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In den Zeiten Ludwigs des XIV. blühten im Schönheitsgarten Frankreichs wohl tausend der schönsten Blumen, deren Farbenglanz das Auge des Sehers entzückte. Vor diesen allen aber strahlte im Hause der Grafen Lalauce eine Jungfrau in stolzer Blüthe, deren Anblick die galante Männerwelt der damaligen Zeit eben so in Extase, als ihre unschönen Freundinnen in Verzweiflung brachte. Unter den Augen eines herrischen stolzen Vaters, und unter den sorgenden Blicken einer liebenden weichen Mutter wuchs sie empor, bis in ihrem funfzehnten Jahre plötzlich der würgende Tod die Mutter erfaßte, und sie allein und ohne weiblichen Schutz an der Seite des Vaters stand, der sie über alles liebte, und dessen Geist ganz auf die Jungfrau übergegangen schien; denn neben dem unwiderstehlichen Zauberreitz der Mutter hatte sich des Vaters Stolz in gleichem Grade in ihr entwickelt. Nach einem Jahre betrat sie, vom Vater geleitet, zum erstenmale den schlüpfrigen Boden des Hofes, der schon zur damaligen Zeit der Schlingen nur allzuviel darbot, ein junges, sorgloses Herz zu umstricken. Louisens Stolz trug sie leichten Schritts über Klippen hinweg, an denen manches gleich tugendhafte Gemüth scheiterte. Sie empfing die Huldigung der Großen des Reiches liebenswürdig aber kalt, und von der unbegränzten Liebe des Vaters, von der allgemeinen Bewunderung betäubt, bemächtigte sich eine so unbegränzte Eitelkeit ihres jungen Herzens, daß sie anfing, diese Huldigungen als Tribut ihrer Schönheit zu fordern. Zu dieser Zeit erschien: ein junger spanischer Fürst an dem französischen Hofe, der mehr durch Reichthum und Liebenswürdigkeit, als durch Schönheit, die Blicke der großen Welt auf sich zog. Die Pracht die ihn umgab, die Auszeichnung, mit welcher der Monarch ihn behandelte, reitzten den Stolz Louisens; sein sichtliches Streben nach ihrer Gunst, indeß man allgemein um ihn sich bewarb, schmeichelte ihre Eitelkeit, und sie folgte bald mit des Vaters freudigem Seegen, dem entzückten Fürsten Rodrigo als Gattin an den spanischen Hof, nicht ohne einen Seufzer das schöne Paris, und alle die Triumphe, welches es sonst ihr bot, hinter sich lassend.
Ohne den Fürsten zu lieben war sie ihm eine treue Gefährtin, sie fügte sich bald in die Sitten des spanischen Hofes, und lebte auch in diesem Kreis, wenn gleich oft, mit heimlicher Sehnsucht nach der leichten frohgesinnten Unterhaltung ihres Vaterlandes – beglückt und ruhig an der Seite Rodrigos, der keine andere Pflicht kannte, als alle ihre Wünsche zu befriedigen. Fast zwei Jahre waren ihr so verstrichen, als sie an ihrem Gatten eine merkliche Veränderung wahrzunehmen glaubte. Er ward in ihrer Nähe zerstreut, oft verlegen, ihre Wünsche zu errathen schien nicht wie sonst der Zweck seines Daseyns. Er entfernte sich jetzt längere Zeit von ihr, ohne sie, wie sonst zu fragen, ob sie ihn auch nicht zu schmerzlich vermisse, kurz in seinem ganzen Wesen war eine so sichtliche Umwandlung zu lesen, daß Louise beängstet und fürchtend an ihrem Vater schrieb, und diesen um Rath fragte, da sie von Rodrigo auf wiederholte Fragen nur kurze ungenügende Antwort erhalten hatte. – Hätte sie den Fürsten geliebt, hätte sie die Liebe überhaupt gekannt, so würde ihr sein Benehmen nicht räthselhaft erschienen seyn, doch ohne Erfahrung und Menschenkenntniß war es natürlich, dass sie sich vergebens mühte die Ursache dieser Veränderung zu entdecken.
Am Hofe flüsterte man sich längst zu daß der Fürst die junge Gräfin Maria Dellarosa bis zum Wahnsinne liebe, nur Louisens Auge war mit glücklicher Blindheit bedeckt, um so mehr, da Maria die Braut von einem vertrauten Freund ihres Gatten war, und dieser Gedanke ihr als ein Verbrechen an beiden erschienen wäre. –
Jetzt plötzlich begann der Fürst wieder sie mit Pracht und Geschenken zu überhäufen, und je sichtlicher seine Gestalt verfiel, sein Antlitz verbleichte, je mehr suchte er seine junge Gattin über seinen Zustand zu täuschen. Louise konnte sich über diese neue Umwandlung eben so wenig Aufschluß geben, als über sein früheres Benehmen, und erwartete mit Sehnsucht eine Antwort auf das Schreiben an ihren Vater. Es begann sich in ihrem Innern zu regen wie leise Zweifel an des Gatten Treue, doch schnell verwarf sie diesen Gedanken, denn ihr Stolz, ihre Eitelkeit stellten sie vor dieser Möglichkeit sicher, und sie erschöpfte sich eher in allen andern Vermuthungen, als daß sie dieser Raum in ihrem Herzen gab.
Jetzt erschien die gewünschte Antwort des Vaters mit einem Brief, welchen selbiger fast zu gleicher Zeit mit Louisens Schreiben von dem Fürsten erhalten hatte. Wie ward ihr, als sie folgende Zeilen daraus las:
»Ich bin nicht glücklich, mein Vater, verschweigen sie dieß ihrer Tochter, ich bin es nicht! So wie ihrer Schönheit nichts auf Erden gleichen kann, so gleicht auch ihrem Stolze nichts, und alle Gaben der verschwenderischen Natur, mit welchen sie geschmückt ist, sie sind nur über ihren schönen Körper, über ihren Geist ausgegossen, ihr Herz blieb unberührt; Sie ist kalt, sie fühlt das Bedürfniß nicht zu lieben und geliebt zu werden. Die Pracht, die sie umgiebt, die Bewunderung welche ihr in jedem Auge widerstrahlt, genügt ihr, beglückt sie, und mein glühendes, Liebe durstendes Herz versucht vergebens das ihre zu erwärmen. Kalt wie der Diamant der auf diesem alabasternen Busen wogt, ist's in dieser schönen Brust! Wenn mich einst die Liebe auf Irrwege leitet, verdammen sie mich nicht daß mein Herz mich drängte, das zu suchen, was ich nicht entbehren kann – Liebe, volle hingebende Leidenschaft, wo Seele und Seele, Herz und Herz sich finden, um sich nimmermehr zu lassen.« u. s. w.
Thränen stürzten über Louisens Wangen, nicht Thränen der Liebe, denn diese kannte sie ja nicht, Thränen des beleidigten Stolzes, der verletzten Eitelkeit. Es waren die ersten dieser Art die in ihren schönen Augen brannten, die schmerzlichsten!
»Wie« – rief sie – »der Undankbare, dem ich mich ganz gegeben, dem ich so wohl gewollt, ist nicht zufrieden mit einem Glück, um das ihn Tausende beneiden? – Wie weit sollte ich mich denn erniedrigen, um das zu erfüllen, was er von mir fordert? – Ich sollte lieben, wie gewöhnliche Weiber?
Was mich erhebt über so viele meines Geschlechtes, verstand er nicht zu achten, er verschmäht mich? O, in deine Arme gehörte nur ein gewöhnliches Wesen nicht ich, die ich um dich den schönsten Hof der Welt, die Freuden meiner Jugend verließ; die ich« – – Thränen benahmen ihr die Stimme, sie war so außer sich, daß sie der Kammerfrau, welche es wagte ihr mit einer mitleidigen flehenden Miene zu nahen, zum erstenmal in ihrem Leben an die Brust sank, und laut weinend, ihren hohen Stand vergessend, mehrere Minuten in dieser Stellung blieb. –
»So wissen es denn Euer Durchlaucht doch« – begann die treue Dienerin, als sie sich von ihrem Erstaunen über diese unerhörte Herablassung erholt hatte – »so wissen sie es nun doch das schreckliche Ereigniß, was wir alle ihnen zu verbergen strebten?« Louise horchte hoch auf, und die Kammerfrau erzählte ihr nun arglos was die ganze Stadt wußte, nur die betrogene Gattin nicht, daß Rodrigo und Maria sich liebten. –
Ihre Pulse standen still, als sie das vernahm, woran sie von allem am wenigsten glauben mochte. »Maria, Maria?« wiederholte sie fast unhörbar, und erhob das erbleichende Haupt stolz; dann winkte sie der Dienerin sich zu entfernen. Laut- und schlaflos verging die Nacht. Sie warf sich bald auf die seidenen Polster, die ihr zum Strohlager wurden, bald erhob sie sich und wandelte mit großen Schritten auf und nieder. Nie war Rodrigo ihr liebenswerther erschienen, als jetzt, da sie ihn verloren hatte. Die furchtbare Gewißheit, daß ihre unwiderstehlichen Reitze, ihr glänzender Verstand ihn nicht zu fesseln vermochten, daß Maria, die bleiche stille Maria ihr sein Herz entwandt, wirkte so mächtig auf sie ein, daß sie, ohne wirklich zu lieben, alle Qualen der Eifersucht empfand.
Am Morgen hatte sie ausgekämpft. Sie ersetzte zum erstenmal das entflohene Roth der sonst blühenden Wange mit Erborgtem, damit Rodrigos Stolz sich nicht an ihrem Anblick weide. Sie mühte sich heiter zu scheinen als der Fürst erschien, doch seine Blässe zeigte zu deutlich von dem, was er um eine Andere litt. Das erzwungene Lächeln erstarb auf ihren Lippen, sie schwieg, und kalt und wortlos gieng eine lange Minute vorüber.
Da nahte sich Rodrigo ihr, und mit ungewöhnlicher Weichheit sprach er, indem er ihre Hand an seine Brust drückte: »Louise zürnen sie mir?« und indem er seine glühende Stirne auf ihren weichen Arm preßte, seufzte er unter Thränen. »Vergieb mir Louise, vergieb!«
Wäre jetzt die Fürstin dem guten Engel gefolgt, der in ihrer Brust die Schwingen regte, hätte sie die Arme um ihn geschlungen, wäre sie vergebend und vergessend an seine Brust gesunken, vielleicht hätte sie ihn von dem Abgrund zurückgerissen, an welchem er stand, er hätte gesehen, daß sie fühle, und alles konnte noch freundlich enden. Doch beleidigter Stolz siegte über jedes andere Gefühl in ihrer Brust, sie entzog ihm den Arm, und fragte mit der größtem Anstrengung kalt ihm in die weinenden Augen blickend: »Was habe ich Ihnen zu vergeben, mein Fürst?« Rodrigo sah sie einen Augenblick schweigend an, dann wandte er sich ab, und stürzte fort. – Louise sank erschöpft in das Sopha zurück,
Acht Tage waren verflossen, ohne dass die beyden Gatten sich gesehen hatten. Da trat eines Mittags Rodrigo feierlich auf Louisen zu, legte ein versiegeltes Paquet in ihre Hände und sprach: »Wenn ich in einer Stunde nicht wiederkehre, bitte ich Sie, dieses zu eröffnen.« – Louise erbleichte, doch er sah es nicht, das erborgte Roth prangte ja noch auf ihren Wangen! »Was haben Sie vor, mein Gemahl!« rief sie bebend. »Ihr Wort Fürstin, das Paquet öffnen Sie in einer Stunde erst, ich befehle es Ihnen.« Mit diesen. Worten wandte er sich schnell von ihr, und stürzte fort. – Louise wer unfähig sich von der Stelle zu bewegen. Eine fürchterliche Halbestunde war verflossen, da vernahm sie zuerst einen Schrei des Schreckens, verworrene Stimmen, dann Getümmel im Pallast. Kein Zweifel blieb ihr mehr, sie stürzte aus ihrem Gemach und sank auf die Leiche des ermordeten Gatten. –
Rodrigos Freund, aufgereizt und eifersüchtig, hatte Gelegenheit gefunden, eine Unterredung des Fürsten mit Marien zu belauschen, wenige Worte hatten ihn die Wahrheit des verbreiteten Gerüchts bestätigt. Er war edel genug, Rodrigo zu fordern, ein anderer Spanier hätte ihn den Händen irgend eines Banditen überlassen: und seine Kugel traf das Herz des lebensmüden Fürsten. Der doppelt unglückliche Mörder floh; Maria rang mit dem Tode, und Louise lag lange besinnungslos an dem erkalteten Busen des Mannes, den ihr Stolz in's Verderben gestürzt hatte.
