Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Erlauben Sie mir einige Fragen: Würden Sie, wenn Sie ein draller, lettischer Bauernjüngling wären, eine dralle, lettische Bauernjungfrau zur Frau nehmen, nicht deshalb, weil Sie selbige unsagbar lieben, sondern weil ihr von elterlicher Seite ein Pferd im Werte von ungefähr achtzig Rubeln mitzugeben versprochen wird? Nein? Gut.
Würden Sie unter derselben Voraussetzung besagte Jungfrau, wenn ihre Mitgift in drei versprochenen Kühen bestände, für welche ein Metzger ohne zu feilschen neunzig Rubel geboten haben würde, zum Altare führen? Auch nicht? Komisch.
Würden Sie jedoch als derselbe Jüngling der genannten Maid die Hand zum ewigen Bunde reichen, wenn die liebenden Eltern hundert Rubel blank und bar ihrer Tochter auf der Hochzeit in das Sieb zu legen versprächen? Bedenken Sie wohl, einhundert Rubel bei diesen schlechten Zeiten! – Sie schütteln den Kopf, sagen zum dritten Mal nein? Das ist stark!
Was würden Sie aber sagen, wenn Ihnen mit dem Besitze der Jungfrau, welche in diesem Falle, damit der Reize nicht zu viele beisammen sich befänden, ein bissel blattersteppig, oder wie wir hier zu Lande sagen, pockennarbig, sein müsste – wenn Ihnen also mit dem Besitze der Jungfrau gleichzeitig auch derjenige eines Pferdes (Wert siehe oben), dreier Kühe und hundert Rubel in Aussicht gestellt würden? Da würden Sie doch zugreifen, ohne sich lange zu prüfen, sich ewig binden? – Wie, Sie lachen? Weshalb lachen Sie? Was finden Sie als strammer Bauernjüngling an einer strammen Bauernjungfrau, deren Mitgift in einem versprochenen Pferde, drei Kühen und hundert Rubeln besteht, so lächerlich? Oder hat eine solche Partie zu wenig des Anziehenden für Sie? Oh, Sie sind schwer zu befriedigen, sind sehr anspruchsvoll, so anspruchsvoll sind viele nicht – auch Rein Pupulakst war es nicht. Wollen Sie seine Geschichte hören? Sie ist nicht lang, vielleicht auch nicht gerade sehr interessant, aber wahr ist sie gewiss.
Er hieß also – oder vielmehr ich nenne ihn so, denn seinen wahren Namen muss ich wohl verschweigen – Rein Pupulakst und war der Sohn eines durch allerlei Unfälle heruntergekommenen Wirtes, über dessen Habe der Hammer des Versteigerers verderbensschwanger schwebte, bereit, jeden Augenblick auf den Wink des Gutsherrn auf sie niederzufallen und sie nach allen vier Winden zu zerstreuen. Da der Wirt trotz aller dazu gemachten Anstrengungen keine Möglichkeit sah, aus seinen Schulden je mehr herauszukommen, auch keine Hoffnung auf einen, wenn auch nur teilweisen Erlass derselben hatte, bemächtigte sich seiner eine Art trotziger Verzweiflung, er versuchte nicht mehr zu sparen, wo er es auch vielleicht noch hätte können, sondern verlebte alles, was einkam. Das ging so ungefähr zwei Jahre, dann hatte die Herrlichkeit ein Ende. Das Gesinde kam in andere Hände, die beiden Pupulaksts jedoch mussten – wollten sie nicht am Hungertuche zehren – Knechte werden. Es war eine schwere Zeit, welche jetzt für die beiden anging. Sie fühlten, der Unterschied zwischen Wirt und Knecht und Wirtssohn und Knechtssohn sei doch größer als er scheine. Besonders bitter empfand diesen Wechsel Rein. War er auch früher nicht gerade ein Müßiggänger gewesen, so angestrengt, so unausgesetzt hatte er doch nicht arbeiten müssen wie jetzt. Dazu war die Kost, an die er sich jetzt gewöhnen musste, elend zu nennen im Vergleich zu derjenigen, welche er früher und besonders in den letzten Jahren gehabt.
Doch was war dagegen zu machen!
