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Drittes Kapitel.

»Er hatte, einzig auf sich selbst gestellt,
Nicht Geld, Rath, Führer, Freunde in der Welt;
Trotzen der Welt, lernt' John, mit hohem Muth,
Ein tücht'ger Kerl, zur That und Unthat gut.«

Crabbe.

Mein Großvater verkaufte Spazierstöcke und Regenschirme in der kleinen Gasse bei der Börse; er war ein Mann von Genie und Spekulationsgeist. Sobald er eine kleine Summe zusammengescharrt, lieh er sie an einen armen Teufel bei einem harten Miethsmann zu zwanzig Procent, und gab ihm das halbe Anlehen in Schirmen und Bambusröhren. Durch solche Mittel faßte er den Fuß auf der Leiter und klomm höher und höher hinan, bis er mit vierzig Jahren 5000 Pfund gesammelt hatte. Dann sah er sich nach einer Frau um. Ein ehrbarer Krämer am Strand Eine Straße in London, »Strand« oder im Volksmund »The Strand«, die am Trafalgar Square beginnend östlich verläuft und schließlich in die Fleet Street übergeht. Ihr Name rührt daher, dass sie vor dem Bau des Thames Embankment direkt neben der Themse lag. – Anm.d.Hrsg., der einen ansehnlichen Handel mit gedrucktem Cattun trieb, besaß eine einzige Tochter; dies junge Frauenzimmer hatte von einer Großtante ein Legat von 3220 Pfund, bestehend in einer kleinen Wohnung in St. Giles, wo die Miethsleute wöchentlich bezahlten (Alles Diebe oder Spitzbuben – Alles – und so waren ihre Renten sicher). Nun faßte mein Großvater eine lebhafte Freundschaft für den Vater dieser jungen Dame, gab ihm einen Wink in Betreff neuer Muster für gefleckte, Cattune; bewog ihn ein Patent zu lösen und lieh ihm 700 Pfund zu der Spekulation, verlangte das Geld zurück in dem Augenblick, wo Baumwollenzeuge am schlechtesten standen, und bekam die Tochter statt des Geldes – bei welchem Tausch er, wie Ihr seht, 2520 Pfund gewann. Nichts zu sagen von der jungen Dame. Dann trat mein Großvater in Geschäftsgemeinschaft mit dem würdigen Handelsmann, wußte das Patent mit Geist zu benutzen, und zeugte zwei Söhne. Als er älter wurde, bemächtigte sich seiner der Ehrgeiz; – seine Söhne sollten Gentlemen werden – der Eine ward ins Collegium geschickt, der Andere in ein zum auswärtigen Dienst bestimmtes Regiment gebracht. Mein Großvater hatte im Sinn, eine Pflaume, (d. h. 100 000 Pf. St.) vor seinem Tode zusammenzubringen; aber ein Fieber, das ihn bei einem Besuch bei seinen Miethsleuten in St. Giles ergriff, verhinderte ihn daran, und er hinterließ nur 20 000 Pfund gleich vertheilt unter seine Söhne.

Mein Vater, der Collegiumsmann,« (hier hielt Gawtrey einen Augenblick inne, nahm einen guten Zug von dem Punsch und fuhr mit sichtbarer Anstrengung fort,) »mein Vater, der Collegiumsmann, war eine Person von strengen Grundsätzen – hatte einen vortrefflichen Ruf – und großen Respekt vor dem Urtheil der Welt. Er heirathete früh und anständig. Ich bin die einzige Frucht dieser Verbindung; er lebte nüchtern, seine Gemüthsart war herb und mürrisch, sein Haus trübselig; er war ein sehr strenger Vater, und meine Mutter starb, ehe ich zehn Jahre alt wurde. Als ich vierzehn war, kam ein kleiner alter Franzose zu uns ins Logis; er war unter dem alten règime »Ancien règime«, d. h. das absolutistische Frankreich vor der Revolution von 1789. – Anm.d.Hrsg. als Philosoph verfolgt worden; er füllte mir den Kopf mit seltsamen Schrullen an, die mehr oder weniger darin haften geblieben sind. Mit achtzehn Jahren ward ich nach St. Johns Collegium in Cambridge geschickt. Mein Vater war reich genug, um mich in die höhere Classe der Pensionäre aufnehmen zu lassen, aber er war in neueren Zeiten geizig geworden; er meinte, ich habe Lust zur Verschwendung; er machte mich zum Famulus, vielleicht um mich zu demüthigen.