Der Arzt erinnerte die Wiederbelebte endlich an das Packet, welches sie noch immer krampfhaft gefaßt hielt. Es ward geöffnet; eine unumstößliche gerichtliche Versicherung fiel in Louisens Hände, welche die Fürstin unermeßlich reich machte. Doch schmerzlich verletzend ergriff die Gebeugte ein Brief des Vollendeten, der ihr mit wenig Worten die Geschichte seiner Verirrung enthüllte. Der Schluß desselben erschütterte und erbitterte die Fürstin in gleichem Maaße. Es war folgender:
»Sie haben mich nie geliebt Louise, deßhalb könnte mein Tod nur dann nicht spurlos an Ihnen vorbey gehen, wenn Sie der Pracht beraubt würden, die Sie jetzt umgiebt. Mein Reichthum bietet Ihnen Entschädigung für ein Herz an, daß Sie nie suchten, und das niemals zu Ihrem Glück unentbehrlich ward. Sie werden meine Treulosigkeit vergeben, da sie Ihnen keinen Schmerz verursachte, und ihre kalte Tugend wird Sie über die erste Zeit der Trauer erheben. Leben Sie wohl und vergeben Sie!« –
Unfähig zu fühlen, mit wie vielem Recht Rodrigo ihr diese harten aber wahren Worte sagen konnte, verdrängte bald ihr Stolz das Schmerzensgefühl, welches sie eine kurze Zeitlang ergriffen hatte. Sie lebte einsam und anständig, wie es einer Wittwe ihres Standes in der damaligen Zeit zukam. Doch dachte sie bald wieder an die Tage, die ihr gestatten würden, in den gewohnten Kreis der großen Welt zurückzutreten.
Sie nahte endlich diese Zeit, und Louise trat auf's neue hervor, eine glänzende Erscheinung am spanischen Hofe. Sie war interessanter als jemals durch ihr Unglück, und anziehender als je, durch den Anstrich von Leiden, der sich über die schöne Wittwe wie ein lilienweißer Flor verbreitet hatte, unter dem die lebenslustigen frischen Reitze nur heimlich und versteckt hervorblickten!
Es nahten sich bald Freier seltener Art an Reichthum und Geburt, doch die junge Fürstin gedachte der kaum verharschten Wunden und blieb kalt und unerbittlich. – Zuweilen ergriff Louisen die Sehnsucht nach dem Vaterland, doch ließ ihr Stolz nicht zu, nach Paris zurückzukehren; denn wußte man nicht dort, wo sie sonst vergöttert ward, daß Untreue sie zur Wittwe gemacht hatte? – Welch ein Triumph für Jene, die einst nach der Hand der Fürstin strebten.
In Madrid waren dergleichen Vorfälle nichts Unerhörtes, auch war sie dort fremd, in Paris hätte sie die Blicke der Neugier nicht ertragen, die sie am Schlusse des Trauerjahres empfangen haben würde.
Bald nannte man die unerbittliche Wittwe »die stolze Schöne« und kein Freier meldete sich mehr, so viele sich auch von Louisens Schönheit ergriffen fühlten. – Doch dieß war es nicht, was die eitle Fürstin wünschte. Verbannt nicht sollten alle sich wähnen, sie sah sich gerne gesucht, und dieß Zurückziehen Aller wollte sie eben verdrießlich machen, als die Nachricht von ihres Vaters Tod sie wieder auf eine kurze Zeit der großen Welt entriß, und sie zugleich in lebhafte Betrübniß versetzte, denn sie hatte den Grafen wahrhaft kindlich geliebt.
Um diese Zeit erschien ein junger Kastilianer bey ihr, mit einem Briefe von Marien, die in einem Kloster unfern Madrid seit Rodrigo's Hinscheiden langsam dem Tode zuwelkte. Sie wünschte sterbend Louisens Vergebung zu erhalten. – Weich und traurend wie die Fürstin in diesem Augenblicke es war, folgte sie dem jungen Mann. Sie trat vergebend, wie ein milder Engel, an das Schmerzenslager der armen Maria, die dem Kloster allzufrüh entnommen, Braut geworden war, ohne zu lieben, und zu spät die Liebe und ihre Schmerzen kennen lernte.
Ein Mann stand zu Mariens Haupt, da Louise eintrat. Tief über die Sterbende gebeugt, schien sein Innerstes im Schmerz zu vergeh'n, und erst als ihre Seele – beruhigt durch Louisens Vergebung – entflohen war, erhob sich der Trauernde und sprach zu ihr: »Edle Frau, Sie haben wie ein Bothe des Himmels die Seele meiner armen Schwester zum Jenseits geleitet!« – Die Fürstin blickte erstaunt in das große Flammenauge des Sprechers. Sie vermochte nicht zu antworten, denn zum erstenmal in ihrem Leben fühlte sie eine mehr als gewöhnliche Regung beym Tone dieser Stimme, bey dem Anblick dieses Auges das zu ihr sprach. – Sie verließ das Kloster tief bewegt, begleitet von dem jungen Kastilianer und von Gomez, Mariens Bruder.
Nach einiger Zeit erschien Gomez in dem Pallast der Fürstin, ihr noch einmal für das Mitleid dankend, das sie an der Verblichenen verübt. Und deutlicher als das erstemal sprach sich in Louisens Blick das Interesse aus, mit welchem sie den schönen Spanier willkommen hieß. Auch Gomez, blieb dieß unverborgen. Er war Oberst der königlichen Garden, vom edelsten Blut, nur Reichthum mangelte ihm zu einem vollkommenen spanischen Cavalier, doch Louise besaß ja, was ihm gebrach, und ward mit dem Gedanken immer mehr vertraut, die Gattin eines geliebten Mannes zu werden, und dem fürstlichen Rang zu entsagen. Allein, ohne Vater oder Bruder, ohne Schutz, stand sie, eine blühende lebensfrohe Französin in der abgemessenen spanischen Welt. Ihr Stolz wich den blitzenden Augen des geistreichen Gomez; sie fühlte etwas für ihn, was sie noch nie empfunden hatte, sie wähnte ihn zu lieben, und da sie sich selbst unwiderstehlich glaubte, so gab sie sich wenig Mühe, das, was in ihr vorging, vor Gomez zu verbergen. Die schönste Frau in Spanien, die Stolzeste, stand erglühend vor Gomez, wenn er kam, und reichte ihn mit schmelzenden Lächeln die wunderschöne Hand, wenn er schied; mußte sich nicht sein Herz in Dankbarkeit und Liebe zu ihr wenden? Was er nie gewagt hatte: die Augen zu Louisen zu erheben, er wagte es jetzt, und flammend traf ihr Blick den seinen. Die Sinne fast schwanden dem betäubten, ehrgeitzigen Jüngling. Er wagte endlich doch unter halben Schauern, die Fürstin um ihre Hand zu bitten, und hocherröthend sprach die stolze Louise » ja!« und sank in seine geöffneten Arme, an seine Brust. –
Alle die Blüthestunden des Brautstandes mit einem Manne, für den man Wohlwollen empfindet, zogen nun an der Beglückten vorüber; sie hörte nicht das Erstaunen der Welt; das nicht billigende Kopfschütteln erfahrner Männer bemerkte sie nicht, sie wollte ja glücklich werden.
Eines Abends, als sie von einem glänzenden Fest am Hofe ermüdet rückkehrend, aus dem Wagen stieg, fühlte sie sich von einer vermummten Gestalt mit Blitzesschnelle bey der Hand ergriffen und ein Papier zwischen ihren Fingern, ehe sie sich umwenden konnte, war die Gestalt verschwunden.
Sie eilte die breiten Marmortreppen hinan, das räthselhafte Blatt in der Hand, und öffnete es – oben angekommen – mit zitternder Hand; ein Schlüssel fiel ihr entgegen.
»Geh auf den Kirchhof zu St. Giovano, wenn Du den Muth hast Dich zu überzeugen, daß Du zum zweytenmal betrogen wirst, so sey um 12 Uhr da.«
Dieß las die Erschrockene. Was sollte sie thun? War es ein Fallstrick den man ihr legen wollte, war es ein Freund, der zu ihr sprach? Wie es ihr nie an Entschlossenheit fehlte, so schwankte sie auch hier nur einen Augenblick. Schnell warf sie das Prachtgewand von sich, das ihren schönen Leib umhüllte und beengte, in wenig Minuten floß ein weiter schwarzer Mantel um sie her, und ein schwarzer Schleier sank über die goldenen Locken. Der Hausarzt ward geweckt, Diego, ein alter Diener, mußte sie geleiten, und nun begaben sich alle drey schweigend und wohl bewaffnet auf den Weg. – Die Nacht war heiter, des Mondes Licht leuchtete freundlich auf den Pfad der einsamen Wanderer, sie erreichten den Kirchhof als die Glocke eben das dritte Viertel auf Zwölf ankündete. Diego kreutzte sich, während Louise mit festem Muthe den Schlüssel hervorzog und die Pforte öffnete, welche knarrend aus ihren Angeln wich. Zwey große Monumente am Eingange gewährte den Lauschenden Schutz. Friedliche Stille herrschte in dem weiten Raum. Wie winkende Gestalten sahen die bleichen Steine der Gräber im wankenden Mondenlicht nach der harrenden Fürstin hin, welche mit angehaltenem Athem der Glocke lauschte, die nach langem Schweigen endlich die zwölfte Stunde heulend verkündete. Da öffnete sich die kleine Pforte an der Wohnung des Todtenhüters zu St. Giovano. Zwey Gestalten traten hervor, und näherten sich. Die eine davon, im weißen Schleyer gehüllt, schmiegte sich traulich an den Begleiter. Jetzt traten Beyde in das volle Licht des Mondes – und Gomez Züge blickten bleich und geisterähnlich auf die Gestalt neben ihm herab. Wenige Schritte von dem Monument, das Louisen verbarg, standen sie still; keine Bewegung drohte diese zu verrathen, denn sie war kalt und regungslos, wie der Stein, an dem sie lehnte.
