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Calderons Auge heftete sich sinnend auf die Thüre, welche hinter Fonsecas kriegerischer und edler Gestalt sich schloß.
»Große Contraste unter den Menschen!« sagte er halblaut. »Alle Klassen, in welche je die Naturforscher die Thierwelt eintheilten, würden nicht die Mannigfaltigkeit erschöpfen, die zwischen den verschiedenen Menschen besteht. Und doch treffen wir Alle in Einem Streben unseres Wesens zusammen – wir Alle verfolgen uns und machen auf einander Jagd! Ruhmsucht, was nichts Anderes ist als Durst nach Blut, macht jenen Krieger zum Tiger seiner Gattung; andere Leidenschaften haben mich zur Schlange gemacht, Beide trotzig, grausam, rücksichtslos – Beide! Held und Höfling! Tapferkeit und Schlauheit! Hm! ich will diesem jungen Mann dienen – er hat mir gedient. Als alle andern Herzen sich von mir wegwandten, lächelte er, damals ein Knabe, mich an und gab sich meiner Liebe hin. Warum ist er so lange vergessen worden? er ist nicht von dem Stamm, den ich verabscheue; kein maurisches Blut fließt in seinen Adern; auch gehört er nicht zu den Großen und Mächtigen, die ich fürchte; noch auch zu den Kriechenden und Knechtischgesinnten, die ich verachte; es ist ein Mann, den ich ohne Erröthen unterstützen kann.«
Während Calderon dieß Selbstgespräch führte, ward die Tapetenthüre bei Seite geschoben, und ein Kavalier, auf dessen Wangen der erste Flaum der Mannheit sproßte, trat in das Gemach.
»So, Rodrigo, allein! willkommen bei Deiner Rückkehr nach Madrid. Nein, setze Dich, Mann – setze Dich.«
Calderon verbeugte sich mit der tiefsten Ehrerbietung; und einen großen Lehnstuhl dem Fremden hinstellend setzte er sich selbst auf einen Stuhl in einer kleinen Entfernung.
Der Neuangekommene war von dunkler und trüber Gesichtsfarbe, im Ganzen aber waren seine Züge ansprechend und sein prächtiger Anzug funkelte von einem Uebermaß von Juwelen. Obschon er noch fast ein Knabe war, lag doch ein nachlässiger Stolz, eine vornehme Leichtigkeit in seinen Geberden – in dem Tragen des Kopfes, in der Bewegung seiner Hand, was, in Verbindung mit der fast knechtischen Unterthänigkeit des anmaßenden Günstlings auch dem oberflächlichsten Beobachter die Gewißheit gegeben hätte, daß er dem allerhöchsten Rang angehörte. Ein zweiter Blick hätte in der vollen östreichischen Lippe, in der hohen aber schmalen Stirne, in dem dunkeln, wollüstigen aber schlauen und lauernden Auge die Züge des Abkömmlings von Carl V. gefunden. Es war der Infant von Spanien, der im Zimmer seines ehrsüchtigen Lieblings stand.
»Das ist bequem, dieser geheime Eingang in Dein Privatheiligthum, Rodrigo. Er entzieht mich den spähenden Augen Uzeda's, der immer dem Vater dadurch zu schmeicheln sucht, daß er den Sohn ausspionirt. Wir wollen ihn aber dieser Tage dafür bezahlen. Er liebt Euch weniger als seinen Prinzen.«
»Ich trage ihm darum keinen Groll nach, Ew. Hoheit. Er trachtet nach dem Lächeln der aufgehenden Sonne, und zürnt über den niedrigen Gegenstand, der ihm, wie er meint, ihren Strahl versperrt.«
»Er dürfte darüber ruhig seyn; ich hasse den Mann und seine kalte Förmlichkeit. Er bildet sich immer ein, wir Fürsten seyen so erpicht auf die Staatsangelegenheiten, und vergißt, daß wir sterblich sind, und daß die Jugend das Alter ist für das Lustzelt, nicht für den Rathssaal. Mein kostbarer Calderon, das Leben wäre mir schaal ohne Dich; wie freue ich mich über Deine Rückkehr, Du glücklicher Erfinder von Genüssen, welchen die Sattheit sich nur immer wünschen konnte! Nein, erröthe nicht! manche Leute verachten Dich wegen Deiner Talente; ich aber huldige Dir darum. Bei meines Urgroßvaters Bart, es soll eine lustige Zeit am Hofe werden, wenn ich einmal Monarch bin und Du Minister!«
Calderon schaute den Prinzen ernst an, aber sein forschender Blick diente nicht dazu, einen gewissen Verdacht gegen die königliche Aufrichtigkeit zu zerstreuen, welcher dann und wann mitten unter den sanguinischsten Träumen des Prinzen auftauchte. Bei aller Lustigkeit Philipps lag etwas Gezwungenes und Lauerndes in seinem zweideutigen Lächeln und seinem ruhigen, tiefliegenden, glänzenden Auge. Calderon, an Geist ihm unermeßlich überlegen, war vielleicht kaum diesem bartlosen Knaben gewachsen an Heuchelei und Tücke, an selbstsüchtiger Kälte, an gereifter Verdorbenheit.
