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Am selben Nachmittage machte ein orgelartiger tiefer Ton die Festpilger aufmerksam auf zwei stolze Luftschiffe, die von Norden her über die Stadt zogen.
»Wehe dem Feinde des Herrn«, riefen die einen, »Hosianna dem Friedefürsten« die anderen.
Die Luftschiffe landeten auf dem Ölberge, und die Insassen begaben sich in das auf dem Gipfel des Ölberges befindliche ehemalige Kaiserin-Auguste-Viktoria-Hospiz.
Der Präsident und sein Staatssekretär bezogen die Räume, die einst im Jahre 1898 der letzte deutsche Kaiser mit seiner Gemahlin bewohnte.
In einem elegant ausgestatteten Prunkgemach, dessen Fenster eine wunderbare Aussicht auf die Heilige Stadt gewährten, saßen eine halbe Stunde später der Präsident mit dem Staatssekretär des Weltbundes für Kulturangelegenheiten. Vor ihnen stand ein Beamter in demütiger Haltung.
»Der Einzug in Jerusalem findet also morgen Vormittag 9 Uhr statt«, sagte der Präsident. »Ich wünsche, einen Schimmel zu besteigen. Der Einzug ist wirkungsvoll zu gestalten. Im Anschluß an den Einzug folgt sofort die Einweihungsfeier, zuerst Gesang und Opferdienst, sodann noch eine besondere Feier im Tempelgebäude. Es sind doch geeignete Priester für die Feier bestimmt und ein Hoherpriester, der mit unseren Zielen vertraut und imstande ist, die ganze Feier zu leiten?«, fügte er, an Joseph sich wendend, hinzu.
»Jawohl, Ruben Issakjewitsch«, erwiderte dieser, »die Priester sind aus den alten priesterlichen Familien ausgewählt, nur ehrwürdige, ansehnliche Leute. Die Priestergewänder sind in historischer Treue bereitgestellt. Als Hoherpriester ist Rabbi Veitel Abrámow bestimmt, ein glühender Weltbundpatriot.«
»Sie haften dafür, daß meine Anordnungen pünktlich befolgt werden. Den Hohenpriester wünsche ich noch heute Abend zu sprechen.« Der Beamte verneigte sich tief und verließ das Gemach.
Rubens Antlitz erschien noch bleicher als sonst. Unter den buschigen zusammenhängenden Augenbrauen lagen die Augen in tiefen Höhlen, Augen von unheimlicher Glut, die niemand vergessen konnte, der sie einmal gesehen. Die hohe Stirn verriet den Denker, die Mundpartie ließ auf eiserne Energie schließen.
»Auf die morgige Feier lege ich entscheidenden Wert«, sagte Ruben nach einer Weile. »Die Augen der gesamten jüdischen Welt sind hierher gerichtet. Der Weltbund kann sich nur halten, wenn die Sympathien unseres Volkes ihm erhalten bleiben.«
»Das ist ja doch wohl selbstverständlich. Unser ganzes Ziel ist doch nur die Macht und Herrlichkeit Israels.«
»Und doch wird das wohl nicht immer erkannt. Sonst würde nicht die internationale Hochfinanz, oder kurz gesagt, Konstantinopel immer wieder allerhand Winkelzüge machen.«
»Besinnst du dich, daß ich damals sagte: ›Wenn nur nicht sie reiten und wir parieren müssen?‹« Vgl. Offb. 17, 3-5. 7.