»Meine süße Margaritta« – sprach Gomez jetzt – »ich scheide, ach auf wie lange vielleicht! leb wohl du wunderholdes Wesen, leb wohl« – da erhob das Mädchen das Haupt zu ihm, und ein Antlitz wie Louise es nur in ihrem Spiegel so reitzend je erblickt hatte, sah mit Augen voll Thränen zu ihm empor! »O Gomez« – lispelte sie mit Flötentönen – »ich weiß es, du mußtest so handeln, die arme Margaritta von Sankto Giovani konnte die Deinige nie werden – ach, wenn du mir jetzt den Dolch in den Busen stießest, ich würde sterbend sagen, du mußtest so handeln: Und dennoch blutet mein Herz! o wär es schon gebrochen, dies arme Herz! du wirst im Arm der reichen schönen Fürstin die stille Margaritta bald vergessen!« Laut schluchzend lag die Jungfrau an seiner Brust. Sie fest umschlingend rief Gomez mit Tönen, welche Louise nie von ihm gehört:
»O niemals, niemals werde ich dich vergessen, du süßes zartes Engelsbild! Und schlingen auch die Arme dieser schönen stolzen Frau in engen Kreisen sich um mich, mein Herz es kehrt zu dir stets wieder, ich lasse nie von dir, und ewig bleibst du mein! – Drückt mich des Lebens Glanz und Schwüle, dann eile ich her zu dir, und suche unter den friedlichen Todten hier Ruhe, Liebe für mein Herz, und Trost für Opfer, die ich der Welt und meinem Stande bringe!« – Da rief eine rauhe Männerstimme aus der Wohnung des Hüters: »Nun hat das Liebesgeflüster bald ein Ende?« »Gleich Vater!« antwortete das Mädchen, und umschlang aufs neue den Geliebten. Unter unzähligen Küssen und Thränen schieden sie endlich. Gomez ging in die Stadt zurück, die Jungfrau aber sank betend auf einen Grabeshügel hin, dann ging sie still weinend nach dem Haus und verschwand.
Von den drey Lauschenden rührte sich lange keines von seiner Stelle.
Der Arzt zuerst trat an das Monument, und faßte die Fürstin bey den Händen, die kalt und starr herabhingen. Bey seiner Berührung fuhr sie auf, und blickte ihn, unfähig zu sprechen, mit dem Ausdruck des unsäglichsten Schmerzes an, dann ergriff sie seinen Arm und wandelte schweigend an seiner Seite ihrem Pallaste zu. – Ewiges Schweigen mußten beyde geloben.
Sie durchlebte die zweyte furchtbare Nacht ihres Daseyns. Ihr Innerstes war in seinen Grundfesten erschüttert; sie war keines klaren Gedankens, keines entscheidenden Entschlusses fähig. Zwey Tage blieb sie in ihren Gemächern verschlossen, am dritten hatte ihr Stolz gesiegt. Der Betrüger sollte niemals erfahren, daß Louise seine Treulosigkeit auch nur ahne, um nicht den Triumph zu genießen, die bewundertste Frau in Madrid so betrogen zu haben. Die Fürstin hatte einen glänzenden Sieg über sich selbst errungen.
Mit Zärtlichkeit empfing sie Gomez, der am dritten Tage erschien, und meldete ihm mit erkünsteltem Schmerz: daß ihre Familie in Frankreich ihre Verbindung durchaus nicht zugeben wolle. Sie sey gezwungen zurückzukehren, weil man im Gegenfall Beschlag auf ihre Güter zu legen entschlossen sey. Sie müßte auf jeden Fall dem Willen ihrer Verwandten folgen, und trenne sich deshalb von ihm, um nach Frankreich zurückzukehren.
Gomez hörte diese Erklärung mit sichtlichem Erstaunen, ja mit Schmerz sogar an; und der Ausdruck von Bestürtzung mit welcher er ihren Entschluß aufnahm, vermehrte die Verachtung in ihrer Seele so sehr, daß sie – unfähig sich länger zu verbergen, – sich stolz erhob, und mit einem Blick, worin ihre ganze Seele lag, den Betroffenen verließ. Das Gewissen mochte ihm sagen, was Louise von ihm wußte, er entfernte sich und erschien nicht mehr.
Nach wenig Tagen verließ die Fürstin Spanien für immer, und kehrte in ihr freundliches Frankreich wieder. Zwey Männer hatten sie hinterlistig getäuscht, ihr Herz war gebrochen. Nur Haß gegen ein Geschlecht für dessen Verworfenheit sie in ihrem Schmerz keinen Namen fand, belebte ihr Inneres, und mit dem Entschluß, sich an diesem Geschlecht zu rächen, fuhr sie in den Pallast der Lalauces ein, den sie mit so frohen Aussichten und Hoffnungen, mit so reichem Herzen verlassen hatte, und den sie nun arm an Freuden, aber reich an Erfahrungen und Haß wieder betrat. –
Ein neues glänzendes Leben begann nun für die junge schöne Fürstin. Mit all der Pracht, welche ihr Reichthum darbot, trat sie zum Erstenmal wieder in der großen Welt auf. Unbekümmert um die Tracht der damaligen Zeit, welche die Schönheiten Frankreichs auf gleiche Art entstellt, erschien sie am Hofe, in der spanischen Kleidung, welche ihr, als einer spanischen Fürstin nicht verweigert werden konnte. In ihren achtzehnten Jahre hatte sie diesen Hof verlassen als eine blühende Jungfrau, in ihrem zwey und zwanzigsten kehrte sie zurück, zur vollkommensten Schönheit herangereift. Die Gestalt hatte an Ueppigkeit, das Auge an Feuer, das Benehmen an Adel und Sicherheit gewonnen, sie hatte sich fast bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, und diejenige, die ehemals blos wegen ihrer Reize bewundert ward, setzte jetzt durch ihre Liebenswürdigkeit alle Herzen in Bewegung. – Keiner von all den Bewunderern, die sich ihr nahten, ahnete die geheime Hassesflamme gegen das männliche Geschlecht, welches in ihrem Innern brannte; und mancher schmachtende Cavalier schmiedete Pläne auf die reiche Fürstin. –
Louise gebrauchte alle Künste der feinsten Koquetterie, um Männerherzen zu gewinnen; nichts war ihr zu klein, zu unbedeutend, kein Kunstgriff zu unedel – sobald er nur ihrer weiblichen Ehre, nicht zu nahe trat – dessen sie sich nicht bedient hätte, um ihre Pläne zu erreichen. Bald war sie von seufzenden Anbetern, von redenden und schweigenden Seladons umgeben. Ja, zur Verzweiflung mancher schönen Frau, zogen deren Gatten sogar an dem Triumphwagen der furchtbaren Louise; sie wußten ja nicht, daß sie nichts zu fürchten hatten.
Von dem Augenblicke an, wo die Fürstin in Paris eingetroffen war, gestaltete sich in ihrer Brust ein Plan zur Rache an einem Geschlecht, dem sie ewigen Haß geschworen hatte, und sie war konsequent genug, sich selbst und ihrem Vorsatz treu zu bleiben. – Nicht betrogene Liebe hatte sie zur Verzweiflung gebracht, sonst wäre sie keines solchen Planes fähig gewesen: der Schmerz hätte ihr Wesen veredelt: – betrogene Eitelkeit, gekränkter beleidigter Stolz hatten ihr Leiden bereitet, die sie nicht vergessen konnte, und diesen Götzen zu opfern, entschloß sie sich zu einem Benehmen – das in Frankreich, wie sie wohl wußte – nicht auffallen würde. Sie wollte die Betrüger, – so nannte sie die Männer – so viel als möglich an sich ziehen, Jeden eine Zeitlang in dem Wahn bestärken, daß sie seine Lebe erwiedere, ihn dann, wenn die Leidenschaft, welche sie eingeflößt hatte, den höchsten Punkt erreicht habe, kalt und höhnisch von sich stoßen. Im Voraus schwelgte sie in dem Genuß dieser Rache. – Wohl fühlend, daß ihr Stolz mehr geeignet sey zurückzustoßen, als anzuziehen, gewann sie bald soviel Gewalt über sich, auch diesen zu verbergen, und – wie mit einem Zauberschlag verwandelt – blos der Anmuth und Liebenswürdigkeit die Herrschaft über sich einzuräumen. Gefährlicher war nie eine Feindin des männlichen Geschlechts erschienen. Bald bildete sie einen glänzenden Kreis um sich. Fast alle ihre Pfeile trafen; nur an Ludwig XIV. selbst verschwendete sie diese ohne Erfolg: die Herzogin Lavalliere hielt ihn damals mit den unauflöslichen Banden ihrer Anmuth und Bescheidenheit gefesselt. Sie gab es bald auf, sich an diesem glänzenden Triumph ihrer Rache weiden zu können, und es bot sich ihr in der schönen Männerwelt noch manche bedeutende Gelegenheit an, ihren Plan auszuführen.
In Kurzem hatte sie es auch wirklich so weit gebracht, daß sie den Männern anfing furchtbar zu werden, wie sie es früher den Weibern war, und nur ihr unwiderstehlicher Zauberreiz konnte immer neue Anbeter zu ihren Füßen führen. Wohl manches Gesicht erbleichte in ihrem glänzenden Kreis; das sah sie mit Entzücken, und jedesmal rief da ihr Stolz: »so war auch ich verbleicht, betrogene Betrüger, tragt nun an eurer Last!« Zog solch ein Gedemüthigter sich still zurück, die Wunde im Herzen, war sie grausam genug, durch halbgesprochne Worte, durch feuchte Blicke den Unglücklichen in ihre Nähe fest zu bannen, der dann fried- und freudlos um sie zu gaukeln gezwungen war, wie der Nachtschmetterling um das Licht. Daran aber weidete sich dann ihr stolzes Herz.
Um diese Zeit kam aus einer altfranzösischen Familie, die im südlichen Frankreich Güter besaß, ein junger Mann nach Paris, um Dienste bei dem Heere zu nehmen. Er war der Lavalliere verwandt, wie man allgemein wußte, und galt viel in den Augen des Königs. Zu unbedeutend, um Louisens Blicke auf sich zu ziehen, hatte sie ihn noch nicht bemerkt, als schon ganz Paris von dem jungen schönen St. Auge sprach, den eine romantische Liebe an die zierliche Tochter eines Gärtners auf seinen Gütern fessele. Die rührende Schwermuth, welche in den Zügen des jungen Mannes lag, hatte zuerst versteckte Blicke reizender Frauen auf ihn gerichtet, und als er vollends, vom König begünstiget und ausgezeichnet, als Officier am Hofe erschien, gab man sich nicht einmal mehr Mühe, diese Blicke zu verstecken; es zeugte sich klar und deutlich, daß man dem jungen St. Auge die zierliche Gärtnerin ersetzen wollte.
Der Jüngling aber schien dieß alles nicht zu bemerken; außer mit der Herzogin Lavalliere sprach er mit keiner Dame, und selbst die schöne Spanierin – so nannte man Louisen seit ihrer Rückkehr von Madrid – vermochte nicht seine Aufmerksamkeit zu fesseln. – Dieß war für Louisen eine zu auffallende Erscheinung, als daß sie nicht zuerst ihre Aufmerksamkeit, und am Ende ihren Stolz reizen mußte. »Wie,« – frug sie sich selbst erstaunt – »die ersten Männer lagen zu meinen Füßen, und dieser Knabe soll mit ungebeugtem Nacken mir gegenüber stehen?« – Ihr Entschluß war gefaßt.
