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Novelle, nach einer wahren Begebenheit.
Im Glanze von tausend Kerzen strahlte der Pallast des Hauses Sz–y, auch durch die finstere Nacht. Ganz Preßburg war in Bewegung, denn eine Tochter des Sz–y, die schöne Anna, war eben dem Magnaten, Grafen v. B–l–y, angetraut, und so zwei der ältesten Familien in Ungarn verbunden worden. Eine Menge Neugieriger wogte in der Straße auf und nieder, denn jeden Augenblick sollte der Zug aus der Kirche zurückkehren. Die hochlodernden Pechpfannen vor der Facade des Schlosses beleuchteten mit blutrothem Lichte weithin die Menge, den Winterabend zum düstern Novembertage erhellend, und ließen dicht an der Hauptpforte einen Knäuel von Zuschauern sichtbar werden, der aber nicht geeignet schien, die Herrlichkeit des Festes zu erhöhen.
Dicht an einander gedrängt sah man da ein Häuflein jener armen Slavaken, die mit Zwiebeln, eisernen Kästen und groben Holzwaaren in Oesterreich umherziehen, deren Lager fast immer die nackte Erde, deren Obdach der weite Himmel, deren Nahrung trocknes Brod ist, nur selten mit einem Stück Speck gewürzt; sie standen da mit nackten Füßen, halb nur gegen den Winterfrost geschützt, und starrten mit weit offnen Augen die Herrlichkeiten an, die sich hier zeigten. Mitten in der Gruppe stand ein altes schwarzbraunes Zigeunerweib, ein junges, von Frost bebendes Mägdlein an der Hand haltend, und schaute mit klugen Augen scharfblickend in das Gewirre. Jetzt kamen die Laufer mit flammenden Fackeln die Straße herauf, Alles rief: »Sie sind's, sie sind's!« – und mit gewaltigem Getöse rollte der erste Wagen an; doch langsam nur, vom Gedränge der Neugierigen zurückgehalten, vermochten die prächtig gekleideten Haiducken ihrer Herrschaft Bahn zu machen.
»Mutter, wer ist das?« flüsterte das Mädchen, und die Neugierigen in der Nähe hörten nicht ohne Interesse die Auskunft, welche die alte Zigeunerin allezeit bereit hatte.
»Der hohe schlanke Mann, der jetzt eben aus dem Wagen springt, angethan mit dem prächtigen Magnatenkleid, von der leuchtenden Spitze seiner glänzenden Sporen an bis zum demantstrahlenden Reiher auf der Zobelmütze, ist unser erster Cavalier im Lande, unser Stolz; freigebig wie ein König, reich wie Krösus, und hochherzig wie ein rechter Ungar, ist es mit Leib und Seele der prächtige Fürst Esterhazy, ein Herr, wie's wenige giebt. Und die schöne Dame, die er so zierlich heraushebt, – ach, wie blendet der strahlende Glanz ihres Schmuckes die Augen, – das ist seine liebenswerthe Gemahlin.«
Und unter freudigem Rufen der Menge ging das fürstliche Paar in's Haus.
So drängte sich nun Wagen an Wagen, es waren da Gäste aus den edlen Häusern der Zichy, der Almasi, der Zegni, der Zapari, und über alle wußte die Zigeunerin Rede und Antwort zu geben.
Jetzt kam der prächtige Wagen des getrauten Paares.
»Sie ist's, ja sie ist's,« seufzte die Alte in sich hinein.
»Wer, Mutter?« fragte das Mägdlein.
»Siehst Du die hohe Gestalt, die eben aussteigt, umhüllt von dem glänzenden National-Kleide ihres Landes?«
»Ach, wie schön!« seufzte die Kleine.
»Siehst Du das liebliche Antlitz, im frischen Jugend-Glanze blühend, das große dunkle Auge, das freudeleuchtend unter der weißen Stirn hervorsieht. Schau' Dir die Herrlichkeit nur recht an, so schön sieht man das Unglück nicht alle Tage.«
»Wie, Mutter,« fragte das Mägdlein, ohne den Blick von der herrlichen Erscheinung abwenden zu können, »das Unglück?
»Ist sie nicht jung, schön und reich, und ist der hohe Mann, der ihr eben aus dem Wagen hilft, nicht ihr Gemahl?«
»Ja, ja,« murmelte die Alte, »der schlanke Mann mit dem Flammenblick, dem kohlschwarzen Bart um Mund und Wange, mit dem lieblichen Lächeln um rothe Lippen ist der Magnat Graf v. B–l–y, ihr Gemahl, er ist jung, schön, reich, – und doch ist's dasselbe Fräulein, welches mir am Aegidi-Tage die Hand zum Wahrsagen darbot; da hatte die Natur mit allzuleserlichen Zügen eingeschrieben, daß sie –«
Ein Blick der vorüberschreitenden Braut fiel auf das Gesicht der Alten, sie verstummte, dann unwillkührlich still stehend, hemmte die Gräfin den Schritt, und ihr Auge ruhte wie festgebunden auf dem Antlitz der Zigeunerin. Einen Augenblick lang schien es, als fliege eine leichte Blässe über die edlen Züge, sie erhob den Arm, als wollte sie die Hand aus der des Grafen ziehen, welche sie hielt – doch plötzlich faßte sie fester seine Rechte, und schritt vollkommen ruhig vorüber.
»Dein Schicksal schreitet Dir nach,« murmelte die Alte, und wandte sich, um den Weg durch die fortströmende Menge zu nehmen; da lehnte dicht hinter ihr, von einem vorspringenden Pfeiler versteckt, eine dunkle Gestalt.
»Dein Schicksal schreitet Dir nach,« wiederholten seine Lippen dumpf, und rasch trat er hervor, sich unter das Volk mischend; das Licht der Pechpfannen beleuchtete sein schönes, bleiches Mannes-Antlitz, und kopfschüttelnd sah die Alte ihm nach.
»An dieser Seele reißt auch ein bitterer Schmerz,« seufzte sie in sich hinein. »Komm, Dina, komm, last uns das Voll fliehen: Glanz und Elend, Schönheit und Wahn, Liebe und Vergehen, das ist eine Mischung, woraus kein heilsamer Trank zu bereiten ist!« – und langsam zog sie die Straße hinunter.
Da erfaßte sie eine kräftige Hand bei den Schultern, und mit den Worten: »Von meiner Herrin!« reichte ihr ein reichgekleideter Diener eine volle Goldbörse dar. Sie nahm das Geschenk schweigend, sah noch einmal zu dem leuchtenden Pallaste auf, und als ihr Blick auf das junge Paar fiel, das im Vollglanze der tausend Lichter an einem hohen Erkerfenster stand, und in süßem Liebesgeflüster befangen schien, da trat eine heiße Thräne in ihr vertrocknetes Auge, schwer aufseufzend wandte sie sich, und schritt mit dem Mägdlein in die Winternacht hinaus.
Dichter und immer dichter ward der Wald, immer heftiger erhob sich der Wind, und die ohnedies finstere Nacht ward durch Wolken fallenden Schnee's, welche die Luft verdunkelten, noch unheimlicher. In diesem Unwetter flogen die Neuvermählten, tief in schützende Pelze verhüllt, dem Schlosse des Grafen zu. Doch der Weg, den sie vor sich hatten, war nicht der nächste; die Straße wurde von Minute zu Minute schlechter, und der leichte Wagen schaukelte oft so heftig hin und her, daß Anna, trotz ihrem festen Vorsatze, dem Geliebten keine Furcht zu zeigen, dennoch wiederholt laut aufschrie vor Schrecken.
Mit untergeschlagenen Armen saß der Graf, und schaute wilden Blickes in die Winternacht hinaus. »Ist's doch, als hätte die Natur heute all ihre Stürme losgelassen, um mich in meiner Hochzeitsnacht zu höhnen!« rief er ergrimmt.
»Wir hätten doch wohl besser gethan,« erhob Anna die liebliche Stimme, »die Nacht in Preßburg zu bleiben, und morgen erst zu reisen; es war schon recht schlimmes Wetter, als wir abfuhren, und die Mutter bat so sehr.«
»Eben weil sie bat,« entgegnete der Graf, »Du weißt, ich hasse sie, ich will ihr keinen Wunsch erfüllen. – Gehört die Frau nicht zu dem Manne? Die Gräfin B–l–y soll in keinem andern Hause ihr Haupt zur Ruhe legen, als in dem ihres Gatten. Wozu auch das unendlich lange Souper, es war Mitternacht, ehe wir zur Abfahrt kamen, und ich –«
Ein heftiger Stoß des Wagens unterbrach das Gespräch; der Graf ließ das Glasfenster herab, und rief dem Kutscher zu:
»Istwan, Du fährst wie ein Betrunkener; hast Dir wohl den Wein aus dem Keller der Sz–y zu wohl schmecken lassen! Hier sitzt meine junge Frau an meiner Seite, nimm Dich in Acht, und wirf nicht um, bei Gott, ich schieße Dich nieder, wenn Du uns Unglück bereitest!«
»Um Gotteswillen,« rief Anna erschrocken, »Du ängstest ja den Menschen todt mit einer so fürchterlichen Drohung!«
»Denkst Du, ich hielte sie nicht?« fragte der Graf finster. »Wer Dir ein Haar krümmt, soll sterben, und gälte es mehr als das Leben eines leibeignen Sklaven, wie dieser.«
Anna erbebte; schüchtern schlang sie die weichen Arme um seinen Hals, und lispelte bittend:
»O nicht doch, wein Geliebter – sey milder – ich beschwöre Dich!«
Einen Augenblick lang schien der Graf ergriffen von der Hingebung des süßen Geschöpfes; doch bald flogen seine Blicke wieder nach dem Kutscher hinaus, der in tödtlicher Angst seinen Weg verfolgte.
Plötzlich hielt Istwan still. »Herr,« rief er, »die Pferde wollen in dem Schneegestöber nicht mehr vorwärts.«
»So treibe sie an, Hund!« brüllte der Graf, »sollen wir hier auf der Landstraße liegen bleiben?«
»Es ist unmöglich, Herr!« entgegnete Istwan mit fester Stimme, »die Pferde können nicht vorwärts.«
»Sie sollen, sie sollen!« rief der Graf wüthend.
»Wir hätten in dieser schrecklichen Nacht nicht von Preßburg abfahren sollen,« entgegnete Istwan so ruhig, wie vorhin; »ich sagte es Euer Gnaden voraus, ich könne für nichts stehen, Sie sollten die junge Gnädige nicht aussetzen, Sie bestanden darauf, für die Folgen kann ich nicht haften.«
»Vorwärts!« donnerte der Graf, bebend vor Wuth, und seine Lippen schäumten, sein Auge rollte fürchterlich.
Anna verhüllte entsetzt das Gesicht, und pfeilschnell, von der Peitsche angetrieben, flogen die scheuen Pferde dahin.
»Siehst Du wohl, Anna!« rief er triumphirend; doch kaum war das Wort aus seinem Munde, so warf ihn ein heftiger Stoß von dem Sitze in die Höhe, und nach zwei Sekunden stürzte der Wagen krachend in den Schnee.
