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Bakam. Die Mauern laßt bewachen meine Leute,
Syana. Die meinigen den
Tempel.
Die Inselprinzessin.
Während so Tage und Wochen ereignißreich für Philipp verstrichen waren, waren sie nicht minder folgenreich, hinsichtlich des innern Lebens, für Fanny verflossen. Sie hatte sich in ruhigem, beglückendem Nachdenken an dem Bewußtseyn geweidet, daß sie Fortschritte machte, daß sie seiner würdiger würde, daß er bei seiner Rückkehr dies bemerken werde. Ihr Wesen war ernster, gesammelter– kurz weniger kindisch als früher, und doch war, trotz dem Streben und der Unruhe des erwachten Geistes, der Zauber ihrer wunderbaren Unschuld nicht verscheucht. Sie erfreute sich der alten, wiedergewonnenen Freiheit: auszugehen und heimzukommen, wann sie Lust hatte; und da das Wetter zu kalt war, um Simon je von seinem Kamin wegzulocken, ausgenommen etwa eine halbe Stunde vor Mittag, waren es hauptsächlich die Stunden der Dämmerung, wo er sie am wenigsten vermißte, welche sie dazu benützte, zu der guten Lehrerin zu schleichen, und jeden Tag verständiger zu werden in Erkenntnis Gottes und seiner Geschöpfe.
Die Schullehrerin war keine durch Geist glänzende Frau. Auch bedurfte Fanny nicht sowohl der Mittheilung hoher Kenntnisse, als der Aufschließung ihres Denkens und Gemüthes durch nützliche Bücher und vernünftiges Gespräch. Da alle ihre natürlichen Gefühle so schön waren, hatte die Lehrerin jetzt wenig Mühe, Gefühle zu der Würde von Grundsätzen heranzubilden.
Endlich erhielt Fanny, bisher geduldig in die Abwesenheit desjenigen sich fügend, der ihrem Herzen nie ferne war, von ihm den Brief, den er zwei Tage vor seiner Abreise von Beaufort-Court an sie geschrieben, – wieder einen Brief, einen zweiten Brief – einen Brief, worin er sich entschuldigte, daß er nicht früher gekommen – einen Brief, der ihr seine Adresse angab, der eine Antwort verlangte. Es war ein Morgen unbeschreiblicher Wonne, die an Verzückung grenzte, und dann die Aufregung, ihn zu beantworten – der Stolz, zeigen zu können, welche Fortschritte sie gemacht; welche treffliche Hand sie jetzt schrieb.
Sie schloß sich in ihrem Zimmer ein, sie ging an diesem Tage nicht aus. Sie legte das Papier vor sich hin, und zu ihrem Erstaunen verschwand auf einmal Alles, was sie hatte schreiben wollen, aus ihrem Sinn. Wie sollte sie auch nur anfangen? Sie hatte ihn bisher immer »Bruder« genannt. Aber seit ihrem Gespräch mit Sarah fühlte sie, daß sie mit diesem Namen um Alles in der Welt nicht ihn wieder anreden könnte – nein, nimmermehr! Aber wie sollte – wie konnte sie ihn nennen? Er unterzeichnete sich mit »Philipp.« Sie wußte, daß das sein Name war. Es dünkte sie ein musikalischer Name zum Aussprechen – aber ihn schreiben! Nein! ein Instinkt, den sie sich nicht erklären konnte, sagte ihr, es sey unschicklich – anmaßend, ihn: »Lieber Philipp!« zu nennen. Hatten die Lieder von Burns, – die Lieder, die er ihr unbedacht in die Hand gegeben und sie hatte lesen heißen – Lieder, welche die schönsten Liebespoesien der Welt in sich begreifen – hatten sie ihr einige Geheimnisse ihres Herzens entdecken helfen? Und war mit der Erkenntniß die Schüchternheit gekommen? Wer wollte sagen – Wer errathen, was in ihr vorging? Auch verstand vielleicht Fanny selbst ihre Gefühle nicht, aber die Worte schreiben: » Lieber Philipp!« das konnte sie nicht.
