Laurids Bruun
Van Zantens glückliche Zeit
Laurids Bruun

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Sechstes Kapitel

Der Festtanz

Tongu, Toko und ich waren in einer dunklen Nacht mit dem Kanu draußen, um fliegende Fische zu fangen. Das ist die Lieblingsspeise des Königs. Ich hatte beschlossen, ihm eine königliche Abgabe zu zahlen; ich verfolgte damit einen besonderen Zweck.

Während Tongu ruderte, schwangen Toko und ich unsere Kokosfackeln, die an lange Bambusstangen gebunden waren, durch die Luft, so daß der Lichtschein über dem dunklen Wasser hüpfte und tanzte.

Der fliegende Fisch steigt mit stieren Augen dem Lichtschein nach an die Oberfläche. Er hebt sich auf seinen nassen Finnenflügeln, die im Lichte wie Silber glitzern, und rennt geradeswegs in die rauchende, rote Flamme.

Wir sind mit unseren Speeren über sie. Wir stechen sie in der Luft wie Aale, den einen nach dem anderen, so schnell wie wir können. Wir verfehlen nicht einen, aber es sind viel mehr da, als wir nehmen können.

Am Morgen durchstöberte ich meine Schiffskiste von neuem. Ich wählte einen alten Regenschirm und einen Strohhut für Seine Majestät.

Ich zerbrach mir lange den Kopf, um etwas Passendes für den kritischen Wahuja zu finden, der das Ohr des Königs hat und den ich deshalb gebrauchen mußte.

Schließlich fand ich eine Brille aus meiner Jawazeit; sie hatte meinem Onkel gehört. Ich erinnerte mich, daß Wahuja kurzsichtig war; dem »weißen Langohr« die Augen seiner Jugend zurückzugeben, das wollte nicht wenig besagen.

Wir fanden uns am Nachmittage beim Könige ein, alle drei. Toko trug die Steuer in Tongus großem Bastkorb und ich die Geschenke.

Wahuja sah uns, bevor irgendein anderer auf uns aufmerksam wurde. Instinkt. Vielleicht war uns auch das Gerücht von unserem nächtlichen Fang vorausgeeilt.

Er kam von der Veranda herabgeschlichen, ging uns entgegen und zog uns mit sich in den Schatten unter den Pisangbäumen, so daß man uns von oben nicht sehen konnte.

Ich grüßte ihn eingeboren und erzählte ihm von meinem Vorhaben: Königsabgabe.

Er schielte auf den Korb herab und kaute kritisch mit den Kiefern.

Da zog ich die Brille hervor. Ob ich mir erlauben dürfe, ihm die Augen seiner Jugend zurückzugeben. Ich setzte sie auf, um ihm den Gebrauch zu zeigen. Er nahm sie vorsichtig, beschnüffelte sie und fuhr zurück, als er das Glas berührte. »Das ist hart gewordenes Wasser!« sagte ich, um ihm eine Erklärung zu geben.

Er zitterte vor Erregung, als er sie auf die Nase und hinter die Ohren klemmte. Toko und Tongu fühlten sich auch nicht recht wohl bei der Sache; sie zogen sich etwas zurück.

Er guckte mit offenem Mund in die Luft und konnte nichts sehen.

»Nebel!« sagte er und rümpfte mißbilligend die Nase.

Da hielt ich meine Hand vor seine Augen. Er schrak zurück, als er richtig sehen konnte. Und plötzlich verzog er den alten Mund bis an seine beiden behaarten Ohren.

Er machte den Versuch mit einem Pisangblatt, das ihm gerade vor der Nase hing. Derselbe wunderbare Erfolg. Er starrte Tongus Backenbart an. Es war erstaunlich.

»Zauberei!« murmelte er mit feierlicher Miene und löste die Brille ab, wendete sie nach allen Seiten und befühlte das Glas mit ängstlichen Fingern.

Dann wandte er mir sein rechtes Ohr zu, wie er zu tun pflegt, wenn er Audienz gibt.

»Was wünschst du von mir, weißer Mann?« sagte er kläglich und war wieder der durchtriebene Diplomat.

»Mächtiger und weiser Wahuja, du, der du das Ohr des großen Königs hast!« begann ich nach einem Rezept, das Tongu mir gegeben hatte.

