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(Offb. 11, 3-12)
Der Priester Aaron Silberstein veranlaßte die übrigen Priester, noch im Tempel zu verharren, nachdem die Festpilger ihn bereits verlassen hatten. In einem der großen Versammlungssäle, die in die breite Umfassungsmauer des Tempels hineingebaut waren, versammelten sie sich.
»Liebe Herren und Brüder«, so sprach der ehrwürdige Aaron auf hebräisch, »unsere Seele zittert noch vor Erregung über den zwiefachen Frevel, der an heiliger Stätte geschehen. Ich klage an den Hohenpriester Veitel Abrámow, daß er die Hand geboten zu dem Greuel der Tempelschändung und fordere ihn auf, von seinem Amt zurückzutreten.«
Der Hohepriester, ein energisch aussehender Mann mit langem schwarzen Bart und unruhig flackernden Augen, erhob sich und erwiderte: »Unser Kultus, unsere Synagoge ist es gewesen, die unser Volk nun fast 2000 Jahre trotz seiner Zerstreuung unter alle Nationen zusammengehalten hat. Darum habe ich es mit Freuden begrüßt, daß wieder ein sichtbarer religiöser Mittelpunkt für unser Volksleben geschaffen worden ist, und habe nach ernsten Bedenken mich entschlossen, den Ruf zum hohenpriesterlichen Amt anzunehmen, zumal mein Name unter allen Gliedern unseres Volkes wohlbekannt ist. Was aber den Inhalt unserer Religion betrifft, so darf er nicht in den Formen vergangener Jahrtausende erstarren, sondern ihn fortzubilden nach den Bedürfnissen der Zeit und dem Stande der wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnis ist unsere, der Führer des Volkes, hohe Aufgabe. Eine moderne Religion aber kann sich nicht mehr um die veraltete Gottesvorstellung drehen, sondern muß den Menschheitsgeist zum Mittelpunkt haben, sie darf nicht theozentrisch, sondern anthropozentrisch sein. Das gehört zu den Binsenwahrheiten des neuesten Reformjudentums, das hier vertreten zu dürfen ich mir zur besonderen Ehre anrechne. Diese Wandlung der Religion konnte aber in dieser weltgeschichtlich bedeutsamen Stunde nicht besser ausgedrückt werden, als durch eine feierliche Huldigung vor dem, der das Haupt und gewissermaßen die Verkörperung der Menschheit darstellt. Der unglückliche Schuß, der einen Fanatiker des alten Systems hinwegraffte, ist auf einen Irrtum zurückzuführen. Das Vorkommnis ist sehr bedauerlich, aber ändert an der Sache nichts.«
»Ihr habt die Gotteslästerung des Hohenpriesters gehört«, sagte Aaron mit bebender Stimme und blitzenden Augen. »Ich stelle den Antrag, den falschen Hohenpriester Veitel Abrámow wegen Gotteslästerung und Tempelschändung seines Amtes für verlustig zu erklären.«
Nur wenige wagten dem Antrage zu widersprechen. Er wurde mit erdrückender Mehrheit angenommen.
Veitel Abrámow sah, daß ein weiterer Widerstand vergeblich wäre, und ließ es geschehen, daß zwei Priester ihm das Brustschild mit den 12 Edelsteinen abnahmen, die Kopfbedeckung und die bunte Amtskleidung auszogen und ihn so entehrt und geschändet hinausstießen aus dem Saal.
»Und nun«, sagte Aaron, »müssen wir einen anderen an seine Stelle wählen. Wenn ihr meinen Vorschlag hören wollt, so dürfte wohl der große Rabbi Joseph Meïr von Lemberg der Geeignetste sein. Er weilt ja als Priester in unserer Mitte.«
Da wurde ein heftiger Widerspruch laut.
»Rabbi Meïr ist zum Christentum übergetreten«, rief einer aus der Versammlung, »er ist ein Verräter an unserem Volke.«
»Rabbi Meïr wird auf diese Beschuldigung am besten selbst antworten.«
Der Angeredete, eine ehrfurchtgebietende Erscheinung mit langem weißen Barte und jenem wunderbaren Leuchten in den Augen, dem Kennzeichen der Versiegelten aus Israel, erhob sich und erwiderte mit feierlicher Würde: »Das sei fern von mir, daß ich verlasse die Versammlung der Gemeinde Israels. Ich bin zu keiner der Gojim-Kirchen übergetreten, obwohl ich viele ihrer Glieder liebe und schätze als geistige Kinder Abrahams und Miterben der Verheißungen Israels. Aber ich erkenne und verehre in dem Rabbi Jeschua von Nazareth den Messias Gottes, den König von Israel, der da kommen wird zu richten zunächst die Lebendigen und einst auch die Toten. Die Zeit ist gekommen, da der Rest aus Israel, von dem Jesaias der Prophet gesprochen, sich bekehrt und dem Messias die Ehre gegeben hat.«
»Die Mehrzahl der Festpilger«, sagte ein anderer Priester, »denkt ebenso und auch die meisten von uns sind Verehrer des Messias. Ich bitte daher auch den Rabbi Meïr zu wählen.«
Eine Anzahl Priester verließen den Saal und die zurückbleibende große Mehrheit gab ihre Stimmen dem Rabbi Meïr von Lemberg.
