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Zweites Kapitel.
Der Liebhaber und der Vertraute

Calderon empfing den jungen Soldaten an der Thüre seines Zimmers mit auffallender und beinahe herzlicher Achtung.

»Don Martin,« sagte er, und in dem Zittern seiner volltönenden und weichen Stimme schien wirkliches Gefühl sich leise zu verrathen, »ich bin Euch verpflichtet für die größte Schuld, wofür ein Mann dem Andern verbunden seyn kann – Eure Hand war es, die meinem Fuß den ersten Trittstein auf der Bahn zur Macht unterschob. Ich habe mein Glück von der Stunde an zu rechnen, wo ich als Euer Lehrer in Euers Vaters Haus kam. Als der Kardinal-Herzog Euch nach Madrid lud, war ich Euer Begleiter; und als Ihr später in das Heer tratet, und der Dienste des friedlichen Gelehrten nicht mehr bedurftet, da erbatet Ihr Euch von Eurem erlauchten Verwandten nur die Eine Gunst – daß für Calderon gesorgt werden möchte. Ich war schon so glücklich gewesen, dem Herzog persönlich bekannt zu werden, und von diesem Tag an ging es reißend schnell mit meinem Steigen. Seit damals haben wir uns nicht mehr gesehen. Darf ich hoffen, daß es jetzt in Calderons Macht steht, sich als nicht undankbar zu bewähren?«

»Ja!« sagte Fonseca lebhaft, »es steht in Eurer Macht, mich von dem grenzenlosen Elend zu retten, das mich treffen kann. Es steht in Eurer Macht, wenigstens glaube ich so, mich zum glücklichsten Menschen zu machen!«

»Setzt Euch, ich bitte Euch, Sennor. Und wie? Ich stehe zu Euren Diensten.«

»Du weißt,« sagte Fonseca, »daß ich, obwohl der Verwandte, noch keineswegs der Liebling des Herzogs von Lerma bin.«

»Nein, nein!« unterbrach ihn Calderon sanft und mit freundlichem Lächeln, »Ihr mißkennt meinen erlauchten Gönner; er liebt Euch, nicht aber Eure Unbesonnenheiten.«

»Ja! die Redlichkeit ist etwas sehr Unbesonnenes! Ich kann mich nicht in das Vorzimmerleben fügen und schicken; ich kann nicht, wie der Herzog von Lerma, meinen nächsten Verwandten verabscheuen, wenn sein Schatten die Linie meiner Interessen kreuzt. Ich bin von dem Stamm Pelayo's, nicht Oppas'; und mein Beruf, eher der eines alten Persers als eines modernen Spaniers, ist, Rosse zu tummeln, das Schwert zu schwingen und die Wahrheit zu sagen.«

Es lag ein Ausdruck von Ernst und Hochsinn in des jungen Mannes Mienen, Haltung und Stimme bei diesen Worten, welcher den stärksten Kontrast bildete mit dem unerforschlichen Antlitz und der künstlichen Sanftheit Calderons, und für den Augenblick wirklich diesen schlauen und feinen Abenteurer mit dem Gefühl unwillkürlicher Demüthigung erfüllte.

»Aber,« fuhr Fonseca fort, »lassen wir das; ich komme auf meine Geschichte und meine Bitte. Wißt Ihr oder wißt Ihr nicht, daß ich schon eine Zeitlang eine Neigung für Beatriz Coello hege?«

»Beatriz,« wiederholte Calderon zerstreut mit veränderter Miene, »es ist ein wohlklingender Name – es war der Name meiner Mutter.«

»Eurer Mutter! ich glaubte gehört zu haben, ihr Name sey Mary Sandalen gewesen?«

»Ganz recht – Mary Beatriz Sandalen,« versetzte Calderon leichthin. »Aber fahrt fort in Eurer Erzählung. Ich hörte nach Eurer letzten Anwesenheit in Madrid, wo ich auf meiner Reise nach Portugal abwesend und darum nicht so glücklich war Euch zu sehen, Ihr hättet den Herzog beleidigt durch Euer Verlangen, eine Eurer Geburt unangemessene Heirath zu schließen. Wer ist denn diese Beatriz Coello?«