»Bestie!« schrie der Graf im Fallen, doch Anna's Arme hielten ihn fest umklammert, er konnte sich nicht sogleich los machen. Nach wenig Augenblicken jedoch gelang es ihm, sich nebst der Erschrockenen durch das herabgelassene Fenster heraus zu arbeiten.
Der Jäger und Kammerdiener waren unversehrt vom Bocke gekommen, und bereits beschäftigt, mit des Kutschers Hülfe den Wagen aufzuheben. Stumm legte der Graf mit Hand an; er war von ungewöhnlicher Körperstärke, und bald gelang das mühevolle Unternehmen.
Anna saß indessen, bebend vor Frost, vom Sturm umweht, auf einem Stein an der Landstraße. Der fallende Schnee hatte in wenig Minuten den dunklen Sammt ihres Pelzes in ein falbes Weißgrau verwandelt, und das Blut, welches in dichten Tropfen von ihrer bleichen Stirne träufelte, zeigte deutlich an, daß sie nicht ohne Verletzung davon gekommen; sie selbst schien es nicht in bemerken, ihre Blicke waren auf den Gatten geheftet, der mit finster zusammengezogenen Braunen, ohne Worte, das Werk vollendete. Istwan stand, als der Wagen nun aufgerichtet war, geisterbleich da.
»Ich habe es gesagt, Herr,« stammelte er endlich; »warum haben Sie mich gezwungen.«
»Ich halte Dir mein Wert!« sprach der Graf eiskalt, ging zum Wagen, und zog eine Pistole hervor.
»Nikolaus!« schrie Anna entsetzt auf, und flog an seine Brust; doch ehe sie ihn erreichen konnte, fiel der Schuß, Istwan lag blutend im Schnee, und mit dem Ausrufe: »Fürchterlicher!« sank Anna ohnmächtig an ihm nieder.
Als ihr die Besinnung wiederkehrte, lag sie im Wagen, der sich langsam fortbewegte. Der Graf lehnte in der Ecke, und schien zu schlafen, die Laternen waren ausgebrannt, und am finstern Himmel verkündete ein lichter Nebelstreif den werdenden Tag. Mit trübem Blicke sah sie hinaus, und das Bewußtseyn zog langsam, wie ein gefürchteter unheimlicher Gast, in ihre betäubte Seele ein.
»Wie sprach die Alte?« murmelte sie still vor sich hin. »Ein treues Herz wirst Du brechen, um Glanz und Tand, doch trägt's Dir purpurne Früchte. Die Brautnacht wirst Du feiern auf durchwehter Stätte, und, mit dem Blute eines Gemordeten geschmückt, steigst Du in's Brautbett. Du wirst einen Sohn gebären, der Dich mit Mord bedroht, so lange Du ihn unter Deinem Herzen trägst, und hast Du ihn geboren, so hast Du fortzeugenden Mord gezeugt. – Wehe, wehe mir!« rief Anna, in Thränen ausbrechend, »die Brautnacht hab' ich gefeiert auf durchwehter Stätte, und geschmückt mit dem Blute eines Gemordeten besteige ich das hochzeitliche Bett!«
»Hast Du nicht auch den ersten Spruch der Alten erfüllt!?« fragte jetzt eisigkalt der Graf. Anna zuckte zusammen, preßte die bebende Hand auf das von einem tiefen Weh zerrissene Herz, und sank lautlos in den Wagen zurück.
*
Es war ein Jahr vergangen seit jener verhängnißvollen Hochzeitfeier, und stumm schritt die junge Gräfin B–l–y durch die hohen Gemächer ihres einsamen Schlosses. Wer sie dahin schweben sah, lautlos, eine brennende Wachskerze in der Rechten, ein Gebund Schlüssel in der Linken – einen wallenden Schleier auf dem gebeugten Haupte tragend, die Augen starr vor sich hin gerichtet, die Wangen mit leichter Blässe bedeckt, der hätte sie wohl eher für ein nächtlich wanderndes Schattenbild, als für die einst so glänzende Anna erkannt. – Endlich lag die lange Reihe von öden Gemächern hinter ihr, sie öffnete eine Tapetenthür, und trat ein in ein dunkles Kämmerchen, dessen Thür knarrend hinter ihr zufiel.
Es war die Betstube in der Hauskapelle, die sie umfing, und dunkel, in geheimnißvollem Schweigen lag die Kirche unter ihr. Die ewige Lampe vor dem Gnadenbilde beleuchtete mit seltsamer Verzerrung die Züge der heiligen Gottesmutter, und schwer aufseufzend sank die Gräfin auf den Betstuhl hin, ihr gequältes Herz zu entladen.
»Auch Du, heilige Gottesjungfrau, hast nur zürnendes Dräuen für mich,« rief sie jammernd, und die Töne zogen sich hundertfach brechend an dem hohen Gewölbe hin – »auch Deine milden Züge lächeln mir nicht mehr! – Hab' ich denn so schlimm gethan, daß ich ihn ließ, der mir einst so lieb war, um der Mutter Willen zu erfüllen? Ach warum häufest Du denn jetzt alles Leid der Erde auf mein schwaches Haupt?«
Nach einem dumpfen, minutenlangen Schweigen flüsterte sie schaudernd in sich hinein:
»Nicht der Mutter Wort, dem bösen Gelüste meines eignen Herzens gehorchte ich, da ich dem reichen glänzenden Magnaten das treuste Herz hinopferte.«
Ihr Haupt sank auf den Betstuhl, und glühende Thränen befeuchteten die dunklen Wimpern; sie hatte lange nicht mehr geweint, ihre Seele schwelgte in der oft ersehnten Lust, das bange Herz in Thränen zu entladen. Jetzt durfte sie's, kein finsterer Blick des tyrannischen Gatten, kein lauerndes Auge feiler Diener bewachte ihren Schmerz, sie konnte es laut hinausrufen in das schweigende Gotteshaus, daß sie die Unglücklichste der Frauen sey.
Wenig Wochen waren hinreichend gewesen, die Aermste zu überzeugen, daß nur rohe Sinnlichkeit und das Verlangen, das große Vermögen ihrer Familie mit dem seinen zu vereinen, den Grafen bewogen hatten, ihre Hand sich zu erschmeicheln. – Die glatte, reizende Außenseite des feinen Weltmannes barg nur der Gesellschaft den wilden blutdürstigen Sinn des despotischen Magnaten; seine Unterthanen haßten ihn, seine nächste Umgebung gehorchte ihm mit Zittern, und seine Gattin erfüllten seine Blicke mit heimlichem Grausen. – Täglich war sie Zeugin von Auftritten, deren Unmenschlichkeit ihr sanftes Gemüth empörten, und an die Stelle der Neigung für den Bräutigam trat bald in ihre Seele der tiefste Abscheu vor dem Gemahl. Seit wenig Monden hegte sie die Hoffnung, Mutter zu werden, und die Sorge für das zarte Leben, das sie unter ihrem Herzen trug, vermochte sie, ihrer Mutter die ganze Größe ihres Elendes schriftlich zu enthüllen, und sie zu bitten, Alles zu versuchen, um den Grafen zu der Erlaubniß zu vermögen, die Zeit bis zu ihrer Entbindung in Preßburg zubringen zu dürfen. Vergebens harrte sie seit einer Woche der Antwort entgegen; auch dieser Tag war verstrichen, ohne die so sehnlich gewünschte Nachricht zu bringen.
Noch lag Anna betend auf ihren Knieen, ihr Schmerz wich dem glühenden Andachtsgefühl, das sie ergriffen hatte, ihre Seele erhob sich bei dem Blicke auf Jenseits – ihr ganzes Wesen war durchbebt von der heiligen Nähe des unsichtbaren Trösters – da traf die Stimme ihres Gatten ihr Ohr; sie fuhr erschrocken auf, denn sie glaubte ihn ferne, und B–l–y stand hinter ihr.
»Es steht Dir an, zu beten,« sprach er kalt, sie mit finstern Blicken messend; »Du verklagst mich wohl eben vor dem ewigen Richterstuhle, wie Du mich bei der Mutter verklagtest – folge mir, mir ist nicht wohl in der dumpfigen Luft hier, es graußt mich an wie Pfaffenwesen, – ich hasse dergleichen Spiegelfechterei.«
Er schritt zurück nach dem anstoßenden Gemache, Anna erhob sich mit Anstrengung, und folgte ihm.
»Ich weiß, was Du willst, Anna,« begann der Graf ruhig, mit untergeschlagenen Armen auf- und niederschreitend, »Du hast keinen andern Gedanken, als Trennung von mir, Du denkst an Flucht, wenn ich Dich nicht gutwillig ziehen lasse – denn das prächtige Wien ist Dir mehr, als die stolze Burg meiner Ahnen, und ein junger Bettler hätte vielleicht jetzt anziehendere Kraft für Dich, als der ersten Magnaten Ungarns Einer.«
Anna sah mit einem langen Blickt zu ihm auf, dann gleitete ihr Auge an ihm herunter, sich mit den dichten Wimpern umschleiernd, er sollte die tiefe Verachtung nicht sehen, die sich nur zu deutlich in ihrem Blicke malte.
Er schien Antwort zu erwarten, doch da sie schwieg, fuhr er fort:
»So wisse denn, ich bin nicht gesonnen, mir den Preis entreißen zu lassen, den ich nicht ohne Opfer errang, Dich selbst und Dein Vermögen. Ich werde Dich in milder Haft halten, bis zu dem Tage, da Du deiner Last entledigt werden wirst; gebierst Du mir einen Sohn, dann Anna,« seine Augen funkelten, seine Brust hob sich, eine ungewöhnliche Röthe färbte sein männlich schönes Gesicht – »dann sollst Du Paradiesestage an meiner Seite leben, und nimmer sollst Du Dich von mir hinwegsehnen; ist's aber ein weibliches Leben, das Du jetzt nährst mit Deinem Herzensblut« – seine Stirne verdunkelte sich, er sah einen Augenblick schweigend vor sich nieder – »dann magst Du eingehen zu der höchsten Freiheit, wie sie jedes Christen Seele wünscht – ich halt Dich fürder nicht!«
»Großer Gott,« – rief Anna, aus dem Erstarren des Schmerzes erwachend – »Du willst wich einkerkern, um mich, wenn ich Dir keinen Sohn gebäre, einzusenden zu der Freiheit, die jedes Christen Herz begehrt – Du willst mich morden?«
»Was fällt Dir ein, Anna« – sprach der Graf, ihre Hände, mit denen sie ihn krampfhaft umfaßt hielt, von sich losmachend – »wie deutest Du meine Worte so seltsam!« –
»O hier ist nichts mehr zu deuten, Grausamer – ich habe Dich nur allzuwohl gefaßt! – Welche Saat der Hölle gäbe es auch, die in Deinem Gemüth nicht Wurzel schlüge!«
»Du kennst mich trefflich,« lächelte der Graf – »darum weine nicht, sey Deines Gatten würdig. Mir ist geweissagt worden, daß mein erster Sohn im Purpur enden werde, die erste Tochter aber fallen würde in Schmach. – So will ich mindestens mit Sicherheit mich meines ersten Kindes erfreuen. – Gieb Dich in Dein Schicksal, ertrage das Unabänderliche mit Muth, es ist der einzige Weg, um meine Achtung, meine Liebe wieder zu gewinnen.«
Ruhig schritt er hinaus; Anna starrte ihm nach, ein bleiches Bild des Schreckens. Das Klirren der Schlüssel gab ihr die Bewegung wieder – sie eilte durch ihre Gemächer – die Saalthüre war verschlossen; sie rief, man antwortete nicht, mit jedem Augenblick ward ihr das Verbrechen deutlicher, das man an ihr verüben wolle. Verzweifelnd, in Jammer vergehend flog sie zurück in die Kirche, warf sich auf die Knie, und rief mit lauter Stimme: »Ich bin dem Tode geweiht, dem blutigen Mord verfällt mein junges Leben. Heilige Jungfrau! hast Du mich denn ganz verlassen?«
»Gott läßt die Seinen nicht verderben!« tönte eine sanfte Stimme aus der Tiefe der Kapelle. Anna erhob schaudernd das gebeugte Haupt. Unter der ewigen Lampe am Hochaltar stand hochaufgerichtet eine männliche Gestalt im langen Ordenskleide; das bleiche Antlitz nach ihr hingewendet, die dunkel glühenden Augen fest auf die Ihren heftend, tönte es noch einmal von seinen Lippen: »Verzweifle nicht, Anna, es giebt einen Gott der Liebe, der Vergebung.«
Mehr und mehr traten die vom Licht der Lampe verklärten Züge hervor, bebend, wie eine Verbrecherin, starrte Anna in das wohlbekannte Antlitz, endlich drängte sich ein lauter Schrei aus der gepreßten Brust hervor, und mit dem Ausruf: »Wladislaus!« sank sie besinnungslos auf den Marmorboden des Betgemachs hin.
