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Der Kirchhof von San Giovanni.

Aus dem Leben einer Engländerin.


Ich war zehn Jahr alt, und seit ich denken konnte, nie krank gewesen. Meine Mutter, die Herzogin von B–, war eine schöne glänzende Dame, mein Vater ein Mann, wie ich späterhin wenige mehr sah, edel in Haltung und Zügen, und von eben so feiner Geistes- als Körperbildung. Miß Claire, meine Gouvernante, eine kleine reizende Französin, war seit meinem sechsten Jahre meine liebste Gesellschafterin, von meiner Mutter sehr hoch gehalten, und vom ganzen Hause geehrt. Die Herzogin konnte sich nicht viel mit mir beschäftigen, da unser Haus eines der ersten in London war, aber an Claire's Seite bemerkte ich dies nur wenig, denn sie war mir Alles geworden. In jenem Zeitpunkte, wo diese Blätter beginnen, bemerkte ich plötzlich eine auffallende Veränderung im Hause, meine Mutter ward kalt und stolz gegen Claire, diese weinte viel, und mein Vater war öfter als gewöhnlich Zeuge meiner Unterrichtsstunden. Ich hörte viel reden von den Anstalten, welche zur Krönung Georg des IV. Im Jahre 1820; bereits ab 1811 übte er das Amt des Regenten aus, da sein vermutlich an Porphyrie erkrankter Vater Georg III. regierungsunfähig war. [ Anm.d.Hrsg.] getroffen wurden, und war selig in dem Anschauen der Prachtgewänder, welche für meine Mutter aus Frankreich kamen, die, als Gattin eines der ersten Pairs des Landes, eine große Rolle bei dieser Gelegenheit spielen sollte. Zwei Tage vor der Krönung, eben als ich mit kindischer Wonne neben Claire saß, welche ein Demant-Halsband, das für die Herzogin vom Juwelier gekommen war, im Lichtglanze spielen ließ – trat meine Mutter ein mit hochglühendem Gesicht und raschen Schritten, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie hielt ein Zeitungsblatt in der Hand, winkte Claire nach dem Seitenzimmer, und diese folgte ihr verbleichend und zitternd. Nach wenig Augenblicken vernahm ich einen lauten Schrei, gleich darauf einen Fall, und meine Mutter rauschte, bleich wie vorhin Claire, mit stolzem Schritt durch das Gemach, an mir vorüber, ohne mich zu bemerken, wie es schien. Ich wartete eine Weile, doch da Claire nicht zurückkam, flog ich nach dem Kabinet; sie lag besinnungslos auf dem Teppich des Fußbodens, das Zeitungsblatt krampfhaft in der ausgestreckten Hand haltend.

Ich erschrack, begoß sie mit Wasser und Eau de Cologne, und rief um Hülfe. Es dauerte nicht lange, so schlug sie die Augen auf, winkte mir zu schweigen, und nach einer Stunde schien sie völlig wieder erholt. Sie ging still umher, Thränen flossen über ihre bleichen Wangen, aber ich hörte auch nicht einen Seufzer von ihr. Nach einiger Zeit kam mein Vater, ich werde den Ton nie vergessen, mit welchem sie, ihm das Blatt hinreichend, sprach: »Lesen Sie, Mylord, das Schrecklichste ist geschehen, und die Schande bitterer als der Tod.«

Mein Vater las, erblaßte, sank in einen Stuhl, und winkte mir, rasch mich zu entfernen. Ich schlich hinaus, und saß lange, bis er zurückkehrte. Die Diamanten gefielen mir nicht mehr, so oft ich sie auch am Lichte hin und her drehte, ich wußte und begriff nicht, was geschehen war, aber mir war's, als hinge ein schweres Gewitter über mir, und als müsse es jeden Augenblick losbrechen.

Zwei Tage verstrichen, ich sah Niemanden in unsern Zimmern als Claire, die stumm und starr einher schlich wie ein Geist, und die Bedienten, welche uns Nahrung brachten. Am Abend des zweiten Tages holte mich die älteste Kammerfrau meiner Mutter hinauf, ich durfte sie in ihrer Pracht sehen. Ich war außer mir, so schön war mir noch kein menschliches Wesen erschienen, als die Herzogin in dem fürstlichen Glanz, der sie umgab; ich schmiegte mich liebkosend an ihre Brust, und sagte schüchtern: »O meine Mutter, wie schön sind Sie!« Sie streichelte mir die Wange, küßte mich ehe sie abfuhr, und sprach: »Bald, meine Sidonie, wirst Du immer um Deine Mutter seyn.«

Ich ging hinab, das Köpfchen voll der Herrlichkeit, die ich gesehen hatte, ich konnte nicht satt werden, meiner Claire zu schildern, wie reizend die Herzogin war. Claire hörte mir mit niedergeschlagenem Blick zu, ohne die Lippen zu öffnen. Ich betrübte mich, daß sie gar nicht Theil an meiner Freude nähme, und ging schmollend zu Tische. Alles war wie todt in unserm großen Pallaste, denn fast die ganze Dienerschaft war, um den Glanz unsers Hauses vollkommen zu machen, in neuer prächtiger Livree mit zu dem großen Feste gefahren. Ich begab mich früh zu Bette. Claire saß noch und schrieb einen Brief, den sie mit Thränen überströmte, ihr Kummer quälte mich; aber ich vermochte dennoch den Geist nicht abzuziehen von dem glänzenden Bild meiner schönen Mutter, und bald umspielten mich leuchtende Träume, in denen die Herzogin wie ein Cherub im Prachtgewande die Hauptrolle spielte.

Es mochte Mitternacht vorüber sehn, als ich von einem herzzerschneidenden Stöhnen erwachte. Ich konnte mich lange nicht zurecht finden, ob ich träume, oder diese fürchterlichen Töne wirklich höre. Die Nachtlampe an der Decke brannte düster, endlich erhob ich mich, sah umher, und erblickte neben mir ein Schauspiel, das meiner Seele nie entschwinden wird. Claire lag auf ihrem Lager, das Haupt weit hintenüber gebogen, die Augen fürchterlich verdreht, die feinen Lippen im Todeskampf weit geöffnet, fort und fort die gräßlichen Töne ausstoßend, welche mich erweckt hatten; ihre Brust war entblößt, aus einer Wunde an der linken Seite stürzte ein feiner, schmaler Streifen Blut; in der rechten Hand hielt sie ein Federmesser, und als sie mich erblickte, stammelte sie mit letzter Kraft: Sidonie, Sidonie, verlasse nie den Pfad der Tugend!« – Ich schrie auf, warf mich über sie hin, und jammerte in kindischem Schmerz, ohne zu begreifen, wie ich ihr helfen sollte; bald hatte sie ausgelitten, kramphaft umfaßten mich ihre zuckenden Arme, sie drückte mich fest an die röchelnde Brust, dann ward sie plötzlich starr und kalt, weiter reicht meine Erinnerung nicht – am Morgen fand man mich im Starrkrampfe neben ihrer Leiche.

*

Sechs Jahre waren seit jener fürchterlichen Nacht verstrichen, ich hörte nie ein Wort über die Begebenheit sprechen. Claire war damals in aller Stille beerdigt worden, mein Vater versank in eine lange Melancholie, meine Mutter blieb sich vollkommen gleich, und die einzige Spur, welche das unglückliche Ereigniß hinterließ, war meine Krankheit, welche streng verheimlicht wurde. Sobald ich mich durch irgend etwas verletzt fühlte, sobald man mich bis zu Thränen brachte, kehrte jener unselige Starrkrampf wieder, der mich bei Claire's Leiche befallen hatte; ich empfand keinen Schmerz dabei, aber ich lag oft Stunden lang, einer Todten gleich, da, und erfuhr erst, nachdem Alles vorüber, daß ich wieder »meinen Anfall gehabt habe.« Wir reisten aus einem Bad in's andere, oft blieb ich Monate lang verschont, aber plötzlich brachte irgend ein Schrecken, eine Kränkung das alte Uebel wieder hervor, so daß meine Aeltern die Hoffnung fast gänzlich verloren, mich jemals geheilt zu sehen. In meinem Aeußern war nichts, das Kränklichkeit verkündete, ich blühte, hoch aufgeschossen in Fülle eines glücklichen Körperbaues, und die allgemeinen Huldigungen, als mich meine Mutter endlich in die Welt einführte, belehrten mich bald, daß man mich für schön hielt. Außer den zwei treuen Kammerdienerinnen meiner Mutter und unserm Arzt, war die Beschaffenheit meiner Krankheit für jedermann ein tiefes Geheimniß, die leidende Gesundheit meiner Mutter lieferte den Vorwand zu unsern Badereisen, und auch diese unterblieben im letzten Jahre, da man durchaus keinen Erfolg davon sah. Mein Zustand übte den schlimmsten Einfluß auf meine fernere Erziehung: ich war zwar sanft geartet, demüthig, und kannte keinen Widerspruch, wenn es den Willen meiner Aeltern galt; dennoch hatte ich tausend kleine Sonderlingslaunen, welche meine Mutter nicht zu bekämpfen wagte, da sie bei meiner Reizbarkeit stets das Aergste befürchtete. So war ich, zum Beispiel, bis zur Verzweiflung eifersüchtig auf die Liebe meiner Aeltern, und jede Auszeichnung, welche meine Mutter einer kleinen Base zuwendete, hielt ich für eine Abnahme ihrer Neigung für mich. Selbst meine Jugendfreundinnen mußten sich mir ganz und unbedingt ergeben; ich weinte Stunden lang, als Miß Mary heirathete, weil ich gewiß war, nun könne sie mich nicht mehr lieben. Ich erwähne aller dieser kleinen Umstände, weil sie ein helles Licht über mein künftiges Schicksal verbreiten.

Von meinem Eintritt in das sechzehnte Jahr an schien es jedoch meine Krankheit plötzlich zu verlieren, meine Aeltern wagten es kaum, sich der Hoffnung hinzugeben, es werde so bleiben; doch ein ganzes Jahr verging, ich feierte den siebzehnten Geburtstag, und das Uebel war nicht zurückgekehrt. Der Arzt versicherte, die Natur habe, sich erkräftigend, selbst die Heilung übernommen, und er möchte fast gut stehen, daß, wenn nicht ungewöhnliche, gewaltsam erschütternde Begebenheiten in mein Leben eingriffen, die Krankheit nie wieder in mir erwachen werde. Meine Aeltern lebten neu auf in dem Anschauen meiner blühenden Jugend, und ich selbst vergaß gänzlich die trübe Wolke, die meinen Himmel Jahre lang umschleiert hatte.

