der Zauber des Magiers. Doch, wie er ihre schöne Gestalt ins Aug faßte, entsank ihm der Muth. Heute im Garten hatte er, wie sein Bruder, dem Fräulein eine Blume gegeben: die seinige war die schönere und seltenere, aber er erblickte sie jetzt nicht, während diejenige Otto's an ihrem Herzen blühte.
Das Lied war zu Ende, und der Ritter, eingelullt von den Tönen und von der Jagd ermüdet, sank in Schlummer. Walter trat näher und winkte Hildegard, ihm zu folgen. Er schlug einen abgelegenen, einsamen Pfad ein, und als sie sich etwas vom Schloß entfernt hatten, ergriff er leis ihre Hand.
»Weilen wir hier einen Augenblick, geliebte Muhme,« sprach er, »ich habe Manches auf dem Herzen, was ich Dir gern mittheilen möchte.«
»Was kann das seyn?« erwiederte Hildegard, indem sie sich auf eine Moosbank niederließen, zu welcher der breite Rhein unten herauf glänzte: »was kann es seyn, was mein gütiger Walter von mir zu verlangen hat? Ach! wäre es irgend eine Gunst, irgend Etwas, das die arme Hildegard wirklich gewähren kann; denn immer, von Kindheit auf, bist Du höchst liebreich, höchst freundlich gegen mich gewesen. Du, so wurde mir oft gesagt, hast meine ersten Schritte geleitet; Du lehrtest meinen kindischen Lippen Sprache, und später, wenn der wilde Otto fern in den Wäldern auf der Jagd war, achtetest Du seines Spottes nicht, und bliebst zu Hause, damit ich nicht allein seyn durfte. Ach, könnte ich Dir vergelten!«
Walter wandte das Antlitz ab; sein Herz war voll, und er bedurfte einiger Momente, um Muth zur Antwort zu sammeln.
70 »Holdes Mühmchen,« erwiederte er, »das waren glückliche Tage, aber es waren die Tage der Kindheit. Neue Sorgen und neue Gedanken sind jetzt über uns gekommen. Doch ich bin noch Dein Freund, Hildegard, und Du wirst, wie immer, Deine jungen Sorgen und Hoffnungen mir vertrauen. Nicht wahr?«
»Kannst Du fragen?« antwortete das Mädchen, und Walter, der ihr ins Gesicht schaute, bemerkte, daß ihre Augen voll Thränen standen, ihn aber dennoch fest anblickten. Da ward ihm klar, daß sie ihn nur wie eine Schwester liebe.
Er seufzte und hielt wieder inn. »Genug,« hob er endlich an, »nun ans Werk. Einst, liebe Muhme, lebte in diesen Bergen ein Ritter, der zwei Söhne hatte; und eine Waise, gleich Dir, wohnte ebenfalls in seiner Burg. Der ältere Sohn, – doch nichts hievon, laß uns keine Worte über ihn verschwenden!– der jüngere Sohn also liebte die Waise zärtlich, zärtlicher als man blos eine Verwandte liebt, allein eine Abweisung fürchtend, bat er den Bruder, für ihn um das Fräulein zu werben. Hildegard, meine Geschichte ist zu Ende. Kannst Du Otto lieben, wie er Dich liebt?«
Als er sofort seinen Blick zu Hildegard emporhob, sah er, daß sie heftig zittere und ihr Gesicht mit Glut bedeckt war.
»Sage mir,« fuhr er fort, indem er sich ermannte, »ist nicht diese Blume, sein Geschenk, ein Zeichen, daß er Deine Gunst besitzt?«
»Ach, Walter, halte mich nicht für undankbar, daß ich die Deinige nicht auch trage, aber –«
»Still!« entgegnete Walter hastig. »Ich bin nur Dein Bruder, ist nicht Otto mehr als das? Er ist jung, tapfer und schön. Gott gebe, daß er Deiner würdig sey, wenn Du ihm den reichen Schatz Deiner Neigung schenkst.«
»Ich sah Otto seltener in meiner Kindheit,« erwiederte Hildegard ausweichend, »daher mag es kommen, daß seine jetzige Freundlichkeit mich mehr überraschte, als die Deinige.«
71 »Und Du willst ihn also nicht abweisen? Du willst seine Braut seyn?«
»Und Deine Schwester!« antwortete Hildegard.
»Gott segne Dich, geliebte Muhme! Einen Bruderkuß und dann Lebewohl. Otto mag Dir selbst danken.«
Er küßte ruhig ihre Stirn, ging hinweg und stürzte sich ins Dickicht des Waldes. Dann erst – und nicht früher – ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Hätte Hildegard dieselben beobachten können, Otto's Bewerbung wäre verloren gewesen; denn so tief, so glühend ihr weiches, reines Herz den Jüngling liebte, war ihr doch Walters Glück nicht minder theuer.
Als der junge Ritter seine Fassung wieder gewonnen, ging er, Otto aufzusuchen.
Er fand ihn im Wald allein, mit verschlungenen Armen an einen Baum gelehnt und trüb vor sich hinstarrend. Walters edles Gemüth ward durch des Bruders Schmerz bewegt.
»Muth gefaßt, Otto,« rief er, »ich bring' Dir keine schlimme Zeitung; ich habe Hildegard gesehen – mit ihr gesprochen: – nein erschrecke nicht: – sie liebt Dich! sie ist Dein!«
»Großmüthiger, großmüthiger Walter!« rief Otto, und warf sich an des Bruders Hals.
»Doch das darf ich nicht seyn; Du hast ältere Ansprüche – ich trete sie Dir ab. Vergib meine Heftigkeit, Bruder, vergib mir.«
»Gedenke des Vergangenen nicht mehr,« erwiederte Walter. »Daß Hildegard Dich liebt, würde größeren Anstoß entschuldigen, als Du mir gegeben; und nun sey freundlich gegen sie; ihr Gemüth ist sanft und tieffühlend. Ich kenne sie genau, denn ich habe die leiseste Regung ihres Wesens beobachtet. Du bist heftig und leicht zum Zorn gereizt; bedenke, daß, wo die Liebe tief ist, ein Wort verletzt. Meinetwillen nicht minder, als ihretwillen laß Dir Hildegards Wohl theurer seyn, als Dein eigenes; eile jetzt zu ihr– sie harrt von Deinen Lippen Worte zu hören, die von den meinigen nur kalt erklangen.«
72 Damit verließ er den Bruder, begab sich noch einmal in die Burg und in die Halle seiner Väter. Der alte Ritter schlief noch immer; Walter legte die Hand auf sein graues Haupt und segnete ihn; dann schlich er in sein Gemach hinauf, legte Helm und Rüstung an, küßte dreimal das Heft seines Schwertes und sprach mit roth angeflogener Wange:
»Fortan sey Du meine Braut!«
Hierauf trat er aus dem Schloß, stieg auf den einsamsten Pfaden den Felsen hinab, gewann den Rhein, rief einen der zahlreichen Fischer am Fluß, ließ sich auf das jenseitige Ufer setzen, und eilte allein aber nicht traurig, denn ihn trug das hohe Herz und mindestens war Hildegard glücklich, nach Frankfurt.
