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Die Tragikomödie der Hofintrike, welche seit der Gelangung des Hauses Oestreich auf den Thron jederzeit in Spanien ihren Hauptschauplatz gefunden hatte, ward mit besonders anziehender Verwicklung der Ereignisse und ausgezeichnetem Glanze der Darstellung aufgeführt unter der Regierung Philipps III. Dieser Monarch, schwach, indolent und abergläubisch, überließ die Zügel der Regierung den Händen des Herzogs von Lerma. Der Herzog von Lerma seiner Seits, mild, geschmeidig, prachtsüchtig und schmachvoller Corruption ergeben, trat die ihm so zugefallene Machtfülle an Rodrigo Calderon ab, einen geschickten und entschlossenen Emporkömmling, welchen Natur und Glück gleicherweise zu begünstigen und mit ihren Geschenken zu überhäufen schienen. Aber nicht so sehr seinen allerdings großen Talenten, als der Politik religiöser Verfolgungen, die er unterstützt und durchgesetzt hatte, verdankte Rodrigo Calderon sein Emporkommen. Der König und die Inquisition hatten einige Jahre vor dem Zeitpunkt, mit welchem unsere Geschichte beginnt, die allgemeine Vertreibung der Morisken – des reichsten, thätigsten und gewerbsamsten Theils der Bevölkerung beschlossen.
»Lieber wollte ich,« sagte der bigotte König – und seine Worte wurden von dem Enthusiasmus der Kirche begrüßt und gerühmt – »mein Königreich entvölkern, als einem einzigen Ungläubigen den Aufenthalt darin gestatten.«
Der Herzog von Lerma ging in den Plan ein, der Spanien vieler seiner schätzbarsten Unterthanen beraubte, mit dem Eifer eines frommen Katholiken, der auf den Kardinalshut spannt, den er auch nachmals davontrug. Aber in diesen Plan brachte Calderon eine Energie, eine Entschiedenheit – eine Gewaltsamkeit und Spürkraft des Hasses, welche mehr nach persönlicher Rachsucht als nach religiösem Verfolgungsgeist schmeckte. Seine Beharrlichkeit in diesem guten Werke befestigte ihn gründlich in des Königs Gunst, und unterstützt ward er hiebei durch die Freundschaft nicht nur Lerma's, sondern auch des Fray Louis de Aliaga, eines berühmten Jesuiten und Beichtvaters des Königs. Das Unheil und die Leiden, welche dieser barbarische Kreuzzug zur Folge hatte, der die königlichen Einkünfte sehr herabdrückte und die Güter der vornehmsten Barone ernstlich beschädigte, aus deren Besitzungen die fleißigen und einsichtsvollen Morisken vertrieben wurden, zogen zuletzt der Person Calderons einen tiefen und allgemeinen Haß zu. Aber seine außerordentliche Gewandtheit und rüstige Thatkraft, seine vollendete Meisterschaft in der Wissenschaft der Intrike, erhielten ihm nicht nur seine Macht, sondern steigerten sie noch fortwährend. Obgleich der König noch in seinen besten, mittleren Jahren stand, war doch seine Gesundheit schwach und sein Leben unzuverlässig. Calderon hatte, während er die Gunst des regierenden Monarchen sich bewahrte, sich zugleich zum Freund und Gesellschafter des muthmaßlichen Erben zu machen gewußt. Hierin hatte er wirklich nur der Politik des Königs selbst sich zu unterwerfen den Schein angenommen; denn Philipp III. hatte entsetzliche Angst vor dem möglichen Ehrgeiz seines Sohnes, welcher frühe schon Talente an den Tag legte, die ihn hätten furchtbar machen können, wären nicht seine Leidenschaften gewesen, die ihn zu den lasterhaftesten Vergnügungen und den unmäßigsten Ausschweifungen verleiteten. Die Schlauheit des Königs gefiel sich in dem listigen Plan, in die Nähe der Person des Infanten einen ihm selbst ergebenen Mann zu bringen; und so fromm er war, empörte sich doch sein Gewissen keineswegs über seines Sohns wüstes Leben, welches, wie es hieß, sein Günstling theilte und vielleicht gar beförderte; denn je weniger populär der Prinz, um so mächtiger war der König.
