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Kaum hatte sich der Prinz entfernt, als die Thüre vom Vorzimmer her sich öffnete und ein alter Mann, in geistlicher Tracht, in des Secretärs Gemach trat.
»Störe ich nicht, mein Sohn?« fragte der Kirchenmann.
»Nein, Vater, nein; ich sehnte mich nie so sehr nach Eurer Anwesenheit, Eurem Rath. Es geschieht nicht oft, daß ich unentschlossen schwanke und schwebe zwischen den zwei Magneten des Interesse's und Gewissens; jetzt befinde ich mich in einem solchen seltenen Dilemma.«
Hier erzählte Calderon in der Kürze das Wesentliche seines Gesprächs mit Fonseca und von seiner darauf folgenden Verhandlung mit dem Prinzen.
»Ihr seht,« sagte er beim Schluß, »wie kritisch meine Lage ist. Auf der einen Seite meine Verpflichtungen gegen Fonseca, mein Versprechen gegen einen Wohlthäter, einen Freund, einen Knaben den ich aufziehen geholfen; und das ist noch nicht Alles! Der Prinz verlangt von mir, ich solle ihm behülflich seyn zur Entführung einer Novize aus einem geheiligten Hause. Welche Gefahr – welches Wagniß! Auf der andern Seite, wenn ich mich weigere, das Mißfallen, die Rache des Prinzen, dessen Gunst mich schon halb und halb die des Königs gekostet hat, und der, sähe er mich einmal mit ungnädigen Augen an, alle meine Feinde ermuthigen würde – und das ist so viel gesagt als: den ganzen Hof – zu einem einmüthigen Versuche mich zu stürzen.«
»Es ist eine herbe Versuchung,« sagte der Mönch ernst, »eine solche, die wohl Eure Furcht rege machen kann.«
»Furcht, Aliaga! – ha, ha! Furcht!« sagte Calderon, verächtlich lachend. »Wußte wahrer Ehrgeiz je etwas von Furcht? Haben wir nicht das alte kastilische Sprüchwort, das uns sagt: Wer die erste Stufe zur Macht erklommen hat, der hat die Angst tausend Meilen hinter sich gelassen? Nein, nicht die Furcht ist es, die mich unentschlossen macht: es ist Klugheit; und ein Anflug, ein gewisser Rest von Menschlichkeit – Philosophen würden es Tugend, Ihr Priester würdet es Religion nennen.«
»Mein Sohn,« sagte der Priester, »als ich, als Glied des erhabenen Standes, der uns befähigt, unsere unbeschuhten Füße auf den Nacken der Könige zu setzen, erkannte, daß ich Macht hatte Euch zu dienen und zu erheben; als ich, Philipps Beichtvater, die Gönnerschaft Lerma's unterstützte, Euch der besondern Berücksichtigung des Königs empfahl und in den Sonnenschein der königlichen Gunst brachte: da geschah es, weil ich in Eurem Herzen und Kopf jene Eigenschaften gelesen hatte, welche die geistlichen Herren der Welt immer für ihre Sache zu benützen suchen. Ich kannte Dich als muthig, schlau, hochstrebend, rücksichtslos. Ich wußte, daß Du nicht zurückscheuen würdest vor den Mitteln, welche Dir einen großen Zweck verbürgten. Ja, als ich Dich vor Jahren am Thale des Xenil Deine Hände im Blute Deines Feindes baden sah, und Dein Lachen des triumphirenden Hasses hörte; – als ich, einziger Mitwisser Deines Geheimnisses, Dich nachmals von Deiner Heimath fliehen sah, befleckt von einem zweiten Mord, aber immer noch ruhig, ernst und Herr Deiner Vernunft, da sagte mir meine Menschenkenntniß: aus solchen Männern lassen sich gewaltige Bekehrte und mächtige Werkzeuge machen!«
Der Priester schwieg; denn Calderon hörte nicht auf seine Worte. Seine Wange war gelb, seine Augen geschlossen, seine Brust arbeitete schwer.