Die Stadt war voll Munterkeit und Leben; Waffengeklirr an jeder Ecke, Geschmetter von Kriegstrompeten, Wehen der Fahnen, Schimmer bebuschter Helme, Wiehern von Schlachtrossen: – Alles vereinigte sich, das Blut aufzuregen, den Sinn zu entflammen. Sankt Bernhard hatte das Kreuzpanier an den Ufern des Rheins erhoben, und Frankfurts Straßen bezeugten mit welchem Erfolg!
Noch an demselben Tag heftete Walter das heilige Zeichen auf und ward unter die Ritter Kaiser Konrads eingereiht.
Wir müssen jetzt einige Zeit als vorübergegangen annehmen, aber immer noch waren Otto und Hildegard nicht getraut; denn in der ersten Glut der Dankbarkeit für den Bruder hatte Otto den Vater und die Geliebte mit Walters Selbstbezwingung bekannt gemacht, und das Fräulein, im tiefsten Herzen gerührt, wollte nicht, daß die Hochzeit sogleich stattfinde. »Möge ihm mindestens,« sprach sie, »nicht durch voreilige Freude Schmach angethan, mög' ihm Zeit gelassen werden, unter den stolzen Schönheiten, die er in fernen Landen sehen wird, zu vergessen, daß er einst die geliebt, welche Du liebst, Otto.«
Der alte Ritter billigte dieses Zartgefühl und selbst Otto unterfing sich in der ersten Ueberwallung seiner Empfindungen für den 73 Bruder keiner Gegenrede. So ward denn beschlossen, daß die Vermählung nach Ablauf eines Jahrs stattfinden solle.
Monate vergingen und gedankenvolle, unmuthige Verdüsterung setzte sich auf Otto's Stirn. Wenn er mit seinen lustigen Gefährten einen Ausflug nach einer benachbarten Stadt machte, vernahm er von nichts als dem Ruhm der Kreuzfahrer, von den Ehren, die den Helden des Kreuzes von den Höfen unter Wegs gezollt würden, von ihren Abenteuern und dem frischen Geist, der diesen Krieg beseele. Wirklich ließen weder Sänger noch Priester die Sache kalt werden, und der gefeierte Ruf derer, die in den heiligen Kampf gezogen waren, gereichte der zurückgebliebenen Jugend zugleich zu Nacheiferung und zum Schmerz.
»Und mein Bruder genießt dieses glühende, glorreiche Leben,« sprach der ungeduldige Otto, »während ich, dessen Arm eben so stark, dessen Herz eben so kühn ist, hier unter den matten Geschichten eines gebrechlichen Alten und den einfältigen Liedern eines verwaisten Mädchens verdumpfe.« Sein Herz schalt ihn bei den letzten Worten, aber schon hatte er angefangen, Hildegards zarter Liebe überdrüssig zu werden. Vielleicht daß, als länger kein Sieg über einen Nebenbuhler zu gewinnen war, die Aufregung nachließ, oder vielleicht mochte sich sein stolzer Sinn, ungeachtet sein Erfolg in der Liebe glücklicher gewesen, als der des Bruders, darüber zergrämen, von Letzterem an Edelmuth übertroffen worden zu seyn.
Die arme Hildegard aber, einmal auf Otto als ihren Verlobten hingewiesen, gab ihr Herz ganz seiner Beherrschung hin. Sein wilder Geist, seine dunkle Schönheit, sein kecker Muth gewannen und schreckten sie zugleich und in der Launenhaftigkeit seiner Natur lagen jene ewigen Quellen der Hoffnung und Furcht, welche die Borne unruhvoller Liebe sind. Mit wachsendem Kummer sah sie die Veränderung, die über Otto's Gemüth hereinwuchs. Aber sie errieth die Ursache nicht. »Gewiß hab' ich ihn mindestens nicht beleidigt!« dachte sie.
74 Unter Otto's Gefährten befand sich Einer, der eine besondere Gewalt über ihn besaß. Er gehörte dem geheimnißvollen Templerorden an, der einst so große Herrschaft über die Menschengemüther ausübte.
Eine starke, gefährliche Wunde, Folge eines Zweikampfs mit einem englischen Ritter, hatte den Templer in Frankfurt festgehalten und gehindert, sich dem Kreuzzug beizugesellen. Während der langsamen Wiedergenesung hatte er Freundschaft mit Otto geschlossen und war, nachdem er sofort seinen Aufenthalt im Schloß Liebenstein genommen, von Hildegards Schönheit tief angeregt worden. Durch seinen Eid an der Ehe gehindert, erlaubte er sich doppelte Freiheit in der Liebe, und zweifelte nicht, daß, falls er den jungen Ritter von seiner Braut abzuziehen vermöge, diese eine neue Eroberung neben den vielen Siegen seyn würde, die er selbst schon davongetragen. Listig schilderte er daher Otto die mannigfachen Reize des heiligen Kriegs und vor Allem versäumte er nicht, mit glühenden Farben die Schönheiten zu malen, die im funkelnden Morgenland die Ritter des Kreuzes mit verschwenderischer Gunst auszeichneten. Mitgaben, erzählte er, in den unergiebigern Gebirgsgegenden des Rheins noch unbekannt, begleiteten die Hand dieser schönen Mädchen, und selbst eine Fürstentochter würde als keine zu hohe Verbindung für einen Helden angesehen, der sich Königreiche gewinnen könne.
»Mir,« sprach der Templer, »sind dergleichen Aussichten auf ewig versagt. Aber Euch, wäret Ihr nicht bereits verlobt, welches Glück könnte Euch zu Theil werden!«
Durch dergleichen Unterredungen ward Otto's Ehrgeiz fortwährend aufgeregt. Sie halfen seinen Mißmuth über seine bisherige Unberühmtheit verstärken, und den einzigen Trost, welchen dieselbe durch die Unschuld und Liebe Hildegards bot, ihm zum Ekel machen.
Eines Abends suchte ein Sänger im Schloß Liebenstein Schutz vor dem Ungewitter. Sein Besuch ward von dem alten Ritter 75 freundlich aufgenommen, und er vergalt die empfangene Gastfreundlichkeit durch Proben seiner Kunst. Er sang von der Jagd, und der gewaltige Rüde fuhr vom Boden auf. Er sang von Liebe, und Otto, seine unruhigen Träume vergessend, näherte sich Hildegard und warf sich zu ihren Füßen. Lauter und lauter ertönte sofort die Saite: der Sänger sang von Krieg; er schilderte die Thaten der Kreuzfahrer; er senkte sich ins dichteste Gewühl der Schlacht: das Roß wieherte, die Trompete tönte: es war, als höre man das Klirren des Stahls. Als er aber an die Namensbezeichnung der kühnsten Ritter gelangte, tönte hoch unter den edelsten der Name Walters von Liebenstein. Dreimal habe er das kaiserliche Banner gerettet; zwei Pferde wären unter ihm getödtet worden, und er habe ihre Leiber mit den Tapfersten unter den Feinden bedeckt. Sanft im Zelt und schrecklich im Gefecht sey Walter, und eher werde der Sänger seine Kunst vergessen, als der Rhein seinen Helden.
