Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
.
Ein liebenswürdiger Beginn meines Einsiedlerlebens: vier Wochen Qualen, Husten und Krankheit! O diese kalten Winde und düsteren Nordlandhimmel, diese ungangbaren Wege und diese phlegmatischen Landärzte mit ihren runzeligen trostlosen Gesichtern! Das schlimmste aber ist Kenneths entsetzliche Mitteilung, daß ich nicht daran denken könne, die Nase vor die Tür zu stecken, ehe es nicht Frühling sei. –
Soeben hat Mr. Heathcliff mich mit einem Besuch beehrt. Vor etwa acht Tagen sandte er mir ein paar Waldhühner – die letzten der Saison. Der Schurke! Er ist nicht so ganz schuldlos an meinem Unwohlsein, und ich hatte große Lust, ihm das zu sagen. Aber ach, wie hätte ich einen Mann kränken können, der gutherzig genug war, über eine Stunde an meinem Bett zu sitzen und von anderen Dingen zu reden als von Pillen und Tränklein, Pflastern und Pulvern? Jetzt spüre ich eine kleine Erleichterung. Zum Lesen bin ich noch zu schwach, dennoch fühle ich, daß etwas Anregung mir gut wäre. Sollte ich nicht Mrs. Dean heraufbitten, damit sie in ihrer Erzählung fortfährt? Ich kann mich an die hauptsächlichsten Punkte derselben noch gut erinnern: der Held war davongelaufen, und man hatte drei Jahre lang nichts von ihm gehört; und die Heldin war verheiratet. Ich werde klingeln; sie wird erfreut sein, mich zu einem munteren Gespräch bereit zu finden. – Mrs. Dean kam.
»Es ist noch nicht Zeit für Ihre Medizin, Herr; es fehlen noch zwanzig Minuten«, begann sie.
»Nichts davon!« antwortete ich. »Ich wünsche vielmehr –«
»Der Doktor sagt, Sie brauchen die Pulver nicht mehr zu nehmen.«
»Von Herzen einverstanden! Doch unterbrechen Sie mich nicht. Kommen Sie, setzen Sie sich her. Lassen Sie die Hände von jener grausigen Phalanx von Flaschen! Sie haben gewiß Ihr Strickzeug in der Tasche – heraus damit! So ist's recht! Und nun fahren Sie fort in Ihrem Bericht über Mr. Heathcliff. Nahm er seine Erziehung selbst in die Hand, und wo vollendete er sie? Auf dem Kontinent? Kehrte er als Kavalier zurück? Oder tat er Dienste auf irgend einem Bauernhof, oder entfloh er nach Amerika und gelangte zu Ehr und Gut auf schlaue Weise? Oder fand er als Räuber auf Englands Landstraßen sicherere Beute?«
»Er mag sich in all diesen Berufen versucht haben, Mr. Lockwood; aber bürgen kann ich für keinen. Ich sagte schon früher, daß ich nicht weiß, wie er zu seinem Gelde gelangt ist. Ebensowenig bin ich darüber unterrichtet, auf welche Weise er seinen Geist aus Verwilderung und Unwissenheit emporarbeitete. Doch ich will fortfahren, wenn Sie meinen, daß es Sie nicht ermüden wird. Fühlen Sie sich besser heut morgen?«
»Viel.«
»Das ist gute Botschaft Also hören Sie! Ich brachte Miß Catherine und mich selbst nach Drosselkreuz, und zu meiner angenehmen Enttäuschung betrug sie sich weit besser, als ich anzunehmen gewagt hätte. Sie schien fast zu entzückt von Mr. Linton, und sogar seiner Schwester bezeigte sie viel Zuneigung. Allerdings waren sie alle beide sehr um Catherines Wohl bemüht. Die Reben umrankten den Dornstrauch – nicht umgekehrt. Da war kein gegenseitiges Anpassen und Nachgeben, sondern eins stand aufrecht, und die anderen schmiegten sich ihm an; und wer kann boshaft und übellaunig sein, wenn er weder durch Widerspruch noch durch Teilnahmlosigkeit gereizt wird? Ich sah, daß Mr. Edgar eine wahre Angst davor hatte, sie zu verstimmen. Er verbarg das vor ihr, doch wann immer er hörte, daß ich ihr eine scharfe Antwort gab, oder bemerkte, daß einer der anderen Bediensteten über einen ihrer hochmütigen Befehle unwillig wurde, so runzelte er ärgerlich die Stirn. Mehr als einmal machte er mir ernste Vorwürfe wegen meiner Naseweisheit und versicherte, daß eine körperliche Verwundung ihn nicht so schmerzen könne, wie die Seelenqual, die er empfinde, wenn er sein Herzensweib erzürnt sehe.
Um einen guten Herrn nicht zu bekümmern, lernte ich weniger empfindlich zu sein, und für die Dauer eines halben Jahres lag das Dynamit so harmlos da wie Sand – weil kein Feuer in seine Nähe kam, es zu entzünden. Catherine hatte Zeiten von Trübsinn und Schweigsamkeit; alle ihre Stimmungen wurden von ihrem Gatten verständnisvoll respektiert. Da sie nie früher solche Niedergeschlagenheit gezeigt hatte, schrieb er diese Stimmungen einer Nachwirkung ihrer schweren Krankheit zu. Wiederkehrender Sonnenschein wurde von ihm sofort durch sonniges Wesen belohnt. Ich kann wohl sagen, daß sie tatsächlich ein tiefes, stetig wachsendes Glück empfanden.
Es endete. Ja, wir müssen einsam werden im Lauf der Jahre. Ihr Glück endete, als die Umstände ihnen zeigten, daß die Interessen des einen keinen Teil hatten an den Gedanken des anderen.
An einem milden Septemberabend kam ich mit einem schweren Korb aus dem Garten. Ich hatte Äpfel gesammelt. Es war dabei dunkel geworden, und der Mond sah über die hohe Hofmauer herein und ließ in den Winkeln der zahlreichen Erker und Vorbauten des Hauses seltsame Schatten schleichen.
