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»In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben! In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben!« erzählt die kleine vierjährige Mahrite fröhlich ihrer Puppe, indem sie dieselbe in einen hohlen Holzdeckel setzt. »Hörst du es auch? In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben!«
Aber die Puppe ist taub wie alle ihres Geschlechts, sie hört nichts und blickt mit ihren starren Augen gleichgültig in das Himmelsblau, das sich über Wihndedsi und seinen großen Hofraum wölbt. Außer Mahrite, die sich in der Mitte dieses Hofraums befindet, und der großen Katze, die sich nicht weit von ihr träge sonnt, ist in Wihndedsi kein anderes lebendes Wesen zu bemerken – in der Tat könnte man glauben, dass das Haus diesen beiden zur Bewachung anvertraut sei, wenn nicht in der Wohnstube, deren Tür sperrweit offen steht, dann und wann ein kleines Geräusch zu vernehmen wäre. Dieses verursacht die Bäuerin, indem sie flache Brotkuchen in den Ofen schiebt und dieselben gar wieder herausholt, denn heute ist Sonnabend, und das gesamte Gesinde ist auf der Wiese beschäftigt, wo das letzte Heu zusammengetragen und in die Scheunen gebracht werden muss. Obgleich sie alle Hände voll zu tun hat, vergisst sie doch nicht, dazwischen in den Hofraum zu blicken, um nach Mahrite zu sehen. Die Katenete hat das Kind zu Hause gelassen, damit es sie beim Heumachen nicht hindere, und nun hat die Bäuerin es zu beaufsichtigen. Sie blickt hinaus, sieht, was es tut, und hört auch, was es spricht. Sie hört es und errötet.
Jetzt hat sie die letzten Brötchen aus dem Ofen geholt und auf den Speisetisch gelegt. Von einem derselben, das schon erkaltet ist, bricht sie ein gutes Stück ab, geht damit hinaus und nähert sich Mahrite, die eben damit beschäftigt ist, in das Loch am Hinterkopf ihrer Puppe Gras zu stopfen.
»Willst Kuchen haben, Mahrit'?«, fragt die Bäuerin und zeigt dem Kind das zarte, weiße Gebäck.
Das Kind wirft die Puppe fort, erhebt sich und streckt beide Händchen aus: »Will wohl!«
»Ich gebe dir gleich den Kuchen; sage nur noch einmal, was wird es in Wihndedsi bald geben?«
»In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben!« erwidert die kleine Plaudertasche, zappelt vor Vergnügen mit den Füßen und langt mit den Händchen nach dem Kuchen.
Die Bäuerin setzt sich neben das Kind und nimmt es auf den Schoß.
»Wer sagte so?« fragt sie. Sie setzt ganz richtig voraus, dass das Kind diese ohne Verständnis hergeplapperten Worte irgendjemand abgelauscht habe. »Sagte es die Mutter oder der Vater?«
»Die Mutter«, antwortet das Kind, und es redet die Wahrheit; denn es hat die Worte in der Tat aus dem Munde der Mutter vernommen.
»Und was sagte die Mutter noch?«
»Nichts … Gib mir nun den Kuchen …«
»Gleich, gleich; erzähle mir nur, was die Mutter noch sagte.«
»Sie sagte viel, sehr viel«, erwidert das Kind, welches begriffen hat, dass »nichts« der Bäuerin nicht nach Sinn ist.
»Nun, sieh mal … Sagte die Mutter nicht auch, für wen es in Wihndedsi Hochzeit geben wird?«
»Nein«, erwidert das kleine Mädchen mit schelmischem Lächeln, denn es glaubt, dass die Bäuerin mit ihm scherzt. Diese glaubt dagegen aus dem schelmischen Ausdruck des Gesichtchens entnehmen zu können, dass das Kind sie zum Besten hält.
»Ei nun, so erzähle doch Mahrit', was die Mutter sagte«, ermuntert sie. »Für wen wird es Hochzeit geben? Ich bringe dir auch ein Stückchen Zucker, wenn du es mir sagst.«
Zucker erweckt bei Mahrite die Vorstellung von etwas Schönem. Zucker ist süß, eine Hochzeit ist wohl auch etwas Süßes. Mahrite will den Zucker und die Bäuerin will wohl die Hochzeit haben. Und der kleine Schlaukopf schlingt die Ärmchen um ihren Hals und flüstert ihr nach Kinderart geheimnisvoll zu: »Für dich wird es Hochzeit geben!«
Die Wihndedsibäuerin lacht beglückt.
