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Manchmal, wenn ich einsam über diese Dinge grübelte, sprang ich in plötzlichem Entsetzen auf und griff nach Hut und Tuch, um nach dem alten Gut zu eilen und zu sehen, wie die Dinge dort standen. Ich redete mir ein, es sei meine Pflicht, Hindley davon in Kenntnis zu setzen, wie die Leute über seine Lebensweise dachten; doch wenn ich an seine lasterhaften Gewohnheiten dachte, so graute es mich, dies traurige Haus zu betreten, in das ich schwerlich Segen tragen konnte.
Einmal – zur Zeit der letzten Ereignisse, die ich Ihnen erzählte – machte ich mich auf den Weg nach Gimmerton. Es war ein klarer kalter Nachmittag. Die Felder waren kahl und der Fußpfad hart und trocken. Ich kam an einen Wegstein, von dem aus der Höhenweg sich linker Hand in die Heide hinabzweigt. Dieser Stein ist ein unbehauener Sandsteinblock, der auf der Nordseite die Buchstaben St. H. eingemeißelt trug, auf der Ostseite G. und auf der Südwestseite D. H. Er dient als Wegweiser nach dem Sturmheidhof, dem Drosselkreuzhof und dem Dorf. Die Sonne brannte auf sein graues Haupt. Das ließ mich an den Sommer denken, und – ich weiß nicht wie es kam – ganz plötzlich wurde mein Herz von Erinnerungen aus der Kinderzeit überflutet.
Hindley und ich hatten vor zwanzig Jahren den Stein hier sehr geliebt. Ich starrte den verwitterten Block lange an, und dann bückte ich mich nach einem Loch, das er nahe am Boden aufwies, und das noch mit Schneckenhäusern und Kieseln gefüllt war, die wir dort neben anderen, vergänglicheren Dingen aufzubewahren pflegten. Und da – so lebhaft, als sei es Wirklichkeit – erschien mir das Bild meines kindlichen Spielkameraden: sein dunkler dickrunder Kopf war zu Boden geneigt, und seine kleine Hand scharrte mit einer Schieferscherbe den Sand aus dem Loch.
»Armer Hindley!« rief ich unwillkürlich. Ich fuhr zusammen. Ich meinte gesehen zu haben, wie das Kind den Kopf hob und mir in die Augen sah. Ich schloß die Lider, und das Bild verschwand. Doch befiel mich sofort ein unbezwingliches Verlangen auf Sturmheid zu sein. Aberglaube trieb mich, diesem Impuls nachzugeben. Angenommen, er wäre tot – oder er läge im Sterben! Angenommen, diese Vision sollte mir ein Anzeichen seines Todes geben? Je mehr ich mich dem Hause näherte, um so tiefer wurde meine Ergriffenheit; und als ich es endlich erblickte, bebte ich an allen Gliedern. Die Erscheinung war mir vorangeeilt Sie stand innen am Gartentor und blickte hindurch. So dachte ich beim Anblick eines wildlockigen dunkeläugigen Knaben, der sein gebräuntes Gesicht gegen die Gitterstäbe drückte. Einiges Nachdenken ließ mich vermuten, daß dies Hareton sei, mein Hareton, den ich seit zehn Monaten nicht gesehen hatte.
»Gott segne dich, Liebling!« rief ich, augenblicklich meine albernen Befürchtungen vergessend. »Hareton, ich bin Nelly! Deine Nelly!«
Er zog sich auf Armeslänge zurück und griff nach einem großen Stein.
»Ich komme, deinen Vater zu besuchen, Hareton«, fügte ich hinzu, denn ich sah, daß er die Erinnerung an Nelly, wenn sie bei ihm überhaupt noch existierte, nicht zu mir in Beziehung zu bringen wußte.
