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XVII.

Jener Freitag war der letzte schöne Tag gewesen – für die Dauer eines Monats. Am Abend schlug das Wetter um: der Wind drehte sich von Süd nach Nordost und brachte zunächst Regen und dann Hagel und Schnee. Am anderen Morgen konnte man es kaum begreifen, daß wir drei sommerliche Wochen gehabt hatten. Krokus und Primeln lagen in Wind wehen begraben; die Lerchen schwiegen, und das junge Laub an Baum und Strauch war erfroren und schwarz geworden. Und öde und frostig und traurig schlich der Morgen herein. Mein Herr verließ sein Zimmer nicht Ich ergriff Besitz von dem verlassenen Wohnzimmer und verwandelte es in eine Kinderstube. Und da saß ich nun mit dem jammernden püppchenzarten Säugling auf den Knien; ich wiegte ihn leise und beobachtete dabei, wie die lautlos fallenden Flocken sich draußen am Fenster in die Höhe türmten. Da öffnete sich die Tür, und jemand trat atemlos und lachend herein. Für den Augenblick war mein Zorn größer als mein Erstaunen. Ich vermutete eine der Mägde und schrie:

»Gib Ruhe! Wie kannst du dich unterstehen, solch albernes Gelächter anzuschlagen! Was würde Mr. Linton sagen, wenn er dich hörte?«

»Entschuldige!« antwortete eine vertraute Stimme; »aber ich weiß, Edgar ist im Bett, und ich kann mich nicht beherrschen.«

Mit diesen Worten trat die Sprecherin an das Feuer heran. Sie atmete hastig und hatte die Hand aufs Herz gepreßt.

»Ich bin den ganzen Weg von Sturmheid hergelaufen«, fuhr sie nach einer Pause fort. »Ich konnte nicht zählen, wie oft ich hingefallen bin. O, alle Glieder tun mir weh! Reg dich nicht auf. Sobald ich mich etwas erholt haben werde, will ich dir alles erklären. Nur sei so gut und geh und bestelle dem Kutscher, daß er mich nach Gimmerton fahren muß, und laß von einer der Mägde aus meinem Kleiderschrank paar warme Sachen heraussuchen.«

Die Eingetretene war Mrs. Heathcliff. Ihr Zustand war gewiß nicht zum Lachen: die zerzausten Haare flossen, triefend von Schneewasser, auf Schultern und Rücken herab. Sie trug ein Kleid aus ihrer Mädchenzeit, das wohl zu ihrem jugendlichen Alter, doch schlecht zu ihrem jetzigen Stande paßte: ein kurzes Hängekleid mit halblangen Ärmeln; Kopf und Hals waren unbedeckt. Das leichte Seidenkleidchen war durch und durch naß, und an den Füßen trug sie nur dünne Morgenschuhe. Unter dem einen Ohr hatte sie eine tiefe Schnittwunde, die wohl nur der Frost momentan geschlossen hatte, das bleiche Gesicht war zerkratzt und gedunsen, und die Augenbrauen zitterten vor Übermüdung. Sie können sich also denken, daß sich mein erster Schreck, nun ich Gelegenheit hatte, sie näher zu betrachten, wenig verminderte.

»Meine liebe gnädige Frau«, rief ich aus, »ich werde nicht eher einen Auftrag entgegennehmen noch ausrichten, als bis Sie jedes Stück Ihrer Kleidung abgelegt und trockene Sachen angezogen haben werden. Und es ist ja ganz ausgeschlossen, daß Sie heut noch nach Gimmerton kommen. Es ist daher zwecklos, den Wagen zu bestellen.«

»Ganz gewiß werde ich hinkommen«, sagte sie; »zu Fuß oder zu Pferd. Ich habe aber nichts dagegen, mich anständig anzuziehen. Und – ach, schau, wie das Blut rinnt! Das Feuer hat die Wunde wieder geöffnet.«

Sie bestand darauf, daß ich zunächst ihre Befehle ausführte; und nicht eher gab sie mir Erlaubnis, die Wunde zu verbinden und ihre nasse Kleidung gegen trockene zu vertauschen, als bis der Kutscher angewiesen worden, den Wagen anzuspannen, und einer Magd der Auftrag gegeben war, einige nötige Kleidungsstücke zusammenzupacken.

»So, Ellen«, sagte sie, als mein Werk getan und sie beim Feuer in einem bequemen Lehnstuhl untergebracht war und ihren Tee schlürfte, »setz dich her zu mir und tu das Baby beiseite. Ich mag es nicht sehen. Du mußt nicht denken, daß meine Trauer um Catherine gering sei, weil ich mich beim Eintreten so albern benommen habe. Ich habe auch bitterlich geweint – ja, mehr als irgend ein anderer vielleicht. Wir schieden unversöhnt, du entsinnst dich doch, und das kann ich mir nicht verzeihen. All das konnte mich aber doch nicht veranlassen, Mitleid mit ihm zu haben – dem rohen Viehkerl! Komm, gib mir das Schüreisen! Dies hier ist das Letzte, was ich noch von ihm bei mir habe.« Sie streifte den goldenen Reif vom Finger und warf ihn auf die Erde. »Zertreten will ich ihn«, rief sie in kindischem Zorn, »und dann ihn verbrennen«, und sie ließ den mißhandelten Gegenstand in die Glut fallen. »Da! Wenn es ihm gelingt, mich wieder einzufangen, soll er nur einen neuen kaufen. Er ist fähig, mich hier zu suchen, um Edgar zu reizen. Ich darf also nicht bleiben. Und übrigens, Edgar ist nicht liebevoll zu mir gewesen, nicht wahr? Und ich bin nicht gekommen, um seinen Beistand zu erbitten, möchte ihm auch keine Ungelegenheiten machen. Ich mußte notgedrungen hier Schutz suchen; aber hätte ich nicht bestimmt gewußt, daß er jetzt nicht hier ist, so wäre ich nur in die Küche gegangen, hätte mich gewaschen und gewärmt, hätte mir die Kleider bringen lassen, die ich nötig habe, und wäre wieder fortgegangen, irgendwohin, wo ich vor meinem verfluchten – vor jenem Dämon in Menschengestalt geborgen wäre. Ha! Er war in solcher Wut! Wenn er mich erwischt hätte! Es ist ein Jammer, daß Earnshaw ihm nicht an Kraft überlegen ist. Ich wäre nicht eher fortgelaufen, bis er zerschmettert am Boden gelegen hätte – wäre Hindley nur fähig gewesen, ihn zu erschlagen!« »Bitte, sprechen Sie etwas langsamer«, fiel ich ein; »das Tuch, mit dem ich Ihre Wunde verbunden habe, verschiebt sich sonst, und der Schnitt wird von neuem bluten. Trinken Sie Ihren Tee und hören Sie auf zu lachen. Unsere Trauer und Ihr Zustand verbieten das wirklich!«