In der ersten Assemblee, die bei Hofe wieder stattfand, war sie umlagert, wie immer, von alten und jungen Cavaliers, die sich mühten, ihren reizenden Lippen ein Lächeln abzugewinnen. Da in den altfranzösischen Zeiten nur die Damen des königlichen Hauses bei solchen Gelegenheiten das Recht zum Sitzen hatten, und die übrigen genöthigt waren, den Abend über zu stehen, so hatte sich Louise an einen Spiegeltisch zurückgezogen, an welchem sie lehnte, und hoch, durch ihre schlanke Gestalt ausgezeichnet, über die übrigen Damen emporragte. Im Spiegel nun sah sie St. Auge, am andern Ende des Zimmers allein, gleichsam an einen Pfeiler gelehnt, stehen, und da die Lavalliere heute fehlte, ohne alle Unterhaltung. Es schien ihr, als machte sein Auge die Reihe, die bunte Blumenflur recht kalt und gleichgültig überfliegend. Als er in ihre Nähe kam, wandte sie sich so, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte; sie bemerkte im Spiegel, daß sein Blick, wie es schien, mit einigem Interesse auf ihrem blendenden vollen Nacken, auf ihren üppigen Schultern verweile. Einige Sekunden blieb sie so, mit kurzen Worten rechts und links hin Antwort spendend. Jetzt plötzlich drehte sie sich rasch, und einer ihrer glühendsten Blicke streifte die Augen des Jünglings; doch schnell, als erschräke sie darüber, sah sie hoch erröthend in den Busen nieder, und die Reize ihres Gesichtes auch in dieser Stellung kennend, tändelte sie eine Weile lieblich mit dem Brillanten-Strauß, der an ihrem falschen Herzen ruhte. Als sie nach einer geraumen Zeit schüchtern nach ihm hinsah, ruhte sein Blick noch auf ihr, dann wandte er sich erröthend ab, und verließ den Salon. – Jetzt hatte sie gewonnen. Sie triumphirte. Er floh sie schon, nun war sie ihrer Beute gewiß. Bei jeder folgenden Gelegenheit erneuerte sie ihr süßes Spiel. Sie sah, wie er sich in immer engern Kreisen ihr näher bewegte. Ihr schmelzender Blick, die leisen, halb unterdrückten, nur ihm bemerkbaren Seufzer ließen den Unglücklichen ein Gefühl in ihr errathen, dessen Reize er noch nicht kannte. Die schuldlose Seele seiner Georgette hatte sich ihm ja, unbekannt mit diesen Kunstgriffen feiner Koquetterie, in die Arme geworfen. Sie war fern von dem Glanz, der die sittsame, unglücklich liebende Fürstin umfing. Tausend Schlingen fielen unbemerkt verwirrend um ihn her, er war längst verloren, als er sich noch immer mühte, der Syrene zu entgehen.
Jetzt fand es Louise für gut, ihn in ihr Haus, in die Kreise zu ziehen, die sie gewöhnlich umgaben, und es gelang ihr. Hier sah er sie ganz in all der Lieblichkeit, welche sie – fern von den Fesseln der Etikette – in ihren eigenen Mauern umfing.
Von asiatischer Pracht umgeben, erschien sie hier unter duftenden Blumen, einfach von kostbaren durchsichtigen Geweben umflossen, sittig und unaussprechlich reizend gekleidet, den Augen des taumelnden Jünglings. Sie hatte den richtigsten Blick, den Charakter jedes ihr sich Nahenden zu durchschauen, ihn in seinen Tiefen aufzufassen. Und daß sie dann immer die schwächste Seite des Gegners zu treffen wußte, das war es, was sie unwiderstehlich machte. So erkannte sie auf den ersten Blick in St. Auge den Schwärmer, den wärmsten Verfechter alles dessen, was Romantik betraf. – Sie war nun schwärmerisch, oft leidend, jungfräulich zart und dabei umwölkte ein leiser Anstrich von Melancholie ihre dunklen Augen, wenn sie über ihre anbetende Umgebung hinweg nach dem ferne Stehenden blickte. Er wagte noch immer nicht, in ihrer Nähe zu verweilen. Als sie aber eines Abends zu ihm trat, die Hand auf seinen Arm legte, ihn mit dem wunderholden Auge tief in die Seele sah, und mit leisen, süßen Tönen sprach: »St. Auge, sie fliehen mich? – warum kränken sie mich so tief?« Wer wird den Jüngling verdammen, daß nun die Treue aus seiner Seele wich? wer wird St. Auge nicht mit Mitleid in den Schlingen einer listigen Frau gefangen sehen? – Wie mancher Mann ward so treulos durch ein Weib! Darum verdammt nicht immer, ihr Betrognen; euer eignes Geschlecht ists ja so oft, das den schuldlosen Jüngling betrügen lehrt! Jetzt stand Louise am Ziele. Eine glühende Leidenschaft hatte sich des jungen Mannes bemächtiget. Er folgte ihr wie ihr Schatten, jeder ihrer Schritte ward von ihm begleitet, wo sie hinblickte, traf sie St. Auge's Auge, das mit dem innigsten Ausdruck der reinsten Liebe an ihr hing; wo sie sprechen hörte, klang die bebende Stimme des armen Jünglings in ihr Ohr, der in ihrer Nähe nie ohne die heftigste Bewegung sprach.
Die Welt sah mit Erstaunen das Wunder, welches die schöne Spanierin gewirkt, und nun, da man St. Auge liebend sah, erregte erst Louisens Glück den Neid der Uebrigen. Die Liebe verschönert ja die Häßlichen, doch einen blühenden Jüngling in unverdorbener Jugendkraft verwandelt sie zum Halbgott. Georgette war vergessen, St. Auge hing nur an den Augen der geliebten Fürstin. Doch diese hatte ihren Zweck erreicht, und als einst der Jüngling, trunken von ihrer Schönheit, von ihrer Liebe betäubt, zu ihren Füßen sank, sie fest umschlang und das glühende Haupt an ihren Busen drückte, sprang sie lachend auf und rief: »Nein, weiter, junger Thor, laßt uns das Spiel nicht treiben, weiter nicht, ihr seyd bereits zu kühn schon für den Staub, dem ihr entsproßt!«
Da stand St. Auge besinnungslos und starr ihr gegenüber.
»Ein Spiel?« – stammelte er nach gräßlichem Schweigen. Louise lächelte höhnisch, legte sich in den Divan zurück und sprach: »Was wär mit Euch auch wohl zu treiben denn, als Scherz? Treuloser, nur Georgetten, die weiter nichts kennt als ihre Blumen und Euch, nur dieser war es Ernst mit Euch!«
Vernichtet stand der Unglückliche. Alle Qualen getäuschter Liebe, schrecklichen Betrugs und Bewußtseyn eigenen Vergehens malten sich in seinen zuckenden Zügen. Louise empfand nichts bei seiner Marter, sie sah nur zu,, was er denn jetzt wohl beginnen würde. – Auf einmal erhob er das bleiche Haupt, und maß sie, als wollte er sich überzeugen, ob dieß denn die Geliebte sey, die vor ihm sitze; dann rief er mit furchtbarer Stimme: »Nun, so räche mich denn Gott an Dir, Du schöner Teufel!« – und stürzte fort. – Somit hatte die Posse ein Ende, und die Fürstin hörte bald darauf, daß er den Hof in Verzweiflung verlassen habe, und nach Flandern sey, um dort für die Sache des Königs zu fechten und zu sterben.
Dieser Vorgang hatte ihren Charakter enthüllt, man sprach davon zwar nicht öffentlich; doch heimlich flüsterte man von dem frevelhaften Spiel, das sie mit dem unglücklichen St. Auge getrieben und mehr und mehr verschwand die Schaar der geduldigen Umlagerer der schönen Spanierin. Vergebens versuchte sie alles, was Natur und Kunst ihr gaben, um anzuziehen; sie konnte nicht mehr in das alte Gleis zurückkommen, denn Jeder bebte noch bei dem Gedanken an den verzweifelnden St. Auge. Kein Freier nahte mehr, man wußte ja, daß sie eben so wenig zu heirathen, als zu lieben gedenke, und sie stand eben im Begriff, trotz ihrer Schönheit, von Allen verlassen zu seyn, als plötzlich ihr Schicksal eine andere Wendung nahm. Von dem deutschen Kaiser erschienen Abgesandte an den König von Frankreich.
Ein Ritter zeichnete sich vor allen aus, durch Schönheit der Gestalt und Adel der Züge, wie des Benehmens. Er war der Einzige, der festen, sichern Schrittes auf dem glatten Boden des abgeschliffenen französischen Tons einhertrat, und Erscheinen mußte schon darum ein allgemeines Interesse erwecken, weil es eben so neu, als reizend war.
Hoch und über Alle erhaben, stand er unter den steifen, galanten, abgezirkelten Hof-Cavaliers, die mit zierlicher Gravität, nach hergebrachter Form, den Damen den Hof machten, und mit steifen Hälsen, um die schön gepuderten Perücken nicht aus der rechten Lage zu bringen, zugleich mit dem ganzen Körper sich bewegten, wenn irgend etwas sie umzusehen zwang. In freien natürlichen Locken fiel sein kastanienbraunes Haar auf die Schultern herab, in feinen Löckchen kräuselte sich ein schöner Bart ihm um das wohlgeformte Kinn. Wie zwei Sterne blickten die großen, blauen Augen, sanft und feurig zugleich, unter den schön geformten Braunen hervor; sein ganzes Antlitz, wie seine Gestalt war ein Bild der deutschen Kraft, und doch zugleich war eine Milde über ihn verbreitet, die jedes Herz zu ihm hinzog. Wie ein erstandener Held der alten Normannen, wandelte er zwischen den geputzten Pygmäen, und seine männliche Schönheit entzückte jedes Auge. Louisens Aufmerksamkeit erwachte, als sie die Blicke sah, die Alle nach ihm sandten. Die andern Herren der Gesandtschaft blieben fast unbemerkt, obgleich Graf Otto von Leuen nicht der im Rang Bedeutendste von ihnen war. Die Schönheit ist ja der erste Freibrief in der Welt. –
Der Deutsche aber stand so ruhig im Gedränge, sah so kalt auf das ihn umgebende Treiben herab, daß an diesem Abend keine Aufmerksamkeit für die Fürstin zu hoffen war. Bald aber gab man den Abgesandten Feste, und Louise säumte nicht, die Herren auch in ihr Haus zu ziehen. Was sie an Pracht und Glanz gesehen, ward übertroffen von Louisens Reichthum und Geschmack; doch als die Fürstin selbst erschien, da ward auch jede Schönheit, die sie sahen bis jetzt, von ihrem Glanz in Nacht gehüllt, denn reizender ward sie noch nie gesehen, als an diesem Abend. Sie bot alle ihre Künste auf, wie sonst sie Aufmerksamkeit zu fesseln; doch heute schien der Liebesgott in ihren Locken zu gaukeln, so heiter lieblich, anbetungswürdig war sie. Der Ritter sah tiefdenkend vor sich nieder, und Louise wußte nicht, da man schied, ob er sie wohl bemerkte oder nicht; an diesem Deutschen schien es, als wolle ihre Menschenkenntniß trügen. Gereizter war ihr Stolz noch nie, und ungeduldiger sie niemals, daß sie keinen Erfolg des ersten Strebens sah.
Ritter Otto aber schrieb den andern Tag an einen Freund in Deutschland, wie folgt:
»Viel Fremdes sah ich, Kurt, an diesen Menschen, doch traun, das Treiben hier, es kommt mir sattsam komisch vor. Die Männer sind ein Geschlecht gepuderter Affen, die zierlich thun und oft unziemlich handeln; die Frauen aber scheinen leichten Sinn's, und sind sie auch viel heiterer und launiger, auch zierlicher wohl als unsere deutschen Weiber, so sind die Deutschen mir doch lieber. Ein Frauenbild erblickt ich aber, das übertrifft an Glanz und Schöne wohl alles, was ich jemals sah im Leben. – Es ist dieß die Witwe eines spanischen Fürsten. Noch nie habe ich Gewänder geachtet und bemerkt, doch daß Du sehest, Kurt, wie hold dieß Engelsbild mir erschien, will ich versuchen sie zu malen.