Er hob den Arm mit dem Wurfgeschoß, ich sagte ein paar besänftigende Worte, konnte aber den Wurf nicht mehr aufhalten. Der Stein traf meinen Hut und von den Lippen des kleinen Burschen ergoß sich ein Schwall von Flüchen, die – ob er sie nun bewußt gebrauchte oder nicht – mit einem Nachdruck hervorgestoßen wurden, der auf lange Übung schließen ließ.
Glauben Sie mir, ich war mehr bekümmert als geärgert. Dem Weinen nahe holte ich eine Orange aus der Tasche und hielt sie ihm hin, um ihn zu versöhnen. Er blickte unschlüssig auf die Frucht und riß sie mir dann aus der Hand, als dächte er, ich hätte nur die Absicht, ihn damit anzuführen. Ich zeigte ihm noch eine zweite Frucht, doch hielt ich sie so hoch, daß er sie nicht erreichen konnte.
»Wer hat dich solch feine Worte gelehrt, mein Junge?« fragte ich. »Der Pfarrer?«
»Der Teufel hole den Pfarrer und dich! Gib mir das!« antwortete er.
»Sag mir, bei wem du in die Schule gehst, und ich schenke dir die Orange«, entgegnete ich. »Wer ist dein Lehrer?«
»Papa«, war seine Antwort.
»Und was lernst du von Papa?« fuhr ich fort.
Er sprang an mir hoch, um sich der Frucht zu bemächtigen. »Nun, was' lehrt er dich?« fragte ich noch einmal.
»Nichts!« sagte er. »Nur, daß ich ihm nicht in den Weg laufe. Papa kann mich nicht leiden, weil ich ihn anschimpfe.«
»So? Und wer lehrt dich denn, den Papa zu beschimpfen, der Teufel?«
»N–nein«, gab er zurück.
»Wer also?«
»Heathcliff.«
Ich fragte ihn, ob er Mr. Heathcliff gern habe.
»Ja«, sagte er.
Ich forschte weiter, warum er ihn gern habe, konnte aber nur die paar Sätze herausbekommen:
»Er gibt Papa alles zurück, was er mir tut. Er beschimpft Papa, weil Papa mich beschimpft. Er sagt ich kann alles tun, was ich will.«
»Und der Pfarrer gibt dir also keinen Unterricht in Lesen und Schreiben?«
»Nein!« rief er und sprang nach der Frucht. »Heathcliff hat gesagt – daß er dem Pfarrer – die Zähne ausschlagen – täte – wenn er sich noch mal untersteht – uns ins Haus zu kommen.«
Ich gab ihm die Orange und trug ihm auf, seinem Vater zu melden, Nelly Dean wolle ihn gern sprechen, und sie warte am Gartentor.
Er ging die Allee hinauf und trat ins Haus. Aber statt Hindley erschien Heathcliff auf der Vortreppe – und ich drehte um und rannte den Weg zurück, so schnell als ich nur konnte, bis ich den Wegweiserstein erreicht hatte, und meine Glieder schlugen, als hätte ich ein Gespenst erblickt.
Dies Erlebnis hat eigentlich mit Miß Isabellas Angelegenheit nichts zu tun, nur war es die Veranlassung, daß ich fortan die Augen offen hielt und mein äußerstes tat, um Drosselkreuz dem übeln Einfluß dieses Dämons zu entreißen, trotzdem ich dabei Gefahr lief, einen häuslichen Sturm heraufzubeschwören.
Das nächste Mal, als Heathcliff kam, stand das junge Fräulein gerade im Hof und fütterte die Tauben. Sie hatte seit drei Tagen mit ihrer Schwägerin kein Wort gesprochen. Aber sie hatte auch alles Jammern unterlassen, so daß wir aufzuatmen begannen. Heathcliff hatte – das wußte ich – nicht die Gewohnheit, Miß Linton irgendwelche überflüssigen Liebenswürdigkeiten zu bezeigen. Diesmal, als er sie bemerkte, sah er prüfend zu den Fenstern des Hauses hinauf und dann im Hofe umher. Ich stand am Küchenfenster, zog mich aber noch rechtzeitig zurück, so daß er mich nicht gesehen hatte. Er ging nun zu Isabella hin und sagte ihr etwas. Sie schien verwirrt und wollte fortlaufen. Da legte er die Hand auf ihren Ann. Sie wandte das Gesicht ab. Er hatte anscheinend eine Frage gestellt, die sie nicht beantworten mochte. Da – wieder warf er einen hastigen Blick nach dem Hause, und dann hatte der Hallunke die Frechheit, sie zu umarmen.