Ich setzte meine Last auf die Treppenstufen der Hintertür nieder und gönnte mir ein wenig Ruhe. Ich sog in langen Atemzügen die weiche, süße Luft ein. Meine Blicke hingen am Mond, ich hatte dem Hause den Rücken gekehrt. Da hörte ich hinter mir eine Stimme:
»Nelly, bist du es?«
Es war eine tiefe Stimme, deren Ton mir fremd war, dennoch lag in der Betonung meines Namens etwas, das mir bekannt vorkam.
Ich sah mich ängstlich nach dem Sprecher um. Die Türen waren geschlossen, und ich hatte niemanden herankommen sehen. Im Torraum regte es sich, ich trat hinzu und erkannte einen hohen Mann in dunklem Anzug, mit dunklem Haar und Gesicht. Er lehnte an der Wand, und seine Hand lag auf der Türklinke, als beabsichtige er, ins Haus zu treten. Wer kann es sein? dachte ich. Mr. Earnshaw? O nein! Das war nicht seine Stimme.
»Ich habe schon eine Stunde hier gewartet«, bemerkte der Mann, während ich ihn noch anstarrte. »Und in dieser ganzen Zeit war alles so still wie der Tod. Ich wagte nicht hineinzugehen. – Kennst du mich nicht? Sieh her, ich bin kein Fremder!«
Er trat heraus in den Mond. Seine Wangen waren bleich, die Brauen senkten sich tief über die dunklen seltsamen Augen. Diese Augen kannte ich.
Ich schrie auf, denn ich wußte nicht, ob es ein irdischer Gast sei, der da vor mir stand, und hob die Hände in Bestürzung. »Wie? Sie sind zurückgekommen! Sind Sie es wirklich? Sind Sie's?«
»Ja: Heathcliff«, antwortete er und sah nach den Fenstern hinauf, die lauter glitzernde Monde spiegelten, doch kein erleuchtetes Zimmer zeigten. »Sind sie zu Haus? Wo ist sie? Nelly, du bist nicht erfreut! Du brauchst nicht besorgt zu sein. Ist sie hier? Sprich! Ich will nur ein Wort mit ihr reden. Geh und sag ihr, jemand aus Gimmerton möchte sie sprechen.«
»Wie wird sie es aufnehmen?« rief ich aus, »was wird sie tun? Die Überraschung verwirrt mich – und wird sie kopflos machen! Und Sie sind wirklich Heathcliff? Aber wie verändert! Nein, das ist unbegreiflich! Waren Sie bei den Soldaten?«
»Geh und richte meine Botschaft aus«, unterbrach er mich ungeduldig; »ich leide Höllenqualen.«
Er drückte die Klinke nieder, und ich trat ins Haus. Als ich aber vor dem Wohnzimmer stand, in dem, wie ich wußte, Mr. und Mrs. Linton anzutreffen waren, konnte ich mich nicht zu weiterem Vordringen entschließen. Endlich beschloß ich, zunächst die Frage zu stellen, ob ich Licht bringen solle, und ich öffnete die Tür.
Sie saßen beide am Fenster, dessen geöffnete Flügel bis an die Mauer zurückgeschlagen waren. Man sah über die Bäume des Gartens und den verwilderten Park hinüber bis in das Tal von Gimmerton, über das eine lange Nebelwelle herankroch. Der Hügel vom Sturmheidhof stieg dahinter auf. Unser altes Heim aber war nicht zu sehen, denn es liegt auf der anderen Seite der Höhe.
Das Zimmer und die Menschen darin und auch das Bild, zu dem sie sinnend hinüberblickten – alles sah wundersam friedlich aus. Es widerstrebte mir, meine Botschaft auszurichten, und schon zog ich mich, nachdem ich die Frage wegen der Kerzen gestellt hatte, wieder zurück, als irgend eine Macht mich veranlaßte, kehrt zu machen und zu stammeln: »Jemand von Gimmerton wünscht Sie zu sehen, gnädige Frau«.
»Was will er?« fragte Mrs. Linton.
»Ich habe ihn nicht gefragt«, entgegnete ich.
»So schließe die Vorhänge, Nelly«, sagte sie, »und bring den Tee herauf. Ich werde gleich wieder hier sein.«
Sie verließ das Zimmer. Mr. Edgar fragte gleichgültig, wer denn da gekommen sei.
»Jemand, den sie nicht erwartet«, erwiderte ich. »Jener Heathcliff, Herr, der bei den Earnshaws lebte. Sie erinnern sich wohl seiner noch?«
»Was?! Der Zigeuner – der Bauernlümmel?« rief er. »Warum hast du das Catherine nicht gesagt?«
»Still, Herr! So dürfen Sie ihn nicht nennen«, sagte ich. »Sie würde sehr bekümmert sein, wenn sie das hörte. Ihr brach fast das Herz damals, als er davonlief. Ich glaube, seine Rückkehr wird ihr eine große Herzensfreude sein.«
Mr. Linton schritt zum Fenster an der anderen Seite des Zimmers hinüber; er blickte auf den Hof. Er öffnete es und beugte sich hinaus:
»Steh nicht dort draußen, Lieb! Bring den Betreffenden herein, wenn er etwas besonderes will.«
Nicht lange, und die Haustür wurde geöffnet und Catherine eilte herauf, atemlos und wild und zu überrascht, um Freude zeigen zu können. In der Tat, ihr Gesicht drückte eher Betroffenheit aus.
»O Edgar, Edgar!« bebte sie, ihn umhalsend. »O Edgar, Liebster! Heathcliff ist wiedergekommen – ist wieder da!« Und sie preßte ihn wild.