»Für mich!« ruft sie aus und küßt die Kleine. »Für mich! Ei sieh! … Und für wen denn noch?«
Mahrite macht große Augen. Hat sie noch zu antworten? Ist denn der Kuchen diesmal so schwer zu verdienen? … Sie weiß nicht, was sie sagen soll.
»Nun, für wen gibt es noch Hochzeit?«, forscht die wissbegierige Bäuerin unbarmherzig weiter.
Das Kind zieht das Mäulchen schief und sieht ungeduldig umher. Für wen soll es denn nach Hochzeit geben? … Da fällt sein Blick auf die Katze.
»Für Mieze gibt es auch Hochzeit«, sagt es ganz ernsthaft und zeigt auf die Katze, die sich auf die Hinterbeine gesetzt hat und ihre weiße Brust wäscht.
Obgleich diese Antwort der Bäuerin nicht nach Sinn ist, muss sie doch lachen.
»Nur für Menschen gibt es Hochzeit«, erklärt sie. »Sag mal, wird es nicht für den Vater Hochzeit geben oder für Jahnis oder für Juris?«
»Für Juris wird es Hochzeit geben, für Juris!«, ruft die Kleine aus, als sie diesen Namen hört.
Juris ist sehr gut gegen sie, er nimmt sie gern auf seine Arme und lässt sie tanzen, bringt ihr Beeren, gibt ihr Honig. Honig ist süß; Juris muss auch etwas Süßes haben.
»So, nun bist du brav«, ruft die Bäuerin voll Fröhlichkeit aus, hebt das Kind in die Höhe und setzt es dann wieder auf den Rasen. »Hier hast du den Kuchen – iss!«
»Wo ist der Zucker?«, fragt Mahrite.
»Du bekommst ihn gleich.« Die Bäuerin geht in die Stube und nimmt aus dem Schrank ein Stück Zucker und ein Glas. In letzteres gießt sie Milch und bringt sie nebst dem Zucker dem Kinde.
»Da, iss nun dein Vesperbrot!«
Sie selbst hat auch noch nicht ihr Vesperbrot gegessen. In ihrer Kammer auf dem Tische steht alles noch unberührt: die Schale mit schöner, gelblicher, frisch gemachter Butter, der feine Kuchen, der Krug mit frischer Milch. Sie hat keine Lust zum Essen, die Freude hat ihr allen Hunger benommen. »In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben!« … Also wird dieser Ausspruch von dem Gesinde schon so häufig getan, dass selbst das unverständige Kind die Worte behalten hat. Nun ja, es ist auch nicht zum Verwundern. Die Wihndedsibäuerin hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass Juris ihr gefällt, und Juris – nun, der trägt ja die Bäuerin auf Händen. Es wäre auch verwunderlich, wenn er es nicht täte. Es wäre sehr sonderbar, wenn ein Soldat, der aus dem Dienst zurückgekehrt ist und keinen Heller besitzt, sich sträuben wollte, der Mann der Wihndedsibäuerin und der Bauer des ringsum in Ansehen stehenden Hofes zu werden. Nur das ist sonderbar, dass Juris noch nicht mit ihr gesprochen hat. Bald wird es ein Jahr sein, seitdem er aus dem Dienst heimgekehrt und bei ihr in Lohn getreten ist, und noch hat er keine Gelegenheit gefunden, die Bäuerin zu fragen: »Heiraten wir uns nicht?« … Aber so ist es nun einmal – gar zu ehrbar. So war er schon, als er das erste Mal in Wihndedsi lebte. Die Mädchen sah er nicht an. Nun, es ist ja ganz lobenswert, wenn die Burschen sittsam sind – es ist ja auch gut, dass Juris sich mit den Hausmägden nichts zu schaffen macht, auch nicht einmal mit Lihschuk, der einzigen Tochter der Bäuerin; nur müsste er sich nicht scheuen, das entscheidende Wort zu sprechen. Oder wartet er etwa darauf, dass die Bäuerin es tut? Es ist ja freilich ein uralter Brauch, dass die Bäuerinnen um die Burschen werben, und nicht umgekehrt. Ja, ganz gewiss erwartet Juris dies auch von der Wihndedsibäuerin, schon deshalb, weil sie etwas älter ist als er. Ganz gewiss verhält es sich so. Ach, warum ist das der Bäuerin nicht früher eingefallen, da hätten sie nun schon Mann und Frau sein können! Aber jetzt muss die Sache zum Abschluss gebracht werden.