Da traten mir zum ersten Mal jene Ungleichheiten im Leben, von welchen mir der Franzose in die Ohren geraunt, in der Praxis entgegen. Ein Famulus; ein andrer Name für einen Hund! Ich hatte so viel Kraft, Gesundheit und Laune, daß ich mehr Leben in meinem kleinen Finger hatte, als die Hälfte der Commoners des Collegiums – feine, spindelbeinigte Bürschchen, die man für eine Sammlung von meines Großvaters Spazierstöcken hätte halten können – in ihrem ganzen Leibe, und ich denke oft,« fuhr Gawtrey fort, »daß Gesundheit und Laune gar Viel zu verantworten haben! Als jung gleichen wir insofern Wilden – welche die jungen Leute der Natur sind – daß wir unermeßlichen Werth auf physische Vorzüge legen. Die Heldenthaten meiner Stärke und Gewandheit – die Boxkämpfe, worin ich siegte – die Geländer, über die ich sprang – die Wettfahrten im Boot, die ich gewann – stehen sie nicht verzeichnet in der Chronik von St. John? Diese Fertigkeiten erfüllten mich mit einem überschwänglichen Gefühl meiner Ueberlegenheit; ich konnte nicht umhin, die reichen Bürschchen zu verachten, die ich mit dem Schnauben meiner Nase umblasen konnte. Dennoch war eine unübersteigliche Schranke zwischen mir und ihnen – ein Famulus war kein geeigneter Genosse für die Günstlinge des Glückes!

Aber es war dort Ein junger Mann, ein Jahr jünger als ich, von hoher Geburt und Erbe eines beträchtlichen Vermögens, der mich nicht mit demselben verächtlichen Hochmuth betrachtete, wie die Uebrigen; vielleicht machte gerade sein Rang ihn gleichgültig gegen die kleinen konventionellen Förmlichkeiten, welche auf Personen Einfluß haben, die nicht mit dieser runden Welt Ball spielen können; er war der wildeste Junge auf der Universität – ein Laternenzertrümmerer, Tandemfahrer – Pöbeldurchklopfer – kurz ein wahrer Teufel – gescheit, aber eben kein wissenschaftlicher Kopf – klein und schlank, aber muthig wie ein Löwe.

Verwandte Neigungen machten uns zu vertrauten Freunden, und ich liebte ihn wie einen Bruder, – mehr als einen Bruder – wie ein Hund seinen Herrn liebt. Bei allen unsern Streichen deckte ich ihn mit meinem Leibe. Er durfte nur zu mir sagen: Spring' ins Wasser! so hätte ich nicht gezögert, meinen Rock abzuwerfen. Kurz, ich liebte ihn, wie ein stolzer Mann Einen liebt, der zwischen ihm und der Verachtung, – wie ein Mensch von Gefühl Einen liebt, der zwischen ihm und der Einsamkeit steht.