»Willst du ein Weib haben?« unterbrach er mich ungeduldig.

Ich vergaß die Vorschrift und erzählte ganz einfach, daß ich ein junger Mann sei ebenso wie die anderen Unverheirateten. Und wie konnte ich mir eine Frau von dem berühmten Stamm der Mahuras kaufen, wenn ich mich nicht wie die anderen erst vorfühlen durfte? Kurz gesagt: ich wollte ebenso wie die anderen im Gemeinschaftshause schlafen. Und da ich jetzt eine ansehnliche Königsabgabe bezahlte, so müsse er – o, Wahuja! – mir den Gefallen tun, des Königs Antlitz für mich zu erhellen und sein Herz zu meinen Gunsten zu erweitern, damit ich, der ich auf dieser glücklichen Insel leben und sterben wollte, mit meinem Nacken unter dem Fuße des großen Königs, dasselbe Recht genießen konnte wie der geringste Mann der Stadt.

Wahuja begann wieder mit seinen Kiefern zu kauen. Er kratzte sich hinter seinen behaarten Ohren, zog alles, was er in seinen großen, geblähten Nasenlöchern finden konnte, heraus und schmatzte mit seinen schmalen, bläulichen Lippen. Sein ganzer Gedankenapparat war bei dieser Sache in Tätigkeit.

Tongu erlaubte sich die ehrerbietige Bemerkung, daß seine Hühner und seine Kokosnüsse Wahuja gehörten und daß sein Haus erbaut sei, damit Wahuja es niederreißen könne, wenn es ihm behagte.

Wahuja winkte ihm ärgerlich ab. Dann begann er zu mir zu sprechen, indem er mit seinen steifen Fingern meinen Anzug betastete.

»Weißer Mann,« sagte er vorwurfsvoll, »weshalb verbirgst du deine Haut mit einem Lendentuch über den ganzen Körper?«

»Das tun alle weißen Männer.«

»Du willst wie einer der Unseren sein und deckst dich zu wie die Schildkröte oder der fliegende Hund. Mußt du die Bürde der Schildkröte tragen? Mußt du deine Nahrung in den Luftbäumen holen wie der fliegende Hund?«

Ich schwieg beschämt.

»Kein anständiger Mahuramann verbirgt seine Haut.«

»Dann werde auch ich meine Decke ablegen, o weiser Wahuja!«

Der alte Diplomat hatte eine so entgegenkommende Antwort nicht erwartet. Sie kam ihm etwas ungelegen.

»Man sagt, daß du rot und kalt auf dem Rücken bist, wie ein Schwein«, sagte er kläglich, nach einem Augenblick des Nachdenkens.

Ich erlaubte mir die bescheidene Bemerkung, daß ich so geboren sei, und hätte ein anständiger Mann nicht das Recht, stolz auf seine Haut zu sein?

Wahuja war taub gegen alle Konsequenz in meinen Erwiderungen.

»Kein anständiger Mahuramann«, höhnte er, »ist rot auf dem Körper. Eine rote Menschenhaut kann nichts Gutes bringen.«

Als er sah, daß ich die Geduld verlor, dachte er an die Brille und fügte fast flüsternd hinzu: »Aber was dein Vater und deine Mutter dir verweigert haben, kannst du ja von der Erde nehmen.«

Ich begriff nicht. Tongu aber war gleich bei der Hand.

»Ich werde dich mit der braunen Erde malen,« sagte er froh, »du sollst schön werden wie ein König.«

Wahuja wandte uns den Rücken. Er hatte gesprochen und wollte von nichts mehr wissen.

Das war ein mageres Resultat. Nein, ich wollte mich wahrhaftig nicht zum Gespött für mich selbst und die ganze braune Stadt malen lassen!

Als der König kurz darauf unsere Herrlichkeiten sah, wurde er wild vor Begeisterung. Er setzte den Strohhut auf den Kopf und spannte den Regenschirm auf, wie ich es ihn lehrte, und hielt ihn während der ganzen Audienz als Schmuck über den Hut. Der Hof gab seinen Beifall laut zu erkennen. Frauen und Kinder in der Türöffnung murmelten mit großen Augen ihr Ai – Ai.

