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Aus dem Leben eines jungen Arztes.
Neapel, im Oktober 180–.
» Italien ist das Land der Liebe, sey auf Deiner Hut, mein Sohn!« das waren Ihre letzten Worte, mein väterlicher Freund, als ich Sie verließ. – Warum, wenn Sie davon so überzeugt waren, wählten Sie gerade mich, den Erbprinzen zu begleiten?
Ihre Stellung als Leibarzt des Fürsten ist von der Art, daß es bei Ihnen stand, jeden Andern an meinem Platz in das Gefolge des Prinzen zu bringen – warum denn eben mich, wenn Sie die Gefahr kannten, der Sie mich Preis gaben?
Ich lächelte, als Sie mir jene Worte zuriefen, ich vertraute auf die Gleichmüthigkeit meines Charakters, die sich auf meinen Reisen in England und Frankreich so oft als unerschütterlich bewährte – jetzt lächle ich nicht mehr, denn ich fühle auf eine wunderbare Art den Einfluß dieser Luft, dieses Himmels, dieser Art zu leben; kurz, ich muß wieder und immer wieder an Ihre Mahnung denken, denn schon bin ich in ein seltsames Abenteuer verwickelt, das meine Sinne fesselt, meinen Geist betäubt, und die klare Ruhe meiner Seele auf eine seltsame Weise zu verwirren droht. Seit meiner Kindheit waren Sie mein einziger Vertrauter, denn Sie erzogen sich die älternlose Waise Ihres Bruders nicht allein zum Sohne, sondern zu Ihrem innigsten Freunde. Es ist mir zum Bedürfniß geworden, mit Ihnen über Alles zu sprechen, was in mir vorgeht. Ich gab Ihnen mein Wort, jeden Abend ein Blatt meines Tagebuchs mit den Ergebnissen der nächstentflohenen Stunden zu füllen, und es Ihnen zuzusenden; ich werde es halten, obgleich ich fürchte, Ihnen manche Schwäche bekennen zu müssen.
Acht Tage verflossen uns in diesem Eden, ohne daß wir daran dachten, unsre Empfehlungen abzugeben; denn wer denkt in dieser Paradiesesluft, versunken im Anblicke des unbeschreiblich herrlichen Meeres, noch an Gesellschaften und Bälle; wer, dem die Natur als blühende reizumflossene Jungfrau, prangend im Schmelz frischer Jugend, die vollen Arme entgegenbreitet, sehnt sich in den dumpfen Kreis eines modernen Zirkels der großen Welt? – Der Prinz war außer sich über Alles, was er sah, und leerte mit vollen Zügen den schäumenden Becher des Genusses, der sich ihm darbot.
Erst in der vorigen Woche begannen wir, die Häuser zu besuchen, an die wir gewiesen waren.
Die Familie des Marchese Vinelli nahm uns besonders freundlich auf. Man lud uns ein, den Abend bei ihnen in San Carlo zuzubringen, und da wir beide noch keine Oper gehört hatten, versprachen wir zu kommen.
Der Andrang der Wagen war sehr bedeutend, als wir zur bestimmten Zeit hinfuhren, und wir hatten die Aussicht, eine halbe Viertelstunde zu warten, ehe wir anfahren konnten. Sie kennen die Ungeduld des Prinzen, er rief: »Kommen Sie, Olden, das währt mir zu lange,« und war mit einem Satze aus dem Wagen. Ich folgte ihm, und sah ihn betroffen stille stehen, und starr in die Fenster einer eleganten Equipage blicken, die vor uns hielt. »Sehen Sie doch, ich bitte Sie,« flüsterte er, mich unter dem Arm fassend, und zog mich näher hinzu. Ich gewahrte eine geschmackvoll gekleidete Dame, die unverwandt nach uns herüber sah, und von unsern Blicken nicht beleidigt schien. Dunkle, feuersprühende Augen leuchteten uns entgegen, Wangen, im Inkarnat der üppigsten Jugend blühend, schwellende Lippen, im Lächeln halb geöffnet, blendende Lilienweiße auf Stirne und Brust, ein Kranz von goldnen Locken um Haupt und Nacken, kurz, das wahre ächte Modell einer Venus.