»Judas! Schurke!« murmelte ich zwischen den Zähnen. »Ein Heuchler bist du, ein raffinierter Betrüger!«
»Wen meinst du, Nelly?« sagte Catherines Stimme an meiner Seite. Ich hatte das Paar da draußen so eifrig beobachtet, daß ich ihren Eintritt nicht bemerkt hatte.
»Ihren unwürdigen Freund«, entgegnete ich hitzig. »Den kriecherischen Schuft dort. Ah – er hat uns erspäht, er kommt herein! Nun wollen wir sehen, ob er eine glaubhafte Lüge zu erfinden weiß dafür, warum er dem jungen Fräulein den Hof macht, trotzdem er Ihnen kürzlich gesagt hat, er habe einen Haß auf sie.«
Mrs. Linton sah, wie Isabella sich losriß und in den Garten lief, und eine Minute später öffnete Heathcliff die Tür. Ich konnte meinen Zorn nicht zurückhalten, sondern schalt kräftig drauf los, aber Catherine gebot mir ärgerlich, den Mund zu halten, und drohte mich aus der Küche zu weisen, falls ich noch eine Bemerkung wagen sollte.
»Wenn man dich hört, könnte man denken, du seiest die Gebieterin!« rief sie. »Es tut wirklich not, daß man dich in deine Schranken weist. – Heathcliff, was soll das heißen, daß du solchen Sturm heraufbeschwörst? Ich sagte dir doch, du sollest Isabella in Frieden lassen! Und ich bitte dich, achte diesen Wunsch – es sei denn, daß du es müde bist, hier empfangen zu werden, und Linton veranlassen willst, dir die Tür zu weisen.«
»Gott schütze ihn davor!« erwiderte der schwarze Hallunke, den ich in diesem Augenblick geradezu verabscheute. »Gott erhalte ihn schwach und geduldig! Mein Verlangen, ihn in den Himmel zu befördern, wird mit jedem Tage unbezwinglicher.«
»Still!« sagte Catherine, die Tür nach den inneren Räumen schließend. »Mach mich nicht bös! Warum hast du meinen Wunsch mißachtet? Ist sie dir absichtlich in den Weg gelaufen?«
»Was geht's dich an?« grollte er. »Ich habe das Recht, sie zu küssen, wenn es ihr paßt; und du hast kein Recht, etwas dagegen zu haben. Ich bin nicht dein Mann. Du hast auf mich nicht eifersüchtig zu sein.«
Ich bin nicht eifersüchtig auf dich«, entgegnete die Herrin, »ich bin eifersüchtig für dich. Also erheitre dein Gesicht! Wenn du Isabella liebst, so sollst du sie heiraten. Aber liebst du sie denn? Sprich die Wahrheit, Heathcliff! Da – du willst nicht antworten. Es ist sicherlich nicht der Fall.«
»Und würde Mr. Linton denn billigen, daß seine Schwester diesen Mann heiratet?«
»Mr. Linton sollte es billigen«, entgegnete meine Herrin bestimmt.