*
Zwölf lange Jahre, Jahre des Jammers, des tiefsten häuslichen Elends, waren seit jenem verhängnißvollen Abend verstrichen.
Am hohen Erkerfenster saß die unglückliche Herrin von B–l–y, und starrte hinaus in die werdende Nacht. Oede und leer, wie damals, lag das weite Schloß, denn wen nicht schwere Pflichten festhielten, der floh die Nähe des finstern, tyrannischen Magnaten. Die treue Gattin nur trug ohne Klage ihr eisernes Joch. Sie hatte ihm zwei Söhne geboren, die zum festen Band geworden waren, sie an B–l–y's Schritte zu fesseln. Casimir, der älteste, ein schöner, hoffnungsvoller Knabe, trug nur allzuviel Aehnlichkeit mit des Vaters Sinn in der Brust. Trotzig und verwegen, starrsinnig und tollkühn, hing er an dem Grafen mit leidenschaftlicher Hingebung, indeß der jüngere Sohn, Peter, sanften Gemüthes und weichen Herzens, die Mutter mit schwärmerischer Liebe umfaßte. – Oft fand sie Trost in dem süßen Anschmiegen des milden Kindes – aber sie liebte beide Knaben mit gleich starker Liebe, ihr verwais'tes Herz lag ja an diesem einzigen Anker fest, und so sah sie nur mit Entsetzen den theuern Aeltesten die Fußstapfen des Vaters betreten. Vergebens mühte sie sich, seiner Seele eine mildere Richtung zu geben, der Knabe liebte sie, und hörte aufmerksam und willig ihre Lehren, doch eine Stunde an des Vaters Seite zerstörte das mühevolle tagelange Werk der frommen Mutter. Jagd und Spiel, Fechten und Schmausen – ein Roß bändigen oder einen Leibeigenen züchtigen, dies waren die Künste, in welchen der Vater ihn mit dem glänzendsten Erfolg unterrichtete. – Das wüste Leben auf B–l–y war heute verstummt, der Domdechant von Gran hatte den jüngsten Grafen auf acht Tage mit nach seinem Kloster genommen, und der Graf war schon am frühen Morgen mit Casimir zur Jagd ausgezogen.
Mit trüben Blicken schaute Anna in die neblichte Ferne, mit klopfendem Herzen, von einer seltsam ängstigenden Bewegung ergriffen, harrte sie der Ihren, und die nächtlich dunklen Wolken schienen ihr mehr und mehr sich zum finstern Bild ihrer Zukunft zu gestalten.
Da ward es plötzlich im Schloßhof laut, Leute eilten hin und her, Fackeln flammten blendend im innern Raum, und nach wenig Augenblicken gewahrte die Gräfin eine wohlverhüllte Bahre, welche, von mehreren Dienern des Hauses getragen, geheimnißvoll durch die Nacht hinschwebte.
Halb todt vor Schreck riß die Geängstete das Fenster auf, und alle Kräfte zusammenraffend, rief sie athemlos:
»Was ist geschehen?«
Die Leute standen still, sahen schweigend zu ihr auf, setzten dann die Bahre nieder, und zogen das Tuch hinweg.
Ha lag Friedrich, ein junger wackerer Jäger des Grafen, mit gräßlich verzerrten Zügen – sein Gehirn war zerschmettert.
Entsetzt fuhr die Gräfin zurück. »Wer – wer hat das gethan?« – rief sie außer sich.
Mit seltsamer Stimme antwortete einer der Männer:
»Der Zufall, Ihro Gnaden; dem jungen Herrn ging unbedacht der Stutzen los; so habe sich das Unglück begeben, meinten Sr. Gnaden der Herr Graf.«
Anna trat vom Fenster und sank vernichtet auf den Stuhl zurück. –
»Was ist das wieder – guter Gott – was ist das?« – jammerte sie, die Hände faltend, und große Thränen rollten über ihre Wangen.
Da flog die Thür auf, und Casimir, mit hochglühenden Wangen und unstätem Blick, stürzte herein. Hut und Jagdtasche von sich schleudernd, eilte er auf die Mutter zu.
»Wie kömmst Du mir heim, Casimir?« fragte die Gräfin ernst. »Was hat es gegeben? Das Haar flattert wild um Deine Stirn, Dein Kleid ist mit Staub bedeckt, Dein Gesicht glüht, kannst Du so vor Deine Mutter treten?« Casimir senkte den Blick beschämt zur Erde. »Sprich« – fuhr Anna fort – »was ist mit dem unglücklichen Jäger geschehen?«
Casimir sah sie eine Weile zweifelhaft an, er schien mit sich selbst zu kämpfen, dann sagte er rasch und entschlossen:
»Nein, Mutter, die Lüge ist nicht für Dich, der Vater kann sein Verbot nicht bis auf Dich ausdehnen, so höre denn. – Wir waren draußen im Moor und jagten Wildenten, der Vater schoß, und zwei fielen getroffen in den Sumpf. Die Hunde wollten nicht hinein, da befahl der Vater einem Bauern, er solle die Enten aus dem Sumpf holen. Der Bauer wollte nicht – Du kennst des Vaters Wuth bei dem leisesten Widerspruch, er schlug auf den Bauern an, und rief ihm zu, die Enten herbei zu schaffen, wo nicht, an sein letztes Gebet zu denken. Der Bauer floh der Vater schlug an, das Gewehr versagt, er ruft schäumend vor Wuth dem Friedrich zu: Schieß, Schurke, schieß mir den Hund nieder! – Da sagte Friedrich: Herr, ich bin in Ihren Diensten, den Jäger zu machen, nicht den Scharfrichter. Bebend vor Wuth schlägt der Vater auf den Frechen an, das Gewehr versagt wieder, da befahl er mir, ich solle augenblicks den Bösewicht niederschießen.«
Casimir hielt zögernd ein; mit Todesblässe bedeckt starrte Anna in sein blühendes Antlitz.
»Run, nun!« – stammelte sie erwartend.
»Nun – der Vater befahl's – ich that's!«
»Entsetzlich!« – schrie Anna auf, und der gellende Ton ihrer Stimme drang schrillend durch das hohe Gemach, so daß Casimir erschrocken zurücktrat – »entsetzlich« – wiederholte sie, und ihre Gestalt richtete sich hoch auf, ihr Auge starrte gespenstisch in seines, ihre Arme erhoben sich krampfhaft. »So bist Du denn im unschuldsvollen Knabenalter zum blutigen Mörder geworden, so hat er Dich denn belastet mit dem grausen Fluch seines schmachbeladenen Lebens! Mein Sohn ein Mörder! o ewige Gerechtigkeit, warum hast Du mich aufgespart für diesen Tag!«
Der erschrockene Knabe wollte sie umfassen, doch schaudernd stieß sie ihn von sich.
»Hinweg von mir, Fluchbeladener!« – stöhnte sie zusammensinkend – »weh, daß ich Dich gebar! – Fluch ihm, der Dich –»
Verstummend sank sie zurück, ihre Zunge versagte den Dienst, Leichenblässe deckte das verzerrte Antlitz, nur das starre Auge hing wie festgebannt an den Zügen des jungen Verbrechers; dieser, von wildem panischen Schreck ergriffen, wandte sich zur Flucht, und sank, von Fieberschauer durchbebt, auf sein Lager.
*
Auf der Hochschule zu Pesth gab es keinen schönern Cavalier, keinen bessern Reiter, keinen kühnern Fechter, als den Grafen Casimir B–l–y. Kaum erst hatte er seine Studien begonnen, und schon zählte er eine Menge von jungen Freunden, und mancher Blick aus schönen Augen weilte allzulang auf dem blühenden Gesicht des ungewöhnlich herrlichen Mannes. Ungeschwächte Körperkraft sprach aus seinem edlen Gliederbau, und sein leuchtendes, tiefblaues Auge schien eine starke Seele zu verkünden. Das braune Haar schwebte in leichten Locken um die hohe geistreiche Stirn, und anmuthig gekräuselt zog sich der dunkle Bart um die feinen Lippen, die Pracht der blendend weißen Zähne noch zu erhöhen. Wer den schlanken hochgewachsenen Jüngling sah, dessen Blick verweilte gern bei ihm, denn er gehörte unter die frischesten Blüthen des ungarischen Adels. Wer seinem frohen, lebensmuthigen Blick begegnete, den hätte wohl kaum die Ahnung beschlichen, daß dieses junge, frische Leben schon befleckt sey mit blutigem Mord, und den Keim zu noch finstern Thaten in sich trage.
Casimir war lange Zeit der fleißigste Student gewesen. Jahr für Jahr brachte er die ehrenvollsten Zeugnisse nach B–l–y, und seine Besuche wurden seltene Sonnenblicke in dem Leben der freudedarbenden Mutter. Doch auch diese Sonnenblicke sollten schwinden.
In schöner, reiner Seelenliebe hing der Jüngling an Adelinen, Gräfin von O–y, und zufrieden mit der leisen Hoffnung, die ihm aus dem milden Blicke ihres liebenden Auges sprach, hatte er, mit der Bescheidenheit wahrer Liebe, noch keinen annähernden Schritt gewagt; doch fest entschlossen, sie einst zur Lebensgefährtin zu erwählen, sprachen seine Feuerblicke unverholen seine Gefühle gegen sie aus. Adeline schien ihn zu verstehen, und die Art, mit welcher sie ihn vor allen Andern auszeichnete, gab das lebhafteste Zeugniß ihrer Liebe, und in stiller Seligkeit fanden sich Blick und Herz, so oft Casimir von seiner Reise nach Pesth heimkehrte.