Mittlerweile aber ward eine mächtige Kabale angesponnen gegen den Herzog von Lerma wie gegen Don Rodrigo Calderon, und zwar von einer Seite, von wo man es am wenigsten erwartet hätte. Der Kardinal-Herzog, natürlich ängstlich besorgt, sein Ansehen zu befestigen und dauernd zu machen, hatte seinen Sohn, den Herzog von Uzeda, auf einen Posten gesetzt, der ihm beständigen Zutritt zum Monarchen gab. Die Aussicht auf Macht bewirkte, daß Uzeda Lust bekam, mit Einemmal all ihre Vortheile sich zuzueignen; und es ward die Aufgabe seines Lebens, seinen Vater auszustechen. Dieß wäre auch leicht gewesen, ohne den Geist und die Wachsamkeit Calderons, den er als Nebenbuhler haßte, als Emporkömmling verachtete und als Feind fürchtete. Philipp merkte bald den Kampf zwischen den beiden Faktionen, aber im ächten Geiste spanischer Königstücke, richtete er sein Augenmerk darauf, sich immer der einen gegen die andere zu bedienen. Und so mächtig Calderon war, durfte er doch nicht offen darnach trachten, Uzeda zu stürzen; wahrend Uzeda, ungestümer und vielleicht offener, tausend Plane zum Sturze des ersten Günstlings schmiedete.
Die häufigen Sendungen, hauptsächlich nach Portugal, zu welchen in neuesten Zeiten Calderon verwendet worden war, hatten Uzeda möglich gemacht, sich mehr und mehr in Besitz des königlichen Vertrauens zu setzen; während gerade die Mittel, welche Don Rodrigo gewählt hatte, seinen Einfluß auf die Dauer zu befestigen, indem er sich dem Prinzen angenehm und nothwendig machte, natürlich seine Aufmerksamkeit von den Intriken seines Nebenbuhlers abziehen mußten. Vielleicht ließ gerade auch die Größe von Calderons Talenten ihn die Machinationen des Herzogs allzu hochmüthig verachten, der, obgleich nicht ohne einige Fähigkeiten als Höfling, doch völlig untüchtig war zu den Obliegenheiten und Geschäften eines Ministers, worauf sein ehrsüchtiges Trachten ging.
Dieß war der Stand der Parteien am Hofe Philipps III. zu der Zeit, wo unsere Erzählung beginnt, deren Schauplatz das Vorzimmer des Don Rodrigo Calderon ist.
»Es ist nicht zu dulden,« sagte Don Felix de Castro, ein alter Edelmann, dessen scharfe Züge und kleiner Wuchs die Reinheit seines Bluts und das Alter seiner Abkunft bezeugten.
»Gerade drei Viertelstunden und fünf Minuten habe ich auf Audienz gewartet bei einem Burschen, der einst sichs zur Ehre geschätzt hätte, wenn ich ihm befohlen hätte, meinen Wagen zu bestellen,« sagte Don Diego Sarmiento de Mendoza.
»Nun, wenn es Euch so wurmt, Ihr Herren, warum kommt Ihr denn überhaupt hieher? Ich möchte fast behaupten, Don Rodrigo kann Eurer Aufwartungen entbehren.«
Diese Worte sagte in derbem Ton ein junger Edelmann von gutem Aussehen, dessen ungestümes und reizbares Temperament sich durch eine Ungeduld in Bewegungen und Geberden verrieth, wie sie bei seinen Landsleuten nicht gewöhnlich. Manchmal wandelte er mit ungleichen Schritten in den Gemächern auf und ab, nicht achtend auf die stattlichen Gruppen, an denen er anstieß, oder die vorwurfsvollen Blicke, die er auf sich zog; manchmal blieb er plötzlich stehen, richtete die Augen in die Höhe, murmelte etwas, zupfte an seinem Mantel oder spielte mit seinem Degenknopf; oder auch wandte er sich rasch gegen seine ernsten, gravitätischen Nachbarn, wenn eine Bemerkung über sein seltsames Wesen ihm zu Ohren kam und trieb das Blut in manche hochmüthige Wange durch seinen finstern, Trotz und Verachtung aussprechenden Blick. Es war leicht zu