»Nun, nun!« rief ihr Mann ärgerlich, »darum brauchst du mich nicht zu erdrücken. Der Kerl ist doch solchen Gefühlsüberschwang weiß Gott nicht wert!«
»Ich weiß, du hast ihn nie leiden können«, antwortete sie, ihr Entzücken dämpfend. »Dennoch – um meinetwillen – jetzt müßt ihr Freunde werden! Soll ich ihn heraufkommen lassen?«
»Hierher?« sagte er, »in den Salon?«
»Wohin sonst?«
Er sah sie verdrießlich an und meinte, die Küche sei ein passenderer Ort. Mrs. Linton blickte halb böse und halb amüsiert über seine würdevolle Haltung.
»Nein«, sagte sie dann; »ich kann nicht in der Küche sitzen. So decke also zwei Tische, Ellen: einen für deinen Herrn und Miß Isabella, den anderen für Heathcliff und mich. – Ist dir's recht so, Lieb! Oder soll ich mir ein anderes Zimmer heizen lassen? Dann gib du Auftrag. Ich will hinunterlaufen und meinen Gast in Sicherheit bringen. Ich fürchte, das Glück ist zu groß, um wahr zu sein!«
Sie wollte wieder davonstürmen, aber Edgar hielt sie zurück.
»Bitte du ihn, heraufzukommen«, wandte er sich an mich; »und du, Catherine, versuche froh zu sein, ohne Überschwang! Das ganze Haus braucht doch nicht Zeuge davon zu sein,, daß du einen entlaufenen Knecht bewillkommnest wie einen Bruder.«
Ich ging hinunter und fand Heathcliff im Hausflur. Er hatte wohl die Aufforderung zum Eintreten schon erwartet. Er folgte ohne viel Worte meiner Führung, und ich meldete ihn der Herrschaft, deren erhitzte Gesichter zeigten, daß erregte Worte gefallen sein mußten. Doch das Antlitz Catherines erglühte in anderem Empfinden, als ihr Freund in der Tür erschien. Sie lief hin zu ihm, nahm ihn bei den Händen und führte ihn Linton zu. Und dann ergriff sie Lintons widerstrebende Finger und preßte sie in die des anderen.
Nun das volle Licht des Feuers und der Kerzen auf Heathcliff fiel, war ich überrascht, ihn so verändert zu sehen. Er war ein hoher, kräftiger, wohlgebildeter Mann, neben dem mein Herr fast schmächtig aussah. Seine aufrechte Haltung legte den Gedanken nahe, daß er beim Heer gewesen sei. Sein Gesicht schien durch Ausdruck und Festigkeit der Züge bei weitem älter als Mr. Lintons. Es war intelligent und wies kein Zeichen früherer Unkultur auf; dennoch glühte die alte, nur halb gezähmte Wildheit aus den schwarzfeurigen Augen. Sein Benehmen aber war geradezu vornehm zu nennen – ganz frei von Derbheit, obschon zu ernst, um entgegenkommend zu sein.
Das Erstaunen meines Herrn war noch größer als meines. Er war für einen Moment unschlüssig, wie er den »Knecht« anreden solle. Da gab Heathcliff die zarte Hand des anderen frei und wartete kühl auf eine Anrede.
»Setzen Sie sich, mein Herr«, sagte Linton schließlich. »Mrs. Linton hat mich gebeten, Sie, alter Zeiten gedenkend, herzlich zu empfangen, und natürlich bin ich glücklich, ihr damit eine Freude machen zu können.«
»So wie ich selbstredend auch«, antwortete Heathcliff. »Ich werde gern ein oder zwei Stunden bleiben.«
Er nahm am Kamin, Catherine gegenüber Platz, die ihn unausgesetzt anblickte, als fürchte sie, er könne in nichts zergehen, wenn sie das Auge von ihm wende. Er sah nicht oft hinüber zu ihr. Dann und wann ein schneller Blick – das war alles. Aber er verriet von Mal zu Mal deutlicher das Entzücken, das er aus ihren Blicken trank. Sie waren so vertieft in ihre Freude aneinander, daß sie keine Verlegenheit fühlten. Nicht so Mr. Edgar. Die Unruhe machte ihn bleich und erreichte ihren Höhepunkt, als sein Weib sich erhob, hinüber zu Heathcliff trat und von neuem dessen Hände faßte, während sie wie selbstentrückt zärtlich lachte.
»Morgen werde ich denken, es sei ein Traum gewesen!« rief sie. »Ich werde es nicht glauben können, daß ich dich noch einmal wiedergesehen und dich gefühlt und mit dir gesprochen habe. Und doch, Grausamer, du verdienst nicht dies Willkommen! Drei Jahre lang fort und totenstumm – und nicht einmal gedacht hast du an mich!«
»Und doch ein wenig mehr, als du an mich gedacht hast«, murmelte er. »Ich hörte vor kurzem von deiner Heirat, Cathy, und kehrte heim. Und als ich vorhin drunten im Hof wartete, geschah es, um dir noch einmal ins Auge zu sehen – einem erstaunten Blick, einer gekünstelten Freude zu begegnen – und dann mit Hindley abzurechnen und mich durch Selbsthinrichtung dem Arme des Gesetzes zu entziehen. Dein Willkommen hat mich anderen Sinnes gemacht; doch hüte dich, mir nächstens etwa doch fremd zu begegnen! Nein, du wirst mich nun nicht wieder los! Es tat dir wirklich leid um mich, ja? – Nun, dazu hattest du Grund genug. Ich habe mich durch viel Bitternis hindurchgekämpft, seit ich zuletzt deine Stimme hörte, und du mußt mir vergeben, denn was ich tat, tat ich um deinetwillen!«
»Catherine, wenn wir nicht kalten Tee trinken sollen, so komm bitte zu Tisch«, fiel Linton ein und mühte sich, seiner Stimme den gewohnten Klang zu geben und nicht unhöflich zu sein. »Mr. Heathcliff wird, wo er auch übernachten mag, noch einen weiten Weg haben, und ich bin durstig.«
Sie nahm ihren Platz am Teekessel ein, und Miß Isabella kam, durch ein Glockenzeichen benachrichtigt Ich trug die Stühle vom Kamin zum Tisch hinüber und ging dann hinaus.