Der Vater begann freilich gegen den Gram über die so veränderte Lebenslage ein Mittel zu gebrauchen, zu dem sich Rein jedoch nicht entschließen konnte, er begann nämlich zu trinken – ich meine natürlich etwas anderes als Wasser, denn dieses ist meines Wissens nie als Mittel gegen Liebes- oder sonstigen Kummer angewandt worden. Trotzdem Rein der Unerfahrenere von beiden war, hatte er doch mehr Überlegung als der Vater, er dachte: Was soll mir das Trinken? Ein Trinker ist nie reich geworden, wohl aber kann es der zu etwas bringen, der spart. Waren nicht der Ssmilga und der Osol ebenfalls Knechte gewesen, bevor sie die wohlhabenden Wirte wurden? Wodurch wurden? Dadurch, dass sie die Kopeken beisammenzuhalten verstanden hatten. Und Rein nahm sich vor, ebenfalls durch dieses Mittel – es war ja auch das einzige – sich allmählich wieder emporzuschwingen, er fing an zu sparen, ja ich möchte beinahe sagen, zu geizen. Von den zehn Rubeln, die er im ersten Jahr als Lohn bekam, legte er schon fünf zurück und forderte den Vater auf, das Gleiche mit seinem übrig gebliebenen Jahreslohn zu tun. Der jedoch wollte davon nichts wissen, sondern goss alles in die bereits auf ewigen Durst abgerichtete Kehle. Von der Mutter konnte Rein in seinem Vorhaben auch nicht unterstützt werden, sie war kränklich und starb bald. So setzte er denn allein das mühsame Werk des Sparens fort. Als er zwanzig Jahre alt war, besaß er bereits die enorme Summe von hundertundzwanzig Rubeln. Noch zweihundertundachtzig Rubel und er war Wirt, denn mit vierhundert Rubeln hoffte er eine kleine Stelle pachten zu können. Da wollte es sein Verhängnis, dass er zu einem Wirte als Knecht kam, dessen Schwester, weil seine Frau fast erblindet war, das Amt der Wirtin versah und eine Tochter besaß. Diese Tochter hieß Natalie Rosalie Amalie Bedrit, ihre Mutter hieß Ascha Bedrit, ihr Vater jedoch – ich sage Ihnen dies unter dem Siegel der Verschwiegenheit, denn es ist ein Geheimnis – nannte sich Jeannot Mhatthiencque und war Gemeindeschreiber irgendwo in Oberkurland oder auch Unterlivland, genau weiß ich es nicht, das tut auch übrigens nichts zur Sache. Genug, die Schwester-Wirtin war eine äußerst zärtliche Mutter, die es meisterhaft verstanden hatte und verstand, der Tochter den Mangel eines Vaters unfühlbar zu machen. Wie grenzenlos ihre Liebe zu dem Mädchen war, erhellt schon aus dem Umstande, dass sie, als das Kind getauft werden sollte, drei volle Tage nach den drei hübschesten, weiblichen Taufnamen im Kalender herumgesucht, bevor sie sich zu Natalie, Rosalie, Amalie entschlossen hatte. Ihre Tochter sollte ihr nämlich nicht den Vorwurf noch ins Grab nachsenden können, dass sie sie mit dem Fluche eines hässlichen Namens beladen, einer Sünde, welcher sich Aschas Mutter in hohem Maße schuldig gemacht hatte. Ascha! Ascha! Wer konnte diesen schändlichen Namen aussprechen, ohne an eine Hottentottin oder eine Angrapequenanegerin zu denken! Schon der grässlichen lettischen Namen wegen wäre Ascha gern eine Deutsche oder eine Russin »geworden«, wenn ihr nur die Sprache nicht unüberwindliche Hindernisse in den Weg gelegt hätte!
Auch als die kleine Natale – so nannten nämlich die Leute das süße Kind, trotz aller mütterlichen Proteste gegen diese Verstümmelung – geimpft werden sollte, bewies Ascha, bis zu welcher Höhe ihre Zärtlichkeit für das Kind reiche. Sie bezahlte lieber das Strafgeld, als dass sie von dem barbarischen Doktor Natales unschuldige Ärmchen zerschneiden ließ. Dass Natale nachher die Pocken bekam, das freilich konnte die Mutter nicht verhindern, obgleich sie alle nur erdenklichen Mittel dagegen anwandte. Nicht das Beräuchern mit Tannenharz und Wacholder, nicht das Tragen eines Beutelchens mit Asa foetida in der Herzgegend – nichts, gar nichts schützte Natale vor dem Krankwerden! Wer kann aber auch etwas gegen den Willen des lieben Gottes! … Aber noch ein Mittel gab's, und Ascha Bedrit ließ es nicht unversucht. Sie nahm ihre Zuflucht zum Gebet. Sie bot dem lieben Gott ihr Leben unter der Bedingung an, dass er ihre Natale mit Pockennarben verschone. Der liebe Gott ging aber auf diesen Handel nicht ein, und so behielt die Mutter ihr Leben, die Tochter dagegen wurde pockennarbig.