»Unwiderlegbar wahr!« erwiderte sie. »Hör nur das Kind! Es wimmert ununterbrochen. Laß es doch für ein Stündchen fortschaffen; ich werde nicht länger bleiben.«

Ich klingelte und übergab das Kleine einem Mädchen; und dann erkundigte ich mich, was sie veranlaßt haben könne, in so jammervollem Zustand von Sturmheid zu entfliehen, und wohin sie sich wenden wolle, da sie sich weigere, hier bei uns zu bleiben.

»Ich sollte und ich möchte bleiben«, entgegnete sie, »um Edgar aufzuheitern und das Kindchen zu pflegen, und weil Drosselkreuz mein wirkliches Heim ist. Aber ich sage dir, er würde es nicht zugeben! Meinst du, er könne es ertragen, mich wohlgenährt und fröhlich zu sehen? Er könne den Gedanken ertragen, daß wir hier in Ruhe und Behagen leben? Er würde unfehlbar danach trachten, unseren Frieden zu vergiften. Aber ich weiß es nun gewiß, daß er mich verabscheut, so sehr, daß es ihn ernstlich belästigt, mich um sich zu haben. Wenn ich in seine Nähe komme, kann ich wahrnehmen, wie seine Gesichtsmuskeln sich unwillkürlich zusammenziehen – zu einem Ausdruck blinden Hasses. Er haßt mich aus unwiderstehlicher Abneigung und aus dem Bewußtsein, daß ich allen Grund habe, für ihn Haß zu empfinden. Ich fühle, seine Abneigung ist stark genug, ihn davon zurückzuhalten, Jagd auf mich zu machen, falls es mir gelingt, zu entfliehen. Und darum darf ich hier nicht bleiben. Von dem Wunsch, durch ihn getötet zu werden, bin ich abgekommen; es wäre mir lieber, er tötete sich selbst! Er hat meine Liebe vollständig vernichtet, ich fühle mich frei. Doch kann ich mich noch erinnern, wie sehr ich ihn liebte, und kann mir schwach vorstellen, daß ich ihn noch immer lieben könnte, wenn – nein, nein! Selbst wenn er mich geliebt hätte, seine teuflische Natur wäre doch eines Tages durchgebrochen. Catherine hatte einen sehr unheimlichen Geschmack, ihn so hoch zu verehren, trotzdem sie ihn so genau kannte. Ich wollte, dieser Vampyr hätte nie gelebt! Ich wollte, ich könnte ihn herausreißen aus meinem Gedächtnis!«

»Still, still! Auch er ist ein Gottesgeschöpf«, sagte ich. »Seien Sie gütiger! Es gibt noch schlimmere Menschen als er einer ist!«

»Er ist kein Mensch«, gab sie zurück; »und er hat keinen Anspruch auf meine Güte. Ich gab ihm mein Herz, und er nahm es und quälte es zu Tode und warf es mir wieder vor die Füße. Aber, Ellen, wir Menschen fühlen mit unseren Herzen; und da er meines zerstört hat, habe ich keine Fähigkeit mehr, etwas für ihn zu empfinden, und werde nie mehr mit ihm fühlen, und wenn er auch bis zu seinem Todestag sich marterte in Sehnsucht nach Catherine und blutige Tränen um sie weinte! Nein, wirklich ich kann es nicht!« Und hier begann Isabella zu weinen. Aber schnell trocknete sie die Tränen und begann von neuem: »Du fragst, was mich schließlich zur Flucht getrieben habe? Ich war gezwungen, die Flucht zu wagen, weil es mir gelungen war, seine Wut noch mehr zu wecken als seine Schadenfreude. Er war so sehr gereizt, daß er den teuflischen Stolz vergaß, mit dem er sich sonst brüstet, und in mörderische Wut geriet. Ich empfand Freude, als ich sah, daß es mir gelungen war, ihn bis zur Erbitterung zu treiben. Und dies Gefühl der Freude erweckte in mir den Selbsterhaltungstrieb, so brannte ich denn durch. Und wenn ich je wieder in seine Hände falle, so kann er einer großartigen Rache gewiß sein.

Mr. Earnshaw hätte, wie du weißt, gestern an Catherines Begräbnis teilnehmen sollen. Aus diesem Grunde hielt er sich nüchtern – leidlich nüchtern: ging nicht um sechs Uhr betrunken ins Bett, um erst um zwölf wutrasend wieder aufzustehen. Nein, diesmal erhob er sich natürlich sehr niedergeschlagen – und statt zur Kirche zu gehen, setzte er sich ans Feuer und trank den Branntwein aus Wassergläsern.

Heathcliff – es graust mich, seinen Namen auszusprechen – hat sich seit letztem Sonntag kaum im Hause sehen lassen. Seit einer Woche hat er nicht mehr mit uns gegessen. Er kam erst zur Dämmerung nach Haus und stieg sofort hinauf in sein Zimmer; und als ob es irgend jemandem einfallen könne, seine Gesellschaft zu suchen, schloß er sich ein. Da saß er dann und betete wie eine Muckerseele; nur daß die Gottheit, die er anrief, nur Staub und Asche ist. Hatte er aber diese seltsamen Gebete beendet – und sie dauerten gewöhnlich so lange, bis er heiser war und die Zunge ihm nicht mehr gehorchen wollte – so machte er sich wieder davon, immer geradewegs nach Drosselkreuz! Es wundert mich, daß Edgar nicht nach einem Polizisten schickte und ihn verhaften ließ! Mir war es trotz meines Kummers um Catherine unmöglich, dies tagelange Befreitsein von schmählicher Unterdrückung nicht freudig willkommen zu heißen.

