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Endlich brach Kenelm das Schweigen mit den Worten des Dichters:
»Rapiamus, amici,
Occasionem de die, dumque virent genua,
Et decet, obducta solvatur fronte senectus!«
»Ist das nicht ein Citat aus Horaz?« fragte der Troubadour.
»Jawohl, und ich habe die Stelle mit der hinterlistigen Absicht citirt, um zu sehen, ob Sie nicht eine sogenannte classische Erziehung genossen haben.«
»Ich hätte mich einer solche Erziehung erfreuen können, wenn mich nicht mein Geschmack und mein Schicksal in meinen Knabenjahren den Studien entzogen hätten, deren Werth ich damals nicht begriff. Aber ich habe ein bischen Latein in der Schule 322 aufgeschnappt, und seit ich die Schule verlassen, habe ich es von Zeit zu Zeit versucht, mich, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, namentlich mit Hülfe englischer Uebersetzungen, mit den populärsten alten Dichtern ein wenig bekannt zu machen.«
»Ich bin gar nicht sicher, ob es für Sie, der Sie selbst Dichter sind, ein Vortheil sein würde, eine todte Sprache so gut zu wissen, daß ihre Formen und Wendungen sich, wenn auch vielleicht unbewußt, in die Formen und Wendungen der lebenden Sprache, in welcher Sie dichten, eindrängen würden. Horaz wäre vielleicht ein noch besserer Dichter geworden, wenn er nicht Griechisch besser verstanden hätte, als Sie Lateinisch verstehen.«
»Es ist jedenfalls sehr artig von Ihnen, das zu sagen«, antwortete der Sänger mit einem gefälligen Lächeln.
»Sie würden noch artiger sein«, sagte Kenelm,. »wenn Sie mir eine impertinente Frage verzeihen und mir sagen wollten, ob Sie um einer Wette willen wie ein Homer als wandernder Troubadour durchs Land ziehen und diesem intelligenten Vierfüßler, Ihrem Begleiter, erlauben, Pfennige in einem Teller zu sammeln, den er im Munde trägt?«
»Nein, es handelt sich nicht um eine Wette; es ist eine Grille von mir, die Sie, wie ich aus Ihrer 323 Unterhaltung schließe, begreiflich finden werden, da Sie offenbar selbst etwas grillenhafter Natur sind.«
»Soweit es sich dabei um eine Grille handelt, können Sie meiner Sympathie versichert sein.«
»Nun denn, obgleich ich einen Beruf habe, dessen Betreibung mir ein bescheidenes Einkommen sichert, so ist doch Dichten meine Leidenschaft. Wenn es immer Sommer wäre und ich immer jung bliebe, so würde ich gern mein Lebelang singend durch die Welt ziehen. Aber ich habe es nie gewagt, etwas von meinen Versen zu veröffentlichen. Wenn sie todtgeschwiegen würden, so würde mir das schmerzlicher sein, als es solche Wunden der Eitelkeit für einen bärtigen Mann sein sollten; und wenn sie angegriffen oder lächerlich gemacht würden, so könnte mir das in meiner bürgerlichen Existenz großen Schaden thun. Diese letztere Erwägung würde, wenn ich ganz allein in der Welt stände, von keinem großen Gewicht für mich sein; aber es gibt Andere, um deretwillen ich gern ein Vermögen erwerben und meine Stellung im Leben behaupten möchte. Vor vielen Jahren, es war in Deutschland, begegnete ich einem deutschen Studenten, der sehr arm war und sich sein Brod damit erwarb, daß er durchs Land zog und den Leuten zur Guitarre etwas vorsang. Er ist seitdem ein sehr populärer Dichter 324 geworden und er hat mir versichert, er habe das Geheimniß dieser Popularität dadurch gefunden, daß er während seiner Wanderjahre als Sänger fortwährend den Geschmack des Volkes habe zu Rathe ziehen müssen. Sein