»Ja, ich will es tun, ich will noch heute mit ihm reden, sobald und wo, ich ihn treffe.«
So denkt die Bäuerin, und dabei wird ihr so leicht und froh ums Herz wie seit lange nicht.
Schnell bückt sie sich zu dem Kinde nieder, welches seinen Zucker verzehrt hat, fröhlich lachend ihr die Händchen entgegenstreckt und ruft: »Hopp!«
»Hopp!«, sagt die Bäuerin, fasst das Kind unter den Schultern, hebt es in die Höhe, dreht sich mit ihm im Kreise, lacht und jubelt: »In Wihndedsi wird es bald Hochzeit geben!«
*
»Hopp!« sagt die Katenete, hebt ein Bündel Heu auf und legt es auf die Unterlage von trockenen Blättern. Dann hält sie inne, schöpft Luft, trocknet sich den Schweiß vom Gesicht und sieht den anderen Arbeitern zu. Das Weib lächelt. Alle die anderen, paarweise verteilt, arbeiten eifrig, nur Juris und Lihschuck sind nirgends zu erblicken und ihr zur Hälfte fertiger Heuhaufen am Rande des Wäldchens steht schon eine gute halbe Stunde unverändert da.
»Wollen die beiden denn heute gar nicht mehr aus dem Wäldchen hervorkommen?« sagt sie zu ihrem Manne, der unterdessen hinzugetreten ist und einen Arm voll Heu auf die Blätter legt. »Wenn es in Wihndedsi nicht bald Hochzeit gibt –«
»Dann gibt es bald eine andere Bescherung«, ergänzt der Mann, drückt das Heu mit dem Rechen fester an und harkt weiter.
Im Wäldchen aber stehen mit geröteten Wangen zwei Menschenkinder, die einander so lange geküsst und in die Augen geblickt haben, bis sie ihren Heuhaufen und die ganze Welt vergessen haben – ausgenommen die Wihndedsibäuerin.
Diese ist der Gegenstand ihrer lebhaften Unterhaltung und schließlichen Meinungsverschiedenheit.
»Sie wird es nicht zugeben«, sagt Juris.
»Sie wird!«, beteuert Lihschuk.
»Sie wird nicht, ich sage dir, sie wird nicht«, erwidert Juris. »Noch in der vergangenen Woche sagte sie, sie würde dich keinem andern als einem Hofbauern geben, und Sonntag hörte ich sie in der Vorratskammer mit dem Sihlenbauern darüber reden, dass du zu früh in die Lehre geschickt worden seist und sie sich nun der Brautwerber nicht erwehren könne; sie möchten aber nur kommen, früher als nach zwei Jahren denke sie nicht daran, dich fortzugeben.«
»Nicht früher als nach zwei Jahren!«, ruft Lihschuk aus und lacht. »Juris, du musst dich verhört haben. Nun ich habe ganz etwas anderes gehört – was die Mutter mit dem Sihlen in der Kammer sprach. Da sagte sie, dass es in Wihndedsi bald Hochzeit geben werde, und fragte, welche Kuh zu schlachten wäre. Für wen anders sollte sie wohl die Hochzeit ausrichten wollen als für mich – für uns!«
»O – und wenn sie von ihrer eigenen Hochzeit gesprochen hätte? Jung und hübsch genug ist sie noch, und der Sihlen schlendert wohl auch nicht ohne besondere Gründe allsonntäglich herüber – die Wirtschaft zu besehen.«
»Meinst du, dass die Mutter den Sihlen heiraten wird?« fragt Lihschuk und blickt überrascht den Burschen an. »Juris, das wäre ja gerade unser Glück! Die Mutter würde dann nach dem Sihlenhof ziehen und dort Bäuerin werden und uns den Wihndedsihof überlassen … Was fehlte uns dann noch?« …
»Dann fehlte uns allerdings nichts mehr«, versichert der Bursche lächelnd und tippt mit dem Stiel seines Rechens ins Moos zu ihren Füßen.