»Ihr Herren und Brüder«, sagte der Gewählte, »mit tiefer Bewegung erkenne ich Gottes Willen in eurer Stimme. Doch habe ich zwei Bitten an euch. Unser einiger Hoherpriester ist der Messias; gebt meinem Amt daher einen anderen Namen. Der Name Hoherpriester erscheint mir wie ein Raub an der Ehre des Herrn! Und dann: Wir sind uns einig darin, daß alle Opfer und alle heiligen Handlungen im Tempel heute nur noch Sinnbilder, Zeichen für die Fernstehenden sein können. Laßt uns diese ihre Bedeutung nun auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß bei jeder heiligen Handlung dem anwesenden Volke die sinnbildliche Bedeutung und ihre Erfüllung in Jeschua, dem Messias, durch Ansprachen erläutert wird.«
Auf Aarons Vorschlag wurde der Titel »Hoherpriester« geändert in »Oberster der Priesterschaft«, und mehrere Priester, die meist zugleich Rabbiner waren, erklärten sich zu dem Predigtdienst bereit.
Nachdem dem Rabbi Meïr die hohenpriesterlichen Gewänder angelegt waren, bat dieser noch um feierliche Bestattung des erschossenen Isaak Maisel unter Beteiligung der gesamten Priesterschaft und um Absendung einer Abordnung an den Statthalter, die ihm von den gefaßten Beschlüssen Mitteilung machen sollte. Die Anträge wurden angenommen und Aaron zum Leiter der Abordnung gewählt. Mit einem inbrünstigen Gebet des neuen Obersten der Priesterschaft wurde die Versammlung geschlossen.
Als Aaron in seinem Zelt ankam, hatte Sarah ihn schon lange mit einem einfachen Mahle erwartet. Sie war aufs äußerste erregt durch die Kunde, daß der erschossene Priester Isaak sei, durch das in der Stadt verbreitete Gerücht von der entsetzlichen Gotteslästerung durch Ruben und endlich durch Josephs Ernennung zum Statthalter von Palästina. Es gewährte ihr eine Art von Beruhigung, als die Ungewißheit durch Aarons Bestätigung zur Gewißheit wurde.
»Meine Seele ist bekümmert um unseren einzigen Sohn«, sagte sie, als sie sich auf zwei Koffern niederließen zu ihrem Mahle, »daß er Gemeinschaft hat mit diesen Werken der Finsternis!«
»Er muß sich selbst überzeugen, daß, wo Ruben herrscht, Finsternis ist und kein Licht. Ich bin ruhig, denn ich weiß, ein Kind so vieler Gebete kann nicht verloren gehen. Seine Stunde wird kommen, da der Herr ihm auftun wird seine Augen, daß er wird unterscheiden können gut und böse, Finsternis und Licht. Morgen werde ich ihn sprechen, denn ich bin zum Sprecher einer Gesandtschaft der vereinigten Priester an ihn gewählt worden.«
Aaron berichtete seinem Weibe von dem Hergang der Versammlung.
»Gelobt und gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, daß er begonnen hat, die Decke abzunehmen vom Angesicht seines Volkes.«
Während Sarah die Speisegeräte forträumte, erschienen im Eingang des Zeltes zwei junge Männer. Es waren Moïsseï und Ilja.
»Ehrwürdiger Vater«, sagte Moïsseï bescheiden, »wir kommen zu Euch mit einer Bitte. Ihr habt gehört den Segen unseres Vaters. Als wir an seinem Lager knieten, da glaubten wir noch nicht, daß er sich erfüllen würde, denn wir sahen in dem Präsident Ruben Issakjewitsch den Messias Gottes. Der heutige Tag hat uns ein furchtbares Erwachen gebracht aus unseren Träumen. Der Gotteslästerer und Vatermörder ist ein falscher Messias, ein Sohn der Hölle. Wir bitten und flehen Euch, unterweist uns im Glauben an Rabbi Jeschua von Nazareth, an den unser Vater geglaubt als an den Messias Gottes.«
»Was täte ich lieber als euch unterweisen im Glauben an den, der mir mein ein und alles geworden, Wurzel meiner Kraft, Quelle meiner Freude, Trost im Leid und Hoffnung des zukünftigen Lebens?«, erwiderte Aaron.
Die Jünglinge hockten nieder auf den Boden und das Zeugnis des Alten wurde Same der Ewigkeit in den jungen Herzen. Währenddessen zogen die Luftschiffe der Antichristen über ihren Häuptern dahin.
Am nächsten Morgen meldete der Diener des Statthalters mehrere jüdische Priester.
Als die Priester eintraten, fuhr Joseph erschrocken zurück: »Ihr, Vater, hier in Jerusalem?« Er hatte gestern die Menge der Priester nicht genau betrachtet und daher seinen Vater nicht darunter bemerkt.
»Mein Sohn«, sagte Aaron auf hebräisch, »wir kommen als Abgesandte der Priesterschaft des Tempels. Wir haben den gotteslästerlichen Hohenpriester Veitel Abrámow abgesetzt und den Rabbi Meïr aus Lemberg zum Obersten der Priesterschaft – er bat um die Titeländerung – eingesetzt. Wir wollten dir als Statthalter hiervon Mitteilung machen und dich zugleich bitten, der heute nachmittag stattfindenden Beerdigung meines Bruders Isaak amtlich beizuwohnen. Das wird wesentlich dazu beitragen, Unruhen zu verhüten.«
»Wenn Rabbi Meïr das Vertrauen der Priesterschaft besitzt, so wird seine Wahl sicher auch zur Beruhigung des Volkes helfen«, sagte Joseph.