Der alte Ritter fuhr von seinem Sitz auf. Hildegard faßte des Sängers Hand. »Sprecht; Ihr habt ihn gesehen, er lebt, ist geehrt?«
»Ich selbst komme gerad' von Palästina, tapferer Herr und edles Fräulein. Ich sah den tapfern Ritter von Liebenstein zur Rechten des kaiserlichen Konrad. Und er, Fräulein, war der einzige Ritter, auf welchen die Bewunderung ohne ihren Schatten, den Neid, strahlte. Wer also,« (fuhr der Sänger, noch einmal in die Harfe greifend, fort) »Wer möchte ruhmlos zurückbleiben in der Halle? Werden ihn nicht die Banner seiner Väter vorwurfsvoll anwehen? wird nicht jede Stimme aus Palästina Hohn in seine Seele schleudern?«
»Ja!« rief Otto plötzlich, und warf sich dem Vater zu Füßen. »Du vernimmst, was mein Bruder gethan, und Deine greisen Augen weinen Freudenthränen. Soll allein ich Dein Alter durch ein rostig Schwert entehren? Nein! erlaub mir, wie mein Bruder mit den Kreuzeshelden zu ziehen!«
»Edler Jüngling,« bemerkte der Harfner, »aus Euch sprach 76 Herrn Walters Seele; hört ihn, Herr Ritter, hört den edlen Jüngling.«
»Des Himmels Stimme ruft laut aus der seinigen,« sagte feierlich der Templer.
»Mein Sohn, ich kann Deinen Eifer nicht schelten,« sprach der alte Ritter, indem er ihn mit zitternden Armen aufhob; »aber Hildegard, Deine Verlobte.«
Bleich wie eine Bildsäule, ihrem Ohr nicht trauend, als die grausamen Worte des Geliebten es durchdrangen, war die Waise dagestanden. Sie redete nicht, sie athmete kaum. Sie sank auf ihren Stuhl und starrte auf den Boden, bis mit den Worten des alten Ritters jungfräulicher Stolz und jungfräuliche Zärtlichkeit ihr das Bewußtseyn zurückgaben, und sie entgegnete:
»Ich, Oheim, soll ich Otto bleiben heißen, wenn sein eigener Wunsch ihn forttreibt?«
»Ruhmbedeckt wird er zu Euch zurückkehren, edles Fräulein,« erwiederte der Harfner; aber Otto sprach kein Wort weiter. Hildegards rührende Stimme ging ihm in die Seele; stillschweigend nahm er seinen Stuhl wieder ein; Hildegard trat auf ihn zu, lispelte sanft: »Handle, als wär' ich nicht,« und verließ die Halle, allein mit ihrem Herzen Zwiesprache zu halten und zu weinen.
»Ich kann sie noch vor meinem Abgang heirathen!« rief Otto plötzlich, als er in jener Nacht mit dem Templer auf dessen Zimmer zusammensaß.
»Das ist wahr! aber Deine Gattin schon in der ersten Woche verlassen – eine harte Probe!«
»Besser, als daß ich Gefahr laufe, sie nie die Meinige zu nennen. Theure, gute, geliebte Hildegard!«
»Gewiß verdient sie Alles von Deiner Seite, und wirklich ist es bei Deinen Jahren und Deinem Aeußern kein kleines Opfer für ewig auf jede Theilnahme unter den edlen Jungfrauen zu verzichten, die 77 Du finden wirst. Ach, welche Augen werden von den Balkonen Konstantinopels auf Dich herab sehen, und auf die Kunde, daß Du Otto der Vermählte seyst, sich fürder gleichgültig abwenden. Ein Gatte ohne eine Gattin! Nein, Freund, so vieler Krieger das Kreuz auch bedarf, bin ich Dir doch zu gut, um Dir nicht, im Fall Du heirathest, zu sagen: bleibe ruhig zu Haus und vergiß in der Jagd die Mühen des Kriegs, welchen Du um den Kampfplatz der Liebe ärmer machen willst.«
»Ich wollte, ich wüßte, was ich thun soll,« entgegnete Otto unentschlossen. »Mein Bruder – ha! soll er mich für immer ausstechen! – und Hildegard, wie wird sie sich zergrämen – sie, die ihm um meinetwillen entsagt hat!«
»War das Dein Fehler?« fragte der Templer heiter. »Noch oft mag Dirs begegnen, daß man Dich einem Andern vorzieht. Wahrlich an solcher Sünde hat das Gewissen eben nicht schwer zu tragen. Aber beschlaf die Sache jetzt, Otto; die Augen werden mir schwer.«
Tags darauf kam Otto zu Hildegard und schlug ihr vor, die Hochzeit solle seiner Abreise noch vorangehen; er war aber so befangen, so getheilt zwischen zwei Wünschen, daß Jene beleidigt, gekränkt, verletzt durch seine Kälte, den Vorschlag ohne Bedenken zurückwies. Sie verließ ihn, damit er sie nicht weinen sähe, und dann – dann machte sie sich im Stillen Vorwürfe über ihren gerechten Stolz!
Otto dagegen, sein Gewissen mit der Vorstellung zu beschwichtigen suchend, daß nunmehr der ganze Fehler auf ihrer Seite liege, betrieb jetzt die Vorbereitungen zu seinem Abgang aufs Emsigste. Im Eifer, den Bruder zu verdunkeln, reiste er nicht, wie Walter, allein und ohne Begleitung ab, sondern alle Pferde, Mannen und Gelder aufbietend, die seine Herrschaft Sternfels, von welcher er bis jetzt noch keine Lehnspflicht gefordert, lieferte, begab er sich an der Spitze einer glänzenden Schaar nach Frankfurt.
78 Der Templer blieb, unter dem Schein eines Rückfalls seiner Krankheit, und versprach in Konstantinopel, wovon er ein so prunkendes Gemälde entworfen, mit Otto zusammen zu stoßen. Einstweilen wandte er die ganze Macht seiner Annehmlichkeiten zu Tröstung der unglücklichen Waise an. Allein die Kraft ihrer einfachen Liebe war stärker als all seine Kunstgriffe. Umsonst flüsterte er ihr Zweifel gegen den Geliebten zu: sie wollte nicht auf dieselben hören: umsonst strömte er mit der weichsten Stimme den Zauber der Schmeicheleien und Lieder in ihr Ohr; sie wandte sich achtlos hinweg, und nur verletzt durch Artigkeiten, die so wenig an Otto erinnerten, schloß sie sich in ihr Zimmer und schmachtete in Einsamkeit nach dem, der sie verlassen.
Der Templer hatte sofort eben beschlossen, dunklere Künste zur Erlangung einer Macht über sie zu versuchen, als er glücklicher Weise durch einen Auftrag des Großmeisters von solcher Wichtigkeit abberufen ward, daß eine in seiner Brust mächtigere Leidenschaft als die Liebe – der Ehrgeiz – nicht zu widerstehen vermochte. Er überließ das Schloß seiner Einsamkeit, und da Otto mit seinen muntern Gefährten sich nicht mehr darin drängte, so konnte fortan keine Einsamkeit seltener unterbrochen werden.
