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Weihnachten ist da!
Auf den Straßen und Gassen und Plätzen, in den prächtigen Kaufläden des reichsten Stadtviertels und in den ärmlichen Buden auf dem Markte – überall herrscht das regste, lebhafteste Treiben. Wie auf Flügeln, so schnell jagen die eleganten Schlitten dahin, hastig schreiten die Fußgänger vorwärts, kaum dass sich die Bekannten Zeit zu einem Gruß nehmen, solche Eile haben alle, und nicht ohne Grund, gilt es doch zu dem verdächtigen Paket unterm Arm noch ein Päckchen und noch eins besorgen und das alles, bevor es dunkel wird, bevor die Lichte an dem dunkelgrünen Wunderbaum angezündet werden. Wahrlich kein leichtes Geschäft, das Passendste, das am meisten Erwünschte für den kleinen Liebling, wie für den stolzen Primaner mit sicherer Hand aus der Unzahl der Dinge, die einem in jedem Laden vorgelegt werden, auszuwählen. Niemand aber fällt es dabei ein, ein missmutiges Gesicht zu machen. Findet man überhaupt in der ganzen Stadt ein Gesicht, das heute nicht lachende Freude verklärt?
Doch!
Oben im ersten Stock eines eleganten Hauses steht an einem Fenster ein Mann mit ernsten Zügen und schaut gleichgültig auf das bunte Gewühl zu seinen Füßen hinab. Ihm kommt dies Hasten und Jagen der Menschen albern und kindisch vor: als ob sie nicht 364 Tage Zeit gehabt hätten, ihre Weihnachtsbesorgungen und Einkäufe zu machen, dass sie es jetzt alle auf einmal im letzten Augenblick tun müssen; als ob sie nicht Zeit gehabt hätten, Geschenke auszusinnen, dass sie jetzt atemlos von Bude zu Bude laufen. Und wie geheimnisvoll sie alle tun, und wie lächerlich es ist, sich mit meistenteils nutzlosem Kram, mit Dingen, die man selbst viel besser kaufen könnte, zu beschenken! Und dann sich noch darüber zu freuen! Recht genommen, ist nun wohl auch Grund genug dazu vorhanden, wenn man bedenkt, dass trotz der Gefahr, welcher alle diese tausend zerbrechlichen Sachen in dem Gedränge auf der Straße ausgesetzt waren, sie dennoch heil in die Hände der Beschenkten übergehen.
So denkt er.
Und wie sollte er anders, liegen doch schon Jahrzehnte zwischen den seligen Augenblicken der Kindheit, wo er sich auch über all den »nutzlosen Kram« freute, wo er über einen hölzernen Säbel entzückt war und über eine papierne Rüstung fast Tränen vor Freude vergoss! Ach, geschwunden ist die Erinnerung an jene Zeit, Ereignisse trüber Art haben sie verwischt und sich an ihrer Stelle ins Gedächtnis eingegraben. Auf eine fröhlich verlebte Kindheit war ein Jünglingsalter voll Sorgen gefolgt und diesem – ein einsames Mannesalter. Seit Jahrzehnten hatte er keinen Weihnachtsbaum brennen sehen; nicht mit Absicht war er seinen Anblick geflohen, der Zufall hatte ihn von demselben ferngehalten, ihn bald in einer unwirtlichen Gegend des Nordens, bald in einer rauchigen Taverne Italiens den Weihnachtsabend feiern lassend. Endlich, vor einem halben Jahr in die Heimat zurückgekehrt, sah er wieder das alte, schöne Bild des Weihnachtsfestes vor seinen Augen vorüberziehen, aber sein Herz schlug nicht höher dabei, es blieb kalt, die Freude daran war draußen in der Fremde gestorben.