»Wir setzen voraus«, fuhr Aaron fort, »daß der Oberste der Priesterschaft freie Verfügung erhält über den Tempel und über die Stadt.«
»Es tut mir leid, daß ich eure Hoffnung in etwas enttäuschen muß. Der äußere Vorhof soll für Völkerbundszwecke bestimmt werden. Die Stadt aber erhält zur Aufrechterhaltung der Macht des Weltvölkerbundes eine Garnison von zwei Kompagnien internationaler Truppen.«
»Wehe, wehe«, rief Aaron und die anderen stimmten in den Ruf mit ein, »der Vorhof soll den Gojim ausgeliefert und die Heilige Stadt von den Gojim zertreten werden?« Offb. 11, 2.
»Das sind Bestimmungen des Präsidenten, an denen ich nichts ändern kann. Dafür aber verspreche ich euch, euch in der freien Verfügung über den übrigen Tempel nach Kräften zu schützen. An der Beerdigung meines hochverehrten Oheims werde ich selbstverständlich amtlich mich beteiligen.«
Als die Gesandtschaft sich empfehlen wollte, bat Joseph seinen Vater, noch etwas zurückzubleiben. Als sie allein waren, küßte Joseph seinem Vater ehrerbietig die Hand. »Nein, wie es mich freut, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen, das kann ich Euch gar nicht sagen! Wie geht es der Mutter?«
»Die Mutter hat auch teilgenommen an dem Fest. Du hast immer so gut für uns gesorgt, Joseph, daß wir die Mittel zur Reise übrig hatten; wir wohnen in einem Zelt am Abhang des Berges.«
»Das dulde ich aber nicht, daß ihr da im Zelte wohnt, während ich hier in einem Palaste hause. Gleich nach der Beerdigung holen wir die Mutter mit eurem Gepäck herauf.«
»Du bist ein guter Sohn, Joseph, und daher habe ich die Gewißheit, daß Gott dich noch segnen wird. Wenn du dich nur lösen möchtest von dem Sohn des Verderbens!«
»Vater, ich weiß jetzt, daß Ruben manches tut, was nicht recht ist; und ich sehe es als meine Aufgabe an, nach Möglichkeit zu mildern, zu versöhnen und auszugleichen, denn ich will nicht, daß Menschen um ihres Gewissens willen verfolgt werden. Ihr werdet in manchen Dingen nicht mit mir übereinstimmen. Aber um eins bitte ich Euch und die Mutter, daß ihr mich nicht verstoßt aus euren Herzen!« Statt jeder Antwort schloß Aaron den Sohn an sein Herz.
Dann erkundigte sich Joseph nach der Familie Wildenstein und Aaron mußte ihm alles erzählen, was er aus Berlin und Konstantinopel von ihnen wußte.
»Graf Hasso und Gräfin Hertha denken dankbar deiner, da du die Gräfin aus schwerer Gefahr errettet. Sie beten für dich, Joseph!«
Joseph schwieg und sah lange still vor sich nieder.
Endlich zog er seine Uhr und sagte: »Es ist höchste Zeit, daß wir uns rüsten zur Beerdigung.«
»Ich werde vorangehen und warte dann mit der Mutter auf dich am Garten Gethsemane.«
Als der stolze Zug des Statthalters den Berg hinunter kam, da gab es ein Staunen unter seiner Begleitung, mit welcher Ehrerbietung er das einfache alte jüdische Frauchen und den Priester begrüßte. Ein Diener murmelte: »Das sind seine Eltern!« Ein anderer sagte: »Er muß doch ein guter Mensch sein, daß er seine einfachen Eltern so ehrt.«
Die Beerdigung war wohl die größte und feierlichste, die Jerusalem seit Menschengedenken erlebt. Die ganze jüdische Bevölkerung und alle Festpilger folgten dem Zuge. Am Grabe sprach nach der Ansprache des Obersten der Priesterschaft auch Joseph einige Worte tiefempfundener Teilnahme als Vertreter der Regierung des Heiligen Landes. Es gelang ihm mit den wenigen Worten, sich das Zutrauen des Volkes zu gewinnen.
Auf dem Rückwege kehrte Joseph mit mehreren Dienern und zwei Eseln, die er besorgte, in dem Zelt seiner Eltern ein. Sarah ließ es sich nicht nehmen, alle mit Tee zu erquicken. Dann packte sie die Sachen ein, die Diener brachen das Zelt ab, luden Zelt und Gepäck auf die beiden Grautiere und Joseph führte seine Eltern ein in seinen fürstlichen Palast auf dem Gipfel des Ölberges.
