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Calderon hatte den jungen Soldaten noch nicht lang verlassen, als der Gouverneur des Gefängnisses eintrat, um einem Gefangenen von so hoher Geburt und solchem militärischem Ruhm seine Achtung zu bezeigen.
Fonseca, immer von heftiger und ungestümer Gemüthsart, war nicht in der Laune Komplimente zu tauschen; aber der Gouverneur hatte sich kaum gesetzt, als er eine Saite im Gespräch anschlug, welche augenblicklich die Aufmerksamkeit und das Interesse des Gefangenen anzog und fesselte.
»Seyd ohne Furcht, Herr,« sagte er, »daß Ihr lange hier werdet bleiben müssen; die Gewalt Eures Feindes ist groß, aber sie wird nicht von langer Dauer seyn. Der Sturm sammelt sich schon über seinem Haupt; er muß mehr als ein Mensch seyn, wenn er dem Donnerkeil entrinnt.«
»Sprecht Ihr so gegen mich von meinem eigenen Verwandten, dem Herzog von Lerma?«
»Nein, Don Martin, verzeiht. Ich sprach vom Marquis von Siete Iglesias. Seyd Ihr denn so ganz ein Fremdling in Madrid und am Hof, daß Ihr meint, der Herzog von Lerma unterzeichne je eine Schrift ohne das Verlangen des Don Rodrigo? Ja, er sehe je eine Schrift an, unter welche er seinen Namen schreibt? Verlaßt Euch darauf, Ihr seyd hier, um die Habsucht oder Rache der Geisel Spaniens zu befriedigen.«
»Unmöglich!« rief Fonseca. »Don Rodrigo ist mein Freund – mein Gönner. Er überhäuft mich mit seiner Güte.«
»Dann seyd Ihr ganz gewiß verloren,« sagte der Gouverneur im Tone des Mitleids. »Der Tiger liebkost immer seine Beute, ehe er sie verschlingt. Was habt Ihr gethan, seine Güte zu verdienen?«
»Sennor,« sagte Fonseca argwöhnisch, »Ihr sprecht zu einem Unbekannten mit einem seltsamen Mangel an Behutsamkeit, und das gegen einen Mann, dessen Macht Ihr selbst eingesteht.«
»Weil ich vor seiner Rache sicher bin, weil die Inquisition schon ihr Verderben-bringendes Auge auf ihn geheftet hat; weil ich dieser Inquisition nicht unbekannt, nicht ohne ihren Schutz bin; weil ich mit Freude und Triumph die Stunde herannahen sehe, welche der Gerechtigkeit den Kuppler des Prinzen überliefern soll, den Verräther des Königs, den Räuber des Volks; weil ich Theil an Euch nehme, Don Martin, was Ihr wohl begreifen werdet, sobald Ihr meinen Namen erfahren habt. Ich bin Juan de la Nuza, der Vater des jungen Offiziers, dem Ihr bei dem Angriff der Morisken in Valencia das Leben gerettet, und ich bin Euch zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet.«
Es lag etwas in dem herzlichen und offenen Ton des Gouverneurs, was ihm sogleich Fonseca's Vertrauen gewann. Er wurde unruhig und in seiner Seele stieg ängstlicher Verdacht gegen seinen frühern Lehrer und jetzigen Gönner auf.
»Was, muß ich fragen, hast Du gethan, seine Aufmerksamkeit auf Dich zu lenken? Calderon ist nicht launenhaft in seiner Grausamkeit. Bist Du reich, und hofft er, Du werdest Deine Befreiung mit fünftausend Pistolen erkaufen? Nicht! Hast Du ihn auf der Bahn seines Ehrgeizes gekreuzt? Hat er Dich mit Uzeda zusammen gesehen? oder stehst Du in Gunst bei dem Prinzen? Alles nicht! Nun so hast Du eine Gattin, Schwester oder Geliebte von seltenen Vorzügen und Reizen, mit welcher Calderon die Gelüste des ausschweifenden Prinzen vergnügen und sich in seiner Achtung erhalten will? Ha! Du wechselst die Farbe!«
»Beim Himmel, Ihr macht mich toll mit diesen höllischen Vermuthungen! Sprecht einfach und gerade heraus!«
»Ich sehe, Du kennst Calderon nicht,« sagte der Gouverneur mit bitterem Lächeln. »Aber ich wohl – denn meine Nichte war schön und der Prinz bemühte sich um sie – –. Doch genug davon; an seinem Schafott oder an der Folter werde ich meinen Rachedurst gegen Rodrigo Calderon gestillt sehen. Ihr sagtet, der Herzog von Lerma sey Euer Verwandter; so seyd Ihr denn ebenso auch verwandt mit seinem Sohn, dem Herzog von Uzeda. Wendet Euch nicht an Lerma. Er ist Calderons Werkzeug. Wendet Euch an Uzeda; er ist Calderons Todfeind. Während Calderon bei dem Prinzen Boden gewinnt, macht Uzeda Fortschritte beim König. Uzeda kann Dir mit einem Wort die Freiheit verschaffen. Der Herzog kennt mich und vertraut mir. Willst Du mir Auftrag geben, ihn mit Deiner Verhaftung bekannt zu machen und ihn um seine Verwendung bei Philipp zu bitten?«
»Ihr gebt mir neues Leben. Aber keine Stunde ist zu verlieren; diese Nacht – diesen Tag – oh, barmherzige Mutter! welches Bild habt Ihr heraufbeschworen! Fliegt zu Uzeda, wenn Ihr meine Vernunft retten wollt! Ich selbst habe ihn kaum mehr gesehen seit meinen Knabenjahren – Lerma verbot mir, seine Freundschaft zu suchen. Aber ich bin von seinem Stamm – seinem Blut.«
»Seyd getrost – ich werde den Herzog heute sehen. Ich habe Geschäfte mit ihm, wovon Ihr nichts ahnt. Wir bringen seltsame Dinge zu einer Entscheidung. Hofft das Beste!«
Damit verabschiedete sich der Gouverneur.