»Eine Waise von niedriger Abkunft und Beruf. Als Kind war sie der Sorge einer Frau überlassen geblieben, welche, glaube ich, ihre Amme gewesen; sie nahmen ihren Wohnsitz in Sevilla, und der alten Wärterin Arbeit in Stickereien erhielt sie beide, bis Beatriz vierzehn Jahre alt war. Um diese Zeit wurde die arme Frau durch einen Gichtanfall untüchtig, ihre Arbeiten fortzusetzen; und Beatriz, das gute Kind, suchte, begierig die erhaltenen Wohlthaten zu vergelten, jetzt ihrerseits ihre Pflegerin zu ernähren. Sie besaß die Gabe einer wunderbar schönen Stimme. Dieß Talent kam zur Kenntniß des Oberaufsehers des Theaters zu Sevilla; und er machte ihr die vortheilhaftesten Anträge auf die Bühne zu gehen. Beatriz, das unschuldige Kind, ahnte nichts von den Gefahren dieses Gewerbes; sie ergriff gern das Mittel, wodurch sie dem dahinsinkenden Leben ihrer einzigen Freundin Hülfe und Erleichterung verschaffen konnte – sie wurde Schauspielerin. Um jene Zeit waren wir in Sevilla einquartirt, um ein Auge zu haben auf die verdächtigen Morisken.«

»Ha! die verhaßten Ungläubigen!« murmelte Calderon grimmig zwischen den Zähnen.

»Ich sah Beatriz und liebte sie auf den ersten Blick. Ich sage nicht,« fuhr Fonseca mit einem Erröthen fort, »daß meine Bewerbung, im Anfang, eine solche gewesen sey, die ihrer allein würdig war; aber ihre Tugend gewann bald ebenso meine Achtung wie meine Liebe. Ich verließ Sevilla um meinen Vater aufzusuchen und seine Einwilligung zu einer Vermählung mit Beatriz zu erlangen. Ihr kennt die Vorurtheile eines Hidalgo – sie sind unüberwindlich. Inzwischen drang der Ruf der Schönheit und der Stimme der jungen Schauspielerin bis nach Madrid, und auf königlichen Befehl ward sie von Sevilla dorthin berufen. So eilte denn auch ich nach Madrid, unter dem Vorwand um Beförderung zu bitten. Ihr waret, wie Ihr gesagt, abwesend in Portugal, auf einer Staatssendung. Ich suchte den Herzog von Lerma auf. Ich flehte ihn an, mir irgend einen Posten zu geben, wo auch immer – in welchem Himmelsstrich des weiten spanischen Reichs es sey – wo ich, entfernt von Geburts- und Standesvorurtheilen, und im Besitz anderer, weniger unzuverlässiger Mittel, als die vom Schwert abhängen, Beatriz zu meiner Gattin machen könnte. Der artige, feine Herzog war noch unerbittlicher als der herbe Hidalgo. Ich flog zu Beatriz; ich sagte ihr, ich hätte nichts als mein Herz und meine Rechte ihr zu bieten. Sie weinte und schlug mich aus.«

»Weil Ihr nicht reich waret?«

»Pfui über Euch! nein, sondern weil sie nicht darein willigen wollte, mein Glück zu zerstören und mich aus meiner Heimath zu verbannen. Am nächsten Tag erhielt ich gemessenen Befehl, mich wieder zum Heer zu begeben, und diesen Befehl begleitete ein Beförderungspatent. Obgleich Liebhaber, bin ich doch Spanier; dem Befehl nicht gehorchen, wäre in meinen Augen unehrenhaft gewesen. Hoffnung dämmerte mir, ich konnte steigen; ich konnte reich werden. Wir tauschten die Gelübde der Treue miteinander. Ich kehrte in das Lager zurück. Wir wechselten Briefe. Zuletzt beunruhigten mich ihre Briefe. Trotz aller ihrer Zurückhaltung erkannte ich, daß sie Widerwillen gegen ihren Beruf empfand und Angst vor den Verfolgungen, welchen er sie aussetzte; die alte Frau, ihre einzige Leiterin und Gesellschafterin, war sterbend; sie war niedergeschlagen und unglücklich; sie verzweifelte an unserer Verbindung; sie drückte ihre Sehnsucht nach der Zufluchtsstätte eines Klosters aus. Endlich kam dieser Brief, worin sie mir für immer Lebewohl sagt. Ihre Verwandte war todt; und mit dem wenigen Geld, das sie sich erspart, hatte sie sich die Aufnahme in das Kloster der h. Maria vom weißen Schwert erkauft. Denkt Euch meine Verzweiflung! Ich erwirkte mir einen Urlaub – ich flog nach Madrid. Beatriz ist schon innerhalb der Mauern ihres traurigen Asyls; sie hat schon ihr Noviziat angetreten.«

