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Svend mußte zu dem dänischen Gesandten im Belgravia-Viertel hinaus, um Zutritt zu einer Parlamentssitzung zu erlangen.
Der kleine, gebrechliche, alte Baron, mit den feinen, fast durchsichtigen Zügen, empfing ihn im Morning-room.
Er hörte Svends Anliegen so freundlich an und fragte so interessiert, ja, fast herzlich nach seinen Eindrücken von London, daß Svend von der Wirkung seiner eigenen Persönlichkeit ganz überrascht gewesen wäre, wenn ihm nicht im selben Augenblick Mr. Johnstones Herzlichkeit und seine Bemerkung über »business« eingefallen wäre. So scheint es ja bei groß und klein hier Brauch zu sein, dachte er bei sich. Worte wie Verstellung und Heuchelei drängten sich ihm auf; als er aber daran dachte, wie oft er sich in Dänemark über Unliebenswürdigkeit und Kurzangebundenheit sowohl bei sich selbst wie bei anderen geärgert hatte, sah er ein, daß diese Herzlichkeit eine natürliche Folge der Härte des Kampfes unter großen Verhältnissen sei.
Wie furchtbar würde sich das Zusammenleben in dieser mächtigen Stadt gestalten, wenn die Menschen nicht überall, wo es nichts kostete und die Chancen nicht darunter litten, dem Bruderschaftsgefühl dieses Opfer brächten. Wie hatte das freundliche Lächeln, die herzliche Betonung ihm in seiner Verlassenheit wohlgetan, wenn es auch nur eine Vergoldung war; wie schrecklich, wenn die Menschen die Gleichgültigkeit und Härte ihrer Herzen offenkundig zur Schau tragen würden!
Als der Baron im Laufe des Gespräches erfuhr, zu welcher Familie Svend gehörte, kam plötzliches Leben in seine schlaffen Züge.
»Was? Konferenzrat Byge ist Ihr Onkel,« sagte er bewegt, »mein alter politischer Kampfgenosse aus früheren Zeiten! Das freut mich, das freut mich wirklich!«
Es zitterte etwas greisenhafte Rührung in den feinen Runzeln seiner Augenwinkel, und der Baron begann im Zimmer auf und ab zu gehen, als sei er sehr einsam. Dann besann er sich und sagte zu Svend:
»Wollen Sie morgen bei mir speisen, Herr Byge. Ich werde Sie Seiner Durchlaucht Prinz Adolph vorstellen. Auch den Departementschef Kruse werden Sie hier treffen. Das ist eine Bekanntschaft, die Ihnen nützlich sein kann.«
Svend nahm dankend an, aber er verschwieg, daß er Kruse bereits auf der Überfahrt getroffen hatte.
Der Gesandte, der Witwer war, führte den Prinzen zu Tisch, während sein Sohn, der junge Baron, ein anglisierter Kavalier in den Dreißigern, der als Attaché seines Vaters fungierte, den Departementschef führte.
Fräulein Kruse saß an der rechten Seite des Attachés und hatte Svend als Tischnachbarn.
Sie sah entzückend aus in einem Kleid aus weißer Seide, mit einem Kragen von feinsten Spitzen und einer Kette von kleinen, dunkelroten Rubinen, die stramm um ihren weißen Hals schlossen; die Haut war so durchsichtig, daß das Blut hindurchschimmerte, und der Puls klopfte so sichtbar unter den Rubinen, daß es aussah, als preßten sie den weißen Hals. Sie hatte die zarteste Nackenlinie, die er je gesehen hatte. Er freute sich jedesmal, wenn das Gespräch ihm Gelegenheit gab, ihren Hals zu betrachten, der fest und rund war wie eine Säule vom reinsten Marmor.
Ihr blondes Haar wellte sich in einer Fülle von goldenem Gekräusel auf der Stirn und wurde im Nacken von einem Schildpattkamm mit eingelegtem Silber und Rubinen gehalten, die genau dieselbe Farbe hatten, wie die Steine der Halskette.
Da fielen seine Augen auf ihre Hände. Die feingebogenen Finger, die ohne Glied zu sein schienen, bewegten sich mit bewußtem Liebreiz und unterstrichen die zierliche Rede ihrer etwas verhätschelten Stimme mit einer Ausdrucksfähigkeit, die jede andere Geste überflüssig machte.
Svend konnte den Blick nicht von diesen Händen losreißen; er war ganz benommen davon, obgleich ihre sanften, blauen Augen ihm deutlich sagten, daß sie sich jeder ihrer Vorzüge voll bewußt sei und seine schlecht verhohlene Bewunderung wie eine Huldigung genoß, an die sie gewöhnt war, deren sie aber nie müde wurde.