»Er mag sich die Mühe sparen«, sagte Heathcliff. »Ich kann auch ohne seine Einwilligung auskommen. Und was dich betrifft, Catherine, so möchte ich dir ein paar Worte sagen, die jetzt gerade am Platze sind. Du sollst wissen, daß ich mir bewußt bin, wie höllenmäßig du mich behandelt hast, höllenmäßig! Hörst du? Und wenn du dir einbildest, daß ich das nicht merkte, so bist du ein Narr. Und wenn du denkst, daß ich mit süßen Worten zu trösten sei, so bist du ein Idiot Und wenn du meinst, ich würde dulden und mich nicht rächen, so will ich dich in allernächster Zeit vom Gegenteil überzeugen. Einstweilen danke ich dir, daß du mir das Geheimnis deiner Schwägerin verraten hast: ich schwöre, daß ich davon Gebrauch machen werde. Und steh du beiseite!«
»Was für ein neuer Zug deines Charakters ist das nun wieder?« rief Mrs. Linton bestürzt. »Ich hätte dich höllenmäßig behandelt – und du willst dich rächen?! Wie willst du das, undankbarer Gesell! Und wieso habe ich dich höllenmäßig behandelt?«
»An dir will ich mich nicht rächen«, antwortete Heathcliff; »nein, das ist nicht meine Absicht. Der Tyrann drückt seine Sklaven zu Boden, und sie erheben sich nicht wider ihn – sie zermalmen die noch tiefer stehenden. Ich gestatte dir, mich zu deinem Vergnügen zu Tode zu quälen, nur erlaube mir, mich ein wenig in derselben Weise zu amüsieren, und enthalte dich der Einmischungen, soviel du kannst. Du hast meinen seligen Palast zerstört – nun versuche wenigstens nicht, an seiner Stelle eine Hütte aufzubauen und, da du mir diese als Heim anbietest, dein Mitleid selbstgefällig zu bewundern. Wenn ich mir vorstellen könnte, es sei dein ernstlicher Wille, daß ich Isabella heirate, so würde ich mir den Hals abschneiden.«
»Ah, das Schlimme ist also, daß ich nicht eifersüchtig bin, wie?« schrie Catherine. »Gut, ich will dir nicht mehr eine Frau anbieten; es ist ebenso schlimm, als wollte man dem Teufel eine Seele anbieten. Du findest wie er ein Behagen darin, Unglück zu stiften. Edgar hat das Mißtrauen, das er dir anfänglich entgegenbrachte, abgelegt, ich beginne mich ruhig und sicher zu fühlen, und du kannst diesen Frieden nicht ertragen, sondern suchst mit allen Mitteln Streit anzufangen. Und wirklich, du kannst dich nicht wirksamer an mir rächen, als indem du Edgar herausforderst und seine Schwester hinterlistig einfängst.«
Die Unterhaltung endete. Mrs. Linton setzte sich rot und erhitzt ans Feuer. Ihr Zorn überwältigte sie ganz, sie konnte ihn nicht mehr beherrschen. Heathcliff lehnte am Kamin und brütete über seinen bösen Plänen. Und so verließ ich sie, um den Herrn aufzusuchen, der sich wunderte, was Catherine so lange unten festhielt.
»Ellen«, sagte er, als ich eintrat, »hast du deine Herrin nicht gesehen?«
»Ja, Herr, sie ist in der Küche«, antwortet« ich. »Mr. Heathcliff ist da und er hat sich derart aufgeführt, daß sie ganz fassungslos ist, und ich meine wirklich, es sei höchste Zeit, seine Besuche mehr zu kontrollieren. Zu große Nachgiebigkeit ist niemals gut, und jetzt ist es schon so weit gekommen, daß ...« Und ich berichtete die Szene, die sich im Hof abgespielt hatte, und, soweit ich es wagte, die darauffolgende Auseinandersetzung; denn ich dachte, es sei am besten, Mr. Linton aufzuklären. Es wurde ihm schwer, mich ruhig anzuhören, und als er dann sprach, merkte ich, daß er einsichtig genug war, auch seiner Frau einen Teil der Schuld beizumessen.