Mit der Abenddämmerung stand Don Juan de la Nuza, in einen dunkeln Mantel gehüllt, vor einer kleinen Thüre, welche tief in einer massiven, düstern Mauer angebracht war, die sich auf der einen Seite einer öden und gemiedenen Straße hinzog. Ohne die Spur eines lebendigen Menschen that sich auf sein Pochen die Thüre auf und der Gouverneur trat in einen langen und schmalen Gang, in Zimmer führend, welche schauerlichere Empfindungen erweckten, als irgend ein Gemach in seinem eigenen Gefängniß. Hier begegnete er plötzlich dem Jesuiten, Fray Louis de Aliaga, dem Beichtiger des Königs.
»Wie geht es dem Großinquisitor?« fragte de la Nuza.
»Er hat so eben sein Leben ausgehaucht,« antwortete der Jesuit. »Seine so plötzliche Krankheit trotzte aller ärztlichen Hülfe. Sandoval y Roxas ist bei den Heiligen.«
Der Gouverneur, der, wie der Leser leicht erräth, der heiligen Körperschaft angehörte, bekreuzte sich und antwortete: »Wem wird wohl als Nachfolger seine Stelle zufallen? Wer wird zuerst das Ohr des Königs gewinnen?«
»Ich weiß nicht,« antwortete der Jesuit; »aber ich bin in diesem Augenblick zu Uzeda berufen worden. Entschuldigt meine Eile.«
Mit diesen Worten schlüpfte Aliaga fort.
»Mit Sandoval y Roxas,« murmelte Don Juan, »stirbt der letzte Beschützer Calderons und Lerma's; wenn nicht anders der schlaue Marquis den König zu bereden weiß, daß er Aliaga, seinen Freund, zu des verstorbenen Kardinals Nachfolger macht. Aber Aliaga sucht Uzeda auf – seinen Feind und Nebenbuhler. Was kann dieß zu bedeuten haben?«
Unter diesem Selbstgespräch setzte der Gouverneur schweigend seinen Weg fort, bis er zu einer Thüre kam, vor welcher zwei Männer mit Masken standen, die ihn mit einer stummen Verbeugung des Kopfes grüßten. Die Thüre öffnete sich und schloß sich wieder, als der Gouverneur eingetreten war.
Inzwischen hatte der Beichtiger den Pallast des Herzogs von Uzeda erreicht. Uzeda war nicht allein; es war bei ihm ein Mann, dessen gelbe Gesichtsfarbe, unvortheilhafte Züge und einfache Kleidung einen seltsamen Kontrast bildeten zu der stattlichen Person und der kostbaren Kleidung des Herzogs. Aber sobald nur dieser Mann den Mund öffnete, so fiel die Vergleichung nicht mehr zu seinem Nachtheil ans. Etwas in dem Funkeln seines tiefliegenden Auges – in der bezaubernden Eigenthümlichkeit seines Lächelns – und vor Allem in dem Ton seiner sehr musikalischen und ernsten Stimme, fesselte sogleich die Aufmerksamkeit an seine Worte. Und was immer diese Worte seyn machten – es trug dieser Mann und seine Denk- und Ausdruckweise das Gepräge eines zugleich schlauen und Achtung gebietenden Geistes. Diese Person war Gaspar de Guzman, damals bloßer Kammerherr des Prinzen (welchen Posten er Calderon verdankte, für dessen Kreatur er galt), nachmals so berühmt in der Geschichte Philipps IV. als Graf von Olivarez und erster Minister Spaniens.
Die Unterredung zwischen Guzman und Uzeda neigte sich eben als der Jesuit eintrat, zum Schluß.
