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24

Gaspard hatte auf eine kleine weiße Hütte hingewiesen, die auf dem gegenüberliegenden kahlen Bergabhang lag. Dorthin brachen sie nun auf und erreichten ihr Ziel, als die Abenddämmerung hereinbrach. Es war nicht eine trübe, düstere Dämmerung, wie sie den Tieflandbewohnern bekannt ist, sondern eine goldene Lichtflut, die Himmel und Erde bedeckte.

Inzwischen war Marmont den Paß hinuntergestürmt, so schnell ihn seine elende Mähre tragen konnte. Nach einiger Zeit stieß er auf Halsey, der seinen rechten Arm in einer Schlinge trug und sich gerade anschickte, die Heimreise anzutreten.

»Ich bin dem Teufel begegnet«, sagte Halsey, »und der Teufel hat mich untergekriegt. Und du, Marmont?«

»Ich würde Hackfleisch aus ihm gemacht haben«, rief Marmont, »wenn sich mein närrisches Pferd nicht aufgebäumt hätte und –«

»Das weitere kann ich mir schon denken«, sagte Halsey, indem er das geschwollene Gesicht Marmonts mit kritischen Blicken betrachtete.

»Du verstehst nicht, daß – –«

»Doch, doch! Es war Pech. Auch ich habe Pech gehabt. Aber er hat mich wenigstens mit dem Revolver und nicht mit seinen Fäusten abgetan. Marmont, sei aufrichtig. Wir sind beide nach allen Regeln der Kunst geschlagen worden.«

Der Franzose stöhnte vor Wut und Scham. »Es war Pech, daß mein Pferd scheute«, sagte er, »aber ich werde schon noch einmal mit ihm zusammentreffen.«

»Ich hoffe, daß mir dieses Vergnügen zuteil wird«, sagte Halsey. »Aber vielleicht ist es für uns beide besser, wenn unsere Hoffnung nicht in Erfüllung geht. Er ist ein junger Tiger, Marmont!«

»Ich werde diesem Tiger die Krallen beschneiden!« rief Marmont.

Sie setzten ihren Weg fort und berichteten sich gegenseitig alle Einzelheiten ihres Erlebnisses. Ihre Unterhaltung brach jäh ab, als sie um eine Wegbiegung ritten und plötzlich den riesigen Silas Denny auf einem schweißbedeckten Pferde vor sich sahen. Sie erfuhren alsbald, daß zum wenigsten er dem echten Vereal nicht zum Opfer gefallen war. Vielleicht war das gar noch beschämender für ihn, als wenn er in einem ehrlichen Kampfe geschlagen worden wäre; denn er hatte die beiden nicht einmal zu Gesicht bekommen.

»Wir sind ausgezogen, um auf Kaninchen Jagd zu machen, und haben einen Löwen aufgestöbert«, ließ sich Halsey vernehmen. »Marmont und ich sind schmählich übertölpelt und geschlagen worden; und du, Denny, bist gänzlich zum Narren gehalten worden. Wir sind kaum etwas Besseres als drei ausgemachte Narren, und ich erkläre auch frei heraus, daß ich es für ein großes Glück halten würde, wenn ich für meinen Anteil an den drei Millionen ein Reisebillett nach New Orleans erstehen könnte!«

»Wir sind immer noch nicht ganz auf dem trockenen«, rief Marmont. »Bei allem, was hoch und heilig ist, laßt uns so schnell wie möglich ins Tal hinabeilen! Vielleicht können wir sie noch einholen.«

»Mit solchen Pferden?« fragte Halsey.

Marmont stöhnte, aber Denny drängte darauf, daß man den Vorschlag Marmonts trotzdem befolgte. »Es besteht zwar nur eine schwache Aussicht auf Erfolg, doch in Anbetracht der drei Millionen lohnt es sich schon, einen Versuch zu machen.«

So ritten sie den Paß hinunter, bis sie am späten Abend in Sicht der weißen Hütte kamen, die auf dem kahlen Berghang stand. Da sie mit dem Gelände nicht vertraut waren, kamen sie überein, daß es besser sei, in dem kleinen Häuschen zu übernachten, als in der Dunkelheit blindlings daraufloszureiten. Die Bewohner würden ihnen eine gastliche Aufnahme bereiten, falls es nicht leer stehen sollte.