»Nun, worauf wartest du denn noch?«, schmollt das Mädchen. »Wahrhaftig Juris, wenn du nicht bald mit der Mutter sprichst, so tue ich es. Wenn man's recht bedenkt, so ist es aber wohl eine Schande, dass es einem Burschen, der den Türkenkrieg mitgemacht hat, an Mut gebricht, bei der Mutter um die Tochter zu werben.«
»Von Mut kann hier nicht die Rede sein«, sagt Juris, indem er sich kerzengerade aufrichtet. »Mut habe ich für zwei. Ich wünsche nur nicht, mich zu ›blamieren‹ – das ist's!«
»Natürlich wirst du dich nur blamieren«, spottet Lihschuk. »Juris, Juris, wirst du denn nicht einmal begreifen lernen, warum die Mutter so freundlich gegen dich ist? Meinst du denn wirklich, dass sie dir ohne Grund die leichtere Arbeit zuschiebt und das bessere Essen zukommen lässt? Wenn sie nicht wünschte, dass du Familienglied wirst, würde sie dann so häufig sagen: ›Lihschuk, stecke mehr Käse in die Tasche, damit es auch für Juris reicht; nimm so viel von dem Kuchen mit, dass du Juris auch davon geben kannst!‹«
»Ja, mein Lieb, so denkst du. Du legst dir jeden kleinen Umstand zu unseren Gunsten aus. Das vermag ich aber nicht. Ich bin mir stets dessen bewusst, was ich bin: nichts als ein armer, entlassener Soldat. Ich meine, dass die Mutter nur deshalb so gut gegen mich tut, weil sie sieht, was für einen tüchtigen Arbeiter sie an mir hat. In der Tat glaube ich nicht, dass sie leicht einen zweiten solchen hier finden wird.«
Das Mädchen wird ungeduldig und macht eine abwehrende Bewegung mit der Hand.
»Also willst du nicht mit ihr reden!«, ruft sie halb erzürnt aus. »Gut, so will ich noch heute Abend der Mutter alles erzählen. Eine Schmach für den Helden aus dem Türkenkriege!«
Und sie ergreift ihren Rechen, den sie an einen Baumstamm gelehnt hat, und macht Miene, das Wäldchen zu verlassen.
Aber Juris tritt ihr in den Weg.
»So warte doch«, sagt er, über des Mädchens Zorn lachend. »Da du es einmal so willst, gut, – geschehe es denn – mag die Mutter mich morgen hinausweisen. Das können wir ganz bald haben. Wie ich dir schon sagte: An Mut fehlt es mir nicht; ich gehe sofort und spreche mit der Mutter.«
Das verblüffte Mädchen mit einem fröhlichen Blick streifend, verlässt der Bursche das Wäldchen und schreitet an dem vernachlässigten Heuhaufen vorbei über die Wiese auf den Hof zu.
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Juris ist nicht gerade ein schöner Bursche. Was ihm jedoch das Wohlgefallen von Mutter und Tochter erworben hat, das ist sein kräftiges, im Dienst abgehärtetes Äußeres, sein echt männliches Wesen und seine Bedächtigkeit im Reden und Handeln. Diese Bedächtigkeit hat vielleicht ihren Grund in einem nicht völlig entwickelten Verstande, von dem alle Dinge viel langsamer erfasst werden als von einem schnellen Kopf, aber sie ist nun einmal seine Eigentümlichkeit, und es ist gleichgültig, welche Ursache sie hat.
Auf dem Wege nach dem Hofe überlegt sich der Bursche, mit welchen Worten er der Bäuerin seine Absicht darlegen soll. Soll er etwa sagen: »Bäuerin, ich möchte heiraten!« oder »Bäuerin, ich möchte Lihschuk heiraten?« … Nein, es ist besser, dass zuerst von ihm allein die Rede ist. Wenn die Bäuerin sich dann zu wundern beginnt und fragt: »Wen? Was?«, so ist es ein Zeichen, dass Lihschuk sich geirrt hat, und er muss die Rede schnell auf etwas anderes bringen, ein zweites Jahr wie bisher fortleben und sich bei der Bäuerin einzuschmeicheln suchen. Fände sich der Augenblick nur bald, wo er seine Rede beginnen dürfte!