Ich war wohl von diesem Anblick auch etwas überrascht, und wir sprachen beide nicht eher, als bis der Wagen am Portale vorfuhr, die Dame sich erhob, und eine wunderbar schöne, vielleicht etwas zu üppige Gestalt vor unsern Augen sich in das Haus verlor, doch nicht, ohne vorher im Fluge einen brennenden Blick auf uns zu werfen.
Wir standen und sahen uns schweigend an. Nach einer Pause athmete der Prinz tief auf, und fragte: »War das Weib nicht schön?«
Ich mußte gestehen, daß es das seltenste Original weiblicher Reize sey, welches mir je vorgekommen.
»Ich dürfte sie nicht oft sehen,« versicherte Eduard, mich in das Innere des Gebäudes ziehend.
Gedankenlos eilten wir nach der bezeichneten Loge, öffnen und treten in einen glänzenden Kreis, aus dessen Mitte uns das Gesicht der schönen Unbekannten entgegenstrahlt. Denken Sie sich unsre Verwirrung, Giulietta ist die Tochter des Marchese Vinelli, welche, heute von ihrer Villa nach der Stadt rückkehrend, uns freundlich begrüßte, und den Prinzen ersuchte, ihr Haus als das seine zu betrachten. Ihr Gatte ist ein kleiner blasser Mann mit siechendem Blicke und einem tückischen Lächeln um Mund und Wangen. Er schien sich sehr wenig um sie zu bekümmern.
Ich fand zuerst meine Besinnung wieder, und suchte das Schweigen Eduards so viel als möglich unbemerkt zu machen.
Den Reiz der italienischen Sprache habe ich nie mächtiger empfunden, als aus dem Munde der Marchese. Ihr Organ ist mezzo sopran<, wie dies fast bei allen Italienerinnen der Fall ist, aber mich däucht, ich habe nie schönere, vollere Brusttöne vernommen, als von ihr. Ein wunderbares Leben ist über die ganze Gestalt ausgegossen, ihr Arm, ihr Hals, ihr Nacken sind Modelle, wie sie selten ein Maler finden mag – ihr ganzes Wesen athmet die kräftigste Jugendfrische, Liebe und Leben.
Nachdem ich zehn Minuten mit ihr gesprochen hatte, ward mir's klar, daß dieses Weib einen seltsamen Eindruck auf mich gemacht habe; mir schwindelte, und ich bemühte mich vergebens, unbefangen zu bleiben.
Da wurden die Vorhänge der Loge geöffnet, Stillschweigen geboten, die Prima-Donna trat auf, und Giulietta verließ ihren Platz in der Gesellschaft, um zuzuhören; ich folgte ihr unwillkührlich, und schob ihr einen Stuhl zurecht. Sie bog sich nach mir zurück, und flüsterte mir ein Paar dankende Worte zu; ihr Athem spielte mit meinen Locken, und säuselte lieblich und warm an meiner Wange hin. Da streifte mich ein Blitz aus ihren Augen, ihre Hand sank mit leisem Druck auf die meine, die auf der Lehne ihres Stuhles lag; ein Schauer des Entzückens durchbebte mich, und längst nach Hause gekommen, sitze ich hier, ohne Schlaf und Ruhe, und mein Blut will nicht gelassen, wie sonst, die alte Bahn verfolgen, sondern führt wieder und immer wieder mit wildem Drängen ihr Bild nach meinem Herzen zurück, und zaubert ihren Blick vor meine gereizte Phantasie! –
Sehen Sie, mein Vater, wie sehr Sie recht hatten, und wie schwach Ihr Sohn geworden.
Die Sache fängt an, eine ernste Gestalt anzunehmen. Wir sind viel in dem Hause des Marchese, finden meistens die Tochter dort ohne ihren Gatten, und Alles müßte mich täuschen, oder der Prinz ist von einer heftigen Leidenschaft für Giulietten ergriffen. Er verbirgt sich sorgfältig vor mir, denn es kann seinem Blick so wenig, wie dem meinigen, entgehen, daß die schöne Frau mich auf die auffallendste Weise auszeichnet. Ich selbst bin in der seltsamsten Stimmung meines Lebens.