Denk Dir die blühendste Gestalt, doch schlank und üppig gleichen Theils, so siehst Du ihren Körper; doch was Du Dir, mein Kurt, nicht denken kannst, das will ich Dir zu sagen mich bemühen. Das lieblichste Oval des Angesichtes, von Lilien und Rosen scheint es übergossen. Die Augen dunkelschwarz, sie sprühen, gleich Funken, aus der lieblichen Umhüllung der schwarzen Wimpern und der eingezogenen Braunen. Die schönste Nase führt das Auge zu einem Mund, aus dem Dich zwischen Korallen die glänzendsten Perlen anlachen; das liebliche Gemälde aber ist vollendet, sobald Du einen Strom von blonden Locken auf Stirn und Busen herabrollen siehst. Da saß sie am Kamin, von einem Gewand umflossen, das im Roth der Rose lieblich seiden glänzte, mit Silberähren reich durchwirkt. Auf einem Schemel ruht der schönste Fuß, von dem ich niemals geträumt, noch ihn in solcher Schöne zu sehen geglaubt. In Händen hielt sie eine Rose, die sie mit lieblichen Fingern unbewußt zerpflückte; kurz, Kurt, im ganzen Deutschland sahst Du nichts Aehnliches, nicht nur an Schönheit, nein, an Sprache, Gang, Bewegungen und Mienenspiel.« u. s. w.
So hatte ihr Anblick den Ritter begeistert, daß dieser Brief ihm aus der vollen Seele floß, ohne daß er ahnete, auf welchem Wege er war. Louise begann mit ihm nun dasselbe Spiel, was sie mit St. Auge und vielen andern schon getrieben, doch behutsamer, schüchterner. Sie kannte den verschlossenen Deutschen noch zu wenig, um sogleich in ihrem Benehmen den rechten Takt zu finden; glücklich jedoch gelang ihr alles, wenn auch langsamer, viel langsamer als sonst. Das aber reizte sie, je länger sich ihr Spiel verzögerte, bis fast zur Verzweiflung: Jetzt endlich, jetzt nahte sich der Augenblick, der ihn zu ihren Füßen werfen sollte.
Louise kam acht Tage nicht nach Hof, weil eine Unpäßlichkeit sie zu Hause festhielt. Sieben Tage hielt der Ritter diese Trennung aus; am achten erschien er endlich, um die Gebieterin seines Herzens zu sehen und zu sprechen. Er fand sie unter ihren Blumen wie immer, reizender als je im Morgenkleide, das ihren schönen Leib umfloß. Sie lehnte an einem blühenden Orangenbaum, ein grauer Papagey wiegte sich auf ihrem weißen Finger, und leise hauchte sie zuweilen Küsse auf das zarte Thier, das schmeichelnd sich an ihren Busen schmiegte. – Die feine Blässe, welche ihre Wangen deckte, der schimmernde Krystall der halb bedeckten Augen, es waren der Reize zu viel, die auf den Ritter einstürmten. Jetzt sah sie den Augenblick da, wo er zu ihren Füßen sinken würde, sie setzte den Papagey auf die duftenden Zweige, und überließ ihre Hand dem Deutschen, der in heftiger Bewegung sie an die Lippen preßte. Leise Worte wurden nun gewechselt, doch – zu ihren Füßen sank der Ritter nicht; plötzlich umschlang er sie mit kräftigen Armen, drückte sie an die Brust, und sein Mund ruhte auf den Lippen der Ueberraschten, ehe sie sich seiner zu erwehren wußte. Doch wo war ihr Triumph? – An seinem Busen lag sie regungslos, seine glühenden Küsse duldend. Ein nie gekanntes Gefühl durchströmte sie, Stolz, Hohn und Kälte waren entflohn,, ihr ganzes Wesen war aufgelößt in Zärtlichkeit, ihre Arme schlangen sich endlich um seinen Nacken, zum erstenmal in ihrem Leben durchdrang sie das Gefühl unaussprechlicher Seligkeit – sie liebte.
Sanft wand sie sich aus seinen Armen; Thränen stürzten über ihre Wangen, sie faßte Otto's Hände und sah ihm mit fragendem Blick in die funkelnden Augen, aus denen seine ganze, redlich liebende Seele sie anstrahlte. »Willst Du mein sein, Louise?« frug der Ritter mit fester Stimme; »Dein auf ewig,« schluchzte die Fürstin, und sank auf's neue in seine umschlingenden Arme. Der Bund war geschlossen. Nie gekanntes Glück, nie geahnete Seligkeit umfing die Glückliche, als sie immer mehr die Liebe Otto's, ihr eignes Herz erkannte. Ihre Leidenschaft zu ihm wuchs bis zur Riesengröße, je mehr sich sein edles männliches Gemüth vor ihr entfaltete. Sie hatte alles früher Erlebte und Verübte vergessen. Jetzt aber bat Otto um ihre Hand und beschwor sie ihm in sein Vaterland zu folgen. Da schwand plötzlich der Taumel, welcher sie so lange umfangen gehalten; ihr alter Haß, ihr Mißtrauen, die traurigen Erfahrungen ihres frühern Lebens stiegen mit Schlangen umlockten Häuptern vor ihr auf. War der Geliebte fern, so war er, wie Rodrigo, wie Gomez, ein Betrüger; war er ihr nahe, so flohen die Furien des Zweifels vor seiner offnen Stirne. Doch auf Augenblicke nur. Während die Stadt voll von dem Glück der Liebenden war, während Otto in den süßesten Träumen seiner Zukunft schwelgte, warf sich Louise schlaf- und ruhelos auf dem prächtigen Lager umher, das ihr zum Flammenbette ward.
Die Nachricht, daß St. Auge in einer Schlacht gefallen sey, traf sie um diese Zeit schmerzlich, wie sie solches sonst wohl nie getroffen hätte. Sie sah in den Abgrund der eigenen Brust hinab und entsetzte sich bei dem Gedanken:
»Wie, wenn die rächende Vergeltung diesen Deutschen zu meiner Strafe gesendet hätte? Wenn er eben so geübt, wie ich, in der Kunst des Truges, mich in meinen eigenen N3tzen gefangen hielte?« Diese Idee peinigte sie unablässig, und jede Stunde, seelig durchlebt an Otto's Herzen, bezahlte sie mit einer furchtbar durchwachten Nacht. Ihre Gesundheit begann diesen ewigen Stürmen zu weichen. Der Ritter erschrak über ihre sichtliche Veränderung, und beschwor sie mit den rührendsten Bitten und Klagen ihm zu vertrauen, was ihr Herz so quäle. – Da gestand sie die Zweifel, welche sie an seiner Liebe hege. Obgleich das reine Gemüth Ottos für solches Mißtrauen keinen Sinn hatte, so erhob er sich dennoch mit Ernst und Feierlichkeit, und sprach mit lauter Stimme, den Arm zum Schwur erhebend:
»Ich schwöre Dir, Louise, bei meiner Ehre und Ritterpflicht, bei meinem Glauben an den Allerhöchstem und seine heilige Kirche, bei meiner Hoffnung auf die Unsterblichkeit der Seele: ich liebe Dich wahrhaft und treu und werde niemals von Dir lassen; solchen Schwur aber werde ich Dir halten, ein deutscher Ritter!«
Louise hielt ihn schweigend umfaßt. »Wenn diese Handlung Dich nicht beruhigt, wenn Du nicht Glauben fassen kannst,« so sprach Otto mit bebender Stimme, »so entsage ich der Hoffnung auf unser beider Glück!« – »Ich glaube Dir, ich baue auf Dich!« rief die Fürstin, und ihre Zweifel flossen hin in einem Strom von Thränen.
Sie schien beruhigt, sie täuschte sich über sich selbst, und kaum hatte Otto sie verlassen, begann der alte Kampf auf's neue. Glaubte sie auch an des Ritters Liebe, an seine Treue glaubte sie nicht, und in ihrer Angst, in ihrer Qual wußte sie sich selbst nicht zu rathen.
Da ließ sie den treuen Arzt zu sich rufen, der ihr aus Spanien gefolgt war, und vertraute ihm, was sie zur Verzweiflung brachte. Der alte erfahrne Mann, der ihre Krankheit besser durchschaute, als Otto, denn er kannte ihren ganzen Lebenswandel, schüttelte bedenklich das graue Haupt und sprach: »Durchlaucht, ich fürchte, Ihr seyd unheilbar!« Louise bebte zusammen. »Giebt es denn kein Mittel, die Treue eines Mannes zu erproben?« rief sie verzweifelnd. »Nein, Sennora,« erwiederte der Arzt, »für Euch keines; denn wo so gor kein Glauben Wurzel schlägt im tiefsten Leben, wo solche Redlichkeit, wie die des Ritters, in Zweifel kommt, da giebt es kein Mittel!« Nach eines langen Unterredung verließ der alte Mann die junge, reizende Gebieterin; die aber warf sich weinend auf ihr Lager, und als Otto des andern Tages kam, lag Louise im heftigsten Fieber und kannte den Geliebten nicht mehr.
Nichts gleicht dem Schrecken des liebenden Mannes, als er sie, die sein ganzes Wesen mit einer glühenden Leidenschaft erfüllt hatte, in wilden Fieber-Phantasien vor sich sah. Mit Angst und Schmerz fragte er den herbeigeeilten Arzt um seine Meinung; doch dieser zuckte die Achseln und schwieg. Acht Tage lag Louise so, nur wenig lichte Momente erheiterten die höllenbangen Stunden, welche der Ritter schlaflos an ihrem Lager durchwachte. Wenn sie ihn erkannte, rief sie jedesmal: »Bleibst Du mir treu, mein Otto!« und preßte seine Hand auf ihr wild pochendes Herz.
»Bis in den Tod!« erwiderte dann der entzückte Ritter, denn sie hatte ihn ja wieder erkannt. – Einmal fragte sie wieder so, und Otto antwortete wieder: »Bis in den Tod!« »Bis nach dem Tod sollst Du mein bleiben!« rief sie in Fieberhitze. »Bis nach dem Tod!« erwiederte der Ritter feierlich; sie sank beruhigt auf ihr Lager zurück. Am achten Tage öffnete sie plötzlich die Augen, erhob sich, und sah dann die Umstehenden an.
»So eben war mein Vater da, und sagte mir, daß man mich in drei Tagen begraben würde. Ich sterbe. Holt mir Notarien und Zeugen, ich will meinen letzten Willen aufsetzen lassen.« – Todtenbleich rief der Ritter: »Um Gott! Louise, sprichst Du im Fieber? O wehren alle Heiligen dieß Entsetzliche von uns ab!« – Doch die Fürstin blieb auf ihrem Sinn. Sie vermachte ihr ganzes Vermögen dem Ritter, dann ließ sie ihn einen furchtbaren Eid schwören, niemals auf Erden einer andern Frau anzugehören. Als Otto mit schmerzgebrochner Stimme den Schwur geendet hatte, sank sie beruhigt auf ihr Lager zurück. Des Ritters Arme hielten sie umfaßt; sie fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachte. – Kalt und kälter ward sie, die bleichen Lippen waren verschlossen, mit einem Schrei der Verzweiflung sank der Ritter auf die entseelte Hülle, und bewußtlos trug man den Unglücklichen von hinnen. –
Louise lag schon in kühler Gruft, als dem Ritter die Besinnung wiederkehrte. Sein Schmerz grenzte an Wahnsinn, er ging zurück in ihren Pallast, er warf sich an dem Orangenbaume nieder, an dem er sie zum erstenmal in die Arme geschlossen hatte, er kniete stundenlang vor dem Lager, auf dem sie verschieden war, und mit jedem Tage ward sein Schmerz heftiger, sein Leiden schrecklicher. In einem furchtbaren Zustande ging er aus einem Gemach in das andere, und der alte, redliche Arzt fürchtete für seinen Verstand.