Pockennarben sind nun an und für sich nicht schlecht, und auf dem Gesichte eines Mannes haben sie so gut wie nichts zu bedeuten. Anders dagegen ist es, wenn sie auf einem weiblichen Zifferblatte – wie meine Tante Susanna sagt – zur Erscheinung kommen. Da können sie verhängnisvoll werden. Es ist nämlich des Öfteren schon beobachtet worden, wenn nicht gar statistisch erwiesen, dass pockennarbige Jungfrauen – auf die Nationalität kommt es dabei gar nicht an – entweder bleiben was sie sind oder einen Witwer mit drei bis fünf und mehr Kindern zum Gatten bekommen.
Auch Ascha Bedrit hatte zwei solche Fälle erlebt und fürchtete mit gutem Grunde, dass sie den dritten an ihrer Tochter werde erleben müssen. Sie setzte daher alle Hebel in Bewegung, um diese Gefahr abzuwenden. Als Frau, die die Welt kennt, suchte sie vor allem Natale – natürlich erst, als sich diese in heiratsfähigem Alter befand – ein möglichst gutes Aussehen zu geben. Ein gutes Aussehen wird jedoch bekanntlich durch dreierlei bedingt: durch ein hübsches Gesicht und eine ebensolche Gestalt, durch hübsche Kleidung und durch Sauberkeit.
Über ihre Gestalt konnte Natale nicht klagen, aber hübsch war ihr Gesicht nicht und konnte es selbstverständlich auch nicht mehr gemacht werden; die Mutter begnügte sich daher, es dick und rosig zu machen, denn sie wusste, dass solche Gesichter auch Liebhaber haben. Da sie, wie schon erwähnt, Wirtin-Mutter war und somit freien Zugang zu Speck, Butter, Milch, Eiern, kurz allen Herrlichkeiten einer bäuerlichen Wirtschaft hatte, konnte ihr solches nicht schwerfallen.
Hübsche Kleidung, seidene und wollene Tücher usw., die waren schon schwieriger zu erlangen. Denn was Mutter und Tochter zusammen verdienten, reichte für ihre, d. h. Natales, Bedürfnisse lange nicht aus. Doch auch hierfür wusste Ascha Bedrit Rat und Hilfe. Sie schloss Busenfreundschaft mit einem in der Gegend hausierenden Juden, der gern, vermöge der seiner Nation innewohnenden starken Akkommodationsfähigkeit, auf die Urform des Handelsverkehrs zurückging und Ware gegen Ware eintauschte. So manches »Messerspitzchen Butter«, so manches »Handvollchen Hafermehl«, so manches »Ellchen Sacklein«, so manches »Hühnereichen« wanderte in die Hände des Juden, welche statt seiner gelben Wangen eine ewige anilinfarbene, freudige Röte ob der willkommenen Gaben zur Schau trugen. Dafür fand sich wieder im Kleiderkasten der Ascha Bedrit manches Stück Wollzeug, manche Elle Spitze, mancher unechte Schmuckgegenstand ein. Und Natale war nicht so gretchenunschuldig, dass sie fragen konnte: Wo kommt das schöne Kästchen respektive Tüchlein, Bändchen usw. her? – Auch tat sie damit nicht geheim, bewunderte ihre schönen Sachen nicht in einsamer Kammer, sondern legte sie öffentlich an, und je mehr Augen sie sahen, desto angenehmer war es ihr. »Das hat ihr wieder der Vater geschickt«, flüsterte bei passender Gelegenheit die Mutter dieser oder jener über Natales Kleiderpracht erstaunten Freundin ins Ohr, »dem ist's wieder gut gegangen, und dann vergisst er uns auch nicht!« … Dieser Jeannot Mhatthiencque! Der war doch der echte Prototyp eines aufmerksamen Vaters!
Nun, und was das letzte kosmetische Mittel anbelangt, so weiß jedermann, dass es durch ein Stückchen Seife und ein wenig Wasser leicht zu erlangen ist. Da Natale jedoch leider an angeborener Wasserscheu litt, so musste die Mutter, um bei ihr mit der Sauberkeit durchzudringen, außer zu Seife und Wasser noch zu einem dritten, einem bekannten Hausmittel, dessen Namen ich hier nicht weiter nennen will, ihre Zuflucht nehmen.