Es konnte nicht fehlen, daß bei meinem unermeßlichen Vermögen und der Stellung meines Vaters sich bald eine Anzahl Freier um mich drängte; meine Aeltern waren jedoch fest entschlossen, meine Wahl nicht zu bestimmen, und ich sah die jungen Herren sammt und sonders mit dem höchsten Gleichmuth sich nahen, und durch meine Kälte abgeschreckt, bald wieder verschwinden. Meiner Mutter war dies gleichgültig, da ich noch sehr jung war, und nun, da sie anfing, den Geschmack am Geräusch der großen Welt zu verlieren, ihre einzige Freude und Erholung bildete.

So hatte ich mein achtzehntes Jahr erreicht, alle meine Wünsche waren erfüllt, ehe ich sie aussprach, Reichthum und Glück umgaukelten mich, das Haus meiner Aeltern war mir die Welt, und ich hatte keine Ahnung, daß es eine Steigerung dieses Wonnelebens, daß es ein Ende desselben geben könne. – Es war ein heiterer Frühlingstag, als ich zur Mittagszeit, von einem Morgenritt zurückkehrend, vor unser Hotel sprengte. Durch ein Gedränge in der Straße ward ich von meinem Bedienten getrennt, der wenigstens achtzig Schritte hinter mir war. Ich hielt mein Pferd an, stützte die Faust auf seinen Rücken, und wandte mich erwartend nach James. In diesem Augenblicke trat ein junger Mann aus dem Portale unsers Hauses, blieb staunend stehen, und sah mich mehrere Sekunden lang schweigend an. Sein Anblick weckte eine angenehme, aber höchst dunkle Erinnerung in mir.

Ich wußte mich nicht schnell zu besinnen, wo mir diese geistreichen Züge zuerst erschienen, und wann mich diese großen dunklen Augen zum letztenmale angeblickt hatten. Daß ich ihn schon einmal gesehen, dessen war ich gewiß.

Plötzlich rief der Fremde mit einem Tone, der wie befreundet meine Brust durchdrang: »Sidonie, ja beim Himmel! Sie sind es selbst!« Damit trat er zu meinem Pferd, reichte mir die Hand, fast unwillkührlich zog ich den Fuß aus dem Bügel, setzte ihn auf seine Rechte, und sprang vom Pferde. Eine Sekunde lang hielt er mich an seine Brust gedrückt. Dann nahm er meinen Arm, führte mich nach der Marmortreppe, und flüsterte in süßer Vertraulichkeit: »Ist es möglich, Sidonie, Du erkennst mich noch immer nicht? Mein Gedächtniß hat Deine Züge treuer bewahrt; drei kurze Jahre vermochten sie nicht zu verwischen.« – Jetzt ward es plötzlich helle in mir; die unwillkürliche Blödigkeit, welche sich meiner bemächtigt hatte, verschwand. Die dunkle Röthe der Befangenheit, die, wie ich fühlte, mein Gesicht bedeckte, wich dem Ausdruck der innigsten Freude, und froh überrascht rief ich: »Edward, theuerster Vetter, Sie sind es? Jetzt erkenne ich Sie!« – »Ziemlich spät,« lächelte er, meine Hand an seine Lippen drückend. – »Ei,« rief ich, heiter werdend, »wer hätte auch meinen ächt englischen Vetter Edward mit der melancholischen Stirn und dem ernsten gravitätischen Gange in diesem jungen, flüchtigen Pariser wieder erkannt, der völlig entnationalisirt vom Continente wiederkehrt? Einst waren Sie als neunzehnjähriger Jüngling das wahre Bild eines künftigen Pairs von England; nun ist Ihr Aeußeres der treue Repräsentant eines liebenswürdigen, leichtgesinnten Vicomtes geworden!« – »Das wäre mir von Herzen leid,« entgegnete Edward, »denn ich bringe mein englisches Gemüth unverändert und treu vom Continente nach Hause, und ich hoffe, Sidonie wird mich nicht nach dem Schnitte meines Fracks beurtheilen.«

Unter diesen Gesprächen waren wir bis zu den Zimmern meiner Mutter gelangt. Edward trat auf meine Versicherung, daß ich die Entschuldigung seiner Toilette übernehmen werde, bei der Herzogin ein. Angenehm überrascht kam uns meine Mutter entgegen; sie hatte schon von meinem Vater erfahren, daß unser Vetter Edward, aus Paris zurückgekehrt, eben von ihm gegangen sey. Sie war sichtlich von der auffallenden Veränderung seines Aeußern, so wie seines Betragens angezogen, und ich konnte mir es nicht läugnen, je mehr ich die Leichtigkeit beobachtete, mit welcher er die Unterhaltung von einem interessanten Gegenstande zum andern zu lenken verstand, daß er der liebenswürdigste und zugleich schönste junge Mann sey, den ich jemals gesehen. Vergebens suchte ich in meinem Gedächtniß nach dem Bilde des für seine Jahre lächerlich ernsten und trockenen Vetters, der immer ein Gegenstand unseres Spottes gewesen war, obgleich er mich vor allen übrigen Verwandten durch eine besondere Vorliebe auszuzeichnen schien. Die Fremde hatte diesem Demant Schliff und Glanz verliehen. Eine Stunde war in heiterm Gespräche verstrichen, ehe wir's uns versahen. Edward entfernte sich, sichtlich geschmeichelt von der ausgezeichneten Aufnahme meiner Mutter, und mit einem Blicke auf mich, der tief in mein Inneres drang, und mir's verkündete, daß sich in diesem Augenblick das Schicksal meiner Zukunft entschieden habe.

Ich übergehe all' die Glückseligkeiten, welche das weibliche Herz bei dem Erwachen des mächtigsten und schönsten Gefühls der Natur durchdringen, denn sie sind von eben so vieler Langeweile für die Leser, als von unaussprechlicher Wichtigkeit für den Liebenden selbst; nur so viel erlaube ich mir zu sagen, daß Edwards Liebe für mich den Charakter der höchsten Leidenschaftlichkeit hatte, und meine Anbetung für ihn an Vergötterung grenzte.

Sir Edward Darnford war der einzige Erbe eines unermeßlichen Vermögens, seine Familie der unsern an Einfluß vollkommen gleich, und so hatten wir das Unglück, daß Nichts sich störend zwischen unsere Liebe drängte, nach sechs Monden ward ich seine Gattin. Wir waren anerkannt das schönste Paar in London, und nie ritten wir durch Regents-Street, ohne daß unsre Blicke gegenseitig mit Stolz auf einander verweilten. Bald sollte unser Glück vollkommen werden. Ich fühlte mich Mutter, und Edwards Leidenschaft für mich bekam einen Anstrich von inniger Verehrung, von zarter schonender Sorge, die unser Band wo möglich noch fester knüpfte. Ich gebar unter schweren Leiden meinem Gatten einen Sohn; doch hatte mich dies Geschenk des Himmels an den Rand des Grabes gebracht. Monate vergingen; ich konnte nicht von einer mir zurückgebliebenen Schwäche genesen. Trotz dem Schmerze meiner Mutter und der finstern Stirne meines Vaters, mußten wir uns endlich entschließen, dem Ausspruch der Aerzte Folge zu leisten, welche mir die Bäder zu Pisa und einen wenigstens Ein Jahr dauernden Aufenthalt in Italien als einziges Rettungsmittel meiner Gesundheit vorschrieben. Begleitet von unzähligen Thränen traten wir im Anfange des Herbstes 18– unsere Reise an. Niemand, als mein Kind, seine Amme und Edwards Kammerdiener begleiteten uns. Meine Thränen versiegten bald; ohne großen Kummer sah ich die Küste Englands in das Meer versinken; – wohl sandte mein Geist einige Grüße an meine Aeltern dorthin zurück, doch meine Welt hielt ich in meinen Armen; ich lag an Edwards Herzen, und an meiner Brust schlummerte mein Sohn.

*

Zwei Jahre verstrichen in Italien, ohne daß sich weder eine Veränderung in unserm Familienleben, noch in unserm Herzen begab. Meine Gesundheit erstarkte sichtlich unter dem wohlthätigen Einfluß dieser milden Luft, und nur meine nahe Aussicht, zum zweiten Male Mutter zu werden, hielt uns von dem Vaterlande noch entfernt. Wir hatten unsern beständigen Aufenthalt in Neapel genommen, und genossen in ungetrübtem Glück alle Reize dieser göttlichen Gegend. Es war um diese Zeit, als mich zum ersten Male bedünken wollte, es lagere oft eine Wolke ernsten Nachdenkens auf Edwards Stirn. Wenn ich ihn mit zärtlicher Besorgniß befragte, was ihn kümmere, so versicherte er mir stets, daß ihn die Sorge um meine Gesundheit quäle, für die er, bei der mir neuerdings bevorstehenden Katastrophe, zu fürchten beginne. Vergebens suchte ich ihn zu beruhigen; sein Trübsinn nahm zu statt sich zu vermindern, und oft verließ er mich stundenlang, um, wie er versicherte, in den duftenden Orangenwäldern, die Neapel umgeben, sich Ruhe und Erheiterung zu holen. Arglos, wie ich es war, härmte ich mich über den Kummer des Gatten, ohne daß sich auch nur ein Gedanke des Mißtrauen in meiner Seele regte.

Meine Arabelle war geboren. Ich fühlte mich gesund und glücklich, und hoffte nun auch Edwards Trübsinn schwinden zu sehen. Doch Monate vergingen, und er blieb sich gleich: düster, wortkarg und stundenlang in finsterm Schweigen brütend.