Und diesen ganzen Tag konnte sie, obwohl sie sonst an Nichts dachte, nicht die erste Zeile zu ihrer Zufriedenheit zu Stande bringen. Am nächsten Morgen setzte sie sich wieder hin. Es wäre so unfreundlich, wenn sie nicht unverzüglich antwortete; sie mußte antworten. Sie legte seinen Brief vor sich hin, sie fing entschlossen an. Aber Concept auf Concept ward gemacht und zerrissen, und Simon fragte nach ihr – und Sarah fragte nach ihr – und Rechnungen waren zu bezahlen; und das Mittagessen war vorüber, ehe sie nur recht angefangen hatte. Aber nach Tisch begann sie mit großem Eifer:
»Wie gütig von Euch, an mich zu schreiben,« (die Schwierigkeit irgend einer Anrede ward umgangen; indem sie sie ganz wegließ,) »und von meinem lieben Großvater Nachrichten zu verlangen! Es ist so ziemlich im Alten bei ihm, doch geht er jetzt kaum je aus, und ich habe recht viele Zeit für mich. Ich glaube, es wird Euch Etwas überraschen und lächeln machen, wie Ihr zuerst zu thun pflegtet, wenn Ihr zurück kommt. Ihr müßt mir nicht böse seyn, daß ich sehr oft – ja, in der That jeden Tag, allein ausgegangen bin. Ich bin so sicher gewesen. Niemand hat sich herausgenommen, wieder unartig zu seyn gegen Fanny,« (das Wort Fanny hier ward sorgfältig mit einem Federmesser herausgekratzt und mich dafür gesetzt). Aber Ihr sollt Alles erfahren, wenn Ihr kommt, und seyd Ihr gewiß wohl – ganz – ganz gesund? Habt Ihr nie das Kopfweh, worüber Ihr manchmal klagtet? Schreibt mir doch das! Geht Ihr spazieren – jeden Tag? Habt Ihr jetzt auch einen hübschen Kirchhof in der Nähe? Mit Wem geht Ihr spazieren?
Ich bin so glücklich gewesen, wenn ich die Blumen auf die zwei Gräber streute. Aber ich gebe noch immer dem Eurigen die schönsten, obgleich das andere mir so theuer ist. Ich bin betrübt, wenn ich an das letztere komme, aber nicht, wenn ich das ansehe, das ich so lange schon ansah. Oh! wie gut Ihr waret! Aber Ihr könnt es nicht leiden, wenn ich Euch danke.«
»Das ist sehr dumm!« rief Fanny, plötzlich ihre Feder wegwerfend, »und ich glaube, ich bin gar nicht weitergekommen!« und sie weinte halb vor Unmuth. Plötzlich stieg ein lichter Gedanke in ihr auf. In dem kleinen Zimmer, wo die Lehrerin ihr Privatunterricht ertheilte, hatte sie unter den Büchern einen kleinen Band gesehen, von dem sie sogleich dachte, wie nützlich er ihr seyn würde, wenn sie je an Philipp zu schreiben hätte, betitelt: »der vollkommene Briefschreiber«.« Sie wußte aus dem Titelblatt, daß er Muster für jede Gattung von Briefen enthielt, ohne Zweifel mußte sich darin, auch genau das finden, was für den vorliegenden Fall paßte. Sie fuhr auf bei dem Gedanken. Sie wollte hingehen – sie konnte wieder zurück seyn, um den Brief vor der Postzeit zu beendigen, (wenn sie sechs Pence dafür bezahlte.) Sie setzte den Hut auf, ließ in ihrer Eilfertigkeit den Brief offen auf dem Tisch liegen, – und nachdem sie nur im Vorbeigehen einen Blick in das Wohnzimmer geworfen, um sich zu überzeugen, daß Simon schlafe, und der Dämpfer über dem Feuer sey, eilte sie zu der guten Schullehrerin.