Aber trotz all dieser mütterlichen Finessen, trotz ihrer unübertrefflichen Kunst, sich selbst in den Schatten und die Tochter ins beste Licht zu stellen, wollte doch niemand bei derselben, um den technischen Ausdruck zu gebrauchen, so recht anbeißen. Es ging nämlich allgemein das Gerede, dass Natale stockfaul sei und manche behaupteten sogar keck und kühn, dass sie dazu nicht einmal bis fünf zählen könne. Nun ja, das ist so eine übertriebene Redensart, von der man nicht weiß, wie man sie deuten soll. Wenn behauptet worden wäre, dass Natale nicht einmal bis fünf schreiben könne, so hätte das Sinn gehabt, denn die Kunst, die hörbaren Sprachlaute in sichtbare Zeichen zu übertragen, wie der alte Westberg sagt, war ihr verschlossen geblieben. Aber bis fünf zählen wird sie wohl gekonnt haben. Wie dem nun auch gewesen, Tatsache war, dass dieses Schwesternpaar wirklich vorhandener oder angedichteter böser Eigenschaften die heiratslustigen Jünglinge zurückhielt, Natale an Bord ihrer Lebensschiffe zu nehmen. Es war da freilich einmal so ein Mischmasch mit einem kaum den Hütejahren entwachsenen flaumbärtigen Bengel gewesen, aber aus der Geschichte war schließlich doch nichts geworden, weil die Mutter des Flaumbärtigen ihm die Liebesqualen mit dem schon erwähnten Hausmittel, das in diesem Falle aus einem in den Ruhestand versetzten Badstubenquaste gewonnen worden, vertrieben hatte.
Mittlerweile aber war Natale zweimal zwölf Sommer oder vierundzwanzig Winter alt geworden. Ein respektables Alter – nur noch sechs Grad über Null! Schlimmer dagegen stand es bereits mit Aschas mütterlichen Hoffnungen, die waren schon bis unter den Gefrierpunkt gefallen. Sie hatte sich bereits an den Gedanken gewöhnt, dass ihre Natale »sitzen bleiben« werde.
Da kam Rein Pupulakst ins Haus.
Ein hübscher, man konnte beinahe sagen, schöner Mensch, Besitzer eines Kapitals von über hundert Rubeln, nüchtern, gesund, fleißig, dazu jung und unerfahren – Herz, was begehrst du mehr! Das Quecksilber im Thermometer der mütterlichen Hoffnungen schnellte plötzlich bis zum Siedepunkt in die Höhe! Jetzt hieß es sich zusammennehmen, jetzt hieß es klug sein! Gleich am Tage nach Georgi nahm Ascha ihre Tochter beiseite und apostrophierte sie folgendermaßen:
»Sei jetzt einmal fix«, sagte sie mit dem ganzen Aufwand ihres geringen Vorrates an mütterlicher Strenge, »und zeige dem Rein, was du kannst … Der ist für dich zum Manne wie geschaffen, wenn du klug bist, kriegst du ihn … Wenn ihr zusammen arbeitet, so tu, als ob du vier Hände und vier Füße hättest, und wenn andere über Müdigkeit klagen, so lachst du und fragst, was Müdigkeit sei, hörst du, und wenn du selbst müde bis zum Umfallen wärst! … Und sei freundlich gegen ihn wie die Sonne und aufmerksam! Aufmerksam sein heißt nicht mit offenem Munde anhören, was er spricht, obwohl du auch auf sein Gespräch mehr als auf das jedes anderen achten musst, sondern aufmerksam sein heißt ihn bedienen … Sagt er z. B.: Ich bin durstig, so läufst du und holst Wasser, spricht er: Wo mögen meine Pasteln sein? so suchst du sie auf, sagt er: Mir fehlt ein Knopf am Rock oder am Hemde, so nähst du ihn an (ich werde dir zeigen, wie das zu machen ist) usw. Und dass du ja deine Zunge im Zaume hältst! Reden bringt Ehre, Reden bringt aber auch Schande, und Manchen fället sein eigen Maul, sagt Sirach! Dir wird das Reden Schande bringen, das weiß ich, darum sei schweigsam, dann wird er dich für klug halten!« – Ja, wenn's drauf ankam, konnte Ascha Bedrit auch den Sirach zitieren.
Und Natale schüttelte ihre Lethargie von sich und wurde rührig. Zwei Gedanken wirkten dabei ermunternd auf sie ein; der eine, dass sie den allerliebsten, rotwangigen Rein zum Manne bekommen sollte, und der andere, dass sie ja nach der Hochzeit ihr bequemes Leben wieder werde aufnehmen können.