Als sie näher an ihr Ziel herankamen, vernahmen sie einen Laut, der ihnen verriet, daß dort tatsächlich jemand anwesend war. Ein Mann sang mit heller und klangvoller Stimme eine fröhliche Weise, die von einer Gitarre begleitet wurde. Der Sänger mußte sich offenbar in einer sehr vergnügten Stimmung befinden.

»Ich sage euch: in dem Hause gibts was zu trinken«, sagte Halsey, indem er seine trockenen Lippen mit der Zunge benetzte und sein Pferd anspornte. Wegen seiner Wunde hatte er kein Wort der Klage verloren, aber die Aussicht auf einen Tropfen Alkohol verzehrte ihn fast vor Ungeduld. Die anderen folgten ihm eilends, und bald hatten die drei das Haus erreicht, wo sie abstiegen und sich vorsichtig der offenen Tür näherten, durch die der Schein eines wild flackernden Feuers herausfiel.

Als sie in das Innere der Hütte hineinspähten, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick dar: die Flammen prasselten auf einem offenen Kamin und erleuchteten den Raum, in dessen drei Ecken drei Männer mit gekreuzten Beinen auf dem aus festgestampfter Erde bestehenden Fußboden saßen. Ihre Hände und Füße waren mit Stricken gefesselt.

Es waren Cabrillo, Louis Gaspard und der echte Vereal. Das dritte Abenteuer Vereals hatte in der Tat einen sehr unglücklichen Verlauf genommen, denn ein blutdurchtränkter Verband umhüllte seinen Kopf. Vor dem Feuer saß der Sänger, ebenfalls mit gekreuzten Beinen. Er spielte auf der in seinem Schoß ruhenden Gitarre und sang aus voller Brust. Es war John Jones, alias der Kid.

Die drei Zuschauer waren so perplex, daß sie sich nicht eher von der Stelle bewegen konnten, bis der Gesang verstummte. Nun stürzten sie mit einem Triumphgeschrei zur Tür herein. Der Kid erhob sich nicht, um sie zu begrüßen. Er begnügte sich damit, noch einige Akkorde auf seiner Gitarre anzuschlagen, während er lächelnd zu den Ankömmlingen aufblickte. Die drei reagierten auf diese gütige und unvorhergesehene Wendung des Geschicks je nach ihrer individuellen Veranlagung.

»Mein Glück läßt mich zugunsten dieses Jünglings gänzlich im Stich«, sagte der Franzose voll Bitterkeit. »Der Teufel hat seine Hand im Spiel!«

»Jones«, sagte Silas Denny, »durch diese Tat haben Sie uns alle vier zu gemachten Männern gemacht!«

Halsey sagte überhaupt nichts. Er zog sich etwas von der Gruppe zurück und betrachtete seine Genossen stirnrunzelnd, als ob er nichts mit ihnen zu tun haben wollte.

»Was soll mit ihnen geschehen?« fragte er schließlich.

Der Kid erhob sich und zog sich mit seinen drei Gehilfen nach der Tür zurück, wo sie mit leiser Stimme über das Geschick der Gefangenen berieten.

»Tote Leute reden nicht«, sagte Silas Denny.

»Das stimmt«, murmelte Marmont.

»Wollt ihr sie einfach umbringen?« fragte Halsey.

»Nein – wir nicht«, antwortete Marmont. »Angenommen, ein Feuer bräche aus und – – –«

Er beendete den Satz nicht, sondern zuckte nur die Achseln, und alle vier wandten sich mit mitleidigen Blicken unwillkürlich nach den Gefangenen um. Die verstanden nur zu gut, was diese Blicke zu besagen hatten. Cabrillo wurde aschfahl. Er sperrte den Mund auf und blickte wild drein wie ein in die Enge getriebenes Raubtier.

Mit einem schwachen Seufzer schaute der alte Gaspard zu seinem Schüler auf. Er bangte nicht um sein eigenes Leben, aber er sah sein zwölfjähriges Werk und all seine Hoffnungen plötzlich zunichte werden. Nur José Vereal bewahrte eine unerschrockene Haltung. Natürlich hatte auch er den Ernst der Situation begriffen, doch er erhob seinen Kopf, und ohne mit der Wimper zu zucken, blickte er die drei fest an.