Ich war meistens mit meinen Kindern allein, und die Sehnsucht nach meinem Vaterlande, nach dem liebenden Herzen der Mutter erwachte um so stärker in mir, je weniger ich mir es länger verbergen konnte, daß Edwards Leidenschaft für mich längst dem Gefühle einer innigen Freundschaft gewichen schien. Trotz der häufigen Entfernung meines Gatten stieg dennoch kein Verdacht in meiner Seele auf, der die Achtung, welche ich für ihn hegte, vermindern, oder seinen Charakter in meinen Augen entwürdigen konnte. Ich fühlte wohl, daß ein dunkles Geheimniß seine Seele bedrücke, aber ich ahnte nicht, daß dies Geheimniß meiner Ehre, meiner Ruhe, ja meinem Leben den Untergang drohte. Meine Bella war ein halbes Jahr alt, als ich meinen Gemahl erinnerte, daß unserer Abreise nach England nun kein weiteres Hinderniß im Wege stehe, und daß ich ihn dringend bitte, mich endlich wieder zu den Meinen zurück zu bringen. Eine glühende Röthe ergoß sich über Edwards Wangen, welcher eben so schnell eine fahle Blässe folgte. Mehrere Sekunden lang saß er mir schweigend gegenüber, und schien vergebens nach Fassung zu ringen. Noch nie hatte ich eine Empfindung in seinem Aeußern sich so aussprechen sehen, und starr vor Staunen hing ich an seinen Blicken, seine Antwort erwartend. Endlich sprach er mit einem Tone, der mir gänzlich fremd an ihm war, mit einem Tone, in dem sich erzwungene Fassung und angenommene Härte zu streiten schienen: » Zu den Deinen? Bist Du nicht bei den Deinen, und ist es möglich, daß Du Dich aus diesem Paradies nach Deinem kalten, finstern Vaterland sehnen kannst?«

»Es ist auch Dein Vaterland,« entgegnete ich mit bebender Stimme. »Es ist das Land meiner Sehnsucht, das Land, wo meine glückliche Jugend entfloh, wo mir theure, liebende Eltern leben. Dieses Paradies, das Du rühmst, ist von Menschen bewohnt, die mir durch Sitten und Charakter ewig fremd bleiben werden.«

»Mir sind sie es nicht,« unterbrach mich Edward heftig, »mein Gemüth ist nicht kalt und verschlossen für jeden fremdartigen Eindruck, wie das Deinige, mir ist wohl in dieser himmlischen Luft, unter diesen glühenden Menschen, in deren Adern Feuer rollt; und wie ein feuchter Nebel legt sich der Gedanke an das finstere Grab Londons über meine Seele, beschleicht er mich mitten unter den Orangendüften Neapels. Mir ist hier wohl, ich denke nicht an die Rückkehr nach England.« Bei diesen Worten stieß er rasch den Stuhl zurück, und verließ stürmisch das Zimmer.

Eine eiskalte Hand schien sich auf mein Herz zu legen; mein Athem stockte, halb bewußtlos sank ich in das Sopha zurück. So hatte ich ihn noch nie gesehen; so rauh war mir die geliebte Stimme noch nicht erklungen; plötzlich, wie ein Blitzstrahl durchzuckte mich der Gedanke: »Du bist ihm nichts mehr, er hat dich verlassen!« Ein fürchterliches Licht erhellte meine Nacht. Unwillig staunend fragte ich mich selbst, wie es möglich gewesen, mich so lange zu täuschen? Wie ein Schleier fiel es mir von dem geblendeten Auge, und ich erkannte plötzlich, daß ich ihn schon Monate lang verloren habe, und daß für mich keine Rettung mehr sey von dem schrecklichen Gefühl, das meine Seele zerriß, als im Grabe.

Zu stolz, um den Gatten auch nur eines Vorwurfs zu würdigen, zu unglücklich, um meine Gemüthsstimmung verbergen zu können, ging ich in stumpfem Schweigen neben Edward hin. Jetzt beobachtete ich mit glühendem Argwohn jeden seiner Schritte, und je verzehrender die Eifersucht in mir ras'te, je mehr mein Körper unter dem wilden Kampf aller dieser Empfindungen erlag, je sorgfältiger hütete ich meine Lippen und meine Züge, daß auch nicht der Schatten eines Vorwurfs es dem Treulosen verrathen möge, was ich litt. Es war umsonst. Edward sah, wie mir schien, mit Kummer das sichtliche Verfallen meiner Gestalt, aber er – der sonst jede meiner Mienen belauschte, sich hundertmal des Tages erkundigte, ob ich mich auch wohl fühle – er wagte es jetzt nicht, sein unglückliches Weib zu fragen: »Was fehlt Dir?« denn er mußte ja zittern vor meiner Antwort. Sechs Wochen verstrichen, ohne daß es zu einer Erklärung zwischen uns gekommen war. Da führte ein Brief meiner Mutter, welche mich dringend zur Heimkehr mahnte, die fürchterliche Katastrophe herbei, wo mein Schicksal den Wendepunkt erreichen sollte.

»So sehr es mich schmerzt,« begann ich eines Morgens, »Dir, mein theurer Edward, etwas Unangenehmes zu sagen, so kann ich dennoch nicht umhin, Dich wiederholt an die Rückkehr nach England zu mahnen.« Ich schob den Brief meiner Mutter in seine Hand, und fuhr fort: »Aus diesem Schreiben wirst Du ersehen, daß ein langwieriges Uebel meine Mutter seit Wochen an's Krankenlager fesselt. Fast drei Jahre sind wir nun fern von ihr; sie sehnt sich nach dem Anschauen ihrer Kinder, ihrer Enkel. Mein Herz vergeht in Sehnsucht nach ihr und nach dem Lande meines Glückes!« Meine Stimme brach, Thränen zitterten in meinem Auge, als ich mit überströmendem Gefühl Edwards Hand ergriff, und mit den Worten schloß: »Laß uns zurückkehren, mein Gemahl! Dort allein ist Heil für uns!«

»Für Dich, nicht für mich!« rief Edward, seine Hand aus der Meinen ziehend – »ich kann, ich will dort nicht leben, ich hasse England; ich werde nie zurückkehren!«

»Wie,« rief ich erbleichend, »so sollen wir unser Daseyn hier beschließen?«

»Hier oder in Konstantinopel, oder in der neuen Welt, überall eher, als in dem mir verhaßten Lande, dessen Frauen Puppen, dessen Männer Narren sind,« entgegnete Edward mit Wuth.

Mein Athem stockte. Kaum war ich fähig, die Frage hervorzustammeln: »So willst Du mich also auf ewig von den Meinen trennen?«

»Das will ich nicht!« sprach Edward mit stockender Stimme; sein Gesicht röthete sich, seine Augen suchten unwillkührlich den Boden. »Für Dich ist Alt-England die Welt, und Du gäbest Dein stolzes Grabmal zu Westminster nicht hin für das Brautbett, das Du einst mit Edward theiltest. Du bist eine ächtgläubige Anglikanerin! Kehre denn zu Deinen Eltern zurück, wenn Du nicht leben kannst ohne sie, wenn sie Dir mehr sind als Gatte und Kinder. Ich halte Dich nicht!«

Mich hoch aufrichtend trat ich ihm einen Schritt entgegen, und stammelte mit letzter Anstrengung: »Mylord, wie soll ich Ihre Worte deuten?«

»Wie ich sie gab!«

»Sie wünschen eine Trennung von mir?«

»Ich komme Ihren Wünschen zuvor!«

»Und Sie überlassen mir meine Kinder?«

»Nimmermehr. Ziehen Sie nach England, wenn es Ihnen gefällt, die Kinder bleiben dem Vater!«

Bis hieher hatte ich Alles gehört. Jetzt aber begannen die Wände mit mir zu schwanken, der Fußboden schien mir ein bewegtes Meer, welches mich hin und her schaukle; mir war's, als hörte ich tausend Wasserfälle um mich rauschen; ich fühlte, wie meine Glieder sich streckten, wie eine Eiseskälte sich von meinem Herzen durch alle Adern ergoß; Nacht wurde es vor meinem Blick; es verließ mich die Besinnung!

*

Ich weiß nicht, wie lange ich mich in diesem Zustande befunden hatte. Als ich zu mir selbst kam, hörte ich leises Flüstern in meiner Nähe. Ich versuchte es, die Augen aufzuschlagen, vergebens. Meine Schwäche war so groß, daß ich die Augendeckel nicht zu bewegen vermochte. Ich lag sehr unbequem, auf dem Rücken, und meine gefalteten Hände hielten einen Gegenstand, den ich weder sehen, noch durch das Gefühl mir erklären konnte, was es eigentlich sey. Auf dem Haupte drückte mich ein schwerer, kalter Reif, um meinen Hals schlang sich ein kühles Band, und umsonst bemühte ich mich, meine Hände von dem Gegenstande, den sie hielten, loszumachen, um mich zu überzeugen, was mit mir geschehen, und wo ich denn eigentlich sey. Das Einzige, was ich mit Gewißheit zu unterscheiden glaubte, war eine blendende Helle, die mich umgab. Jetzt plötzlich verstummte das Geflüster neben mir. Ich hörte schwere Tritte sich mir nahen, Andere aus dem Zimmer schleichen, und nach wenig Sekunden fühlte ich meine Hand ergriffen, von dem Gegenstande, den sie hielt, losgerissen, und mit Küssen und Thränen überströmt. »Arme Geschiedene!« seufzte die wohlbekannte Stimme Edwards, »wohl Dir, daß Du schlummerst! wohl Dir!« Wie ein elektrischer Schlag durchzitterte mich der furchtbare Gedanke: »wehe Dir, Du bist scheintodt!« Kein Zucken meines erstarrten Körpers verrieth die Höllenpein, die bei dieser Idee mein innerstes Leben durchschauerte. Edward ließ meine Hand los, schob, wie ich nun wohl bemerkte, die Bibel zwischen meine wieder gefalteten Hände, und stammelte: »Vergieb, und ruhe in Frieden!«

Eine weibliche Stimme schlug in diesem Augenblick an mein Ohr. Eine Stimme, süß und wohlklingend, wie ich noch nie eint vernahm, und dennoch durchdrang der Ton wie schneidendes Jammergeheul meine Seele.

»So läßt Du denn auch die Todte nicht, so hält Dich selbst diese Leiche noch fest mit unauflöslichen Banden?« Dies waren die mir ewig unvergeßlichen Worte, welche die weibliche Stimme sprach.