Es war im Herbst des Jahres 18–, als Casimir, seit wenig Tagen erst zurückgekommen, von einem Spazierritte heimkehrend, von Ofen nach Pesth hinüber ritt. Wer die prächtige Magyaren-Stadt kennt, dem ist gewiß die Brücke unvergeßlich, welche von dem rings die Gegend beherrschenden Ofen nach Pesth hinüber führt. Majestätisch zieht die herrliche Donau in einer bedeutenden Breite zwischen den beiden Städten hin, dem Meere zu, und duldet ruhig, wie der mächtige Riese das spielende Kind, die schwankende Brücke auf ihrem breiten Rücken. Stolz, wie im ernsten Gefühle geschichtlicher Bedeutsamkeit, schaut das alte Ofen auf die neue Stadt zu seinen Füßen, und diese dehnt sich in gemächlichem Reichthum und jugendlicher Pracht, mächtig wachsend, an dem blühenden Gestade des Flusses aus; denn seine frischen Wellen beleben ja beide Ufer mit gleicher fruchtbringenden Liebe.
Diese Brücke nun ist an heitern Abenden der Sammelplatz der schönen Welt, und in jugendlichem Uebermuthe spornte auch heute Casimir sein schlankes Roß, daß es, mit stärkern Hufschlägen die Balken betretend, Aller Augen nach ihm hinzaubere. Viele der lustwandelnden Damen rechts und links wandten die lockigen Häupter, nur eine hohe Gestalt, mit dem feinsten Anstande und von den schönsten Formen, ging mit einer Begleiterin auf dem Fußpfade rechts, und schien den muthigen Reiter nicht zu bemerken. Zornig drückte Casimir dem Pferde den Sporn in die Seite, es stieg hoch auf, und flog dann in gewaltigen Sätzen vorwärts. Ein Schrei ertönt, Casimir hält das Pferd an, wendet sich, und ein Paar dunkel glühende Feueraugen treffen die seinen; ein wunderschönes, ihm ganz fremdes Gesicht schaut mit dem vollen Ausdrucke des Schreckens nach ihm hin.
Dieser Augenblick hatte sein Schicksal entschieden. Die Fremde, eine junge Italienerin, welche erst seit einiger Zeit in Pesth lebte, hatte bald den Ruf einer ungewöhnlichen Schönheit; es hieß, sie wäre mit einem reichen Grafen aus ihrem Vaterlande entflohen, und hier von ihm verlassen worden. Ihr sichtbarer Kummer und ihre dürftige Lage schienen die Wahrheit des Gerüchtes zu bestätigen, und bald versuchten mehrere junge Cavaliere bei der Verlassenen ihr Glück. Doch Bettina war zwar eine Verführte, aber noch keine Verworfene, und nicht ohne eine heilsame Lehre zog mancher allzu kühne Bewerber ab.
Da sah sie Casimir. Dem schönen kräftigen Manne gelang es, zu erringen, was Reichere, als er, vergebens erstrebten, die glühende Liebe des schönen Geschöpfes. Zum erstenmal fand er seine Leidenschaft mit schrankenloser Hingebung erwiedert, und das Gift gewaltig erweckter Sinnlichkeit zog vernichtend ein in seine Brust. Bettina war jung und leichtsinnig. Casimir hing mit unbegränzter Neigung an ihr, und keiner ihrer Wünsche, war er auch noch so schwierig, blieb unerfüllt. Die Geliebte eines B–l–y sollte alle andern Weiber überstrahlen an Glanz und Schönheit, und Summen über Summen flogen dahin, dies zu erreichen. Beladen mit einer Schuldenlast von 30,000 Gulden kehrte Casimir in der Ferienzeit zum Vaterhause heim; der alte Graf wüthete, aber die Ehre seines Stammes war ihm heilig. Nach einem fürchterlichen Auftritte zwischen Vater und Sohn versprach er, die Summe zu bezahlen, wenn Casimir die Italienerin lasse.
»Das kann ich nicht, Vater!« sprach Casimir fest, »das einzige Versprechen, welches Sie in dieser Beziehung von mir zu hoffen haben, ist: Bettina nie zu heirathen.«
Dieses Wort brachte den Grafen fast zum Wahnsinn. Er zog die Summe aus einem verborgenen Fach seines Arheitstisches hervor, warf sie dem Sohne vor die Füße, und rief: »Hier, Elender, nimm, bezahle Deine Schulden, und räume mein Schloß; aber, bei meinen Ahnen schwöre ich Dir's, Bube, läßt Du die Dirne nicht, und trittst Du noch einmal vor mich hin mit einer Forderung, wie die heutige, so schieße ich mit eigner Hand Dich nieder wie einen tollen Hund!«
Eine glühende Röthe trat auf Casimir's Stirn, der Geist seines Vaters, lange in ihm unterdrückt, kam über ihn, seine Fäuste ballten sich, seine Lippen bebten; schweigend standen sich Vater und Sohn gegenüber, ergrimmten Tigern gleich, nur ihre rollenden Augen sprachen und verstanden sich. Endlich siegte Casimir's Schutzengel, er nahm die Banknoten auf, verbeugte sich dankend, und verließ ohne Abschied das Schloß.
*
Im Geleitet jugendlichen Leichtsinns und in Bettina's Armen vergaß Casimir bald die entehrende Scene im väterlichen Hause, und die Vorsätze, welche er während der Rückreise gefaßt. Bettina, an Luxus einmal gewöhnt, und in der festen Voraussetzung, ihr Geliebter sey reich, trieb ihr gewohntes Leben fort, und B–l–y schwieg theils aus Liebe, theils aus falscher Schaam so lange, bis die anschwellende Fluth neuer Schulden ihn fast zu ersticken drohte. Gequält von seinen Gläubigern, in der peinlichsten Geldverlegenheit, beschloß er sich an einen der reichsten Magnaten Ungarns, einen alten Freund seines Vaters zu wenden, und ihn um Rath oder That anzuflehen.
In dieser Absicht ging er nach dem O–y'schen Hause. Vor der Thür stand ein hochbepackter Reisewagen; er erschrack, denn er fürchtete, es möchte der Graf selbst seyn, der, wie er wußte, im Begriff war, nach seinen Gütern zu gehen. Rasch eilte er in's Haus; einige Damen kamen eben die Treppe herab, in ihrer Mitte ging eine hohe verschleierte Gestalt, mehr von ihren Begleiterinnen getragen, als sich selbst fortbewegend. Casimir trat höflich zur Seite, um die Damen nicht aufzuhalten, da rief die Verschleierte plötzlich mit leiser, bebender Stimme: »Casimir!« und stand still, unvermögend weiter zu schreiten.
Wie aus weiter Ferne drang der wohlbekannte Ton in Casimirs Seele. Adeline hatte er im Taumel seiner Leidenschaft ganz vergessen, das reine Bild hatte sich, von wilden Begierden verdrängt, in den Hintergrund feiner Seele gerettet; in diesem Hause wohnte sie, der Anblick ihrer Gestalt, ihr Ton rief die alte Zeit herauf, überrascht von feinen Gefühlen trat er auf sie zu, und rief schmerzlich: »Adeline!«
Da hob sie den Schleier, und aus bleichen, verfallenen Zügen schauten ihn die lieben Augen mit mildem Vorwurf an, und die stummen Lippen schienen zu sagen; »sieh – das thatest Du an mir!«
»Mein Gott!« – sprach Casimir, erschrocken ihre Hand ergreifend – »Sie sind wohl krank, Gräfin?«
»Ich war krank« – entgegnete mit sanfter Ruhe Adeline und ihr Auge senkte sich, und eine kaum merkliche Röthe schwebte flüchtig über die lilienweiße Wange – »schwer krank!« Doch den Blick erhebend fuhr sie mit fester Stimme fort: »Ich bin genesen.« – Einige Sekunden sah sie schweigend zu ihm auf: »Casimir, o daß Sie dasselbe von sich sagen könnten!« flüsterte sie jetzt, seine Hand leise drückend; große Thränen verdunkelten ihr Auge, noch einen Blick warf sie auf ihn, einen Blick voll Liebe und Schmerz, dann wandte sie sich überwältigt von ihm, und schwankte die Treppe hinab. Längst war der Wagen mit ihr hinweggerollt; Casimir stand noch immer und schaute sinnend vor sich nieder. Ihm war wie dem Nachtwandler, der, in steiler Höhe schwebend, plötzlich den eignen Namen rufen hört, und fest hatte er mit der Rechten das Treppengeländer erfaßt, um nicht nieder zu sinken.
Da erklang eine seltsam kreischende Stimme in seiner Nähe, und die Worte: »Magst wohl trauern um die, armer Junge!« – weckten ihn aus der Betäubung. Vor ihm stand ein Zigeunerweib mit eisgrauen Locken und vom Alter gebückt, doch die klugen schwarzen Augen schauten noch frisch und lebendig, und mit heimlichem Grauen starrte sie Casimir an, als sie den Finger erhob – und nach dem offenen Hausthor deutend, also sprach:
»Ja, ja, mein Junge, um die magst Du trauern, um die wirst Du noch trauern mit blut'gen Thränen. Schau der Spur nach – das war Dein guter Engel, der von Dir schied!«
Casimir wandte sich stumm von der Alten, und flog die Treppe hinab.
»Halt, Casimir B–l–y, halt, um Deiner Mutter willen, höre mich! – fliehe das Haus Deiner Väter! Es ist Dir besser, auf fremder Erde Hungers zu sterben, als zu schwelgen in dem Schlosse Deiner Ahnen!«
»Alte Hexe – laß mich!« – rief Casimir, und stürzte fort, die Straße hinab.
Die Alte aber setzte sich matt auf die breite Marmortreppe, und rief jammernd: »Er ist taub und blind, Gottes Hand ruht schwer auf ihm.«
Casimir's Entschluß war gefaßt. Sein ganzes Wesen war auf das Tiefste erschüttert; er wollte die Vermittlung eines Dritten nicht mehr suchen, sondern selbst den schweren Gang zu seinem Vater wagen. Rasch ließ er sich ein Pferd satteln – ohne von Bettina Abschied zu nehmen, flog er pfeilschnell durch die Straßen der Stadt.
Als er zur Brücke kam, wollte das sonst so lenksame Roß nicht vorwärts, vergebens gab er im die Sporen, es bäumte sich hoch auf, aber es war nicht von der Stelle zu bringen.
»Dein Pferd wittert Blut,« kreischte es in seiner Nähe, »kehre um von diesem Gange!«
Casimir blickte zur Seite, die Zigeunerin von vorhin stand wieder da.