»Ja, sie sind in der Tat unsichere Kantonisten. Wir müssen sie immer hin und wieder durch einige kleine Putsche in Atem halten, damit sie merken: wir sind auch noch da. Um so mehr aber kommt es uns auf die religiösen Kreise unseres Volkes an, daß sie sich mit aller Kraft für den Weltbundgedanken einsetzen. Es ist ja schließlich ihr allereigenster Vorteil.«
»Hoffentlich gelingt es. So ganz sicher bin ich mir nicht, denn die christliche Richtung hat unter unseren orthodoxen Stammesgenossen in letzter Zeit immer mehr zugenommen.«
»Möchte der Scheol sie verschlingen«, schrie Ruben, indem er aufsprang, »ihnen gegenüber sind wir machtlos. Denn wenn wir einen Teil unseres Volkes bekämpfen wollten, würden wir unser ganzes Volk gegen uns aufbringen. Das aber wäre das Ende des Weltstaates.«
Er sann einen Augenblick. »Die Wurzel dieser christlichen Richtung liegt in den fanatischen Feinden des Weltstaates, den christlichen Kirchen. Vernichten wir die Wurzel, so muß auch die daraus erwachsene Pflanze absterben. Die Gesetze, die wir erlassen, haben nichts genützt. Wohl ist die öffentliche Predigt verboten, aber um so schlimmer frißt das Gift heimlich um sich. Ja, sie wagen es, uns öffentlich zu verhöhnen, indem sie ›Gehorsam gegen die Obrigkeit‹ und dabei Maßregeln proklamieren, die auf passive Resistenz hinauslaufen. Wir müssen schärfere Maßregeln treffen. Schreibe bitte die Grundzüge einiger Bestimmungen, die wir dem Völkerbundsrat vorschlagen wollen.«
Joseph nahm Papier und schrieb, was ihm diktiert wurde:
»Gesetz zum Schutze des Weltstaates.
§ 1. Da die ›vereinigten christlichen Kirchen‹ sich als die gefährlichsten und hartnäckigsten Feinde des Weltstaates erwiesen haben, sind sie als Hochverräterorganisationen zu behandeln.
§ 2. Jede Vereinigung ihrer Mitglieder zu kultischen und religiösen Zwecken ist bei Zuchthausstrafe zu verbieten.
§ 3. Die bisherigen Priester oder Pfarrer sind in andere Berufe zu überführen.
§ 4. Wer sich hochverräterischer Bestrebungen gegen den Weltstaat verdächtig macht, verfällt der öffentlichen Ächtung, d. h. niemand darf ihm etwas verkaufen oder abkaufen, niemand ihn besuchen oder beherbergen, niemand ihm Speise oder Trank reichen. Wer dagegen verstößt, verfällt derselben Strafe. Offb. 13, 17.
§ 5. Als verdächtig im Sinne von § 4 gilt 1. jeder, der sich öffentlich zu einer der genannten Kirchen bekennt, 2. jeder, der den Flaggen, Abzeichen oder Symbolen des Weltstaates die schuldige Achtung versagt, 3. jeder, der die leitenden Persönlichkeiten der Weltbundregierung verleumdet oder beschimpft.
§ 6. Wegen des Ernstes der Lage sind überall Verfolgungsbehörden zu bilden, die auch auf die Säuberung der Beamtenkörperschaft und der Lehrerschaft von solchen Elementen zu dringen haben.«
Joseph zitterte die Hand beim Schreiben. Es war ihm als ob große blaue Augen fragend und vorwurfsvoll auf ihn gerichtet wären.
Als er fertig geschrieben, reichte er das Schriftstück dem Präsidenten und sagte mit bewegter Stimme: »§§ 1 bis 3 könnte ich zur Not befürworten, denn sie richten sich gegen die christlichen Kirchen, die ich ebensowenig liebe wie du. Aber §§ 4 bis 6 kommen auf persönliche Verfolgung von zum großen Teil unschuldigen Menschen heraus. Das kann ich nicht gutheißen, und wenn du darauf bestehst, so muß ich dich bitten, mein Amt dem Völkerbund wieder zur Verfügung stellen zu dürfen.«
Ruben wurde rot vor Zorn, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: »Fluch dem Nazarener! Gelingt es ihm etwa gar einen Keil zwischen uns zu treiben? Ich muß auf den Bestimmungen bestehen bleiben.«
»Dann bitte ich um meine Entlassung.«
»So leid es mir tut, Joseph«, sagte der Präsident ruhiger werdend, »aber dann bleibt nichts anderes übrig, denn es handelt sich meiner Überzeugung nach um eine Existenzfrage des Weltbundes. Aber auf deine Kraft verzichten wir nicht. Ich werde dem Rat deine Ernennung zum Statthalter von Palästina vorschlagen. Du kannst nach meiner Abreise gleich hierbleiben und zunächst provisorisch dein neues Amt ausüben.«