Sie ging nicht mehr dahin, kommst du mir nicht heute, so kommst du doch morgen, sondern war über Nacht rehfüßig und bienenfleißig geworden. Aber, um die Wahrheit zu gestehen, diese und noch manche anderen lobenswerten Eigenschaften besaß sie doch nur in Reins Gegenwart, wie der Diamant nur glänzt, wenn er im Lichte ist, sobald sie ihn aus den Augen hatte, verwandelte sie sich in dieselbe, hübsch langsame und bedächtige Natale, die sie gewesen.
Freier kamen an im Hause,
Hinterm Ofen lag ich, schlief.
Mütterlein, birg meine Schande,
Dass ich Rosen jäte, sag' …
konnte sie wohl mit Recht von sich singen. Wie oft, wie oft lag sie nicht »hinterm Ofen« während Rein sie »Rosen jäten« wähnte!
Doch er kümmerte sich anfangs nicht viel darum, ob Natale Rosen jätete oder etwas anderes tat. Nur da Mutter und Tochter ihn zum beständigen Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit machten, ihm sozusagen jeden Wunsch von den Augen ablasen und bevor er ihn ausgesprochen, schon erfüllt hatten, fand er nach einiger Zeit, dass Natale trotz ihrer Narben doch ein ganz tüchtiges Mädchen sei, »branga«, wie der kaum wiederzugebende Ausdruck lautet, und dass sie auch durchaus nicht das Quantum Dummheit besitze, welches man ihr zuschrieb. Aber sich in das Mädchen zu verlieben, sie zu heiraten – das fiel ihm im Traume nicht ein!
»Warmes durch Wärmen, Gutes durch Warten«, sagte Ascha zu sich leise und zur Tochter laut, als die Angelegenheit keinen gedeihlichen Fortgang nehmen wollte, »nur nicht ungeduldig werden!« …
Und wahrhaftig, das Sprichwort bewahrheitete sich, es kam Gutes durch Warten. Durch tausenderlei Kleinigkeiten fort und fort an Natale erinnert, fing Rein an, sich allmählich mehr und mehr mit ihr in seinen Gedanken zu beschäftigen, machte sie oft zum Gegenstand seiner Scherze und sang mit ihr zweistimmig Volkslieder, denn Natale hatte eine wohlklingende Stimme. Zudem hatte er ihr bei all seiner Sparsamkeit mehrmals Bonbons, wenn er in der Kirche gewesen war, aus der Bude heimgebracht und ihr sogar am letzten Markttage einen großen Pfefferkuchen mit einem Zuckerherzen geschenkt.
Ascha Bedrit erachtete daher den Zeitpunkt für gekommen, ihren Haupttrumpf auszuspielen. Sie hatte es natürlich längst herausgewittert, wohin Reins Streben ging und bekam eines schönen Tages einen Brief. Selbstverständlich von Jeannot Mhatthiencque, denn sie stand mit sonst keinem in Korrespondenz. Der zärtliche Vater schrieb, dass er gehört habe, Natalie sei Braut, und beeile sich daher, der Mutter mitzuteilen, dass er seinerseits der Tochter ein Pferd oder achtzig Rubel, drei Kühe oder neunzig Rubel und hundert Rubel bar als Aussteuer geben wolle. Ascha solle schreiben, was Natalie lieber sei, bares Geld allein oder Pferd und Kühe?
Der liebe gute Vater! Wer ihm doch nur diese falsche Nachricht hinterbracht hatte! Natale Braut! Was sich die Leute doch nicht für allerhand Dummheiten ausdenken! Dummheiten, an denen kein wahres Wort ist! … Ascha ärgerten derlei Geschichten, und sie machte sich diesem Ärger ihrer Schwägerin gegenüber gerade in dem Momente durch Worte Luft, als sie wusste, dass Rein im Nebenzimmer sei und alles vernehme. Sie sprach in einem solchen Flüstertone, wie ihn die Schauspieler anwenden, wenn sie Gedanken ausdrücken wollen, welche dem zwei Schritte von ihm entfernten Mitspielenden unbekannt bleiben, nichtsdestoweniger auf der Galerie gehört werden sollen. Natürlich vergaß sie auch nicht des versprochenen Pferdes, der drei Kühe und der hundert Rubel zu gedenken.
Rein hörte und staunte! Eine solche Mitgift! … Und das war doch gewiss noch nicht alles, was Natale mitbekam! Von Seiten der Mutter war doch auch etwas zu erwarten! Gewiss, eine Frau, die so tüchtig in allen Stücken war, würde die Tochter nicht mit leeren Händen ziehen lassen: Darauf ließ schon der Putz schließen, den Natale besaß, und um den sie von mancher Wirtstochter beneidet wurde.