Um eine lange Geschichte kurz abzumachen: mein Freund beging in einer dunkeln Nacht einen Frevel der unverzeihlichsten Art gegen die Disciplin. Ein ehrwürdigthuender, ernster, alter Genosse des Collegiums stolperte von einer Theegesellschaft heim; mein Freund und ein Andrer seines Gelichters ergriffen diesen armen Wicht, verbanden ihm die Augen, banden ihm die Hände, und führten ihn vi et armis in das Haus einer alten Jungfer zurück, der er seit den letzten zehn Jahren den Hof machte, befestigten seinen Zopf (er trug einen sehr langen,) an dem Thürklopfer und verließen ihn so. Ihr könnt Euch den höllischen Randal denken, welchen seine Bemühungen, sich loszumachen, in der ganzen Straße verursachten; der alten Jungfer alte Dienerin kreischte, nachdem sie auf sein Haupt alle Gefäße des Zorns ausgegossen, deren sie habhaft werden konnte: »Raub und Mord!« der Proktor und seine Bullenbeißer kamen herbei, machten den Gefangenen frei, und Jagd auf die Missethäter, welche unvorsichtiger Weise in der Nähe geblieben, um den Jokus recht zu genießen. Die Nacht war finster, und sie erreichten wohlbehalten das Collegium; aber man hatte ihre Spur bis ans Thor verfolgt. Für diese Missethat ward ich ausgestoßen.«

»Wie, und Ihr hattet keinen Antheil daran?«

»Nein; aber man warf Verdacht auf mich und klagte mich an. Ich hätte können loskommen, wenn ich die wahren Schuldigen verrathen hätte; aber meines Freundes Vater war im öffentlichen Leben – ein strenger, hochmüthiger, alter Staatsmann; mein Freund fürchtete ihn wie den Tod – es war der einzige Mensch, den er fürchtete. Wäre ich zu fest auf meiner Unschuld bestanden, so hätte ich die Nachforschung leicht auf die rechte Spur leiten können. Kurz, ich schätzte mich glücklich, ihm meine Freundschaft beweisen zu können. Er schüttelte mir beim Abschied aufs wärmste die Hand, und versprach, meine großmüthige Hingebung nie zu vergessen. Ich ging in meiner Schmach nach Hause; ich brauche Euch nicht zu erzählen, was mein Vater zu mir sagte; ich glaube er hat mich von jener Stunde an nicht mehr geliebt.

Bald darauf kehrte mein Oheim, George Gawtrey, der Kapitän, vom Ausland zurück; er faßte eine große Neigung für mich und ich verließ meines Vaters Haus, (das mir unerträglich geworden war,) um mit ihm zu leben. Er war ein sehr schöner Mann gewesen – ein lustiger Verschwender; er hatte sein Vermögen durchgebracht und lebte jetzt von seinem Witz – er war ein Spieler von Profession. Sein angenehmes Temperament, sein lebhafter Humor bezauberte mich; er kannte die Welt gut, und wie alle Spieler war er großmüthig, wenn die Würfel glücklich waren, – und das waren sie, Euch die Wahrheit zu gestehen, in der Regel bei einem Manne, der keine Skrupel kannte. Obgleich seine Praktiken halb geargwohnt wurden, waren sie doch nie entdeckt worden. Wir wohnten in einem eleganten Logis, verkehrten familiär mit Menschen verschiedenen Standes, und genossen das Leben aufs reichlichste.

Ich schabte meinen Collegiumsrost von mir und gewann Geschmack am Verschwenden; ich wußte nicht wie es kam, aber in meinem neuen Leben war Jedermann freundlich gegen mich; freilich waren es lauter ne vaut rien, und ich besaß eine Laune, die mich überall willkommen machte. Ich war ein Schelm – aber ein lustiger Schelm – und das ist immer ein beliebter Charakter. Bis jetzt war ich noch nicht unehrlich, aber ich sah überall um mich her Unehrlichkeit, und es erschien mir als eine ganz artige und vergnügliche Weise, Geld zu machen; und jetzt kam ich wieder in Berührung mit dem jungen Erben.

Mein Freund vom Collegium war so wild in London als er in Cambridge gewesen; aber der jugendliche Taugenichts war, obgleich noch nicht zwanzig Jahre alt, zum schurkischen Mann erwachsen.«

Hier hielt Gawtrey inne und runzelte finster die Stirne.