»Nun,« fuhr der Prinz fort, »ich sage Euch diese schönen Sachen nicht ohne eine bestimmte Absicht. Ich bin Eurer benöthigt – sehr benöthigt; nie bedurfte ich so dringend Eurer Dienste als in diesem Augenblick; nie hatte ich eine so große Bitte und Aufgabe für Eure Erfindungskraft, Gewandtheit und Euern Muth. Wißt, Calderon, ich liebe!«
»Mein Fürst,« sagte der Marquis lächelnd, »gewiß ist es keine erste Liebe. Wie oft hat Eure Hoheit –«
»Nein,« fiel ihm der Prinz hastig ins Wort, – »nein, ich habe nie geliebt bis jetzt. Man kann nie lieben, was man so leicht gewinnen kann; aber dieß Herz, Calderon, dieß Herz wäre eine Eroberung. Höre mich an. Ich war gestern mit der Königin in der Kapelle des Klosters der h. Maria vom weißen Schwert. Du weißt, daß die Aebtissin früher Kammerfrau war, und daß die Königin sie liebt. Wir Beide wurden gerührt und erstaunten über die Stimme einer Chorsängerin, – es war die einer Novize. Nach dem Gottesdienst erkundigte sich die Königin nach dieser neuen heiligen Cecilia; und Wer meinst Du daß es ist? Nein, Du wirst es nie errathen. Die früher gefeierte Sängerin – die schöne, die unnachahmliche Beatriz Coello! Ach! wohl magst Du erstaunen! wenn Schauspielerinnen Nonnen werden, dann ist es wohl bald für Calderon und Philipp an der Zeit, Mönche zu werden. Nun müßt Ihr wissen, Rodrigo, daß ich, so ein unwürdiger Mensch ich bin, doch die Ursache dieser Metamorphose gewesen. Da ist ein gewisser Martin Fonseca, ein Verwandter von Lerma – Du kennst ihn wohl. Vor einiger Zeit erfuhr ich von dem Herzog, daß dieser junge Orlando ganz wahnsinnig verliebt sey in ein Mädchen von niedriger Geburt – ja, daß er sie zu heirathen begehre. Die Erzählung des Herzogs reizte meine Neugier. Ich fand, daß es die junge Beatriz Coello war, die ich schon auf der Bühne bewundert hatte. Ach Calderon, sie ging glänzend auf und wieder unter während Deiner langweiligen Sendung nach Lissabon! Ich suchte eine Gelegenheit sie zu besuchen. Ich war erstaunt über ihre Schönheit, die noch blendender war im Zimmer als auf der Bühne. Ich war eifrig in meiner Anbetung – umsonst. Calderon, hast Du das gehört? umsonst! Warum warest Du nicht da? Deine Künste und Listen schlagen nie fehl, mein Freund! Sie lebte mit einer alten Verwandten oder Erzieherin zusammen. Die alte Verwandte starb plötzlich – ich benützte ihre Verlassenheit – ich schlich mich bei Nacht in das Haus. Bei St. Jago, ihre Tugend verwirrte und schlug mich. Am nächsten Morgen war sie fort; und meine Nachforschungen konnten auf keine Spur von ihr kommen, bis ich in dem Convent der heiligen Maria in der jungen Novize die verlorne Schauspielerin wieder erkannte. Sie ist in das Kloster geflohen, um Fonseca treu zu bleiben; sie muß aus dem Kloster fliehen, um den Prinzen zu beglücken! Das ist meine Geschichte; ich bedarf Deiner Hülfe.«
»Prinz,« sagte Calderon ernst, »Du kennst die Gesetze Spaniens – die Strenge der Kirche. Ich wage nicht –«
»Pah! keine solche Bedenklichkeiten! mein Stand wird Dich vor jeder Anfechtung schützen. Nein, schau nicht so verstört drein; ha! auch Du hast, wie ich sehe, Deine Armida. Dieß Billet von weiblicher Handschrift – Himmel und Erde! Calderon! Was für ein Name ist das? Beatriz Coello? Hast Du Dir erlaubt, meine Bahn zu kreuzen? Sprecht, Herr! – sprecht!«