»Gern übernehme ich dieses Amt, denn hier werde ich ja kaum in die Lage kommen, das neue Gesetz auszuführen, da es sich doch ausschließlich gegen die Mitglieder der christlichen Kirchen richtet und deren wohl nicht viel mehr hier vorhanden sind.«
»Gut, also ich rechne auf dich. Da wir einmal beisammen sind, kann ich dir gleich meine Wünsche betreffs des neuen Tempels mitteilen. Hier soll der ideale Mittelpunkt des Weltvölkerbundes sein. Hier soll die wissenschaftliche Vorarbeit für alle wichtigen Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art geschehen. Hier sollen in Zukunft alle großen Konferenzen und Kongresse der Nationen stattfinden. Ich hoffe mich später von der Präsidentschaft Rußlands zurückzuziehen und meine Residenz nach Jerusalem auf den Ölberg zu verlegen.«
»Vergiß aber nicht, daß der Tempel vor allem der religiöse Mittelpunkt unseres Volkes sein muß; sowie dieser Gesichtspunkt nicht gebührend beachtet wird, verletzen wir die Gefühle der Mehrheit unseres Volkes.«
»Gewiß, da hast du recht. Es genügt ja auch, wenn für die von mir geschilderten Zwecke der äußere Vorhof mit seinen zahlreichen Sälen und Kammern bestimmt wird. Der innere Vorhof, der Priestervorhof und das Heiligtum selbst bleiben dem religiösen Kultus reserviert.« Offb. 11, 1. 2.
»Damit bin ich einverstanden«, erwiderte Joseph.
Darauf verließen beide den Raum, um mit ihrer Begleitung das bereitstehende Mahl einzunehmen.
Mit großer Sorgfalt war das Ritual der Einweihung vorbereitet worden. Schon Monate vorher hatte die Alliance israëlite durch mühevolle Umfragen eine große Zahl Abkömmlinge von alten Priestergeschlechtern ermittelt. Auch Aaron und Isaak gehörten zu den Erwählten. Das Ritual, von hervorragenden Rabbinern ausgearbeitet, wurde jedem zum Priester Bestimmten zugesandt. In den letzten Tagen vor der Einweihung fanden jeden Abend Übungen im Tempel statt. Die Übungen des »Levitenchors« übertönten abends das Geräusch der Stadt.
Eine feierliche Erwartung erfüllte die Herzen der Einheimischen und der Ankömmlinge. Aus den Häusern und von den umliegenden Abhängen und Höhen erklangen die Pilgerlieder Israels (von Luther: »Lieder im höheren Chor« genannt) mit besonderer Inbrunst.
Strahlend erhob sich die Sonne am Morgen des denkwürdigen Tages über dem Ölberge und vergoldete die Zinnen des Tempelgebäudes. Die Stadt war in fieberhafter Aufregung. An den Häusern und aus den Fenstern hingen die Teppiche, und das wenige Grün, das die Dürre übriggelassen, war auf die Straßen gestreut, die der Weltbundpräsident passieren mußte. Ungeheure Menschenmassen bildeten Spalier.
Punkt 9 Uhr meldeten Trompetensignale die Ankunft des Zuges. Eine Kompagnie internationaler Fliegertruppen in feuerroten Uniformen mit dem Sowjetstern am Tropenhelm eröffnete den Zug. Dann folgte auf milchweißem Araberhengst in rotem Burnus mit vergoldetem Tropenhelm der Weltpräsident. Von der Spitze seines Tropenhelms leuchtete ein großer Sowjetstern. Sein ehernes Antlitz schaute unbeweglich vor sich nieder, als ob er die Menschen gar nicht beachte. Hinter ihm sein Gefolge, alle in weißen Burnussen mit Tropenhelmen. Die Menge jubelte und jauchzte, viele hatten Palmenzweige in den Händen.
»Hosianna dem, der da kommt im Namen des Herrn.«
»Hosianna dem Friedensfürsten, der die Völker geeint«, so klang es aus der Menge wieder und wieder.
Als der Präsident durch das Stephanstor geritten, trat ihm aus der Mitte der Priester der Hohepriester entgegen, verneigte sich vor ihm und begrüßte ihn mit den Worten: »Friede sei mit dir, du Gesalbter des Herrn. Der Segen des Gottes Israels sei über dir.«
»Möge dieser Tag dem Volke Israel und der Menschheit ein Segen sein«, erwiderte der Präsident.