»Ihr seht,« sagte Uzeda, »wenn wir Calderon zermalmen wollen, müssen wir uns auf die Inquisition stützen. Jetzt ist es an der Zeit, in dem Nachfolger von Sandoval y Roxas einen Mann zu wählen, der zum Verderben des Günstlings die Hand bietet. Der Grund, warum ich Aliaga wähle, ist dieser – Calderon wird nie ein Mißtrauen in seine Freundschaft setzen, und wird uns deßwegen auch beim König nicht störend in den Weg treten. Der Jesuit, der die ganze Christenheit um seiner oder seines Ordens Beförderung willen verkaufen würde, wird gern Calderon aufopfern für den Präsidentenstuhl der Inquisition.«
»Ich glaube es,« versetzte Guzman. »Ich billige Eure Wahl; und Ihr könnt Euch auf mich verlassen, daß ich Calderon das Spiel beim Prinzen verderben werde. Ich habe das Mittel gefunden, Philipp zu beherrschen; es besteht darin, daß man ihm nie Grund gibt, seine. Günstlinge zu verachten; daß man seiner Eitelkeit schmeichelt, ohne seine Laster zu theilen. Glaubt mir, Ihr allein, wenn Ihr meinen Räthen folgt, könnt der Minister des vierten Philipps seyn.«
Hier trat ein Page ein, um Don Fray Louis de Aliaga anzumelden.
Uzeda trat zur Thüre vor und empfing den heiligen Mann mit tiefer Ehrfurcht.
»Setzt Euch, mein Vater, und laßt mich sogleich zu der Hauptsache kommen; denn die Zeit drängt und heute Nacht muß Alles abgemacht seyn. Ehe Andere auf den König einen Einfluß ausüben, müssen wir rasch in unserem Sinn die Ernennung von Sandovals Nachfolger durchsetzen.«
»Das Gerücht sagt, der Kardinal-Herzog, Euer Vater, wünsche für sich selbst den erledigten Präsidentenstuhl bei der Inquisition.«
»Mein armer Vater! er ist alt – seine Sonne ist hinunter. Nein, Aliaga; ich habe an einen Mann gedacht, passender für diesen hohen und ernsten Posten: mit Einem Wort, es kommt auf Euch an, ob Ihr die Stelle annehmen wollt. Ich kann Euch zum Groß-Inquisitor Spaniens machen – ich!«
»Mich!« sagte der Jesuit und wandte sein Gesicht weg. »Ihr scherzt mit mir, edler Sohn!«
»Ich rede im Ernst – hört mich an. Wir sind Feinde und Nebenbuhler gewesen – warum sollte aber nicht unser Weg einer und derselbe werden können? Calderon hat Euch um Freunde gebracht, mächtiger als er. Seine Stunde ist gekommen. Des Herzogs von Lerma Sturz ist unvermeidlich; könnte er vermieden werden, so würde ich, sein Sohn, wie Ihr Euch denken könnt, gern dazu die Hand bieten. Aber die Geschäfte ermüden ihn – er ist alt – die Angelegenheiten Spaniens sind in einem kläglichen Zustand – sie bedürfen jüngerer und kräftigerer Hände. Mein Vater wird sich nicht grämen über eine Zurückgezogenheit, welche seinen Jahren gemäß ist, und welche ehrenvoll seyn wird für seine grauen Haare. Aber irgend ein Opfer muß die Wuth des Volkes sättigen; dieß Opfer muß der Emporkömmling Calderon seyn, und das Mittel seiner Strafe – die Inquisition. Jetzt versteht Ihr mich. Unter Einer Bedingung sollt Ihr Sandovals Nachfolger werden. Wißt, daß ich nichts verspreche, was ich nicht Macht habe zu erfüllen. Im Augenblick, wo ich sichere Kunde von des verstorbenen Kardinals Tod erhielt, eilte ich zu dem König. Ich habe das Versprechen der Ernennung; und noch diese Nacht soll Euer Name, wenn Ihr die Bedingung eingeht und nicht Calderon inzwischen den König steht und die Ernennung hintertreibt, die königliche Bestätigung erhalten.«
»Unser trefflicher Aliaga kann sich nicht bedenken,« sagte Don Gaspar de Guzmann. »Der Orden Loyola's ruht auf Schultern, welche die Last wohl tragen können.«
Ehe das Kleeblatt schied, ward der Vertrag vollständig abgeschlossen. Aliaga übte gegen seinen Freund die Lehre, die er ihm gepredigt hatte: daß der Zweck jedes Mittel heiligt. Kaum war Aliaga weg, als Juan de la Nuza eintrat; denn Uzeda, welcher die Inquisition zum Hauptwerkzeug seiner Macht zu machen suchte, bewarb sich um die Freundschaft aller dabei Angestellten. Er versprach gerne, die Freilassung Fonseca's zu bewirken; und wirklich war kaum Mitternacht vorüber, als im Gefängniß ein Befehl zur Freigebung Don Martin Fonseca's eintraf, begleitet mit einem Schreiben des Herzogs an den Gefangenen, voll zärtlicher Betheurungen und mit der Bitte, ihn am folgenden Morgen zu sprechen.
So spät es auch war und so dringende Gegenvorstellungen der Gouverneur machte, welcher ihn diese Nacht im Gefängniß zurückzuhalten wünschte, in der Hoffnung ihm noch sein Geheimniß zu entlocken: bestand doch Fonseca, sobald der Befehl anlangte, auf seiner Befreiung und erhielt sie.