Der König teilte uns mit (wir wußten es, deshalb hatten wir gerade diesen Tag gewählt), daß am Abend ein Festtanz zu Ehren des neuen Bambuszaunes um seinen Kokoshain, der glücklich fertig geworden war, stattfinden sollte, und lud uns alle drei dazu ein.

Wir bekamen Betel und Kokos, und als wir fertig waren, sahen wir Wahuja mit der Brille herangeschlichen kommen, um mit dem König, der mit Strohhut und Regenschirm dasaß und nur mit halbem Ohr zuhörte, Staatsrat zu halten.

Während wir umherschlenderten und auf das Fest warteten, sahen wir die Tänzerinnen, die Arme voll frischer Blumen und mit allem Schmuck, den sie besaßen, aus der Stadt kommen.

Wir begrüßten Winawa, die mich noch in ihrem Herzen trägt und ihre Augenblitze mit den Lidern verbirgt, wenn ich sie ansehe, und die anderen Mädchen von dem Kawaausflug.

Wir folgten ihnen in einigem Abstand und sahen sie hinter dem Königshause verschwinden.

Dort saß die erste Königin auf der Erde und leitete die Toilettenvorbereitungen.

Vor sich hatte sie Kokosschalen mit Farbe. Gelbwurz und Ockererde und anderes, das ich nicht kenne.

Die Mädchen behingen sich mit Hals- und Armketten, steckten Blumen in Haar und Ohren, wendeten und drehten sich voreinander, ordneten hier und nestelten da, plauderten und zankten, schrien auf oder schlugen sich auf die Schenkel vor Ausgelassenheit.

Eine nach der anderen wurde von der Königin vorgenommen, die sie beim Namen rief.

Sie malte sie auf Rücken, Brust und Hals mit sicherer Hand, je nach Stand, Schönheit und Persönlichkeit, während die Mädchen auf die Bewegungen des Kokospinsels herabschielten und die Zähne zeigten oder maulten, je nachdem ihre Wertschätzung ausfiel.

Es kam vor, daß eine oder die andere ganz unehrerbietig schimpfte und mit den Füßen trampelte; die Königin aber ließ sich nicht davon beirren. Wer fertig war, bekam einen Puff in den Rücken. Die Nächste vor.

Ich sah, wie eine sich hinter dem Rücken der Königin die noch nasse Farbe von der Brust abwischte, verschmitzt wie ein Schulmädchen, während eine Freundin sie ihr auf dem Rücken zu einem strahlenden Muster ausrieb.

Mit Milawa, der Einschmeichelnden, die ich für so sanft gehalten hatte, gab es eine wahre Szene. Sie offenbarte sich als eine eitle Person, die nach »Sonne« verlangte. Sie wollte eine Flammensonne auf jeder Brust haben.

Da verlor die Königin die Geduld, sie richtete sich auf den Händen auf und gab Milawa einen Fußtritt auf ihr fleischiges Hinterteil, daß sie taumelte.

Allgemeines Gelächter, während Milawa sich ins Gras warf, schreiend und vor Wut mit den Beinen strampelnd.

Wir standen hinter dem neuen Bambuszaun, der Veranlassung des Festes, und beobachteten das Ganze durch die Stäbe. Als die Königin sich erhob und ihr Werk überblickte, machten wir uns rechtzeitig aus dem Staube.

Nachdem die geladenen, backenbärtigen Bürger, Frauen und Männer sich versammelt und in einem Rundkreis auf dem Tamman Platz genommen hatten, die Musikanten des Königs mit ihren Aiwatrommeln in der Mitte, kamen die Mädchen hinterm Königshause in einer strahlenden Reihe zum Vorschein, paarweise, jede mit einem Blumenbüschel in der hocherhobenen rechten Hand.

Sie wurden mit Ai–Airufen begrüßt, während die Mütter hinter ihren Töchtern herblickten und sich vor Selbstgefühl höher aufrichteten. Und dann ging es los: Die Mädchen bildeten zwei ineinanderliegende Kreise, mitten auf dem Platz. Sie hockten nieder und fingen plötzlich alle an, wie auf Kommando, den Oberkörper in den Hüften zu drehen, während sie die Blumenbüschel in der Luft schwangen.