»Du bist grausam, Bianka,« entgegnete Edward. »Hab' ich Dir nicht Alles geopfert? Kannst Du diese Leiche noch beneiden um den letzten Rest der Theilnahme, der für sie zurückblieb in dem Gemüth eines Treulosen? Was ist Deinen Wünschen nun noch im Wege? Hab' ich Dir nicht geschworen, auf immer in Deinem Vaterlande zu bleiben? Steht nicht auch dies edle Herz still, das der Kummer um mich brach, und löst sich nicht mit der ersten Schaufel Erde, die diesen Sarg bedecken wird, auch das letzte Hinderniß los, das zwischen unsere unauflösliche Vereinigung sich drängen konnte? So laß mich wenigstens der Mutter meiner Kinder, der einst über Alles Geliebten die letzten Thränen weihen! Ehre meinen Schmerz. Ist dieses Eine noch vorüber, so bin ich ja doch Dein auf immer.«

Ich hörte, wie Edward das Zimmer verließ. Darauf klang es mir, als vernähme ich lautes Schluchzen, und nach wenig Sekunden sprach die unangenehm schnarrende Stimme eines, wie mir schien, betagten Weibes: »Bianka, befällt Dich der Wahnsinn! Du weinst, Du, deren Auge nie Thränen kannte? Ich bin doch, beim Himmel! neugierig, wie tief Du noch sinken wirst durch Deine rasende Leidenschaft für diesen Menschen?«

»Soll ich nicht weinen,« flüsterte die süße Stimme wieder, »siehst Du nicht, daß selbst ihre Leiche noch mehr Anziehungskraft für ihn besitzt, als mein liebeglühendes Auge; gedenkt Du nicht des Zustandes, in dem ich bin? Was soll aus mir werden, wenn vielleicht Reue und Schmerz über ihren Tod den Zauber lösten, den meine Hingebung um ihn schlang. Ich kann, ich will nicht leben, beladen mit Schande und getrennt von ihm. Hat er aber die Gattin verlassen, die im Tode noch reizend hier vor uns liegt, wer bürgt mir seine Treue!«

Ein widerlich heiseres Lachen der Alten schlug an mein Ohr. »Ich bürge Dir seine Treue, mein Töchterchen! Hast Du nur Muth, das Mittelchen anzuwenden, so hält er an Dir, fester als wär' er mit Eisen Dir angeschmiedet.« In diesem Augenblick vernahm ich Schritte, welche sich nahten; die Alte flüsterte noch: »Nur um Mitternacht ist es ausführbar, nur die Mitternacht giebt dem Zauber Kraft. Nur Muth, mein Kind! denn Du hast ihn nöthig.«

Jetzt ward Alles still. Man trat zu dem Sarg, schweigend ward das Sammtpolster unter meinem Haupte hinweg gezogen; eine seidene Decke legte sich verhüllend über meine Gestalt, unter schweren Athemzügen wälzte man einen weitgewölbten Deckel über mich, und mit fürchterlichen Schlägen hörte ich das Grab über mir sich schließen. Vergebens bemühte ich mich unter unaussprechlicher Pein, ein Zeichen des Lebens zu geben; der Sarg erhob sich, und ich fühlte mich die Treppen hinabgetragen; wohlthätige Nacht umschleierte meine Sinne.

*

Ein donnerähnliches Getöse weckte mein schlummmerndes Bewußtseyn, es klang, als stürze eine Lawine über mir zusammen, und mit Todesschauern durchdrang mich der Gedanke: »Es ist die Erde, welche sich Felsen gleich auf Dich wälzt, Du bist lebendig begraben!« – Noch jetzt durchrieselt Eiseskälte mein Gebein bei dieser gräßlichen Erinnerung. Es war dichte Nacht um mich, in mir. Der Wahnsinn wüthender Verzweiflung, das Gefühl des grausenvollen Endes, welches meiner wartete, ergriff mich mit einer solchen Gewalt, daß der Todesschweiß in Strömen aus meinen erstarrten Gliedern hervorbrach, dennoch vermochte ich noch immer nicht mich zu bewegen, die Seele war wach und lebendig, der Körper todt, regungslos. Gräßliches Empfinden des lebendigen Geistes in einem erstorbenen Leibe! Alle Hoffnung auf die Unsterblichkeit der Seele, auf ein ewiges Leben verließ mich, ich vermochte nicht zu beten, denn ich glaubte in diesen fürchterlichen Augenblicken an keinen Gott mehr; die Idee bemächtigte sich meiner, meine Seele sey festgebannt an diesen starren Körper, sey verscharrt in den Schooß der Erde mit dem Leib, und könne nie mehr des ewigen Heils theilhaftig werden, – ja der Gedanke, daß ich vielleicht ewig so liegen müsse, lebendtodt, wuchs riesenhaft in meiner Seele, und bemächtigte sich wie ein tausendarmiger Polyp meines ganzen Wesens, alle Fasern meines Gehirns umspinnend. Ich sah schon, wie giftiges Gewürm aus meinem eignen Selbst sich erzeugte, um mich zu verzehren, wie mich so regungslos die feuchte, moderige Verwesung fraß, indeß meine lebende Seele mit voller Denkkraft in dem morschen, zerfallenden Schädel hause. Näher und näher kam der Augenblick, wo mich Raserei ergreifen, und meinen noch gesunden Geist zerrütten mußte. Ich weiß nicht, wie lange ich so in gräßlich dumpfem Brüten gelegen haben mochte, da weckte mich der brennendste Durst aus dem Gewirre des Wahnes, der mich umfing, und mit dieser Empfindung schwanden auch alle jene Gedanken und Bilder, denn das unläugbare Gefühl meiner Menschlichkeit gab mich der fürchterlichen Gegenwart zurück – mein Körper hatte noch die Bedürfnisse des Lebens – also war ich noch nicht gestorben, nur Mangel an Licht und Luft, nur das Gräßlichste, der Hungertod, konnte das eiserne Band zerreißen, das meine verzweifelnde Seele in dem begrabenen Leib festhielt. Diese Vorstellung wälzte sich nun schwerer, als die Erde über mir, auf meine regungslose Brust, und zum erstenmal erhob sich mein Gedanke zu Gott – ich flehte: »Gieb mir den Tod, Allerbarmer, der Tod ist ja die größte Wohlthat der Natur!« – O wie tief war ich in diesem Augenblicke durchdrungen von der Seligkeit, welche in dem Worte: » Vernichtung,« liegt.

Da war mir plötzlich, als vernehme ich ein Geräusch über meinem Haupte. Ich sammelte meine zerrütteten Sinne, ich traute dem leicht getäuschten Ohr nicht, doch, doch – es wurde über mir eifrig gegraben, ich hörte schon zuweilen das dumpfe Anschlagen der Schaufeln an dem Deckel meines Sarges. – »Das ist Edward, er rettet mich!« Der Gedanke schoß wie ein Gluthmeer aus meinem Gehirn durch die erstarrten Glieder hin, und als wäre eine leuchtende Sonne in dem Kern meines Herzens aufgegangen, so drangen aus diesem tausend glühende Strahlen mir durch's Gebein. Es giebt keine Beschreibung, kein Wort in irgend einer Sprache, die auf Menschenzungen wohnt, um das Gefühl zu bezeichnen, mit welchem ich jetzt den Sarg sich heben fühlte, sich wieder etwas senken, dann dumpfes Hämmern vernahm, und nun plötzlich der Deckel sank, die seidene Hülle von mir genommen ward, und kalte Nachtluft über mein Antlitz hinstrich. Wäre mein Körper nicht wie mit eisernen Banden von der Starrsucht umkrampft gewesen, ich hätte in diesem Augenblicke Herr meiner Bewegung werden müssen. Doch Gott hatte es anders beschlossen.

Wie male ich mein Empfinden, als ich die süße weibliche Stimme von diesem Morgen vernahm, und folgende leise, aber deutlich gesprochene Worte unterschied: »Wie – ich – ich selbst muß die gräßliche That vollbringen?« – worauf die Alte, deren ich früher schon erwähnt, erwiederte: »Du selbst nur kannst es, soll der Zauber binden; ich thäte es gern für Dich, aber dann fruchtet es nicht. Was ist's denn auch so Gräßliches, aus einem todten Körper das Herz zu lösen? Hast doch Du sie nicht gemordet, und empfindet doch die Leiche kein Weh dabei. Zögere nicht lange – horch', eben hebt der Zeiger aus, so lange die Mitternacht vom Thurme zu San Giovanni klingt, muß die That geschehen. Vergiß aber nicht, leise das Gebet zu sprechen, das ich Dich gelehrt, und hüte Dich bei dem Kreuzschnitt über die Haut das Herz zu verletzen; ritzt die Spitze Deines Messers auch nur die kleinste Wunde hinein, so kann der Zauber nimmer wirken.«

Jetzt zitterte der erste Schlag der Uhr mit dumpfem Klang durch die Stille der Nacht; mir war's, als sey es die Posaune des Weltgerichts, als müßten rings um mich die Gräber ihre Todten ausspeien, als müßten sie die Knochenarme schwingen, mich zu retten; mir war, als müsse der Allmächtige selbst erscheinen im Sturm seines Grimms, um die Verbrecher-Faust zu halten, die über meinem zuckenden Herzen schwebte. Doch Alles blieb still, der zweite Glockenschlag ertönte, und jetzt trennte ein rascher Schnitt mein Gewand von dem Busen, regungslos harrte ich dem Todesstoß entgegen.

*

Ein brennender Schmerz in der Gegend des Herzens durchzuckte mich. Ich fühlte glühend heiß einen Blutstrom meinen Körper benetzen, und wie von einem eisernen Reife befreit, durchströmte meine Glieder Gefühl und Bewegung. Dies Alles war das Werk weniger Sekunden. Blitzschnell erhob ich mich, die rechte Hand auf den Sarg stützend, und hochaufgerichtet stand ich plötzlich vor der Verbrecherin. Diese fuhr bei meiner ersten Bewegung entsetzt zurück, und starrte mich aus weit geöffneten Augen an; eine Marmorblässe bedeckte ihre Züge, das blutige Messer entfiel ihrer Hand, ihre Lippen öffneten sich zu einem Ruf; doch kein Laut drang aus ihrer Brust hervor. Die scheußliche Alte, in der Rechten eine Fackel haltend, die sie mit blutrothem Scheine übergoß, mit der Linken sich im Zurückweichen auf einen Leichenstein stützend, stammelte mit heiserer Stimme: »Die Todten stehen auf!«

»Ungeheuer, was willst Du mir?«

Diese Worte waren die ersten, welche sich meiner lang gefesselten Zunge entwanden. Der furchtbare Krampf, welcher mich gelähmt hatte, mochte meinen Nerven ungewöhnliche Spannkraft verliehen haben; denn meine Stimme tönte dumpf durch die Stille der Macht, und mich selbst durchschauerte ein unheimliches Gefühl bei den Lauten, mit welchen ich jetzt rief:

»Hebe Dich von hinnen, frevelnde Ausgeburt einer finstern Macht!«

Noch immer starr und unbeweglich stand Bianka mir gegenüber. »Die Todten stehen auf!« heulte sie jetzt mit fürchterlicher Stimme, ihr Antlitz verzerrte sich in wahnsinnigem Grinsen zur Fratze, und entsetzt riß sie die Alte von dannen. Ein helles, fürchterliches Gelächter schallte aus ihrem Munde über die Gräber bin. Lauter und lauter ward der greuliche Ton, und noch aus weiter Ferne vernahm ich das erschütternde Kennzeichen des schnell eingetretenen Wahnsinns. Jetzt endlich ward Alles still. Die Spannung, welche mich früher aufrecht erhalten hatte, verließ mich; ermattet sank ich auf den Sarg. Meine erste Sorge war, mit dem Schleier, der mein Haupt bedeckte, die Wunde zu verbinden, aus welcher mein Blut fortwährend hervorströmte. Ein langer, mit Vorsicht geführter Schnitt hatte zwar nur die Oberfläche der Haut verletzt, aber dennoch empfand ich einen heftigen brennenden Schmerz in der Seite. Es dauerte lange, bis ich mich so weit erholte, um meine Umgebung zu betrachten. Zu meinen Füßen stand eine kleine noch brennende Blendlaterne, mit welcher wahrscheinlich die Fackel entzündet worden war, die zu dem Frevel leuchten sollte. Zwei Schaufeln, mehrere Stricke und andere Geräthschaften lagen nicht weit vom geöffneten Grab. Die Nacht war kalt; ich wickelte mich in die seidene Decke, welche früher meinen Körper umhüllt hatte, und der Gedanke: was soll nun mit Dir werden? beschäftigte meine ganze Seele. Ich versank in tiefes Sinnen. Jetzt kündete die Uhr auf San Giovanni die erste Stunde des Morgens an, und hellleuchtend, wie das mildstrahlende Antlitz der ewigen Erbarmung, trat die volle Mondesscheibe hinter der Kirche hervor. Wie mit Tageslicht übergossen lag der stille Friedhof mit seinen prächtigen Denkmälern vor mir.

Da war mir plötzlich, als rege sich etwas in dem geöffneten Grabe, ich heftete meinen Blick fest auf die Grube, welche mich noch kaum umschlossen hatte, und ein bleiches, vom Mondlicht verrathenes Gesicht sah staunend zu mir auf. »Sie leben. Madonna – Sie sind kein Geist?« tönte mir's entgegen, und mit zwei Sätzen sprang ein Mann aus dem Grabe, sank zu meinen Füßen und fuhr flehend fort: »O erbarmen Sie sich, wenn Sie mich verrathen, bin ich verloren. Ich bin der Todtengräber; das Gold der Alten blendete mich, ich habe sechs Kinder – ich wußte auch nicht, was man eigentlich mit Ihnen wolle. Die Junge hatte mir geschworen, man wolle Sie nicht berauben – und hundert Sechinen sind viel Geld – da half ich denn! Als Sie lebendig wurden, hielt ich Sie für einen Geist, sprang zurück, und stürzte in das offene Grab! Wenn Sie verrathen, daß ich der alten Hexe beigestanden, bin ich vernichtet!« Ich hörte ihm aufmerksam zu. Mein Entschluß war gefaßt. Ich erhob mich, hüllte mich fester in die seidene Decke, gebot ihm, mich zu begleiten, und stillschweigend meinen Winken zu gehorchen, wenn er mein ewiges Schweigen erkaufen wolle. Er war zu Allem bereit. »So führe mich nach Deiner Wohnung,« befahl ich ernst. Er reichte mir zitternd den stützenden Arm. Ich empfahl mich dem Ewigen, der mich so wunderbar gerettet, ergriff die Blendlaterne und schritt zwischen den Gräbern hindurch, dem Ausgange zu. Der Entschluß hatte meiner Seele, meinem Körper Stärke verliehen; nach wenigen Minuten nahm uns die armselige Hütte des Elenden auf, der durch ein Verbrechen mein Retter geworden war.

*

Der schwere Reif um mein Haupt, das kühle Band, welches sich um meinen Hals schlang, war das Hochzeitgeschenk meiner Aeltern, ein Diadem und Collier von Brillanten, welche der stolze Lord seiner verrathenen Gattin mit in's Grab gegeben hatte. Es gab mir jetzt die Mittel, dem Treulosen zu lohnen. Mateo, so hieß der Todtengräber, senkte erst den Sarg wieder in das leere Grab, vertilgte jede Spur der nächtlichen That, dann eilte er, sobald der Tag anbrach, nach der Stadt, und brachte mir für einen kleinen Stern aus dem Stirnbande, welchen ein Jude erkaufte, an tausend Zechinen heim. Alles ward nun zu meiner Flucht geordnet. Mateo segnete mich tausendmal dafür, daß ich ihm versprach, für Neapel todt zu bleiben. Vor seinen Kindern tief versteckt, von seinem klugen Weibe gepflegt, harrte ich in fieberhafter Ungeduld auf die kommende Nacht, um den Plan, den ich gefaßt, zu vollführen. Meine Wunde schmerzte mich nicht mehr, meine Kraft war zurückgekehrt, ich war entschlossen. Ewige Trennung von dem Unwürdigen, der mich so beispiellos verrathen, und Wiedervereinigung mit meinen Kindern, dies waren die einzigen Gedanken, für welche Raum in meiner Seele war; dafür wollte ich Alles wagen, und nichts vermochte diesen Entschluß zu erschüttern.

Die Mitternacht tönte vom Thurm, als ich, auf Mateo's Arm gestützt, den verhängnißvollen Weg antrat. Noch umhüllte mich die seidene Decke aus dem Sarge und das weiße Todtenkleid. Nach einer Viertelstunde standen wir vor dem Portal meines Hauses, ohne daß uns in den menschenleeren Straßen auch nur das kleinste Hinderniß entgegen trat. Ich gebot meinem Begleiter, sich hinter einer Säule zu verbergen, bis ich seiner weitern Hülfe bedürfen würde, dann trat ich zu dem Fenster des Portiers, und pochte leise. Niemand hörte mich. Die Zeit verstrich, die Glocke wollte ich nicht ziehen, und so blieb wir keine Wahl, ich schleuderte einen Stein nach dem Fenster, es zersprang klirrend, und nach wenig Augenblicken kam der Kopf Giacomo's schlaftrunken zum Vorschein.

»Oeffne schnell!« rief ich befehlend.

»Alle gute Geister,« stammelte Giacomo, und schlug ein Kreuz, vom Fenster zurückfahrend. Ich rief ihm nach: »Oeffne, oder Du bist des Todes!« Nach wenig Augenblicken rasselten die Riegel. Die Pforte that sich weit auf, mit Riesenschritten floh Giacomo in sein Zimmer zurück, und stammelte bebend ein Gebet. Mit beflügelten Sohlen eilte ich die Treppe hinan. Dumpfe Ruhe lag über dem Hause verbreitet. Die Lampen in den Corridors waren verlöscht. Das Mondlicht fand nur sparsam seinen Weg durch die dunkeln Höfe; ungestört wandelte ich meinen Pfad. Jetzt stand ich vor Edwards Kabinet – ich wollte vorüber schleichen, da vernahm ich Stimmen, laut und deutlich; mit Entsetzen gewahrte ich, daß die Thür nur angelehnt sey, ein heller Lichtschein fiel auf den dunkeln Gang – mein Fuß haftete wie angeschmiedet am Boden, ich vermochte, gelähmt von Schreck, nicht vorwärts, noch zurück zu gehen. – »Um aller Heiligen Willen,« klang Edwards Stimme, »laß ab von mir, komme zu Dir – Du machst mich rasend mit Deinem tollen Wahnsinn!«

»Nein, nein,« klagte eine weinerliche Stimme, »nicht wahnsinnig – dort, siehst Du denn nicht, bist Du blind, dort steht sie ja die hohe Leiche im weißen Todtenkleide! Die blut'ge Wunde – weh, die Wunde – sieh, sieh, sie zeigt darauf – hu, die Brust ist leer, ich habe ihr das kalte Herz heraus gestohlen!«

Jetzt vernahm ich ein krasses, fürchterliches Lachen; darauf Edwards Stimme, die in wildem Jammer aufschrie. Ich hatte genug gehört, um zu begreifen, wie furchtbar hier die rächende Hand des Ewigen gewaltet; es riß mich mit Gewalt von dannen, die wohlbekannten Gänge entlang. Vor dem Schlafgemach meiner Kinder stand ich endlich still, mein Athem stockte, meine Kniee wankten. Da vernahm ich die klagende Stimme meiner Bella. Jetzt faßte ich mit kräftiger Hand das Schloß, und trat entschlossen ein. Die Amme lag laut schnarchend im tiefsten Schlafe auf dem Sopha. Ich nahte mich dem Lager meines jüngsten Kindes. Auf Bella's Wangen brannte Fiebergluth. Mein Julius schlummerte süß. »Mama, Wasser!« rief die Klein stöhnend, und streckte mir beide Arme entgegen. Das Herz in meiner Brust drohte zu zerspringen. Ich reichte ihr das Verlangte, dann riß ich mir die seidene Decke von den Schultern, erhob das Kind, und verhüllte es sorgfältig. Mit einem Kuß erweckte ich Julius, der mich erwachend mit großen Augen anstarrte. Ich gebot ihm zu schweigen. Mit Blitzesschnelle hatte ich ihn bekleidet, und ehe die treulose Amme ahnen konnte, was geschehen, lag schon das düstre Zimmer hinter mir. Bella ruhte an meiner Brust, und Julius schlich still und folgsam an meiner Hand dem Ausgang zu; unbemerkt waren wir vom zweiten Stock in den ersten zurück gelangt; mit leisem Schritt und bebendem Herzen wollte ich wieder an Edwards Kabinet vorüber gehen. Da öffnete sich plötzlich die Thür, einen silbernen Armleuchter in der Rechten, trat Edward aus dem Gemach. An seiner Brust lehnte bleich und zusammen gebückt die greuliche Bianca mit Zügen, aus denen der Wahnsinn blickte, sein linker Arm hielt sie umfaßt; er trug sie mehr, als sie ging. Das Licht fiel auf mich.

Bianka stieß einen schneidenden, durchdringenden Schrei aus, rief: »Siehst Du sie?« und glitt an ihm nieder zur Erde. Mein Gatte starrte, zu Schnee verbleicht, eine Sekunde lang in mein Antlitz, dann sank er an den Thürpfosten zurück, und mit dem Ausrufe: »Entsetzlich, jetzt sehe auch ich sie!« entfiel der Leuchter seinen Händen; die Lichter erloschen, Dunkelheit umgab uns wieder; ich schlang meine Linke um Julius, und floh, von Todesangst getrieben, aus dem Hause.