Ich wurde mutig genug, Josefs ewige Ermahnungen zu ertragen, ohne in Tränen auszubrechen, und mich im Hause freier zu bewegen, statt angstbebend wie ein ertappter Dieb herumzuschleichen. Du kannst dir wohl nicht vorstellen, wie man über Josefs Worte weinen kann; aber er und Hareton sind ekelhafte Gesellen. Ich sitze lieber bei Hindley und höre sein schreckliches Geschwätz, als bei dem »kleen Här« und seinem getreuen Beschützer, dem widerlichen alten Mann! Ist Heathcliff zu Hause, so bin ich oft gezwungen, mich in der Küche und in ihrer Gesellschaft aufzuhalten oder in den feuchten unbewohnten Zimmern zu frieren; ist er aber aus, so wie es in dieser Woche der Fall war, so stelle ich mir auf der Diele an einer Ecke des Kaminfeuers Tisch und Stuhl auf und frage nicht danach, was Mr. Earnshaw treibt und redet; und er kümmert sich nicht um mich. Er ist, falls niemand ihn herausfordert, jetzt stiller, als er es früher war: niedergeschlagener und stumpfer und weniger wild. Josef versichert, er sei ein anderer Mensch geworden, der Herr habe sein Herz gewendet und ihn gerettet. Ich bin verwundert, diese Zeichen einer günstigen Veränderung zu sehen, aber was geht's mich schließlich an.

Gestern abend saß ich, in alten Büchern lesend, bis gegen zwölf in meiner Ecke. Es grauste mich hinaufzugehen, solange Wind und Schnee stürmten und meine Gedanken immer wieder zum Kirchhof und zu dem frischen Grab dort wanderten. Kaum daß ich den Blick von meinem Buch erhob, so sahen meine Augen dies melancholische Bild. Hindley saß, den Kopf in die Hand gestützt, mir gegenüber; er dachte vielleicht an ähnliche Dinge. Er hatte so wenig getrunken, daß er noch bei klaren Sinnen war, doch hatte er seit zwei oder drei Stunden sich nicht gerührt und nicht ein Wort gesprochen. Man hörte keinen Laut im Hause, nur das Heulen des Windes, der an den Fenstern rüttelte, das schwache Knistern der verglühenden Kohlen und das Geräusch der Lichtschere, mit der ich ab und zu den Docht meiner Kerze kürzte. Hareton und Josef schliefen wahrscheinlich schon längst. Ich fühlte mich sehr, sehr unglücklich, und während ich las, seufzte ich, denn es war, als sei alle Freude auf Nimmerwiederkehr aus der Welt verschwunden.

Das schmerzliche Schweigen wurde schließlich durch das Quietschen der Küchentürklinke unterbrochen. Heathcliff kehrte früher als sonst von seinem Wachposten zurück; der Sturm hatte ihn wohl heimgetrieben. Die Küchentür war verschlossen, und wir hörten ihn ums Haus schreiten, um den anderen Eingang zu gewinnen. Unwillkürlich entschlüpfte meinen Lippen ein Ausruf tiefsten Hasses, was meinen Gefährten, der nach der Tür geblickt hatte, veranlaßte, sich nach mir umzuwenden.

»Ich werde ihn ein paar Minuten aussperren«, rief er. »Sie haben nichts dagegen?«

»Nein; meinethalben können Sie ihn die ganze Nacht aussperren«, antwortete ich. »Los! Den Schlüssel ins Schloß und die Riegel vor!«

Earnshaw gehorchte, noch ehe der andere die Hausfront erreicht hatte. Dann rückte er mit seinem Stuhl an meinen Tisch, beugte sich weit herüber und suchte in meinen Augen nach der hassenden Glut, die aus den seinen brannte.

Die Mordgier, von der er besessen war, fand er ja nicht bei mir, immerhin aber entdeckte er genug, um Mut zum Reden zu finden.

»Wir beide, Sie und ich«, sagte er, »haben jeder mit jenem Mann da draußen abzurechnen! Wenn wir keine Feiglinge sind, könnten wir gemeinsam vorgehen. Sind Sie so sanft wie Ihr Bruder? Wollen Sie dulden bis zuletzt und nie versuchen, ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen?«

»Ich bin des Duldens müde«, entgegnete ich; »und über eine Wiedervergeltung, die nicht auf mich zurückfiele, würde ich mich freuen. Doch Wut und Verrat sind ein zweischneidiges Schwert: es verwundet den, der zu ihm greift, schlimmer als den Feind.«

»Wut und Verrat sind die einzige Waffe gegen Wut und Verrat!« schrie Hindley. »Mrs. Heathcliff, ich will keine Hilfe von Ihnen erbitten, aber lassen Sie mich handeln, ohne Widerspruch zu erheben. Können Sie das? Sagen Sie, schnell! Sicherlich werden Sie dieselbe Befriedigung empfinden wie ich, wenn Sie das Ende dieses Schurken sehen: wenn Sie ihm nicht zuvorkommen, so wird er Ihr Tod sein – und mein Untergang. Zum Teufel mit ihm! Er donnert ans Tor, als wäre er schon der Herr hier! Versprechen Sie den Mund zu halten, und ehe die Uhr geschlagen hat – es ist in drei Minuten eins – sind Sie frei!«

Er griff in die Brusttasche und holte die Werkzeuge hervor, von denen ich dir in meinem Brief geschrieben habe, und wollte das Licht auslöschen. Aber ich riß es ihm fort und packte seinen Arm.

»Ich werde nicht den Mund halten!« sagte ich. »Sie dürfen ihn nicht anrühren. Lassen Sie das Tor zu und seien Sie still!«

»Nein! Ich habe meinen Entschluß gefaßt und werde ihn halten. Bei Gott!« schrie der verzweifelte Mensch. »Ich werde Ihnen diese Wohltat auch gegen Ihren Willen erweisen und Hareton Gerechtigkeit schaffen! Und Sie brauchen sich nicht anzustrengen, mich zurückzuhalten. Catherine ist fort; niemand auf Erden würde um mich trauern, wenn es mir jetzt einfiele, mir den Hals abzuschneiden – und es ist Zeit, ein Ende zu machen.«

Ich hätte mich ebenso leicht mit einem Bären in einen Kampf einlassen oder einem Wahnsinnigen mit Vernunftgründen kommen können. Der einzige Ausweg, der mir noch blieb, war, ans Fenster zu rennen und Hindleys Opfer von dessen Absichten in Kenntnis zu setzen.