Er wandte sich langsam vom Fenster ab und trat, eine Portiere zur Seite schiebend, in ein anderes geräumiges Gemach, dessen Fenster auf einen Garten hinausgingen und das auf den ersten Blick als Atelier eines Malers zu erkennen war. An den hell tapezierten Wänden hingen Studienköpfe und andere Gemälde, in einer Ecke stand eine Staffelei mit einer unvollendeten Landschaft, eine andere in der Mitte des Zimmers, geheimnisvoll mit einem Tuch zugedeckt. Auf diese Staffelei schritt der Maler zu und entfernte vorsichtig das Tuch. Ein schöner, braunlockiger Frauenkopf wurde auf der enthüllten Leinwand sichtbar, der in dem rötlichen Abendsonnenlichte, das aus dem anderen Zimmer hereinflutete, reizender als sonst erscheinen mochte, denn des Malers Augen leuchteten auf vor Bewunderung beim Anblick seines eigenen Werkes. Doch nur einen Augenblick, dann nahmen sie einen kalten Ausdruck an und, schnell wieder das Tuch über das Gemälde breitend, sprach er vor sich hin: »Schon wieder vor dem Bilde! Habe ich mir nicht zehnmal vorgenommen, es nicht mehr zu tun! Wozu auch? Um die Gegensätze in diesem Gesicht zu studieren, um zu sehen, wie dem, was die Augen reden, der stolze Mund widerspricht? Nach den Feiertagen wird's verändert und verkauft.« Damit wandte er sich von der Staffelei fort und setzte sich an eines der Fenster, gleichgültig, wie vorhin, auf die belebte Straße, auf die einsame Gartenanlage, die sich eintönig weiß vor seinen Blicken ausdehnte, hinausstarrend.
Der Tag war zu Ende. Die feinen Schneeflöckchen, die vereinzelt aus irgendeiner Wolke herabfielen, verschwanden in der Dämmerung, und droben am Firmament erglänzten nach und nach die Sterne.
Allmählich wurden die übrigen auf den Garten hinausgehenden Fenster hell. In einem Zimmer, in gleicher Höhe mit dem des Malers, wurde ein Tannenbäumchen geschmückt. Er sah, wie ein junges Mädchen, hurtig hin und her eilend, bald ein Licht, bald eine schimmernde Nuss, einen rotwangigen Apfel oder einen mit einem Bindfaden erwürgten Pfefferkuchenmann an den grünen Zweigen befestigte, wie sie mit vieler Mühe zuletzt an der Spitze des Bäumchens einen Engel anbrachte und endlich an einen Schrank trat, die Geschenke herausnahm und auf einen Tisch verteilte. In diesem Moment sank das Rouleau vor das Fenster, den ferneren Anblick des lieblichen Bildes dem Maler entziehend, dessen Auge nun haltlos in der Dämmerung umherirrte. Ein Frösteln überlief ihn, ein Gefühl unsäglicher Verlassenheit beschlich ihn. Er kam sich plötzlich wie der einsame Busch drunten im Garten vor, um den sich niemand kümmerte, an den niemand dachte! Wenn doch einer seiner Freunde zu ihm gekommen wäre, den Abend zu verplaudern, nach Geschenken, dem »nutzlosen Kram«, verlangte er ja nicht, nur nach Gesellschaft, denn auch bei ihm machte sich die Wahrheit dessen geltend, dass die Einsamkeit nie fühlbarer, nie unerträglicher ist, als an dem Tage der allgemeinen Freude und des Jubels – zu Weihnachten.
Allein keiner kam.
Inzwischen war es ganz finster geworden, auf der Straße war alles Leben erstorben, kein Laut drang mehr herauf, im Zimmer herrschte tiefe Stille.
Wie das Geläut eines silbernen Glöckchens durchzitterte diese Frage den Raum und traf den Maler wie mit elektrischem Schlag.
»Kindchen, du – du hier!« rief er, hastig aufspringend. Die Portiere rauschte, ein leichter Schritt wurde vernehmbar.
»Ja, aber wo bist du denn, es ist so dunkel –«
»Gleich soll es hell sein, Kindchen, bleib stehen, damit du dich in der Finsternis nicht an etwas stößest.«
Und im nächsten Augenblick erstrahlte eine mächtige Lampe und goss ihr Licht über eine reizende, kleine Mädchengestalt aus, die dem Maler ihre beiden Ärmchen wie zum Gruß entgegenstreckte.
»Willkommen, Weihnachtsengelchen, willkommen!«, mit diesen Worten erfasste er das zarte Figürchen, hob es hoch in die Höhe und ließ sich dann mit demselben auf seinen vorigen Sitz nieder.