Indem die Trommeln drauflosklapperten, sangen sie, zu Anfang langsam und eintönig, folgenden Gesang:

Wir sind die kleinen Papageien!
Seht den grünen Papagei!
Seht mein Haar!
Seht meine Augen!
Hört mein munteres Geschrei!
Seht den grünen Papagei!
Wir sind die kleinen Papageien!
Von Mahura – von Mahura!

Wieder und wieder sangen sie dasselbe inhaltlose Lied; aber bei jedem Mal klang der Gesang und die kleinen unermüdlichen Trommeln, die Stundengläsern glichen, schneller; und im sichersten Takt hüpften die Mädchen nun auf ihren Knien und bewegten sich in dieser Stellung im Kreise herum, die eine Kette in der entgegengesetzten Richtung wie die andere.

Plötzlich sprangen sie mit einem Schrei auf, sprangen vorwärts und rückwärts, warfen die starken, runden Beine unter den frischen, reinen Baströcken seitwärts in die Höhe, streckten die Arme in die Luft, so daß die Blumenbüschel wie Federbüsche über ihr Haar herabfielen, während sie den Kopf hin und her bewegten. Ein Wirrwarr von Armen und Beinen, die man nicht mehr einzeln unterscheiden konnte.

Es wirbelte vor meinen Augen, so daß mir ganz schwindlig dabei wurde. Die Eingeborenen waren entzückt, hingerissen. Jetzt sangen alle mit; alte Frauen wiegten sich in ihren steifen Hüften, so daß ihre flachen, ausgezehrten Brüste ihnen auf den Magen klatschten. Alte, gichtschwache Männer mit Knoten an Hand- und Fußgelenken wackelten mit den Köpfen und quakten die Melodie mit. Alle bewegten Arme und Beine im Takt mit der Musik, obgleich sie auf der Erde hockten, während ihnen die Augen aus dem Kopf traten und die Brust vor Erregung wogte.

Sogar der König mit Strohhut und Regenschirm schwang seine neuen Herrlichkeiten im Takt und war selig.

Tongu und Toto waren schon längst mit fortgerissen wie die anderen. Da begann auch ich. Es überwältigte mich gegen meinen Willen. Das Blut klopfte in meinem Halse, mein Atem ging kurz und hastig; meine Beine kribbelten und bebten unter mir.

Zuletzt war ich meiner ebensowenig bewußt wie die anderen.

Da auf einmal: ein lauter, einstimmiger Schrei aus sämtlichen starken Frauenkehlen, – einstimmig und fest, trotz seiner Wildheit. Er ging mir durch Mark und Bein. Ich kann ihn noch heute hören.

Der Schrei endete in einem klagenden, langgezogenen Geheul, wie von hungrigen, furchtsamen Hunden.

Es wirkte wie eine Erlösung. Als ich wieder Luft bekam und meine Augen von neuem sehen konnten, lagen die Mädchen in einem wogenden Haufen durcheinander, todmüde und stöhnend, während ihnen krampfhafte Zuckungen durch den Körper jagten, bis schließlich Schlaffheit folgte. Ein Haufe toter Dinge.

Jetzt eilten die unverheirateten Männer herbei. Jeder suchte das Mädchen, das zurzeit ihm gehörte. Nur einzelne, zwischen denen ich zu meiner großen Freude Winawa sah, blieben allein zurück und mußten sich selbst helfen.

In meiner erhitzten Gemütsverfassung hätte ich fast einen Skandal heraufbeschworen, indem ich aufspringen und mich ihrer bemächtigen wollte.

Ich bezwang mich; als ich mich aber mit Tongu und den übrigen Backenbärtigen erhob und sah, wie jeder der Unverheirateten sein Mädchen an den Strand führte, wie er ihr beim Ausziehen des Rockes behilflich war, sie von den zerdrückten Blumen und Schmucksachen befreite und ihre todmüden, schweißtriefenden Glieder, so nackt, wie vor der Zeit des Sündenfalles, badete, ohne einen anderen Gedanken, als ihr wieder zu Kräften zu verhelfen, – als ich sah, wie Winawa dies alles ganz allein tun mußte, da gelobte ich mir, daß ich Wahujas Bedingungen annehmen und so nackt und braun wie ein jeder anständige Mahuramann werden wollte.


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