Das Mahl dauerte kaum zehn Minuten. Catherines Tasse blieb ungefüllt; sie konnte weder essen noch trinken. Edgar hatte ein paar Schluck genommen.
Nach einer Stunde verabschiedete sich der Gast. Ich begleitete ihn hinunter und fragte bei dieser Gelegenheit, ob er noch nach Gimmerton wolle.
»Nein, zum Sturmheidhof«, antwortete er. »Mr. Earnshaw hat mich zu sich geladen, als ich ihn heut Morgen besuchte.«
Mr. Earnshaw lud ihn ein, ihn! Und er hatte Mr. Earnshaw besucht! Lange nachdem Heathcliff fort war, dachte ich noch über diese Mitteilung nach. Sollte er ein Heuchler und Duckmäuser geworden und heimgekommen sein, um unter dem Deckmantel der Freundschaft Unheil zu wirken? Ich hatte in der Tiefe meines Herzens eine Ahnung, daß es besser gewesen wäre, er wäre fortgeblieben.
Gegen Mitternacht wurde ich aus dem Schlaf geweckt. Mrs. Linton stand an meinem Bett und zog mich an den Haaren, um mich wach zu machen.
»Ich kann nicht schlafen, Ellen«, sagte sie entschuldigend. »Und ich brauche in meinem Glück irgend ein lebendes Wesen. Edgar schmollt, weil ich mich über etwas freue, was ihn nicht interessiert. Er öffnet den Mund nur zu albernen Vorwürfen. Er behauptet, ich sei grausam und selbstsüchtig, weil ich Unterhaltung suche, gerade jetzt, da er elend und müde sei. Beim geringsten Zwist gibt er jedesmal vor, krank zu sein. Ich hatte ihm von meiner Freude gesprochen, daß Heathcliff wieder da sei, da fing er an zu weinen – vielleicht aus Eifersucht, vielleicht auch, weil er Kopfweh hatte. So stand ich auf und ließ ihn allein.«
»Was hat es für einen Sinn, ihm Heathcliffs Lob zu singen«, entgegnete ich. »Als Jungens hatten sie schon eine Aversion gegeneinander, und Heathcliff würde ebensowenig ein Wort zum Lobe des anderen vertragen. Das ist menschlich. Lassen Sie Mr. Linton in Ruh mit ihm, wenn Sie nicht offenen Streit haben wollen.«
»Aber das ist doch ein Zeichen großer Schwäche«, fuhr sie fort. »Ich bin nicht eifersüchtig. Ich fühle mich nie verletzt. Ich beneide Isabella weder um den goldenen Glanz ihres Haares, noch um die Weiße ihrer Haut, noch um ihre zarte Eleganz und um das Entzücken, das alle an ihr haben. Sogar du, Nelly, nimmst ihre Partei, wenn ich mal mit ihr Streit habe, und ich gebe nach, wie eine vernarrte Mutter. Ich nenne sie Herzchen und schmeichle sie wieder in gute Laune zurück. Ihr Bruder freut sich, wenn er uns herzlich und vertraut miteinander sieht, und darum freut das auch mich. Aber sie sind sich sehr ähnlich, die beiden: sie sind verzogene Kinder und bilden sich ein, die Welt sei nur zu ihrem Behagen geschaffen; und obgleich ich gegen beide nachsichtig bin, meine ich doch, eine gelegentliche Züchtigung könne ihnen nicht schaden.«
»Sie sind im Irrtum, Mrs. Linton«, sagte ich. »Die andern sind die Nachsichtigen und Zuvorkommenden. Ich weiß, was geschehen würde, wenn es anders wäre. Sie mögen gern behaupten, daß Sie ihre kleinen Launen geduldig ertragen, solange jene sich mühen, all Ihren Wünschen zuvorzukommen. Immerhin kann es aber doch einmal geschehen, daß Sie bei beiden auf Widerstand stoßen; und dann, glaube ich, werden sich die, die Sie als schwächlich bezeichnen, als ebenso eigenwillig erweisen, wie Sie selbst es sind.«
»Und dann werden wir kämpfen auf Leben und Tod, nicht wahr, Nelly?« gab sie lachend zurück. »Nein! Ich sage dir, ich habe solch Vertrauen in Lintons Liebe, daß ich glaube, ich könnte ihn töten, ohne daß er versuchen würde, sich zu wehren.«
Ich gab ihr den Rat, ihn um dieser Zuneigung willen um so mehr zu schätzen.