Einer der Nebel, wie sie im Herbst plötzlich über London und seinen Vorstädten sich lagern, umzog den sich zu Ende neigenden Tag mit ungewöhnlich früher Dämmerung. Es wurde, wie sie weiter ging, dunkler und dunkler, aber sie erreichte ungefährdet das Haus. Sie brachte eine Viertelstunde damit zu, ihre Freundin zu befragen über alle Arten von Briefen, nur nicht einen solchen, wie sie zu schreiben vorhatte, und nachdem sie sich fest eingeprägt, daß wenn der Brief an einen überall gebildeten und feinen Gentleman gerichtet sey, sie anfangen müsse: »Werther Sir,« und schließen mit: »Ich habe die Ehre zu verbleiben;« und daß er sich in alle Ewigkeit beleidigt fühlen würde, wenn sie nicht auf der Adresse seinen Namen »Esquire« beisetzte, (das war eine wichtige Entdeckung!) eilte sie mit dem kostbaren Buche fort und verließ das Haus.
Es war da eine Mauer, welche die Angehörigkeiten der Schule begrenzend, eine kurze Strecke weit in die Hauptstraße vorlief. Mit dem wachsenden Nebel kämpfte hier schwach der Flimmer einer einzelnen Laterne in einiger Entfernung. Gerade an dieser Stelle fiel ihr Blick auf einen dunkeln Gegenstand auf der Straße, worin sie mit Mühe einen Wagen erkannte, als sie sich bei der Hand ergriffen fühlte, und eine Stimme ihr ins Ohr sagte:
»Ach! Ihr werdet nicht so grausam gegen mich seyn, hoffe ich, als Ihr es gegen meinen Abgesandten waret! Ich bin selbst gekommen, Euch zu holen!«
Sie wandte sich in großer Bestürzung um, aber die Dunkelheit ließ sie das Gesicht dessen, der sie so anredete, nicht erkennen.
»Laßt mich gehen!« schrie sie – »laßt mich gehen!«
»Still – still! Nein – nein! Kommt mit mir. Ihr sollt ein Haus – einen Wagen – Dienerschaft haben! Ihr sollt seidene Kleider und Juwelen tragen! Ihr sollt eine vornehme Dame seyn«
Während diese verschiedenen lockenden Anerbietungen rasch auf das immer erneute Sträuben Fannys folgten, sagte eine Stimme von dem Kutschbock in leisem Tone.
»Nehmt Euch in Acht, mein Lord, ich sehe Jemand kommen – vielleicht der Polizeimann!«
Fanny hörte die Warnung und schrie laut um Beistand.
»Steht es so!« murmelte der Angreifer, und plötzlich fühlte Fanny ihre Stimme erstickt – ihren Kopf verhüllt – ihre leichte Gestalt vom Boden aufgehoben. Sie widersetzte – sie sträubte sich gewaltsam – umsonst. Es war das Werk eines Augenblicks. Sie fühlte sich in den Wagen getragen – die Wagenthüre ward geschlossen – der Unbekannte saß ihr zur Seite und seine Stimme sagte:
»Fahrt zu, Dykeman. Schnell, schnell!«
Zwei bis drei Minuten, welche ihr in ihrer Angst wie Jahre erschienen, verfloßen, als der Knebel und der Mantel sachte weggenommen wurden, und dieselbe Stimme (sie konnte noch immer ihren Begleiter nicht sehen) in sehr mildem Tone sagte:
»Beunruhigt Euch nicht; Ihr habt keinen Grund dazu – wahrlich nicht! Ich hätte diesen Plan nicht gewählt, hätte es einen andern – einen milderen gegeben. Aber ich konnte Euch nicht aufsuchen in Eurem Hause – ich wußte kein anderes, wo ich Euch treffen konnte. Dies Verfahren allein blieb mir übrig – in der That, dieses allein. Ich verschaffte mir Kunde von Eurem Thun und Treiben. Tadelt mich darum nicht, daß ich Euren Gängen nachspürte. Ich erwartete Euch die ganze vorige Nacht – Ihr kamet nicht. Ich war in Verzweiflung. Endlich finde ich Euch. Seyd nicht so in Angst; ich will nicht einmal Eure Hand anrühren, wenn Ihr es nicht haben wollt.«
Unter diesen Worten jedoch machte er den Versuch sie zu berühren, und ward mit einer Heftigkeit zurückgestoßen, die ihn etwas aus der Fassung brachte. Das arme Mädchen zog sich vor ihm in die äußerste Ecke ihres Gefängnisses zurück – in sprachlosem Entsetzen, in dunkelster Verwirrung ihrer Gedanken. Sie weinte nicht, sie schluchzte nicht, aber ihr Zittern schien den Wagen sogar schüttern zu machen. Der Mann fuhr fort zu ihr zu sprechen, Vorstellungen zu machen, zu bitten, zu trösten. Sein Benehmen war achtungsvoll. Seine Betheurungen, daß er ihr um Alles in der Welt kein Leid thun möchte, nahmen kein Ende.
