Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Als die Sonne feierte

Die Menschen«, so erzählte eines Abends der alte Ulebuhle, »waren einmal wieder mit sich, mit Gott und der Welt unzufrieden. ›Ach‹, sagten sie, ›es ist ein Kreuz. Das Leben ist viel Arbeit und wenig Vergnügen. Es müßte umgekehrt sein, und kurz und gut, wir wollen nun endlich einmal eine schöne Weile ausruhen!‹

Da ließen sie alles stehen und liegen und sagten: Feierabend! Alle Räder standen still, und keine Esse rauchte mehr. Die Häuser ragten halbfertig mit großen Gerüsten in den Himmel hinein, die Schneider rührten keine Nadel mehr an, die Schuster drehten keinen Pechdraht mehr und klopften kein Leder, die Kaufleute schlossen ihre Läden, die Bergleute fuhren nicht mehr zur Grube, und kein Fischer warf mehr Netze aus. Am meisten freuten sich die Ochsen und die Kälber. Sie brummten und blökten vergnügt in die Welt hinein, denn niemand wollte ihnen mehr das Fell über die Ohren ziehen.

Die Bauern draußen auf dem Lande, Hinz und Kunz und Jochen Päsel, kamen im Kruge zusammen, rückten ihre Zipfelmützen von einem Ohr auf das andere und sagten: Ja, wenn die Lüt in de Stadt nischt mehr duhn wat wulln wie da noch dat Feld bestelln, da duhn 145 wie ook nischt mehr!‹ Und so ruhten Pflug und Egge, Sense und Dreschflegel. ›Macht, wie ihr wollt‹, meinten die Städter. ›Wir haben noch alle Speicher bis an die Decke voll Korn und alle Keller voll Kartoffeln, wir brauchen vorläufig eure Feldfrüchte nicht!‹

Die Sonne stand droben im Blauen und machte verwunderte Augen ob all der sonderbaren Geschehnisse auf Erden.

›Ja‹, sagte der alte Mond zu ihr und rauchte noch eine Wolkenpfeife an, ›der Teufel ist in die Menschen gefahren. Ich habe schon manches Jahrhundert lang den Erdball umwandert, ich habe schon viele verrückte Geschichten auf Erden mitangesehen, aber so toll waren sie bisher noch nicht. Ich glaube, es nimmt ein schlechtes Ende mit den Menschen, denn die Arbeit hält doch alles in Ordnung beieinander, aber wenn sie nun nicht eine Hand mehr rühren wollen, werden sie bald ganz zugrunde gehen.‹

Als nun aber auch die Bauern die Felder nicht mehr bestellten, Hinz und Kunz und Jochen Päsel den ganzen Tag im Kruge saßen, Karten spielten und Kümmel mit Rum tranken, da wurde es Frau Sonne zu viel. ›Ja, wozu scheine ich denn noch‹, rief sie eines Tages unwillig aus. ›Wenn ich keine Saaten mehr zu reifen habe und euch nicht mehr bei der Arbeit zu leuchten brauche, so hat es keinen Zweck, denn faulenzen könnt ihr auch im Dunkeln, und wenn die Sonne auf die faule Bärenhaut scheint, dann ist das nur ungemütlich. Also besinnt euch und arbeitet wieder, sonst mache ich selbst Feiertag!‹

›Laß uns in Ruhe, Frau Sonne‹, brummten die Menschen, ›mach, was du willst, wir machen es auch!‹

Da ging die Sonne am Abend mit zornrotem Gesicht unter und kam am nächsten Morgen nicht wieder. Sie feierte!

›Die Sonne ist wirklich fortgeblieben‹, meinten die Menschen, und manche machten doch bedenkliche Gesichter. ›Nun wird es kalt werden‹, sagten sie, ›und rabenschwarze Nacht wird es auch am Tage sein.‹ ›Nachts wird es helle‹, schrien die anderen, ›da scheint der gute alte Mond!‹

Aber als es Nacht war, blieb es stockdunkel, und auch der Mond schien zu feiern. Da gingen die Menschen zu den berühmtesten und gelehrtesten Sternkundigen und fragten, warum der Mond nicht scheine.

›Ja‹, meinten die, ›er kann nicht, denn wenn die Sonne nicht mehr ihr Licht aussendet, so scheint auch der Mond nicht, denn er wird ja von der Sonne erleuchtet und strahlt nur das Sonnenlicht wider.‹ 146

›Gut‹, schimpften die Menschen, ›so soll er es lassen. Dann beleuchten wir die Städte mit unseren elektrischen Lampen und heizen mit Elektrizität.‹ Da heizten sie ihre Kessel mit Steinkohlen, setzten ihre mächtigen Dampfmaschinen in Gang und machten elektrischen Strom, der durch hunderttausend Lampen ging und Haus und Stadt erhellte. Aus den Steinkohlen machten sie auch Gas. Sie erhitzten sie in großen Kesseln, so daß das Gas aus ihnen entwich, leiteten es durch Röhren in alle Häuser und brannten es an. Da konnten sie sich an Gasöfen wärmen und auf Gasöfen kochen, und sie lachten über die Sonne.