Mit diesen Gedanken biegt Juris um die Scheunenecke, erblickt die Bäuerin im Hofraum und hört den Ausruf, den sie tut, während sie sich mit dem Kinde in die Runde dreht. Die Bäuerin erblickt den Burschen, wird dunkelrot, setzt das Kind schnell hin und verschwindet im Hause.
»Mag sie nun den Sihlenbauern und sich selbst oder Lihschuk und mich im Sinn gehabt haben – jedenfalls denkt sie an eine Heirat«, brummt Juris vor sich hin, erreicht das Haus und betritt die Küche. Im Gehen ist ihm etwas schwül geworden; er will einen Schluck Wasser nehmen.
Unterdessen steht die Bäuerin in ihrer Kammer vor dem Spiegel. Sie sieht in der Tat nicht viel älter aus als Juris, ihre Gesichtsfarbe ist weiß und rot wie bei einem jungen Mädchen, die Augen blitzen – die Stirn – nun ja, die hat drei kleine Falten, aber die wird Juris gar nicht bemerken. Wie gut, dass er nach Hause gekommen ist! Er kommt ihr wie gerufen … Aber wo hält er sich nur so lange auf?
Die Bäuerin wird ungeduldig, dann geht sie hinaus und ruft: »Juris!«
»Ja«, antwortet Juris in der Küche und kommt zum Vorschein. Der Bursche, der »Mut für zwei« hat, sieht etwas zaghaft aus.
»Weshalb bist du nach Hause gekommen?«, fragt die Bäuerin freundlich.
»Es geschah – nur so – wollte einen Schluck Wasser nehmen war durstig«, erwidert Juris.
Die Bäuerin horcht auf. Um einen Schluck Wasser zu nehmen? Was sind das für Reden! Ist denn der Brunnen am Wiesenrande versiegt? Wenn Juris nun dasselbe in den Sinn gekommen wäre wie ihr? … Da er sie allein zu Hause wusste, ist er gekommen, um …
Die Bäuerin denkt den Gedanken nicht zu Ende, sondern winkt mit der Hand und sagt:
»Ach so! Nun, was schleichst du denn in der Küche herum? Komm herein, trink Milch und koste von dem frischen Kuchen – Vesperbrot hast du wohl noch nicht gegessen?«
»Nein«, antwortet der Bursche und wird wieder sicherer. Er hat den rechten Moment getroffen – die Bäuerin ist bei guter Laune.
Sie treten beide in die Kammer der Bäuerin und diese nötigt Juris, sich an den Tisch zu setzen, und setzt sich selbst ihm gegenüber.
»So«, sagt sie und blickt dem Burschen ins Gesicht. »Ich habe auch noch nicht zu Vesper gegessen. Nun wollen wir beide zusammen essen.«
Juris lässt seine Blicke in der Kammer umherschweifen. Wie nett sieht hier alles aus und wie schön wäre es, wenn er hier wohnen könnte …
»Nimm«, ermuntert die Bäuerin den Burschen zum Essen und rückt ihm den; Milchkrug näher.
»Nun ist es Zeit, dass ich zu reden beginne«, denkt Juris und beginnt zu essen … Beim Henker, es ist eine verdammte Geschichte, das erste Wort will ihm durchaus nicht über die Lippen.
Juris isst und trinkt und auch die Bäuerin macht sich etwas mit der Butter und dem Kuchen zu schaffen.
»Werdet ihr heute fertig?« fragt sie.
»Ja«, erwidert der Bursche und isst.
»Ich weiß nicht, was wir nun beginnen sollen«, fährt die Bäuerin fort. »Der Roggen ist noch nicht reif und alle anderen Arbeiten sind beendet. So hat es sich noch niemals gefördert. Auch der Sihlen wundert sich.«
»Nun, da müssen wir die Pause vor der Roggenmahd mit einem tüchtigen Tanz ausfüllen«, sagt Juris, erhebt den Krug und trinkt mit zurückgeworfenem Kopfe, damit die Bäuerin nicht merkt, wie er errötet.
