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Tongu hatte mir häufig von »den Steinen unserer Väter« im westlichen Walde erzählt. Darum beschlossen wir, am folgenden Tage mit Sonnenaufgang einen Ausflug dorthin zu machen. Toko sagte, daß ein Wald von Brotfruchtbäumen in der Nähe sei, der von »fliegenden Hunden« wimmele. Diese wollte ich bei selber Gelegenheit jagen.
Abends machte Toko seinen Bogen in Ordnung. Ich reinigte meine Büchse. Tongu sah das Kanu nach und versah es auf alle Fälle mit Kokos, Bananen und Yamsbrot.
Toko war der erste, der erwachte und mit Geheul in die Höhe fuhr. Er muß sich hin und wieder durch unartikulierte Laute Luft verschaffen, sonst wird er schwerfällig und schlaff und schwül wie ein Gewitter, bevor der erste Blitz niedergeht.
Der östliche Himmel war wie eine ungeheure Perlmuttermuschel mit silbernen Flecken darin. Die Flecken wurden nach und nach rot und verwandelten sich schließlich ganz unten am Horizont zu goldenen Pünktchen. Plötzlich glühte der äußerste Rand der Sonnenkugel aus dem Wasser hervor und färbte den ganzen Spiegel rot, während das Perlmutter sich zu lichten, roten Flocken zusammenballte. Als die glühende Kugel zur Hälfte da war, wurden die Flocken plötzlich auf eine eigene Weise von dem tiefen Blau aufgesogen. Man kann den Sonnenaufgang wieder und wieder sehen, seit mehr als zwanzig Jahren habe ich ihn auf den Inseln genossen, und wird des Anblickes doch nie müde.
Es wehte ein kühles Lüftchen aus Nordost, obgleich wir bereits im Anfang vom April waren und gerade vor der Zeit der Windstille beim Monsumwechsel standen. Als die Sonne aber ganz aufgegangen war, verschlang sie die Brise.
Nachdem wir uns den Schlaf aus den Augen gerieben hatten, konnte Toko nicht länger an sich halten. Er rannte mit ein paar Sätzen über den Hof, daß Tongus Hühner flügelschlagend nach allen Seiten stoben, umfaßte zwei Pfähle und schwang sich mit Triumphgeschrei rückwärts über Tongus Rohrzaun.
Tongu stürzte wütend durch die Zauntür, vor der Toko in dem weißen Sand stand, die Hände auf die Knie stützte und ihn auslachte. Er hat das Kunststück schon mal gemacht; Tongu aber faßt es wie eine Beleidigung auf, »als ob sein Zaun nicht hoch genug sei«. Tongu beugte sich herab, raffte mit beiden Händen Sand zusammen und wollte Tokos Augen treffen; Toko aber war bereits halbwegs unten am Strand und ließ nur noch seinen Rücken sehen.
»Warum willst du dich über den tollen Burschen ärgern«, sagte ich; und nachdem Tongu alles Böse auf Tokos noch ungeborene Kinder herabgewünscht hatte, wurde er wieder gut und fing an zu flöten.
Toko war bereits im Kanu, das er so weit auf den Korallengrund hinausgeschaukelt hatte, bis der SchwimmkielDa das Kanu schmal ist und darum leicht umkippen würde, ist es an der einen Reeling mit zwei Stangen versehen, die es mit einem Schwimmbalken verbinden, der mit dem Kanu parallel läuft und es im Gleichgewicht hält. festlag. Er trampelte ungeduldig aus dem Boden herum und schwang beide Ruder über seinem Kopf, um seine überflüssigen Kräfte wenigstens zu etwas zu gebrauchen.
Tongu und ich wateten zu dem jungen Blut hinaus. Obgleich er den gesetzten, backenbärtigenBackenbart ist das Zeichen der Würde auf den Inseln und wird in dieser Bedeutung auch gebraucht, wo kein Bart ist, z. B. bei Frauen. Tongu von Morgen bis Abend reizt, kann auch er sein vergnügtes Gesicht mit den warmen Hundeaugen nicht entbehren.