Dieses Weib wäre fähig, meine Seele mit unsterblicher Liebe zu erfülllen, wenn sie mich verstände. Zu meinem Glücke ist dies nicht der Fall. Das rasche Auflodern einer heftigen Flamme, das hüllenlose Hinneigen, die schrankenlose Leidenschaft des italienischen Weibes entzündet meine Phantasie, aber es fesselt mich nicht, es hinterläßt in meinem Geiste nicht jenes süße träumende Nachempfinden eines seligen Augenblicks, das eigentlich Göttliche an dem Triebe, der den Mann zum Weibe zieht, und den wir in höherer Potenz Liebe nennen.
Ja, wenn Giulietta meinen Charakter verstände, sie könnte mich vielleicht sehr, sehr unglücklich machen.
*
Eine seltsame Scene von diesem Abend muß ich Ihnen mittheilen, ehe ich mein Lager suche. Seit einigen Tagen geht der Prinz viel allein aus, und wir treffen uns oft erst Abends in diesem oder jenem Hause, wo wir eben gerade eingeladen sind.
Heute gab er mir das Rendezvous bei dem Marchese, ich ging etwas früher hin als gewöhnlich, und fand zu meinem Schrecken Giulietten allein auf ihrem Altane, zwischen blühenden Orangen.
Sie trat mir mit einem Ausdruck von Freude entgegen, der umwillkührlich sich in meinem Antlitz zurückspiegelte, zog mich neben sich nieder, und pries den Zufall, der uns endlich allein einander zuführe.
Ich saß verstummt an ihrer Seite. Sie plauderte so lieblich – ihre Wange glühte, ihr Auge hing au dem meinen – mir ward heiß und kalt, vergebens kämpfte ich gegen mich selbst, meine Grundsätze, meine gepriesene Ruhe, meine mühsam errungene Philosophie, Alles zerstob vor der Gewalt ihres Wesens; meine Blicke mochten erzählen, was mein Mund verschwieg; meine Hände hielten die ihren, ihr Haupt lag an meiner Brust, ich wußte nicht, wie das zugegangen.
In diesem Augenblick trat ihr Gatte zu uns auf den Altan. Ich sprang erschrocken auf, Giulietta rührte sich nicht von der Stelle, warf die schönen Lippen in die Höhe, und rief: »Wie unartig, Signor!«
»Verzeihung, Madame,« entgegnete dieser mit einem eiskalten Lächeln, »ich wollte nicht stören.« Und damit verschwand er vom Altan und aus dem Zimmer.
Ich stand sprachlos. Der Taumel war verflogen, ich wußte nicht, was ich von dieser Scene denken sollte. Giulietta stützte das schöne Haupt auf den blendend weißen Arm, strich mit der Hand die Locken aus der Stirn, und schmälte, zu mir aufsehend: »Den schönsten Augenblick meines Lebens hat mir der Unerträgliche vergiftet.«
»Aber, Signora,« rief ich, von meinem Erstaunen zu mir kommend, »ist er denn nicht Ihr Gatte? In Deutschland stände er mir jetzt mit der Klinge in der Hand gegenüber, ist er anders ein Mann von Ehre.«
»Sie bezweifeln dies doch wohl nicht?« fragte Giulietta, stolz sich aufrichtend. »Mein Gatte ist ein Nobile, trotz dem besten im Königreiche beider Sicilien. Aber die lächerliche Mode der deutschen Weiber, die sich mit dem Cicisbeo vor dem Gemahl verbergen müssen, kennen wir hier nicht. Mein Gemahl ist zwanzig Jahre älter als ich – er ist häßlich, ich bin jung und blühend – er ist reich, ich bin es nicht minder; man vermählte uns, damit ein bedeutendes Vermögen zusammen komme, das ist Alles; übrigens sind wir uns fremder, als Sie und ich es in diesem Augenblicke sind; und es ist ihm niemals eingefallen, mir zu verwehren, einen Cicisbeo nach eignem Gutdünken zu wählen.«
Da hatte ich denn allerdings eine Erklärung, die eben so kurz als bündig mir mit einem Worte das Privilegium gab, als obbesagter Cicisbeo aufzutreten. Seltsam genug, daß ich nach diesem Auftritte keine Lust dazu in mir verspürte.
Giulietta schien befremdet über meine Zurückhaltung, sie sah mich ein Paar Sekunden fragend an, dann stand sie auf, und trat zu den Blumen, das Gesicht tief auf die duftigen Blüthen senkend. Ich ging von ihr hinweg, in den Salon zurück.