Vorgang machte mir großen Eindruck. So kam ich dazu, dieses Experiment zu machen, und seit mehreren Jahren habe ich einen Theil des Sommers regelmäßig in dieser Weise zugebracht. Auf meinen Touren bin ich, wie ich Ihnen, glaube ich, schon früher erzählt habe, nur als wandernder Troubadour bekannt. Ich nehme die bescheidenen Geldstücke, die man mir gibt, als einen Beweis dafür entgegen, daß ich mir doch einige Anerkennung erwerbe. Arme Leute würden mich nicht bezahlen, wenn ich ihnen nicht gefiele; und die Gesänge, die ihnen am besten gefallen, sind in der Regel die, welche auch ich am liebsten habe. Uebrigens ist meine Zeit nicht weggeworfen; nicht nur die Gesundheit des Körpers, sondern auch die des Geistes gewinnt dabei, so erfrischend wirken Monate heiteren Wanderns und mannichfacher Abenteuer auf den gesammten Strom unserer Ideen.«
»Ja, die Abenteuer sind mannichfach genug«, sagte Kenelm in etwas kläglichem Ton; denn er fühlte, als er seine Stellung veränderte, ein unangenehmes Zwacken seiner gequetschten Muskeln. »Aber finden Sie nicht, 325 daß die Urheber alles Bösen, die Weiber, bei Abenteuern immer ihre Hand im Spiele haben?«
»Natürlich!« rief der Troubadour laut lachend. »Im Leben wie auf der Bühne ist das Interesse des Weiberrocks immer das stärkste.«
»Darin bin ich nicht Ihrer Meinung!« sagte Kenelm trocken. »Und es scheint mir, als ob Sie sich da einer bei der Masse beliebten, aber Ihrer nicht würdigen Redensart bedienten. Aber dieses warme Wetter nimmt einem die Lust zum Disputiren und ich gebe zu, daß ein Weiberrock, vorausgesetzt, daß er roth ist, in einem Bilde wohl ein coloristisches Interesse in Anspruch nehmen kann.«
»Nun, junger Herr«, sagte der Troubadour aufstehend, »der Tag geht zu Ende und ich muß Ihnen Adieu sagen; wenn Sie das Land durchstreifen müßten wie ich, würden Sie wahrscheinlich zu viele Mädchen sehen, um nicht die Stärke des Weiberrocksinteresses auch außer auf Bildern begreifen zu lernen, und wenn wir uns wiedertreffen, schreiben Sie vielleicht auch Liebesverse wie ich.«
»Nachdem Sie eine so unbegründete Conjectur ausgesprochen haben, trenne ich mich weniger ungern von Ihnen, als ich es sonst vielleicht thun würde. Aber ich hoffe, wir treffen uns wieder.«
326 »Ihr Wunsch ist mir sehr schmeichelhaft; aber sollte es der Fall sein, so respectiren Sie, bitte, das Vertrauen, das ich in Sie gesetzt habe, und betrachten Sie mein wanderndes Troubadourthum und den Teller meines Hundes als geheiligte Geheimnisse. Für den Fall, daß wir uns nicht wiedertreffen sollten, ist es nur eine vorsichtige Zurückhaltung meinerseits, wenn ich Ihnen meinen richtigen Namen und meine Adresse nicht sage.«
»Dadurch beweisen Sie die Vorsicht des gesunden Menschenverstandes, die sich bei Verehrern von Versen und Weiberrocksinteressen selten findet. Wo haben Sie Ihre Guitarre gelassen?«
»Ich führe dieses Instrument auf meinen Wanderungen nicht mit mir; es wird mir von Stadt zu Stadt unter einem angenommenen Namen nachgeschickt, zusammen mit anderen Kleidern als diese, für den Fall, daß ich einmal Veranlassung haben sollte, meine Rolle als wandernder Troubadour aufzugeben.«
Die beiden Männer trennten sich mit einem herzlichen Händedruck von einander, und als der Troubadour seines Weges längs des Ufers dahinschritt, schien sein Gesang dem Bache ein lebendigeres Gemurmel und dem Schilf weniger klagende Seufzer zu entlocken. 327