»Das tue ich«, antwortete sie. »Aber er braucht nicht wegen jeder Kleinigkeit in Tränen auszubrechen. Das ist kindisch. Ich habe nur gesagt, daß Heathcliff jetzt der Hochachtung eines jeden würdig sei, und daß es auch den Höchstgestellten ehren könne, sein Freund zu heißen. Das alles hätte eigentlich er mir sagen müssen und hätte entzückt sein müssen über ihn. Er muß sich an ihn gewöhnen, und er muß lernen, seine Gefühle zu beherrschen, so wie Heathcliff das tut. Der hat wahrlich Grund, ihn zu hassen, und ich finde, er hat sich vollendet benommen.«
»Was sagen Sie dazu, daß er nach Sturmheid gegangen ist?« forschte ich. »Er hat sich anseheinend sehr verändert – ist ein ganzer Christ geworden und bietet all seinen Feinden in der Runde freundschaftlich die Rechte.«
»Er hat mir darüber Aufklärung gegeben«, entgegnete sie. »Ich war ebenso verwundert wie du. Er sagte, er sei hingegangen, um sich dort bei dir nach mir zu erkundigen; er nahm natürlich an, daß du noch dort seiest. Josef aber benachrichtigte Hindley; der kam heraus und fragte Heathcliff, wie es ihm ergangen sei und was er getrieben habe, und schließlich forderte er ihn auf, einzutreten. Es waren da einige Leute beim Kartenspiel; Heathcliff beteiligte sich. Mein Bruder verlor Geld an ihn und später forderte er ihn auf, am Abend wiederzukommen. Heathcliff war damit einverstanden. Hindley ist zu sorglos, um seinen Verkehr klug auszuwählen. Er macht sich keine Gedanken darüber, daß er eigentlich Grund habe, einem zu mißtrauen, den er einst auf tiefste verletzte. Doch Heathcliff versichert, er sei hauptsächlich deshalb zu seinem ehemaligen Verfolger wieder in Beziehung getreten, um in möglichster Nähe von Drosselkreuz wohnen zu können, auch habe er große Anhänglichkeit an das Haus, in dem wir beide aufgewachsen sind. Und dann denkt er wohl, daß es mir, um ihn zu sehen, leichter sei, dorthin zu kommen, als nach Gimmerton zu gehen. Er gedenkt für Unterkunft im Sturmheidhof gut zu bezahlen, und mein Bruder wird aus Habgier den Vorschlag annehmen. Er war ja stets geldgierig, wenn er auch das, was er mit der einen Hand errafft, mit der anderen wieder hinauswirft.«
»Nun, das ist gerade kein angenehmer Aufenthalt dort für einen jungen Mann!« sagte ich. »Haben Sie keine Angst vor den Konsequenzen, Mrs. Linton?«
»Nicht für meinen Freund«, erwiderte sie. »Sein reifer Verstand wird ihn vor Gefahren behüten. Nur ein wenig für Hindley, doch moralisch kann er nicht mehr tiefer sinken, und zu einem gefährlichen Streit wird es Heathcliff mir zuliebe nicht kommen lassen. Das Ereignis dieses Abends hat mich mit Gott und den Menschen versöhnt! Ich hatte mich zornig aufgelehnt gegen die Vorsehung. O, ich habe sehr, sehr bitteres Leid getragen, Nelly! Wenn dieser Schwächling wüßte, wie bitter, würde er sich schämen, meine Freude jetzt mit seiner verletzten Eitelkeit zu verdunkeln. Aus Güte zu ihm trug ich meinen Kummer allein. Nun, jetzt ist's vorbei, und ich will ihm sein albernes Betragen nicht übelnehmen. Jetzt kann ich alles leicht ertragen! Und würde der elendeste Mensch auf Erden mich auf die Wange schlagen, so würde ich ihm nicht nur die andere hinhalten, sondern ihn um Vergebung bitten. Und als Beweis dafür gehe ich jetzt gleich und mache Frieden mit Edgar. Gute Nacht – ich bin gut wie ein Engel!«
In dieser selbstzufriedenen Überzeugung ging sie. Und der Erfolg ihres Entschlusses war am Morgen deutlich sichtbar. Mr. Linton hatte nicht allein seine üble Laune abgelegt, sondern hatte sogar nichts dagegen, daß Catherine am Nachmittag mit Isabella nach Sturmheid ging. Und sie belohnte ihn mit solch einem Sommer süßer Zärtlichkeit, daß das Haus für ein paar Tage zum Paradies wurde, denn Hausherr und Dienerschaft – alles profitierte von diesem plötzlichen Sonnenschein.
Heathcliff – Mr. Heathcliff sollte ich von nun ab sagen – machte von der Erlaubnis, auf Drosselkreuz zu verkehren, anfänglich nur vorsichtigen Gebrauch. Er schien abschätzen zu wollen, inwieweit Mr. Linton sein Eindringen dulden werde. Auch Catherine befand es für gut, bei seiner Begrüßung ihre Freudenausbrüche zu dämpfen, und so hatte er sich nach und nach ein gewisses Recht gesichert, empfangen zu werden. Er hatte noch viel von der Verschlossenheit seiner Knabenjahre an sich, und das genügte, um allen Gefühlsüberschwang herabzustimmen. Die Unruhe meines Herrn begann einzuschlummern, und neue Ereignisse leiteten sie für eine Weile in andere Richtung.
Seine neue Sorge entsprang einem ganz unvorhergesehenen Umstand. Isabella Linton wurde von einer plötzlichen und unwiderstehlichen Neigung zu dem Gast des Hauses ergriffen. Sie war nun ein entzückendes junges Mädchen von achtzehn Jahren, kindlich in ihrem Wesen und doch von tiefem Gefühl und starkem Temperament. Ihr Bruder, der sie zärtlich liebte, war entsetzt. Ganz abgesehen davon, daß eine Verbindung mit diesem Namenlosen durchaus unwürdig war, und daß dann sein eigenes Vermögen, falls ihm kein männlicher Erbe geboren wurde, in die Gewalt eines solchen Menschen kommen würde, begriff er auch Heathcliffs Wesen vollkommen. Er wußte, obgleich dieser äußerlich sehr verändert schien, war seine Seele doch die alte geblieben. Und er fürchtete diese Seele. Sie empörte ihn. Er scheute namenlos zurück vor der Möglichkeit, Isabella in die Hut dieser Seele zu geben. Er würde aber noch viel mehr entsetzt gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß ihre Zuneigung gar nicht gewünscht worden war, daß sie verschwendet wurde ohne Gegenliebe zu finden. Dieser Gedanke kam ihm gar nicht, vielmehr schrieb er sofort Heathcliffs mutmaßlich zu heißem Werben die Schuld an Isabellas Gefühlsüberschwang bei.
Wir alle bemerkten seit einiger Zeit, daß Miß Linton über irgend etwas schmollte und sich grämte. Sie war bös und launenhaft und reizte Catherine bei jeder Gelegenheit, so daß diese noch häufiger als sonst die Geduld verlor. Bis zu einem gewissen Grade ließ dieses Benehmen sich mit Isabellas schwacher Gesundheit entschuldigen. Sie schwand vor unseren Augen hin wie eine müde Blume. Eines Tages aber war sie ganz besonders eigensinnig gewesen, sie hatte das Frühstück zurückgewiesen, sich über die Dienstboten beklagt und behauptet, die Hausfrau suche sie überall beiseite zu schieben, und Edgar vernachlässige sie; und sie habe sich erkältet, weil wir alle Türen aufsperrten und, nur um sie zu ärgern, das Feuer im Wohnzimmer hätten ausgehen lassen. Sie hatte sich noch über hundert andere Dinge beklagt, bis Mrs. Linton drohte, sie werde nach dem Arzt schicken, damit er sich ihrer Launenhaftigkeit annehme. Dies veranlaßte Isabella sogleich zu der Äußerung, sie sei völlig gesund, und nur Catherines grobes Wesen mache sie elend und leidend.