Am nächsten Morgen ließen sich die obersten Geistlichen der christlichen Gemeinden Jerusalems bei dem Statthalter melden. Nur der griechische Patriarch und der abyssinische Erzbischof fehlten, denn diese beiden Kirchen hatten sich dem Antichristen unterworfen und sich bereit erklärt, die Anordnungen des Völkerbundsrates auch auf kirchlichem Gebiete durchzuführen; dafür genossen sie dieselbe Duldung und Förderung, wie die neue katholische Kirche, die Protestantische Religionsgesellschaft und das Judentum. Auch der Buddhismus und Konfuzianismus hatten sich angeschlossen. Alle diese Religionsgesellschaften bildeten den »Bund der Menschheitsreligionen« und hatten den Papst Leo XV. zum Vorsitzenden des Bundes erwählt. Auf Drängen des Weltpräsidenten war diese Organisation in den letzten Monaten in großer Beschleunigung mit ausgiebiger Benutzung des Telegraphen und des Funkspruchs geschaffen worden und hatte satzungsgemäß als gemeinsame Ziele 1. die Pflege einer »freien aufgeklärten Menschheitsreligion« durch möglichste Betonung des allen diesen Religionen Gemeinsamen in gegenseitiger Duldung, 2. die Pflege der Liebe zur Menschheit, wie sie sich darstellt in dem Menschheitsstaate, 3. die Pflege der kommunistischen Ideale dieses Staates, 4. Bekämpfung des »rückschrittlichen und dem Menschheitsstaate feindlichen« Bundes der christlichen Kirchen, 5. Unterwerfung unter alle Anordnungen des Weltstaates auch auf religiös-kirchlichem Gebiete. Auf Grund dieser übernommenen Verpflichtungen wurde ihnen vom Weltstaat eine Art von religiösem Monopol auf ihrem Gebiete und auch sonst weitgehende Förderung zuteil. Sehr gedrückt war dagegen durch die im Sommer erlassenen kirchenpolitischen Gesetze die Lage der Gemeinden des Bundes der »christlichen Kirchen«, dem sich auch die armenische Märtyrerkirche neuerdings angeschlossen hatte. Jede öffentliche Betätigung war ihnen untersagt, das Eigentum ihrer Kirchen ihnen genommen, die Ausbildungsstätten ihrer Geistlichen geschlossen.
Diese Not hatte auch hier die Vertreter der Kirchen, die sich sonst oft bekämpft, fest zusammengeschlossen. Es waren erschienen der Patriarch der griechisch-unierten Kirche, der Erzbischof und Legat des Papstes Pius XII., der Patriarch der armenischen Kirche, der anglikanische Bischof und der Propst der deutschen Erlöserkirche, die schon seit mehr als drei Jahrzehnten der deutschen evangelischen Kirche zurückgegeben worden war.
Als der Statthalter erschienen war, legte der älteste der anwesenden Geistlichen ihm die Notlage der christlichen Kirchen dar. Er erinnerte an das große Fest, welches die jüdische Gemeinde gefeiert und beanspruchte für die christlichen Gemeinden dasselbe Recht freier Betätigung in der Öffentlichkeit.
»Sie vergessen, meine Herren«, erwiderte Joseph scharf, »daß die christlichen Kirchen die inneren Feinde des Weltstaates sind.«
»Sie sind nur Feinde der antichristlichen Richtung des Weltstaates. Der Kommunismus ist von jeher den christlichen Kirchen feindlich gewesen. Wir wußten also sofort bei der Begründung des Weltstaates, wessen wir uns von ihm zu versehen hatten. Wir wissen aber auch, daß bei solchen Bestimmungen, wie sie hier gegen die christlichen Kirchen getroffen worden sind, alles auf die Art der Durchführung ankommt, und da wollten wir den Herrn Statthalter bitten, diese Ausnahmegesetze gegen die vereinigten christlichen Kirchen in der Ausführung möglichst zu mildern, um die bestehenden Gegensätze nicht immer weiter zu verschärfen.«
»Es ist meine Pflicht, für die Durchführung der Gesetze zu sorgen und ich tue das aus eigenster Überzeugung, da ich von der Gefährlichkeit der christlichen Kirchen für den Weltstaat und den von ihm vertretenen Kommunismus überzeugt bin. Aber ich bin gern bereit, jede unnötige Härte in der Durchführung zu vermeiden und werde die Gewissensfreiheit des Einzelnen nicht antasten.«
»Wir danken Ihnen für Ihre gütige Zusage und verlassen uns auf Ihr Wort«, sagte der wortführende Geistliche. »Insbesondere bitten wir Sie, uns zu bestätigen, daß wir die religiösen Versammlungen zur Erbauung unserer Gemeindeglieder weiter in den Kirchen abhalten dürfen.«
»Diese Genehmigung will ich Ihnen gern vorläufig geben, aber nur unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs, falls schärfere Gesetze des Völkerbundrates erlassen werden sollten.«
Die Geistlichen verabschiedeten sich von dem Statthalter.
Draußen sagte einer leise zu dem anderen: »Auch dieser ist ein Jude. Wir stehen vor einer Weltherrschaft des Judentums!«
»Und das Merkwürdigste ist«, sagte der deutsche Geistliche, »daß mit diesem rasend schnellen Aufsteigen des Judentums eine Bewegung der religiösen Kreise zu Christus hin verbunden ist.«
»Wir haben aber doch hier in Jerusalem keine vermehrten Übertritte zu unseren Gemeinden gespürt und auch die Judenmissionen klagen über Mangel an Erfolg«, wandte der anglikanische Bischof ein.
»Das ist ja richtig«, erwiderte Propst Ahlberg. »Es handelt sich aber gar nicht um Übertritte, sondern um eine innerjüdische Strömung.«
»Unter den Festpilgern, die am deutlichsten die religiösen Strömungen des Judentums widerspiegeln, überwiegen nach meinen Beobachtungen diese Kreise durchaus und man könnte wohl an die Weissagungen von Röm. 11 und Offb. 7 und 11 denken«, bestätigte der armenische Patriarch.