Bisweilen jedoch gelangten Gerüchte von Waltern den Bewohnern zu Ohr; allein diese Gerüchte begleiteten keine Kunde von Otto: von ihm vernahm man nichts, und so ward die Liebe der zarten Waise durch die ewige Unruhe der Angst stets lebendig erhalten. Endlich starb der alte Ritter und Hildegard blieb ganz allein.
Als sie eines Abends mit ihren Zofen in der Halle saß, hörten sie Hufschlag im äußern Hof; ein Horn tönte; die gewichtigen Thore thaten sich auf, und ein Ritter von stattlicher Gestalt, mit dem rothen Mantel des Kreuzes bedeckt, trat in das Gemach. Er hielt einen Augenblick am Eingang, wie überwältigt von seinen Gefühlen; im nächsten Moment hatte er Hildegard an seine Brust geschlossen.
»Kennst Du Deinen Vetter Walter nicht mehr?« Er nahm den 79 Helm ab und sie sah die hoheitvolle Stirn, die, ungleich der Stirn Otto's, ihr gegenüber sich nie geändert oder umwölkt hatte.
»Der Krieg ist für die nächste Zukunft aufgehoben. Ich habe des Vaters Tod erfahren und bin heimgekehrt, meine Banner in der Halle aufzuhängen und meine Tage in Frieden zu verleben.«
Zeit und Krieg hatten Walters Zügen ihre Veränderungen aufgedrückt; das volle, dunkler gewordene Haar war an den Schläfen abgetragen und zeigte eine Narbe, die jedoch eher zur Schönheit eines Gesichts beitrug, das in seinem Ausdruck stets etwas Hohes, Heldenhaftes gehabt. Aber die Ruhe, die einst auf demselben gestanden, hatte sich zur Traurigkeit verdüstert; er sprach seltener als zuvor, und obwohl er noch eben so oft und eben so freundlich lächelte, war das Lächeln doch gedankenvoller geworden und aus der Freundlichkeit die Leidenschaft entwichen. Offenbar hatte er eine Liebe überwältigt, der sich so früh Hindernisse in den Weg gestellt, aber nicht die Treue des Andenkens gebrochen, die ihm Hildegard theurer machte als alle andre Menschen, und ihm verbot, an die Stelle der Bilder, die er in seine Seele gegraben, etwas Anderes zu setzen.
Der Waise Lippen bebten unter dem Namen Otto, aber eine gewisse Erinnerung erdrückte ihrer angstvollen Zärtlichkeit das Wort aus dem Mund. Walter eilte ihren Fragen zuvor.
Otto, sprach er, befände sich wohl und hielte sich zu Konstantinopel auf. Er hätte dort so lang verweilt, daß der Kreuzzug ohne seine Hülfe beendet worden, zweifelohne würd' er jetzt schnell heimkehren: ein Monat, eine Woche, ja der nächste Tag könne ihn an ihre Seite zurückführen.
Hildegard fühlte sich höchlich getröstet, aber etwas schien gleichwohl noch im Hintergrund zu liegen. Warum hatte er, der so gedürstet nach dem Kampf ums heilige Grab, so lang in Konstantinopel gezögert? Sie wunderte sich, ließ sich in Vermuthungen ein, aber sie wagte nicht weiter nachzufragen.
80 Der edelmüthige Walter verhehlte ihr, daß Otto ein Leben der rücksichtlosesten und müßigsten Zerstreuung führte, seinen Reichthum in den Vergnügungen des griechischen Hofs erschöpfend und seinen Ehrgeiz blos mit dem wilden Plan beschäftigend, ein Fürstenthum unter diesem fremden Himmel zu gründen, welchen die Unternehmungen der normannischen Abenteurer den ritterlichen Räubern jener Zeit so anlockend gemacht.
Die Bruderskinder traten in die alte Freundschaft zu einander ein, und Walter glaubte, es sey bloße Freundschaft. Wieder wandelten sie mit einander in den Gärten, dem Tummelplatz ihrer Kindheit, wieder saßen sie auf dem grünen Rasen, worauf sie Kränze geflochten: wieder blickten sie auf den ewigen Spiegel des Rheins: – ach, hätt' er noch die alte bewußtlose Frische des ersten Lenzes ihres Lebens zurückstrahlen können!
Walters ernstes, beschauliches Gemüth war durch die Kriegsehren nicht so vollkommen befriedigt worden, daß er nicht auch jene stilleren Quellen der Aufregung gesucht hätte, die sich unter den Weisen des Morgenlands noch fanden. Er hatte am Wissensborn jener fernen Gegenden getrunken und die sinnende Art der gebildeten Völker angenommen, von welchen die Kreuzfahrer die Kenntnisse, welche ihre Nachkommen erleuchten sollten, mit nach dem Norden brachten. So fand er denn wenig Verwandtes bei den roheren Rittern der Nachbarschaft; er lud sie nicht zu seinem Tisch und wohnte ihren lärmenden Gelagen nicht bei. Oft schien spät in der Nacht aus jenem zertrümmerten Thurm seine einsame Lampe still über den mächtigen Strom; und die einzige Erheiterung in seiner Abgeschiedenheit war die Gegenwart und der Gesang seiner sanften Muhme.
Monate vergingen, als plötzlich ein ungewisses, ängstliches Gerücht nach Schloß Liebenstein kam: »Otto kehre auf die Nachbarburg Sternfels zurück, aber nicht allein. Er bringe eine griechische Braut von erstaunenswürdiger Schönheit, ausgestattet mit fast königlichem 81 Reichthum.« Hildegard war die Erste, von welcher das Gerücht als eine Lüge bezeichnet wurde; Hildegard war bald die Einzige, welche dem Gerücht nicht glaubte.
Hell im sommerlichen Mittag glänzte ein Reiterzug; weit den steilen Berg hinauf wand sich die prächtige Schaar; Liebensteins einsame Thürme hörten den Wiederhall manchen Gelächters und den Ruf des Jubels. Otto führte seine Braut heim nach Schloß Sternfels.
Nachts war großes Bankett in Otto's Schloß: von jedem Fenster schienen die Lichter, und die Musik ertönte drinnen laut und endlos.
Neben Otto saß die Griechin, glänzend von der Juwelenfülle des Morgenlands. Ihre dunkeln Locken, ihr blitzend Aug', die gemalten Wangen und Braunen blendeten die Gäste. Zur Linken der Braut saß der Templer.
»Beim heiligen Kruzifix,« sprach der Templer muthwillig, obwohl er sich bei diesen Worten bekreuzte, »wir werden die Eulen heut Nacht zu den grießgrämigen Thürmen von Liebenstein hinüberscheuchen. Dein ernster Bruder, Otto, wird viel zu thun haben, um sein Bäschen zu trösten, wenn sie sieht, was für ein lustig Leben sie mit Dir geführt haben würde.«
»Armes Fräulein!« sprach die Griechin mit erkünsteltem Mitleid. »Ohne Zweifel versöhnt sie sich jetzt mit dem Verstoßenen. Ich höre, es sey ein Ritter von stattlichem Ansehen!«
»Still!« sagte Otto ernst und stürzte einen großen Becher Weins hinunter.