Es ist verflucht wenig Platz in so einem Kanu. Ich sitze vorn mit dem Schieber zwischen den Armen und habe meine Knie bis ans Kinn hinaufgezogen. Dann kommen Tongu und Toko mit je einem Ruder, in derselben zusammengezogenen Stellung wie ich.
So gleiten wir in das flache BinnenwasserDie Lagune innerhalb der Ringklippe, zwischen dieser und der Küste. – Anmerkung des Herausgebers. hinaus, das von dem toten, weißen Korallengrund hellblau gefärbt wird.
Toko läßt sich an seinem Ruder nicht genügen. Er schmettert und jodelt, so daß es in seiner Kehle bebt, er wirft den Kopf in den Nacken, genau wie ein Singvogel. Er schwatzt sinnloses Zeug, sitzt in der Morgensonne und lacht aus vollem Halse.
Es dauert nicht lange, da sang ich mit. Einen alten, europäischen Liederrefrain, dessen ich mich gar nicht mehr zu erinnern glaubte. Tongu konnte schließlich auch nicht widerstehen. Das beschleunigte unsere Fahrt; wir schossen so schnell dahin, daß das Wasser über den Schwimmkiel schäumte.
Draußen auf der Klippe lärmte die Brandung. Hin und wieder wurde die rote, lebende Korallmasse bloßgelegt. Es sah aus, als würde eine ungeheure blutige Wunde mit Seifenschaum ausgewaschen.
Seevögel flogen schreiend und flügelschlagend über die Wunde, und Strandläufer strichen im niedrigen Flug über das Binnenwasser.
Es war ein gesegneter Morgen. Der Himmel schimmerte wie das reinste Feuer eines einzigen dunkelblauen Diamanten. Die Küste leuchtete so weiß von dem feinen Korallensand, daß es in den Augen schmerzte, obgleich die Sonne noch niedrig stand.
Hinter dem Sand, gleich jenseits des Strandweges, winkten die schlanken, saftiggrünen Bananen-Pisangs mit ihren mächtigen Blättern. Die Luft war so durchsichtig, daß man die Purpurflecke auf den Stämmen und die violette Decke der Fruchtblätter unterscheiden konnte. Die Fruchtbündel waren noch klein und grün.
Die Kokospalmen hoben ihre gelblichen Kronen über den Pisanghain. Die empfindlichen Blätterzipfel zittern in der schimmernden Luft, obgleich es fast windstill ist. Dicht am Stamm leuchteten die rundlichen Kolben mit ihren faserigen Nüssen wie eine kleine gelbe Wolke unter den Blättern hervor. Das ist der Kokoshain des Königs, von dem alle Jungens der Stadt stehlen.
Hinter den Palmen wieder erheben einige alte Brotfruchtbäume ihre wagerechten Äste mit dem mächtigen, dunkelgrünen Laub, zwischen denen die langen Zäpfchen hängen. Die kugelrunden Fruchtblumen, so groß wie Kinderköpfe, sind grün und reif zum Pflücken.
Jetzt kommen wir an der letzten Hütte unserer Stadt vorbei. Unsere Stadt ist die größte auf der Insel und darum Residenz. Die anderen Städte haben allerdings auch je einen König, aber unser König erkennt sie nicht an und behauptet, daß die ganze Insel ihm gehöre.
Längs der Strandlinie zieht sich ein dichtes, dunkles Gehölz hin. Das sind wilde Pisangs; sie sind kleiner als die angepflanzten und drängen sich zwischen mächtigen Pandangbüschen, deren lange, schmale Blätter sich ineinanderfilzen.
Die Küste macht eine Biegung nach Nordost. Noch ein gutes Stück Fahrt, dann können wir schon die gelben Pandangdächer unseres Nachbardorfes zwischen den Bäumen unterscheiden.
Es ist ein wohlhabendes Dorf. Es besteht allerdings nur aus ungefähr zwanzig Hütten, aber sie sind alle gut gedeckt und auf Balken errichtet. Ihre Rohrzäune sind hoch und fast ganz von den fruchtbaren Herzblättern der Yamswurzel, die sich an den Stangen hinaufschlingen, überwachsen.
Die Stadt ist gerade erwacht und fängt an sich zu rühren.