»Du solltest dir heut nacht lieber eine andre Unterkunft suchen«, rief ich ziemlich triumphierend. »Mr. Earnshaw hat die Absicht, dich zu erschießen, falls du noch weitere Versuche machst, einzudringen.«

»Du tätest besser daran, schleunigst das Tor zu öffnen, du –«, antwortete er, mich mit einem so gemeinen Wort titulierend, daß ich es nicht wiederholen kann.

»Ich werde mich nicht einmischen«, gab ich zurück. »Komm herein und laß dich erschießen, wenn du Lust hast! Ich habe meine Pflicht getan.«

Damit schloß ich das Fenster und kehrte an meinen Sitz beim Feuer zurück. Ich war ganz ruhig und konnte auch nicht soviel Heuchelei aufbringen, um über die Gefahr, die ihm drohte, Besorgnis zu zeigen.

Earnshaw schimpfte auf mich los, weil ich so wenig Mut habe, und behauptete, ich liebte den Kerl noch immer. Ich aber dachte in meinem tiefsten Herzen, welch ein Segen es für ihn sein würde, wenn Heathcliff ihn von seinem elenden Leben befreite, und welch ein Segen für mich, wenn er Heathcliff zur Hölle schickte!

Ich brütete über diesen Gedanken, als die Fensterscheiben hinter mir zu Boden klirrten und Heathcliffs schwarzes Antlitz unheilverkündend hereingrinste. Das Fensterkreuz war so eng gebaut, daß er durch die Scheibenöffnung nicht hindurchkriechen konnte, und ich lächelte in meiner eingebildeten Sicherheit. Sein Haar und sein Anzug war weiß von Schnee, und seine scharfen Kannibalenzähne schimmerten durch das Dunkel. »Isabella, laß mich ein, oder du wirst es zu bereuen haben!« knirschte er.

»Ich kann doch keinen Mord begehen«, erwiderte ich. »Mr. Hindley steht mit einem Messer und mit geladener Pistole Wache.«

»So öffne mir die Küchentür«, sagte er.

»Hindley würde eher dort sein als ich«, antwortete ich. »Das ist mir übrigens eine armselige Liebe, die keinen Schneeschauer ertragen kann! Solange der Sommermond schien, hatten wir Ruhe in unsern Betten, aber sowie der Winterwind wieder bläst, mußt du hier Zuflucht suchen! Wenn ich du wäre, Heathcliff, so würde ich mich auf ihr Grab strecken und sterben wie ein treuer Hund! Es lohnt sich jetzt nicht mehr zu leben, nicht wahr? Du hast mir so deutlich klar gemacht, Catherine sei deines Lebens einzige Freude, daß ich mir nun nicht vorstellen kann, wie es dir möglich ist, ihren Verlust zu überleben.«

»Ah! Er ist dort, wie?« rief Hindley, an das Loch rennend. »Wenn ich den Arm durchstecke, so kann ich ihn treffen!«

Ich fürchte, Ellen, du wirst mich für sehr schlecht halten; aber du weißt ja nicht alles, darum urteile nicht. Ich würde um nichts in der Welt bei einem Anschlag gegen Heathcliffs Leben geholfen, noch einen solchen geduldet haben. Doch seinen Tod wünschen, muß ich; und darum war ich schrecklich enttäuscht und vor Entsetzen regungslos, als er, durch meine Worte gereizt, sich auf Earnshaws Waffe stürzte und sie ihm entwand.

Die Ladung entlud sich, und das Messer klappte zurück und grub sich seinem Eigentümer tief ins Handgelenk. Heathcliff riß es mit Gewalt heraus, wobei er jenem das Fleisch aufschnitt, und ließ es, bluttriefend wie es war, in seiner Tasche verschwinden. Dann nahm er einen Stein, zersplitterte damit das Fensterkreuz und sprang herein. Sein Gegner war, besinnungslos vor Schmerz und Blutverlust, zu Boden gesunken; eine große Ader schien zerschnitten. Der Teufel stieß mit dem Fuß nach ihm und trampelte auf ihm herum und schmetterte seinen Kopf mehrmals auf die Fliesen. Dabei hielt er mich mit einer Hand fest, um mich zu verhindern, Josefs Beistand zu suchen.

Er bewies übermenschliche Selbstbeherrschung, indem er davon abstand, dem anderen den Rest zu geben. Aber der Atem ging ihm aus, und da ließ er endlich von seinem Opfer ab und schleppte den sichtlich leblosen Körper hinauf auf die Herdsteine. Dort zerriß er den Ärmel von Earnshaws Rock und verband die Wunde mit brutaler Roheit. Er spuckte und fluchte bei dieser Arbeit ebenso energisch, wie er vorher geschlagen und getreten hatte.

Da ich nun frei war, verlor ich keine Zeit mehr, den alten Knecht aufzusuchen, der, sobald er meinen hastigen Bericht verstanden hatte, hinuntereilte. Er nahm zwei Stufen auf einmal und keuchte im Lauf: »Wat sull do geschiehn? Wat sull do geschiehn?«

»Folgendes hat zu geschehen!« donnerte Heathcliff; »wisch das Zeug dort auf! Dein Herr ist toll, und wenn er nicht bald krepiert, so werde ich ihn in eine Anstalt sperren. Und wie zum Teufel hast du dich unterstanden, du zahnloser Hund, mich auszusperren? Halt keine Maulaffen feil! Her mit dir, ich werde hier nicht den Krankenwärter spielen. Wisch das Zeug auf und hab acht auf deine Kerze – das da ist Sprit – nicht Blut!«

»Un Ehr hott 'n ermord't!« rief Josef, Arme und Augen in Entsetzen erhebend. »Hot en Minsch jemols su wat gesiehn!«

Heathcliff stieß ihn mitten in die Blutlache hinein auf die Knie nieder und warf ihm ein Handtuch zu. Doch anstatt mit dem Auftrocknen zu beginnen, faltete Josef die Hände und begann ein Gebet, das mich infolge seiner wunderlichen Redewendungen zu lautem Gelächter hinriß. Mein Zustand war derart, daß mich ein Nichts erschütterte; wirklich, ich war so ruchlos, wie manche Bösewichter sich selbst noch unterm Galgen zeigen.

»0, ich hatte dich fast vergessen«, sagte mein Tyrann. »Du sollst das machen! Nieder mit dir! Und du hast dich mit ihm gegen mich verschworen, wie, du Viper? Da, da ist die rechte Arbeit für dich!«

Er schüttelte mich, bis meine Zähne aufeinanderschlugen und schleuderte mich an Josefs Seite nieder, der ruhig sein Gebet beendete und sich dann erhob – und schwur, er werde sofort nach Drosselkreuz laufen. Mr. Linton sei Friedensrichter, und wenn ihm selbst fünfzig Frauen gestorben wären, so müsse er für die Angelegenheit hier auf dem Posten sein.