In der Stadt machte dieß traurige Ereigniß eben so viel Aufsehen, als es Betrübniß und wahres Mitleiden weckte. Vergeben waren der stolzen Louise alle Fehler, man sah nur die in der Blüthe verwelkte Schönheit, und Tausende waren zu dem Saal gewandelt, in dem sie zwischen weißen Rosen, gleich einem Traumgebilde schlummernd, zur Schau gestellt war. Des Ritters Leid fand, wohl verstanden in manchem einst von ihr betrogenen Busen Anklang, und es ward ihm wahre Theilnahme.
Der deutsche Abgesandte aber fing zu fürchten an für seines jungen Freundes Leben, wenn man ihn nicht aus einer Umgebung reißen würde, die seinen Verlust ihm täglich erneute, und so erschien plötzlich ein Befehl des Kaisers, der Otto von Leuen nach der Heimath rief. Ohne Zögern sollte er Paris verlassen. –
Mit blutendem Herzen vernahm der Ritter diese Kunde; er sollte sich trennen von der Stadt, wo tausend süße Erinnerungen an die Theure ihn umgaben! – Bald war er jedoch, treu seiner Pflicht, zur Reise gerüstet, und begab sich in Louisens Wohnung, um hier noch einmal zu wühlen in der blutigen Wunde, die ihm ein grausames Geschick geschlagen hatte.
Es war Nacht, als er in den Pallast getreten war; er wollte hier verweilen bis an den Morgen, und der verewigten Braut noch einmal an der Stätte, wo sie starb, ein heiliges Todten-Opfer bringen. In dem Gemach, das ihre letzten Seufzer geweiht hatten, brannte eine düstre Lampe, die ungewissen, trüben Schimmer verbreitete. Die seidenen Polster lagen noch so, wie sie ihr schöner Leib zum letztenmal berührt hatte; der Beischemel, auf dem sie oft gekniet, stand unverrückt vor dem Bild der heiligen Mutter, die lächelnd, mit dem Jesuskinde auf dem Arm, zu dem Betenden niedersah. In seinem tiefen, unsäglichen Schmerz drängte es den Ritter hinzusinken an die Stelle, die Louise geweiht hatte. Er küßte die leisen Spuren, welche ihre zarten Knie dem rothen Sammet eingedrückt hatten. Thränen entstürzten seinen männlichen Augen, ein unnennbares Weh beugte sein Haupt nieder auf den Schemel. Er wollte beten, doch er vermochte es nicht; vergebens rang er nach Worten in der zerrissenen Brust, er stammelte nur leise: »Louise, theures Weib, geliebter Schatten, ich scheide, scheide !« – Da ballten dumpfe Schläge vom nahen Dom, zwölf war die Stunde. Die Lampe erlosch plötzlich, tiefe Nacht verbreitete sich im Gemach. Ein leiser Schauer bebte durch des Ritters Glieder, ihm war, als rauschten die seidenen Gardinen, als schwebten Schritte über die kostbaren Teppiche des Bodens, ein seltsam fremdes Leben regte sich um ihn, ein leises Wehen rührte an seinen Nacken, er erhob das Haupt, schaute rückwärts – und draußen, unter ihren Blumen im matten Schimmer, schwebte, von weißen Hüllen rings umflossen, ein bleiches Geisterbild. »Louise!« rief der Ritter mit Entsetzen; die menschliche Natur, der Aberglaube jener Zeit siegte über seine Liebe, die Haare auf seinem Haupte sträubten sich bergan, er blickte unverwandt mit starrem Auge nach der furchtbaren Erscheinung, unfähig eines weitern Lautes. Da hauchte es geisterartig, kaum hörbar: » Halte Wort der todten Braut!« – und plötzlich deckte tiefe Finsterniß, wie vorher, die Gemächer. Die Erscheinung war verschwunden, und der Ritter sank betäubt auf den Betschemel zurück.
Als er endlich mit grausendem Gefühl um sich blickte, und seine Sinne ihm die Schreckens-Scene auf's neue vormalten, ergriff ihn ein seltsamer Schauer. Es war kein Traum, der ihn geschreckt hatte; die Wirklichkeit stand jetzt wieder vor ihm da, und die Gewißheit, daß Louise selbst im Tode nicht von ihm lassen konnte, erfüllte seine Seele mit einem halb freudigen, halb traurigen Gefühl.
Er verließ nun Paris, von dem alten, wackern Arzt der verstorbenen Fürstin geleitet, welcher ihm versprach, niemals mehr ihn zu verlassen. Er war ihm eine theure Erinnerung an die Geliebte.
»Halte Wort der todten Braut!« so tönte es in seinem Innern noch immer fort. Als er schon längst Frankreichs Grenze hinter sich hatte, klangen diese Worte mit ewig unvergeßlichem Tone schauerlich und tröstend in seiner Seele, und erst nach Monden konnte er den Gedanken mit Ruhe denken, daß Louise ihm erschienen sey, und ihm, als Zeichen ihrer Liebe noch jenseits, diese Worte zugerufen habe. Eine andere Welt war nun in seiner Brust aufgegangen, mit heißer Sehnsucht hing er an todten Braut, und immer mächtiger werdend, begann sein stiller Schmerz ihn nachzuziehen in jene Gruft, die ihren Leib umfloß. Mit Thränen sahen seine treuen Diener seine Leiden, mit Kummer sah der Kaiser selbst den wackern Mann so in der Blüthe seiner Jahre dahin welken; doch mochte er ihm den Wunsch nicht wehren, nach seiner Burg Leuenstein zurückzukehren und das rauschende Hoflager zu verlassen. Bald ritt nun Otto trüb und bleich in die Burg seiner Väter ein, um seinem Schmerz und der Liebe für seine Todte in ungestörter Ruhe zu leben.
Unweit der Feste Leuenstein lebte ein Fräulein, jung und sittig, einen alten, theuren Vater pflegend, entfernt von dem Geräusche der Welt, auf einer armen, von den Vätern ererbten Burg. Ihr Daseyn floß still dahin, die Wünsche des holden Wesens drangen nicht über die Mauern des düstern Burggartens, und zufrieden, ihre Kindespflicht erfüllt zu haben, wolle sie einst als Jungfrau das Haupt dem Tode neigen.
In frühester Jugend war Mathilde Otto's Spielgefährtin gewesen, und eine zarte Neigung für den Jüngling geleitete sie in die reifen Jahre hinüber. –
Wohl oft bemerkte Otto das Wohlwollen des Fräuleins, doch da sein Herz sich nicht zu ihr neigte, zog er sich zurück, und Mathilde verschloß in stiller Brust den Kummer, als der Ritter an den Hof des Kaisers zog, die Heimath und der Väter stolze Burg auf lange Zeit im Rücken lassend.
Nun war er plötzlich rückgekehrt, und bald erscholl die Nachbarschaft von seinem Abentheuer in Frankreich, und von dem tiefen Kummer, welcher sein ganzes Wesen verwandelt habe. Der alte Herr zu Greiffenstein, so hieß Mathildens Vater, begab sich eines Tages auf den Weg, den jungen Ritter, dem er von Herzen wohlwollte, Willkommen zu heißen. – Otto war tief beschämt, als der wackre Alte bei ihm erschien; hatte er doch alle seine Pflichten vergessen, und nicht einmal seines Vaters Jugendfreund begrüßt. – Mit einem Händedruck bat er diesem das Unrecht ab, und Greiffenstein vergab ihm gern, war doch der sonst kräftig blühende Mann bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, so hatten Gram und Leiden ihr Siegel ihm aufgedrückt. Die ehemalige Freundschaft war bald wieder hergestellt, und Otto erschien nach wenig Tagen auf der Greiffenburg. – Lange sah er Mathilden nicht. Endlich trat sie ins Gemach. Sie schwebte fast nur, so bleich und hager war die sonst freundlich Blühende geworden. Ihr Antlitz war, wie sonst, so mild und hold, doch Todesblässe hatte das Roth der vollen Wange verdrängt. Die Augen schauten matt und trüb, und nur dann, wenn sie sprach, wenn ihre leisen Tone die zartgedachten Worte in des Hörers Ohr trugen, belebte ein warmer Strahl die erstarrten Züge. Otto erschrak bei diesem Anblick. Ein schnelles Roth deckte auf einen Augenblick ihr Gesicht, doch war es nur ein Augenblick, dann trat sie ruhig und gefaßt dem Ritter näher, der seine Bewegung kaum zu verbergen vermochte. – Eine innere Stimme sagte ihm: »Für dich hat die Arme gelitten,« und Mitleid regte sich in seinem Busen. Sein Mitleid aber suchte Mathilde nicht. Sie hatte mit sich selbst und ihrer hoffnungslosen Liebe längst Ruhe geschlossen, und der Gedanke, daß Otto errathen konnte, welch ein Leiden sie so verändert habe, war ihr peinigend.
Obgleich nun aber Mathilde und Otto schwiegen, so wußten beide genug von einander, um sich zu meiden, und Otto fand das Fräulein nie, so selten er auch nach Greiffenstein kam; das Fräulein aber begegnete dem Ritter nie, wenn sie im nahen Wald ihn still und in sich selbst versunken, wandeln sah. Nur zu sichtbar war es, daß des Ritters Herz unauflöslich an der todten Braut hänge, zu der er sich mit tausend Klagen hinabsehnte.
Wohl mancher Ritter kam von nah und fern, und trug die schöne Tochter oder Base dem reichen Otto an zur Frau. Doch Mathildens stiller Reiz und Kummer konnte sein Herz nicht rühren, wie sollte irgend ein anderes Weib Louisens Bild in ihm verwischen? – Er zog sich mehr und mehr in seine Einsamkeit zurück, und lebte in dumpfem Brüten über seinen Schmerz, wie heut, so morgen, ohne Linderung seines Leidens. In einem Kabinet der Burg hing zwischen schwarzen Sammt-Behängen Louisens Bild, da weilte er am liebsten, und Stunden, Tage lang verschloß er sich mit diesem treuen Abbild seiner Braut. –
Da drang ein Aufruf des Kaisers an alle Ritter plötzlich auch in Otto's stille Burg. Ein Krieg, der schnell entstanden, forderte wackere Streiter, und die ganze Ritterschaft ward aufgerufen, nach Macht und Kräften den Kaiser zu unterstützen. Wie aus einem dumpfen Traume erwachend, fuhr Otto empor bei dieser Nachricht. Jetzt auf einmal ward es hell in seiner Seele, wie ein Lichtstrahl fiel es leuchtend in sein dumpfes Schmerzensstarren, und fest entschlossen, den Tod zu suchen in ruhmvoller Schlacht, sprang er empor. Schnell riß er einen Fensterflügel auf, und rief in den Burghof hinab: »Wohl auf! ihr Troßbuben, sattelt mir mein Roß, ich reite nach Greiffenstein, und wollt ihr mit ins Feld, so macht euch fertig, denn morgen früh gehts schon dem Tode zu!« –
Noch einige Anstalten traf nun Otto rasch, dann sprengte er hinüber nach dem alten, wackern Freund.