»Seht nur erst zwei Tage, einen Tag, die Heimath, die ich Euch anbieten kann. Hört nur erst, wie reich ich Euch und Euern Großvater machen kann, – und dann, wenn Ihr es noch wünscht, verlaßt mich.«
Noch viel, viel Mehr in diesem Sinne redete er an sie hin, ohne Fanny auch nur einen Laut abzugewinnen, außer ein Stöhnen, wie wenn sie nach Athem ränge, und dann und wann ein leises Murmeln:
»Laßt mich gehen – laßt mich gehen! Mein Großvater – mein blinder Großvater!«
Und endlich kamen, zu ihrer Erleichterung, Thränen, und sie schluchzte mit einer Leidenschaftlichkeit, die ihren Begleiter beunruhigte und vielleicht sogar rührte, so cynisch und eiskalt er auch war. Inzwischen schien der Wagen zu fliegen. So schnell als zwei Pferde, von edelster Zucht, beinahe im vollsten Jagen laufen konnten, wurden sie dahin gewirbelt, bis etwa eine Stunde, oder früher noch, nach dem Zeitpunkt, wo sie so war gefangen worden, der Wagen hielt.
»Sind wir schon da?« sagte der Mann, den Kopf aus dem Wagenfenster streckend; »so thut denn, wie ich Euch gesagt. Nicht vor die vordere Thüre – vor mein Arbeitszimmer.«
Nach zwei Minuten machte der Wagen wieder Halt vor einem Gebäude, welches weiß und geisterhaft durch den Nebel schaute: Der Kutscher stieg ab – öffnete mit einem Schnallenschlüssel eine Fensterthüre – trat einen Augenblick hinein, um die Lichter im einsamen Zimmer an einem Feuer anzuzünden, das auf dem Heerde loderte – erschien wieder und öffnete den Wagenschlag. Mit einer Schwierigkeit, auf die sie schwerlich gefaßt waren, brachten sie Fanny aus dem Wagen heraus. Keine sanften Worte – keine ihr ins Ohr geflüsterten Bitten vermochten sie heraus zu locken; und mit nicht geringer Gewandtheit – denn ihr Begleiter suchte sich so zart und schonend zu benehmen, als nur immer die Nothwendigkeit, Gewalt zu brauchen, gestattete – machte er ihre Hände los von den Fensterrahmen – der Fütterung – den Kissen, woran sie sich fest klammerte, um sie endlich ins Haus zu tragen. Der Kutscher schloß, als er sich entfernte, wieder das Fenster, und sie waren allein.
Jetzt warf Fanny, halb bewußtlos, einen wilden Blick auf das Gemach. Es war klein und einfach eingerichtet. Ihr gegenüber stand ein altmodischer Schreibtisch, worüber das Portrait einer Frau in der Blüthe des Lebens hing – ein Angesicht so schön, eine Stirne so aufrichtig, ein Auge so rein, ein Mund so lächelnd in Jugend und Freude, daß Fanny sich getröstet fühlte, daß ihr war, als ob sie eine lebendige Beschützerin hier hätte, als ihr Blick auf diesen Zügen verweilte. Die Wände waren behängt mit Kupferstichen von Pferden und Jagden, und die Vorhänge waren von buntem und lebhaftem, doch etwas verblichenem Zitz. Das Feuer brannte hell und lustig; ein Tisch, zum Essen gedeckt, war nahe an dasselbe gerückt. Jedem andern Auge als dem ihrigen würde das Zimmer als ein Bild englischer Behaglichkeit erschienen seyn.