»Das ist unerträglich!« rief er aus. »Es ist schändlich, daß sie diesen Menschen Freund nennt und mir seine Gesellschaft aufzwingt! Ruf mir zwei Knechte, Ellen! Catherine soll sich nicht länger mit dem groben Lump herumstreiten – ich habe das lange genug mit angesehen.«
Er ging hinunter, befahl den Knechten im Flur zu warten und betrat die Küche. Ich folgte ihm. Hier hatten sie ihr Gezänk schon wieder aufgenommen. Mrs. Linton wenigstens schalt mit erneuter Kraft. Heathcliff hatte sich ans Fenster zurückgezogen und war von ihrem wütenden Tadel ersichtlich eingeschüchtert. Er war es, der zuerst den Eintritt Lintons bemerkte, und er machte Catherine ein Zeichen, den Mund zu halten, und sie gehorchte sofort.
»Was soll das heißen?« wandte sich Linton an sie. »Welche Begriffe von Anstand mußt du haben, daß du nach der Sprache, die sich dieser ordinäre Mensch dir gegenüber erlaubt hat, noch hier bist?! Du nimmst das wohl so hin, weil das immer so seine Sprache ist. Du bist an seine Niederträchtigkeiten gewöhnt und bildest dir vielleicht ein, auch ich könne mich darein finden!«
»Hast du gehorcht, Edgar?« fragte die Herrin in einem Ton, der deutlich die Geringschätzung verriet, die sie für ihren Gemahl empfand, und der ihn reizen sollte. Heathcliff lachte höhnisch auf, vermutlich um Lintons Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das erreichte er. Aber Edgar hatte nicht die Absicht, ihn durch einen Zornausbruch zu amüsieren.
»Ich habe Sie bislang geduldet, Herr«, sagte er ruhig. »Nicht weil ich Ihren elenden niedrigen Charakter nicht erkannt hätte, sondern weil ich fühlte, daß Sie selbst dafür nur teilweise verantwortlich sind. Und Catherine wünschte, zu Ihnen wieder in Beziehung zu treten, so gab ich nach – leider. Ihre Gegenwart ist ein moralisches Gift, das selbst die Reinsten und Tugendhaftesten zu infizieren vermag. Aus diesem Grunde und um schlimmere Dinge abzuwenden, versage ich Ihnen von nun ab den Zutritt in dies Haus und verlange, daß Sie sich sofort entfernen. Eine Verzögerung würde mich nur veranlassen, Ihre Entfernung gewaltsam vorzunehmen.«
Heathcliff maß den Sprecher mit höchst spöttischen Blicken.
»Cathy, dein Lämmchen donnert wie ein Stier! sagte er. »Es ist in Gefahr, seinen Schädel an meinen Fäusten einzurennen. Bei Gott, Mr. Linton, ich bin mehr, als betrübt, daß es sich so wenig lohnt, Sie niederzuhauen.«
Mein Herr blickte nach dem Flur und gab mir ein Zeichen, die Knechte zu holen; er hatte offenbar nicht die Absicht, es auf einen Zweikampf ankommen zu lassen. Ich gehorchte dem Wink. Aber Mrs. Linton folgte mir argwöhnisch, und als ich den Leuten rufen wollte, riß sie mich ins Zimmer zurück, schlug die Tür zu und schloß sie ab.
»Schöne Manieren!« entgegnete sie auf den zornig erstaunten Blick ihres Gatten. »Wenn du nicht den Mut hast, ihn anzugreifen, so entschuldige dich bei ihm oder laß dich niederhauen; das wird dich davon heilen, eine Tapferkeit zu heucheln, die du nicht besitzest – Nein, lieber verschlucke ich den Schlüssel, als daß ich ihn dir gebe! Wahrlich, ich bin wundervoll belohnt für meine Güte gegen euch beide! Zum Dank für geduldiges Ertragen der Schwächlingsnatur des einen und der Satansnatur des anderen, ernte ich von jedem den Beweis absurder Dummheit! Edgar, ich habe dich und dein Haus verteidigt, und ich wünschte, Heathcliff prügelte dich krank dafür, daß du es wagtest, schlecht von mir zu denken!«
Doch der Herr fühlte sich auch ohne die ihm zugedachten Prügel gebrochen. Er hatte Catherine den Schlüssel entreißen wollen, den sie daraufhin ins Feuer geworfen hatte. Da wurde Linton von nervösem Zittern befallen und sank totenbleich auf einen Stuhl. Es war ihm ganz unmöglich, seiner Bewegung Herr zu werden. Entsetzen und Scham überwältigten ihn vollständig. Er verbarg das Gesicht in der Hand und schien zu weinen.