»Gräßliche Erinnerung!« murmelte er; »unglückselige Liebe – fürchterliche Rache! Inez – Inez, was hast Du zu verantworten!«
»Tröste Dich mein Sohn! Ich wollte nicht den Verband von Deiner Wunde reißen.«
»Wer spricht da?« rief Calderon auffahrend. »Ha, der Priester, der Priester! Ich glaubte die Todten zu hören. Sprich weiter, sprich weiter; sprich von der Welt – der Inquisition – von Deinen Ränken – der Tortur – dem Galgen! Sprich von was Du willst, nur daß es mich von der Vergangenheit abzieht!«
»Nein! laß mich für einen Augenblick Dich zu ihr zurückführen, um Dir die Zukunft zu schildern, die Deiner wartet. Als ich Dich bei Nacht fand – den mit Blut befleckten Flüchtling – Dich duckend und kauernd unter dem Schatten des Waldes – erinnerst Du Dich noch, wie ich meine Hand auf Deinen Arm legte, und zu Dir sagte: Dein Leben ist in meiner Hand? Von jener Stunde an ließ mich Deine Verachtung meiner Drohungen, meiner Person, Deines eigenen Lebens – dieß Alles ließ mich Dich als einen Mann ansehen, dazu geboren, unsere unsterbliche Sache zu fördern. Ich brachte Dich zu Deiner Sicherung weit hinweg; ich gewann Deine Freundschaft und Dein Vertrauen. Du wurdest Einer der Unsrigen – ein Mitglied des großen Ordens Jesu. Später brachte ich Dich unter als Lehrer des jungen Fonseca, damals Erben von großem Vermögen. Die zweite Heirath seines Oheims, und der Erbe, der, aus dieser Ehe entsprungen, zwischen ihn und die Ehre seines Hauses trat, machten die gehoffte Verbindung mit dem Jüngling für uns nutzlos. Aber Du hattest seine Freundschaft erworben. Er stellte Dich dem Herzog von Lerma vor. Ich ward eben damals zum Beichtvater des Königs ernannt; ich fand, daß die Jahre Deinen Genius gereift und daß die Erinnerung alle Zärtlichkeit des Fleisches und der Verwandtschaft in Dir erstickt hatte. Vor Allem aber machte Dich Dein tödtlicher Haß schon gegen den Namen der Mauren zum auserwählten Mann, uns beizustehen in unserem großen Plan, den verfluchten Stamm aus den spanischen Landen zu vertreiben. Genug – ich diente Dir, und Du vergaltest uns. Du hast Dein Verbrechen abgewaschen im Blut der Ungläubigen – Du bist sicher vor der Entdeckung. Wer wird in Rodrigo Calderon, Marquis von Siete Iglesias den Rodrigo Nuerez – den eines Mords schuldigen Studenten von Salamanca vermuthen? Unsere List mit dem falschen Vater brachte auch die Neugier zum Schweigen. Du kannst ganz auf die Zukunft Dein Auge richten, und vor keinem Schatten in der Vergangenheit zittern. Die glänzendsten Hoffnungen liegen vor uns Beiden; aber um sie zu Wirklichkeiten zu machen, müssen wir auf demselben Wege fortschreiten. Wir dürfen uns durch kein Hinderniß auf unserer Bahn aufhalten lassen. Wir dürfen für kein Verbrechen ansehen, was immer unsere gemeinschaftlichen Plane fördert. Masche um Masche müssen wir den künftigen Monarchen in unser Gewebe verwickeln; Du durch die Netze der Vergnügungen, ich durch die des Aberglaubens. Der Tag, der Philipp den Vierten den Thron besteigen sieht, muß ein Tag des Jubels für die Brüderschaft und die Inquisition seyn. Wenn Du erster Minister bist – und ich Groß-Inquisitor – diese Zeit muß kommen – dann werden wir die Macht haben, die Herrschaft der Jüngerschaft Loyola's bis an die Grenzen der christlichen Welt auszudehnen. Die Inquisition selbst unser Werkzeug! Die Nachwelt wird uns als die Apostel des geistigen Glaubens ansehen. Und meinst Du wir dürfen, wo es die Erreichung so großer Zwecke gilt, die zarten Bedenklichkeiten der gewöhnlichen Menschen haben? Mögen tausend Fonseca's – zehntausend Novizen zu Grund gehen, ehe Du nur um ein Haarbreit Deine Macht und Handhabe über die Stimme und die Seele des zügellosen Philipp aufgibst! Was es auch koste, bewahre Dir Deine Macht; denn es sind daran gebunden, wie Matrosen an eine Planke, die Hoffnungen Derer, die den Geist zu ihrem Scepter machen!«
»Der Enthusiasmus verblendet und mißleitet Dich, Aliaga,« sagte Calderon kalt. »Was mich betrifft, so erkläre ich Dir jetzt, wie ich Dir früher erklärt habe, daß ich mich keinen Strohhalm um Deine großen Pläne bekümmere. Laß die Menschheit für sich selbst sorgen – ich sehe nur auf das Meinige. Aber sey unbesorgt wegen meiner Treue; meine Interessen und mein Leben selbst sind unauflöslich verflochten mit Dir und Deinen Mitfanatikern. Wenn ich Dich verlasse, so bist Du zu tief in meine Geheimnisse eingeweiht, als daß Du mich nicht verderben solltest; und wollte ich Dich umbringen, um Dein Zeugniß zum Schweigen zu bringen: so kenne ich Deine Brüderschaft hinlänglich, um zu wissen, daß ich mir dann nur eine Menge von Rächern auf den Hals ziehen würde. Was diese Angelegenheit betrifft, so gebt Ihr mir einen klugen, wenn auch keinen frommen Rath. Ich will es mir wohl überlegen. Adieu! die Stunde ruft mich, dem König meine Aufwartung zu machen.