Rein überlegte – dachte hin, dachte her … Natale war nicht hübsch, er liebte sie nicht, aber er hatte sich an sie gewöhnt und mochte sie ganz gut leiden. Wenn er sie heiratete? … Dann konnte er im nächsten Jahre Wirt werden, vielleicht der Stahwmuzwirt, denn von dem jetzigen hieß es, dass er im nächsten Frühjahr nach Russland ziehen werde. Ach das Stahwmuzgesinde, das war so recht etwas für Rein … Es war nicht groß, lag da so nett auf seinem Berge, hatte einen schönen Obstgarten und ziemlich fruchtbare Felder! Wenn er das zu pachten bekäme! …
Mutter und Tochter merkten, dass in Rein etwas vorging, sie wussten auch, was ihn beschäftigte. Der Gedanke, dass jetzt die Entscheidung herannahe, brachte bei Natale ein gewisses nervöses Gefühl hervor, das der Verliebtheit ähnelte und auf sie die Wirkung hatte wie mäßig genossener Wein. Es steigerte bei ihr alle vorhandenen Fähigkeiten in erstaunlichem Maße, ihre Wangen bekamen eine lebhaftere Färbung, ihre Augen schimmerten in hoffnungsfreudigem Glanze, ihr Gang bekam eine natürliche Elastizität, so dass sie in dieser Zeit zuweilen ganz leidlich aussah. Das fand auch Rein, besonders wenn er sie aus der Ferne ansah. Die üppigen Formen des Mädchens kamen dann zur vollen Geltung, während die das Gesicht verunstaltenden Narben fast gar nicht zu bemerken waren. Rein vermied es daher auch von jetzt an, Natale in der Nähe scharf anzusehen und so die Illusion zu zerstören, welche das Mädchen, aus der Ferne betrachtet, auf ihn hervorgebracht.
Er war mit sich zu Rate gegangen und hatte beschlossen, sie zu heiraten.
Zwar beschlich ihn bei diesem Entschluss ein gewisses beklemmendes, halb schmerzliches Gefühl, aber er brachte es zur Ruhe, indem er sich sagte, dass er nicht der einzige sei, der ohne Liebe heirate, und dass die aus Liebe geschlossenen Ehen nicht immer die glücklichsten seien. Übrigens, dachte er, ein so tüchtiges Mädchen wie Natale würde er bald lieben lernen. Die Dankbarkeit, dass sie es gewesen, die ihm mitgeholfen, so bald aus der verdrückenden Lage eines Knechtes in die günstigere eines Wirten zu gelangen, sollte das Übergangslied zur Liebe werden …
Aber er zögerte trotzdem einige Zeit, den entscheidenden Schritt zu tun. Doch da nichts geschah, was ihn bewogen hätte, seinen Entschluss zu ändern, und da ihm sogar schon im Traume einige Male das Pferd, die drei Kühe und das von den Regenbogenfarben eines Hundertrubelscheines verklärte Gesicht Natales erschien – machte er der Sache ein Ende, indem er das Mädchen eines Abends in der Dämmerung fragte, ob sie seine Frau werden wolle. Was Natale auf diese Frage antwortete, brauche ich wohl nicht zu wiederholen, ebenso bedarf es nicht der Erwähnung, wie sich Ascha Bedrit der Absicht Reins, sie zur Schwiegermutter zu machen, gegenüberstellte.
Nachdem das Paar in der Kirche dreimal aufgeboten worden war, und nachdem sich niemand auf die übliche Aufforderung des Pastors gemeldet, der etwas gegen die Verbindung der »ehrbaren Jungfrau Natalie Rosalie Amalie Bedrit, Tochter der Ascha Bedrit«, mit dem »ehrbaren Jüngling Rein Pupulakst, Sohn des Juris und der Ede Pupulakst,« einzuwenden gehabt hätte, wurde diese vollzogen, und Natalie Rosalie Amalie Bedrit hieß jetzt Natalie Rosalie Amalie Pupulakst!
Die Hochzeit wurde, entgegengesetzt dem Wunsche Reins, »großartig« gefeiert, d. h. sein ganzer Jahreslohn für dieselbe verausgabt. Seine Einwendungen, dass das Geld für die Annahme einer Stelle gespart werden sollte, hatte seine Schwiegermutter dadurch zum Schweigen gebracht, dass sie erklärte, ihre Verwandten würden gewiss die Hälfte der verausgabten Summe in das Hochzeitssieb »zusammenwerfen«, wenn man ihnen nur die Köpfe kurz vor dem »Werfen« durch Grog warm macht, und die andere Hälfte würde sie aus ihren Ersparnissen ersetzen.