Er war so verbohrt in seine Absicht, daß Heathcliff es für angebracht hielt, durch meinen Mund dem Alten die Ereignisse nochmals klar zu machen. Er hielt mich, bebend vor Bosheit, mit seinen Fäusten nieder, während ich durch zögernde Beantwortung seiner Fragen den Tatbestand enthüllte. Es war ein gut Stück Arbeit erforderlich, um dem alten Mann begreiflich zu machen, daß Heathcliff nicht der Angreifer gewesen sei. Man mußte mir jede Antwort mühsam herauspressen. Doch Mr. Earnshaw zeigte bald, daß er noch am Leben sei. Josef eilte, ihm etwas belebendes einzuflößen, und mit dieser Hilfe kam seinem Herrn Bewußtsein und Bewegungsfähigkeit zurück.

Heathcliff – in der Überzeugung, daß sein Gegner nicht wissen könne, was ihm während seiner Bewußtlosigkeit widerfahren sei – sagte, er sei bis zur Tollheit betrunken, und sein schauderhaftes Benehmen sei nicht mehr zu ertragen, er solle sich ins Bett scheren. Zu meiner Freude verließ er uns, nachdem er diesen Befehl erteilt hatte, und Hindley streckte sich auf die Herdsteine. Ich begab mich auf mein Zimmer, erstaunt, daß ich so leicht davongekommen war.

Als ich dann heut vormittag, etwa gegen halb zwölf, hinunterkam, saß Mr. Earnshaw todkrank beim Feuer; sein böser Dämon – er war wirklich so dürr und schattenhaft bleich wie ein Gespenst – lehnte daneben. Keiner von ihnen setzte sich zu Tisch, und nachdem ich gewartet hatte, bis alles kalt geworden war, begann ich allein zu essen. Nichts hielt mich ab, herzhaft zuzugreifen, und ich hatte ein gewisses Empfinden der Befriedigung und Überlegenheit, wenn ich hie und da einen Blick auf meine schweigenden Gefährten warf und mein Gewissen ruhig wußte. Nachdem ich mit Essen fertig war, nahm ich mir die ungewöhnliche Freiheit, auch meinerseits die Wärme des Feuers zu genießen. Ich schritt um Earnshaws Stuhl hinten herum und hockte mich an seiner Seite auf die Steine.

Heathcliffs Blick traf mich nicht, ich sah zu ihm hin und betrachtete mir seine Züge so dreist, als seien sie aus Stein gemeißelt. Seine Stirn, die mir einst so männlich schien, und die ich jetzt so teuflisch finde, war von einer schweren Wolke beschattet. Seine Basiliskenaugen waren vor Schlaflosigkeit erschöpft und gerötet – oder war es vom Weinen, denn seine Wimpern waren feucht. Sein Mund war diesmal nicht zu einem wilden Grinsen geöffnet, sondern in unaussprechlicher Trauer geschlossen, die Lippen bebten. Wenn es ein anderer gewesen wäre – ich hätte mich weinend abwenden müssen beim Anblick solchen Kummers. Da er es war, war ich erfreut, und obgleich es unedel ist, einen gefallenen Feind zu kränken, konnte ich doch nicht widerstehen, ihm einen Dolchstoß zu versetzen. Seine Schwachheit war die einzige Gelegenheit, die mich die süße Rache kosten ließ, Böses mit Bösem zu bezahlen.

»Pfui, pfui, Miß!« unterbrach ich sie. »Man könnte denken, Sie hätten nie in Ihrem Leben eine Bibel geöffnet. Wenn Gott Ihre Feinde heimsucht, so sollte Ihnen das doch genügen. Es ist sowohl boshaft als vermessen, zu den Plagen, die er schickt, noch etwas dazuzutun.«

»Das mag im großen und ganzen zutreffend sein, Ellen«, fuhr sie fort, »doch welches Elend, das Heathcliff befiele, könnte mich befriedigen, wenn ich nicht selbst die Hand dabei im Spiele hätte? Da wäre es mir sogar lieber, er litte weniger, aber dies Leiden käme von mir und er wisse, daß ich die Veranlassung sei. O, ich schulde ihm so viel! Und nur eine Möglichkeit gibt es, unter der ich ihm vergeben könnte. Das ist, wenn ich Auge um Auge, Zahn um Zahn nehmen, für jeden Hieb und Stoß ihm Hieb und Stoß zurückversetzen könnte. So wie er bislang triumphierte, müßte er jetzt um Gnade betteln, und dann, Ellen, dann – könnte ich vielleicht großmütig sein. Doch es ist ganz und gar unmöglich, daß ich je gerächt sein könnte, und darum kann ich ihm nicht vergeben. – Hindley bat um Wasser, und ich reichte ihm ein Glas und fragte ihn, wie er sich befinde.

»Nicht so krank als ich es wünschte«, antwortete er. »Doch ganz abgesehen von meinem Arm ist jeder Zoll an meinem Leibe so schmerzhaft, als hätte ich mich mit einem Heer von Teufeln herumgeschlagen.«

»Ja, kein Wunder«, bemerkte ich. »Catherine prahlte damit, daß sie es sei, die Sie vor körperlichen Insulten bewahre; sie wollte damit sagen, daß gewisse Leute sich hüten würden, Ihnen zu nahe zu treten – aus Furcht, sie zu kränken. Es ist nur gut, daß die Toten nicht aus dem Grab heraus können; anderenfalls hätte sie in dieser Nacht eine abstoßende Szene gesehen! Fühlen Sie sich denn nicht ganz zerschlagen?«

»Ich weiß nicht recht«, antwortete er. »Aber was meinen Sie damit? Hat er es gewagt, mich zu schlagen, als ich umgefallen war?«

»Er trampelte herum auf Ihnen und stieß Sie und schmetterte Ihren Kopf auf den Steinboden«, flüsterte ich. »Und er lechzte danach, Sie mit den Zähnen zu zerreißen, denn nur ein Teil von ihm ist Mensch, der andere ist Teufel.«

Mr. Earnshaw sah nun auch unserem gemeinsamen Feind ins Gesicht, der so vertieft war in seinen Gram, daß er nichts sah noch hörte. Und je länger er so stand, desto deutlicher grinsten aus seinen Zügen seine schwarzen satanischen Gedanken hervor.