Eines Tages aber waren die Steinkohlen aufgebraucht, und da die Bergleute nicht für die anderen arbeiten wollten, sondern auch ihren Feiertag zu machen wünschten, hörte das Wasser in den Kesseln auf zu kochen, und die Maschinen standen still. Da gab es auch kein Gas, kein Licht und keine Wärme mehr, und die Leute murrten.

Die anderen aber sagten: ›Nur nicht verzagt, wir werden auch ohne die Sonne fertig! Haben wir keine Steinkohlen mehr, um unsere Maschinen zu treiben, so nehmen wir die Kräfte des Wassers zu Hilfe. Das Wasser strömt in tausenden Wasserfällen von den Höhen herab, da bauen wir mächtige Wasserräder und Turbinen, die dreht das herabstürzende Wasser, und sie drehen uns unsere elektrischen Maschinen. Da haben wir wieder Licht und elektrische Wärme!‹

Als die Menschen aber zu den Wasserfällen kamen, da floß kein Tropfen mehr hernieder. Nicht, als ob das Wasser eingefroren war, nein, es war überhaupt keines mehr in den Wasserfällen. Da gingen sie zu den Gelehrten und sagten: ›Erklärt uns, wie es kommt, daß die Wasserfälle versiegt sind.‹

›Ja‹, sagten die weisen Räte, ›das ist ganz einfach! Die Wasserfälle kommen von den Bergen herab, weil die Sonne hoch droben den Schnee und das Eis schmilzt und wieder zu Wasser macht. Da die Sonne nicht mehr scheint, so schmilzt auch das Eis und der Schnee nicht mehr, und so kann es auch keine Wasserfälle geben. Auch der Regen, der in den Bergen niedergeht, rauscht in den Wasserfällen zu Tal. Da aber die Sonne kein Wasser mehr aus Flüssen und Meeren verdunstet, so steigt auch kein Wasserdunst mehr empor zu den Wolken, es entstehen keine Regenwolken mehr, und so gibt es auch keinen Regen und keine Wasserfälle! Das alles hat die Sonne durch ihre Wärme in Gang gebracht, aber nun, wo sie feiert, ist es aus damit.‹ 147

›Es sollte doch mit dem Teufel zugehen‹, meinten die Menschen, ›wenn wir uns von der Sonne unterkriegen lassen würden! Wißt ihr, was wir jetzt machen? Wir benutzen den Wind. Der Wind treibt uns große Windmühlen, und mit ihrer Kraft drehen wir unsere Räder und elektrischen Maschinen. Auf, laßt uns große Windmühlen bauen.‹

›Ach du lieber Gott‹, meinten ärgerlich die Zimmerleute und die Schmiede, ›da geht ja die Arbeiterei schon wieder los!‹

Aber die anderen entgegneten, das müßte nur kurze Zeit so sein, und wenn die Windmühlen erst fertig wären, könnten wieder alle feiern.

Da bauten sie denn bei Tag und Nacht mächtige Windmühlenflügel und große Triebwerke und froren jämmerlich dabei, denn es wurde immer kälter auf Erden. Endlich aber war auch dieses Werk getan, und nun brauchte nur noch Wind zu wehen, dann drehten sich die großen Flügel, drehten sich mit ihnen die mächtigen Räder und elektrischen Maschinen, und dann gab es wieder elektrische Kraft und Licht und Wärme. Aber sie warteten und warteten, doch es kam kein Wind. Kein Blättchen regte sich, kein Staubkörnchen wirbelte auf.

Da gingen die Menschen wieder zu den Gelehrten und sagten: ›Nun erklärt uns, wann endlich einmal Wind wehen wird!‹

Die Weisen aber seufzten schwer und rückten an ihren großen Brillen, und endlich sagten sie: ›Es wird überhaupt kein Wind mehr wehen, solange die Sonne nicht scheint, denn die Sonne ist es, die den Wind und den Sturm macht. Sie erwärmt an manchen Gegenden die Luft mehr als an anderen. Da steigt die warme Luft empor, fließt von einem Erdort zum anderen, und dieses Strömen der Luft, das ist der Wind. Wenn die Luftmassen schnell dahinströmen, dann ist es Sturm, und wenn sie langsam ziehen, dann säuselt es nur so ein wenig in den Zweigen. Da nun die Sonne die Luft nicht mehr erwärmt, so strömt sie auch nicht mehr, und ihr habt eure Windmühlen umsonst gebaut.‹