Die Griechin biß sich in die Lippen und blickte den Templer bedeutsam an, der den Blick zurückgab.
»Nur eine Schönheit wie die Deinige vermag mein Verfahren zu entschuldigen,« bemerkte Otto, gegen seine Braut gewandt, indem er ihr leidenschaftlich ins Gesicht schaute.
82 Die Griechin lächelte.
Heiter schritt das Fest fort. Das Gelächter ward lauter, der Wein kreiste, als Otto's Aug auf einen Gast am Ende der Tafel fiel, dessen Gestalt von Kopf zu Fuß verhüllt und dessen Antlitz durch einen dunkeln Schleier bedeckt war.
»Wirklich,« sprach er laut, »solcher Aufzug ziemt sich kaum bei unserm Fest. Will der Fremde die Gewogenheit haben sich zu enthüllen?«
Diese Worte wandten Aller Blicke nach der Gestalt, und Die, welche derselben zunächst saßen, bemerkten, daß sie heftig zitterte. Endlich stand sie auf, ging langsam aber anmuthvoll auf die schöne Griechin zu und legte einen Blumenkranz neben sie.
»Nur eine schlichte Gabe, hohe Frau,« sprach die Gestalt mit so sanfter Stimme, daß die rohesten Gäste davon gerührt wurden; »aber es ist Alles, was ich bieten kann, und Otto's Braut darf nicht ohne ein Geschenk aus meinen Händen bleiben. Mögt Ihr Beide glücklich seyn!«
Mit diesen Worten wandte sich die Fremde und trat still wie ein Schatten aus dem Saal.
»Bringt die Fremde zurück!« rief die Griechin, von ihrem Staunen wieder zu sich kommend. Zwanzig Gäste sprangen auf, ihr Gebot zu vollziehen.
»Nein, nein!« entgegnete Otto und winkte hastig mit der Hand. »Rührt sie nicht an, schaut ihr nicht nach, so lieb Euch Euer Leben ist.«
Die Griechin beugte sich, ihren Verdruß zu bergen, über den Kranz, und die abgebrochene Hälfte eines Rings fiel heraus. Otto erkannte denselben augenblicklich: es war die Hälfte des Ringes, den er mit seiner Verlobten gebrochen. Ach, er bedurfte keines solchen Zeichens, ihn zu vergewissern, daß diese Gestalt, voll so unaussprechlicher Anmuth, diese rührende Stimme, diese einfache, von so zartem 83 Gefühl zeugende Handlung, diese Gabe, dieser Glückwunsch einzig auf die verlassene und verzeihende Hildegard deuteten.
Walter aber, allein in seinem einsamen Thurm, ging mit hastigen Schritten auf und ab. Tiefer, unauslöschlicher Grimm über des Bruders Niederträchtigkeit gesellte sich einer glühenden, süßen Hoffnung bei. Er gestand sich, daß er sich getäuscht, als er glaubte, seine Leidenschaft sey vorüber; gab es jetzt noch eine Schranke gegen seine Verbindung mit Hildegard?
In dem Zartsinn, womit ihn seine Liebe durchhauchte, hatte er vermieden, Trost für sie zu suchen oder ihr die Schmach anzuthun, sie trösten zu wollen. Er fühlte, daß der Schlag allein getragen werden müsse, und doch schmachtete, dürstete er darnach, sich zu ihren Füßen zu werfen.
Aus diesen streitenden Gedanken ward er durch ein Pochen an der Thür aufgeweckt; er öffnete – der Flur war von Hildegards bleichen, angsterfüllten, weinenden Zofen vollgedrängt. Sie hatte die Burg, blos von einer Dienerin begleitet, verlassen; Niemand wußte wohin. Nur zu bald jedoch gelangte man hierüber zur Kunde. Von Schloß Sternfels war sie in der dunkeln, rauhen Nacht nach dem Thal gegangen, wo das Kloster Bornhofen Denen, die müden Geistes und gebrochenen Herzens waren, eine Zuflucht vor dem Altar Gottes bot.
Mit Anbruch des Morgens stand Walter vor dem Klosterthor. Er sah Hildegard; welche Veränderung hatte Eine Schmerzensnacht in dem Gesicht hervorgerufen, das für ihn der Quell aller Lieblichkeit war! Er faßte sie in die Arme; er weinte; er sagte Alles, was Liebe sagen kann; er flehte sie an, das Herz anzunehmen, das ihr Angedenken nie durch den leisesten Gedanken entweiht hatte. »Ach, Hildegard, sagtest Du nicht einmal, diese Arme hätten Dich als Kind getragen; diese Stimme habe Deine ersten Schmerzen eingelullt! O so vertraue ihnen wieder und für immer! Von einer Liebe, die Dir treulos ward, wende Dich zu einer Liebe, die nie von Dir abirrte.«
84 »Nein,« erwiederte Hildegard, »nein! Was würden die Ritter, deren Stolz Du bist, was würden sie von Dir sagen, freitest Du eine Verlobte und Verstoßene, die Jahre lang auf einen Andern harrte und in Deine Arme nur das Herz brächte, das Jener verlassen hat? Nein! und wärst Du selbst, wie Du meinem Ermessen nach allerdings seyn würdest, verhärtet gegen solche Schmach an Deinem hohen Namen, soll ich Dir ein gebrochen Herz, einen zerquetschten Geist mitbringen? Sollst Du Schmerz statt Freude freien? Sollen Seufzer, die nie enden, Thränen, die nie trocknen, die einzige Mitgift der Braut seyn, die Du erwählt hast? Du, auf welchen alle Segnungen des Glücks herabkommen sollten? Nein, vergiß mich; vergiß Deine arme Hildegard! Sie hat nichts als Gebete für Dich!«
Umsonst sprach Walter für seine Sache; umsonst brachte er Alles vor, was Zärtlichkeit und Wahrheit vorbringen können. Die Quellen irdischer Liebe waren im Herzen der Waise auf immer vertrocknet, und unerschütterlich ihr Entschluß. Sie riß sich aus seinen Armen und das Klosterthor knarrte barsch in sein Ohr.
Ein neues, strenges Gefühl nahm ihn sofort völlig in Besitz. Von Natur mild und sanft nährte er, wenn einmal zum Zorn aufgereizt, denselben mit der ganzen Kraft einer ruhigen Seele. Hildegards Thränen, Schmerzen, die Schmach, die sie erlitten, ihre Sanftmuth, die nicht klagte, die Veränderung, die ihrem Gesicht bereits aufgedrückt war: Alles schrie laut zu ihm um Rache. »Sie ist eine Waise,« sprach er bitter; »sie hat Niemand, sie zu schützen, ihr zu helfen, als mich allein. Meines Vaters Pflichten für ihre verlassene Jugend gehen mit Recht auf mich über. Was liegt daran, ob ihr Beleidiger mein Bruder ist? er ist ihr Feind. Hat er nicht ihr Herz zermalmt? Hat er sie nicht bis zum Grab dem Gram dahingegeben? Und mit welchem Hohn! Ohne vorgängiges Wort, ohne Entschuldigung, mit jubelnden Zechern vor dem Ohr, vor dem Aug der Verlobten die neue Hochzeitfeier zu durchschwärmen! Genug; die Zeit ist 85 da, wo nach seinen eigenen Worten: »»Einer von uns Beiden fallen muß!««
Er zog bei diesen Worten das Schwert halb aus, stieß es heftig zurück in die Scheide und kehrte heim nach seiner einsamen Burg. Der Ton von Rossen und Jagdhörnern traf ihn am Thor! der Brautzug von Sternfels, voll Lust und Herrlichkeit, zog schnaubend auf die Jagd.