»Wenn Gott mir nur Kraft geben wollte, in meinem Todeskampf diesen Feind zu erdrosseln und mit hinüber zu nehmen, so würde ich gern zur Hölle fahren«, grollte der ungeduldige Mann und mühte sich aufzustehen. Aber er sank kraftlos in den Stuhl zurück, sein Körper war solcher Anstrengung nicht gewachsen.

»O, es ist genug«, bemerkte ich laut, »daß er einen von Ihnen gemordet hat. Auf Drosselkreuz weiß jeder, daß Ihre Schwester noch leben würde, wenn Mr. Heathcliff nicht gewesen wäre. Alles in allem ist es vorteilhafter, von ihm gehaßt zu sein, als geliebt. Wenn ich mir vergegenwärtige, wie glücklich wir waren – wie glücklich Catherine war, ehe er kam – so könnte ich den Tag seiner Ankunft verfluchen.« Heathcliff hatte meine letzten Worte anscheinend verstanden, doch ohne zu erfassen, wer gesprochen hatte. Jedenfalls sah ich, daß seine Aufmerksamkeit geweckt war, denn unter seinen gesenkten Augenlidern regneten Tränen hervor, und seine Atemzüge waren von Schluchzen erstickt.

Ich blickte ihm voll ins Gesicht und lachte höhnisch. Die höllischen, tränenverdunkelten Augen flammten mich an.

»Steh auf und geh mir aus den Augen«, sagte der Trauernde.

»Verzeihung!« erwiderte ich; »aber auch ich habe Catherine lieb gehabt; und ihr Bruder bedarf der Pflege, die ich ihm um ihretwillen angedeihen lassen will. Nun sie tot ist, sehe ich sie in Hindley. Hindley hat ganz ihre Augen, freilich sind sie dank deiner Bemühungen krank und wund; und –«

»Steh auf, verfluchtes Ding, oder ich stampfe dich zu Boden!« schrie er und machte eine Bewegung, die mich veranlaßte, mich tiefer in die Ecke zu drücken.

»Aber«, fuhr ich fort und hielt mich sprungbereit, »wenn die arme Catherine dir vertraut hätte und den lächerlichen, gemeinen, entwürdigenden Titel einer Mrs. Heathcliff angenommen hätte, so hätte sie wohl bald ein ähnliches Bild geboten wie heute Hindley! Sie hätte dein unerhörtes Betragen nicht schweigend erduldet; Verachtung und Ekel hätten ihr Worte verliehen.«

Zwischen mir und ihm stand Earnshaws Sessel; er versuchte daher nicht, mich zu greifen, sondern riß vom gedeckten Mittagstisch ein Messer und schleuderte es mir an den Kopf. Es traf mich unterm Ohr und fiel mir in die erhobene Hand. Ich sprang zur Tür und warf es von dort aus nach ihm zurück; und wie ich glaube, ging es ein wenig tiefer als vorher sein Geschoß. Ich sah noch, wie er eine wütende Bewegung machte, mich einzufangen, und wie Hindley ihn zurückhielt. Sie fielen ringend zu Boden. Auf meiner Flucht durch die Küche hieß ich Josef seinem Herrn zu Hilfe zu eilen, im Flur stolperte ich über Hareton, der dabei war, einen Wurf junger Hunde an einer Stuhllehne zu erhängen, und dann jagte ich in großen Sätzen den steilen Pfad hinunter – so froh wie eine dem Fegefeuer entronnene Seele. Drunten bog ich vom Wege ab, schoß quer über die Heide, stolperte über Böschungen und watete durch Morast – immer auf das Leuchtfeuer von Drosselkreuz zu. Und viel lieber möchte ich zu ewiger Verdammnis verurteilt werden, als – selbst für eine Nacht nur – unter das Dach von Sturmheid zurückzukehren.«

Isabella schloß ihren Bericht und nahm einen Schluck Tee. Dann erhob sie sich, ließ sich von mir die Winterhaube umbinden und warm in einen großen Shawl hüllen und blieb all meinen Bitten gegenüber, noch eine Stunde zu verweilen, taub. Sie stieg auf einen Stuhl, küßte die Bilder von Edgar und Catherine, küßte auch mich zum Abschied und stieg zum Wagen hinunter, begleitet von Fanny, die vor Freude über die wiedergefundene Herrin in ein Freudengeheul ausbrach.

Sie fuhr fort, um diese Gegend nie mehr wiederzusehen. Doch entspann sich späterhin zwischen ihr und meinem Herrn ein regelmäßiger Briefverkehr. Ich glaube, ihr neuer Aufenthaltsort war im Süden, nicht weit von London. Dort wurde ihr, wenige Monate nach ihrer Flucht, ein Sohn geboren. Er wurde auf den Namen Linton getauft, und sie berichtete, er sei von Anfang an ein wehleidiges weinerliches Ding gewesen.

Mr. Heathcliff, der mir eines Tages im Dorf begegnete, fragte mich nach ihrem Wohnort. Ich weigerte mich, ihn anzugeben. Er meinte, es sei auch weiter von keinem Belang, nur solle sie sich hüten, zu ihrem Bruder herzuziehen. Trotzdem ich ihm die Auskunft verweigert hatte, erfuhr er, vermutlich durch irgend einen anderen von der Dienerschaft, sowohl ihren Aufenthaltsort wie auch das Vorhandensein eines Sohnes. Dennoch behelligte er sie nicht. Diese Schonung hatte sie wohl nur seiner Antipathie zu verdanken. Er erkundigte sich, so oft er mich sah, nach dem Kinde, und als er seinen Namen hörte, lächelte er grimmig und bemerkte:

»Man will, daß ich auch ihn hassen soll, wie?«

»Ich denke, man will, daß Sie überhaupt nichts von ihm erfahren«, antwortete ich.

»Doch ich werde ihn mir holen«, sagte er, »wenn ich ihn haben will. Damit sollen sie rechnen.«

Glücklicherweise starb seine Mutter, ehe es so weit kam – etwa dreizehn Jahre nach Catherines Ableben, als der junge Linton zwölf Jahre alt war.

