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Sie trafen sich um neun Uhr am Gare des Invalides. Es glückte ihnen nicht, ein Kupee für sich allein zu bekommen. Außer ihnen saßen noch zwei laut redende Herren vom Kommisvoyageur-Typ im Abteil. Bald aber waren die beiden so in ihre Geschäfte vertieft, daß Ellen ihre Hand in der Svends ließ, während sie durchs Fenster auf Paris' lächelnde Vororte blickten und strahlende Pläne von ganz unwahrscheinlichen Landausflügen schmiedeten. Wie er mit der kleinen, feinen Hand traulich in seiner dasaß, wurde Svend nach und nach ernst. Er dachte an die Zukunft und fand, daß er auch mit ihr darüber sprechen müsse.
»Siehst du, Ellen,« begann er, »ich werde dir ja schwerlich dieselben Verhältnisse bieten können, an die du von Kindheit auf gewöhnt bist.«
»Was meinst du damit?« fragte sie und lächelte ihn verständnislos an.
Er setzte sich zurecht, um ihr das Ganze recht gründlich zu erklären.
»Zuerst muß ich natürlich eine Stellung haben, dazu habe ich ja mein Examen gemacht; aber damit ist nicht alles getan. Ich habe mich von Jugend auf daran gewöhnt« – er suchte mit Absicht einen gemäßigten Ausdruck, um sie nicht zu erschrecken –, »etwas anderes und mehr vom Leben zu fordern als nur ein anständiges Auskommen.«
»Na, und was weiter?«
Seine ernste Miene belustigte sie, und sie dachte mehr an seinen ausdrucksvollen Mund als an die Worte, die er sagte.
»Ich habe mich bereits hin und wieder mit Politik beschäftigt.«
»Was du sagst!« Sie lachte.
Svend sah sie unsicher an.
»Findest du das so komisch?«
»Du bist doch jung ebenso wie ich. Politik« – lachte sie wieder und gab ihm einen Schlag auf die Hand –, »der Himmel behüte uns davor!«
»Aber ich wollte gern mit dir darüber sprechen,« begann er von neuem, »ich wollte gern, daß du verstehen lerntest, Ellen –«
Wenn sie dabeiblieb, seine Hand so weich zu streicheln, konnte er unmöglich sagen, was er sagen wollte. Er hielt ihre kleine Hand fest und sagte mit einem bittenden Blick:
»Nein, Lieb, sei einen Augenblick ernsthaft!«
Ellen richtete sich auf und gab sich Mühe, würdig und tiefsinnig auszusehen.
»Na, was willst du mir denn sagen?« fragte sie.
»Wenn man etwas in der Welt ausrichten will, muß man sich der Mittel bedienen, die dazu erforderlich sind. Und wenn man sich ein politisches Ziel setzt, muß man den Kampf aufnehmen, der mitfolgt.«
»Weshalb willst du denn durchaus kämpfen?« fragte sie ungeduldig.
»Ich sage nicht, daß ich es will. Aber es gibt in Dänemark im öffentlichen Leben so vieles, was nicht so ist, wie es sein sollte. Und es ist möglich, daß ich mal mit anderen zusammen Front machen werde gegen –«
»Ach, Svend, das ist so langweilig. Darüber mußt du lieber mit Papa sprechen.«
»Ja aber, Ellen, mit ihm will ich mich ja nicht verheiraten, und kommt es mal so weit, daß ich mich in den Kampf stürzen muß, so ist es immerhin möglich – selbst wenn ich auch alles tun werde, um es dir zu erleichtern –, daß du ein Teil der Bürde auf dich nehmen mußt!«
»Die Zeit, die Sorge!« entschied sie und schlug mit seiner Hand gegen die ihre. »Zu allererst müssen wir etwas zum leben haben, und das kannst du ruhig Papa überlassen. Darauf versteht er sich viel besser als du. Er kennt Gott und die Welt, alle, die mit Stellungen und dergleichen zu tun haben.«
»Du willst doch, nicht, daß ich –«
»Na also. Und wenn du eine ordentliche Stellung bekommen hast, dann heiraten wir, und dann macht sich alles übrige ganz von selbst.«
»Ja aber, Ellen –«
Sie legte ihm die Hand auf den Mund.
»Kein aber. Jetzt sprechen wir nicht mehr davon. Oh, sieh nur die Villa da hinter den Akazien. Wie entzückend!«
Sie gingen vom Bahnhof zum Place d'Armes.
Das mächtige Eisenportal wurde gerade von einem alten Haudegen mit einer blauen Nase geöffnet. Er schmunzelte Ellen galant zu, die sich über ihn amüsierte und ihm munter zunickte.
Sie beeilten sich ins Museum zu kommen, um sagen zu können, daß sie dagewesen seien.
Es gab nicht viel, vor dem Ellen Lust hatte stehen zu bleiben. Svend machte wiederholte Versuche, sie durch seinen Baedeker zu interessieren. Sie aber zog ihn zu den Fenstern hin und zeigte ihm den Park.
Als sie in einen kleinen Saal kamen, wo kein Mensch war, schmiegte sie sich schnell an ihn und reichte ihm ihren Mund zum Kuß.
Es war der erste Kuß heute. Er wollte seinen Arm um sie schlingen und mehr nehmen; aber sie entschlüpfte ihm und ging in den nächsten Saal, wo eine ältere Dame saß und Keks aus einer Tüte aß.
Endlich standen sie wieder im Freien, mitten vor dem Hauptflügel des Schlosses, und blickten über die Terrasse.
Sie standen Hand in Hand, von dem wunderbaren Anblick überwältigt.
Es war ein unübersehbarer Reichtum von Grün und schimmerndem Blau, von den geschnörkelten Mustern weißer Kieswege eingefaßt, die das Auge blendeten.
Sie verzichteten darauf, die Terrasse zu durchwandern, und eilten an dem großen Bassin mit seinen wasserspeienden Fröschen, Schildkröten und Eidechsen vorbei in die Anlagen zur Linken.
Hier unter dem kühlen Schatten der Bäume legte Svend seinen Arm um Ellen; und so bewegten sie sich langsam vorwärts, ohne Gedanken, ohne Worte, indem sie die von Tuja und Buchsbaum gewürzte Luft einatmeten, alles genießend, und dennoch nur sich selbst sehend und fühlend.
Sie kamen zu einem stillen Teich, auf dessen blankem Spiegel es von Libellen und weißen Faltern funkelte. Hinter dem Teich lag ein Garten in einer Einfriedung für sich.
Dort gingen sie hinein. Es war eine englische Anlage mit kleinen Gebüschen auf üppigem Rasen verstreut, mit vereinzelten großen Bäumen, die hier und da eine Bank beschatteten, mit Gängen, die sich ein und aus schlängelten. Hier waren sie ganz allein mit den zwitschernden Vögeln. Sie verschmähten die Bank, legten sich ins Gras und starrten hinauf in die Luft mit den weißen, treibenden Wolken, bis ihre Lippen sich zusammenfanden.
Schließlich besann Ellen sich und sprang auf.
»Es ist spät!« sagte sie und versuchte ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Das war gar nicht so leicht. Ihr Taschenspiegel war nur klein, und Svend war recht ungeschickt in Toilettenangelegenheiten.