Es kamen Leute, und nach einer kleinen Weile trat auch sie in's Zimmer, doch verstört und wortkarg, und mit frischen Thränenspuren auf den glühenden Wangen.
Der Prinz kam spät, und schien gleichfalls sehr zerstreut. War es Eifersucht, täuschte ich mich, oder war es Plan? Giulietta's Blicke verweilten heute länger bei ihm, als sonst, sie sprach öfter mit ihm, als gewöhnlich, und er lebte, sich an ihrem Anblicke sonnend, sichtlich wieder auf.
Schweigend gingen wir nach Hause, ich ohne eine Sylbe von Giulietta erhascht zu haben, der Prinz in Träumereien versunken, aber glücklich, wie mir's schien.
Nun, mein Vater, meinen Sie wohl, daß ich sie liebe?
Ich fürchte, Giulietta fängt an, die Art zu finden, mich zu behandeln. Seit jenem Augenblick ist sie auf die seltsamste Weise verändert. Sie zieht den Prinzen an, ohne ihn zu begünstigen, und nichts ist gefährlicher für den betheiligten Zuschauer. Ich ertappe mich auf einem bittern innerlichen Groll, den ich vergebens zu bemeistern suche, und das ist's, wovor ich erschrecke; sollte mich Eif –, nein, ich mag das Wort nicht denken; ich kann mich nicht davon überzeugen, daß ich sie liebe, und woher Eifersucht, wenn keine Liebe vorhanden?
Glauben Sie mir, mein Vater, es ist gereizte Eitelkeit, ich wähnte mich geliebt, vergöttert, und plötzlich umhüllt sich die Listige mit allen Schleiern kalter Zurückhaltung, ich sehe mich getäuscht, und meine Eigenliebe empfängt einen tödtlichen Stoß; das ist der Schlüssel des Räthsels! Denn, offen gestanden, sind wir Männer doch mehr oder weniger Egoisten, und das Weib übt die stärkste Macht über uns, in dem Augenblicke, wo sie es versteht, unser Ich zur höchsten Wichtigkeit zu erheben uns in unserm eignen Wahne recht hoch zu stellen, um uns dann, fein und unvermerkt, wieder fallen zu lassen. Nichts ist reizender, nichts entflammt mehr, als sich plötzlich vernachlässigt, getäuscht zu sehen; der Gedanke wird unerträglich, man bemüht sich, um jeden Preis auf die Höhe zurück zu kommen, von der man sich herabgestoßen sieht, und nicht selten entsteht aus dieser geistigen Reibung eine ernsthafte Leidenschaft, welche unter andern Verhältnissen vielleicht nie entflammt wäre.
Für mich ist ein solcher Fall um so verführender, da meine Neigung einer geistigen Aufregung bedarf, um aufzulodern, während bei den meisten meines Geschlechts Sinnlichkeit den ersten Impuls giebt. Der Arzt, dem Verführung in allen Arten winkt, und der mit dem Laster wie mit der Tugend gleich vertraut wird, empfindet anders, als tausend Andere.
Noch nie, mein Vater, sprach ich Ihnen über eine Begebenheit, deren ich nicht ohne Schauder gedenken kann.
Ich war ein Jüngling von zwei und zwanzig Jahren, als Sie mich nach London sandten. Mein Blut schoß noch glühend durch die Adern, meine Kraft war ungeschwächt, mein Herz froh und frei, frischer Muth und Lebenslust strahlten von meiner Stirn. Sie segneten mich, als wir schieden, mit den Worten: »August, so kehre mir wieder.« – Ich ging mit dem festen Vorsatze, Ihnen so wiederzukehren, und die Verführung scheiterte an der Kraft meines Willens.
In London wohnte ich bei sehr armen Leuten. Die Tochter des Hauses war ein schönes, sanftes Geschöpf, geschmückt mit allen Reizen blühender, unentweihter Jugend. Meine Phantasie entbrannte, ich gab es auf, mit mir selbst zu kämpfen, mich floh Schlaf und Ruhe. Das Mädchen liebte mich, doch sie widerstand mir mit unerschütterlicher Kraft. Sie fragte mich, ob ich ihr Gatte werden könnte? Ich war redlich genug, ihr mit Nein zu antworten. Sie brach in einen Strom von Thränen aus, sank an meine Brust, und sagte mir Lebewohl.