Da schimpften die Menschen von früh bis abends und fuhren sich gegenseitig in ihrer Wut in die Haare, aber davon wollten die Windmühlen sich auch nicht drehen. ›Ihr müßt wieder hinabsteigen in die Gruben und neue Kohlen aus dem Gestein herausschlagen‹, riefen die Leute den Bergarbeitern zu, aber diese weigerten sich, denn sie wollten nicht schaffen, wenn die anderen feierten. ›Wir aber wollen nicht erfrieren!‹ brüllten die Menschen, und so gab es überall Aufruhr und Streit und blutige Köpfe. Die Leute holzten alle Wälder ab, um das 148 Holz zu verbrennen und sich eine warme Suppe und eine warme Stube zu machen, aber viele erfroren bei dieser Arbeit im Freien.

Es wurde immer kälter und kälter auf Erden, und es war ein Leben wie am Nordpol. Die Tiere des Waldes verendeten vor Kälte, die Vögel fielen erfroren aus der Luft herunter, ihr Blut war zu Eis erstarrt. Der Erdboden war bis in die Tiefen hinein gefroren und fest wie ein Felsen, kein Pflug konnte ihn durchdringen. Tiefe, schaurige Dunkelheit lag über der Welt, nur die fernen Sterne glitzerten aus der eiskalten Höhe auf die unglückliche, von der Sonne verlassene Erde.

Es wurde immer jammervoller mit den Menschen. ›Wir wollen wieder arbeiten‹, schrien sie, ›wir wollen wieder Licht und Wärme, Wolken und Wind, grüne Wälder und wogende Kornfelder, Vogelsang und Blumenduft, wir wollen die Sonne wieder haben im Blauen, die Sonne, welche die Menschen so froh macht und glücklich und reich!‹

Die Anführer aber, die all das Unglück angezettelt, alle Maschinen angehalten, alle Arme gelähmt hatten, die sich gegen die Sonne verschworen, widersetzten sich der Menge, denn sie hatten noch Kohlen und viele gute Dinge für sich heimlich in Sicherheit gebracht und lebten herrlich und in Freuden in einer verborgenen Klause fern im Walde.

Eines Tages aber ertrugen es die Menschen nicht länger. In ungeheuren Scharen zogen sie durch die tiefe Finsternis hinaus zu den Verschwörern, griffen sie und erschlugen sie auf der Stelle.

›Arbeiten wollen wir wieder, und die Sonne soll wieder scheinen‹, so tönte ihr Rufen mächtig durch das Land.

Als die Sonne das hörte, da erkannte sie, daß die Menschen wieder vernünftig geworden waren, und mit heiterem Strahlenlächeln stieg sie in blendender Helle über dem Horizont empor und hüllte die Welt in ihren wärmenden Mantel.

Die Menschen standen, geblendet von der Helle, unzählbar an Masse, draußen und erwärmten die zitternden Glieder. Neues Leben huschte über die bleichen Gesichter. Und tausend Wunder vollbrachten die Sonnenstrahlen, Wunder, auf die die Menschen früher gar nicht geachtet hatten. Sie lösten alle Quellen aus den Banden des Eises, so daß sie murmelnd dahinsprangen, sie tauten Seen und Flüsse auf, ließen die Wellen des Meeres wieder ungehindert dahinrauschen, und Schiffer und Fischer gingen ans Werk. Die Sonne erwärmte die Luftschichten, trieb sie durcheinander, der Wind wehte wieder, die 149 Mühlenflügel drehten sich wieder lustig im Kreise. Da wachten die Wasserfälle auf, denn hoch von den Bergen kamen die Schmelzwasser nieder. Windmüller und Wassermüller rauchten wieder ihre Pfeifen und mahlten fröhlich ihr Mehl, und Hinz und Kunz zogen tiefe Furchen mit dem Pflug in die erwärmte dampfende Ackerscholle. Die Bäume setzten neue Knospen an, die Vögel, die die schwere Zeit überlebt hatten, kamen aus ihren Verstecken hervor, jubilierten in der Luft, und droben, zwischen den Wolken, zog der Mond, der alte Kunde, mit pfiffigem Gesicht.

Frau Sonne aber lächelte mit runden Backen herab wie eine gute, sorgende Mutter.

Da fielen die Leute nieder auf die Knie und sangen der Sonne ein Loblied, denn ihr Trotz war verflogen. Der alte Mond aber rauchte sich eine neue Wolkenpfeife an und sagte nachdenklich: Ja ja! Arbeit macht des Lebens Lauf noch einmal so munter, froher geht die Sonne auf, froher geht sie unter!‹« 150



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