»Aber nun sage mir, wo hast du die letzte Zeit gesteckt, warum bist du so lange nicht zu mir heraufgekommen, du warst doch nicht etwa krank, Elly?«
»War wohl ein bisschen«, erwiderte das Kind, sein blausamtenes Röckchen glattstreichend, »ich musste den ganzen Tag im Bettchen liegen, und als ich wieder aufstehen durfte, da sagte Mama: Du darfst nicht mehr zum Onkel, er ist auf dich böse. Aber nicht wahr, jetzt bist du wieder gut, ich darf jetzt wieder bei dir sein, ich will auch nicht mehr malen helfen, nur zusehen.«
»Herzchen, du darfst bei mir bleiben und auch, so viel du willst, malen helfen«, sprach der »Onkel« freundlich, während ein finsterer Blick das verhüllte Bild traf, »doch erzähle mir, wie bist du denn heraufgekommen, da es die Mama doch nicht erlaubt?«
»Mama weiß es gar nicht, sie putzt mit der alten Gertrud den Baum und glaubt, dass ich jetzt meine unartige Puppe, die ihn nicht sehen soll, schlafen lege. Ich bin aber zu dir gekommen und wollte sehen, wie dein Weihnachtsbaum aussieht. Wo steht er?«
»Ich habe keinen Baum, Elly.«
»Weshalb nicht, magst du keinen?«
»Sein Anblick ist mir gleichgültig«, würde er jedem anderen Frager geantwortet haben, aber der Kleinen gegenüber, die so begeistert für ihn war, konnte er es nicht, sie übertrug etwas von ihrer Freude auch auf ihn, und so sprach er nicht ganz die Unwahrheit, wenn er sagte: »Ja, sehr.«
»Und hast keinen! Ach wie schade! Was hat dir denn Christkindchen überhaupt gebracht?«
»Gar nichts, Christkindchen hat mich ganz vergessen.«
»Aber die alte Gertrud sagt, Christkindchen vergisst keinen, es wird dir schon noch was bringen, warte nur, es hat ja heute sehr viel zu tun … Onkel!«
»Nun?«
»Erzähl' etwas vom Christkindchen.«
»Gern, mein Liebling.« Und der Maler hub an und erzählte die ganze wundersame Mär von der Krippe im Stall, von den Hirten und den Engeln, und je mehr er sprach, desto deutlicher tauchte vor ihm seine vergessene Jugendzeit auf, wo er, ebenso wie das Kind auf seinem Schoß, der Geschichte gelauscht, und als er geendet, da war es ihm eigentümlich warm ums Herz geworden. Elly war der Erzählung aufmerksam gefolgt, zuweilen verwunderte Blicke nach der in der Mitte des Zimmers stehenden Staffelei richtend, von der das nachlässig übergeworfene Tuch herabgeglitten war. Jetzt fragte sie nach einer Pause leise, auf das Bild deutend:
»Onkel, ist das nicht die Mama?«
Der Maler wurde feuerrot.
»Ja, das ist sie, gefällt sie dir?«
»Gewiss, bitte, zeige sie mir näher.«
Der Maler nahm das Kind auf den Arm und trat vor das Gemälde, welches nun von diesem mit ernsthaften Blicken betrachtet wurde. »Ja«, lautete endlich die Kritik, »alles ist ganz, wie es die wirkliche Mama hat, nur«, das rosige Fingerchen zeigte auf den kalten, stolzen Zug um die Lippen, »solch einen bösen Mund macht sie nie, wie diese hier.«
»So!«
Dem feinen Ohr der Kleinen entging der Zweifel, der in diesem Worte lag, nicht.
»Du glaubst nicht«, rief sie, »nun, du wirst ja noch heute sehen, dass ich Recht habe, Onkelchen, da dir das Christkindchen keinen Baum beschert hat und du ihn gernhast, so musst du zu uns kommen.«
»Kind – nein – das geht nicht!« Der Maler rief es fast erschreckt.
»Warum nicht?«
»Weil – weil – ich Fußschmerzen habe und die Treppe nicht steigen kann.«
»Aber …« Elly kam nicht weiter, ein Klopfen an die Tür unterbrach sie. Der Maler stand auf und trat, die Lampe in die Hand nehmend, ins andere Zimmer. Auf sein »herein« erschien eine sauber gekleidete Frau in der Tür und fragte, ob der Herr nicht Elly gesehen habe, dieselbe sei ja zuweilen zu ihm heraufgekommen und jetzt im ganzen Hause nicht zu finden.
»Sag' Mama, dass ich hier bin, und bring' den Baum herauf«, tönte es merkwürdig fest aus dem Atelier, »ohne Onkel will ich den Baum nicht sehen, und Onkel kann keine Treppen steigen.«
»Aber, Elly, was schwatzest du da!«, rief der Maler verlegen. »Komm schnell, dass dich Gertrud zu Mama führt, es war Unrecht von mir, dich nicht gleich hinunterzuschicken.«
»Aber ich gehe nicht, wenn du nicht kommst, mein großer Zeh fängt mir an zu schmerzen«, sagte die Kleine mit einer merklichen Dosis von Trotz in der Stimme.