Sie waren aus dem Tore des Palastes herausgeschritten.
»Hier sitzt ein alter Festpilger«, sagte der griechisch-unierte Patriarch, »wir wollen doch gleich einmal eine Stichprobe machen.«
Sie gingen auf Aaron zu, der draußen vor dem Tore auf einer Bank saß. Als dieser die Geistlichen auf sich zukommen sah, erhob er sich, grüßte sie und sprach: »Friede sei mit euch, ehrwürdige Väter.«
»Friede sei auch mit dir, Alter!« erwiderte der anglikanische Bischof in jovialem Tone. »Wir sprachen eben von Eurem jüdischen Volke und es wurde behauptet, daß jetzt viele in Euren Gemeinden an Christus glauben. Ist das so?«
»Gelobt sei Gott, der da hat versiegelt die Gläubigen aus Israel, die da glauben an Jeschua, den Messias, und warten auf seine Wiederkunft. Ihnen hat er gegeben den Tempel Gottes. Die Kirche Israels ist Schutzhütte und Zuflucht aller Gläubigen in dieser letzten betrübten Zeit. Die Zeit der Gojim-Kirchen ist vorüber, die Zeit der Kirche Israels ist gekommen. Wir bieten euch die Hand, ehrwürdige Väter, als Brüdern in unserem Erlöser Jeschua, dem Messias Gottes«, so sprach der alte Jude mit verklärtem Angesicht und reichte den Geistlichen die Hand.
Die Geistlichen waren tief bewegt und man fragte ihn: »Wer bist du, Alter?«
»Ich bin Aaron, ein Priester am Tempel.«
»Und wo wohnst du?«
»Ich wohne mit meiner Frau hier bei meinem Sohne.«
»Ist dein Sohn ein Beamter des Statthalters?«
»Nein, mein Sohn ist der Statthalter.«
»Gott sei mit dir, Alter!« sagte der deutsche Propst. »Du hast eine große Aufgabe in dieser Stadt. Wir werden für dich beten, daß Gott dich dazu ausrüste und segne.«
»Wie wunderbar sind doch Gottes Wege«, sagte im Weitergehen der päpstliche Legat, »und wie beginnen immer wieder die gewaltigsten Bewegungen ganz im stillen, verborgen vor aller Welt! Alle Zeitungen schreiben seit Monaten von dem Tempel in Jerusalem und niemand ahnte, daß hier mitten in einer Zeit der Verfolgung der Kirche sich ein Triumph des christlichen Geistes vorbereiten sollte, gegen den selbst der Antichrist mit all seiner Macht nichts ausrichten kann.«
In banger Sorge waren sie gekommen. Mit heißem Dank gegen Gott für das, was sie erlebt, kehrten sie zurück nach Jerusalem.
Aaron aber blieb sitzen auf seiner Bank und wartete auf seine Schüler Moïsseï und Ilja. Er war mit Sarah übereingekommen, den jungen Leuten, die noch immer auf dem Erdboden ohne Dach nächtigen mußten, das Zelt zu überlassen.
Endlich kamen sie beide den Weg hinauf. Als aber Aaron ihnen von dem Zelte sprach, lehnten sie dankend ab und Moïsseï sagte: »Ehrwürdiger Vater, wir danken Euch für Eure Liebe, aber es ist heute vorläufig das letzte Mal, daß wir zu Euch kommen.«
»Müßt ihr zurück in die Heimat?«
»Nein, aber der Herr hat uns in dieser Nacht gesagt: ›Fastet und betet, so werde ich euch den Weg zeigen, den ihr gehen sollt.‹ Gebt uns ein Neues Testament und dann laßt uns ziehen an einen wüsten Ort, auf daß wir hören, was der Herr uns zu sagen hat.«
»So geleite euch der Herr und bereite euch zu Zeugen seiner Gnade und seines Gerichts.«
Nachdem sie an einem stillen Plätzchen noch miteinander die Knie vor dem Herrn gebeugt und Aaron ihnen ein Neues Testament geschenkt, zogen die Brüder von dannen. Sie stiegen auf der anderen Seite des Ölberges hinab, kamen durch das kleine Araberdorf, das jetzt an der Stelle des alten Bethanien steht, und betraten nach einstündiger Wanderung das Felsental, das nach Jericho und dem Toten Meere hinabführt. Die glühende Hitze hatte jede Spur von Vegetation vernichtet und von den weißen Kalkfelsen wurde das Sonnenlicht blendend zurückgeworfen. In einem dieser Kalkfelsen fanden sie eine Höhle, die tief in den Felsen hineinführte. Tief im Hintergrunde wurde es immer feuchter, bis sie an einen Wassertümpel kamen, in dem das Wasser von der Decke herabtropfte.