»Satansspuk, trittst Du mir überall in den Weg!« rief Casimir ergrimmt, »hebe Dich von hinnen, sag' ich, oder ich lasse Dich fortpeitschen.«
Die Alte wankte zur Seite, Casimir stieß dem edlen Thier beide Sporen in die Weiche, und nun flog es dahin mit Windeseile. –
Es war Nacht, als Casimir zu B–l–y ankam. Er fühlte, was er wage, aber er wußte auch, daß er der einzige Mensch auf Erden sey, den sein Vater liebe. Im Schlosse war Alles still, nicht ohne Herzklopfen fragte er nach dem Grafen.
»Er sitzt oben in seinem Kabinet ganz allein,« sagte ihm ein alter Diener des Hauses, sein halbtodtes Pferd nach dem Stalle ziehend.
Casimir stieg die Wendeltreppe hinan, und die Erinnerung an die Stimmung, mit welcher er diese Stufen zum letzten Mal betreten hatte, war nicht geeignet, seinen Muth zu erhöhen. Vor der Thür des Kabinets stand er still, seine Hand zitterte, sein Herz schlug krampfhaft. »Giebt's einen andern Weg für mich zur Rettung, als durch diese Thür!« fragte er sich halblaut; »nein!« antworteten ihm Herz und Geist; mit einem raschen Griff öffnete er, und trat ein. – In finsteres Schweigen versunken saß der Magnat, und hob kaum den Kopf, um im Spiegel, der vor ihm hing, zu sehen, wer gekommen. Die Augen des Vaters begegneten denen des Sohnes, und ohne sich zu wenden, schrieb er gelassen einige Zeilen.
»Mein Vater!« stammelte Casimir nach einer Weile.
»Nenne mich nicht so, Schurke!« donnerte der Graf – »was willst Du hier auf B–l–y?«
Casimir zuckte zusammen, doch bald wider gefaßt fuhr er fort:
»Ich habe neue Schulden – ich bekenne es, daß ich sehr strafbar bin. Es giebt nur eine Rettung für mich, nur einen Weg, die Ehre Ihres Namens zu erhalten. Geben Sie mir ein Kapital von 50,000 Fl., ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich damit meine Gläubiger befriedigen, und mit dem, was mir bleibt, Ungarn auf zwei Jahre verlassen werde; nur Trennung kann mich von einer Leidenschaft heilen, die im Begriff ist, meine Ruhe für immer zu vernichten.«
»Elender Bube,« schrie der Graf, bebend vor Wuth, »Du wagst es noch einmal, vor wir zu erscheinen, Du wagst es, mir Deine elenden Mährchen vorzusagen? Du bist ein erbärmlicher Schurke, unwürdig des Namens Deiner Ahnen! Denkst Du, ich werde rasend genug seyn, mein Vermögen von Dir und Deinen Dirnen vergeuden zu lassen? – Von mir erhältst Du nichts mehr in diesem Leben, als die Kugel, welche ich Dir versprach, wir einem tollen Hund; ich will Dir den Weg zur Rettung zeigen, der für einen Verworfenen Deiner Art der einzige rechte ist. Hole mir die Pistole drinnen von der Wand!« herrschte er ihm an.
Casimir stand bleich, wie ein Todter, dem Wüthenden gegenüber, er schien gelähmt, seinem Körper mangelte die Zähigkeit, sich zu bewegen, seiner Brust Athem, nur das Herz schlug krampfhaft, in furchtbarer, unterdrückter Wuth. Einen Augenblick schwieg der Graf, dann rief er noch einmal: »Schaffe mir die Pistole zur Stelle!«
Jetzt flammte es fürchterlich über Casimir's Stirn, dunkle Gluth ergoß sich über sein Antlitz, es kam Leben, Bewegung in seinen erstarrten Körper, und in wenig Sekunden kehrte er aus dem Seitengemach zurück, mit der Linken die Pistole dem Vater darreichend, indem seine Rechte auf dem Rücken ruhte. Seine Glieder bebten, sein ganzes Wesen war in der höchsten Spannung, und kam vermochte er die Worte zu stammeln: »Vater, wollen Sie wirklich?«
Mit einem Mordblick trat der Magnat einige Schritte zurück, und rief: »Ich will, Du Hund, ich will, Du sollst nicht länger leben!« und zog den Hahn auf.
Da verzerrten sich Casimir's Züge zur gräßlichen Larve – er zog die auf dem Rücken ruhende Rechte hervor, in welcher er eine zweite Pistole verborgen hielt, und schrie in wüthendem Zorn: »So fahre denn selbst zur Hölle!« und der Schuß donnerte durch das Schloß. Mit zerschmettertem Haupte stürzte der Graf rücklings zur Erde. – Zur Bildsäule erstarrt, ohne Laut und Bewegung stand Casimir, und sah den Todeskampf des Verscheidenden, da sprang die Thür. auf, die Herrin von B–l–y trat über die Schwelle, und ein Blick zeigte ihr das schaudervolle Verbrechen, welches hier verübt worden.
»Vatermörder!« schrie sie zusammenbrechend, und gräßlich klang das Wort durch die Seele des Verbrechers.
*
Prächtig geschmückt, wie es einem Magnaten aus dem Hause der B–l–y zukam, lag die Leiche auf dem Paradebett; schweigend und theilnahmlos umstanden sie die Diener des Hauses, und warfen nur selten einen Blick voll geheimen Grauens auf das, noch im Tode gefürchtete Antlitz des harten Gebieters. Keiner fragte den Andern: »Wie ist das geschehen?« – Jeder hatte den Schuß gehört, jeder von ihnen sah den jungen Grafen, gleich dem Herrn, auf B–l–y walten, und Keinem fiel es ein, sein Recht auf das Erbe seiner Väter ihm auch nur in Gedanken streitig zu machen.
»Ist er der Mörder seines Vaters,« meinte der alte Castellan, »so mag er es mit Gott und sich selbst ausmachen, wir haben nichts zu thun, als schweigend unserm Herrn zu gehorchen.«
Weit öffneten sich jetzt die Flügelthüren, in dichte Trauerschleier gehüllt trat die Gräfin von B–l–y in den Saal, und schritt mit festem Gange zu der Leiche ihres Gatten; ein Wink entfernte die Diener, und Anna war zum letztenmal mit dem Manne allein, der mit kalter Hand die Blüthen ihres Lebens geknickt hatte. Lange hing ihr starrer Blick an den bleichen Zügen des Todten, es war, als ziehe ihr Elend noch einmal an ihr vorüber, endlich trat eine Thräne in ihr Auge.
»Nikolaus!« sprach sie tief gerührt, »Du hast mir viel Uebles gethan. Gott möge Dir's nicht rechnen unter die Zahl Deiner Sünden, ich habe Dir vergeben.«
Und seine kalte Hand fassend, rief sie, das Auge gen Himmel richtend: »Sieh herab, Ewiger, wir sind versöhnt.«
»O Mutter!« sprach jetzt eine tiefe, klagende Stimme in ihrer Nähe, »kannst Du Dich ihm versöhnen, der der Henker Deines Lebens war, so versöhne Dich auch dem unfreiwilligen Rächer.«
Casimir stand an den Stufen des Sarges. Wenige Tage hatten sein jugendliches Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verwandelt.
Entsetzt führ die Gräfin zurück, als sie ihn erblickte.
»Wie, Du wagst es, Dich dieser Leiche zu nahen?« rief sie, sich mit Abscheu von ihm wendend.
»Du weichst mir aus,« sprach Casimir fest, »Dein Reisewagen steht vor dem Schlosse; ich mußte Dich noch sprechen! Mutter – geh' nicht von mir!«
»Wahnsinniger!« rief die Unglückliche, »was willst Du von mir? – Soll ich weilen in den blutbefleckten Hallen, wo ein Sohn den Vater erschlug? Soll ich Zeuge werden von dem tödtenden Augenblick, wo die Schergen einen B–l–y zum Blutgerüste schleppen?«
Hoch auffahrend rief Casimir: »Das wird, das kann nie geschehen! Kennst Du nicht unsre Privilegien? – Der Kaiser hat keine Macht an mir!«
»So lange Du den Boden Deines Eigenthums nicht verlässest,« sprach Anna ernst; »aber nicht lange wird die väterliche Erde den Vatermörder dulden, es wird Dich der Geist hinaustreiben in die Netze Deiner Henker.«
Schaudernd fuhr Casimir zusammen. – Anna erhob sich, und schritt dem Ausgange zu.
»Wohin gehst Du, Mutter?« fragte Casimir milder als gewöhnlich.
»Nach Gran, dort habe ich meinen Sohn, jetzt mein einziges Kind, und ziehe gegen Preßburg hinunter, in das Haus meiner Väter.«
»So bin ich Dein Kind nicht mehr?« stammelte Casimir, »so gehöre ich denn Niemandem mehr an?«
»Der Vatermörder gehört dem rächenden Arm des Herrn,« sprach Anna – »hast Du durch Blut die blutige Schuld gesühnt, dann, Casimir,« – ihre Stimme brach in Thränen – »dann wird das Auge einer Mutter um Dich weinen.« – Langsam schritt sie dem Ausgange zu, der Sohn wagte nicht, sie zurückzuhalten, finster hing sein Blick an den Zügen des Todten.
»So kann mich selbst Dein Tod nicht versöhnen, Gespenst des Hasses,« murmelte Casimir in sich hinein – »Du hast mich den Mord gelehrt – ich habe Dir das Schulgeld bezahlt – nun sind wir quitt, was will man denn noch von mir?«
Ein kalter Schauer, der ihn durchrieselte, strafte seine übermüthigen Worte, er wandte sich, und eilte rasch dem Ausgange zu.
Weit und breit erscholl durch's Ungarnland die Kunde von dem grausen Vatermord, und ringsum, wo die Ländereien der B–l–y endigen, lagen die kaiserlichen Soldaten, den Mörder erlauernd, den die Gerechtigkeit auf seinem eignen Grund und Boden nicht greifen durfte, weil er sich zu den Magnaten des Reiches zählte.
Eingeschlossen, wie der grimmige Tiger in seinen Zwinger, zog Casimir auf seinem Gebiete umher. Wochen und Monden verstrichen. »Sie sollen sich müde nach mir lauern,« sprach der Herr auf B–l–y; aber der gefährlichste Gast, der sich zu bösem Gewissen gesellen kann, ist – Einsamkeit. Geflohen von dem Adel der Nachbarschaft stand Schloß B–l–y verödet und leer; die Nähe des Vatermörders wirkte grausig auf alles Lebende. Die Diener des Hauses erfüllten ihre Pflichten, doch so bald sie dies gethan, zogen sie sich stumm in's fernste Gemach, und selbst die Hunde des Gemordeten fletschten grimmig die Zähne, wenn Casimir schmeichelnd die Hand nach ihnen ausstreckte.
Schweigend, in dumpfem Brüten schritt der reiche Erbe durch die weiten Gemächer seines Schlosses, nie sah man ihn den Blick hinter sich wenden – und fiel sein Auge zufällig auf einen Spiegel, so floh er entsetzt vor dem eignen Bilde, denn es däuchte ihm, er sehe das Gespenst seines Vaters sich über die Schultern schauen.