»Ist das der Brief von dem Ihr sprecht?« sagte Calderon die Hand ausstreckend.

Fonseca gab ihm den Brief.

So hart und kalt der Charakter Calderons geworden war, doch war etwas in dem Ton dieses Briefs – in seinen reinen und edeln Gefühlen, seiner Unschuld und Zärtlichkeit – was eine geheime Saite in seinem Herzen rührte. Er seufzte indem er ihn weglegte.

»Ihr seyd, wie wir Alle, Don Martin,« sagte er mit einem bittern Lächeln, »der Narr, der auf eines Weibes Treue baut. Aber Ihr müßt selbst Euch Erfahrung kaufen; und wenn Ihr wirklich meine Dienste in Anspruch nehmt, um Euch für den Augenblick Seligkeit und für die Zukunft bittere Täuschung zu bereiten, so sind diese Dienste Euer. Es wird, denke ich, nicht schwer halten, die Königin zu Euren Gunsten zu stimmen; laßt mir diesen Brief; er ist von der Art, daß er wohl das Herz eines Weibes rühren kann. Wenn es uns mit der Königin gelingt, welche die Patronin des Klosters ist, so dürfen wir mit Zuversicht hoffen, einen Befehl vom Hof zur Freigebung der Novize zu erlangen; der nächste Schritt aber ist schwieriger. Es ist nicht genug, Beatriz wieder in Freiheit zu setzen – wir müssen auch Eure Familie mit der Heirath aussöhnen. Das kann nicht geschehen, so lange sie nicht adlig; aber Patente (hier lächelte Calderon) vermochten schon manchen Glückspilz zu adeln – Euer unterthäniger Diener ist ein Beispiel davon. Solche Briefe können erkauft oder erbettelt werden; ich will es über mich nehmen, einen anzuschaffen. Auch kann Euer Vater leicht ein den Titel begleitendes Heirathgut ausfindig machen in Gestalt eines hohen und ehrenvollen Posten für Euch. Ihr habt große Verdienste; Ihr seyd beliebt bei dem Heer; Ihr habt Euch einen rühmlichen Namen in der Welt gewonnen. Ich fühle mich beschämt, daß man Euer Glück so übersehen und vernachlässigt hat. ›Aus den Augen aus dem Sinn,‹ ach ja! das ist ein wahres Sprüchwort. Ich gestehe, daß ich, als ich Euch in dem Vorzimmer sah, über meine frühere Vergeßlichkeit erröthete. Nun es thut nichts – ich will meinen Fehler gut machen. Die Leute sagen, ich mißbrauche meinen Einfluß und meine Gunst – ich will durch Eure Beförderung das Gegentheil beweisen.«

»Großmüthiger Calderon!« sagte Fonseca stammelnd, »ich habe immer die Urteile des Pöbels gehaßt. Man verleumdet Euch – aber das ist nur der Neid.«

»Nein,« sagte Calderon kalt, »ich bin schlimm genug; aber ich bin doch ein Mensch. Zudem ist Dankbarkeit meine Politik; ich habe immer gefunden, daß es ein gutes Mittel ist, in der Welt vorwärts zu kommen, wenn man denen dient, die uns dienen.«

»Aber der Herzog?«

»Fürchtet nichts; ich besitze ein Oel, das alle Wellen auf dieser Oberfläche besänftigen wird. Was den Brief betrifft, so sage ich, laßt ihn mir; ich will ihn der Königin zeigen. Morgen will ich Euch wieder sehen.«


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