»Sie müssen fort aus unserm Hause, in dieser Woche noch,« rief sie, »oder Sie treiben mich aus dem stillen Schooße meiner Familie.«
Ich war außer mir, ich stürzte zu ihren Füßen, ich erschöpfte Alles, was Liebe und Verzweiflung mir eingaben, um sie von ihrem Vorsatze zurückzubringen; sie blieb standhaft. Ich lernte den Charakter der Engländer ehren. Doch als ich mich allein sah, bemächtigte sich eine tolle Raserei meines Geistes, ich zerschlug mir die Brust, zerriß mir die Haare, und es fehlte wenig, so hätte ich mich selbst vernichtet, als mein Wirth eintrat, und mich mit bittender Miene, mit flehendem Blicke bat, morgen sein Haus zu verlassen. Ich winkte schweigend »Ja,« und der Mann ging beruhigt von mir. Es ward Nacht, ich saß in der Finsterniß, und starrte brütend in die schwarze Oede meines Zimmers. Der Widerstand des schönen Geschöpfes steigerte meine Leidenschaft bis zum Wahnsinne. Als die Glocke zwölf schlug, fuhr ich aus meiner Betäubung empor, der böse Geist, den der Mensch stillschweigend in sich trägt, der seinen Sitz in unserm Blute hat, nicht in unsrer Seele, ward plötzlich mächtig in mir. Die heimliche Stille der Nacht, das laute Athmen meines Wirths in dem Nebenzimmer, das seinen festen Schlaf verkündete, Alles begünstigte den tollkühnen Gedanken, den das böse Prinzip mehr und mehr in mir wach blies: »Das soll Dich hindern, sie noch einmal zu sehen?«
Ich schlich auf den Zehen bis zu ihrer entlegenen Kammer; Licht strahlte mir aus den Ritzen der Thüre entgegen, ich öffnete leise, da saß sie im leichten Nachtkleide, züchtig verhüllt bis an's Kinn, und las mit tiefem Ernst in der Bibel, die vor ihr aufgeschlagen lag. Das schöne Haupt hatte sie vorgebeugt auf die weiße Hand gestützt, die andere lag fest gedruckt auf dem pochenden Herzen. Die leichte Hülle verrieth mehr, als jedes andere Gewand die reizenden Formen des schönsten Körpers, und mich Wahnsinnigen rührte nicht die fromme Einfalt, mit der sie ihr armes, gepreßtes Herz zu dem Herrn flüchtete, und Trost in seinen heiligen Worten suchte; mit raschem Schritte trat ich auf die Erschrockene zu, faßte sie in meine Arme, und rief: »Marie, ich kann nicht leben ohne Dich!«
Doch mit Riesenkraft stieß mich das Mädchen von sich, mit einem Sprunge war sie von mir hinweg, stand auf dem Fenstertritt, riß einen Flügel desselben auf, und rief, die bebende Hand nach der Bibel ausstreckend: »Bei jenem ewigen heiligen Wort des Herrn, Sir, noch einen Schritt, und mein Körper liegt zerschmettert auf der Straße.«
Ich stand vernichtet. Den Muth der Unschuld im Blick, blitzte mich ihr Auge wie das einer zürnenden Heiligen an, sie ward mir unantastbar, ich stand schweigend, und starrte in ihr bleiches, vom Schrecken entstelltes Antlitz. Mit bebender, in Thränen ersterbender Stimme unterbrach sie die eingetretene Stille: »Noch nie hat eines Mannes Fuß mein Schlafgemach entweiht; – gehen Sie, Sir, und lassen Sie mir in meinem Elend wenigstens den Trost, Sie nicht verachten zu müssen!«
Ich stürzte überwältigt vor ihr zur Erde, umfaßte ihre Kniee, und drückte mein glühendes Gesicht in die Falten ihres Kleides. Ein Strom erleichternder Thränen arbeitete sich aus meiner Brust hervor.
»Können Sie mir vergeben, Marie?« rief ich.
»Ich kanns, wenn Sie mir versprechen, morgen unser Haus zu verlassen, und mich nicht wieder zu sehen.«
»Ich wills,« stammelte ich vergehend, und wankte, im Innersten zerrissen, nach meinem Zimmer.