»Er besaß große natürliche Anlagen, dieser junge Mann – viel Witz, Leichtigkeit und Schlauheit, und er wurde sehr vertraut mit meinem Oheim. Er lernte von ihm die Würfel führen und die Karten handhaben – er zahlte ihm 1000 Pfund für den Unterricht.«

»Wie! ein Betrüger? Ihr habt gesagt, er sey reich gewesen.«

»Sein Vater war sehr reich, und setzte ihm eine große Summe jährlich aus; aber er war sehr verschwenderisch; und die Reichen lieben den Gewinn eben so sehr wie die Armen! Er hatte keine Entschuldigung, als die große Entschuldigung aller Laster – Selbstsucht. Jung wie er war, kam er in die Mode, und er mästete sich von dem Raube seiner Standesgenossen, die nach der Ehre seiner Bekanntschaft verlangten. Nun hatte ich meinen Oheim betrügen sehen, aber nie sein Beispiel nachgeahmt; als der Mann vom höchsten Ton betrog, und aus seinem Gewinnst und meinen Bedenklichkeiten einen Scherz machte, als ich ihn von Schmeichlern umworben und geehrt sah, ohne daß Jemand sein Treiben argwohnte, weil seine Bekanntschaften und Verwandtschaften die halbe Peerschaft in sich begriffen, wurde die Versuchung stark; doch widerstand ich noch.

Indeß, mein Vater sagte immer, ich sey zu einem Taugenichts geboren und ich könne meinem Schicksal nicht entfliehen, und jetzt kam ich plötzlich in Liebe – Ihr wißt noch nicht, was das ist – desto besser für Euch! Das Mädchen war schön, und ich glaubte, sie liebe mich – vielleicht war dem so – aber ich war, wie ihre Verwandten sagten, zu arm zum Heirathen. Inzwischen machte ich ihr, wie man zu sagen pflegt, den Hof. Meine Liebe zu ihr, mein Wunsche zu verdienen, machten mich hart wie Eisen gegen das Beispiel meines Freundes. Ich war Thor genug, ihm von Mary zu sprechen – ihn bei mir einzuführen; das Ende davon war ihre Verführung.«

(Hier hielt Gawtrey inne und athmete schwer.)

»Ich entdeckte den Verrath – ich forderte den Verführer heraus – er verweigerte höhnisch den Zweikampf mit dem niedriggebornen Abentheurer. Ich warf ihn zu Boden – und auf dies hin schlugen wir uns. Ich hatte meine Genugthuung mit einer Kugel in die Seite; aber er,« fuhr Gawtrey mit rachsüchtigem Lachen sich die Hände reibend fort, – » er war ein Krüppel auf Lebenszeit. Als ich mich erholte, erfuhr ich, daß mein Feind, dessen Krankenzimmer von Freunden und Tröstern wimmelte, meine Krankheit benützt hatte, um meinen Ruf zu Grunde zu richten. Er, der Gauner, klagte mich seines eignen Verbrechens an; der zweideutige Charakter meines Oheims schien die Anklage zu bestätigen. Ihn zu entlarven war sein eigner hochgeborner Zögling und Schüler im Stande; und seine Schmach wurde an mir heimgesucht.

Als ich mein Bett verließ, fand ich meinen Oheim, (mit aller Mummerei war es aus,) als unverholenen Theilhaber eines Spielhauses, und mich selbst ruinirt in Namen, Liebe, Vergangenheit und Zukunft, und da, Philipp, da begann ich die Laufbahn, die ich seither verfolgt habe, als der Fürst von guten Gesellen und von Taugenichtsen, mit zehntausend verschiednen Namen, und ebenso vielen Sehnen für meinen Bogen. Die Gesellschaft stieß mich aus, als ich unschuldig war. Bei Gott, ich habe seitdem an der Gesellschaft Revenge genommen! Ho! Ho! Ho!«

Das Lachen dieses Mannes hatte ein moralisch ansteckendes Gift in sich. Es lag in seinem tiefen Ton eine Art Triumph; es war nicht das Hohle und Krampfhafte der Schaam und Verzweiflung – es verrieth sanguinische Fröhlichkeit! William Gawtrey war ein Mann, der vermöge seiner physischen Constitution ein lebhaftes, sinnliches Vergnügen an Allem zu empfinden vermochte; er hatte an den Giften Geschmack gefunden, von denen er gelebt.