Endlich hafteten ihre Blicke auf ihrem Begleiter. Er hatte sich mit einem langgedehnten Seufzer, der halb Erschöpfung, halb Befriedigung aussprach, auf einen der Stühle geworfen, und betrachtete sie, wie sie, sich umsehend, dastand, mit einer Mischung von Neugier und Bewunderung; sie erkannte auf einmal ihren ersten, ihren einzigen Verfolger. Sie schauderte zurück, und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Der Mann näherte sich ihr:
»Haßt mich nicht, Fanny! – wendet Euch nicht weg! Glaubt mir, obgleich ich solche Gewalt brauchen mußte, hier hat alle Gewaltthätigkeit ein Ende. Ich liebe Euch, aber ich werde mich nicht zufrieden gehen, als bis Ihr mich auch wieder liebt. Ich bin nicht jung, und ich bin nicht schön, aber ich bin reich und vornehm, und ich kann diejenigen, die ich liebe, glücklich machen – so glücklich, Fanny!«
Aber Fanny hatte sich weggewandt und war jetzt eifrig beschäftigt mit dem Versuch, die Thüre wieder aufzumachen, durch welche sie hereingekommen. Da ihr dies nicht gelang, eilte sie plötzlich davon weg, öffnete die innere Thüre und eilte mit lautem Geschrei in den Gang. Ihr Verfolger erstickte einen Fluch, sprang ihr nach und hielt sie zurück. Er sprach jetzt ernst, und mit Lächeln und Stirnrunzeln zugleich:
»Das ist Thorheit! Kommt zurück, oder Ihr werdet es bereuen! Ich habe Euch versprochen als Gentleman, als Edelmann – wenn Ihr wißt, was das ist – Euch mit Achtung zu behandeln. Aber ich will weder mit mir spielen, noch mich beleidigen lassen. Hier darf kein solches Geschrei erhoben werden!«
Sein Blick und seine Stimme imponirte Fanny trotz ihrer Betäubung und ihres Abscheus, und sie ließ sich ohne Widerstand in das Zimmer zurückschleppen. Er schloß und riegelte die Thüre. Sie warf sich in einer Ecke des Zimmers auf den Boden und stöhnte leise, aber kläglich. Er sah, beim Feuer stehend, sie einige Augenblicke nachsinnend an; und endlich ging er an die Thüre, öffnete sie, und rief mit leiser Stimme: »Harriet!« Sofort erschien eine junge Frau von etwa dreißig Jahren, sauber aber einfach gekleidet, und mit einem Gesicht, das, wenn auch nicht sehr einnehmend, doch gewiß sehr schön genannt werden konnte. Er zog sie einige Augenblicke beiseite und hatte mit ihr in flüsterndem Ton eine Unterredung. Dann ging er ernst auf Fanny zu:
»Meine junge Freundin,« sagte er, »ich sehe, meine Gegenwart ist Euch diesen Abend lästig. Diese junge Frau wird Euch bedienen – sie wird Euch Alles anschaffen, was Ihr wünscht. Sie kann Euch auch sagen, daß ich nicht der entsetzliche Mensch bin, wofür Ihr mich zu halten scheint. Ich werde Euch morgen sehen.«
Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und schritt hinaus. Fanny hatte wieder ein Gefühl wie von Freiheit – wie von Freude. Sie stand auf, und schaute der Frau so flehend, so ernst, so innig ins Gesicht, daß Harriet beschämt ihre kecken Augen wegwandte, und in diesem Augenblick schaute Dykeman selbst ins Zimmer.