»Mama wird böse sein, wenn du länger hierbleibst.«
»Wird nicht.«
»Die Lichte am Baum werden herunterbrennen.«
»Lass brennen, man kann neue anzünden.«
Die alte Gertrud schlug die Hände zusammen. »Lass brennen«, wiederholte sie ratlos. »Es wird nichts anderes übrigbleiben, Herr«, wandte sie sich an den Maler, »als dass Sie mit herunterkommen; das Kind, so lieb es ist, hat zuweilen so seinen eigenen Kopf, und dann muss man ihm schon seinen Willen tun. Übrigens wird es die gnädige Frau gewiss freuen, sie bei sich zu sehen, sie ist ja so allein. Darf ich anmelden?«
»In Gottes Namen, wenn's das Trotzköpfchen denn durchaus haben will, ich komme, aber jedenfalls unerwünscht.«
»Ich glaube nicht«, versetzte die Alte und verschwand. »Herrlich, Onkelchen, dass du kommst!« rief Elly ausgelassen, hinter der Portiere hervorspringend. »Jetzt wollen wir aber lustig sein und Bonbons essen, jeder eine ganze Schachtel. Ich werde dir auch zeigen, wo Mama den Engel hingehängt hat, den sie dort, wo die vielen Bilder sind, gekauft hat und den wir gemalt haben. Komm!«
»Gleich.« Der Maler ordnete schnell einiges an seiner Toilette, ging dann ins Atelier, wo er ein Bild von der Wand nahm und in ein Blatt Papier hüllte. Es erschien ihm plötzlich unpassend, ohne Geschenk unterm Weihnachtsbaum stehen zu müssen.
»Also sie hat meinen Engel gekauft«, murmelte er, Elly behutsam die Treppe hinunterleitend, »wer erzählte mir doch, dass sie meine Bilder nicht ausstehen könne?«
Unten angekommen, blieb er einen Augenblick vor der Tür stehen, als wollte er den Glanz der sechs Buchstaben des Namens »Heller«, der ihm aus einem schwarzen Schildchen entgegenblitzte, prüfen, dann trat er mit festem Schritt hinein. Die Begrüßung war eine ungezwungenere, als es der Maler gedacht hatte. Frau Heller freute sich, die Bekanntschaft eines geachteten Künstlers zu erneuern, und er pries – zuwider dem Vorsatze, nur gemessene Höflichkeit zur Schau zu tragen – das Geschick, dass es ihn den ersten Weihnachtsabend in der Heimat in so angenehmer Gesellschaft verbringen lasse. Darauf folgte, da die Kerzen in der Tat bis zur Hälfte schon herabgebrannt waren, Ellys Bescherung. Sie erhielt von der Mama eine Puppenstube nebst Einrichtung und andere Sachen, von dem Maler sein eigenes Bild, das sie sich einmal gewünscht hatte. Nachdem sie artig für ihre Geschenke, bei deren Anblick dem Maler sonderbarerweise kein Gedanke über »nutzlosen Kram« aufstieg, gedankt hatte, ging sie an ihren Tisch, um die Puppenstube ohne Säumnis nach ihrem Geschmack einzurichten. Zwischen Mama und »Onkel« entspann sich indessen eine lebhafte Unterhaltung, in der nur zuweilen eine Pause eintrat, um dann, wiederaufgenommen, in neuer Richtung fortgesetzt zu werden. Als wieder einmal eine solche Pause eintrat, erhob sich Frau Heller und eilte, mit der Bemerkung, dass sie den Maler einen Augenblick alleine lassen müsse, in ein anstoßendes Gemach. Dieser sah ihr mit entzückten Blicken nach. Seine Gedanken begannen sich zu verwirren. War das dieselbe stolze Witwe, die gesagt haben sollte, sie würde dem armen Kleckser über ihr die Tür weisen, wenn er es wagte, bei ihr sich sehen zu lassen; von der man sich den Ausspruch erzählte, sie würde nur dem ihre Hand reichen, der ihre halbe Million vollmachen könnte? Unmöglich, ein Verleumder – vielleicht ein abgewiesener Verehrer – hatte ihn belogen, und er hatte ihm geglaubt. Sie hatte ihrem Kinde verboten, ihn zu besuchen, damit er nicht gestört werde, und er hatte gemeint, sie habe es getan, um ihn zu kränken! Und mit welcher Zartheit hatte sie das Gespräch auf die Vergangenheit zu lenken gewusst! Warum er denn damals so schnell und ohne Abschied von seinen besten Freunden davongereist sei, hatte sie scherzend gefragt. Freilich war ihr Vater vor Entrüstung beim Anblick der öffentlich ausgestellten Venus mit ihren Gesichtszügen außer sich geraten und habe ihm auf ihr Verlangen den Besuch seines Hauses verboten, aber er hätte doch im Bewusstsein seiner Unschuld kaltblütiger handeln sollen; denn nach nicht langer Zeit habe es sich ja doch herausgestellt, dass nicht er, sondern ein anderer das unselige Bildnis gemalt habe …
Frau Heller kehrte aus dem Nebenzimmer zurück. Sie trug eine rote Mappe in der Hand, welche sie Elly mit der Weisung übergab, dieselbe dem Onkel zu bringen, das Christkindchen habe in der Eile ihm nichts Besseres bescheren können.