»O Himmel! Dein Betragen hätte dir in alten Zeiten ein Rittertum gewonnen!« rief Mrs. Linton. »Wir sind besiegt, wir sind besiegt! Heathcliff würde jetzt ebensowenig die Hand gegen dich erheben, als der König seine Armee gegen eine Mäuseschar loslassen würde. Beruhige dich! Es soll dir nichts geschehen! Du bist kein Lamm, du bist ein Hasenjunges!«
»Ich wünsche dir viel Vergnügen mit dem hasenherzigen Feigling, Cathy«, sagte ihr Freund. »Ich gratuliere dir zu deinem Geschmack. Und das ist nun das geifernde zitternde Kerlchen, das du mir vorziehen konntest! Wenn ich mir Genugtuung schaffen wollte, so würde ich ihn nicht mit der Hand berühren, sondern höchstens mit dem Fuß fortstoßen. Weint er oder ist er vor Angst in Ohnmacht gefallen?«
Der Bursche näherte sich dem Stuhl, auf dem Linton saß, und versetzte ihm einen Stoß. Er hätte besser getan, sich fernzuhalten, denn mein Herr sprang auf und schlug ihn mit der Faust so wuchtig in die Kehle, daß er nach Atem rang. Einen schwächeren Mann hätte der Hieb unfehlbar niedergeworfen. Linton schritt inzwischen durch die hintere Küchentür in den Hof hinaus und von dort zum vorderen Hauseingang.
»Da! Nun ist's aus mit deinen Besuchen!« schrie Catherine. »Geh fort jetzt! Er wird mit ein paar Pistolen und einem halb Dutzend Knechten wiederkommen. Wenn er uns belauscht hat, so wird er dir selbstredend nie verzeihen. Du hast mir schlimm mitgespielt, Heathcliff! Aber geh jetzt – eile dich! Ich sehe lieber Edgar in Not als dich.«
»Meinst du, ich ginge, solange mir dieser Schlag die Kehle zuschnürt?« bemerkte er. »Beim Teufel, nein! Bevor ich die Schwelle überschreite, zerquetsche ich ihn wie eine faule Haselnuß. Würfe ich ihn heute nicht zu Boden, so würde ich ihn gelegentlich einmal umbringen. Wenn dir also sein Leben lieb ist, so laß mich heut noch an ihn kommen!«
»Er kommt gar nicht«, log ich. »Da sind der Kutscher und die beiden Gärtnerburschen. Sie werden doch nicht abwarten, bis die Sie vor die Türe setzen! Sie haben Knüttel in der Hand, und der Herr wird gewiß vom Fenster aus beobachten, ob sie seinen Befehlen nachkommen.«
Die Gärtner und der Kutscher kamen auch wirklich heran, aber Linton war mit ihnen. Schon hatten sie den Hof betreten. Da erklärte Heathcliff, der glücklicherweise nicht hinausgeblickt hatte, er ziehe es vor, sich nicht mit den Knechten herumzuprügeln. Er ergriff die Feuerzange, zerschlug damit das Schloß der Flurtür und entfernte sich schnell, noch ehe die anderen eintraten.
Mrs. Linton, die sehr aufgeregt war, hieß mich sie hinaufbegleiten. Sie ahnte freilich nicht, daß ich an diesem ganzen Vorfall schuld war, und ich wußte sie darüber in Unkenntnis zu halten.