»Wie kannst du sagen, ich sei grob, du albernes Ding!« schrie die Hausfrau, über diese grundlose Anschuldigung aufgebracht. »Du bist wirklich nicht bei Verstand. Wann bin ich grob gewesen, bitte?!«
»Gestern«, schluchzte Isabella, »und jetzt.«
»Gestern!« sagte ihre Schwägerin. »Bei welcher Gelegenheit?«
»Bei deinem Spaziergang über die Wiesen. Du schlendertest mit Heathcliff herum und mich schicktest du einfach fort.«
»Und das nennst du grob?« sagte Catherine lachend. »Das war wirklich kein Wink, daß deine Anwesenheit unerwünscht sei. Wir kümmerten uns wenig darum, ob du dich zu uns hieltest oder nicht; ich dachte nur, Heathcliffs Reden würden dir nichts Unterhaltendes bieten.«
»O nein«, meinte die junge Dame. »Du wolltest mich fort haben, weil du wußtest, daß ich gern dabei gewesen wäre!«
»Ist sie verrückt?« wandte sich Mrs. Linton an mich. »Ich werde dir unser Gespräch Wort für Wort wiederholen, Isabella, und du kannst mir dann sagen, welchen Reiz es für dich gehabt hätte.«
»Ich meine nicht das Gespräch«, antwortete sie; »ich wollte nur zusammensein mit –«
»Also?« sagte Catherine, ihr Zögern bemerkend.
»Mit ihm! Und ich will nicht immer fortgeschickt werden!« fuhr sie gereizter fort. »Du bist wie ein Hund am Fleischtopf, Cathy, du willst niemand anders geliebt sehen, als immer nur dich selbst!«
»Du bist ein impertinentes Gänschen!« rief Mrs. Linton überrascht. »Aber ich kann diese Dummheit nicht ernst nehmen. Es ist ja ganz unmöglich, daß es dich nach Heathcliffs Bewunderung gelüstet, daß du ihn sympathisch findest. Ich hoffe, ich habe dich mißverstanden, Isabella?«
»Nein, ganz und gar nicht!« sagte das unglückliche Mädchen. »Ich liebe ihn mehr, als du je Edgar geliebt hast; und sicherlich würde auch er mich lieben, wenn du ihn mir nur lassen würdest!«
»So möchte ich nicht du sein – nicht um ein Königreich!« erklärte Catherine pathetisch, und sie schien es ernst zu meinen. »Nelly, hilf mir, sie von ihrer unsinnigen Idee abzubringen. Sag ihr, was Heathcliff ist: eine unverbesserliche Kreatur, ohne Feinheiten, ohne Kultur, – eine dürre Wildnis von Stein und Ginster. Ebenso herzlos wie es wäre, einen kleinen Kanarienvogel an einem Wintertag hinaus in den Garten fliegen zu lassen, ebenso herzlos wäre es, dir zu empfehlen, deine Liebe an diesen Mann zu hängen. Es ist beklagenswerte Unkenntnis seines Charakters, Kind, und nichts anderes, was diesen Traum in dir erwecken konnte. Bitte, bilde dir doch nicht ein, daß unter seinem herben Äußeren Güte und Zärtlichkeit verborgen sei. Er ist nicht ein ungeschliffener Diamant, nicht ein Edelmann im Bauernkittel: er ist ein wilder, mitleidloser, wölfischer Mann. Nie würde ich zu ihm sagen: laß diesen oder jenen Feind in Ruhe, weil es unedel und grausam sein würde, ihm Leid anzutun; ich sage vielmehr: laß ihn in Ruhe, weil es mich kränken würde, wenn ihm ein Unrecht geschähe. – Und er würde dich zertreten, Isabella, wie ein Sperlingsei, wenn er es für der Mühe wert finden sollte, sich mit dir abzugeben. Ich weiß es doch: er kann keine Linton lieben, aber trotzdem wäre er fähig, dein Vermögen und dein Erbgut zu erheiraten. Habsucht ist eine Sünde, die mit ihm groß geworden ist. Da hast du mein Bild von ihm, und dabei bin ich seine Freundin, und dies so sehr, daß, hätte er ernstlich daran gedacht, dich einzufangen, ich vielleicht den Mund gehalten und zugesehen hätte, wie du ihm in die Falle gingst.«
Miß Linton sah entrüstet auf die Schwägerin. »O Schmach und Schande!« rief sie zornig. »Du bist schlimmer als zwanzig Feinde, du giftiger Freund du!«
»Ah, du willst mir also nicht glauben?« sagte Catherine. »Du denkst, ich spreche aus boshafter Selbstsucht?«
»Ja, ich bin dessen gewiß«, entgegnete Isabella, »es graust mich vor dir!«
»Gut!« schrie die andere. »Folge deinem Verlangen, prüfe du selbst. Ich bin fertig und überlasse den Gegenstand nun deiner Beschränktheit und albernen Überhebung.«
»Und ich muß unter ihrem Egoismus so namenlos leiden!« schluchzte Isabella, als Mrs. Linton das Zimmer verließ. »Alles, alles ist gegen mich. Sie hat mir meinen einzigen Trost genommen. Aber sie hat gewiß nicht die Wahrheit gesagt. Mr. Heathcliff ist kein Höllenunhold! Er hat einen ehrenhaften Sinn und ein aufrichtiges Herz – wie könnte er sonst ihrer so innig gedacht haben in all den Jahren?«