Nach dieser kurzen Begrüßung schlossen sich der Hohepriester und die Priester mit den heiligen Geräten dem Zuge an.
An der Pforte zum äußeren Vorhofe stiegen die Reiter von ihren Pferden und der Präsident überreichte dem Hohenpriester den goldenen Schlüssel. Während dieser öffnete und die Flügel des Tores sich in ihren Angeln drehten, sang ein Chor von Leviten:
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
daß ich dahin eingehe und dem Herrn danke.
Das ist das Tor des Herrn:
Die Gerechten werden dahin eingehen.
Beim Eintritt in den Tempel eröffnete der Hohepriester den Zug; ihm folgten die Priester, deren jeder eins der 93 heiligen Geräte trug, alle in ihren weißen Priestergewändern und hohen Priestermützen; dann die große Schar der dienenden »Leviten«. Nun erst folgte der Präsident mit seinem Gefolge, dann der Vorstand der Alliance israëlite, die Jerusalemer Stadtobrigkeit und die unendliche Schar der Festpilger. Die männlichen und weiblichen Festpilger teilten sich; die Männer blieben im Männervorhof zurück. Im Weibervorhof blieben außer den Frauen noch die Leviten, die auf einer plattformartigen Erhöhung sich aufstellten, um als Sänger und Posaunenbläser beim Feste zu dienen. Der feierliche Zug der Priester mit dem Präsidenten und seinem Gefolge betrat den Priestervorhof, in dem der gewaltige Brandopferaltar sich erhob. Als alle sich an den ihnen zugewiesenen Plätzen aufgestellt, sang der vielhundertstimmige Levitenchor den 84. Psalm: »Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth.« Am Ende jeder Strophe, wo in der Bibel das Wort »Sela« steht, setzte ein Zwischenspiel der Posaunen ein. Der Hohepriester trat sodann auf die oberste Stufe der Treppe des Tempelgebäudes und sprach mit weithin schallender Stimme das feierliche Weihegebet.
Darauf folgten die Brandopfer, Speisopfer und Sündopfer, deren Darbringung von Psalmengesängen der Leviten begleitet wurde. Oft, besonders beim Halleluja, stimmten Hunderte und Tausende der Festpilger ein.
Die Opfer waren beendet und das Volk erwartete den Segen des Hohenpriesters. Doch noch einmal setzte der Chor ein und sang den Völkerpsalm, Ps. 67:
Gott sei uns gnädig und segne uns.
Er lasse uns sein Antlitz leuchten!
Daß man auf Erden erkenne seinen Weg,
unter allen Heiden sein Heil.
Es danken dir Gott die Völker;
es danken dir alle Völker.
Die Völker freuen sich und jauchzen,
daß du die Leute recht richtest
und regierest die Leute auf Erden.
Es danken dir Gott die Völker;
es danken dir alle Völker.
Das Land gibt sein Gewächs.
Es segne uns Gott, unser Gott.
Es segne uns Gott und alle Welt fürchte ihn!
Da geschah etwas Überraschendes. Der Hohepriester stieg mit dem Weltpräsidenten, gefolgt von einer größeren Zahl Priester, die der Hohepriester dazu ausgewählt hatte, die Tempeltreppe hinauf. Die Pforte stand offen; sie schritten durch das Heiligtum, wo die Priester sich aufstellten. Der Vorhang zum Allerheiligsten war geöffnet. Der Hohepriester und der Weltpräsident schritten hindurch. Im Hintergrund stand die Bundeslade; die goldenen Flügel der sie deckenden Cherubim leuchteten aus dem Dunkel heraus. In der Mitte des Deckels der Bundeslade aber war ein Thronsitz errichtet. Der Weltbundpräsident schritt auf die Bundeslade zu und setzte sich auf dem Thronsessel nieder.
Der Hohepriester aber und die anwesenden Priester knieten nieder und huldigten ihm mit den Worten des 110. Psalms. 2. Thess. 2, 4.