Am Abend trat ein Ritter in voller Rüstung in den Bankettsaal von Sternfels, und forderte Otto von Seiten Walters von Liebenstein zum Kampf auf Leben und Tod.
Selbst der Templer erschrack über eine so unnatürliche Aufforderung; Otto aber hob den Handschuh erglühend auf, und Tag und Ort wurden bestimmt. Unmuthig, mit sich selbst zerfallen, gerieth er in eine wilde Freude; er sehnte sich, die Empfindungen seiner Verzweiflung selbst am Bruder auszulassen. Hatte er ja überdieß in eifersüchtigem Herzen diesem Bruder seine Tugenden und seinen Ruhm nie verziehen!
Zur festgesetzten Stunde erschienen die Brüder als Gegner. Walters Visier stand offen und die ganze ruhige Strenge seiner Seele war der Stirn aufgeprägt. Otto, der lieber dem Arm als dem Angesicht des Bruders entgegentrat, hatte den Helm geschlossen. Der Templer stand mit gekreuzten Armen neben ihm. Seinem menschenverachtenden Gemüth war solcher Auftritt ein Studium der Leidenschaften. Kaum jedoch hatte die erste Trompete zum grausamen Kampf geklungen, als eine neue Person auf den Schauplatz trat. Das Gerücht von einem so beispiellosen Ereigniß war auch nach Kloster Bornhofen gedrungen; Zwei und Zwei kamen die Schwestern des heiligen Altars, und die Gewaffneten wichen zur Seite, als Jene mit schleppenden Gewändern und verschleierten Gesichtern bis innerhalb der Schranken vordrangen. In diesem Augenblick trat Eine aus den Reihen der Nonnen und hielt im langsam hoheitvollen Schritt nicht an, bis sie mitten zwischen den feindlichen Brüdern stand.
86 »Walter,« sprach sie mit hohler Stimme, die seinen dunkeln Muth erstarrte; »willst Du also Deine Liebe bekunden, und Deine Pflegschaft über die elternlose Waise üben, die Dein Vater Deiner Obhut hinterlassen hat? Soll ich Mord auf meiner Seele tragen?«
Bei dieser Frage hielt sie an, und Diejenigen, welche sie vernommen, schauderten in dumpfer Bestürzung. »Den Mord eines Menschen durch die Hand seines eigenen Bruders? – Hinweg, Walter, ich befehle es.«
»Soll ich das Unrecht vergessen, das Du erduldet, Hildegard?« fragte Walter.
»Unrecht! es vereinte mich mit Gott! es ist vergeben, ist hinweg! Die Erde hat mich verstoßen, aber der Himmel hat mich in seine Arme genommen; – soll ich murren über solchen Wechsel? und Dich Otto« (hier wankte ihre Stimme) – »Dich, schlägt Dich Dein Gewissen nicht? – willst Du mir den Raub meiner jugendlichen Hoffnungen dadurch ersetzen, daß Du mir die Zukunft verschließest? Unselige, die ich seyn würde! – könnt' ich auf Gnade, auf Tröstung hoffen, wenn Dein Bruder durch Dein Schwert in meiner Sache fiele! Otto, ich hab Dir verziehen und Dich und Deine Gattin gesegnet. Du liebtest mich vielleicht einmal; gedenke, wie ich Dich geliebt; – wirf Deine Waffen weg.«
Otto blickte auf die verschleierte Gestalt vor ihm. Woher hatte die sanfte Hildegard so zu gebieten gelernt? Er wandte sich gegen den Bruder; er empfand alle Schmerzen, die er Beiden zugefügt. Das Schwert zu Boden werfend, kniete er zu Hildegards Füßen, und küßte ihr Gewand mit einer Andacht, wie sie nie von einem Beter gegen einen erhabenen Heiligen ausgeströmt worden ist.
Der Zauber, der auf den Kriegern umher gelegen, war gebrochen; ein lauter Ruf des Glückwunsches und der Freude erscholl. »Und Du, Walter,« fragte Hildegard, sich zu dem Ort wendend, wo noch immer regungslos und stolz Walter stand.
»Hab' ich Deinem Willen je widerstrebt?« sprach er sanft, und 87 steckte die Spitze seines Schwertes in den Boden. »Bist Du doch, Hildegard,« fügte er mit einem Blick auf seinen knieenden Bruder hinzu: »bist Du doch bereits besser gerächt, als durch diesen Stahl.«
»Das bist Du! Das bist Du!« rief Otto und zerschlug sich die Brust, und langsam und kaum die ihm Platz machende Menge gewahrend, trat Walter aus den Schranken.
Hildegard sprach nichts mehr; ihr göttlicher Zweck war erfüllt; lang und schmerzlich blickte sie der edlen Gestalt des Ritters vom Liebenstein nach, und wandte sich dann mit einem leisen Seufzer zu Otto: »Dies ist das letztemal, daß wir auf Erden zusammentreffen. Friede sey mit uns allen!«
Mit derselben majestätischen, gefaßten Haltung trat sie sofort wieder zu den Nonnen, und als diese im alten feierlichen Zug nach dem Kloster zurückwallten, war Niemand da, selbst den verhärteten Templer mit gezählt, der nicht das Knie wie Otto vor Hildegard hätte beugen mögen.
Noch einmal stürzte sich dieser in den wilden Braus seiner Zeit. Die Gäste drängten sich in seinem Schloß, und Nacht um Nacht schienen die erleuchteten Säle hinab gegen den ruhigen Rhein. Die Schönheit der Griechin, Otto's Reichthum, des Templers Ruf zogen die ganze Ritterschaft von nah und fern herbei. Nie hatten die Rheinufer einen so gastlichen Herrn gesehen, wie den Ritter von Sternfels. Aber Trauer beherrschte ihn mitten in der Freude, und der laute Jubel war ihm nur als eine Zuflucht von der Reue willkommen. Bald jedoch mischte sich die Stimme übeln Gerüchtes mit derjenigen des Neids über Otto's Herrlichkeit. Die schöne Griechin, hieß es, wende, des Gemahls überdrüssig, ihr Lächeln sehr freigebig Andern zu; was jung und schön, sey im Schloß stets hoch willkommen, und vor Allem gebe sie sich kaum die Mühe, ihre frevelhafte Liebe zu dem Templer vor der Welt zu verbergen. – Otto allein schien von dergleichen Gerüchten nichts zu erfahren, und hatte er auch angefangen seine junge 88 Gemahlin zu vernachlässigen, so ward doch sein vertrautes Verhältniß mit dem Templer nicht kälter.