*

Zwischen jenen Schreckensnächten und der Zeit, welche dieses Kapitel beschreibt, liegen vier lange Jahre. Meine Wunde war zu unbedeutend, um meine Flucht aus Neapel lange verhindern zu können. Durch Mateo's Schlauigkeit und seinen Wunsch, mich je eher je lieber scheiden zu sehen, gelang alles über Erwarten; reich beschenkt verließ ich den Mann, dessen Vergehen mich von dem schauderhaftesten Tod errettete, er hatte wahrlich redlich wieder gut gemacht. Ohne Aufenthalt flog ich mit meinen Kindern durch Italien, endlich nahm mich der Ort auf, wo ich mein ferneres Geschick erwarten wollte, Genf. Ein liebliches Landhaus an den reizenden Ufern des herrlichen Sees, umschloß die Lebendigtodte, und mit Sehnsucht harrte ich. auf Nachrichten von meiner Mutter, deren Rath mein weiteres Thun bestimmen sollte. Endlich kamen Briefe von der theuern, geliebten Frau. Die Nachricht meines Lebens hatte sie glücklicher Weise früher erhalten, als die Kunde von meinem Tode; mein Gatte hatte lange gezögert, die unglücklichen Aeltern mit dem Schlag bekannt zu machen, der sie getroffen. Edward hatte an meinen Vater geschrieben, einen Brief voll Schmerz und Verzweiflung, ihm mein schnelles Ende und seinen Entschluß mitgetheilt, in fernen Welttheilen Zerstreuung und Seelenruhe zu suchen. Von meinen Kindern nicht ein Wort. Seinen Geschäftsmann hatte er in wenig Zeilen aufgefordert, ihm seine Revenüen auf fünf Jahre im Voraus zu senden, und war, wie wir nachher erfuhren, sogleich nach Empfang der Wechsel aus Neapel verschwunden, wohin, wußte Niemand. – Die erste Sorge meines Vaters war, die Todesnachricht für ungegründet zu erklären, und mir einen Befehl zu senden, augenblicklich nach London, in das väterliche Haus zurückzukehren.

Mit welchen Gefühlen sah ich nach wenig Wochen die englische Küste aus den Nebeln heraufsteigen, die sie umhüllten. Vor drei Jahren hatte ich glücklich und geliebt von dem Liebenswerthesten seines Geschlechts diese Insel verlassen – verrathen von ihm, den ich angebetet, mit seinen verwaisten Kindern am gebrochenen Herzen, kehrte ich heim! – Meine Thränen flossen unaufhaltsam.

Ich fand meine Mutter kränker, als ich gefürchtet hatte; tief erschüttert schloß sie mich in ihre Arme, sie vermochte nicht zu sprechen. Mein Vater legte segnend die Hände auf mein Haupt, sah mir lange in die trüben Augen, und sprach: »Deine verfallenen Züge sprechen es aus, was Du gelitten, aber der Herr hat Dich uns gnädig erhalten, er segne Deinen Eingang, mein geliebtes Kind!« – Und Gott segnete, denn mein krankes Gemüth genaß sichtlich in dem lieben Kreise der Meinen, auch meine Mutter erholte sich mehr und mehr bei meiner Pflege, und die friedliche Stille, welche mich in meinen alten Zimmern umgab, stimmte meinen Geist bald zu einer sanften Trauer, zu einer unerklärlichen Sehnsucht, welcher ich vergebens einen Namen zu geben suchte.

Mein Vater hatte fast in allen bedeutenden europäischen Blättern Edward aufgerufen, seinen Aufenthalt anzuzeigen, weil wir glaubten, seinem gequälten Vaterherzen die Nachricht von dem Leben seiner Kinder schuldig zu seyn, und weil der Herzog seine Tochter nicht länger als Lady Darnford erblicken wollte; eine Scheidung war unabänderlich beschlossen. Doch Edward war und blieb verschwunden, ohne ferner ein Lebenszeichen zu geben.

Eines Tages saß ich an dem Lager meiner Mutter, sie begann – was sie selten that – mit mir über das Verhältniß zu meinem Gatten zu sprechen, und fragte mich plötzlich: »Sprich, Sidonia – ist alle Liebe in Deiner Brust für ihn erloschen, glaubst Du ihn ganz vergessen zu können?«

Diese Frage hatte ich mir selbst noch nicht gemacht, ich erglühte überrascht, und senkte den Blick zur Erde. Meine Mutter betrachtete mich schweigend, dann fuhr sie seufzend fort: »O meine Sidonia, Du bist nicht geheilt – ich kenne das weibliche Herz – ich kenne die Gefühle einer Mutter; Edward ist der Vater Deiner Kinder – er wird Dir nie gleichgültig werden!«

»Können Sie glauben, meine Mutter, daß ich meine Ehre so ganz vergessen könnte –«

»Stille, meine Tochter,« unterbrach mich meine Mutter ernst; »es ist Zeit, daß ich Dir's sage, Du hast nicht gehandelt, wie Du solltest!«

Ich horchte hoch auf, und erhob stolz das Haupt; meine Mutter fuhr fort, ohne sich stören zu lassen: »Wärst Du in jener Nacht mit der blutenden Wunde vor den Verführten hingetreten, hättest Du ihm die grauenvollen Stunden geschildert, welche sein Vergehen Dir bereitet, hättest Du ihm das Weib, für welches er brannte in sündiger Gluth, in ihrer wahren Gestalt gezeigt, so wäre Edward reuig zu Deinen Füßen gesunken – hätte seinen Irrthum erkannt, und Deine Kinder hätten einen Vater, Du den Gatten noch!«

»Wie,« rief ich außer mir, »ich sollte leben können mit einem Treulosen, der mich so schmählich verrieth? Nimmermehr, ich kann nicht lieben, wo ich zu achten aufgehört!«

»O mein Kind, das Weib kann viel, wenn es alle Pflichten erfüllen will, die ihm wurden – es kann und soll vergeben und vergessen. Erinnerst Du Dich jener unglücklichen Claire? Sie trug ein Kind unter ihrem durchbohrten Herzen, ich hatte es durch ein Zeitungsblatt erfahren, ganz London wußte es – Dein Vater war ihr Verführer gewesen! Ich nahm den Verzweifelnden damals liebend und verzeihend an mein zerrissenes Herz, sein Geist kam nach und nach von dem Irrwege zurück, und nie war unsere Ehe so ganz glücklich gewesen, nie hatte er mich so geliebt, als seit jenem Unglück, das unsre Seelen im tiefsten Grund erschüttert hatte!«

Ich stand auf, und verließ halb vernichtet das Gemach; ich hatte einen tiefen Blick in mein Inneres gethan, ach ich fühlte es längst, es hätte alles anders kommen können; jetzt verstand ich die stille Trauer meines Gemüths, jetzt hatte meine unerklärliche Sehnsucht einen Namen. – Je mehr seine Spur verschwand, je mehr jeder Hoffnungsstrahl erlosch, den Verblendeten jemals wieder zu sehen, je mehr schwand mir die Erinnerung an das Unrecht, welches ich erlitten hatte, und nur der Verlust war noch deutlich in meiner Seele.

*

So waren Jahre dahin geschwunden, meine Kinder blühten im frischesten Jugendglanze, und der Wunsch: »Könnte Edward sie sehen!« stieg wieder und immer wieder in mir auf, und ward so mächtig, daß ich ihn oft mit heißen Thränen bekämpfen mußte. Ich verschwieg meiner Mutter den Zustand meines Innern, aber sie durchschaute mich nur zu gut.

Der vierte Herbst, seit ich von Edward getrennt lebte, neigte sich eben dem Ende zu, als mich ein ungewöhnlich schöner Nachmittag in's Freie lockte. Die Kinder hatten mich den ganzen Tag mit Bitten gequält, und so fuhr ich nach James-Park, ließ den Wagen warten, und ging mit ihnen tiefer in den Garten. Julius sprang mit seinem kleinen Hund munter voran, und Bella, ihre Puppe im Arm, trippelte seelenvergnügt neben mir her. Eine Bank, von noch ziemlich grünem Laubwerk umgeben, winkte uns einladend; ich mußte mich setzen, um alle die Gräser und Blätter in Empfang zu nehmen, welche die Kinder mir nun brachten. Ich saß wohl eine gute Weile, da gewahrte ich, von der entgegengesetzten Seite der Allee kommend, einen hohen Mann, dessen Züge mir von fern nicht fremd schienen; an seinem Arm hing eine seltsam gekleidete Frauengestalt, welche mit matten, unsichern Schritten neben ihm her schwankte. Ich sah dem Paare entgegen, und bemühte mich, den Mann zu erkennen, der mir in Gang, Miene und Haltung etwas so unendlich Bekanntes zu haben schien. Jetzt kamen sie näher, seine Blicke richteten sich wie suchend auf die Bank, und wie ein Blitz durchzuckte mich's – es war Edward – es war mein Gatte, der jetzt gerade auf mich zukam; kaum hatte ich so viel Besinnung, einen lauten Schrei zu unterdrücken, und den Schleier, der über meinem Strohhut hing, vor das erbleichende Gesicht zu ziehen.

»Sie erlauben?« fragte jetzt die wohlbekannte, einst so geliebte Stimme, und ohne mich anzusehen, flüchtig grüßend, nahm er auf der Bank neben mir Platz, und zog die Dame neben sich.

Ich athmete kaum, er bemerkte mich nicht weiter, meine Blicke hefteten sich fest auf das Frauenzimmer. Ein langes faltiges Gewand von schwarzer Seide umfloß einen, wie es schien, von schwerer Krankheit abgemagerten Körper, ein schwarzer türkischer Shawl hing nachlässig um die schmalen Schultern, ein Hut von gleicher Farbe, abenteuerlich von einem langen schwarzen Schleier umwallt, beschloß den seltsamen Anzug. – Als sie sich gesetzt hatte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus, wie bei gänzlicher innerer Ermüdung, dann nahm sie wie mechanisch den Hut ab, und ein leichenhaftes, bleiches, abgezehrtes Antlitz, in dem nichts zu leben schien, als ein Paar tiefliegende schwarze Feueraugen, erweckte fürchterliche Erinnerungen in mir, und riß alle meine Wunden wieder auf. – Wohl zehn Minuten saßen wir drei so unbeweglich neben einander; Edward starrte schweigend vor sich nieder, die Fremde sah mit kurzen schweren Athemzügen, die aus einer kranken Brust zu kommen schienen, zum Himmel auf, und ich hatte nicht Muth, noch Kraft, mich von der Stelle zu bewegen.