Am Tage nach Isabellas unerwartetem Besuch fand ich keine Gelegenheit, mit meinem Herrn zu sprechen. Er scheute jede Unterhaltung und war in schwermütigster Stimmung. Als es mir dann gelang, ihm von dem Ereignis Mitteilung zu machen, sah ich, daß es ihm lieb war, daß Isabella ihren Mann verlassen hatte, den er mit einer Intensität verabscheute, die bei seinem sonst so milden Charakter auffallend war. So tief und empfindsam war seine Abneigung, daß er es scheute, irgend wohin zu gehen, wo er irgend etwas von Heathcliff sehen oder hören konnte. Dies und der Kummer, den er um Catherine trug, machten ihn zu einem wahren Einsiedler. Er gab seine amtliche Stellung auf, ging nicht mehr in die Kirche, vermied, wo er nur konnte, einen Gang ins Dorf und verbrachte ein Leben vollkommener Abgeschlossenheit auf seiner Besitzung. Die einzige Abwechslung gewährten ihm einsame Streifereien durch Moor und Heide und der Besuch des Grabes seiner Gattin – und das auch nur zu einer Zeit, da er gewiß war, niemandem zu begegnen, abends und frühmorgens. Aber er war zu gut, um lange so tief unglücklich sein zu können. Er flehte nicht, daß Catherines Seele ihn verfolgen möge. Die Zeit lehrte ihn, sich im Verzicht begnügen, und brachte ihm eine Melancholie, die süßer war als die Freuden der Welt. Er hielt ihr Gedenken wach mit heißer, zärtlicher Liebe und hoffendem Sehnen nach jener besseren Welt, in die sie, wie er nicht zweifelte, eingegangen war.

Und er hatte auch irdischen Trost und lebendige Zuneigung. Für ein paar Tage war er, wie ich schon sagte, gleichgültig gegen das kümmerliche Erbe der Dahingeschiedenen. Doch diese Kälte schmolz so schnell wie Schnee in der Sonne, und noch ehe das winzige Ding ein Wort stammeln oder einen Schritt machen konnte, schwang es schon das Szepter in seinem Herzen. Es bekam den Namen Catherine. Aber er nannte es nie bei vollem Namen, so wie er die erste Catherine nie mit ihrem Kosenamen gerufen hatte – wahrscheinlich weil dies eine Gewohnheit Heathcliffs gewesen war. Das Kleine war stets »Cathy«; dies unterschied sie von ihrer Mutter und verband sie dennoch mit ihr. Und seine Anhänglichkeit an das Kind rührte hauptsächlich daher, weil es ein Stück von ihr war, nicht weil er sein Vater war.

Oftmals zog ich in Gedanken Vergleiche zwischen ihm und Hindley Earnshaw und mühte mich, eine befriedigende Erklärung dafür zu finden, warum bei fast gleichen Umständen beider Betragen doch so abweichend war voneinander. Beide waren sie zärtliche Gatten gewesen, und beide liebten ihre Kinder. Und ich konnte nicht begreifen, warum sie nicht beide denselben Weg gewandelt waren – im Guten oder Bösen. Statt dessen, mußte ich mir sagen, hatte sich Hindley, ersichtlich der klügere Kopf, als der weitaus schwächere und haltlosere erwiesen. Als sein Schiff sich festrannte, hatte der Kapitän seinen Posten verlassen, und die Mannschaft raste in Verzweiflung, anstatt die Rettung zu versuchen, und weihte so das unglückliche Schiff dem Untergang. Linton dagegen entfaltete den wahren Mut einer pflichtgetreuen und gläubigen Seele. Er vertraute auf Gott, und Gott tröstete ihn. Der eine hoffte und der andere verzweifelte. Sie hatten sich ihr Los selbst gewählt und waren verurteilt, es zu tragen. Doch mein Moralisieren wird Ihnen nicht unterhaltend sein, Mr. Lockwood, Sie können diese Dinge ebensogut beurteilen wie ich, oder glauben wenigstens, es zu können, und das ist dasselbe.

Earnshaws Ende war so, wie man es erwarten mußte. Er folgte seiner Schwester bald nach – kaum sechs Monate lagen dazwischen. Wir auf Drosselkreuz haben niemals etwas Genaueres über seine letzte Lebenszeit erfahren. Alles was ich weiß, hörte ich, als ich mich auf den Weg machte, bei den Vorbereitungen zur Leichenfeier drüben zu helfen. Mr. Kenneth kam, um meinem Herrn das Ereignis mitzuteilen.

»Nun, Nelly«, sagte er, als er eines Morgens in den Hof einritt, »jetzt müssen wir zwei trauern, du und ich. Wer ist es, der uns jetzt verlassen hat, rate!«

»Wer?« fragte ich aufgeregt.

»So rate!« antwortete er, vom Pferd steigend. Er befestigte die Zügel an einem Haken in der Mauer und fuhr dann fort: »Und nimm den Schürzenzipfel an die Augen, ich bin sicher, daß du ihn nötig hast.«

»Doch nicht etwa Mr. Heathcliff?« rief ich.

»Wie? Hättest du für den denn Tränen?« sagte der Doktor. »Nein, Heathcliff ist ein kräftiger junger Bursch. Er sieht heut blühend aus. Ich habe ihn soeben gesehen. Er erholt sich ungeheuer schnell, seitdem er seine bessere Hälfte verloren hat.«

»Wer aber ist es, Mr. Kenneth?« wiederholte ich ungeduldig.

»Hindley Earnshaw! Dein alter Freund Hindley«, erwiderte er, »und mein schlimmer Kamerad; allerdings ist er seit langem schon ein zu wilder Kerl gewesen. Da! Ich wußte ja, es würden Tränen regnen. Komm, beruhige dich! Er lebte nach seiner Veranlagung, soff wie ein Pfaff! Armer Junge! Auch ich bin betrübt. So ein alter Kamerad fehlt einem doch.«

Ich bekenne, dieser Schlag war mir schmerzlicher, als Mrs. Lintons Tod. Alte Kindheitserinnerungen erblühten in meinem Herzen. Ich setzte mich im Torweg hin und weinte wie um einen Blutsverwandten. Mr. Kenneth mußte sich nach einem anderen Dienstboten umsehen, der seinen Besuch melden konnte.