Es glückte ihnen bald, heimatliche Berührungspunkte zu finden, die von ihnen beiden mit froher Überraschung begrüßt wurden.
»Denk dir nur, Papa,« sagte sie über den Tisch hinüber zum Departementschef, der Svend gegenübersaß und sich über die unverhohlene Bewunderung in dem jungen, unbeherrschten Mienenspiel amüsiert hatte, »Herr Byge verkehrt bei Assessors!«
»Das ist ja nett,« sagte der Alte, »dann wird man sich ja im Winter dort treffen.«
Er hob sein Glas und trank Svend verbindlich lächelnd zu, worauf er sich nach dem Befinden der Konferenzrätin erkundigte.
Svend fühlte, daß er rot wurde und gab eine ausweichende Antwort.
Ob es war, weil der alte Baron ihn als einen Neffen und Pflegesohn des Konferenzrates vorgestellt hatte, der augenscheinlich die allergrößte Achtung in diesem Kreise genoß, oder weil der Gesandte Onkel Kasper seinen alten Freund genannt hatte – genug, Svend wurde von allen Seiten eine größere Zuvorkommenheit entgegengebracht, als er in seinem Alter und seiner Stellung erwarten durfte.
Er fühlte sich bald sicher und ungezwungen, entfaltete seiner Tischdame gegenüber die ihm angeborene liebenswürdige Freimütigkeit, und diese trug ihm aus Fräulein Kruses Augen jenen Seitenblick von verborgener Schelmerei ein, die denjenigen, mit dem sie sprach, wie in heimlicher Vertraulichkeit zu sich heranzuziehen schien.
Die Augen des Prinzen, deren verschleierter Ausdruck nach und nach einem etwas erstaunten Interesse wich, ruhten oft mit Wohlgefallen auf Ellen Kruses Augen und Haar. Sie aber schien keine Notiz davon zu nehmen, und entzog ihrem Tischherrn, zu seiner Freude, nichts von ihrer Aufmerksamkeit.
Bevor die Gesellschaft sich auflöste, hatte Ellen Kruse Svend ihre Reiseroute anvertraut. Sie verabredeten, daß er, der auch nach Paris wollte, sie im Grand Hôtel aufsuchen und in die Museen begleiten sollte; sie fürchtete, daß sie sich sonst zu sehr langweilen würde, und Papa wünschte, daß sie alles sehen sollte.
Der Departementschef kam hinzu und wiederholte ihre Aufforderung. Es käme um so gelegener, als der Departementschef einige Staatsgeschäfte mit der Banque de France zu erledigen hätte und Ellen sonst des Vormittags allein im Hotel hätte bleiben müssen.
»Da wir gerade von Staatsangelegenheiten sprechen, Herr Byge,« sagte der Departementschef und blies ein Aschenstäubchen fort, das sich auf seinen Frackaufschlag gesetzt hatte, »wissen Sie vielleicht jemanden zwischen den jungen Referendaren Ihrer Bekanntschaft, der sich für das öffentliche Finanzwesen interessiert? Wir haben nämlich eine Vakanz, die ehestens besetzt werden soll. Ich habe das Prinzip, persönlich über die Wahl meiner jungen Herren zu wachen, um sozusagen den Weg reinzuhalten – he, he –, ich meine, um nicht nur für erste Kräfte in bezug auf Tüchtigkeit, sondern auch in bezug auf Geburt und gesellschaftliche Bildung zu sorgen, Sie verstehen?«
Sieht er es auf mich ab? – fuhr es Svend durch den Kopf. Er versuchte in dem Gesicht des Departementschefs zu lesen, aber es stand nichts weiter als die gewöhnliche, etwas leere Verbindlichkeit darauf.
»Ich weiß im Augenblick keinen, Herr Departementschef,« beeilte er sich zu erwidern, »aber ich werde nachdenken, ob jemand frei ist, der –«
»Tun Sie das, Herr Byge. Und nun adieu. Es hat mich sehr gefreut und meine Tochter ebenfalls. Auf Wiedersehen in Paris! – Komm, Ellen.«
Diese Worte wurden gewechselt, während der Departementschef und seine Tochter in der Hall standen und auf den Wagen warteten.
Als sie schließlich eingestiegen waren und der Diener die Tür zuschlug, hatte Svend die Freude, daß Fräulein Ellen sich zurücklehnte, indem der Wagen davonrollte, um ihm mit ihren sanften Augen und der feinbehandschuhten Hand einen letzten Gruß zuzuwinken.