Mathilde saß am Bett des schnell und schwer erkrankten Alten, und war eben bemüht, einen Kräutertrank zu kühlen, welchen sie für den Vater bereitet hatte, als des Ritters kräftiger Tritt die steinernen Stiegen heraufklirrte. Sie bebte, denn heute konnte sie sich nicht vor ihm verbergen, ja, sein Erscheinen ward ihr sogar tröstend in des Vaters Noth, und dennoch zitterte ihr armes Herz bei dem Gedanken, ihn zu sehen. Da öffnete er rasch das Zimmer, und trat ein mit heitererem Gesicht, als ihn so Mathilde lange nicht gesehen hatte. Der Alte bot ihm freundlich die fieberheiße Hand und sprach: »Herr Ritter, mit mir gehts bald zu Ende, das seht Ihr wohl, und wie ein Bote des Himmels erscheint Ihr mir in diesem Augenblick. – Seht hier Mathilden! Ihr wißt, sie ist allein, verwaist, verlassen, wenn ich die Augen schließe. O, gebt mir Ruhe im Tode, versprecht mir, sie zu schützen wie eine Schwester, bin ich einst dahin!« Rasch ergriff Otto des Alten Hand und wollte sprechen; doch mit den Worten: »O theurer Vater!« – unterbrach Mathilde ihn mit bebender Stimme – »sprecht doch von solchem großen Elend nicht, so mich bedroht, Ihr seyd noch immer rüstig, und drückt wohl eher die Augen Eures Kindes zu, als dieß die Euren. Doch sollte – was Gott verhüten wolle – des Lebens Ende Euch schon nahen, so bedarf ich keines weltlichen Schutzes mehr!« und tief und demuthsvoll sich beugend vor dem Ritter, schloß sie: »Ich danke Euch, edler Otto von Leuen, für jeden Schutz, so Ihr ritterlich mir gewähren solltet in diesem Falle. Sankt Annens Kloster wird dann das freundlich stille Ziel meiner Wünsche!« –
»O theures Fräulein,« – sprach Otto – »so denkt Ihr also früh der schönen Welt schon zu entsagen? Doch auch mich führt mein Beruf von hier, und ich bin gekommen, Euch ein ewiges Lebewohl zu bringen.« Mathilde sah ihn schweigend und starren Blickes an, der Ritter ergriff ihre Hand, und fuhr fort, indem er sie an seine Lippen drückte: »Gehabt Euch wohl, mein edles Fräulein, holdes Frauenbild, das Ihr des Vaters Leben still verschönt! Der Himmel lohne Eure Tugend! Ich aber ziehe fort ins Feld, um dort den längst ersehnten Tod zu finden, und streifet einst in nächt'ger Stille ein flücht'ges Wehen an Euch vorüber, so ist's mein Geist, der Euch den letzten Gruß im Sterben sendet!« – Mathilde stand noch immer regungslos, und schien es nicht zu wissen, daß große Perlen über ihre Wangen rollten. Jetzt bat der Vater, ihm den Trank zu holen, sie bewegte sich dem fernen Tische zu, doch wankend, ungewissen Schrittes, ging sie vorwärts. Der Ritter folgte ihr mit seinen Blicken, denn einer Leiche gleich sank sie zusammen, und seine Arme erhielten sie mit Mühe vor dem gänzlichen Sturz. Schmerzliches Mitgefühl bewegte Otto's Busen, als er den Angstschrey des erschrockenen Vaters vernahm, und auf das bleiche Antlitz herabsah, das kalt und leblos an seinem Herzen ruhte. Er rief sie mit süßer, leiser Stimme beim Namen, er drückte sein glühendes Gesicht auf ihre bleichen Wangen, um sie zu erwärmen, er preßte sie in der Angst, sich selber unbewußt, in seine Arme, an seine Brust, und endlich, endlich schlug sie die Augen wieder auf, »Mathilde, mein theures Fräulein!« rief Otto hoch erfreut – Mathildens Haupt aber sank sanft an seine Brust, ihre Arme schlangen fast unwillkührlich sich um seinen Nacken, und unter einem Strom von glühenden. Thränen lispelte sie: »So reiset mit Gott, geliebter Ritter, vergesset nicht den Gruß mir zuzusenden, es folgt mein Geist dann schnell dem Euern nach!«
Otto hielt sie umfaßt, ein seltsames Gefühl, zwischen Mitleid und Schmerz schwankend, wogte in seiner Brust. Er legte sie sanft in die Arme ihres Vaters, und als Mathilde das erglühende Haupt an seinem Busen barg, preßte er ihre Hand noch einmal an seine Lippen, schüttelte des alten Ritters Rechte, rief: »Gott mit Euch!« und stürzte fort. –
Sein Busen war voll Wehes. Mathilde's hoffnungslose Liebe hatte sich zu deutlich ihm verrathen, ihr Zustand jammerte ihn, sie sank sichtlich dem Grabe zu. – »So sinkt denn alles Dir nach, meine Louise« – sprach er mit blutendem Herzen – »nur ich, Dein Otto, muß wandern auf der kalten, öden Erde!« – Das Herz war ihm so schwer, als er ankam in der Burg; er stieg vom Roß und ging in den stillen Schloßgarten hinab. Die Somme sank hinter die Gebirge, ernstes Schweigen herrschte rings umher, nur von dem lieblichen Schlag der Nachtigall hin und wieder unterbrochen. Mit untergeschlagnen Armen, mit tief auf die Brust gesenktem Haupte warf er sich auf eine Rasenbank, die unter traulichen Rosenblüthen weich und duftend sein Lieblingsplatz geworden war. In düstres Sinnen verloren, schaute er vor sich hinaus in die lange Lindenallee, die vor ihm lag und ihre dunkeln Riesenschatten weit von sich in den Garten warf. Da schwebte eine schleierumhüllte weiße Frauengestalt den Gang herauf. Otto erhob das Haupt, verwundert über die Erscheinung einer Dame in seiner einsamen Burg. Doch näher und näher kam das weiße Gebild, seine Züge fingen an sich zu entfalten, Otto starrte mit weitgeöffneten Augen ihm entgegen – entsetzlich – es war Louise. – Der Ritter sprang empor und rief: »Seeliger Geist, was quält Dich; daß Du nicht Ruhe im Grabe findest?« – Doch näher trat die Gestalt dem Weichenden, und plötzlich rief Louisens wohlbekannte Stimme! »Mein Otto, erkennst Du die Braut nicht? – Das Grab behielt mich nicht, ich bin Dir zurückgegeben, bin Dein auf ewig!« –
»Du lebst!« stammelte er. An seine Brust sinkend, mit beiden Armen ihn umfassend, rief Louise: »Ich lebe, lebe für Dich!« und sie umschließend taumelte der Ritter in wahnsinniger Freude auf die Bank zurück. »Leben – Gott! leben!« stöhnte er mit glühendem Entzücken, und die theure Wiedererhaltene mit tausend Küssen bedeckend, kehrte ihm Besinnung, Freude, Lebenslust. allmählig in die schmerzenvolle Brust zurück. Eine Stunde verstrich so in wortloser Seeligkeit den Liebenden, die Dämmerung war zur freundlichen Mondnacht geworden, und der Ritter sprach endlich, Louisen auf seine Knie ziehend: »Theure Braut, löse mir das Räthsel, sprich, welch ein Wunder gab Dich mir wieder?« – und traulich die Arme um seinen Hals schlingend, begann Louise:
»Du erinnerst Dich ja wohl der Zweifel, des Mißtrauens, das mich zu foltern begann, als wir in Paris uns verlobt hatten. Zweimal im Leben betrogen, konnte ich nicht mehr Glauben fassen an wahre Treue! Ich sann vergebens auf Mittel, Dich zu prüfen, vergebens schwurst Du mir, ich glaubte Dir nicht, in der Kunst des Truges nur allzu erfahren, zitterte ich vor jedem Deiner Blicke, den ich mir nicht gleich erklären konnte. – Endlich vertraute ich mich meinem Arzt, der zuerst alles anwandte mich zu beruhigen und von Deiner unwandelbaren Liebe und Treue zu überzeugen; da er jedoch sah, daß ich unheilbar sey, sich entschloß mir ein untrügliches Mittel anzugeben, mit unumstößlicher Wahrheit mich von Deiner Liebe zu überzeugen. – Zu dem Ende ließ ich von Wachs eine Gestalt verfertigen, die mir vollkommen ähnlich war, so zwar, daß ich sie selbst nicht ohne Entsetzen betrachten konnte. Als dieß geschehen, mußt. ich in jene Krankheit verfallen, welches mir um so leichter ward, da durch die immerwährenden Kämpfe meiner Seele mein Körper geschwächt, zerrüttet und meine Wange erbleicht war. – Ich sah Deine Leiden an meinem Krankenbett, und erfuhr von dem Arzte Deinen wüthenden Schmerz bei meinem Tode. Ich selbst wußte davon nichts, denn nachdem ich das Testament gemacht, nahm ich den dazu bereiteten Schlaftrunk, der mich bald kalt und leblos in Deine Arme warf.
Als man Dich hinweggebracht, trug der Arzt und meine treue Kammerfrau mich in ein verstecktes Gemach des Hinterhauses, wo ich nach zwölf Stunden wieder erwachte. Die Wachsgestalt aber wurde von diesen Vertrauten, mit weißen Rosen verziert, auf das Paradebett gelegt, dem man sich nur bis an die Schranken nahen durfte, also den Betrug nicht entdecken konnte. Der Arzt hatte mit Recht darauf gerechnet, daß Du in der ersten Zeit besinnungslos seyn und meinem Begräbniß nicht werdest beiwohnen können. – Glücklich ging alles nach unserm Wunsche. Vor der Eröffnung des Sarges schützte mich eine Klausel im Testament; so hatte ich also nicht zu fürchten, daß Du mich in der Gruft aufsuchen würdest. Mein Sarg ward mit starken Schlössern wohl verschlossen, wozu ich die Schlüssel bekam. Da sah ich nun, in einer geheimen Nische verborgen, Deinen wüthenden Schmerz, Dein unaussprechliches Leiden, ich hörte die Worte, welche Du der Verstorbenen zusandtest, sah Deine Thränen fließen, und oft drängte es mich mit Macht, hervor an Deine Brust zu stürzen, den ganzen Betrug Dir zu gestehen. Dann aber flüsterte meine Zweifelswuth mir zu: ›Wie? im ersten Augenblick willst du das glücklich Gelungene zerstören? Von seinem Schmerz bist du jetzt erst Zeuge, von seiner Treue mußt du es aber auch werden!‹ –
Als Du Anstalten zur Rückreise nach Deutschland machtest, erfaßte mich eine namenlose Augst. Ich erschien Dir, rief Dir jene Worte zu, nur um mich Deiner Treue doppelt zu versichern, und folgte Dir dann als Diener verkleidet unter dem Schutze des Arztes, bei dem ich war, nach Deinem Vaterlande. – Dort sah ich zuerst Dein Leben am kaiserlichen Hof, dann Dein stilles Schmerzenswallen hier. Ich sah die hoffnungslose Liebe der edlen Mathilde und Dein für jede Versuchung verschlossenes Herz. Jetzt kam der Augenblick immer näher, wo ich hervortreten sollte, von der Wahrheit überzeugt, daß der treueste, liebevollste Mann auf Erden mir zu Theil geworden sey, doch den Ablauf eines vollen Jahres hatte ich mir gelobt abzuwarten. Da öffnetest Du heut das Fenster, und riefst die gräßlichen Worte herab:
›Wohlauf, Ihr Troßbuben; wollt Ihr mit ins Feld, so macht Euch fertig, morgen gehts fort in den Tod!‹ –
Mit Mühe schleppte ich mich hinauf in das Zimmer des Arztes, meine Kräfte waren gebrochen, und als Du über die Zugbrücke sprengtest, mein Entschluß gefaßt. Ich langte meine Frauenkleider hervor, und harrte mit pochendem Herzen mit glühender Sehnsucht Deiner Rückkehr. Du kamst, ich hoffte vergebens, daß Du die Treppen hinan steigen werdest. Du seyst in den Garten hinabgegangen, sagte man dem Arzt; ich eilte Dir nach, und liege nun in Deinen Armen, Deine glückliche, unaussprechlich seelige Braut, und halte Dich umschlungen, um Dich niemals wieder zu verlassen!«
Louise hatte geendet. Eine lange feierliche Stille folgte auf die gegebene Lösung des Räthsels. Des Ritters umschlingende Arme waren während ihrer Erzählung langsam, ihm selbst fast unbewußt, von ihrem schlanken Leib herabgesunken. Vergebens lauschte sie nach Antwort aus dem geliebten Munde, noch immer schweigend sah er in die Nacht hinaus. Louise erschrak, ein heimlich Grauen wandelte sie an, böse Ahnungen zogen an ihrer Seele vorüber, denn Otto's Brust arbeitete schwer, wie unter einer großen Last. »Liebst Du mich nicht mehr?« Mit diesen Worten brach sie endlich die Stille, und erhob sich von seinen Knien.
