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10

Als John Jones, alias der Kid, San Triste zum ersten Male erblickte, lag die in dem grellen Sonnenlichte weißschimmernde Stadt so deutlich vor ihm ausgebreitet, daß er die Häuser hätte einzeln zählen und die Straßenzüge skizzieren können. Es war eine flach gebaute Stadt, nur die beiden Kirchtürme ragten über die Gebäude hinaus.

John Jones brachte sein Pferd zwischen den Dornbüschen, durch die er hindurchritt, zum Stehen, um sich nach der Hitze des Tages an dem Anblick der vor ihm liegenden, prächtigen Szenerie zu weiden. Er hatte die Karte, mit der ihn Joseph Simon versehen hatte, zuvor häufig und sorgfältig studiert und konnte sich nun genau orientieren. Dort, wo die hohen Bäume standen, befand sich die Plaza Municipal. Drüben floß der Rio Sabrina in vielen Windungen langsam dahin, bis er sich in eine verträumte Lagune ergoß, die von Ufer zu Ufer mit grünen Wasserlilien bedeckt war. Sein Blick streifte weiter über die zwischen dem Fluß und der Stadt liegenden Wiesen und über die Zuckerrohrfelder am jenseitigen Ufer bis zu dem weit entfernten, bläulich schimmernden Gebirge.

Er prägte sich alles genau ein. Dann ließ er sein schwarzes Pferd in eine Talsenkung traben, wo ihm jeder Ausblick versperrt war. Dort wurde er jäh aus seinen Träumereien aufgeschreckt, denn zwei zerlumpte Burschen sprangen ihm in den Weg und schlugen ihre Gewehre auf ihn an.

Fluchend befahlen sie ihm, die Hände zu erheben; aber John Jones legte nur eine Hand auf die andere und stützte sich auf den Sattelknopf.

»Wer hat euch beauftragt, solche Torheiten zu begehen?« fragte er in seiner gewohnten Ruhe.

»Erzähl's ihm, Juan«, sagte der eine, »das wird uns eine Kugel sparen.«

»Grenacho!« rief Juan, und beide grinsten so hämisch, als ob sie erwarteten, daß nun ihr Opfer vor Schreck aus dem Sattel sinken würde. Doch John Jones schüttelte nur lächelnd den Kopf.

»Meine Freunde und Schutzbefohlenen«, sagte er, »könnt ihr mich ansehen, ohne daß euch ein Licht aufgeht?«

Ihr hämisches Grinsen erstarb auf ihren Lippen; sie begannen, ihn mit verständnislosen und verwunderten Blicken zu betrachten. Grenacho hatte erst kürzlich in dem Distrikt von San Triste wie ein Wolf unter einer Schafherde gewütet. Deshalb waren die einfältigen Banditen nicht wenig über die Ruhe dieses Mannes verwundert, der nicht einmal nach seinem Revolver griff, sondern sie nur stillvergnügt anlächelte.

»Seht mich genau an!« befahl John Jones, wobei er sein Pferd einige Schritte näher an sie heranbrachte.

»Wer ist das? Was bedeutet das?« hörte er den einen flüstern.

»Vielleicht der Teufel. Ich weiß es nicht!« murmelte sein Gefährte. Dann erhob er seine Stimme: »Rühren Sie sich nicht vom Fleck, oder ich schieße Sie über den Haufen, Señor!«

»Ihr könntet mir als Boten dienen«, fuhr der Reiter mit unbeirrbarer Ruhe fort. »Geht zu Grenacho und erzählt ihm, daß der Eid, den er einst den Vereals schwor, wieder bindend für ihn ist, denn ein Vereal ist zurückgekehrt, und das bin ich, José Vereal. Erzählt ihm, daß ich selbst in die Berge reiten und ihn mitsamt seinem ganzen Gesindel ausräuchern werde, wenn er es wieder wagen sollte, einem Manne aus San Triste etwas zuleide zu tun. Euch selbst halte ich eure Dummheit zugute.«

Ob sie seinen Worten Glauben schenkten, konnte er ihnen nicht vom Gesicht ablesen, denn es kam ihm jetzt vor allen Dingen darauf an, sich unverweilt aus dem Staube zu machen. Deshalb drückte er ein Knie gegen die Rippen des schwarzen Hengstes und ritt dreist und gottesfürchtig zwischen den Mündungen der beiden Gewehre hindurch. Er fühlte förmlich, wie die Banditen ihre Waffen auf seinen Rücken in Anschlag brachten, und machte sich mit fest zusammengebissenen Zähnen auf eine heimtückische Kugel gefaßt.

Aber während er langsam den Abhang hinauf ritt und jenseits des nächsten niedrigen Hügels verschwand, wurde weder ein Wort gesprochen noch ein Schuß abgefeuert. Als er sich außer Sicht befand, vernahm er eine Art Klageschrei der beiden Männer hinter ihm. Ob sie nun zu einer klaren Ueberlegung gekommen waren, nachdem sie sich von ihrem Staunen erholt hatten, wußte er nicht zu sagen. Jedenfalls beschleunigte er sein Tempo nicht, und auf dem ganzen Ritt bis zur Stadt sah und hörte er nichts mehr von ihnen.