»Ich bin halb wahnsinnig, Nelly!« rief sie, sich auf das Sofa werfend. »In meinem Kopf schlägt ein ganzes Hammerwerk! Sag Isabella, daß sie mir nicht in den Weg kommt. Diese Szene hat sie verschuldet. Und wenn irgend einer meine Wut noch mehr reizt, so werde ich toben! Solltest du Edgar heut abend noch sehen, Nelly, so sage ihm, daß ich in Gefahr bin, ernstlich krank zu werden. O ich wollte, das würde sich bewahrheiten! Er hat mich entsetzlich erschreckt und bekümmert. Ich möchte ihm Angst machen. Übrigens kommt er vielleicht und beginnt eine Litanei von Vorwürfen und Klagen. Ich würde dann natürlich ihm die Vorwürfe zurückgeben, und wer weiß, wie das enden würde. Also berichte ihm, was ich dir schon sagte, liebe Nelly. Du weißt, daß ich in diesem Fall nicht zu tadeln bin. Was fiel ihm auch ein, den Lauscher zu spielen! Heathcliffs Worte waren allerdings, nachdem du dich entfernt hattest, schimpflich roh, aber ich hätte ihn wahrscheinlich doch bald von Isabella abgebracht, und das übrige war schließlich gleichgültig. Jetzt ist alles wieder verloren, weil dieser Narr glaubte, es geschähe ihm Unrecht! Hätte Edgar nichts gehört von unserer Unterredung – es hätte ihm wahrlich nichts geschadet! Wirklich, als er einen so dummen unvernünftigen Ton gegen mich anschlug, nachdem ich mich doch nur um seinetwillen heiser geschrieen hatte, war es mir fast egal, was die beiden einander antun würden; besonders da ich fühlte, daß – wie auch die Sache enden mochte – wir alle für wer weiß wie lange Zeit getrennt werden würden. Schön, wenn ich Heathcliff nicht als Freund behalten darf, und wenn Edgar durchaus schlecht und eifersüchtig sein will, so werde ich ihnen beiden das Herz brechen, indem ich mein Herz brechen werde. Das ist ein sicheres Mittel, falls man mich zum äußersten reizt! Aber es ist eine Tat, die ich mir für den Moment vollkommener Hoffnungslosigkeit aufsparen will, und sie soll Linton nicht überraschend kommen. Bisher vermied er es sorgsam, mich zu reizen. Du mußt ihm jetzt vorstellen, welche Gefahr droht, falls er mich unvorsichtig in Zorn bringt. Gemahne ihn an mein hitziges Temperament, das leicht zum Wahnsinn werden kann, wenn es entflammt wird. Ich wollte, Ellen, du schautest etwas weniger gleichgültig drein und etwas mehr besorgt um mich!«
Sie fühlte nicht die Torheit dieser Ermahnungen, es war ihr vielmehr sehr ernst damit. Ich aber vermutete, wer einen Rasereianfall so planen und berechnen könne, der sei auch fähig, selbst in zornigster Erregung nicht die Herrschaft über sich selbst zu verlieren; und ich wünschte nicht, ihren Mann zu »erschrecken«, wie sie es nannte, und – nur um ihrem Egoismus zu dienen – seine Sorgen zu vermehren. Darum sagte ich dem Herrn nichts, als ich ihn auf unser Zimmer zukommen sah, nahm mir aber die Freiheit, ihm heimlich zu folgen, um zu erlauschen, ob sie wohl Frieden schließen würden.
