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Zehntes Kapitel.
Wir ernten was wir säen

Mit Gefühlen triumphirender Freude, wie sie noch nie seine gewissenlose und verworfene Seele bestürmt hatten, machte sich der Infant von Spanien auf den Weg nach dem einsamen Haus an der Straße von Fuencarral. Er stieg aus seinem Wagen ungefähr hundert Schritte weit von dem Haus, und begab sich zu Fuß an den verabredeten Platz.

Der Jude öffnete dem Prinzen die Thüre mit einem häßlichen Grinsen auf seiner hohlen Wange; und Philipp eilte die Treppen hinauf, und erblickte, bei seinem Eintritt in das oben beschriebene Zimmer, zu seiner unglaublichen Bestürzung und Verdruß die Gestalt der Beatriz von Calderons Armen fest umschlungen, ihr Haupt an seiner Brust ruhend; während seine Stimme, halb erstickt von leidenschaftlichem Schluchzen, sie mit den zärtlichsten liebkosenden Namen nannte.

Einen Augenblick stand der Prinz verzaubert und sprachlos an der Schwelle; dann, heftig an den Griff seines Schwertes schlagend, rief er: »Verräther, hast Du so Dein Versprechen gehalten? Zitterst Du nicht vor meiner Rache?«

»Ruhig, ruhig!« sagte Calderon mit gebieterischem aber leichenhaftem Ton und die eine Hand schüttelnd mit einer Geberde von Ungeduld und Vorwurf, während er mit der andern das lange wallende Haar zurückschob, welches über das blasse Antlitz der noch immer bewußtlosen Novize fiel. »Ruhig! Prinz von Spanien; Deine Stimme scheucht das kämpfende Leben zurück – ruhig! Schau auf, Bild und Reliquie der Verlornen – der Gemordeten – der Märtyrerin! Still! hört Ihr ihren Athem? oder ist sie bei ihrer Mutter in dem Himmel, welcher sich mir verschließt? Lebe, lebe! meine Tochter – mein Kind, lebe! denn Dein Leben in der Welt später wird nicht mein seyn!«

»Was bedeutet dieß?« sagte der Prinz stammelnd. »Welches Gaukelwerk macht mir da Deine List und Tücke vor?«

Calderon antwortete nicht; und in diesem Augenblick seufzte Beatriz schwer und ihre Augen öffneten sich.

»Mein Kind! mein Kind! – Du bist mein! Sprich – laß mich Deine Stimme hören – laß sie mich noch einmal Vater nennen!«

Und Calderon sank auf seine Kniee und inbrünstig seine Hände faltend, sah er ihr flehentlich ins Angesicht. Die Novize, jetzt allmälig wieder zum Leben und Bewußtseyn erwachend, versuchte zu sprechen; die Stimme versagte ihr, aber ihr Mund lächelte Calderon an und ihre Arme schlangen sich schwach aber zärtlich um seinen Hals.

»Segen, Segen auf Dich!« rief Calderon. »Segen auf Dich in Deiner holden Mutter Namen!«

Während er sprach, fiel Beatriz' Blick auf die Gestalt Philipps, der auf sein Schwert gelehnt daneben stand. Sein Gesicht arbeitete von verschiedenen Leidenschaften und sein Mund verzog sich in finstrer, heftiger Verachtung. Gewohnt, das menschliche Leben nur in seinen schändlichsten Gestaltungen, und Calderon nur in seinen Lastern und Tücken zu sehen, hatte der Prinz kein Ohr, welchem die Stimme der Natur verständlich gewesen wäre. Er betrachtete Alles als einen wohlangelegten Plan – als einen Bühnenkniff; und wartete mit Ungeduld und Hohn- die Entwicklung des Betrugs ab.

Beim Anblick dieses Gesichts voll Hohn schauderte Beatriz und sank zurück; aber ihre Angst selbst belebte sie wieder und sie rief aufspringend: »Rette mich vor diesem schlimmen Mann – rette mich! Mein Vater, ich bin sicher bei Dir!«

»Sicher!« wiederholte Calderon, – »ja, sicher gegen die Welt. Aber nicht,« setzte er, sich umsehend, in leisem, murmelndem Tone hinzu, »an diesem schändlichen Orte, dessen Luft schon eine Befleckung für Dich ist. Laß uns fort; komm, komm, meine Tochter!« und seinen Arm nm ihrem Leib schlingend, eilte er mit ihr der Thüre zu.

»Zurück, Verräther!« rief Philipp, sich dem verstörten und halb wahnsinnigen Vater mitten in den Weg stellend; »zurück! meinst Du, ich, Dein Herr und Dein Fürst, lasse mich so hinters Licht führen und verhöhnen? Nicht zu Deiner Lust sollst Du sie weggehascht haben, die ich mit meiner Liebe beehrte, vom Heiligthum der Kirche. Geh, wenn Du willst; aber Beatriz bleibt. Dieß Haus ist meinem Willen gewidmet. Zurück! oder Dein nächster Schritt führt Dich in die Spitze meines Schwerts!«

»Droht nicht, sprecht nichts weiter, Philipp – ich bin ein verzweifelter Mann. Ich bin außer mir – ich kann nicht mit Dir Erörterungen pflegen. Weg! bei Deiner Hoffnung auf den Himmel, weg! Ich bin nicht mehr Dein Günstling, Dein Werkzeug. Ich bin ein Vater und der Beschützer meines Kindes!«

»Ein tüchtiger Plan – eine artige Geschichte!« rief Philipp verächtlich und lehnte sich mit dem Rücken an die Thüre. »Die kleine Schauspielerin spielt ihre Rolle gut, das muß man gestehen; – es ist ihr Beruf; aber Du bist ein Pfuscher, mein edler Calderon!«

Einen Augenblick stand der Höfling da – nicht unentschlossen, aber übermannt von den Leidenschaften, welche bis ins Innerste durch und durch eine Natur erschütterten, deren heftige und stürmische Elemente durch die Gewohnheit langer Jahre mehr nur beherrscht als unterdrückt waren. Zuletzt, mit einem heftigen Schrei, packte er plötzlich den Prinzen beim. Kragen seines Wammses, und eh' er von seiner Waffe Gebrauch machen konnte, schleuderte er ihn auf die Seite mit solcher Heftigkeit, daß er das Gleichgewicht verlor, und da sein Fuß auf dem geglätteten Boden ausglitt, hinfiel. Darauf öffnete Calderon die Thüre, hob Beatriz mit beiden Armen empor und floh hastig die Treppen hinab. Er konnte bei den Gefahren dieses Ortes nicht mehr auf Wechselfälle hoffen oder zu zögern wagen.


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