»Hier laß uns bleiben«, sagte Ilja, »der Herr hat uns Wasser gezeigt, auf daß wir nicht verschmachten.«
Tage heißer Kämpfe folgten. Es war, als ob die Scharen der Hölle emporstiegen aus dem Abgrund, um die Brüder irre zu machen. Mitten im Gebet kamen ihnen lästerliche und unreine Gedanken, und wenn sie endlich in heißem Ringen den Sieg erkämpft und das Angesicht des Herrn wieder vor ihnen aufgeleuchtet, dann glaubten sie wieder höhnische Fratzen zu sehen, die sie aus dem Hintergrund der Höhle anstarrten, und ein gellendes Gelächter zu hören. Beide waren aufs äußerste erschöpft und ihre Kraft vom Fasten geschwächt. Das Brot, das sie mitgebracht, war längst verzehrt und ihre einzige Nahrung war nun das Wasser aus der Tiefe der Höhle. Am Abend des vierten Tages hatten sie wieder mit Inbrunst gefleht: »Ach Herr, wie so lange verbirgst du dein Antlitz vor uns? Herr zeige uns, was wir tun sollen! Sonst nimm uns lieber von der Erde!«
Müde vom Seufzen und Ringen schliefen sie ein. Da erschien ihnen beiden der Herr im Traume und sprach: »Moïsseï und Ilja, ihr sollt meine Zeugen sein. Zeugen der Rettung und Gnade für mein Volk, Zeugen des Gerichts und der Verstockung für die Welt. Eurem Gebet soll nichts unmöglich sein. Ich gebe euch die Macht des Mose und des Elia, meiner Knechte, zu beleben und zu trösten, aber auch zu zerstören und zu vernichten. Mein Geist wird euch leiten und euch sagen, was ihr tun sollt. Wachet und betet, bis die Mitternachtsstunde schlägt.« Offb. 11, 6.
Als Moïsseï aufwachte, wußte er, daß der Herr mit ihm geredet und wunderte sich nicht, daß Ilja denselben Traum gehabt.
In der Stadt trafen inzwischen die zwei Kompagnien Besatzung ein; sie kamen mit der Bahn von Haifa herüber und wurden von der Mehrzahl der Bevölkerung mit eisigem Schweigen empfangen.
Am Tage, nachdem die Brüder den Traum gehabt, kam durch Funkspruch die Nachricht vom Erlaß des neuen »Gesetzes zum Schutze des Weltstaates« und Joseph mußte es durch Maueranschlag bekanntmachen lassen. Nun waren den christlichen Kirchen alle religiösen Versammlungen verboten und die von Joseph gegebene Genehmigung zur Benutzung der Kirchen wurde hinfällig.
Aaron verstand die Notlage der christlichen Gemeinden. Er ging darum selbst zu den Priestern, die er vor kurzem kennen gelernt, und bat sie, ihre Gemeindeglieder zur Teilnahme an dem Gottesdienst im Tempel einzuladen, wo das Evangelium ungehemmt verkündigt werden dürfe. 1. Mos. 9, 27; Jes. 2, 2. 3.
Zugleich befahl Joseph den Polizeichef des Heiligen Landes zu sich und teilte ihm mit, daß im Heiligen Lande der Erlaß nur soweit er die Kirchen, aber nicht soweit er die einzelnen Christen betreffe, ausgeführt werden solle.
Als Aaron von den Besuchen bei den Priestern zurückgekehrt, saß er mit Sarah an der Westseite des Palastes. Er schaute aus in der Richtung nach Bethanien.
Da sah er zwei junge Männer mühsam den Berg hinaufsteigen. Mühsam stützten sie sich auf ihre Stäbe. Endlich erkannte er Moïsseï und Ilja.
»Friede sei mit Euch, ehrwürdiger Vater«, sagten beide mit matter Stimme.
Lange mußte Aaron sie anschauen, um in ihnen die frohen jungen Männer von neulich zu erkennen. Ihr Antlitz war verfallen und bleich, das Haar hing wirr um den Kopf, die Augen lagen tief in den Höhlen und die Kleider waren beschmutzt.
»Friede auch mit euch! Was ist mit euch geschehen?« fragte Aaron erschrocken.
»Wir sind nur müde vom Fasten und von der Wanderung. Der Herr hat Großes an uns getan. Er hat uns berufen zu seinem Dienst. Aber er hat uns Aufträge gegeben, vor denen uns graut.«
»Selig seid ihr, wenn ihr seiner Stimme gehorcht und nicht wankt weder zur Rechten noch zur Linken. Doch nun kommt erst herein. Sarah, bereite ihnen eine Erquickung.«
Drinnen in der Wohnstube mußten sie den beiden Alten berichten von ihren Erlebnissen. Auch Aaron erzählte von dem Erlaß des Völkerbundrates.
»Die Zeit der allgemeinen Christenverfolgung ist gekommen«, sagte er. »Der Zeiger an Gottes Uhr rückt auf Mitternacht. Ihr sollt sein zwei Fackeln vor dem Herrn her, der da kommt, zu richten das Erdreich. Ihr sollt sein zwei Ölbäume, von denen das heilige Öl des Geistes fließt zu dem Volke des Herrn.« Offb. 11, 4.
Als sie sich gestärkt, forderte Aaron sie auf, zum Abendopfer im Tempel mitzukommen. Mit Freuden sagten sie zu, nachdem sie vom Sieg der Messiasgläubigen in der Priesterschaft vernommen.