Am andern Tage verließ ich das Haus und sah sie nicht wieder.
Monate verstrichen, mein Schmerz verlor sich, das Leben machte seine Rechte wieder an mich geltend, ich hörte nichts weiter von ihr, und forschte ihr auch nicht nach.
Eines Morgens trete ich etwas später als gewöhnlich in den Anatomie-Saal: »Ein neuer Kadaver!« riefen mir zwei Landsleute jubelnd entgegen, und wandten sich sogleich wieder zu ihrem Zergliederungsgeschäft. Sie wissen, wie schwer es in England ist, Leichen zu bekommen. Ich warf schnell den Mantel ab und trat hinzu.
»Schade um das schöne Geschöpf!« sagt Moritz Millmann, mitleidig die Achsel zuckend – »sieh einmal welche Jugendfrische!« Bei diesen Worten zieht er das verhüllende Tuch von dem Gesicht – ich taumle zurück – mein Blut wird zu Eis – es ist Marie, deren erloschnes Auge mich todt und seelenlos anstarrt.
Die Unglückliche hatte einen Fall über die Treppe gethan, und war augenblicklich todt geblieben. Ihr Vater hatte, von Noth und Elend gezwungen, die Leiche der Akademie verkauft.
Da lag sie, einst der Inbegriff meiner glühenden Wünsche kalt, erstarrt, unter den Messern der Aerzte, die mit eisernem Gleichmuth diese edlen Formen zerstörten, um Erweiterung ihres Wissens zu finden.
Ich sprang wie ein Rasender auf, als mir die Besinnung zurückkehrte, warf das Tuch wieder über die Leiche, riß aus meinem Anatomiezeug ein großes Messer, und rief: »Wer diesen Körper berührt, ist des Todes, sie war meine Geliebte.« Meine Kollegen ließen die Messer fallen vor Schreck, man brachte mich hinweg, und seit jenem Augenblick wandelt mich oft unwillkührlich bei der schönsten Gestalt, die ich erblicke, ein erkältender Schauer an, denn ich sehe sie im Geiste unter den Messern der Anatomen.
Was ist's denn nun aber, was mich so plötzlich entflammt, meine Brust mit einer Unruhe fieberhaft erregten Blutes füllt, die mich in meinen Jünglingsjahren so oft marterte, und von welcher ich mich gänzlich geheilt wähnte? Diese Frage wage ich mir um so weniger zu beantworten, da selbst in diesem Augenblick, wo meine Seele von Schauern der Erinnerung durchbebt ist – Giulietta's Bild in seiner ganzen Schönheit vor mir steht.
Ihr Mittel hat gewirkt; ihre Zurückhaltung mich ihr näher gebracht, als es ihre Hingebung vielleicht je vermocht hätte.
Wir trafen gestern zu einer Fahrt auf dem Golf zusammen, welche wir längst verabredet hatten. Die Gesellschaft war glänzend, und wir glitten unter Gesang und Scherz auf zierlichen Rachen über die stille, tiefblaue See.
Giulietta war reizender, als je, sie überstrahlte alle Damen der Gesellschaft so sehr, daß ich meinen Blick vergebens von ihr abzuwenden suchte.
Ich weiß nicht, brachte Zufall oder Absicht mich so dicht an ihre Seite, aber ich war ihr so nahe, daß sie – ohne unhöflich zu seyn – nicht vermeiden konnte, mit mir hier und da Worte zu wechseln.
Der Prinz stand an der andern Seite des Nachens, und starrte, in sich verloren, schweigend in die Ferne.
Es schien mir, als zwinge sich Giulietta, heiter zu seyn; zuweilen flog ihr Blick seltsam fragend an ihm vorüber, aber zu mir erhob sie das Auge nicht, selbst wenn sie sprach; ich glaubte, ihren Kaltsinn nicht länger ertragen zu können.
»Spielen Sie mit mir oder mit ihm?« fragte ich endlich mit bebender Stimme, mich zu ihr herabbeugend.
Da sah sie plötzlich zu mir auf, ihr Blick drang leuchtend, wie der Strahl des Blitzes in mein Gehirn.
»Ich spielte mit meinem eignen Herzen; doch es wird brechen, ehe das Spiel geendet ist,« flüsterte sie, und große Thränen drängten sich unter den rasch gesenkten Wimpern hervor.