»Denken Sie nicht mehr an ihn, Miß«, sagte ich. »Er ist kein Mann für Sie. Mrs. Linton gebrauchte harte Worte, und doch muß ich ihr beistimmen. Sie kennt sein Herz besser als ich oder irgend ein anderer; und sie würde ihn nie so schlecht hinstellen, als er es wirklich ist. Ehrenhafte Leute verbergen nicht ihr Tun und Treiben. Doch wie hat er gelebt? Wie ist er reich geworden? Warum bleibt er jetzt auf Sturmheidhof, dem Wohnsitz eines Mannes, den er verabscheut? Man sagt, seit er dorthin gezogen ist, geht es mit Mr. Earnshaw rapide bergab. Sie sitzen die ganzen Nächte beisammen, und Hindley hat auf sein Land Geld aufgenommen und tut nichts als trinken und spielen. Erst vor einer Woche hörte ich von Josef, den ich in Gimmerton traf, folgendes:
»Nelly«, sagte er zu mir, »jetz geht 't doll her bei uns. Dem än'n sin beinoh de Finger abgesäbelt wor'n, weil'r den annern devun z'rickhallen wullt, sich selver abzesteche wie'n Kalb. Dat's der Här, d'wääst schun, bei dem geht't jetz huch her. Un der Borsch, der Heathcliff, der lacht sich rächt in't Fäustche bei su 'nem Deiwelsfest. Säht'r dann neist vun seim feine Läve hie bei uns? Uffgestann werd, wann de Sunn unnergeht; dann gitt et Werfelspiel, Branntewein, geschlussene Finsterlade un Kärzeliecht bis annere Dags uff Middag. Dann läht sich der Saufkumban fluchend un wild schloofe, un der Schuft, der ziehlt, wat er gewunn hott und frißt und schlooft – un fort geht et, um mit dem Nochbar seiner Fraa ze schwätze. Eich wett, er erziehlt do der Fraa Catherine, wie't Geld aus ehr's Vatters Tasch in sein' eigen' rollt, un wie ehrs Vatters Suhn de bräte Wäg der Sinde ennunnersaust un er voranlääft, um'm dat Dhor ze öffne.«
»Nun, Miß Linton, Josef ist ein alter Taugenichts, aber kein Lügner. Und wenn sein Bericht von Heathcliffs Aufführung wahr ist, so würden Sie doch sicher nie nach solchem Gemahl verlangen, nicht wahr!«
»Du steckst mit den anderen unter einer Decke, Ellen!« erwiderte sie. »Ich will deine Verleumdungen nicht hören. Wie übelwollend mußt du doch sein, daß du mich so zu überzeugen suchst, daß es kein Glück gibt auf Erden!«
Ob sie ihren phantastischen Traum verloren oder ihn weiter groß gefüttert haben würde, wenn man sie sich selbst überlassen hätte, das kann ich nicht sagen; man ließ ihr wenig Zeit zum träumen.
Am anderen Tag war eine Gerichtssitzung in der benachbarten Stadt. Mein Herr mußte derselben beiwohnen, und Mr. Heathcliff, dem seine Abwesenheit bekannt geworden war, kam früher als gewöhnlich.
Catherine und Isabella saßen im Bibliothekzimmer, feindlich und schweigsam. Das junge Mädchen schämte sich ihres in einem leidenschaftlichen Moment gemachten offenen Bekenntnisses, der Preisgabe ihres geheimsten Fühlens, und Catherine war nach reiflicher Überlegung ernstlich böse auf die andere; und wenn sie auch über ihre Keckheit lachen konnte, so nahm sie doch den Fall sehr ernst. Sie lachte, als sie Heathcliff am Fenster vorübergehen sah. Ich fegte gerade den Kamin, und ich entdeckte ein mutwilliges Lächeln auf ihren Lippen. Isabella saß in Gedanken versunken, bis die Tür geöffnet wurde und es zu spät war, die Flucht zu ergreifen.
»Tritt ein, so ist's recht!« rief Catherine lebhaft, einen Stuhl ans Feuer rückend. »Du findest hier zwei Menschen, die es dringend nötig haben, daß ein dritter das Eis zwischen ihnen schmelze, und du bist gerade derjenige, den wir beide dazu wählen möchten. Heathcliff, ich bin stolz, dir endlich jemanden zeigen zu können, der noch verliebter in dich ist als ich. Ich hoffe, du fühlst dich geschmeichelt. – Nein, es ist nicht Nelly. Sieh her! Meiner armen kleinen Schwägerin bricht das Herz, rein aus Anbetung deiner leiblichen und geistigen Schönheit! Es liegt ganz in deiner Macht, Edgars Schwager zu werden! – Nein, nein, Isabella, du sollst nicht davonlaufen!« fuhr sie fort, das verwirrte Mädchen, das entrüstet aufgesprungen war, wie im Scherz festhaltend. »Wir haben uns wie zwei Katzen um dich gezankt, Heathcliff, und sie überbot mich weit in Beteuerungen von Ergebenheit und Bewunderung für dich. Und außerdem setzte man mich davon in Kenntnis, daß meine Nebenbuhlerin – so bezeichnet sie sich selbst –, wenn ich nur Takt genug besäße, beiseite zu stehen, einen Pfeil in deine Seele schicken würde, der dich für immer fesseln und mein Bild in ewige Vergessenheit bannen würde.«
»Catherine!« rief Isabella, mühsam nach Fassung ringend, und versuchte sich von dem festen Griff zu befreien. »Ich bitte dich, bei der Wahrheit zu bleiben und mich nicht – auch nicht im Scherz – zu verleumden. Mr. Heathcliff, haben Sie so viel Güte, Ihre Freundin zu veranlassen, daß sie mich frei gibt Sie vergißt, daß Sie und ich nicht vertraute Kameraden sind, und was ihr ein Spaß ist, ist für mich über alles Ermessen qualvoll.«
Da der Gast nichts erwiderte, sondern Platz nahm und für die Gefühle, die sie ihm darbrachte, vollkommene Gleichgültigkeit zeigte, wandte sie sich an Catherine und verlangte nochmals flüsternd und angstvoll, daß sie sie gehen lasse.