»Bianka, hast Du nun geruht?« fragte endlich mein Gemahl. – Wie ein Dolchstich drang der Name in mein Herz; aber ein Blick auf die Elende, die mir seine Treue gestohlen hatte, entwaffnete meinen Groll – sie war das Bild des rächenden Gewissens; keine Spur mehr von der Schönheit, die mich selbst in jenen fürchterlichen Augenblicken überrascht hatte, die Blüthen dieser üppigen Gestalt waren abgestreift, ein markloses Gerippe, ein wandelnder Schatten saß vor mir.

»Noch nicht, noch nicht!« stammelte sie mühsam und heiser – auch der süße Ton war verklungen, der ihn einst vom Herzen seines Weibes hinweg gelockt; eine tiefe, mir unbegreifliche Wehmuth zog durch meine Brust. Da flog mein Julius heran, der zwanzig Schritte von uns sich mit Bella im Grase herumgejagt hatte, und brachte mir triumphirend einen verspäteten Schmetterling, den er gefangen; sein Gesicht glühte, die langen Locken flogen in reizender Unordnung um seine Stirn.

»Mutter, sieh nur!« rief er mir zu, doch schnell verstummt sah er bald mich und bald die Fremden an, und wollte nicht heran treten.

»Welch ein schönes Kind!« seufzte jetzt mein Gemahl, Julius die Hand entgegen streckend; dieser aber fuhr zurück, und fragte, sich an mich schmiegend: »Mutter, wer ist der bleiche Mann und die kranke Frau?«

Edward sah den Knaben wehmüthig an, schüttelte den Kopf und stand auf. Ich konnte ihn jetzt erst recht betrachten, er trat vor Bianka hin. Wie tief rührte mich die Blässe, das tiefe Leiden, das in seinen Zügen lag, und wie schön war er noch immer.

Bianka sah unbeweglich in die Höhe.

»Komm, Bianka!« sprach er sanft.

»Noch nicht!« entgegnete sie wieder.

»Was starrst Du so nach dem Himmel! Komm!«

»Du hast mich betrogen, das ist nicht Italiens Himmel, den Du mir versprachst!«

»Du bist seit sechs Stunden in London.«

»Sechs Stunden schon?«

»Habe Geduld, Bianka, in wenig Tagen gehen wir nach Deinem Vaterlande.«

»Tage lang noch in dieser feuchten, dumpfen Luft – o so lange kann ich nicht leben unter dieser Nebeldecke – fort, fort!«

»So komm denn endlich!«

Sie wollte sich mit seiner Hülfe erheben, doch matt sank sie wieder auf die Bank.

»Es geht noch nicht,« sprach sie, schwerer athmend.

Edward schlug die Hände zusammen, aber nicht ungeduldig, sondern wie in tiefem Schmerz. – Bella war indessen heran gekommen, hatte mich, wie sie nachher versicherte, dreimal angerufen, und da ich nicht antwortete, so lange an meinem Schleier gezupft, bis mir Hut und Schleier vom Haupte fielen; ich war so mit der Gruppe neben mir beschäftigt, daß ich erst zur Besinnung kam, als mich Edward plötzlich anstarrte, und mit dem Ausrufe: »Sidonie!« entsetzt zurückfuhr. In demselben Augenblicke erhob sich Bianka, sah mir mit weit offnen Augen, wie fragend, in's Antlitz, stammelte: »Sidonie – zum drittenmal – dies ist – mein Tod!« und sank leblos zu meinen Füßen nieder.

*

Vergessend, was sie mir gethan, beugte ich mich über die Gefallene, und versuchte Alles, sie zur Besinnung zu bringen; mit Schaudern stieß ich endlich die Worte hervor: » Sie ist todt!«

Edward, welcher in schweigendem Staunen unthätig neben mir gestanden, rief jetzt: »Auch ihre Stimme – Sidonie, Du lebst?«

»Ich lebe, Mylord!« stammelte ich kalt, und beugte mich tiefer auf die Leiche, um zu verbergen, was in meinem Innern vorging.

»So habe ich Sie nicht gemordet?« schrie er in wilder Freude auf, und stürzte zu meinen Füßen nieder – »o Sidonie, Sidonie, dieser Augenblick ist seit vier Jahren der erste Lichtstrahl in die tiefe Nacht endlosen Jammers!«

»Lassen Sie uns die Leiche hier entfernen,« sprach ich jetzt, mich erhebend, »sie wird nicht mehr erwachen.«

»Wohl ihr und mir!« entgegnete Edward, »wir haben beide ausgelitten.«

Mit raschen Schritten entfernte er sich nun – ich stand noch immer, unvermögend, mich zu fassen, vor der Dahingeschiedenen, und starrte in das bleiche, verfallene Antlitz. Ich neigte mich über sie, und schloß ihr die gebrochenen Augen, dann legte ich meine Rechte versöhnend auf die kalte Stirne, und sprach laut und aus tiefstem Herzen: »Ruhe in Frieden, ich habe Dir vergeben!«

»Sidonie! die Todte ist beneidenswerth!« flüsterte Edward's Stimme, der wieder neben mir stand.

Ich erhob mich, ergriff die Hände meiner Kinder, und wollte mich schweigend entfernen. Edward befahl seinen Leuten, die er herbei gerufen hatte, die Leiche in seinen Wagen zu bringen, dann wandte er sich zu mir, und fragte mich mit bebender Stimme: »Mylady! ich fühle wohl, daß ich Ihnen meinen Arm nicht bieten darf, um Sie zu begleiten, aber Sie werden nicht grausam genug seyn, mich auf immer von Ihnen scheiden zu lassen, ohne mir wenigstens das unbegreifliche Räthsel Ihres Daseyns zu lösen – wann und wo wollen Sie mir eine Unterredung gönnen?«

»Die Lösung dieses Räthsels,« sprach ich, alle meine Fassung zusammennehmend, »ist für uns beide gleich schmerzlich, ersparen Sie sich und mir eine peinliche Stunde.«

»Es ist die letzte, die ich Ihnen zu bereiten denke,« rief Edward, »in wenig Tagen verlasse ich England auf immer – ich beschwöre Sie, lassen Sie mich nicht so gehen.«

Ich stand schweigend und unschlüssig.

»Sprich doch mit ihm, Mama,« flehte jetzt Julius, »sey nicht böse, sieh, der arme Mann weint.«

Ich sah zu Edward auf, große Thränen hingen an seinen Wimpern; auch meine Blicke verdüsterten sich, denn Edward wandte die dunkeln Augen fragend auf Julius, sah ihm lange in's blühende Gesicht, und fragte dann: » Ihr Kind, Mylady?«

»Und das Ihre, Mylord,« entgegnete ich weich, »Julius und Bella stehen vor Ihnen.«

Da flammte ein Strahl unendlichen Entzückens über Edward's Antlitz, seine Lippen bebten, seine Arme breiteten sich weit aus, und mit den Worten: »Sie leben, meine Kinder!« riß er die Kleinen an die Brust, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

Bella entwand sich ihm, laut weinend vor Schreck, und Julius rief einmal über's andere: »Mama, der fremde Mann drückt mich todt!«

»Jetzt müssen Sie mich sprechen, Sidonie – sie müssen«, rief Edward aufspringend, »denn Sie nehmen einen schweren, fürchterlichen Verdacht von dem Andenken einer Hingeschiedenen.«

»Nun wohl denn,« sprach ich, mit mir selbst kämpfend, »morgen Abend um acht Uhr erwarte ich Sie.«

Edward ergriff rasch meine Hand und preßte sie an die Lippen; ich wollte mich von ihm wenden, wollte gehen, doch meine Kniee zitterten, ich vermochte es nicht. Schüchtern legte er meinen Arm in seinen; ich bebte so, daß er es empfinden mußte.

Schweigend gingen wir neben einander her, endlich, als wir vor meinem Wagen standen, fragte er halblaut, und wie mir schien, heftig bewegt: »Wohnen Sie in unserm Hotel?«

»In dem Hause meiner Aeltern,« entgegnete ich ernst, und stieg ein. Edward reichte mir die Kinder, sah mich mit einem seltsam dringenden Blick an, und der Wagen rollte dahin.

 

Was ich empfand bis zu dem Abend des nächsten Tages ich vermag es nicht zu beschreiben. Tausend widersprechende Gefühle und Entschlüsse bestürmten meine Seele; ich hatte Alles meiner Mutter mitgetheilt, sie hörte mich schweigend an, und sprach, als ich ihren Rath erbat: »Dein Herz nur kann Dir hierin rathen.«

Es schlug acht – ich war allein, meine Brust flog, mein Athem stockte, so oft ein Laut auf dem Vorsaal erklang; unwillkührlich fragte ich mich: »Wenn er nun nicht käme, wenn seine Erscheinung gestern ein Traum, ein vorübergehender Sonnenblick gewesen, seine Neugier, das Räthsel gelöst zu sehen, entschwunden wäre; wenn er London verlassen hätte, ohne –« ich erbleichte bei dem Gedanken, und erschrack zugleich bis in's tiefste Herz, daß mich der Gedanke erbleichen machen könne, da – da trat er ernst und voll Würde in den Salon. Schön und edel, wie einst, stand er vor mir, nur sein bleiches Antlitz verkündete eine lange Reihe von Schmerzen, welche an ihm vorüber gezogen. Er nahte sich mir mit vieler Förmlichkeit, es lag in seinem ganzen Wesen der Entschluß, sich heute auf immer von mir zu trennen; unfähig, Herr meiner Gefühle zu werden, sank ich sprachlos auf das Sopha, und brach in Thränen aus.

*

Edward ließ sich schweigend neben mir nieder, ergriff meine herabhängende Hand, und legte sie leise auf seine Brust; sein Herz klopfte krampfhaft, als wollte es ihm die Brust zersprengen.

Mehrere Sekunden saßen wir so, als er endlich mit einem unendlich rührenden Tone fragte: »Sidonie, werden Sie Wort halten, mir das Räthsel lösen?«

So schonend als möglich theilte ich ihm nun mit, was dem Leser bereits bekannt ist. Mit starren Blicken, mit angehaltenem Athem und mehr und mehr verbleichend, hörte mir Edward zu, seine Bewegung war unbeschreiblich; als ich zu der gräßlichen Stelle kam, wo Bianka das Herz mir aus der Brust lösen wollte, sank er plötzlich laut aufschreiend vor mir nieder, umschlang mich fest, und ich hatte Mühe, ihn wieder zur Besinnung zu bringen.