»Bleib nur da, Catherine«, sagte er ohne jeden Zorn, doch mit trauernder Mutlosigkeit. »Ich gehe gleich wieder. Ich will weder neuen Streit noch Versöhnung. Aber ich möchte wissen, ob du nach den Begebenheiten des heutigen Abends beabsichtigst, auch fernerhin deine Intimität mit ...«
»Ich bitte dich«, unterbrach ihn die Herrin und stampfte mit dem Fuß, »um Himmelswillen, hör doch jetzt auf damit! Dein kaltes Blut kennt freilich keine Hitze, du hast überhaupt Eiswasser in den Adern statt Blut; meins aber kocht, und der Anblick deiner Frostigkeit lässt es rasen!«
»Beantworte meine Frage, und du bist mich los«, beharrte Mr. Linton. »Du mußt antworten, und deine Wildheit schreckt mich nicht. Ich habe bemerkt, daß du recht gut imstande bist, eine stoische Ruhe zu bewahren. Also, willst du nach dem Vorgefallenen Heathcliff aufgeben, oder willst du mich verlieren? Es ist unmöglich, daß du gleichzeitig mein und sein Freund sein kannst, und ich verlange durchaus zu wissen, wen von uns du wählst.«
»Ich verlange durchaus, allein gelassen zu werden!« schrie Catherine wütend. »Ich befehle es! Siehst du nicht, daß ich mich kaum auf den Füßen halten kann? Edgar, geh – geh sofort!«
Sie riß an der Klingelschnur, bis sie mit einem schrillen Schrei zersprang. Darauf trat ich bedächtig ein.
Ihre boshafte sinnlose Zornraserei hätte genügt, um einen Heiligen aufzubringen. Da lag sie und schlug mit dem Kopf an die Lehne des Sofas und knirschte mit den Zähnen, als wolle sie sie zermalmen. Mr. Linton stand dabei und betrachtete sie in plötzlich erwachter Reue und Besorgnis. Er trug mir auf, Wasser zu bringen. Ich brachte ein Glas voll, und da sie nicht trinken wollte, besprengte ich ihr das Gesicht. Sogleich streckte sie sich steif aus und verdrehte die Augen, während ihre Wangen, nun plötzlich bleich und kalt, einsanken wie bei einer Toten. Linton starrte sie entsetzt an.
»Das hat sicher nicht viel zu bedeuten«, flüsterte ich, denn ich wollte um keinen Preis, daß er nachgiebig werde, obschon ich selbst bis ins tiefste Herz erschrocken war.
»Ihre Lippen sind voll Blut«, sagte er schaudernd.
»O, das macht nichts!« antwortete ich trocken. Und ich erzählte ihm, daß sie, ehe er kam, beschlossen hatte, eine Wahnsinnsszene zu spielen. Unvorsichtigerweise gab ich diesen Bericht ziemlich laut, und sie hörte mich, denn sie fuhr auf: ihr Haar flutete wild herab, die Augen flammten, und die Muskeln an Hals und Armen wölbten sich in übernatürlicher Spannung. Ich glaubte, daß sie mir in ihrem Zorn mindestens alle Knochen im Leibe zerbrechen werde, aber sie starrte uns nur einen Augenblick an und eilte dann aus dem Zimmer. Der Herr hieß mich ihr folgen. Das tat ich – bis an ihre Zimmertür. Weiter gelangte ich nicht, denn sie schlug sie mir vor der Nase zu.
Da sie am anderen Morgen keine Anstalten machte, zum Frühstück zu erscheinen, fragte ich, ob ich es ihr hinaufbringen solle. »Nein!« antwortete sie kategorisch. Dieselbe Frage erhielt zu Mittag und Abend dieselbe Antwort.
Mr. Linton seinerseits verbrachte seine Zeit in der Bibliothek und fragte nicht nach seiner Frau. Isabella und er hatten eine lange Unterredung miteinander, in welcher er versuchte, bei ihr irgend ein Empfinden des Ekels oder Entsetzens vor Heathcliffs Annäherungsversuchen zu entdecken. Aber er konnte ihren ausweichenden Antworten nichts entnehmen und mußte das Gespräch resultatlos abbrechen. Immerhin knüpfte er die ernste Warnung daran, daß – sollte sie so toll sein, diesen elenden Freier zu ermutigen – dies alle Bande zwischen ihr und ihm zerreißen würde.