Es war Mittag und die Griechin saß in ihrem Kloset allein mit dem ihr von der öffentlichen Stimme zugetheilten Geliebten. Die üppigen Düfte des Morgenlandes gesellten sich dem Blumenhauch bei, und verschiedene, bis jetzt in diesen nordischen Gegenden unbekannt gewesene Gegenstände des Wohllebens gaben dem Gemach einen weichen, weibischen Ausdruck.
»Ich sag Dir,« sprach die Griechin buhlend, »daß er anfängt Verdacht zu fassen, daß ich bemerkt habe, wie er Dich beobachtete und unterm Beobachten murmelte und mit dem Heft seines Dolchs spielte. Besser, wir fliehen eh es zu spät ist, denn seine Rache würde fürchterlich seyn, wär sie einmal gegen uns aufgeregt. Ach warum verließ ich je mein süßes Land um dieser Barbarenufer willen! Dort wird die Liebe nicht als etwas Ewiges, die Unbeständigkeit als kein todeswürdiges Verbrechen angesehen.«
»Still, Kleine,« entgegnete der Templer theilnahmlos. »Du kennst die Gesetze unserer einfältigen Ritterschaft nicht. Denkst Du, ich könne aus dem Schloß eines Ritters fliehen, wie ein Dieb in der Nacht? Wahrhaftig, solche Schmach würde selbst das rothe Kreuz nicht decken! Besorgst Du, Dein langweiliger Eheherr habe Verdacht geschöpft, nun so müssen wir eben auseinander. Der Kaiser hat mich von Frankfurt her entbieten lassen. Noch vor Abend kann ich auf dem Weg dahin seyn!«
»Und ich bliebe der Rache des Barbaren allein hingegeben? Ist das Deine Ritterschaft?«
»Nein, schwatz nicht so in die Quere!« erwiederte der Templer. »Sobald der Gegenstand seines Argwohns fort ist, können Deine Weiberkniffe und griechischen Ränke den eifersüchtigen Feind gewiß mit leichter Mühe besänftigen. Kenn ich Dich nicht, Glycera? Kannst Du doch jeden Mann hinters Licht führen – nur keinen Templer.«
89 »Und Du, Grausamer, willst Du mich verlassen?« fragte weinend die Griechin. »Wie soll ich leben ohne Dich?«
Der Templer lachte geringschätzend. »Können solche Augen je ohne einen Tröster weinen? Aber lebe wohl; man darf mich nicht bei Dir finden. Morgen reis' ich nach Frankfurt ab; wir werden uns wiedersehen.«
Sobald sich die Thüre hinter dem Templer geschlossen, erhob sich die Griechin und sagte, das Zimmer durchschreitend: Selbstsüchtling, Selbstsüchtling; wie konnt' ich ihm jemals trauen? Indessen wag ich nicht, Otto allein entgegen zu treten. Gewiß war es sein Schritt, der uns bei unsrer gestrigen Unterredung störte. Ja, ich will fliehen. An einem Begleiter kann mirs nie fehlen.«
Sie klatschte in die Hände; ein junger Page erschien. Sie warf sich auf ihren Stuhl und weinte bitterlich.
Der Page trat näher; Liebe war seinem Mitleid beigemischt.
»Was weint Ihr, edle Frau?« fragte er. »Kann Euch Euer Diener . . . . . Diener! – ach Ihr habt in seinem Herzen gelesen . . . . Euer Anbeter Konrad in irgend Etwas behülflich seyn?«
Otto war den ganzen Tag allein umher gewandert; seine Dienstmannen hatten bemerkt, daß seine Stirn düsterer als gewöhnlich schien, denn in der Regel pflegte er zu verbergen, was immer in seinem Innern nagen mochte. Mit einigen der Vertrautesten unter den Dienern hatte er sich unterredet, und die Unterredung hatte die Wolken auf seinem Antlitz noch verdichtet. In der Dämmerung kehrte er zurück. Die Griechin beehrte die Abendtafel nicht mit ihrer Gegenwart. Sie befand sich unwohl und wollte nicht gestört seyn. Der fröhliche Templer war die Seele des Gelags.
»Du trägst heut eine trübe Stirn herum, Otto,« sprach er; »traun, Du hast sie in der Liebensteiner Luft gekriegt.«
»Es liegt mir was auf dem Herzen,« entgegnete Otto mit erzwungenem Lächeln, »das ich Deiner Freundesbrust gern mittheilen 90 möchte. Die Nacht ist hell und der Mond steht am Himmel: gehen wir allein in den Garten hinunter.«
Der Templer stand auf und vergaß nicht sein Schwert umzugürten, eh er dem Ritter nachfolgte.
Otto führte ihn nach einer der fernsten Terrassen über den Rhein.
»Tempelritter,« – sprach er und hielt an: »beantworte mir Eine Frage auf Deine Ritterehre. Wars Dein Schritt, der gestern Abend um die Vesperzeit aus meiner Gemahlin Kloset trat?«
Betroffen über eine so plötzliche Frage, antwortete der listige Templer nur mit wankender Stimme.
Das rothe Blut stieg in Otto's Stirn. »Nein, lüge nicht, Herr Ritter; diese Augen haben, Gott sey Dank! meine Schmach nicht gesehen, aber diese Ohren haben durch Andere davon vernommen.«
Während Otto sprach, bemerkte des Templers auf den Strom gehefteter Blick einen schnell über den Rhein hinrudernden Nachen. Die Entfernung gestattete ihm bloß, die dunkeln Umrisse zweier Menschen darin wahrzunehmen. »Sie hat sich nicht geirrt,« dachte er. »Vielleicht, daß dieser Nachen sie bereits der Gefahr entführt.«
Sich zur ganzen Höhe seiner schlanken Gestalt erhebend, erwiederte er stolz:
»Junker Otto von Sternfels, wenn Du Dich herabgelassen, Deine Dienstmannen zu befragen, so möge Dir die Antwort auch blos von diesen kommen. Um solchen Günstlingen entgegen zu reden, sprechen Tempelritter keine Betheurung aus.«
»Genug!« rief Otto, die Geduld verlierend und gab dem Templer mit geballter Faust einen Streich; »zieh, Verräther, zieh!«
Einsam in seinem hohen Thurm sah Walter zu, wie die Nacht über den Himmel hereinzog, und hielt gramvoll mit sich selbst Zwiesprache.
»Wozu,« dachte er, »sind diese mächtigen Herzenstriebe, diese Liebesfähigkeit, dieses Schmachten nach Mitgefühl mir gegeben 91 worden? Ungeliebt und unbekannt geh ich in mein Grab, und alle edlere Geheimnisse meines Busens bleiben für ewig verschleiert.«
Also sinnend hörte er nicht den Anruf des Wärters auf der Mauer, noch das Aufriegeln des Thores unten, noch die Fußtritte die Wendeltreppe herauf. Die Thür öffnete sich plötzlich und Otto stand vor ihm. »Komm,« sprach er mit leiser Stimme, zitternd vor Wuth; »komm, ich will Dir zeigen, was Dein Herz erfreuen wird. Zwiefach ist Hildegard gerächt.«
Verwundert blickte Walter auf den Bruder, mit dem er nicht wieder zusammengetroffen, seit sie in Waffen auf Leben und Tod gegen einander gestanden; er sah, daß Otto's gegen ihn ausgestreckter Arm von Blut träufte, das Tropfe um Tropfe auf den Boden rieselte.