Die Gäste hatten, trotz der warm gemachten Köpfe, nicht mehr in das Sieb gelegt als vierzehn Rubel – einen falschen Dreirubelschein mit eingerechnet, dessen Vorhandensein entweder durch den warmen Kopf des Gebers oder durch seinen betrügerischen Sinn erklärt werden konnte. Es ist ja leider eine alte Tatsache, dass Betrug sogar auf Hochzeiten verübt wird, ich erinnere nur an die Geschichte, welche der Evangelist Johannes erzählt. –
Die ersten vier Wochen verbrachte das junge Paar ziemlich angenehm. Die Erinnerung an die fröhlich verlebte Hochzeit, der Reiz, welchen die Neuheit der Situation bot, die Hoffnung auf eine angenehme Zukunft bei ihm, die endliche Erfüllung ersehnten Wunsches bei ihr – alles das erzeugte in beider Herzen Gefühle, die nahe an Glück grenzten. Diese Gefühle hätte nun Natale dauernd zu erhalten, zu vertiefen sich bemühen sollen, und Reins Verbindung mit ihr wäre vielleicht, trotz aller nachfolgenden Enttäuschungen, keine so ganz unerträgliche geworden. Aber Natale war bar jedes wärmeren Gefühls. Die künstlich erzeugte und durch die Mutter fortwährend aufrechterhaltene Spannung ließ langsam nach, und sie wurde bald wieder ganz die Alte.
Nun da er sie genommen,
War alles wiederkommen,
Durst, Appetit und Schlaf …
Anfangs glaubte Rein, seine. Frau sei krank geworden, und machte den besorgten Gatten, was zur Folge hatte, dass sich Natale doch ein wenig schämte und sich wieder für einige Zeit zusammennahm. Dann jedoch ließ sie sich allmählich gehen, und Rein erkannte nun mit Schrecken, wie sehr er sich in dem Charakter seiner Frau getäuscht hatte …
Doch geschehene Dinge sind nicht mehr zu ändern, und so suchte sich auch Rein damit zu trösten, dass er sich sagte, eine Wirtin brauche im Grunde genommen auch gar nicht fleißig zu sein; übrigens war sie ja jetzt auch Magd, und es ist sprichwörtlich geworden, dass die faulsten Mägde die fleißigsten Wirtinnen werden! Wenn sie nur seine Hemden ein wenig sauberer wüsche! …
Um diese Zeit kündigte der Stahwmuzwirt dem Gutsherrn seinen Kontrakt, das Gesinde war frei. Rein ging und besah sich eines Sonntags nochmals die ihm bekannten Felder und machte dann die Schwiegermutter mit seinem Plane bekannt, indem er sie zugleich bat, Natales Vater zu schreiben, dass er die versprochenen hundert Rubel senden möge, er wolle sie dem Gutsherrn als Handgeld auf das Stahwmuzgesinde einzahlen. Seine Sparkassenscheine nach Riga zu senden und zu Geld zu machen, biete sich augenblicklich keine sichere Gelegenheit.
Ascha versprach es.
Es verging aber eine Woche nach der anderen und keine Antwort kam von Jeannot Mhatthiencque, dem zärtlichen Vater.
Rein fürchtete, der Brief könnte verloren gegangen sein und forderte Ascha nochmals auf, die Feder dieser Angelegenheit wegen zu ergreifen. Doch auch dieser Brief blieb unbeantwortet.
Er hieß die Schwiegermutter zum dritten Mal schreiben.
Nun antwortete endlich Jeannot Mhatthiencque, dass er das Geld nicht augenblicklich bei der Hand habe, Natale möge sich gedulden und bis zum Frühling warten.
Diese Nachricht kam Rein sehr ungelegen, er musste nun einen Sparkassenschein als Handgeld hingeben und hatte doch das Geld zu allerhand Käufen für die zu gründende Wirtschaft sehr nötig – auf Kredit durfte er nirgend rechnen.
»Aber was schreibt er denn von dem Pferde und den Kühen, wann wird man denn die abholen können?«, fragte Rein. »Ich denke, dass es eigentlich ein Unsinn ist, ein so teures Pferd zu nehmen, fürs erste haben wir ein solches gar nicht nötig, können für den Preis zwei ganz ordentliche Klepper kaufen – was schreibt er davon?«
»Er? Davon schreibt er gar nichts«, antwortete Ascha.