»Ohne besondere Veranlassung tanzen – das geht nicht gut«, meint diese, die des Burschen Erröten wohl bemerkt hat. »Ja, wenn sich eine festliche Gelegenheit fände … dann …«
»Oh, die dürfte sich finden – wenn man nur erst wollte«, sagt Juris, dem es plötzlich einfällt, erst nachzufühlen, wie die Bäuerin über ihre Verbindung mit dem Sihlenbauern denkt. »Man spricht davon, dass du zu heiraten beabsichtigst, und die Leute dürften recht haben, denn ohne Grund hast du wohl vorhin im Hofe nicht davon gesungen, dass es in Wihndedsi bald Hochzeit geben wird.«
Die Bäuerin lehnt sich etwas in ihren Stuhl zurück und lacht hell und fröhlich auf.
»Nein«, antwortet sie, »ohne Grund habe ich es nicht getan. Ich beabsichtige, mich bald zu verheiraten. Aber von dir sagt man dasselbe. Man meint, du werdest auch bald Hochzeit machen.«
»Wahrhaftig?« fragt Juris schnell und froh.
O des Glückes, Lihschuk hat recht: Sie nimmt ihn zum Schwiegersohn!
»Wahrhaftig, ja, wahrhaftig!«, schwört die Bäuerin scherzend und fügt dann schelmisch hinzu: »Ich weiß nur nicht, mit wem. Dein Liebchen ist wohl irgendwo in fernen Landen?«
»Habe es wohl nötig, mir ein Liebchen in fernen Landen zu suchen, wenn sie hier selbst in Wihndedsi schön wie eine Rose mir blüht«, erwidert Juris. »Nun, Bäuerin, das hätte ich wohl nicht geglaubt, dass ich dir genügen könnte. Längst schon hätte ich geredet, wenn ich nicht gefürchtet hätte, beim ersten Wort eins um die Ohren zu bekommen.«
»Ach Gott!« ruft die Bäuerin aus und lacht. »Bist du denn die ganze Zeit über blind gewesen? Hast du nicht gemerkt, wie ich mich gegen dich verhielt? Ich wollte schon selbst anfangen, mit dir zu reden. Aber nun wollen wir mit der Hochzeit nicht mehr zögern. Wir wollen sie nach zwei Wochen feiern.«
»Das ginge wohl an – mir wäre es nicht zuwider, wenn es schon so bald sein sollte – aber nach zwei Wochen wird der Roggen reif sein.«
»So mag doch die letzte Ähre auf dem Acker ihr Korn verstreuen, was geht es uns an?« ruft die glückliche Bäuerin aus. »Über zwei Wochen feiern wir Hochzeit – vier Tage nacheinander.«
»Nun, meinetwegen. Aber wenn es schon einmal sein soll: Feiert ihr dann nicht auch eure Hochzeit?«
»Was?!«
»Feiert ihr nicht zugleich auch eure Hochzeit?«
»Nun ja doch, wir feiern dann eben unsere Hochzeit.«
»Ach so, ich dachte, du sprachst von unserer Hochzeit.«
»Nun ja, von unserer.«
»Das heißt: von eurer.«
»Von unserer – du wirst ja ganz irre«, sagt die Bäuerin und lächelt.
»Nein, nein, wir verstehen uns nicht«, erwidert der Bursche. »Du willst, dass Lihschuk und ich nach zwei Wochen Hochzeit machen. Gut. Aber wann machst du Hochzeit mit dem Sihlen?«
»Mit Sihlen?«, ruft die Bäuerin und springt auf. »Ich mit Sihlen?«
Der Bursche blickt die Bäuerin an und freut sich, dass sie sich so überrascht zeigt.
»Du meinst wohl, ich wüsste nicht, wen du dir erwählt hast«, sagt er. »O – ich habe euch genug beobachtet! Aber, Schwiegermutter, du hast dich ja in den Finger geschnitten. Während du ihn verbindest, will ich gehen, einen Gast begrüßen: Sieh, da kommt der Sihlen! Und nicht wahr, ich darf ihm doch erzählen, dass es in Wihndedsi bald für zwei Paare Hochzeit geben wird?«