»Um keinen Preis!« rief Mrs. Linton. »Ich will nicht wieder ein ›Hund am Fleischtopf‹ genannt werden. Du sollst bleiben! Nun, Heathcliff, du bezeigst wenig Interesse für meine Neuigkeit! Isabella schwört, daß Edgars Liebe zu mir nichts ist, gegenüber den Gefühlen, die sie dir entgegenbringt. Glaub nur, sie hat so etwas gesagt, nicht wahr, Ellen? Und seit unserem Spaziergang vorgestern hat sie nichts gegessen, aus Gram und Wut darüber, daß ich sie damals aus deiner Nähe verbannt habe.«
»Ich denke, du verleumdest sie«, sagte Heathcliff, seinen Stuhl so stellend, daß er ihr voll ins Gesicht sehen konnte. »Jedenfalls wünscht sie jetzt, meiner Gesellschaft enthoben zu sein.«
Und er starrte das junge Mädchen an, wie man etwa ein seltsames, abstoßendes Tier anblicken mag – einen indischen Tausendfuß zum Beispiel, den man sich aus Neugier, trotz allen Ekels, näher betrachtet
Das war zuviel für das arme Ding. Sie erbleichte und wurde dann flammend rot. Tränen rollten aus ihren Augen, und sie spannte ihre zarten Finger, um den festen Griff Catherines zu lösen. Da sie aber sah, daß alle Anstrengung nichts half, kratzte sie mit den Nägeln und brachte Catherines Fingern zahllose rote Wunden bei.
»Geh, du Tigerin!« rief Mrs. Linton, sie freigebend und die Hände schüttelnd. »Fort mit dir, in Gottes Namen, und versteck dein puterrotes Gesicht! Wie dumm von dir, ihm diese Krallen zu zeigen! Du kannst dir doch denken, welche Schlüsse er daraus ziehen wird. Sieh her, Heathcliff, solche Verwüstung können diese Waffen anrichten! Du mußt acht haben auf deine Augen.«
»Wenn diese Nägel jemals mich bedrohen würden, so würde ich sie ihr von den Fingern reißen«, antwortete er roh, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. »Aber weshalb hast du das Geschöpf so malträtiert, Cathy? Du sprachst doch wohl nicht im Ernst?«
»Ich versichere dich, ja!« entgegnete sie. »Schon seit Wochen grämt sie sich um dich, und heut morgen kam die Sache bei ihr zum Ausbruch. Sie hat eine ganze Flut von Schmähungen über mich ergossen, weil ich deine Fehler ins rechte Licht stellte, um ihre Anbetung ein wenig abzuschwächen. Aber kümmere dich nicht darum! Ich wollte sie für ihre Übellaunigkeit bestrafen – das ist alles. Ich habe sie zu gern, mein lieber Heathcliff, um zugeben zu können, daß du sie einfängst und auffrißt.«
»Und ich habe sie zu ungern, um diesen Versuch zu machen«, sagte er, – »es sei denn auf ganz teuflische Weise. Du würdest von seltsamen Dingen hören, wenn ich mit jenem widerlichen Wachsgesicht zusammenleben müßte. Zunächst würde ich dies ekelhafte Weiß jeden Tag mit allen Regenbogenfarben bemalen und die blauen Augen schwarz machen. Sie gleichen entsetzlich denjenigen Lintons.«
»Entzückend gleichen sie ihnen!« bemerkte Catherine. »Es sind Taubenaugen – Engelsaugen!«
»Sie ist die Erbin ihres Bruders, nicht wahr?« fragte er nach längerem Schweigen.
»Das sollte mir leid tun«, erwiderte seine Freundin. »Ein halbes Dutzend Neffen sollen ihr dies Recht streitig machen, so Gott will! Lassen wir das Thema fallen und vergiß die Sache. Du bist wirklich zu erpicht auf deines Nächsten Gut. Bedenke, dieses Mannes Eigentum ist mein!«
»Wenn es mein wäre, so wäre das nicht weniger der Fall«, sagte Heathcliff. »Aber wenn Isabella Linton auch so dumm ist, so ist sie doch wohl nicht toll; und kurz – wie du wünschst – lassen wir die Sache fallen.«
Sie sprachen nicht mehr davon, und Catherine dachte wohl auch nicht mehr daran. Seine Gedanken jedoch kehrten im Laufe des Abends noch manchmal zu dieser Angelegenheit zurück. Ich sah ihn vor sich hin lächeln – nein, grinsen und in bedeutsames Sinnen verfallen, sowie Mrs. Linton gelegentlich aus dem Zimmer ging.
Ich nahm mir vor, ihn im Auge zu behalten. Mein Herz hing sehr an meinem Herrn, dem ich mehr Anhänglichkeit schenkte, als ich Catherine zu geben vermochte. Mit Recht, wie ich meinte, denn er war gütig und vertrauend und ehrenhaft, und sie – nun, man konnte von ihr nicht gerade das Gegenteil behaupten, jedoch erlaubte sie sich so große Freiheiten, daß ich wenig Vertrauen in ihre Grundsätze hatte und noch weniger Sympathie für ihre Gefühle. Ich wünschte oft, es möchte irgend etwas geschehen, was auf schmerzlose Weise Sturmheid und Drosselkreuz von Mr. Heathcliff befreien und alles wieder so gestalten würde, wie es vor seiner Rückkunft gewesen war. Seine Besuche waren mir ein beständiger Schrecken und, wie ich vermute, auch meinem Gebieter. Heathcliffs Anwesenheit auf Drosselkreuz war ein über alle Maßen beklemmender Zustand. Ich fühlte, Gott hatte sein verirrtes Schaf dort seinen eigenen bösen Wegen überlassen, und ein reißendes Tier war gekommen und versperrte ihm den Weg zur Hürde und wartete nur auf die Gelegenheit, zuzuspringen und es zu vernichten.