Hinter den Hütten ist ein dichtes Dunkel von niedrigen Tarosträuchern, zwischen denen einige Kinder bereits Verstecken spielen. Als sie uns gewahr werden, stürzen sie an den Strand, um zu glotzen.
Da steht ein Mann vor seiner Hüttentür und reckt sich den Schlaf aus den Gliedern. Sein Weib hockt neben ihm mit einem Kind im Gürtel, das ihre hängende Brust mit beiden Händchen hebt und den Morgentrank herausdrückt.
Einige junge Dinger tollen im Wasser. Sie kreischen wie frohe Papageien und spritzen sich gegenseitig beim Morgenbade das lauwarme Wasser ins Gesicht.
Jeden Augenblick tauchen sie nach etwas, das sie mit Begehrlichkeit verschlingen und sich gegenseitig zu entreißen suchen. Entweder sind es Meerwalzen oder die kleinen hellroten Muscheln, deren Namen ich nicht kenne. Die Eingeborenen nennen sie Muamua und ziehen sie allen anderen Schaltieren vor.
Sie beschatten die Augen mit den Händen und starren zu uns hinüber. Einige machen sich augenscheinlich über uns lustig. Und Toko schreit aus vollem Halse, daß sie sich hüten sollen.
Dort liegt das Kanuhaus der Stadt. Es ist kleiner als unseres und kaum mehr als ein Bambusschuppen, mit einigen lose darüberhängenden Kokosblättern.
Auf dem Giebel ist nur eine flammende Sonne gemalt. Wir haben nicht nur eine Sonne, sondern auch eine sitzende Frau, Frösche, Vögel und eine Kokospalme, und unser Dach ist viel höher und dichter.
Zwei Männer sind damit beschäftigt, den Stamm eines Brotfruchtbaumes mit ihren kleinen Äxten auszuhöhlen. Als sie uns sehen, schwingen sie die Äxte und rufen uns etwas zu. Wir rufen wieder, während die Frauen mit gespreizten Beinen in dem weißen Sand stehen und uns anglotzen.
Toko macht ihnen ein unanständiges Angebot, was er nie den Frauen seiner eigenen Stadt gegenüber gewagt hätte. Sie können gar nicht hören, was er sagt; aber Tongu, der ebenso flachhändig wie backenbärtig ist, schilt ihn dennoch aus.
Jetzt sind wir an ihnen vorbeigeglitten.
Dort – ein Stück von den anderen entfernt – liegt noch eine Hütte mitten in einem Pisanggarten.
Der Mann ist emsig mit den reifen Schußstämmen beschäftigt. Er fällt den einen nach dem anderen mit seiner weißen Axt, die in der Sonne blinkt, wenn er sie schwingt. Die Kinder laufen ihm zwischen den Beinen; wenn der Stamm fallen soll, bringt er sie in Sicherheit.
Der Pisang seufzt im Fallen wie ein lebendes Wesen, was er ja auch ist. Sein Weib pflückt die Bananen von dem gefällten Stamm und wirft die überreifen den Kindern hin, die sich wie kleine hitzige Hunde darum balgen. Darauf spaltet sie den Blattstamm und schabt sorgfältig das Mark heraus. Keiner von ihnen hat Zeit gehabt, uns zu entdecken.
Jetzt ist nichts weiter zu sehen als das wilde, dichte Gehölz, aus dem wir die kleinen grünen Papageien schreien hören können.
Was ist das? – Noch ein Mensch. Ach, es ist ein junges Mädchen. Sie ist ganz nackt, kommt wohl gerade aus dem Wasser. Sie sucht sich lange Gräser zu einem neuen Rock. Sie hat schon ein Bündel davon in der Hand. Jedesmal wenn sie einer Blume ansichtig wird, pflückt sie sie und steckt sie sich mit ihrem schlanken, hellbraunen Arm in das dichte Haar. Sie hat einen prächtigen Körper mit runden, starken Hüften.
Ich kann es bald nicht mehr aushalten. Man ist doch noch jung. Auch Toko streckt den Hals und macht große Augen; und er ist doch daran gewöhnt.