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»Es ist ein Fest beim König gewesen!« erzählte Toko, der immer alles weiß.
»Weshalb?«
»Wegen einer Jungfraueinweihung. Die letzte seiner Töchter hat einen Rock bekommen. Sie ist gestern aus dem FrauenhausSiehe Anm. [22] S. 85. – Anmerkung des Herausgebers. gekommen, nachdem die Tätowierung fertig und ihre Zähne gebräunt sind. Sie heißt Ali, und heute abend wird sie uns anderen zugeführt.
Kurz vor Sonnenuntergang sind wir alle in erwartungsvollem Schweigen ums Feuer versammelt.
Wir denken an die neue Jungfrau, die uns jetzt gehören soll. Wir putzen unser Gefieder, richten unsere Rücken höher auf und betrachten uns gegenseitig mit Mißtrauen. Jeder sucht sich soviel Platz zu erobern, daß neben ihm noch Raum bleibt.
Die Frauen sind mißvergnügt. Sie machen ein saures Gesicht, und einige sehen sogar ängstlich und bekümmert aus.
Da leuchtet es oben zwischen den letzten Hütten von einer blanken, reinen, hellbraunen Haut, und die Abendsonne wirft ihre violetten Schattenflächen über eine hohe, zarte Brust.
Im selben Augenblick erkenne ich sie wieder. Das ist ja das kleine, blanke Ding, das mich bei meiner ersten Audienz von der Tür aus anstarrte und die von ihrer Mutter fortgepufft wurde, weil sie mir zunickte und lachte, als ich ihr zunickte.
Sie nähert sich jetzt mit den Händen auf dem Rücken, den Kopf verlegen auf die Seite gelegt, zwischen Wahuja, der seine Brille aufhat, und einer älteren Dame, ihrer Mutter. Das Lendentuch, das ihr so ungewohnt ist, behindert sie im Gehen und macht die Bewegungen ihrer Beine unfrei.
Indem sie näher kommt und sieht, wie aller Augen an ihr hängen, verzieht sie den weichen, noch ausdruckslosen Mund zu einem absichtlichen Lächeln, das ihren jungfräulichen Schmuck, die herrlich braunen Zähne, zeigen soll.
»Ai – Ai!« klingt es bewundernd von uns Männern, die Frauen aber rücken neidisch hin und her.
Sie hat die schönste Kopfform, die man sich vorstellen kann – ein vollendetes Oval, das oben von der Bogenlinie des Scheitels abgegrenzt wird. Das Haar ist ganz kurz geschnitten und liegt in unzähligen kleinen, krausen, dunklen Locken an den Schläfen.
Die Ohren sind klein und rund und schließen fest an den Kopf an. Die Augenbrauen liegen in einem feinen, hellen Bogen über den frischen, blanken Augen, die vor Freude und Erwartung über das Leben, das sie jetzt beginnen soll, blitzen.
Um den Hals trägt sie zwei Ketten von den kleinen weißen Muscheln, die sonst als Geld gebraucht werden. Und außerdem einen großen, weißen, zirkelrunden Schmuck – ich kann nicht erkennen, aus welchem Stoff er ist – mit Figuren bemalt.
Sie ist schön; sie würde es sein, wo sie auch hinkäme. Merkwürdig ist es, daß auch aus den Augen der Eingeborenen eine unbedingte Anerkennung ihrer Schönheit leuchtet, obgleich ihr Geschmack sonst nicht mit dem der Europäer übereinstimmt.
Sie ist so froh über die Huldigung, die ihr entgegenwogt, daß sie sich nicht mehr damit begnügt, die Zähne zu zeigen. Es gluckst ihr in der Kehle von kleinen Lachblasen, während sie uns mit unschuldigen Augen mustert.
Wir sind nach und nach alle aufgestanden und schließen einen Kreis um sie. Der eine nestelt an ihrem Halsschmuck, der andere befühlt ihre runden Arme und bewundert ihre Festigkeit.
»Ai – Ai!« erklingt es ununterbrochen, und jedesmal, wenn einer seiner Bewunderung Luft macht, zeigt Ali ihre Zähne, die sie selbst für ihren größten Schmuck hält.