Gequält von diesem Schreckbild seiner Phantasie, gemartert von den Qualen des schuldbeladenen Gewissens, geflohen wie ein Pestkranker, trug er ein einziges Gefühl im Busen, das ihn mit sanftem Leid durchbebte – die immer wachsende Sehnsucht nach Bettina.
»Ich will so nicht mehr leben – mögen sie mich fangen, besser todt, als lebendig begraben.«
Mit diesen Worten sprang er eines Tages auf, und in der nächsten Nacht, ehe der Tag noch graute, trat er den gefährlichen Weg schon an.
Im schmutzigen Schaafspelze eines gemeinen Slavaken, das Gesicht gebräunt, die Haare verwirrt um's Haupt, einen Hut tief in die Augen gedrückt, bestieg er einen Bauer-Wagen, mit Zwiebeln bepackt, eine Brieftasche mit großen Summen auf der Brust, eine kleine Pfeife im Munde, so flog er seinem Verhängniß entgegen. Eben graute der Tag, als Casimir auf der Grenze seines Gebietes ankam.
»Wo hinaus?« rief ihn die kaiserliche Wache an. »Aha!« dachte Casimir, »da sind sie schon, die Spürhunde.« – Ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen, entgegnete er, die Pferde anhaltend und den Kopf bequem auf beide Fäuste stützend: »Nach Pesth zu Markt mit Zwiebeln.« Der Posten rief an, sogleich trat ein Piquet Soldaten her- aus. Der Wagen ward aufs strengste durchsucht. Casimir saß ganz ruhig und schmauchte. – »Was sucht Ihr denn eigentlich unter meinen Zwiebeln?« fragte er.
»Den Vatermörder!« donnerte ihn ein Soldat an, »der leicht auf solche Weise entwischen könnte.«
»Als Zwiebel?« meinte Casimir dumm.
»Einfältige Bestie!« murmelte der Soldat, »könnte er nicht im Wagen versteckt seyn?«
»Ja, denkt Ihr denn, unser Herr will Euch in die Hände laufen?« – sagte Casimir trocken – »der wäre wohl ein Narr! Gestern noch meinte er: die Hunde sollen alt werden vor meinem Bau – mir gefällt's wohl auf B–l–y.
»Glaub's gerne,« sagte der eine Soldat; »der Bösewicht hat ja Geld und Gut die Fülle! – Ja, so fangen wir ihn sicher nicht.«
»Donnerwetter, Kerl! was rauchst Du für Taback?« schrie jetzt der eine Soldat – »das ist ja der feinste Lettinger! wie kommst Du dazu?«
Casimir fuhr zusammen.
»Der Bursche erschrickt« – rief der Andere – »Kerl, wie kamst Du zu dem Taback?«
»Na,« meinte Casimir, was ist denn viel zu fragen, »der junge Herr auf B–l–y gab mir ihn gestern zur Nacht, damit ich ihm einen Brief nach Pesth an seine Schöne bestellen solle – wenn Ihr's denn doch wissen müßt.«
»Heraus mit dem Brief!« donnerte der Korporal – zögernd sagte Casimir: »Aber, liebe Herrn, wenn ich Euch den Brief gebe, bekomme ich Prügel von dem Herrn, wenn ich wieder heimkomme.«
»Die kannst Du gleich haben, wenn Du den Brief nicht schnell herausgiebst.«
»Nun da« – sagte Casimir – »daß ich in Gottesnamen einmal los komme.«
Er zog einen Brief mit französischer Adresse hervor, welcher für einen Banquier in Wien bestimmt war, und reichte ihn hin.
»So, Freund, jetzt fahre zu.« –
Langsam und träge trieb Casimir die Pferde an, im Schritt fuhr er die Straße hinab, doch kaum war er den Soldaten aus dem Gesicht, so flogen die gepeitschten Rosse pfeilschnell dahin, und seine gequälte Brust athmete hoch auf, im Gefühl der Freiheit.
*
Viele Wochen waren schon verstrichen seit dem Augenblick, wo Casimir in dunkler Nacht Bettina's Schwelle überschritten hatte. In ihrer Nähe verstummten die Qualen seines Innern, und der finstere Geist der Schwermuth, welcher seit der Unglücksthat über ihn gekommen war, wich oft dem zauberischen Lächeln auf ihren Wangen. – Bettina's Haus war für ihn mitten in dem volkreichen Pesth das Eiland geworden, worauf er sich gerettet aus dem Sturm, und statt an Rettung zu denken, lebte er dem beglückenden Augenblicke, indeß man ihn auf seinem Gebiet zu hüten glaubte.
Von heftigen Schlägen an die fest verschlossene Hausthür erweckt, erwachte Casimir eines Morgens, und ein Blick durch das Fenster zeigte ihm sein Loos. Endlich war die schlafende Nemesis erwacht, das Haus war von Comitats-Husaren umringt, und der Ruf: »Gebt den Vatermörder heraus!« hallte gräßlich die Straße entlang.
Da riß Casimir das Fenster weit auf, und rief hinab: »was wollt Ihr?«
»Dich!« – rief ihm ein kaiserlicher Kommissair entgegen »Dich, Graf Casimir von B–I–y, Du bist des Vatermordes verklagt, folge uns vor das Gericht.«
Bettina, welche lauschend hinter dem Grafen stand, sank ohnmächtig nieder; Casimir aber öffnete auch den zweiten Fensterflügel, richtete sich hoch auf, und rief hinab: »Ich folge Euch nicht. Was werdet Ihr beginnen?«
»Wir stürmen das Haus, und greifen Dich mit Gewalt,« antwortete der Kommissair mit Würde.
»Nun dann« – rief Casimir mit der ganzen Kraft seiner sonoren Stimme, »so hört mich an, Ihr Herren! Ich bin ein einzelner Mann, und vermag nichts gegen einen Trupp wohlgedienter Soldaten; stürmt das Haus! – Seht her« – er zeigte ihnen mehrere Pistolen, welche er mit Bettina's Hülfe hier aufgehäuft hatte – »hier sind Schüsse genug, um Euch alle kalt zu machen, ich werde mich vertheidigen, so lange Leben in mir ist, doch hört meinen Schwur: Ich, Graf Casimir von B–l–y, Magnat von Ungarn, schwöre Euch bei meiner Ehre, daß die Hand eines Schergen mich nur als Leiche berühren soll, diese Kugel spare ich für mich, und ehe Ihr mich mit Gewalt von hier schleppt, zerschmettert sie mir das Gehirn.«
Schweigend sahen sich die Kommissaire an; man kannte B–l–y genugsam, um zu wissen, daß er Wort halten werde, und da es der Gerechtigkeit nicht um ein todtes Opfer, sondern um ein warnendes Beispiel zu thun war, wie das Verbrechen in jedem Stande der Strafe verfalle – so beschloß man, den trotzigen Mörder zu belagern, ihn durch Hunger zu freiwilliger Uebergabe zu zwingen.
Acht Tage lagen die Comitats-Husaren vor dem Hause, B–l–y blieb unerschüttert, er und Bettina hungerten, um ihre Vorräthe desto länger zu erhalten. Des Mädchens Liebe erkaltete nicht in dieser schrecklichen Zeit, sie schwur, ihn nicht zu verlassen, selbst nicht im Tod. Casimir saß stundenlang an dem geöffneten Fenster, seine Pfeife rauchend, und sah ernsten Blickes hinab auf seine finstern Wächter. Am neunten Tage erweckte ihn ein Schuß aus tiefem Sinnen, diesem folgte bald ein zweiter. Ein dichter Qualm zog sich durch das Zimmer, und erschrocken sprang er auf, zu sehen, was es gebe. Bleich trat er vom Fenster zurück.
»Was ist's?« rief Bettina.
»Ich bin verloren ,« sprach B–l–y, und seine Hand faßte nach einem Stuhl, den er taumelnd kaum erreichte. »Sie schießen mit Paprika Paprika ist eine Art scharfen Pfeffers, der in Ungarn allgemein an der Stelle gewöhnlichen Pfeffers genossen wird. Dies Gewürz hat die seltsame Eigenschaft, daß es, entzündet, einen betäubenden Dunst erzeugt, der unwiderstehlich zum Schlaf hinreißt. in die Fenster – jetzt kann ich mich nicht mehr halten.«
Leichenblaß sank Bettina an seine Brust. Casimir sah, in dumpfem Schweigen versinkend, vor sich nieder. Das Schießen dauerte fort. Drei Stunden lang widerstand er mit kräftigem Sinn der betäubenden Wirkung des sich immer mehrenden Dunstes. Doch als Bettina, von tiefem Schlaf ergriffen, aus seinen Armen sank, als es in seinen Sinnen dumpfer und immer dumpfer wurde, als ihm der Knall der Gewehre bald nur noch aus weiter Ferne zu tönen schien, da raffte er sich entschlossen empor, steckte zwei geladene Pistolen in die Brust, öffnete das Hausthor, und trat plötzlich unter die Soldaten hinein.
»Haltet ein mit dem Schießen« – rief er – »ich ergebe mich!«
Ein lautes jubelndes Geschrei erhob sich um ihn. Die Husaren umringten ihn in vollkommener Ordnung, und der Zug nach dem Comitatshause begann, einer Lawine gleich von Straße zu Straße sich vergrößernd. Ruhig und stolz mit unterschlagenen Armen schritt Casimir in ihrer Mitte, das Volk wogte schweigend umher. Als sie das Comitathaus erreicht hatten, und durch den hohen gewölbten Thorweg gingen, zog Casimir die beiden Pistolen hervor, und mit den Worten: »Hör' es, stolzer Palatinus, ein B–l–y beschreitet gefangen das Comitat,« feuerte er die Schüsse los, daß ihr Widerhall donnernd durch das Gebäude krachte.
*
Es war um die eilfte Stunde Vormittags, als durch die kaiserlichen Vorzimmer zu Wien eine jugendliche schlanke Gestalt schritt mit bleichen, wunderholden Zügen, geschmückt mit dem reichen Hofkleide ungarischer Damen, und nach kurzem Harren in dem Kabinette des Kaisers verschwand.
»Was sucht wohl die schöne Gräfin O–y bei Sr. Majestät!« flüsterte ein junger Cavalier dem dienstthuenden Kammerherrn zu.
»Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich fürchte, sie verwendet sich für den verbrecherischen Grafen B–l–y, den Vatermörder, der von den Gesetzen zum Tode verurtheilt ist. Man sagt, sie habe den Unglücklichen geliebt.«
»Die Aermste!« sprach der Jüngere gerührt; »wenn sie ihn liebt, so ist dies gewiß der schwerste Gang ihres Lebens.«
»Und ich fürchte, auch der fruchtloseste,« sprach der Kammerherr mit sichtbarem Bedauern; »denn ich kenne des Kaisers Gerechtigkeitsliebe, sein lebhaftes Gefühl für die strengste Redlichkeit zu genau, um mich einer Hoffnung für sie hinzugeben. Die tiefste Ehrfurcht für die heiligen Menschenrechte sind so in seiner Natur, in seinem ganzen, streng redlichen Wesen begründet, daß er den Vatermörder nimmer begnadigen kann und wird.«
Noch waren seine Worte nicht verhallt, als die Kabinetsthür aufging, Adeline schwankte rückkehrend in das Gemach. Ihre Augen schwammen in Thränen, ihre Kniee wankten, sie zog den Schleier über das bleiche Gesicht, und stützte sich halb bewußtlos, dem Umsinken nahe, auf den Arm des Kammerherrn, der sich ihr freundlich genähert hatte.