Die Priester im Priestervorhof hatten den Vorgang mit angesehen. Eine furchtbare Aufregung bemächtigte sich ihrer. Einige streckten die Hände gen Himmel, andere weinten. Die Unruhe pflanzte sich fort und ergriff auch die Frauen im Weibervorhof und die Leviten und von dort aus die Männer, ohne daß dort jemand wußte, um was es sich handelte.
Joseph, der mit dem Gefolge außerhalb des Tempelgebäudes geblieben war, begriff sofort die Tragweite des furchtbaren Frevels, der da geschehen. Er selbst war nicht fromm, aber er verstand das religiöse Fühlen seines Volkes. Ihm war nur mitgeteilt, daß noch eine kleine Feier im Tempel stattfinden solle. Die Einzelheiten hatte am Abend Ruben mit dem Hohenpriester besprochen.
Der Präsident erhob sich und verließ mit dem Hohenpriester und den Priestern das Tempelgebäude. Auf der obersten Treppenstufe hielt er inne und sprach mit lauter harter Stimme: »Im Namen der Menschheit, zum Dienst an der Menschheit habe ich dieses Gebäude übernommen. Die Huldigung, die mir im Allerheiligsten entgegengebracht, galt dem Genius der Menschheit. Was tun die Menschen in der Verehrung der Götter? Die Göttervorstellungen schaffen die Menschen sich selbst nach ihrem Bilde, und so verehren sie im Grunde sich selbst, wenn sie die Götter anbeten. So sei denn dieser Tempel geweiht der Anbetung des erhabenen Menschheitsgeistes; das ist Wurzel und Blüte zugleich aller wahren Menschheitsreligion, die die festeste Stütze des Weltstaates ist.« Offb. 13, 6.
Eine spürbare Unruhe ging durch die Reihen der draußen harrenden Priester. Niemand achtete mehr auf den Segen des Hohenpriesters.
Der Präsident schritt langsam die Treppenstufen herunter, hinter ihm der Hohepriester und die begleitenden Priester.
Da trat aus dem Chor der Priester eine ehrwürdige Gestalt mit flammenden Augen auf ihn zu, reckte die Arme gegen ihn aus und rief mit lauter Stimme: »Wehe dir Ruben, der du bist der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der Widersacher Gottes und seines Gesalbten! Weil du dich überhoben hast über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, weil du dich in den Tempel Gottes gesetzt hast wie ein Gott und dich ausgegeben hast, als seiest du Gott, seiest du ausgestoßen aus der Gemeinde Israels. 2. Thess. 2, 3-5. Im Namen des Gottes Israels und Jeschua des Messias und in seiner Kraft übergebe ich dich dem Satan. Der Fluch Gottes komme auf dein Haupt.« 1. Kor. 5, 4 u. 5.
Der Präsident war wie vom Donner gerührt, als sein Vater diese Worte ihm entgegenschleuderte. Einen Augenblick wankte er. Dann aber biß er die Zähne zusammen, die Muskeln seines Gesichts strafften sich und er rief: »Aus dem Wege.« Das Wort mochte mißverstanden sein, denn aus der Reihe der Schutzwache des Präsidenten krachte plötzlich ein Schuß und der alte Isaak sank durchs Herz getroffen zu Boden.
»Schafft den Toten beiseite«, sagte Ruben kalt und gab das Zeichen zum Weitergehen.
»Mord im Heiligtum«, »Wehe dem Frevler«, »Tempelschändung«, so tobten die Entrüstungsschreie der Priester durcheinander.
»Blut«, »Mord«, so pflanzten sich die Rufe fort durch den Weiber- und Männervorhof, und es wäre eine entsetzliche Panik ausgebrochen, wenn nicht unter Vorantritt der Schutzwache der Präsident mit eisiger Ruhe hindurchgeschritten wäre, gefolgt von seinen Begleitern, dem Hohenpriester und den ihm ergebenen Priestern. Am Eingang zum Männervorhof standen Moïsseï und Ilja. Beide beugten die Knie vor dem Präsidenten und Moïsseï, als der ältere, sagte: »Großer Meister, verzeih, wenn wir dich belästigen.«
Das Antlitz des Gewaltigen wurde noch finsterer, als er sagte: »Schon wieder eine Störung? Nun, redet, aber kurz.«
»Wir wagen es, mit einer Frage dir zu nahen. Wir glauben, daß du bist der große Befreier der Welt. Aber sage uns: Bist du ein Knecht des Herrn, betest du Gott an?«
Da entlud sich die unnatürliche Spannung, mit der der Präsident sich bis dahin bezwungen, und er schrie die jungen Männer an: »Der Mensch ist der Gott der Erde und ich kenne keinen anderen Gott. Knecht des Herrn? Nein, ich sage euch: Ich bin niemandes Knecht.«
Moïsseï und Ilja sprangen auf und wichen entsetzt einen Schritt zurück.