Kuda streicht ihr mit seiner flachen Hand über den Rücken, um zu fühlen, wie glatt er ist; und eine der Frauen zupft an ihrem Rock und bewundert seine Güte.
Und als Ali, die sich von dem engen Rock belästigt fühlt – sie ist ja gewohnt, ganz nackt zu gehen – eine heftige Bewegung macht, um ihn abzureißen, wird sie von einem schallenden Gelächter begrüßt, in das sie selbst mit einstimmt, während die Mutter ihr einen Klaps auf die Finger gibt und den Rock wieder zurechtzieht.
Je mehr ich sie betrachte, desto schöner finde ich sie. Winawa ist alt und häßlich im Vergleich mit ihr. Sie, die mir seit dem Abend mit dem fliegenden Hund nicht wohlgesinnt war und offenbar nur bei mir bleibt, bis sie sich einen anderen gesichert hat – sie fühlt selbst, wie sie den Kürzeren zieht, und faucht wie eine Katze, die sich zum Angriff bereitet.
Alis funkelnde Augen bleiben auf mir haften. Sie werden größer und größer, und der Mund bleibt ihr vor Staunen offenstehen. Sie hat mein Gesicht wiedererkannt; damals aber war es rot und komisch. Und wo ist das weiße Lendentuch geblieben, das ich über den ganzen Körper trug? Jetzt erblickt sie ja eine anständige braune Mahurahaut und das schönste rote Lendentuch, das man sich wünschen kann.
Ihr Interesse für meine Person erweckt Aufsehen und Mißvergnügen.
Kuda schiebt sich zwischen sie und mich, damit sie ihn statt meiner sehen soll; sie aber macht einen Schritt zur Seite, und als das nichts hilft, schubst sie ihn mit der Hand fort.
Schließlich kann sie nicht länger an sich halten. Sie tritt zu mir und sagt: »Bist du der rote Mann, der mir beim König zunickte?«
»Ja!« sage ich und bin stolz über die Auszeichnung, die mir zuteil wird.
Dann betrachtet sie mich vorsichtig von Kopf bis zu Fuß, streckt den Arm aus und berührt vorsichtig mit ihrem Zeigefinger meine Schulter.
»Hast du eine neue Haut bekommen?« fragt sie erstaunt.
»Das ist braune Erde!« beeilen meine Kameraden sich sie aufzuklären und legen soviel Hohn in ihre Worte, wie die Furcht vor der heimlichen Macht meiner Büchse, die Tongu in Verwahrung hat, es ihnen erlaubt.
»Ai – Ai!« sagt sie und tritt mit einem unsicheren Lächeln zurück. Ich mache mich so verlockend wie möglich, spanne meine Muskeln, lasse meine kräftige Stimme mit einigen europäischen Gesangstrophen ertönen, was Eindruck auf Eingeborene zu machen pflegt, wie ich aus Erfahrung weiß.
Obgleich die anderen mich sofort mit ihren jodelnden Kehllauten übertönen, hört sie doch nur mich; und ich sehe jeden Augenblick ihre blanken Augen auf mich gerichtet. Meine persönlichen Vorzüge machen mich übermütig; ich bin fest entschlossen sie zu gewinnen und wünsche nur, daß ich meine Büchse hier hätte, um sie vorzuzeigen. Statt dessen führe ich eine Kunst vor, in der ich Meister bin und die keiner der Eingeborenen mir nachmachen kann.
Ich schlage vor ihren Augen im Sand etliche Purzelbäume.
Zuerst erschrickt sie; als ich dann aber wieder aufrecht und lachend vor ihr stehe, ruft sie Ai – Ai und hat keinen Blick mehr für die anderen übrig.
Das Tarobrot und die Brotfrüchte sind jetzt geröstet. Die Mädchen suchen die kleinen BlattpäckchenDie gestoßene oder geschabte Tarowurzel wird mit geriebener Kokosnuß vermischt, zu Brot geformt und, in Blätter eingewickelt, zwischen glühenden Steinen geröstet. aus der Asche und den glühenden Steinen hervor. Jeder bekommt seinen Anteil.
Keiner aber will sich zuerst setzen. Alle drängen sich um Ali, so dicht sie es nur können und wagen. Denn jetzt kommt der feierliche Augenblick, dessen Bedeutung ihre Mutter ihr schon vorher eingeprägt hat.