merken, daß dieser Mann zu der Klasse heftiger, eitler, junger Menschen gehörte, welche immer begierig sind Beleidigungen zu ahnden und Händel zu suchen. Dennoch hatte der Kavalier edle und große Eigenschaften. Den Höfen fremd, war er im Lager berühmt wegen seiner ritterlichen Großmuth und einer maßlosen Tapferkeit, welche mit der der alten Helden spanischer Romanzen und Lieder wetteiferte. Sein Morgen war von der Art, daß er einen heißen Mittag und einen herrlichen Abend versprach. Der Name dieses tapfern Soldaten war Martin Fonseca. Er war von einem alten aber verarmten Haus und in weitläuftigem Grade mit dem Herzog von Lerma verwandt. In seiner frühesten Jugend hatte er Grund gehabt, sich als muthmaßlichen Erben eines reichen Oheims von mütterlicher Seite zu betrachten; und unter diesen Aussichten war er, noch als Knabe, von dem Kardinal-Herzog an den Hof geladen worden. Aber hier hatte die rohe und derbe Geradheit seines Wesens an den heuchlerischen Formen des Hofs so angestoßen und mehr als einmal den Minister so ernstlich beleidigt, daß sein mächtiger Verwandter alle Hoffnung aufgab, Fonseca's Glück in Madrid zu fördern, und auf einen scheinbaren Vorwand sann, ihn vom Hof zu verbannen. Um diese Zeit heirathete der bisher kinderlose reiche Oheim zum zweiten Mal, und ward mit einem Erben gesegnet. Jetzt war es nicht mehr nöthig, viele Umstände mit Don Martin zu machen; und er erhielt plötzlich Befehl, sich zu dem an der Grenze stehenden Heer zu begeben. Hier zeichnete er sich bald durch seinen Muth aus; aber seine Rechtlichkeit und Geradheit standen auch jetzt seinem Vorrücken im Wege. Einige Jahre verstrichen und seine Beförderung war unendlich langsamer von Statten gegangen als bei Männern, die ebenso an Geburt als an Verdiensten weit unter ihm standen. Vor einigen Monaten war er wieder nach Madrid zurückgekehrt, um seine Ansprüche bei der Regierung geltend zu machen; statt aber seine Zwecke zu fördern, hatte er es zu einem ernstlichen Bruch mit dem Kardinal gebracht und hatte plötzlich Befehl erhalten, sich wieder ins Lager zu begeben. Noch einmal kam er jetzt nach Madrid, aber dießmal nicht, um seine Verdienste geltend zu machen und Ehrenauszeichnungen zu begehren.
In jedem andern Land als in Spanien unter der Regierung Philipps III. wäre Martin Fonseca bald zu hohen Würden emporgestiegen. Aber, wie schon gesagt, er besaß nicht die Talente des Schmeichlers oder Heuchlers; und es war ein Gegenstand des Erstaunens für die berechnenden Leute um ihn her, als sie den Don Martin Fonseca sahen im Vorzimmer des Rodrigo Calderon, Grafen Oliva, Marquis von Siete Iglesias, Secretärs des Königs und Parasiten und Günstlings des Infanten von Spanien.
»Warum kommt Ihr überhaupt hieher?« wiederholte der junge Soldat.
»Sennor,« erwiederte Don Felix de Castro mit vieler Gravität, »wir haben Geschäfte mit Don Rodrigo. Männer von unserem Stand müssen sich den Staatsangelegenheiten widmen, ohne Rücksicht darauf, mit Wem wir zu verhandeln haben.«
»Das heißt, Ihr müßt auf den Knieen kriechen, und um Pensionen und Gouverneursstellen betteln, und die Staatsangelegenheiten besorgen, indem Ihr Eure Hände in seine Geldkisten steckt.«
»Sennor!« grollte Don Felix zürnend, indem seine Hand mit der Degenkuppel spielte.
»Bscht!« sagte der junge Mann verächtlich, und drehte sich auf der Ferse um.
Die Flügelthüren wurden aufgerissen und alle Gespräche verstummten bei dem Eintritt des Don Rodrigo Calderon.