»Wehe, wehe dem falschen Messias, dem Knecht des Satans«, rief Ilja dem weiterschreitenden Ruben nach. Beide Brüder standen noch lange wie erstarrt, Hand in Hand. Dann brachen sie in bitterliches Weinen aus. »Vater, lieber Vater, o, daß wir nicht auf dich gehört! Dein Segen komme über uns!«
Am Ausgang warteten die stolzen Araberpferde. Nach einem kurzen Abschied von dem Hohenpriester, dem Vorstande der Alliance israëlite und der Stadtobrigkeit bestieg der Weltpräsident und seine Begleitung die Pferde und sie ritten nach dem Ölberg zurück. Wie anders, als sie gekommen. Kein Hosianna, sondern ein dumpfes Grollen tönte hinter ihnen her.
»Hier ist keine Atmosphäre für mich«, sagte Ruben, als sie abgestiegen und er mit Joseph in dasselbe Gemach eintrat, wo sie am Tage vorher geweilt.
Er drückte auf eine Klingel und befahl die Instandsetzung der Luftschiffe für Nachmittag sofort nach dem Essen.
»Hättest du mich vorher in deinen Plan eingeweiht, so hätte ich dich gewarnt«, sagte Joseph. »Es war sehr unklug, das religiöse Empfinden des Volkes so gröblich zu verletzen.«
»Ach was! Wir müssen auch unser Volk hinüberzuleiten suchen in die Menschheitsreligion! Sonst können wir uns gewärtigen, daß ein innerer Feind nach Art der christlichen Kirchen sich gegen den Weltstaat in Gestalt unseres eigenen Volkes erhebt, das wir doch gerade durch den Weltstaat zu Macht und Herrlichkeit emporführen wollen!«
»Und dieser Feind würde katastrophal werden für den Weltstaat, denn ohne den Willen unseres Volkes kann nichts Großes auf Erden geschehen, noch etwas Bestehendes erhalten werden. Noch mehr solche Unklugheiten wie heute und an die Seite der christlichen Kirche tritt unser jüdisches Volk als ein unüberwindlicher Feind des Menschheitsstaates.«
»Nun, Joseph, du bleibst ja hier und es wird dir hoffentlich gelingen, die Volksstimmung zu beschwichtigen. Siehe zu, daß du bald aus Palästina auch einen kommunistischen Volksstaat machst. Sobald das gelungen, würdest du dann als Bevollmächtigter des Weltvölkerbundes hierbleiben. Ich bin dir dankbar, daß du hier in die Lücke trittst, denn ich bin froh, mit diesen Leuten nichts zu tun zu haben.«
»Ich werde tun, was ich kann, wie's meine Pflicht ist«, erwiderte Joseph.
Nach der gemeinsamen Mahlzeit stieg der Weltbundpräsident mit seinem Gefolge in die bereitstehenden Luftschiffe und sie zogen nach Norden, woher sie gekommen.
Als mit gewaltigem Orgelbrausen die Riesenfahrzeuge über die Stadt majestätisch dahinflogen, da ballte sich manche Faust und Segenswünsche waren es nicht, die ihnen nachgesandt wurden.
In den Straßen der Stadt aber sammelte sich das Volk um einen Maueranschlag, durch den öffentlich bekanntgemacht wurde, daß Joseph Aaronjewitsch Silberstein zum Statthalter des Weltvölkerbundes über Palästina in Aussicht genommen sei und zunächst kommissarisch die Geschäfte führen werde. Das Protektorat Englands über Palästina wurde im Namen des Völkerbundes für erloschen erklärt.