Da öffnete sich die Thür des Vorsaales, und in Trauerkleidern trat mit ernstem Anstande eine hohe Frau herein; ihre Züge, bleich wie die einer Todten, trugen das Gepräge gewaltsam errungener Fassung, ihr schönes Auge blickte starr, doch fest um sich und um ihre Lippen schwebte ein schmerzlich wehmüthiger Zug, wie mächtig zurückgehaltenes Weinen.
Adeline blickte auf, und mit dem Ausrufe: »Gräfin B–l–y!« flog sie an ihre Brust, sie ungestüm umschlingend.
»Wer ist die Dame?« fragte Anna, sich gütig zu der Schluchzenden niederbeugend.
»Gräfin Adeline O–y,« entgegnete der Kammerherr.
»Adeline – Adeline?« fragte die Frau von B–l–y, gleichsam wie sich besinnend – dann rief sie, plötzlich von einer schmerzlichen Erinnerung berührt: »o mein Gott!«
»Ich habe Sie nie gesehen,« flüsterte Adeline, an ihre Brust geneigt, »aber Sie sind's, Sie müssen es seyn! – unglückliche Mutter«!
»Ich bin's!« sprach die Gräfin, fast tonlos – »und Du – Du!« –
Sie ergriff mit bebender Hand Adelinens Stirn, und erhob das gesenkte Haupt; lange sahen sich die beiden Frauen in's tiefbetrübte Antlitz – lautlos drückte Anna einen Kuß auf Adelinens Stirn, dann legte sie ihr schweigend die Hand auf's Haupt.
Adeline, überwältigt von der Macht des Augenblicks, sank vor ihr nieder, und preßte das Thränen überströmte Gesicht in die Falten ihres Gewandes.
»Der Kaiser erwartet Sie,« sprach jetzt der Kammerherr; wie ein elektrischer Schlag zuckte die Mahnung durch das Gebein der unglückseligen Mutter.
»Gott mit Dir – und mir!« stammelte sie, und die Thür des Kabinets verschloß sich hinter ihr.
Athemlos, mit vorgebeugtem Körper stand Adeline noch einige Sekunden schweigend – dann eilte sie mit verhülltem Antlitz dem Ausgange zu.
Stumm gingen die beiden Männer auf und nieder; der Jüngere wischte sich unbemerkt eine Thräne aus dem Auge, der Aeltere blieb zuweilen stehen, und sah kopfschüttelnd nach der Thür.
Drinnen aber im kaiserlichen Gemache war es still, denn nur mit Blicken vermochte es die Wittwe des Gemordeten, um Gnade für den Mörder zu flehen. Nach geraumer Zeit erst vernahm man die Stimme des Monarchen, der mit Ernst und Rührung zu der Gebeugten sprach, worauf wieder eine tiefe Stille folgte.
Nach wenig Augenblicken schritt die Wittwe von B–l–y durch das Vorzimmer, dem Ausgange zu. Ihre Züge waren noch bleicher geworden, ihre Glieder bebten, ihre Augen starrten glanzlos vor sich hinaus, sie schien ohne Gefühl und Leben, eine wandelnde Statue. Erst als der Jäger ihr den Wagen öffnete, und fragte: »wohin?« stand sie einen Augenblick still, und schien sich zu besinnen. Wie ein Lichtstrahl durchzuckte sie plötzlich ein Gedanke: »Nach Maria Stiegen!« Eine Kirche zu Wien. rief sie, und der Wagen rollte dahin.
Oft hatte die Gräfin in der schönen Kirche gebetet, oft in den Tagen einer beglückten Jugend dort ihr frommes Herz in der heiligen Beichte entleert, und wie ein segensreiches Bild trat jetzt die Erinnerung an das ernste Gotteshaus vor ihre zerrissene Seele, und die Sehnsucht, ihre Brust in brünstigem Gebete zu entladen, stieg unwiderstehlich in ihr empor. Bald nahmen sie die düstern Mauern auf. Leer war das weite Gewölbe, nur wenige Betende lagen vor dem Hochaltare. Die Gräfin trat zu einer Seiten-Kapelle, und warf sich vor dem Gekreuzigten nieder. Lange lag sie so in stummem Schmerz, das Haupt gebeugt, die heiße Stirn auf die Marmorstufe des Altars pressend. Kein Laut trat über ihre Lippen, kein Seufzer entstieg der gequälten Brust.
Endlich erhob sie den gesenkten Blick zum milden Antlitze unsers Herrn, verzweifelnd die Hände ringend, rief sie: »Gieb mir Kraft zum Beten, Herr, mein Gott! gieb meiner gequälten Seele Andacht – ich kann nicht zu Dir flehen!«
»Tochter in Christo,« sprach jetzt ein Mönch, vor sie hintretend – »was lastet so felsenhart auf Deiner Seele, daß sie sich nicht mehr zum Gebet erheben mag!«
Anna sah zu ihm auf, ein mildes bleiches Antlitz von Gram und Zeit gefurcht, schaute zu ihr nieder.
»O frommer Vater,« rief sie, ohne sich von den Knieen zu erheben, »mein Leid ist schwerer als Felsen, mein Jammer endlos, und wenn meine Seele unsterblich ist, dauernd bis zur Ewigkeit.«
»Gott erbarme sich!« sprach der Geistliche ernst.
»Er wird es nicht,« jammerte die Unglückliche aus brechend, »er wird sich nicht erbarmen! Du siehst eine Mutter vor Dir, die einen Sohn mit Todesangst in ihrem Schooße trug, mit Schmerzen gebar, und unter Qualen liebte, auf daß er zum Mörder des eignen Vaters wurde. Doch noch ist das Maaß nicht voll – ich soll meines Busens Kind fallen sehen auf dem Blutgerüste, das geliebte Haupt, das oft an meiner Brust in unschuldsvollem Schlummer ruhte – das Schwert des Henkers wird's vom schlanken Körper trennen – und so lange diesen Nerven Empfindungskraft bleibt, wird der glühende Streich, der ihn zur blutigen Leiche verstümmelt, mir durch's Mark der Gebeine zittern – und wird in meiner Seele die Hoffnung auf die ewige Barmherzigkeit, aus meiner Brust die Kraft zu beten reißen!« – Und nieder sank ihre Stirn auf den kalten Marmor, und die Hände krampfhaft ringend, rief sie fürchterlich: »O wehe, wehe, wär' ich nie geboren!«
Der Mönch aber trat verbleicht von ihr zurück, und seine Blicke ruhten mit dem Ausdrucke des tiefsten schmerzlichsten Mitleids auf der edlen hingesunkenen Gestalt. Lange stand er so, mit ausgestreckten Armen nach ihr hingewendet, dann trat er ihr näher, erhob sie sanft, und sprach mit Tönen, die mild und tröstend durch die zerrissene Seele zogen: »Anna, Gräfin von B–l–y, tritt zu mir in den Beichtstuhl, und entlade Dein gequältes Herz vor dem Allgütigen, der Balsam hat für jede Wunde.«
Willenlos folgte ihm die Unglückliche. Mit heiliger Andacht, mit frommer Begeisterung löste er die Rinde um das erstarrte Herz, ihre Thränen begannen zu fließen, und in ernster Beichte erschloß sie ihre Brust, das tiefste Geheimniß ihres Lebens enthüllend.
Thränen entströmten den Augen des Mönchs, als er auf den Grund dieses schmerzlich zerrissenen Herzens sah, mit milder Stimme erweckte er in ihr das Vertrauen auf die unendliche Liebe des ewigen Vaters, der selbst im Strafen segnet; und es gelang ihm, ihre Seele aus den vernichtenden Banden grauenvollen Zweifels zu lösen.
Ihre Beichte war vollendet, ihr Blick erhob sich thränenvoll, aber mit wieder errungenem Vertrauen zu dem, an dessen ewiger Klarheit allein sich der sinkende Muth wieder aufzurichten vermag. Sie fühlte die Kraft in sich, zu tragen, was ihr auferlegt, und mit glühendem Danke drückte sie die Hand des gottbegeisterten Mannes an ihre Lippen, der ihre Seele gerettet hatte vom Verderben.
»Ja – es lebt ein gütiger Gott« – sprach sie tief gerührt, »denn er sendete mir am Rand des Abgrundes den Schutzengel in Euch, der den Rest meiner Tage vor der finstern Nacht des Wahnsinns bewahrte.«
Da zog es wie eine lichte Wolke über die bleichen ernsten Züge des ehrwürdigen Priesters hin, er entblößte das Haupt, und sprach mit wohlbekannten, lieben Tönen: »Anna, der Herr kann alles! Er hatte mich einst ersehen, der Schutzengel Deines Lebens zu werden. Doch Du wolltest es nicht. Nun sendet er mich Dir zum zweitenmal, und meines Daseyns Zweck ist erfüllt, da Du jetzt meine rettende Hand erfaßt! Der Name des Herrn sey gelobt!«
»Wladislaus!« – stammelte die Gräfin wie aus einem dumpfen Traume erwachend – doch schon schritt der ernste Freund den Kreuzgang hinab, und entschwand ihrem trüben Blick.
*
Wie ein bewegtes Meer wogte das Volk durch die Straßen von Pesth, weit und breit aus dem schönen Ungarlande waren Neugierige herbeigezogen, sie kamen, um das seit Jahren Unerhörte anzuschauen. Ein Magnat des Reiches, ein B–l–y sollte unter dem Schwerte des Henkers enden, und nicht blutdürstige Tyrannei fällte den Sprößling eines edlen Hauses, der Arm des Nachrichters traf kein schwärmerisches, freiheitschwindelndes Haupt, welches fiel, ein heiliges seinem Volke – es war ein schuldiges, dem Gesetze verfallenes Leben, das heute erlöschen sollte, es war die eiserne Gerechtigkeit, die edles Blut versprützen mußte, um ein schweres Verbrechen zu sühnen.
Dumpf brausend, gleich einem immer wachsenden Strome, umfluthete die Menge das Comitathaus; die Frist seines Lebens war bis auf zwei Stunden verstrichen. Viele wähnten, man warte auf Begnadigung von Wien, Andere erzählten, daß B–l–y keine Gnade wolle; man habe einmal absichtlich die Thür seines Kerkers nicht verschlossen, weil der Adel und selbst die Regierung gern der Familie die Schmach erspart hätte, den Sohn auf dem Blutgerüst zu sehen; doch Casimir habe seinen Kerker nur verlassen, um anzuzeigen, daß die Thür unverschlossen sey.
»Und wo ist denn die Dirne hingekommen, um derentwillen er in's Unglück kam?« fragte eine alte Frau, »sprecht, was geschah mit dem Sündenkind?«
»Die ist nach der Verhaftung verschwunden; man sagt, sie sey in ihr Vaterland zurückgekehrt.«
»Ach, wäre sie früher gegangen! Der arme junge Herr,« seufzte ein junges, hübsches Kind.