»Komm,« sprach Otto, »folge mir; es ist meine letzte Bitte. Komm, um Hildegards willen, komm.«
Bei diesem Namen zögerte Walter nicht länger; er gürtete sein Schwert um und folgte dem Bruder die Treppe hinab durch das Burgthor. Kaum traute der Pförtner seinen Augen, als er die beiden so lang getrennten Brüder um diese Stunde allein und dem Ansehen nach freundschaftlich mit einander fortgehen sah.
Walter, auf jener Stufe des Gemüths angelangt, wo nichts mehr in großes Erstaunen setzt, eilte schweigenden Tritts dem raschen Gang des Bruders nach. Beide Schlösser stehen, wie Du siehst, kaum einen Steinwurf von einander. Nach wenigen Minuten hielt Otto an einem freien Raum auf einer der Terassen von Sternfels still, zu welcher der Mond hell und fest herabschien. »Sieh,« sprach er mit schaudriger Stimme, »sieh!« Und Walter erblickte auf dem Rasen den Leichnam des Templers, gebadet in das Blut, das noch schnell und warm aus seinem Herzen strömte.
»Höre!« sprach Otto. »Er war's, der zuerst meine Treue gegen Hildegard zum Wanken brachte; er beredete mich, um jene übertünchte Lügnerin zu werben. Höre! er, der mich also um meine wahre Liebe betrogen, entehrte mich durch meine treulose Gattin und so – so – 92 so –« indem er zähnefletschend des Templers todten Leib wieder und wieder mit Füßen trat – »und so sind Hildegard und ich gerächt.«
»Und Dein Weib?« fragte Walter erbarmungsvoll.
»Geflohen – geflohen mit einem gemietheten Pagen. Gut so! sie war nicht werth durch das Schwert zu fallen, das mir umgegürtet wurde – von Hildegard.«
Die Sage, theure Gertrud, erzählt sofort, Otto habe, obwohl mehrmals durch die rohe Gerichtsverfassung jener Tage wegen des Templers Tod gefährdet, der Gefahr jedesmal glücklich getrotzt. Noch in der Vergeltungsnacht ergriff ihn eine lange, mit wilden Phantasien verknüpfte Krankheit. Der edle Walter verzieh, vergaß Alles, ausgenommen, daß Hildegards Liebe dem Bruder einst ihre heilige Weihe gegeben. Er pflegte ihn in der Krankheit, und als er wieder genesen, war Otto ein anderer Mensch. Er verschwor die Gesellschaft, um welche er sich ehedem bemüht, die Lustbarkeiten, die er sonst geleitet. Die Hallen von Sternfels standen öde, wie diejenigen von Liebenstein. Der einzige Begleiter, den Otto suchte, war Walter, und Walter nahm ihn willig auf. Keinen Gegenstand gab es zwischen ihnen zum Bindemittel, denn Einen Gegenstand empfand mindestens Walter zu tief, als daß er je gewagt hätte, darüber zu sprechen; gleichwohl band sie eine seltsame, geheime Sympathie. Wenigstens einen gemeinschaftlichen Schmerz hatten sie; oft sah man sie zusammen an den einsamen Ufern des Rheins oder durch die Wälder wandeln, ohne, wie es schien, Wort oder Zeichen gegen einander zu wechseln. Otto starb zuerst, noch in der Blüthe der Jahre, und Walter war jetzt gefährtenlos. Umsonst lud ihn der Kaiserhof zu seinen Vergnügungen; umsonst hielt ihm das Feldlager das Vergessen seines Ruhmes vor. Konnte er sich einem Ort entreißen, von wo er Morgens und Abends fern in Thales Mitte das Dach sah, das Hildegard schirmte, und wo ihn jedes Gehölz, jeder Rasen an frühere Tage erinnerte? Sein einsames Leben, sein mitternächtlich Wachen, wunderbare Schriftzüge in seinem Gemach brachten ihn nach und nach in den Ruf, als 93 befleiße er sich der schwarzen Kunst, und der Menschenscheue ward nun von allen Menschen gescheut. Aber lieblich war es, wie von Zeit zu Zeit das Gerücht von der zunehmenden Heiligkeit Derjenigen sprach, auf welche Jener seine letzten Erdengedanken zusammengehäuft. Sie war's, welche die Kranken heilte; sie war's, welche den Armen wohl that; und der fromme Glaube jener Zeit brachte Pilger von weiter Ferne zu den Altären, welchen sie diente.
Viele Jahre nachher verwüstete eine Bande frecher Räuber, die bisweilen zur Verheerung und Plünderung der Rheinthäler aus ihren Bergfesten brach, und weder Geschlecht noch Alter, weder Burg noch Hütte, ja selbst die Gotteshäuser nicht schonte, die Gegend von Bornhofen, und forderte eine Brandschatzung von dem Kloster. Die Aebtissin, aus dem kühnen Geschlecht der Rüdesheimer, wies die kirchenschänderische Forderung zurück. Das Kloster wurde gestürmt; seine Dienstleute leisteten Widerstand; die Räuber, in Schlächtereien geübt, trugen den Sieg davon. Schon waren sie daran, die Klosterthore zu brechen, als an der Spitze einer kleinen aber mannhaften Schaar ein Ritter vom Berg herab stürzte, und dem Strom des Gefechtes eine andere Richtung gab. Wohin sein Schwert blitzte, fiel ein Feind: wo sein Schlachtruf erklang, war eine Lücke von Todten im Gewühl. Der Sieg war gewonnen, das Kloster gerettet; die Aebtissin und die Nonnenschaar kamen heraus, ihren Befreier zu segnen. Unter eine alte Eiche gelegt, hatte er sich bereits dem Tod nah geblutet. Sein Haupt war entblöst, und seine Locken grau, doch noch kaum von den Jahren. Nur eine von der Schwesterschaar erkannte die hoheitsvolle Stirn; Eine tränkte seine vertrockneten Lippen; Eine hielt des Sterbenden Hand, und in Hildegards Gegenwart schied die treue Seele des letzten Herrn von Liebenstein hinüber!
»Ach, rief Gertrud durch ihre Thränen: »gewiß hast Du die Thatsachen entstellt, – gewiß – gewiß müßte es Hildegarden mit ihrem treuen Frauenherzen unmöglich gewesen seyn, Otto mehr zu lieben als Walter.«
94 »Mein Kind,« bemerkte Vane, »so denken Frauen, wenn sie eine Liebesgeschichte lesen und das ganze Herz vor sich blos gestellt sehen; aber so handeln sie im wirklichen Leben nicht – wo sie blos die Oberfläche des Charakters wahrnehmen und nicht in seine Tiefe dringen – bis es zu spät ist!«