Dieser merkwürdige Mann hatte sich von dem Posten eines Geheimschreibers des Herzogs von Lerma zu dem nominellen Rang eines Secretärs des Königs – und zu der wirklichen Gewalt eines Beherrschers von Spanien aufgeschwungen. Die Geburt dieses Günstlings des Glücks war ausnehmend obskur. Lang hatte er gestrebt sie zu verbergen; als er aber merkte, daß die Neugierde ernstliche Nachforschungen über seine Herkunft anstellte, hatte er plötzlich aus der Noth eine Tugend zu machen geschienen; er erklärte freiwillig und laut, daß sein Vater ein gemeiner Soldat in Valladolid sey; ja er lud sogar seinen niedrigen Erzeuger nach Madrid ein und beherbergte ihn in seinem eigenen Pallast. Diese kluge Offenheit entwaffnete die Bosheit, welche ihn an der Blöße der Geburt zu packen meinte. Als aber der alte Soldat starb, verbreiteten sich Gerüchte, er habe auf seinem Sterbebette gebeichtet, daß er in keiner Weise mit Calderon verwandt sey; er habe sich zu einem Betrug bequemt, der seinen alten Tagen ein so stattliches und üppiges Asyl gewährte; und er wisse nicht, in welcher Absicht Calderon ihm die Ehre einer falschen Vaterschaft aufgedrungen habe. Diese Erzählung, die von den Meisten verspottet, doch von Einigen geglaubt wurde, veranlaßte noch schwärzere Gerüchte und Angaben über einen Mann, auf welchen die Augen ganz Spaniens sich richteten. Man nahm an, er habe noch andere Beweggründe gehabt, seine wahre Abkunft und Namen zu verhehlen, außer dem daß er sich ihrer Niedrigkeit geschämt. Was für ein anderer Beweggrund konnte dieß seyn, als die Furcht vor der Entdeckung einer schwarzen, verbrecherischen That aus seiner frühern Jugend her, wegen welcher er die Ahndung des Gesetzes fürchtete? Diejenigen, welche sein Aeußeres genau zu beobachten sich die Miene gaben, versicherten, daß oft mitten unter seinen lustigsten Festen und stolzesten Triumphen seine Stirne sich umwölke – der Ausdruck seines Gesichts sich ändere – und daß er nur mit sichtbarer peinlicher Anstrengung die besonnene Selbstbeherrschung des Geistes wieder erkämpfe. Seine Laufbahn, welche gänzliche Verachtung gegen die gewöhnlichen Regeln und Bedenklichkeiten verrieth, welche sonst selbst den Abenteurer zum Schein der Ehrbarkeit und Tugend vermögen, schien gewissermaßen diese Gerüchte zu rechtfertigen. Zu Zeiten aber brachen Blitze von glänzender und plötzlicher Großherzigkeit hervor, welche die Neugierigen staunen machten, die Kenner des menschlichen Herzens verwirrten und ganz im Gegensatz standen zu der gesammten Art und Weise, wie der ehrsüchtige und gewissenlose Mann seinen Weg zur Macht sich gebahnt hatte. Sein Geist war von Jedermann anerkannt, aber es war ein Genius, der in keiner Weise die Interessen des Landes förderte. Er diente nur dazu, ihn selbst zu stützen, zu vertheidigen und vorwärts zu bringen – Schwierigkeiten zu trotzen – Feinde zu schlagen – jeden Zufall, jedes eintretende Ereigniß zu neuen Stufen seines Emporsteigens zu benützen. Was auch seine Herkunft, das war klar, daß er alle Vortheile der Erziehung genossen; und Gelehrte rühmten seine Gelehrsamkeit und waren stolz auf seine Gönnerschaft. Während einerseits in neuerer Zeit die wilden und frechen Ausschweifungen des liederlichen Prinzen, unter dem Volke auf die Anleitung Calderons geschoben wurden und den allgemeinen Haß gegen ihn steigerten, schien andererseits sein Einfluß über den künftigen Monarchen seiner Autorität ein neues Feld und eine verlängerte Frist zu verheißen, und erfüllte die Versammlungen seiner Feinde mit Furcht. In der That schien die Macht des Emporkömmlings von Marquis so fest gewurzelt, die vor ihm liegende Laufbahn so glänzend, daß es sogar nicht an Leuten fehlte, welche flüsternd dem Rodrigo Calderon noch zu seinen andern Verbrechen hin auch die Benützung der schwarzen Kunst aufbürdeten. Aber die schwarze Kunst, in welche der feine Höfling eingeweiht war, war eine solche, die mit der Nekromantie nichts zu schaffen hat. Es war die Kunst, den höchsten Verstand für die selbstsüchtigsten Zwecke zu verwenden – eine Kunst, mit der man es eine Zeit lang in der großen Welt erträglich weit bringt.
Er war einige Wochen in einer geheimen Sendung von Madrid abwesend gewesen; und zu diesem seinem ersten Lever nach seiner Rückkehr drängte sich der ganze Adel und Ritterschaft Spaniens.