Während ein Priester das abendliche Lammesopfer darbrachte, sprach Aaron, der gerade den Predigtdienst hatte, zum versammelten Volke über das Wort: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.«
Am Ausgang des Vorhofes fiel ihnen ein Weib auf, das bitterlich weinte. Ilja ging auf sie zu und fragte sie: »Weib, was weinst du?«
»Mein Sohn, der die Hoffnung unserer Zukunft war, ist gestorben an der Beulenkrankheit und der zweite Sohn liegt schwerkrank darnieder.«
Ilja schaute innerlich zum Herrn empor, dann leuchteten seine Augen auf wie in einer seligen Freude, und er sagte zu seinem Bruder: »Ich gehe mit der Frau.«
Sie wanderten durch mehrere treppenartige Straßen, die zum Teil ganz überbaut waren. Vor einer kleinen Pforte in einer Mauer hielt die Frau inne und sagte: »Hier ist unser Haus.«
Sie kamen durch einen dunklen Gang in eine Art Hof, von dem eine Treppe hinaufführte in ein schmuckloses Gemach. Auf dem steinernen Fußboden lag eine Strohmatte. An zwei Wänden zogen sich Diwane entlang. Auf einem derselben lag ein kranker Knabe, schweißbedeckt, in hitzigem Fieber, das Antlitz durch die Beule entstellt, auf dem anderen ein Toter, mit einem weißen Tuche verhüllt. Ein Mann, der Gatte der Frau, und mehrere Kinder standen umher und weinten laut.
Ilja kniete nieder und betete zu Jeschua, dem Messias, dem Herrn über die Lebendigen und über die Toten. Er flehte ihn an, seinen Namen zu verherrlichen an dieser Familie. Dann erhob er sich, ging auf den kranken Knaben zu, schaute ihm ernst in die unruhig flackernden Augen, legte die rechte Hand auf seine glühend heiße Stirn und rief: »Im Namen Jeschuas, des Messias, des Sohnes Gottes, werde gesund.« Da schlossen sich die Augen des Kranken, der stoßweise fiebernde Atem wurde ruhig und normal; der Kranke schlief ein. Leise ging Ilja auf die Eltern zu und sagte zu ihnen: »Seid still und sehet, was der Herr tut. Stört den Kranken nicht; wenn er aufwacht, ist er gesund.« Die Eltern waren verstummt; vor Staunen oder weil sie noch zweifelten? Vielleicht ging auch beides in ihrer Seele durcheinander.
Nun wandte sich Ilja zu dem Toten. Er seufzte noch einmal zum Herrn auf. Dann nahm er das Tuch fort, das den Leichnam verhüllte. Der Tod in seiner furchtbarsten zerstörenden Macht trat ihm hier entgegen. Die schreckliche Beule war zu einer tiefen, mit stinkender Jauche gefüllten Wunde zerfallen. Ilja bebte zurück. Dann aber trat vor seine Seele der Prophet Elias mit dem Sohn der Witwe von Zarpath, er sah im Geiste den Messias am Grabe des Lazarus. Aller Schrecken war geschwunden.
»Herr, ich danke dir, daß du den Tod überwunden hast. Du hast gesagt, daß mir nichts unmöglich sein soll. Herr, ich glaube, hilf mir!«
Dann warf er sich dreimal über den Jüngling, ergriff ihn bei der Hand und rief mit lauter Stimme: »Im Namen dessen, der da tot war und nun lebt in Ewigkeit, stehe auf.« Da schlug der Tote seine Augen auf, schaute sich verwundert um und fragte: »Wie kam ich wieder hierher? Ach, so war es doch nur ein böser Traum, was ich gesehen.«
Die Eltern aber und Geschwister fielen auf die Knie und beteten Gott an. Der tot Gewesene erhob sich und ging auf seine Mutter zu.
»Mein Sohn, mein Sohn, welches Wunder!« rief die Mutter aus und drückte den Sohn an ihr Herz.
»Mann Gottes, wie sollen wir dir danken?« fragte der Vater.
»Glaubt an Gott und an den, den er gesandt hat, Jeschua, den Messias, so wird Gottes Segen auf euch ruhen«, antwortete Ilja und eilte weiter.
Für diese Nacht bereitete Sarah den beiden Propheten ein Nachtlager in ihrer Wohnung. Am nächsten Morgen schlugen sie sich ihr Zelt am Abhang des Ölberges auf.
Die Reihe der Zelte hatte sich gelichtet, denn zahlreiche Festpilger waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Es war aber merkwürdig, daß die messiasgläubigen Pilger, die Versiegelten Israels, noch nicht an Aufbruch dachten. Ohne daß eine Verabredung vorlag, war es, als ob ein geheimnisvolles Band sie in der Heiligen Stadt festhielt. Besonders seitdem sie gehört, daß gläubige Priester im Tempel dienten und Gottes Wort daselbst so reichlich und täglich verkündet wurde, war ihnen der Tempel zu einer Heimat geworden und sie beteten den 84. Psalm mit ganz besonderer Inbrunst. Hier waren sie allem Kampf und Streit, aller antisemitischen Hetze entrückt. Ein Gefühl von seliger Ruhe und Sicherheit war über sie gekommen. Und wie auf der Reise, so traten auch hier die reicheren für die ärmeren Brüder ein. Sie waren ein Herz und eine Seele und hatten alles miteinander gemein. Wunderbar klangen morgens und abends die Pilgerlieder Israels über die Stadt dahin.
Moïsseï und Ilja hatten wenig geschlafen. Die furchtbaren Ausnahmegesetze gegen die Christen hatten sie aufs tiefste erregt, denn sie empfanden die Gläubigen aus den Nationen als Brüder, so wenig sie für die christlichen Kirchen und ihre Organisation Neigung und Verständnis besaßen.
Gott hatte sie berufen zu Zeugen des Gerichts. Sie mußten alles tun, was sie konnten, um die Gefahr von den Brüdern abzuwenden, und wenn es nichts half, so mußte ein Gericht Gottes über die Menschheit hereinbrechen. Nach ernstem Gebet wurde ihnen klar, was sie zu tun hatten.