Seiner Zuversicht und seinem Selbstvertrauen wurde dadurch beträchtlich Vorschub geleistet, denn er sagte sich, daß dieser erste Handstreich wesentlich zur Erleichterung seiner Aufgabe beitragen würde. Da er sich bereits angekündigt hatte, dürfte er sich später seiner Rolle weit besser anpassen können.

Er hatte es indessen durchaus nicht eilig, die Stadt zu betreten, schwenkte vielmehr nach links ab und begann, in der Nähe der Lagune angekommen, die Nordseite des Hügels, auf dem die Casa Vereal stand, näher in Augenschein zu nehmen. Die langen Mauern, die hinter dem Baumdickicht zu sehen waren, schienen einen Komplex zu umfassen, der für einen Palast groß genug gewesen wäre. Es war in der Tat ein königlicher Besitz, den die Vereals ihr eigen genannt hatten!

Der Kid hatte in seinem Leben schon allerlei Streiche ausgeführt, aber nun kamen ihm doch Bedenken, ein Vorhaben auszuführen, das ihm fast ein Staatsverbrechen zu sein schien. Er war ein Usurpator, der im Begriff stand, einen Königsthron zu rauben.

Er machte neben den Zypressen auf der westlichen Seite der Lagune halt. Die Wasserfläche war mit riesigen, grünen Lilienblättern von drei bis vier Fuß Durchmesser bedeckt, auf denen große rote, gelbe und weiße Blumen prangten. Der Wind blies ihren süßlichen, betäubenden Duft zu ihm herüber. Kein gemäßigtes Klima könnte solche Blumen hervorbringen. Sie sahen so exotisch und seltsam aus, daß sie in ein Traumland zu gehören schienen. Dem Kid kam auch in der Tat alles so unnatürlich vor, als ob er im Traum einherwandelte.

Ueber seine nächsten Schritte war er sich durchaus noch nicht schlüssig. Absprachegemäß sollten sich Halsey, Denny und Marmont irgendwo in der Stadt aufhalten und sich ihm anschließen, sobald er dort eintraf und seine Maßnahmen traf. Worin diese Maßnahmen bestehen sollten, hatte nicht einmal der findige Joseph Simon ausklügeln können.

»Sie sind mein General, John Jones«, hatte er unmittelbar vor der Verabschiedung gesagt. »Ich habe den ganzen Feldzugsplan ausgearbeitet, aber sobald Sie auf dem Schlachtfeld eingetroffen sind, muß ich alle weiteren Schritte Ihnen überlassen. Sie müssen entscheiden, wann und wo ein Angriff stattfinden soll!«

Das war ihm alles nicht so unmöglich vorgekommen, als er sich noch nördlich des Rio Grande befunden hatte. Aber als er nun in der Abenddämmerung unter den hohen Zypressen an der Lagune stand, kam es ihm so vor, als ob er als einzelner Mann einen Sturmversuch auf eine ganze Stadt unternehmen wollte. Das war ein hoffnungsloses Beginnen, eine Wahnsinnstat, die in das Reich der Fabel gehörte.

Er beschloß, sich von seinem Pferde zu trennen, um die Stadt heimlich zu Fuß auszukundschaften. So nahm er dem schwarzen Hengst Sattel und Zaumzeug ab, damit sich das müde Tier ausruhen konnte, und band ihm eine Decke um den Leib. Der Schwarze war das Bild von einem Pferde. An den feinen Fesseln, kräftigen Schultern und Beinen konnte man die charakteristischen Merkmale eines vollblütigen Rennpferdes erkennen.

Es hatte an diesem Tage weite Strecken im Eiltempo zurückgelegt, aber dennoch hielt es bis zuletzt den Kopf stolz erhoben, und seine Augen funkelten feurig. Es weidete nun ruhig in dem Grase, solange sein Herr in der Nähe blieb, aber als sich John Jones abwandte, begann der Hengst unruhig zu werden und leise zu wiehern. John Jones schritt schnell zu ihm zurück. In diesem fremden Lande kam ihm alles so fremd und ungewöhnlich vor, daß ihm der Schwarze mehr als ein Pferd bedeutete. Es war sein vertrauter Leidensgefährte. Er schlang einen Arm um den Hals des Tieres, legte seinen Kopf an den des Pferdes und verharrte einige Augenblicke in dieser Stellung. Das Pferd stand gleichfalls unbeweglich da.

Als John Jones sich wieder entfernte, wieherte der Schwarze nicht und zeigte sich auch nicht beunruhigt. Er erhob nur seinen schöngeformten Kopf, spitzte die Ohren und blickte seinem Herrn nach.

Es war ein ernster, in sich gekehrter junger Mann, der langsam über die Wiesen nach der Stadt zu wanderte. Er sagte sich jedoch, daß er, abgesehen von den drei Männern, die in der Stadt auf ihn warteten, noch drei andere Verbündete besäße, die ihm im Notfalle sehr wirkungsvolle Dienste leisten würden. Der erste war der schwarze Hengst an der Lagune, der ihn schnell aus dem Bereich der Gefahr tragen würde, wenn es ihm möglich sein sollte, ihn rechtzeitig zu erreichen; der zweite war ein langes, haarscharfes Messer, das Jones mit furchterregender Geschicklichkeit zu handhaben wußte; der dritte ein schwerer Coltrevolver.


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