»Mylord, Sie vergessen sich und mich,« rief ich endlich, seine Arme von mir losmachend. – Langsam erhob er sich, und hörte mich zu Ende, ohne die Augen vom Boden wieder zu erheben. – Als ich geendet hatte, sprach er, sich gewaltsam ermannend: »Mylady, Sie haben Ungeheures, Unerhörtes gelitten, aber Sie haben sich fürchterlich gerächt!

Ersparen Sie mir's, Ihnen über den Anfang meiner Verirrung zu sprechen, ich werde mir selbst nie vergeben, was ich an Ihnen frevelte – um wie viel weniger können Sie es! – Dies eine nur mag meine Strafbarkeit mindern, daß ich wahrhaft bis zum Wahnsinn geliebt ward, und daß diese glühende Leidenschaft erst meine Neigung erweckte. Seit Ihrer Todesstunde hatte ich mein Haus nicht verlassen; mein Schmerz um Sie war ungeheuchelt und wahr. Den Tag nach Ihrer Beerdigung kam Bianka, mich aufzusuchen, und trat in mein Gemach, wo ich, ihr Kommen nicht ahnend, vor Ihrem Bilde saß. Nie werde ich dieses Wiedersehen vergessen. Die Unglückliche hatte den Verstand verloren. Wahnsinn sprach aus jedem Blick des irren Auges, aus jedem Worte, das ihren bleichen Lippen entfloh. Ich hielt es für eine Ausgeburt des strafenden Gewissens, daß ihre fixe Idee darin bestand, sie habe Ihren Geist gesehen, und sie habe Sie ermordet. Vergebens versuchte ich Alles, sie zu beruhigen, die Mitternacht kam heran, sie war nicht von mir fortzubringen, ich selbst, halb verrückt durch die greulichen Bilder, welche sie in ihrer Raserei mir vor's Auge brachte, entschloß mich endlich, sie mit Gewalt nach Hause zu führen. Als ich mit ihr aus der Thür meines Gemaches trat, sah ich Ihre bleiche Leichengestalt mir gegenüber stehen – ich bemerkte nicht die Kinder, die Sie, wie Sie sagen, bei sich hatten, ich sah nur Ihre ernsten geisterhaften Züge, und fest überzeugt, daß mir ein Gespenst erschienen, daß Ihre rächende Seele mich und Bianka ewig verfolgen werde, sank ich ohne Besinnung zusammen. Ein heftiges Fieber fesselte mich mehrere Tage ans Lager; als ich genaß, ward mir die gräßliche Nachricht, meine Kinder seyen plötzlich spurlos verschwunden.

Ich war der Verzweiflung nahe; die Amme warf sich zu meinen Füßen, und betheuerte mir bei allen Heiligen ihre Unschuld. Sie behauptete, ein Schlaftrunk habe sie betäubt, denn sie hätte deutlich gesehen, wie ein Weib mit den Kindern entflohen sey, wäre aber unfähig gewesen, aus ihrem Schlafe sich empor zu reißen. – Vergebens durchspähte ich ganz Neapel, vergebens bot ich Alles auf, natürlich konnte sich nirgends eine Spur der Verlornen finden. Da vertraute mir die abergläubische Amme, nachdem ich ihr erst hatte schwören müssen, sie nicht zu verrathen, daß die entsetzliche Alte, welche Bianka erzogen habe, gleichfalls verschwunden sey, und zwar in derselben Nacht, wie die Kinder, und daß sie überzeugt wäre, die böse Zauberin (dafür hielt sie das Volk) habe die Kinder entwandt, damit mich gar kein Band feßle, als die Liebe zu der schönen Bianka. Dieser Argwohn durchzuckte mich wie ein Blitzstrahl, und entzündete ein wildes Feuer in meiner Brust; ich forderte Rechenschaft von Bianka, sie verstand mich nicht, die Unglückliche blieb rettungslos von der Nacht des Wahnsinns umschleiert. Ich erfuhr, ein altes Weib in seltsamer Tracht habe sich mit zwei Kindern nach Constantinopel eingeschifft. Mein Entschluß war gefaßt, ich verließ Italien, ich durchzog die Türkei, und fand natürlich auch hier nicht, was ich suchte. Die Strafe für mein Vergehen an Ihnen führte ich überall mit mir; ich konnte die unglückliche, hülflose Bianka nicht verlassen, sie wich nie von meiner Seite, sie begleitete mich willenlos, ohne Vorwurf oder Klage, wohin ich sie führte, ihre zerrüttete Seele hatte nur Raum für zwei Gedanken: ewig sah sie Ihren strafenden Geist, und ewig zitterte sie vor dem Augenblick, mich zu verlieren. Mit dem Argwohn der rasendsten Eifersucht hütete sie jeden meiner Blicke, jede Bewegung. Als ich mich überzeugte, daß meine Kinder für mich verloren seyen, verließ ich Europa, das mich aneckelte, und segelte nach der neuen Welt; Bianka war nie ruhiger als auf der See, da saß sie mir schweigend Tagelang gegenüber, und der seltsame Glaube, Ihr Geist könne sie auf den Wellen nicht verfolgen, schützte mich wenigstens auf See-Reisen vor den fürchterlichen Ausbrüchen ihrer Raserei. – Diese vier Jahre über habe ich sie mit unendlicher, unermüdeter Geduld gepflegt, treu an ihr gehalten, obgleich seit jener Nacht, da ich Ihren Geist zu sehen glaubte, jedes zärtliche Gefühl für die Verirrte von mir gewichen war; ich betrachtete ihren Zustand und mein Verhältniß zu ihr als eine wohlverdiente Strafe, und hielt redlich aus.«

*

»Vor wenig Monden fing Bianka an, sich ihres Vaterlandes mit Sehnsucht zu erinnern, je mehr ihr Körper, von einem schleichenden Fieber verzehrt, dem Grabe zuwelkte, je mehr schien ihre kranke Seele zu genesen; sie sprach mit mir über ihre frühern Verhältnisse, ihr Vater war Arzt gewesen, hatte sich dem Wahne der Alchymie ergeben, und so sein ganzes Vermögen verschleudert. Dazu war sie von der gräßlichen Base erzogen, die den Vater schon zu seinen Irrthümern verleitet, und so konnte es nicht fehlen, daß von Jugend auf der seltsamste Aberglaube in ihrem Gemüth Wurzel schlug, und die Grundlage zu dem Wahnsinn wurde, der, wie ich nun wohl begreife, sie in jener fürchterlichen Stunde unrettbar befallen mußte. Sie war nicht böse vom Grunde aus, nur verleitet durch ihre Leidenschaft für mich und durch die gespenstische Alte – sie schauderte selbst vor ihrer That zurück; der Augenblick, wo Sie sich aus dem Sarge erhoben, mußte unter solchen Umständen ihr Gehirn zerrütten. – Ich beschloß, Amerika zu verlassen, meine Angelegenheiten in England zu ordnen, und dann die Unglückliche nach ihrem Vaterlande zu bringen, wo sie sterben wollte. Auf der Reise hieher wurde ihr Ideengang klarer, sie fing an, mir zu versichern, eigentlich habe sie Ihren Geist nur zweimal außer ihr gesehen, sonst erschienen Sie ihr immer nur in ihr – sie wisse aber gewiß, daß, wenn sie den Geist zum drittenmal in der Außenwelt erblicken müßte, würde es ihr augenblicklicher Tod seyn. Sie waren Zeuge, wie ihr Wort in Erfüllung ging. Sie hat ausgelitten, und Sidonie war edelmüthig genug, ihr gebrochenes Auge zu schließen, ihr zu vergeben. Was ich in dieser Zeit gelitten, wie Ihr Verlust, der Schmerz um meine Kinder, und die fortdauernde Gemeinschaft mit der Wahnsinnigen an mir genagt, dies verkünden meine Züge; Sidonie! Sie sind an mir gerächt.«

Er schwieg – wir saßen eine lange Weile so; mein Herz drohte zu zerspringen, als er jetzt plötzlich aufstand, vor mich hintrat, und mit dem vollen Zauber seiner wohlklingenden Stimme in mir sprach: »Sidonie, ich sehe Sie zum letzten Mal in diesem Leben, ich verdiene nicht, dieselbe Luft zu athmen, die Sie umweht; ich verlasse England auf immer. Seyn Sie großmüthig, Sidonie! lassen Sie mich nicht scheiden mit dem Gefühl, Ihre Verachtung, Ihren Groll mit hinweg zu nehmen in das lange öde Leben. Ich wage es nicht, Sie um die Rückgabe eines meiner Kinder zu bitten, ich erflehe nichts von Ihnen, als Ihre Verzeihung.«

Ich rang nach Fassung, die Stimme versagte mir, endlich brachte ich die Worte hervor: »Ich vergebe Ihnen, Mylord.«

Edward sank vor mir nieder, preßte meine Hände an seine Lippen, ich fühlte sie von glühenden Thränen überströmt; mehrere Sekunden lag er so, dann sprang er rasch auf, und eilte dem Ausgange zu. Ich empfand es in diesem Augenblick, daß ich nicht leben könne ohne ihn, daß mein Daseyn vernichtet wäre, verschwände er mir jetzt auf immer; dies Gefühl ward mächtiger in mir als die Erinnerung au die erlittene Beleidigung, an meine Leiden, unwillkührlich rief ich: »Edward, Edward! gehe nicht so von mir!«

Blitzschnell, als traue er seinen Sinnen nicht, drehte sich Edward um, und starrte nach mir hin; ich war aufgesprungen, und breitete beide Arme nach ihm aus, eine glühende Röthe flog über seine Züge, seine Arme öffneten sich, wir lagen einander Herz an Herz, ehe wir uns besannen, meine Arme schlangen sich um seinen Nacken, unsre Thränen vermischten sich, unsre Lippen wuchsen an einander fest im süßen heiligen Kuß der Versöhnung.

»Sidonie!« stammelte Edward, »Du bist wieder mein?«

»Dein!« rief ich, mein bethräntes Gesicht an seine Brust drückend.

Er preßte mich fester in die Arme, und sprach mit feierlichem Ernst: »Gott sieht herab, Sidonie, nie sollst Du diesen Augenblick bereuen.«

»Amen!« sprach die Stimme meiner Mutter neben mir, und ihre zitternde Hand legte sich segnend auf mein Haupt. »Nicht durch Rache, nicht durch Trotz soll das Weib erlittenes Unrecht vergelten, durch Duldung nur und durch Vergeben

Wir sanken Beide an die Brust der würdigen Frau, ich fühlte tief im seligen Herzen die Wahrheit ihrer Worte; eine Reihe von Jahren liegt hinter mir, und noch halte ich jene Stunde der Versöhnung für die glücklichste meines Lebens.

*


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