»Aber Euer Vater – gewiß, Euer Vater –«

»Mein Vater,« unterbrach ihn Gawtrey, »schlug mir das Geld – nur eine kleine Summe – ab, um das ich ihn einmal, von einer heftigen Anwandlung aufrichtiger Reue ergriffen, bat, um mich in Stand zu setzen, durch ein bescheidenes Gewerbe mir auf ehrliche Weise mein Brod zu verdienen: seine Weigerung verbitterte die Reue – sie gab mir einen Vorwand für die Fortsetzung meines Treibens – und das Gewissen hascht nach einem entschuldigenden Vorwand, wie ein unglücklicher Ertrinkender nach einem Strohhalm. Und doch ließ sich dieser harte Vater – dieser vorsichtige, moralische, geldliebende Mann, drei Monate nachher von einem Spitzbuben – ihm beinahe gänzlich fremd – zu einer Spekulation ködern, die ihm fünfzig Procent einzutragen versprach; er steckte in einen Wucherhandel so Viel, als hingereicht hätte, hundert Meinesgleichen vom Verderben zu retten, und verlor Alles; es war beinahe sein ganzes Vermögen; aber er lebt noch und hat seine Freuden; er kann nicht spekuliren, aber zusammensparen; er kümmerte sich nicht darum, ob ich Hungers starb, denn er findet stündlich sein Glück darin, zu darben.«

»Und Euer Freund,« sagte Philipp nach einer Pause, während welcher sein jugendliches Mitgefühl bei den gefährlichen Entschuldigungen seines Wohlthäters verweilte, – »was ist aus ihm geworden, und aus dem armen Mädchen?«

»Mein Freund wurde ein vornehmer Mann; er erbte seines Vaters Peerschaft – eine sehr alte – und ein glänzendes Einkommen. Er lebt noch. Nun, ihr sollt auch von dem armen Mädchen hören! Man erzählt von Opfern der Verführung, die in Arbeitshäusern oder auf einer Düngerstätte gestorben, reuig, gebrochnen Herzens, ungemein zerlumpt und sentimental; – mag ein häufiger Fall seyn, ist aber nicht der schlimmste. Schlimmer ist es, dünkt mich, wenn das schöne, reuige, unschuldige, leichtgläubige Opfer fremder List ihrerseits nun auch zur Betrügerin wird – wenn sie mit dem Athem, den sie eingesogen, die Ansteckung des Lasters überkommen hat – wenn sie reift und mürbe und faul wird in geschminkter, aufgestutzter, augenblendender, feiler Buhlerei – wenn sie ihrerseits die warme Jugend zu Grunde richtet mit falschem Lächeln und langen Rechnungen, und wenn – was noch viel, viel schlimmer! wenn sie Kinder hat, Töchter vielleicht, die für dasselbe Gewerbe aufgezogen sind, eingesperrt und gemästet für einen grauen Wüstling, ohne ein Herz in der Brust, wenn nicht eine Wage, um das Geld zu wägen, ein Herz heißen kann; – das wurde Mary! und lieber wollte ich, sie wäre in einem Hospital gestorben! Ihr Liebhaber entweihte ihre Seele ebenso, wie ihre Schönheit; er fand einen andern Liebhaber für sie, als er ihrer satt war.

Als sie sechsunddreißig Jahre alt war, traf ich sie in Paris mit einer Tochter von sechszehn Jahren. Ich war damals flott mit Geld versehen, besuchte die Salons und spielte die Rolle eines vornehmen Gentleman; sie kannte mich anfänglich nicht und suchte meine Bekanntschaft.