Ich brütete und brütete über der Frage: »Ist das mit rechten Dingen zugegangen?« Was ich auch vornahm an diesem Tage, der Gedanke verfolgte mich. Das war so ermüdend, daß ich beschloß, um Urlaub zu bitten. Ich wollte nach Sturmheid gehen und helfen, dem Toten den letzten Dienst zu erweisen. Mr. Linton wollte sich durchaus nicht einverstanden damit erklären, aber ich hielt ihm in beredten Worten vor, wie verlassen der Arme dort lag, und ich sagte, mein früherer Herr, der zudem mein Milchbruder sei, habe denselben Anspruch an meine Dienste wie er. Und außerdem erinnerte ich ihn daran, daß das Kind Hareton der Neffe seiner Frau sei, und daß er in Ermangelung näherer Verwandten als dessen Hüter auftreten müsse. Und er müsse sich darum kümmern, was für Erbgut vorhanden sei und wie die Geschäfte seines Schwagers ständen.

Er war damals nicht fähig, sich mit solchen Dingen abzugeben, aber er hieß mich mit seinem Advokaten sprechen und gewährte mir schließlich meine Bitte. Sein Advokat war auch Earnshaws Anwalt gewesen. Ich sprach im Dorfe vor und bat ihn, mich zu begleiten. Er schüttelte den Kopf und riet, Heathcliff in Ruhe zu lassen, indem er versicherte, wenn die Wahrheit bekannt würde, so werde man erfahren, daß Hareton nicht mehr sei als ein Bettler.

»Sein Vater starb verschuldet«, sagte er. »Das ganze Gut ist verpfändet, und alles was der Sohn tun kann, ist, das persönliche Interesse des Gläubigers zu erwecken, damit dieser vielleicht sich veranlaßt sieht, großmütig an ihm zu handeln.«

Als ich auf Sturmheid ankam, erklärte ich, daß ich gekommen sei, um nach dem Rechten zu sehen und für eine würdevolle Bestattung Sorge zu tragen, und Josef, der ziemlich verzweifelt schien, war über mein Kommen recht zufrieden. Mr. Heathcliff sagte, er sehe nicht ein, wozu ich nötig sei, aber ich könne nun bleiben und – wenn mir daran liege – alles zum Begräbnis ordnen.

»Von Rechts wegen«, bemerkte er, »sollte der Narr am Kreuzweg eingescharrt werden, ohne irgendwelche Umstände. Gestern Nachmittag ließ ich ihn zufällig zehn Minuten allein, und diese Gelegenheit benutzte er, um seine beiden Türen vor mir zuzusperren und er verbrachte die Nacht damit, sich freiwillig zu Tode zu saufen. Heut morgen brachen wir ein, denn wir hörten ihn schnaufen wie ein Pferd. Und da lag er, quer über der Bank. Man hätte ihn prügeln und skalpieren können, ohne ihn aufzuwecken. Ich schickte zu Kenneth, und er kam, aber da hatte die Verwesung schon begonnen. Er war tot und kalt und steif. Und du wirst zugeben, daß es nutzlos war, noch mehr Wesens um ihn zu machen!«

Der alte Diener bestätigte diese Schilderung, aber er murmelte auch:

»Et war besser gewes', är wär no dem Dokter gang! Eich hätt besser for mei Här gesoorgt als är – und wie eich furt gang sin, war er noch nit dot, nit im geringste!«

Ich bestand darauf, daß das Begräbnis würdig gestaltet werde. Mr. Heathcliff sagte, ich könne darin nach eigenem Ermessen handeln, nur solle ich mir klar darüber sein, daß das Geld zu der ganzen Geschichte aus seiner Tasche fließe. Er gab sich hart und gleichgültig und ließ weder Trauer noch Freude erkennen – höchstens eine gewisse Zufriedenheit darüber, ein schweres Stück Arbeit erfolgreich zu Ende geführt zu haben. In der Tat lag einmal auf seinem Antlitz etwas wie ein Frohlocken: das war, als die Leute den Sarg aus dem Hause trugen. Er hatte die Keckheit, den Leidtragenden zu spielen, doch ehe er mit Hareton den anderen folgte, hob er das unglückliche Kind auf einen Tisch und betrachtete es. Dabei murmelte er mit eigentümlicher Betonung: »Nun, mein kleiner Kerl, bist du mein! Und wir werden sehen, ob nicht ein Baum so krumm wächst wie der andere, wenn derselbe Wind ihn beugt!«

Das arglose Kind erfreute sich an dieser Rede. Es spielte mit Heathcliffs Bart und streichelte seine Wangen. Ich aber erriet den Sinn dieser Worte und bemerkte trocken:

»Der Junge muß mit mir nach Drosselkreuz zurück, Herr. Nichts in der Welt gehört Ihnen weniger als gerade er!«

»Sagt Linton das?« fragte er.

»Natürlich – er hat mir Auftrag gegeben, ihn mitzunehmen«, erwiderte ich.

»Gut«, sagte der Schurke, »wir wollen die Sache jetzt nicht verhandeln; aber ich habe es mir mal in den Kopf gesetzt, so ein Junges großzuziehen, darum bedeute deinem Herrn, daß ich in diesem Fall mir meinen eigenen Jungen holen werde. Ich beabsichtige nicht, Hareton so ohne weiteres herzugeben, aber wenn er versuchen sollte, mir den einen zu nehmen, so lasse ich unwiderruflich den anderen kommen. Vergiß nicht, ihm das zu sagen.«

Dieser Hinweis genügte, unsere Hände zu binden. Ich wiederholte zu Hause die Worte, und Edgar Linton, der anfangs wenig Interesse zeigte, sprach nie mehr davon, sich einzumischen. Ich bin nicht sicher, ob er es überhaupt gekonnt hätte, selbst wenn er den besten Willen dazu gehabt hätte.

Der Gast war nun der Herr von Sturmheidhof. Er hielt die Zügel straff und bewies dem Rechtsanwalt – der seinerseits den Bericht an Linton weitergab – daß Earnshaw jeden Zoll seiner Liegenschaften verpfändet hatte, um Bargeld für seine Spielwut zu bekommen, und er, Heathcliff, war der Gläubiger.

Auf diese Weise wurde Hareton, der jetzt der erste Edelmann dieser Gegend sein müßte, in völlige Abhängigkeit von seines Vaters wütendstem Feind hinuntergedrückt und lebt in seinem eigenen Hause als Knecht – ohne einen Pfennig Lohn zu erhalten – und ist unfähig, zu seinem Recht zu kommen, weil er ohne Freunde dasteht und weil er nicht einmal weiß, daß ihm Unrecht geschehen ist.


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