Die Masse wich zurück, als mit hochmüthiger Haltung, in der Reife der Mannesjahre, der Marquis von Siete Iglesias vorschritt. Er verschmähte alles Auszeichnende der Kleidung, wodurch der Eindruck seines ausnehmend überraschenden Aeußern hätte gehoben werden können. Sein Mantel und Unterkleid von schwarzem Tuch und vom einfachsten Schnitt waren nicht mit Juwelen verziert, welche damals die gewöhnlichen Abzeichen des hohen Rangs ausmachten. Sein Haar, schwarz und glänzend wie das Gefieder des Raben, ringelte sich nach hinten von der hohen Herrscherstirne, die, eine tiefe Furche zwischen den Augen abgerechnet, nicht nur so weiß, sondern auch so glatt war wie Marmor. Seine Gesichtsbildung war adlerartig und regelmäßig, und die tiefe Olivenfarbe seiner Haut erschien weiß und klar im Kontrast mit seinem vollen Schnurr- und Spitzbart. Die Leichtigkeit seiner großen und schlanken, aber doch muskulösen Gestalt ließ ihn jünger erscheinen als er war; und ohne den anmaßenden und verächtlichen Hochmuth der Haltung, welcher so selten edler Geburt eignet, hätte Calderon sich unter die größten Magnaten Europa's mischen können, und jeder Beobachter hätte ihn für den Stattlichsten unter der Gruppe erklärt. Es war eine von jenen seltenen Gestalten, welche ganz dazu gemacht sind, das eine Geschlecht zu beherrschen und das andre zu bezaubern. Bei tieferer Prüfung aber hätte wohl die Unruhe und Unstetigkeit des glänzenden Auges, das Zucken der Oberlippe, eine gewisse Hast in Benehmen und Sprache, gezeigt, daß die Größe neben dem Stolz auch Verdacht ihm eingepflanzt hatte. Die Zuschauer sahen den Jäger auf der Höhe; – der Jäger sah den Abgrund unten und athmete schwer in der Luft dieser Höhe.
Die Höflinge näherten sich Einer um den Andern dem Herzog, der sie mit sehr ungleicher Artigkeit empfing. Gegen den gemeinen Haufen war er scharf, trocken und bitter; gegen die Großen war er geschmeidig, doch mit einer gewissen Anmuth und Männlichkeit des Benehmens, welche selbst der Servilität einen höhern Charakter lieh; und immer lauerte, so tief er sich vor einem Medina, einem Guzman, verbeugte, ein fast unmerklicher Spott in seinen Mundwinkeln, der anzudeuten schien, daß, während seine Politik kroch, sein Herz sie verachtete. Gegen Zwei oder Drei, die er entweder persönlich leiden mochte, oder aufrichtig achtete, war er in seinen Reden vertraulich aber kurz; gegen Solche, die er zu verabscheuen oder zu fürchten Grund hatte – gegen seine Feinde und die an seinem Sturz Arbeitenden nahm er eine noch größere Offenheit an, verbunden mit der einschmeichelndsten Freundlichkeit in Stimme und Benehmen.
Abgesondert von dem Haufen, mit gefalteten Armen und mit einem Ausdruck im Gesicht, worin große Bewunderung sich mit einiger Neugier und ein wenig Verachtung mischte, betrachtete Don Martin Fonseca den Günstling.
»Ich habe diesem Mann eine Gunst erwiesen,« dachte er, »ich habe zu seinem ersten Steigen beigetragen – jetzt bin ich ein Bittender bei ihm! Wahrhaftig! Ich, der ich nie Aufrichtigkeit und Dankbarkeit im Lager fand, komme um diese verborgenen Schätze an einem Hof zu suchen. Nun, wir sind doch seltsame Puppen, wir Sterbliche!«
Don Diego Sarmiento de Mendoza hatte eben den lächelnden Gruß Calderons empfangen, als das Auge des Letzteren auf die schönen Züge Fonseca's fiel. Das Blut stieg ihm ins Gesicht; er versprach dem Don Diego Alles, was er verlangte; und hastig durch die Versammelten hindurch zurückeilend, begab er sich in sein Privat-Kabinet. Das Lever war aufgelöst.
Als Fonseca, der den Blick des Secretärs bemerkt hatte, und dieß plötzliche Verschwinden für keine günstige Vorbedeutung ansah, sich langsam umwandte, um mit den Uebrigen wegzugehen, berührte ihn ein junger Mann, einfach gekleidet, an der Schulter.
»Ihr seyd Sennor Don Martin Fonseca?«
»Der bin ich.«
»Folgt mir, wenn es Euch beliebt, Sennor, zu meinem Herrn, Don Rodrigo Calderon.«
Fonseca's Antlitz klärte sich auf; er folgte der Aufforderung; und im nächsten Augenblick befand er sich im Kabinet des Sejanus von Spanien.