Sie gaben in der Stadt einen Funkspruch an den Präsidenten des Weltstaates auf.
»Im Namen Gottes des Barmherzigen und Gerechten fordern wir sofortige Zurücknahme der Ausnahmegesetze gegen die Christen, sonst keine Niederschläge auf der Erde bis zum Frühjahr. Moïsseï und Ilja!«
Die Kunde von den Wundern, die gestern geschehen, hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet und von allen Seiten kamen Leidende, Mütter mit kranken Kindern, Blinde und Lahme und flehten die Brüder um Hilfe an. Gott hatte ihnen einen wunderbar scharfen Blick für das Seelenleben der Menschen mitgegeben. Wo sie Glauben und Empfänglichkeit spürten, da heilten sie die Kranken und ermahnten sie, Gott und dem Messias die Ehre zu geben.
Es ging eine gewaltige Bewegung durch die Stadt. Die Jerusalemer Zeitungen brachten spaltenlange Berichte. Berichterstatter ausländischer Blätter bedrängten die Brüder um Mitteilungen über das Geheimnis ihrer Kraft. Sie aber blieben demütig, suchten nicht ihre, sondern des Herrn Ehre. Ihre Antwort auf alles Ausfragen blieb stets dieselbe: »Das Geheimnis unserer Kraft ist Jeschua, der Messias.«
Der Funkspruch an den Weltpräsidenten hatte eine zwiefache Wirkung. Durch die Moskauer Völkerbundskorrespondenz Wremja ging ein kleiner Artikel an die Zeitungen aller Länder mit der Überschrift: »Eine Wirkung der Schutzgesetze.« Darin wurde in höhnischer Weise von dem Funkspruch berichtet und die Brüder aufgefordert, zu zeigen, was sie vermöchten. Der Artikel wäre wohl wenig beachtet worden, hätte kaum ein Lächeln erweckt, wenn nicht gleich darauf von Jerusalem aus von den Totenerweckungen und Wundern der beiden Brüder berichtet worden wäre. Überall in Großstädten und auf dem Lande wurden die rätselhaften Brüder zum Tagesgespräch. Große Wetten wurden veranstaltet, ob die Niederschläge plötzlich ausbleiben würden oder nicht.
Die andere Wirkung bekamen die Brüder selbst zu spüren. Der Präsident schickte eine Abschrift des Funkspruchs an Joseph mit dem kurzen Auftrag, den beiden Fanatikern den Mund zu stopfen. So wurden einige Soldaten mit ihrer Gefangennahme beauftragt. Sie predigten gerade in einer Halle des Tempels und die Soldaten hatten Mühe, zu ihnen hindurchzudringen. Endlich standen sie vor ihnen und erklärten sie für verhaftet. Doch als Moïsseï und Ilja sie anschauten mit blitzenden Augen und ihnen zuriefen: »Wehe denen, die des Herrn Werk stören«, da war es, als ob sie vom Blitz getroffen wären, sie sanken um, um nicht wieder aufzustehen. Das Volk aber, das dabei stand, sprach: »Ging nicht Feuer aus ihrem Munde?« Offb. 11, 5.
Es geschah, wie die Brüder von Gott erbeten hatten. Die Niederschläge blieben aus. Offb. 11, 6. Keine Herbstregen feuchteten das Land. Die Herbststürme tobten durch die Fluren und trockneten den Boden aus. Kein Schnee fiel im Winter. Zum ersten Male seit Menschengedenken blieben auch die Gebirge schneefrei. Der Wasserstand sank von Woche zu Woche. Furcht und Schrecken ergriff die Menschen und es wurden schon Stimmen laut: »Man sollte die Ausnahmegesetze lieber aufheben«. Da kam der Frühling ins Land und mit ihm gewaltige Regengüsse. Nur das Heilige Land war von der Plage verschont geblieben.
Die Christenverfolgung wurde immer heftiger. Da kam ein neuer Funkspruch aus Jerusalem, der mit einer Wasserpest drohte, und als der Weltbundpräsident verstockt blieb, stellte sich auf allen Gewässern plötzlich eine rätselhafte rote Algenart ein, so daß das Wasser oft eine blutrote Färbung erhielt. Offb. 11, 6. Diese Algenart schwamm nicht auf dem Wasser, sondern durchsetzte das Wasser. Es bekam dadurch einen bitteren, widerlichen Geschmack, und wo es nicht gelang, es durch kostspielige Filtrieranlagen zu reinigen, erkrankten und starben Tausende von Menschen. Doch noch immer taten die Menschen nicht Buße, sondern ihre Verzweiflung entlud sich in immer bittererem Haß gegen die Christen.
Die Brüder Moïsseï und Ilja wurden genannt »der Schrecken der Erde«. Da das Volk sie aber auf Händen trug, wagte niemand etwas gegen sie zu unternehmen und alle Blutbefehle des Präsidenten blieben erfolglos.
Joseph stand vor Rätseln, die ihn aufs tiefste erschütterten. Er war Zeuge von Machtbeweisen des Messias, die seine ganze Weltanschauung ins Wanken brachten. Und doch raffte er sich mit eiserner Willenskraft immer wieder auf und hielt fest an seinem Glauben an den Weltstaat und seinen Führer.