»Eure Hoheit,« sagte Calderon mit einer Mischung von Ehrerbietung und Würde in seinem Wesen – »Eure Hoheit wolle mich anhören. Mein erster Wohlthäter, mein geliebter Zögling, mein frühester Gönner war eben der Don Martin Fonseca, welcher um dieß Mädchen mit tugendhafter Liebe wirbt. Diesen Morgen hat er mich besucht, und mich um meine Verwendung zu seinen Gunsten angefleht. Oh! Prinz! wendet Euch nicht ab! Ihr kennt seine Verdienste nicht zur Hälfte. Ihr kennt nicht den Werth solcher Unterthanen – Männer von dem alten ehernen Schlag Spanier. Du hast ein edles und königliches Herz; sey nicht der Nebenbuhler des Vertheidigers Deiner Krone. Mach diesen tapfern Soldaten glücklich – schone diese arme Waise – und Eine großmüthige Handlung der Selbstverläugnung wird Dir Verzeihung erwirken für tausend Lustgenüsse!«
»Das von Rodrigo Calderon!« sagte der Prinz mit einem bittern Hohnlächeln. »Mensch, begreife Deine Stellung und Deinen Beruf. Wenn es mir um Predigten zu thun ist, suche ich meinen Beichtvater auf; wenn ich eine Sünde beschlossen habe, komm' ich zu Dir. Laß mich in Ruhe mit Deinen hohlen Redensarten. Was Fonseca begrifft, so soll er getröstet werden; und wenn er erfährt, wer sein Nebenbuhler ist, so müßte er ja ein Verräther seyn, wenn er sich nicht zufrieden in sein Loos ergeben wollte. Du sollst mich unterstützen, Calderon!«
»Eure Hoheit möge mir verzeihen – nein!«
»Höre ich recht? Nein! – Bist Du nicht mein Günstling – mein Werkzeug? Kann ich Dich nicht zerstören, wie ich Dich habe emporheben helfen? Dein Glück hat Dir den Kopf verdreht. Der König hat schon Verdacht und Widerwillen gegen Dich; Dein Feind, Uzeda, hat sein Ohr. Das Volk verwünscht Dich. Wenn ich Dich verlasse, bist Du verloren. Das bedenke!«
Calderon blieb stumm und aufrecht stehen, die Arme auf der Brust gefaltet und die Wange flammend von unterdrückten Leidenschaften. Philipp sah ihn ernsthaft an, und dann, vor sich hin murmelnd, näherte er sich dem Günstling mit verändertem Wesen.
»Komm, Calderon – ich bin zu hastig gewesen – Du hast mich toll gemacht; ich wollte Dir nicht wehe thun. Du bist redlich, und ich glaube Du liebst mich; und ich will gestehen, daß unter gewöhnlichen Umständen Dein Rath gut, Deine Bedenklichkeiten löblich wären. Aber ich sage Dir, daß ich dieß Mädchen anbete; daß ich alle meine Hoffnungen auf sie gesetzt habe; daß sie um jeden Preis, auf jede Gefahr, mein werden muß. Willst Du mich verlassen? Willst Du, auf dessen Treue ich mich immer so zuversichtlich stützte, Deinen Freund und Deinen Prinzen verlassen um dieses händelsüchtigen Soldaten willen? Nein, ich thue Dir Unrecht!«
»Oh!« sagte Calderon mit einer ziemlich glücklich erheuchelten Bewegung – »ich wollte mein Leben Eurem Dienst weihen, und ich habe oft mein Gewissen Eurem leisestem Wunsch unterworfen und gebeugt. Aber das wäre eine gar zu niederträchtige Treulosigkeit von mir! Er hat das Leben seines Lebens meinen Händen anvertraut. Wie könntest selbst Du auf meine Treue bauen, wenn Du wüßtest, daß ich gegen einen Andern falsch handle?«
»Falsch! bist Du nicht falsch gegen mich? Hab' ich Dir nicht vertraut, und bist Du es nicht der mich verläßt – ja vielleicht verräth? Wie willst Du denn diesem Fonseca dienen? Wie die Novize befreien?«
»Durch einen Befehl des Hofs. Eure königliche Mutter –«
»Genug!« sagte der Prinz heftig. »Mach' es so. Du sollst Zeit genug zur Reue haben!«
So sprechend schritt Philipp der Thüre zu. Calderon, beunruhigt und ängstlich, suchte ihn aufzuhalten; aber der Prinz riß sich mit Verachtung los und Calderon war wieder allein.