Denn Ihr müßt wissen, mein junger Freund,« sagte Gawtrey, plötzlich den Faden seiner Erzählung abbrechend, »daß ich nicht ganz der gemeine Hund bin, wofür Ihr mich halten dürftet, da Ihr mich hier seht. In Paris – ha! Ihr kennt Paris nicht! – da ist eine famöse Gährung in der Gesellschaft, wo die Hefe oft ganz oben ist. Ich kam hieher während des Friedens Nach Napoleons Niederlage bei Waterloo 1815. – Anm.d.Hrsg.; und seitdem habe ich den größeren Theil jedes Jahres hier zugebracht. Die gewaltigen Massen von Energie und Leben, welche durch das große Schmelzen des Kaiserlichen Systems losbrachen und mit den Fluthen forttrieben, sind gefährliche Eisberge für das Staatsschiff. Manche glauben, der Napoleonismus sey vorüber – seine Wirkungen haben erst angefangen. Die Gesellschaft ist von einem Ende bis zum andern auseinandergeschmettert, und ich muß lachen über die kleinen Zusammenlöthungen und Nietungen, womit sie sie zusammenhalten wollen. Anmerkung Bulwers in späteren Ausgaben: »Diese Zeilen wurden zu einer Zeit geschrieben, als die Dynastie Louis Philipps völlig gesichert zu sein schien und der Napoleonismus durchaus als erloschen betrachtet wurde.« ( Übers.d.Hrsg.)

Doch um zurückzukommen, Paris, sage ich, ist die wahre Atmosphäre für Abenteurer; neue Gesichter und neue Menschen sind hier etwas so Gewöhnliches, daß sie keine unverschämte Nachfragen erregen, es ist so etwas Alltägliches, zu sehen, daß in einem Tag ein Vermögen gemacht und in einem Monat durchgebracht wird, – gewisse Kreise ausgenommen, weiß man hier Nichts davon, daß man um den Charakter eines Mannes herumschleicht, um auszuspioniren, wo er eine Lücke hat! Ein schmächtiger griechischer Dichter steckte Blei in seine Taschen, um nicht weggeblasen zu werden; – stecke Gold in deine Taschen, so kannst du in Paris dem schärfsten Wind auf der Welt trotzen – ja, selbst dem Hauch jenes alten Aeolus – Verlästerung!

Nun, damals hatte ich Geld – einerlei, wie ich dazu gekommen – und Gesundheit und gute Laune; und ich ward gut aufgenommen in den Coterien, die in allen Hauptstädten bestehen, am meisten aber in Frankreich, wo Vergnügen der Kitt ist, welcher viele zwieträchtige Atome zusammenhält; hier sage ich, traf ich Mary, und ihre Tochter, von meinem alten Freund – die Tochter noch unschuldig, – aber sacré! in welchem Lasterelement! Wir kannten Eins des Andern Geheimnisse, Mary und ich, und bewährten sie; sie hielt mich für einen ärgeren Schuft als ich war, und sie vertraute mir ihre Absicht an, ihr Kind einem reichen englischen Marquis zu verkaufen. Andrerseits gestand mir das arme Mädchen ihren Abscheu vor den Scenen, wovon sie Zeuge gewesen, und vor den Schlingen, die sie umgeben.

Was meint Ihr, daß sie rein erhalten vor allen Gefahren? Pah! Ihr werdet es nie errathen! Es war theils das, daß, wenn das Beispiel oft verderbt, es auch ebenso oft abschreckt; aber vorzüglich daß sie liebte. Ein Mädchen, das einen Mann mit reinem Sinne liebt, hat ein Amulet, das aller Versuchungen des Wüstlings spottet. Ein schöner, junger Italiener, ein Künstler, der häufig ins Haus kam – das war der Mann. So, hatte ich denn zwischen Mutter und Tochter zu wählen; ich entschied mich für die letztere.«

Philipp ergriff Gawtreys Hand, drückte sie mit Wärme, und der Taugenichts fuhr fort:

»Wißt Ihr wohl, daß ich das Mädchen so innig liebte, als ich nur je die Mutter geliebt hatte, obwohl in andrer Art; sie war das, wofür ich die Mutter gehalten hatte, nur noch schöner, noch anmuthiger, noch gewinnender, mit einem Herzen so voll Liebe, wie das ihrer Mutter voll Eitelkeit gewesen. Ich liebte dies Kind, als wäre es meine eigne Tochter; ich bewog sie, ihrer Mutter Haus zu verlassen – ich verbarg sie – ich sah sie verbunden mit dem Manne, den sie liebte – ich führte sie ihm als Braut zu, und sah sie dann mehrere Monate nicht.«

»Warum?«

»Weil ich sie im Gefängniß zubrachte! Die jungen Leute konnten nicht von der Luft leben; ich gab ihnen was ich hatte, und um Mehr thun zu können, that ich Etwas, das der Polizei mißfiel; ich entkam damals mit knapper Noth: aber ich bin beliebt – sehr beliebt – und vermöge einer Menge nicht allzugewissenhafter Zeugen kam ich los! Als ich wieder frei war, wollte ich sie nicht besuchen, denn meine Kleider waren zerlumpt; die Polizei hatte noch ein Auge auf mich, und ich wollte ihnen um Alles in der Welt keinen Nachtheil bringen! Ja, die armen Tropfen – sie hatten hart zu kämpfen; er konnte durch seine Kunst sehr wenig erwerben, obgleich er, glaub' ich, ein geschickter Bursche darin war, und das Geld, das ich ihnen gegeben, konnte nicht ewig währen. Sie wohnten in der Nähe der Champs Elysées, und Nachts pflegte ich mich hinauszustehlen, und sie durchs Fenster zu beobachten. Sie schienen so glücklich und so schön und so gut; aber er sah kränklich aus, und ich sah, daß er, wie alle Italiener, nach seinem warmen Klima schmachtete.

Aber der Mann ist geboren um zu handeln, nicht blos um zu betrachten,« fuhr Gawtrey fort, seinen Ton ins Allegro umstimmend; »und ich ward bald wieder in meine alten Bahnen hineingezogen, obgleich in niedrigerer Sphäre. Ich ging nach London, um nur meine Reputation wieder etwas zu lüften, und als ich, wieder ganz flott, zurückkam, war der arme Italiener todt, und Fanny Wittwe mit Einem Knaben und enceinte mit einem zweiten Kinde. So suchte ich sie denn wieder auf, denn ihre Mutter hatte sie aufgefunden und war um sie mit ihrer verteufelten Freundlichkeit; aber der Himmel war barmherzig, und nahm sie weg von uns Beiden; sie starb an der Geburt einer Tochter, und ihre letzten Worte waren an mich gerichtet, – flehten mich, den Abenteurer, den Charlatan, den Taugenichts an, ihr Kind vor den Krallen ihrer eignen Mutter zu bewahren. Nun Sir, ich that, was ich konnte für beide Kinder; aber der Knabe zehrte aus, wie sein Vater, und schläft auf Père-la-chaise. Le Cimetière du Père-Lachaise ist der größte Friedhof von Paris und zugleich die erste als Parkfriedhof angelegte Begräbnisstelle der Welt; hier sind die Großen des Landes begraben. Père-Lachaise wird auch als Synonym für Friedhof überhaupt gebraucht. – Anm.d.Hrsg. Das Mädchen ist hier – Ihr sollt sie einmal sehen. Arme Fanny! wenn je der Teufel es mir zuläßt, werde ich um ihretwillen meinen Wandel ändern; inzwischen aber muß ich um ihretwillen Korn für die Mühle haben.