»Nichts?« Rein riss die Augen auf.
»Zeig' mir doch den Brief, was schreibt er denn eigentlich?« sagte er …
In den Briefen Jeannot Mhatthiencques mussten fürchterliche Geheimnisse stecken, dass die Frage nach Vorweisung eines derselben einen solchen Schreck hervorrufen konnte, wie er sich aus dem Gesichte Ascha Bedrits malte. Da sie im ersten Augenblick nicht wusste, was sie antworten sollte, machte sie, als ob sie Reins Frage nicht gehört oder nicht verstanden hätte.
»Nun, wo ist der Brief, so gib ihn mir doch!«, wiederholte der Schwiegersohn ungeduldig, »es scheint mir da nicht alles in Ordnung zu sein.«
»Ich habe ihn nicht bei mir, ich glaube Natale las ihn zuletzt«, stotterte Ascha, »was sollte da nicht in Ordnung sein.«
»Den Brief!!«, schrie Rein plötzlich auf, dass die Knechtskleete, in der sie sich befanden; erdröhnte; und eine fürchterliche Ahnung durchzuckte ihn, »Weib, du kommst nicht eher vom Fleck, als bis du ihn mir gezeigt hast!« Und zugleich packte er mit kräftiger Hand Aschas Arm.
»Herr Gott, was willst du von mir!«, rief diese entsetzt aus und suchte ihren Arm vergebens zu befreien, »du willst mich doch nicht – o Gott, o Gott – ich hab' nicht den Brief bei mir – ich – ich – hab' ihn – verloren!«
»Das lügst du!«, rief Rein fast sinnlos vor Erregung mit bebenden Lippen, »her mit dem Wisch, oder ich werde dir –«
Ascha machte eine Bewegung mit ihrem freien Arme, als ob sie ihren Hals schützen wollte und ächzte heiser vor Schreck:
»So lass mich doch los – du brichst mir ja den Arm – o weh – ich werde nach Hilfe schreien – ich – will dir ja die Wahrheit sagen ich habe nie einen Brief von Natales Vater erhalten« …
Seit dieser Aufklärung leben Rein und seine Frau, wie man zu sagen pflegt, wie Hund und Katze miteinander. Es ist ihm klar, dass er das Opfer einer von zwei elenden Frauen ersonnenen Intrige geworden ist. Der Schmerz über die für immer zerstörten schönen Lebenspläne frisst ihm wie ein Geier am Herzen und vergällt ihm jede Stunde seines Daseins. Er hasst seine Frau, er hasst seine Schwiegermutter, beide gleich unversöhnlich … Und wandelt ihn einmal eine mildere Stimmung an, so weiß er ein Mittel dagegen. Er sieht in das narbige, sonnenverbrannte, dicke und schmutzige Gesicht seiner Frau und sein Ekel gegen sie ist größer als zuvor …
Ein kleiner, in Natales schmutzige Jacken und Lappen gehüllter Wurm schreit in der Wiege an seinem Bette, aber er würdigt ihn kaum eines Blickes. Ist denn dieses krätzige, schlecht ernährte, kleine Wesen sein Kind? … Er spricht wenig, am allerwenigsten aber mit seiner Frau. Nur wenn er betrunken ist, spricht er viel mit ihr und schlägt sie, schlägt seine schlampige Frau und würgt seine kluge Schwiegermutter und fordert ihr den Brief über das Pferd, die drei Kühe und die hundert Rubel ab …
Rein trinkt … Der nüchterne, ordentliche, sparsame Rein, der da einmal gefragt hatte: Was soll mir das Trinken? … Seine Sparkassenscheine sind schon durch seine und seines Vaters Kehle geflossen, ein Teil seines Lohnes ist ihnen bereits nachgefolgt. Wozu sparen? … Was er nicht vertrinkt, lässt sie in der Juden Beutel fließen für elende Lappen, welche ihr die Mutter nicht mehr schaffen kann, weil sie nicht mehr Wirtin-Mutter oder Wirtin-Schwester ist …
An Jahrmärkten, an größeren Festtagen, an Verdingtagen haben die Krüger den verhältnismäßig größten Verdienst an den beiden Pupulaksts, Vater und Sohn. Dann liegen sie auf Bänken oder auf der platten Erde bis zur Bewusstlosigkeit betrunken da … Doch es gibt auch Augenblicke, wo Rein Einkehr in sich hält, wo er zurückdenkt. Dann entbrennt in seinem Herzen ein wildes Feuer der Reue und heiß rollt ihm über die blasse eingefallene Wange die Träne.