Dann tat der Kid seine Meinung kund. »Wenn ihr sie umbringen wollt«, sagte er, »so müßt ihr euch vier Mann vom Halse schaffen, nicht drei. Ich werde der vierte sein!«

»Hören Sie mal, junger Mann«, sagte Silas Denny mit einschmeichelnder Stimme. »Sie haben heute ein schönes Stück Arbeit geleistet. Wenn wir unser Ziel erreichen, ganz gleich, wie, so werden Sie den Löwenanteil von der Beute erhalten. Wollen Sie alle Vorteile aus den Händen geben?«

»Er hat recht«, sagte Halsey. »Ich schlage folgendes vor: Laßt mich bei den Gefangenen zurückbleiben. Wegen meines verwundeten Armes kann ich ja doch nichts ausrichten. Marmont kann bei mir bleiben. Denny und Jones kehren nach San Triste zurück, um alles Erforderliche in die Wege zu leiten und den Raub in Sicherheit zu bringen. Drei Tage dürften für diesen Zweck genügen. Nach Ablauf dieser Frist werden Marmont und ich aufbrechen und euch zu erreichen suchen. Die Burschen können dann zusehen, wie sie sich möglichst schnell ihrer Fesseln entledigen. Darauf wollen wir es ruhig ankommen lassen.«

»Man würde uns einholen, bevor wir den Rio Grande erreicht hätten«, erklärte Denny mit Nachdruck. »Mit einem Zug von siebzig Mauleseln könnten wir niemals bis zur Grenze kommen.«

»Ich weiß etwas Besseres«, entgegnete Halsey. »In dem Hafen von Ulloa liegt ein kleiner Frachtdampfer. Selbst mit einem Zuge schwerbeladener Maulesel kann man Ulloa von San Triste aus in vierundzwanzig Stunden erreichen. Gebt ein Telegramm auf und versucht, das kleine Schiff zu chartern. Es ist die ›Rachel‹ aus New Orleans. Sie hat nur dreihundert Tons, aber sie ist so schnell wie eine Yacht. Ihr könnt sie für ein Ei und Butterbrot bekommen. Falls wir innerhalb von drei Tagen nichts Gegenteiliges von euch hören, werden wir die Gefangenen sich selbst überlassen und nach Ulloa eilen. Wenn wir dort eintreffen, wird bereits alles an Bord geschafft sein, so daß wir augenblicklich in See stechen können.«

»Bedenken Sie«, wandte sich Marmont an den Kid, indem er ihm vertraulich eine Hand auf die Schulter legte, »eine Kugel wird den echten Vereal beiseiteschaffen und Sie für immer zum unumschränkten Herrn der riesigen Besitzungen machen. Werden Sie auch solch ein Narr sein wie Halsey?«

Zur Ehre des Kid sei es gesagt, daß er überhaupt nicht an das unermeßliche Vermögen der Vereals dachte, trotzdem es nun tatsächlich in seiner Macht stand, es sich ein für allemal anzueignen; seinem Geist schwebte vielmehr die liebliche Gestalt Alicia de Alvarados vor, und sein Herz wurde ihm schwer. Der junge José war das einzige Hindernis, das sich seiner Liebe in den Weg stellte. Da konnte er nicht umhin, sich zu ihm umzuwenden und ihn mit grimmigen Blicken zu mustern. Doch José ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Einen Moment sahen sich die beiden fest an, dann wandte sich der Kid mit bleichem Gesicht wieder seinen Gefährten zu.

»Marmont«, murmelte er heiser, »Sie sind ein Teufel! – Aber dem Vereal darf kein Haar gekrümmt werden. Dabei bleibt es. Seit sich das Glück gegen ihn gewandt hat, hat er noch nicht einen Laut der Klage über seine Lippen gebracht. Er ist ein ganzer Mann.«

Denny und Marmont murrten, während Halsey zustimmend nickte. Seine Blicke schweiften aufmerksam von dem einen zum anderen – von dem falschen Vereal zum echten. Man hätte die beiden für Brüder halten können, so groß war ihre Aehnlichkeit. Das Kinn des Kid war etwas breiter und seine Stirn ein wenig höher. Sonst verrieten ihre Gestalten und Gesichtszüge keine auffälligen Unterschiede.

Silas Denny machte eine resignierte Geste. »Jones«, sagte er, »Sie haben soeben Millionen zum Fenster hinausgeworfen!«


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