Sie weiß, daß sie sich neben den setzen soll, auf dessen Matte sie am liebsten schlafen will.
Mit Rücksicht darauf, daß sie die Tochter des Königs ist, wenn auch nur zweiten Ranges, denn die erste Königin ist nicht ihre Mutter, warten sowohl Wahuja wie die ältere Dame mit Interesse den Ausfall ihrer Wahl ab. Ich verstehe mich genügend auf Frauen, um zu wissen, daß ich mich zurückhalten muß.
Und ganz richtig. Zuerst stutzt sie und sieht mich halb gekränkt und halb überrascht an, daß ich der einzige bin, der sich nicht um sie drängt. Da ich ihr aber noch immer lächelnd ins Auge blicke und ihr zunicke, wie damals beim König, da versteht sie. Sie nickt wieder wie damals, und ich kann ihr ansehen, daß sie sich der Szene von damals erinnert und sich ihrer Würde bewußt ist; denn jetzt soll ihre Mutter es nur wagen, sie im Nacken zu fassen und fortzuschubsen.
Sie stößt die, die zwischen uns stehen, beiseite. Im nächsten Augenblick sitzt sie neben mir und lehnt sich sogar vertraulich an meine Schulter.
Wahuja scheint ihre Wahl zu billigen. Wahrscheinlich wird er mir nachher einbilden wollen, daß ich sie seinem Einfluß zu verdanken habe, um sich dadurch einen Rum zu verdienen.
Nachdem die Sache endlich entschieden ist, beruhigen die anderen sich mit einem resignierten Seufzer. Nichts mehr zu machen.
Winawa aber ist trotz der Kälte, die sie mit in den letzten Wochen gezeigt hat, tief gekränkt. Sie faucht mit halbgeöffnetem Mund; dann faßt sie einen raschen Entschluß, pflanzt sich dicht neben Toko auf, und indem sie verstohlen zu mir hinblickt, um die Wirkung zu beobachten, legt sie kurz entschlossen ihre Hand um seinen Nacken. Das soll bedeuten, daß sie mich um des willen verschmäht, der allgemein als mein Diener betrachtet wird.
Toko rückt unruhig hin und her. Nicht, daß Winawa nicht nach seinem Geschmack wäre. Im Gegenteil! Aber er will mich nicht erzürnen. Er sieht mich fragend an. Ich lächele und nicke, und darauf ist er sofort bereit; Winawa aber ist enttäuscht und behandelt ihn weniger liebevoll.
Die Nacht, die folgte, wie soll ich sie beschreiben!
Sie war wunderbar, rührend, komisch, ausgelassen, ernst, tränenvoll, strahlend, keusch und sinnlich – alles durcheinander. Aber wunderbar.
Ich will mich damit begnügen, den Anfang zu erzählen.
Als ich auf dem Wege zum Gemeinschaftshause, wo sie nun zum erstenmal auf der Matte eines Mannes schlafen sollte, um sie zu erfreuen, die prachtvolle Tätowierung auf ihrem Leib bewunderte – eine flammende Sonne um den Nabel, der zu einem Auge gemalt war – da antwortete sie strahlend vor Glückseligkeit über ihre neue, erwachsene Herrlichkeit, daß das noch gar nichts sei. Nein – hier solle ich sehen!
Und ohne eine Spur von Schamgefühl, mit derselben Freude, mit der eine europäische Konfirmandin einem guten Freunde ihr neues Kleid zeigen würde, riß sie ihr Lendentuch ab und ließ mich das prachtvolle Zickzackmuster sehen, das sie umspannte und sich zu kunstvollen Zirkelfiguren auf – ja, rein heraus, auf ihrem Hinterteil vereinigte.
Sie war sehr stolz darauf und strich bewundernd mit der Hand über das Muster. Ich merkte wohl, daß sie eine viel stärkere Bewunderung erwartete, als meine Verblüfftheit mir zuließ.
So fing diese wunderbare Nacht an, die uns beiden wildfremden Menschen, den neun Jahrhunderten der sogenannten Zivilisation zum Trotz, fürs ganze Leben zusammenband.
Für ihr ganzes Leben.