»So,« meinte ihr Bräutigam, »Du bedauert wohl den Vatermörder?«
»Ach, ich sah ihn gestern,« erzählte das Mädchen, »ich schaute durch's Gitter, als er eben mit einem Juraten sprach. Wie rührend sah er aus! Die tiefe Blässe der schönen Züge, die Schwermuth in seinen dunklen Augen! – Und wie mild und reuig sprach er zu dem Freund, ihm die Hand reichend: ›So scheiden wir denn, Istwan! Du trittst in das holde Leben zurück, bestrahlt von der Sonne des Glücks und der Unschuld. Ich wandle den ernsten Weg zum Tode, um ein Verbrechen zu büßen, das vernichtend in mein Lebensrad greift. Laß uns Beide mit Muth den Pfad betreten, der sich vor uns öffnet – mögest Du am Ziel den Tod für's Vaterland finden, in ehrenvoller Schlacht – dies ist der schönste Wunsch, den Dir die Liebe eines Mannes bringen kann, dessen Haupt unter dem Beile des Henkers liegt.‹
›Ach,‹ rief der Jurat, an seine Brust sinkend, ›Casimir, was hätte aus Dir werden können! O daß Du so enden mußt!‹ Die beiden jungen Leute hielten sich umschlungen und weinten laut, und da ich sah, daß auch die graubärtigen Husaren sich Thränen aus den Wimpern wischten, da ging ich hinweg, und weinte bitterlich.«
Alle Umstehenden weinten mit, und bald erneute sich der Streit, ob man den Vatermörder verfluchen oder beklagen solle.
Indessen so die ganze Stadt in wilder Bewegung war, schritt Casimir in ernster Stille in seinem Gefängnisse auf und nieder. Sein Gang war fest, seine Haltung nicht so stolz wie einst, doch ruhig, und seine Züge sprachen tiefen Gram, aber nicht kleinliche Furcht vor dem Tode aus. Sein Blick war hinüber gerichtet, nach der dunklen Grenze, die er bald beschreiten sollte, und seine Lippen bewegten sich nur selten, einzelnen stillen Worten den Ausgang öffnend.
Da sprang die Thür seines Kerkers auf, und mit festem Schritte, mit majestätischer Haltung trat die Gräfin von B–l–y in das Gemach.
»Meine Mutter!« schrie Casimir auf, und stürzte ihr entgegen; doch plötzlich blieb er in Mitten seines Kerkers stehen, und fragte leise: »Darf er Dir nahen, der Dein Alter mit Schmach bedeckt?«
»Mein Kind!« rief Anna, die Arme ausbreitend, und alle Liebe, aller Jammer ihrer unaussprechlich gequälten Brust brach aus dem Tone hervor. Da sank der Verbrecher an das treue Mutterherz, und wohlthätige Thränen entstürzten seinen Augen.
Lange hielten sie sich umfaßt, wie zu ewiger Vereinigung.
»Du weinst, mein Sohn,« sprach jetzt die Gräfin, sich ermannend, »ein B–l–y weint in der Todesstunde?«
»O Mutter, meine Thränen fließen nicht dem Scheiden von dem Leben, nicht feige Todesfurcht erpreßt sie mir. Die Schmach beweine ich, welche ich auf Dein ehrwürdiges Haupt gehäuft, und die nutzlose Vergeudung meiner frühern Tage. Ich gehe aus der Welt um eines Verbrechens Willen, und keine andere That bezeichnet mein kurzes Daseyn; ich habe nichts gewirkt in sechs und zwanzig Jahren, die mir die Vorsehung geschenkt; kein Werk der Tugend, keine nützliche That bezeichnet meine Spur; ich habe mein Leben, wie der Kirchenräuber den heiligen Kelch, frevelnd zerstört und verschleudert. – Das, Mutter, ist's, was mir die Todesstunde furchtbar macht.«
»Nicht Deine Reue?« fragte die Mutter sanft.
Casimir sah finster zur Erde; endlich begann er: »Ich kann mit keiner Lüge scheiden, Mutter, nein – nicht die Reue! Er, den ich erschlug, er ist's, der all den giftigen Samen auf den guten Boden meiner Seele warf, er hat Wurzel geschlagen und gewuchert in dem Grund, der edle Keime zu entwickeln Kraft genug besaß; er hat giftige Früchte gereift, todtbringend ihm, der sie gepflegt. – O Mutter,« rief Casimir fürchterlich, »er ist mein größter Schuldner, nicht ihn – Gott und die menschliche Gesellschaft zu versöhnen besteige ich das Blutgerüst mit Ergebung.«
»Wirst Du es auch mit Muth besteigen, Casimir?« fragte jetzt die Gräfin ernst. »Wirst Du sterben würdig eines B–l–y? Wird Dein Antlitz nicht erbleichen, werden Deine Kniee nicht wanken, wenn Du das Blutgerüst, die tobende Menge und das Schwert des Henkers erblickst?«
Casimir zuckte zusammen; Leichenblässe lagerte sich auf seiner Stirn, doch fest entgegnete er nach einer Weile: »Ich hoffe es, Mutter!«
Anna hing mit forschendem Auge an seinen Zügen, ihre Seele lag in dem Blicke, mit welchem sie jetzt sprach: »Nein, mein Sohn, Du bist nicht reif zu der Probe, auf welche Dich des Kaisers Strenge stellt. Gott wird mir verzeihen, was ich jetzt thue,« rief sie begeistert, ihm dicht vor das Antlitz tretend, »Casimir, ich komme von Wien; ich lag zu den Füßen des Kaisers, ich bringe Dir Gnade! Man wird Dich das Blutgerüst besteigen lassen, die Todes-Angst sollst Du erleiden, dann erst wird das Wort der Rettung tönen, und Dein Leben retten. Sieh, das vermag das Flehen einer Mutter.«
Casimir starrte sie staunend an, sie zog ein Pergament hervor, es war ein kaiserliches Begnadigungs-Schreiben mit des Kaisers Unterschrift.
»Mutter,« rief der Jüngling, zwischen unaussprechlichen Gefühlen schwankend.
»Verbirg's in Deiner tiefsten Seele, was die Liebe einer Mutter über das heiligste Gelöbniß vermag!« sprach Anna ernst, »und geh' zum Tode würdig Deiner Ahnen. Ich verlasse Dich jetzt, um dies Blatt dem Palatinus zu überbringen; Du wirst mich erblicken, wenn Du das Blutgerüst besteigst; ich werde Zeuge Deines Muthes und Zeuge des Jubels seyn, wenn die Begnadigung erfolgt.«
»O Mutter, Mutter!« rief jetzt Casimir, überwältigt von der Liebe zum Leben, zu ihren Füßen sinkend. Da legte Anna die Hände auf sein Haupt, und sprach mit fester Stimme: »Der Herr segne Dich!« – Noch einmal schloß sie den Sohn an die Brust, dann eilte sie hinweg, denn die wankenden Knie versagten ihr den Dienst, ihr brechendes Herz drohte zu springen, und die ernste Ruhe ihrer Züge verwandelte sich in wilde Verzerrung des wüthendsten Schmerzes.
Prächtig geschmückt, in der Tracht seines Standes, schritt Graf Casimir von B–l–y durch die Straßen von Pesth zum Blutgerüst. Tausend und aber Tausende zogen vor und hinter ihm, kein Fenster blieb unbesetzt, kein Stein auf der Straße war leer, und dennoch herrschte ringsum dumpfe Stille; die angeborne instinktmäßige Scheu des gemeinen Ungarn vor seinem Adel, die feste Haltung des Verurtheilten und vor allem die hohe Schönheit des ritterlichen Magnaten fesselten jede Zunge, und manche Thräne glänzte unverhüllt im weinenden Auge des Mitleids. Mit ernsten, ja oft heitern Blicken sah Casimir zu den Fenstern seiner Freunde auf, und hier und dort flatterte ein weißes Tuch, ihm ein Lebewohl zuwinkend. An einer Straßenecke stand weinend die alte Zigeunerin, und bot ihm flehend die dürre Hand. »Ach, Casimir, schöner Magnat,« rief sie jammernd, »so endest Du denn doch in Purpur; armer Junge, hättest mir gefolgt!« – Mit finsterm Grauen wandte sich B–l–y von ihr, und bald verschwand er ihrem trüben Blicke. – Jetzt kam der Zug vor dem O–y'schen Hause vorüber. Sein Auge flog suchend an den überfüllten Fenstern hin, plötzlich ergoß sich eine glühende Röthe über sein Gesicht, er hielt an, und sah starr hinauf. Verborgen hinter einem Kreise von Damen, sah ein lilienweißes Antlitz hernieder, und ein Paar brechende Augen hingen an den seinen. Da zog er eine blühende Rose von der Brust, drückte sie an die Lippen, und bat, man möge dies Geschenk der Gräfin Adeline von O–y überbringen. Nach wenig Augenblicken erhielt sie die Rose, und mit einem Blicke, der den letzten Lichtstrahl in seine Nacht sandte, ließ sie die duftige Blume in den Busen gleiten, und sank dann vergehend in die Arme ihrer Mutter. Tief erschüttert wandte Casimir das Haupt, und eilte rasch vorwärts, dem Ziele zu.
Schon erhob sich das grauenvolle Gerüst vor seinem Blicke, und kalte Schauer durchrieselten sein Gebein, da erblickte er das milde Antlitz seiner Mutter an einem Fenster des nächststehenden Hauses. Einen Blick nur sandte er hinüber, einen Blick, in dem die Frage lag: Hat Deine Mutterliebe mich getäuscht? Ruhig nahm er dann den Kalpack ab, legte das prächtige Kleid von sich, und bot den stolzen Nacken dem Henker dar. Aller Blicke waren auf die Richter gewendet, von tausend Zungen, welche die Schönheit und der Muth des Jünglings bezwungen hatte, drängte sich der Ausruf: »Gnade!« doch ehe das Wort den Lippen entfloh, war der Streich gefallen, der allein ihn mit der Menschheit und sich selbst versöhnen konnte. Hoch aufgerichtet sah Anna das gräßliche Schauspiel, erst als sein Haupt in den Staub rollte, brach das Auge der unglücklichen Mutter, wohlthätige Nacht umhüllte ihre Sinne, bewußtlos sank sie in die Arme ihrer Freunde.
Wer ermißt die Liebe, wer den Muth eines treuen Mutterherzens? Sie selbst hatte das Begnadigungsschreiben verfertigt, sie selbst hatte sich die Höllenqual auferlegt, Zeuge der Hinrichtung zu seyn, um den Sohn, den sie nicht retten konnte, mindestens würdig sterben zu sehen.
So war denn das Fluchgeschick der Familie B–l–y erfüllt, und lächelnd zogen die Engel der Eintracht und des heiligen Friedens ein in die entsühnten Mauern; denn späterhin waltete eine blühende Tochter an Anna's Seite auf Schloß B–l–y, und am Herzen des liebenden Sohnes erwuchs ihr Trost für den Jammer entschwundener Tage.
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