»Sagte ich nicht, dass es dir noch was bringen wird, Onkel«, jauchzte das Kind, seine Prophezeiung erfüllt sehend und dem Maler die Mappe überreichend, »es denkt doch an alle!«
Hocherfreut nahm der Maler das Geschenk in Empfang, mit einem Kuss auf den niedlichen Mund der Geberin, ihr dankend.
»Auch Ihnen meinen besten Dank, gnädige Frau«, sagte er, sich vor Frau Heller höflich verbeugend.
»Warum gibst du Mama keinen Kuss?«, fragte Elly naiv, der durch die Verbeugung der Dank nicht herzlich genug ausgedrückt scheinen mochte, »ich tue es immer, wenn sie mir etwas schenkt. Und siehst du«, fuhr sie fort, ohne die flammende Röte, welche die Wangen Mamas und »Onkels« überflog, zu bemerken, »dass sie keinen solchen bösen Mund hat, wie die Mama, die du gemalt hast, sieh nur hin, wie sie lacht!«
»Wie? Sie haben mich gemalt und aus dem Gedächtnis?« Frau Heller rief es freudig überrascht.
»Ein misslungener Versuch, gnädige Frau« stammelte der aus einer Verlegenheit in die andere stürzende Maler und brach verzweifelt einer unschuldigen Zuckerpuppe beide Beine ab, dieselbe statt in den Mund in die Tasche steckend. Auch Frau Heller verlor zusehends ihre Sicherheit. Sie wollte wieder eine Unterhaltung anknüpfen, aber sie wusste nicht, worüber sie reden sollte, und, um doch nicht solch eine entsetzliche Stille im Zimmer herrschen zu lassen – Elly verhielt sich empörend ruhig bei ihren Spielsachen –, machte sie sich mit den Walnüssen auf einer Schale zu schaffen.
Die Situation wurde peinlich.
Da kam plötzlich, wie ein erlösender Engel, die Kleine auf Frau Heller zugesprungen.
»Mama, du hast aber ja noch gar kein Geschenk erhalten, möchtest du etwas von mir?«
»Weshalb nicht, mein Liebling, was hast du denn?«
»Ich schenke dir den Onkel, er ist für mich doch viel zu groß!« Damit war sie wieder fort, die beiden der Wirkung ihrer Worte überlassend und ohne die so notwendige Erklärung, dass sie das Bild des »Onkels« meine, welches für ihre Puppenstube zu groß sei, weil es schon eine Kommode samt Toilette in Trümmer geschlagen hatte.
»Gnädige Frau«, fing der Maler nach einer langen Pause an, während welcher auch die Walnüsse nicht geklappert hatten, »wenn ich mir die Freiheit nähme, Ellys Worte zu wiederholen, würden Sie wohl – das – Geschenk – annehmen?«
Ein Blick voll glückseliger Liebe traf ihn statt aller Antwort. – – – Ihm war, als dufte der Weihnachtsbaum süßer und rauschten seine Zweige märchenhafter – in wonniger Freude breitete er seine Arme aus und zog die schöne Frau an seine Brust.
Er hatte sein verlorenes Glück beim Schimmer der Weihnachtskerzen – wiedergefunden.