»Ich liebe Euch, Louise, bis in mein Grab! Doch sag ich Euch, was jetzt mein Herz zerreißt. Ich muß Euch fliehen, kann fürder nicht mit Euch vereinigt leben!« Louise bebte zusammen, und sah mit verlöschenden Blicken zu ihm auf. – Er aber fuhr mit feierlicher Stimme also fort:
»Ihr habt es über Euch vermocht, den Mann, den Ihr liebt, ein ganzes langes Jahr in dieser Höllenqual verschmachten zu sehen? Ein Wort von Euch genügte mich zu erlösen, doch Ihr vermochtet es über Euch muthwillig mich dahinsterben zu sehen! Mein heilig Ritterwort verachtetet Ihr, den heiligen Eid, den ich vor Gott geschworen? nichts konnte mich retten von dem gräßlichen Spiel, das Ihr mit mir getrieben!
O wie viel Uebles mußte in Euerm Busen schlafen, daß Ihr in Andern so viel Tücke suchtet! – Ihr seyd das Weib nicht, das mich beglücken kann, Ihr seyd kein Weib! und habt Ihr es ertragen, ein fürchterliches Jahr mich so zu necken, so tragt nun auch unsere ewige Trennung; denn niemals mehr könnt' ich mit offnem, ruhigem Herzen in Euren Armen ruh'n! Ihr seyd die Louise nimmer,« – rief er mit schmerzgebrochnem Herzen, und seine Stimme erstarb in Thränen – »der ich einst mein ganzes Herz, mein Glück gegeben, sie ist dahin, ist todt! Mein Glück, es ruht bei ihr in stiller Gruft! Dieser Todten schwur ich Treue bis nach dem Tod, das will ich halten, ich, ein deutscher Ritter!« –
Mit diesen Worten wandte er sich bebenden Schrittes zu den Linden, und wankte mit grausam zerrissener Seele den Gang hinab. Bis er verschwunden, starrte regungslos Louise ihm nach, dann stürzte sie leblos zusammen
Nach langen Tagen krankhaften Ringens erwachte die Unglückliche zum Bewußtseyn wieder. Ein bleiches, schönes Engelskind hielt sie in liebenden Armen, und strich mit weicher Hand die wilden Locken ihr von der Stirn. »Wo bin ich!« seufzte Louise. »Auf der Greiffenburg,« antwortete eine sanfte Stimme, »Und Otto?« frug sie wieder, »Zog fort ins Feld!« – tönte es mild zur Antwort, und wieder umschleierte Nacht Louisens Auge. Mathildens Sorgfalt brachte sie ins Leben zurück. Sie genaß langsam. Gleich einem giftigen Scorpion nagten Reue und Kummer in ihrer Seele. Sie war unaussprechlich elend. Mathilde wachte mit dem liebenden Blick einer treuen Schwester über jede Miene der unglücklichen Fürstin. Ihr reines Gemüth kannte kein anderes Gefühl als innige Liebe, zarte Schonung gegen die Frau, welche den höchsten Wunsch ihres freudenleeren Daseyns, Otto's Liebe, gewonnen hatte.
Noch hatte sie keinen Schlüssel zu der räthselhaften Begebenheit, welche Louisen ihr zuführte. In jener Nacht kam der Ritter nach Greiffenstein gesprengt. In seinen Armen, vor ihm auf dem Roß hielt er die bewußtlose Fürstin. Er ließ Mathilden rufen, welche erstaunt im sittigen Nachtkleid die steinernen Treppen hinab stieg; da legte er dir halbtodte Louise in ihre Arme und sprach:
»Wahret dieß Pfand meiner Verehrung für Euch, edles Fräulein, es ist mir ein theures, schmerzenreiches Kleinod, es ist meine ins Leben zurückgekehrte Braut. Nur unter Eurer milden Sorge kann sie genesen, oder sollte sie dieß nicht, so laßt sie in Euern Armen sanft verscheiden!«
Mit diesen Worten sprengte er in die Nacht hinaus, und zog am andern Morgen mit seinen Leuten fort, Mathilde aber trug mit Hülfe ihrer Diener die noch immer regungslose Fürstin nach ihrem Zimmer. – Mit treuer Sorge hütete sie das anvertraute Gut, und als der Tod den theuren Vater ihr entriß, gewährte ihr die Pflege der kranken Louise vielen Trost, hatte sie doch ein Pfand des Vertrauens ihres unaussprechlich geliebten Freundes.
Des Fräuleins klarer, edler Sinn wirkte wohlthätig auf die Genesende ein. Sie fühlte zum erstenmal das reine Gefühl der Freundschaft zwischen zwei fühlenden Wesen, und gab Mathilden ihr ganzes Vertrauen.
Mt Entsetzen und Thränen hörte das sittsame, in stillen Burgmauern erwachsene, Mädchen Begebenheiten, an deren Existenz sie niemals gedacht hatte. Sie hörte mit Schaudern, in welche Tiefe die Fürstin gesunken war. Für die Qual, welche die Zweifelnde freventlich dem Geliebten bereitet hatte, glaubte sie in seiner Flucht die rächende Hand Gottes zu erkennen. »O!« sprach sie, »glaubt mir, Fürstin, Gott würdigt Euch jetzt, durch Euer schweres Leiden die frühern Vergehen abzubüßen, denn Euer thörichter Stolz hat Euch in all' dieß Elend gestürzt. Erkennet die Gnade des Herrn und folgt mir nach St. Annens Kloster, dort laßt uns dieß trübe Leben in Arbeit und Gebet beschließen!« Louise schüttelte schweigend das Haupt. Sie hoffte noch immer von Otto's Liebe für sie Rückkehr. – Mathilde kannte den deutschen Mann besser. –
»Ihr hofft umsonst,« sprach sie oft, wenn Louise harrend auf der Zinne der Burg stand, und sehnend hinaus sah in die blaue Ferne, – er kehrt Euch nicht zurück, er hält sein Wort!« Dann ging Louise stumm, mit über die wunde Brust gekreuzten Armen zurück in die die Burg und sank hoffnungslos und düster auf ihr Ruhebett.
Eh war in ewigem Harren und Sehnen ein Jahr verstrichen. Die beiden Frauen saßen einmal im dämm'rigen Gemach, und blickten trauernd in die Zukunft, denn Mathilde wollte in's Kloster ziehen, und Louise dachte an den Geliebten, den eigne Schuld ihr geraubt hatte. Da klang es wie Sporengeklirr die Treppen herauf, ein kräftiger Männerschritt schallte durch den Gang, beide Frauen horchten hoch auf, denn fremd war dieser Ton auf der Burg Greiffenstein geworden; Louisens Herz schwoll in einer namenlosen freudigen Hoffnung, die Thüre öffnete sich, und herein trat eine hohe Männergestalt mit ernsten Blicken und bleichen, verfallenen Zügen. Tief beugte sich der Ritter vor den Damen, dann trat er auf Louisen zu, und begann in französischer Sprache:
»Mich sendet zu Euch mit Gruß und Petschaft« –
»Allmächtiger!« – rief Louise, die Stimme erkennend – »Ihr seyd St. Auge?!« –
»Ich bin's,« entgegnete dieser ernst und feierlich. – »Gott rächte mich an Euch, darum vergebe ich. – Georgette ist dahin, die Garonne ward ihr Grab. Mich floh der Tod. Schwer verwundet, ließ man mich auf dem Schlachtfeld zurück, ich genaß und zog in meine Heimath! Mein Empfang war die Nachricht von dem traurigen Ende meiner armen betrogenen Geliebten. Ihr Schatten verfolgte mich überall. Ich floh aus meinem Vaterlande, ein mir selbst unerklärliches Gefühl trieb mich nach Deutschland Hier nahm ich wieder Kriegsdienste, und der Zufall oder die leitende Hand Gottes lehrte mich den Mann kennen, den ich bald als den biedersten Freund schätzte. Er ist nicht mehr! Otto von Leuen sendet mich zu Euch; der letzte Hauch, der seiner durchbohrten Brust entfloh, war: ›Louise, meine Braut, ich komme!‹ – Den bring ich Euch mit seiner Vergebung. Gönnet ihm die Ruhe des Grabes, die dem armen Betrogenen ward, und die ich vergebens suchte; nur da ist Friede für ein kämpfendes Gemüth! Sein Herz zog sehnend ihn zu Euch, sein Geist, die Ehre trennten Euch. O, ihm ist wohl!« –
»Ja, ihm ist wohl!« wiederholte Mathilde mit gefalteten Händen und bebender Seele, – »Friede sey mit seiner Asche, Amen!« Ihre starke Seele erhielt sie vor dem Fremden aufrecht.
Louise aber saß, einer er Leiche gleich, mit offenen, starren Augen in St. Auge's bleiches Antlitz schauend, sie schien sitzend gestorben zu seyn. Dieser letzte Schlag des Geschicks hatte sie zerschmettert, ihr Herz war gebrochen, ihr Lebensgebäude in allen Fugen erschüttert. Nach langem Schweigen malte sich ein grimmig wüthender Schmerz in ihren Zügen, sie preßte beide Hände vor die zerrissne Brust und ein furchtbares Stöhnen machte ihrem Herzen Luft.
Mühsam stammelte sie: »Ihr seyd gerächt, St. Auge!« Dann sank sie an Mathildens Brust, und vermochte nur noch die Worte: »Sankt Annens!« – hervorzubringen. –
St. Auge wer tief ergriffen von ihrem qualvollen Zustande.
Er selbst begleitete die Frauen nach dem Kloster, wo beide nach kurzer Zeit den Schleier nahmen. Mathildens reines Gemüth suchte Trost im Glauben, der aber fand in Louisens zerrüttete Seele keinen Eingang mehr. Seit jener Stunde stumm und lautlos, trug sie ihr Elend. Der Schleier deckte wohl die gramverbleichten Züge, doch auch ein schmerzlich gebrochenes Herz.
Als St. Auge kam, um Abschied zu nehmen und in sein Vaterland, an Georgettens Grab zurückzukehren, stand Louisens wirkliche Leiche geschmückt in der Klosterkirche.
Reue und Jammer hatten sie getödtet. Sie entschlummerte sanfter, als sie gelebt, ihre letzten Stunden waren mild und ruhig. Die wilde Verzweiflung ihrer Seele war der festen Zuversicht gewichen, daß sie nun den Geliebten wieder finden werde. Sie verfiel in eine Art Geistesabwesenheit, und ihre letzten Worte zeigten, daß sie den Ritter zu sehen glaubte. Sie breitete die Arme aus, und rief freudig:
»Mein Otto, so bist Du da, die todte Braut zu holen? Sie harret, geläutert, frei von Schuld, ist sie nun ewig Dein!« Ihr Haupt sank mit einem seligen Lächeln zurück. Sie hatte ausgerungen.
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