Meine Geschichte ist zu Ende; denn ich darf Euch nicht Alles sagen von meinen Kniffen und von all den Rollen, die ich im Leben gespielt habe. Ich bin nie ein Mörder, ein Hausräuber, ein Wegelagerer, oder was das Gesetz einen Dieb nennt, gewesen. Ich kann nur sagen, wie ich früher schon sagte, ich habe von meinem Witz gelebt, und der ist mir im Ganzen ein recht erträgliches Kapital gewesen. Ich bin Schauspieler, Geldausleiher und Arzt gewesen, Professor des thierischen Magnetismus, ( das war gewinnreich, bis es aus der Mode kam; vielleicht kommt es wieder darein;) ich bin Advokat, Häusermäckler, Händler mit Curiositäten und Porzellan gewesen; habe ein Hotel gehalten; habe ein Wochenblatt angefangen; – habe beinah jede Hauptstadt in Europa gesehen und mit einigen ihrer Gefängnisse Bekanntschaft gemacht; aber ein Mann, der genug Hirn hat, fällt meist auf seine Beine.«

»Und Euer Vater!« sagte Philipp; und hier erzählte er Gawtrey von dem Gespräch, das er auf dem Kirchhof mit angehört, und worüber er bisher aus natürlichem Zartgefühl Stillschweigen beobachtet hatte.

»Nun denn,« sagte sein Wirth, während ein leichtes Erröthen seine Wange überflog, »so will ich Euch sagen, daß, obgleich ich meines Vaters Härte und Geiz viele von meinen Fehlern zuschreibe, ich doch immer eine Art Liebe für ihn hegte; und während meines Aufenthalts in London hörte ich zufällig, daß er blind werde, und mit einem schlauen alten Ripp von Haushälterin lebe, die ihn wohl mit einer Dosis Magnesia zur ewigen Ruhe senden dürfte, in der Nacht nachdem sie ihm ein Testament zu ihren Gunsten abgeschwatzt. Ich suchte ihn auf – und – aber Ihr sagt ja, Ihr habet gehört was vorgegangen?«

»Ja; und ich hörte ihn auch Euch beim Namen rufen, als es zu spät war, und sah Thränen auf seinen Wangen.«

»Saht Ihr? – wollt Ihr das beschwören?« rief Gawtrey mit Heftigkeit; dann mit der Hand sich die Stirne bedeckend, versank er in eine Träumerei, die einige Augenblicke dauerte. »Wenn mir etwas Menschliches widerfährt, Philipp,« sagte er dann plötzlich, »ist er dann doch vielleicht der armen Fanny ein Vater; und wenn er an ihr Gefallen findet, wird sie ihm alles Leid vergelten, das ich ihm vielleicht verursacht habe. Halt! jetzt da ich daran denke, will ich Euch seine Adresse aufschreiben – vergeßt sie nie – hier! Es ist Zeit, zu Bette zu gehen.«

 

Gawtreys Erzählung machte einen tiefen Eindruck auf Philipp. Er war zu jung, zu unerfahren, zu sehr hingerissen von der Leidenschaft des Erzählers, um einzusehen, daß Gawtrey weniger das Schicksal als sich selbst anzuklagen Grund hatte. Zwar war er unschuldig in die Schmach eines unwürdigen Oheims verwickelt worden, aber er hatte mit diesem Oheim zusammengelebt, obschon er ihn als einen gemeinen Betrüger kannte; zwar war er von einem Freunde verrathen worden, aber er hatte zuvor gewußt, daß dieser Freund ein Mann ohne Grundsätze und Ehre war.

Aber was Wunder, wenn ein heißköpfiger Knabe davon Nichts sah– wenn er nur das gute Herz sah, das ein armes Mädchen vom Laster errettete, und darnach seufzte, einem harten und geizigen Vater ein Trost zu seyn. Selbst die Winke, welche Gawtrey unbewußt fallen ließ von Pfiffen und Praktiken, welche nur schwach verhüllt waren durch den jovialen Ausdruck: »Streiche eines großen Schulknaben,« entgingen entweder Philipps Aufmerksamkeit, oder wurden von ihm, vermöge des Mitgefühls und der Unerfahrenheit eines jungen, hastigen und dankbaren Herzens, im mildesten Sinne gedeutet.



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