»Ihr sollt uns selbst das Essen hieher bringen, Oheim; und dann zu Mylord ins Besuchzimmer gehen.«
Dykeman machte ein vergnügtes Gesicht und verschwand. Dann trat Harriet heran, ergriff Fannys Hand, und sagte freundlich:
»Aengstigt Euch nicht. Ich versichre Euch, die Hälfte der Mädchen in London würden, ich weiß nicht was darum geben, an Eurer Stelle zu seyn. Mylord wird Euch nie zwingen, Etwas gegen Euern Willen zu thun – das ist gar nicht seine Art; und er ist der gütigste und beste Mann; und so reich; er weiß nicht, was mit seinem Geld anfangen!«
Auf all dies hatte Fanny nur Eine Antwort– sie warf sich plötzlich der Frau an die Brust und schluchzte:
»Mein Großvater ist blind – er kann nicht bestehen ohne mich – er wird sterben – sterben. Habt Ihr nicht auch Jemand, den Ihr liebt? Laßt mich gehen – laßt mich hinaus! Was kann man denn von mir wollen? Ich habe nie Jemand ein Leid gethan!«
»Und Niemand wird Euch ein Leid thun;– ich schwöre es!« sagte Harriet mit Ernst. »Ich sehe, Ihr kennt meinen Lord nicht. Aber da ist das Essen, – kommt und genießt Etwas, und ein Glas Wein dazu. Geht jetzt, Oheim, wir brauchen Euch nicht«
Fanny konnte Nichts anrühren, als ein Glas Wasser, und dies erstickte sie beinahe. Endlich aber, als sie ihrer Sinne wieder mächtig wurde, beruhigte sie die Abwesenheit ihres Peinigers – die Anwesenheit einer Frau – die feierlichen Versicherungen Harriets, sie werde, wenn sie nach ein paar Tagen nicht bleiben wolle, wieder heimgehen dürfen, bis auf einen gewissen Grad. Sie achtete nicht auf die listigen und langen Lobpreisungen, womit sofort die Versucherin die Tugenden, die Liebe, die Großmuth, und besonders das Geld Mylords herausstrich. Sie wiederholte sich nur immer selbst: »In ein paar Tagen darf ich wieder fort!«
Endlich schlug Harriet, nachdem sie gegessen und getrunken hatte, so Viel sie allein vermochte, nachgerade der so wenig fruchtenden Bemühungen müde, Fanny vor sich zur Ruhe zu begeben. Sie öffnete eine Thüre rechts vom Kamin, und leuchtete ihr eine Wendeltreppe hinauf in ein hübsches und behagliches Gemach, wo sie sich erbot, ihr beim Auskleiden zu helfen. Fannys völlige Unschuld, und ihre gänzliche Unwissenheit hinsichtlich der eigentlichen Beschaffenheit der sie bedrohenden Gefahr, die sie sich jedoch sehr groß und schrecklich dachte, ließ sie nicht ganz Alles verstehen, was Harriet mit ihren feierlichen Betheuerungen: sie werde nicht gestört und beunruhigt werden, meinte. Aber so Viel wenigstens verstand sie, daß sie ihren verhaßten Kerkermeister vor dem nächsten Morgen nicht mehr sehen würde; und als Harriet, indem sie ihr gute Nacht wünschte, ihr einen Riegel an ihrer Thüre zeigte, empfand sie weniger Angst bei dem Gedanken, an diesem fremden Ort allein zu seyn. Sie horchte, bis die Tritte Harriets verhalten, und versuchte dann, mit pochendem Herzen, die Thüre zu öffnen: sie war von Außen verschlossen. Sie seufzte tief auf. Das Fenster? – ach! als sie den Laden weggezogen, fand sich ein zweiter, von Außen geriegelt, welcher auch hier alle Hoffnung abschnitt; es blieb ihr Nichts übrig, als ihre Thüre zu verriegeln; sie stand da, trostlos und betäubt über ihr Schicksal, und endlich fiel sie auf die Kniee nieder um zu beten, in ihrer einfältigen Weise, die jedoch seit ihren neuerlichen Besuchen bei der Schullehrerin verständiger und ernster geworden war, – zu Ihm, von dem die Stimme des menschlichen Herzens durch keine Schranken und Riegel abgehalten werden kann!