»Ich muß Sie sprechen, Giulietta,« hauchte ich fassungslos in ihr Ohr.
Einige Sekunden sah sie sinnend vor sich hinaus, dann lispelte sie rasch: »Morgen,« und wandte sich zu einem Andern aus der Gesellschaft.
Neapel.
Sie waren jung, wie ich, mein Vater, Sie liebten; Sie werden mir also ohne Widerrede glauben, wenn ich Ihnen sage, daß die Nacht vor jenem »Morgen« kein Schlaf in meine Augen kam; vergebens fragte ich mich, was ich denn eigentlich dort sollte, was ich ihr sagen wollte, ich hatte keine Antwort, ich fühlte nichts, als daß ich sie sehen müßte, koste es, was es wolle.
Am Morgen erhielt ich ein Zettelchen, mit den Worten: »Diesen Abend auf meiner Villa, ich bin allein, und harre Ihrer.«
Ewig lang wurde mir der schwüle, widerliche Tag. Der Prinz war ernst und in sich gekehrt, er sprach wenig, ich schwieg ganz, und so schleppten sich in unerträglicher Langsamkeit die Stunden. Endlich ward es Abend. Vergebens wartete ich, daß Eduard vor mir das Palais verlassen sollte; er wich heute nicht vom Schreibtische. Als ich endlich Anstalten machte, zu gehen, wandte er das Haupt langsam nach mir hin, und fragte: »Sie gehen aus, August!« Etwas verlegen antwortete ich: »Eine Stunde in's Freie; gefällt es Euer Durchlaucht, mit von der Partie zu seyn?«
Ein leises, kaum merkliches Lächeln flog über seine Oberlippe; es lag etwas Schmerzlich-spottendes in der Bewegung seines Mundes, mit der er erwiederte: »So grausam bin ich nicht. Gehen Sie nur immer allein den erwählten Pfad, doch sehen Sie wachsam um sich, damit Sie den rechten Weg zur Rückkehr nicht verlieren.«
Ich sah ihn erstaunt an, er winkte mir abwehrend, zu gehen, und in tiefen Gedanken verfolgte ich den angegebenen Weg nach der Villa.
Am Fuße des Vesuv, dicht verhüllt von duftigen Orangen, beschattet von der ewig jungen Myrthe und dem tiefen Grün der Pinie, liegt das schöne, aber düstre Gebäude, welches Giulietta's Sommer-Aufenthalt ist. Nicht ohne Staunen sah ich es in seiner alterthümlichen Pracht nach und nach emporsteigen aus der dunklen Umhüllung. Heiter und frei, wie die italischen Landhäuser gewöhnlich sind, auf luftigen Säulen ruhend, hatte ich mir die Villa gedacht; wie so ganz anders war das Schloß, das ich jetzt betrat. Es schien zu ernstern Zwecken erbaut, als einer leichtsinnigen, jungen Dame zum Sommer-Aufenthalt zu dienen; finster, fast drohend sah das alte Gebäude auf mich nieder, und als ich durch die prächtigen Corridors schritt, wehte mich ein leiser, seltsamer Schauder an, von dem ich mir keine Rechenschaft zu geben wußte. Alles in dem Schlosse war öde und still, es schien, so groß es war, fast unbewohnt.
Endlich trat mir aus einem Gange eine bejahrte Dienerin entgegen, die mich zu Giuliettens Gemächern brachte.
In einem Zimmer – dessen fürstliche Pracht mich vielleicht überrascht haben würde, hätte nicht Giuliettens Anblick meine ganze Aufmerksamkeit gefesselt – empfing mich das schöne Weib.
Sie war ganz Anmuth, ganz Leidenschaft, ohne Hülle zeigte sie mir ihre Seele, ihre schrankenlose Liebe. Zwei Stunden entflohen mir, ohne daß ich begriff, wo sie hingeschwunden waren. Die Nacht brach ein, als ich sie verließ, langsam den Weg nach der Stadt verfolgend. Ich konnte mich, trotz meines aufgeregten Gemüthes, des Gedankens nicht erwehren: »Verdienst Du eine solche Liebe, kannst Du sie so erwiedern?«
Ich sah sie seit jener Zeit öfter wieder, die Stunden entfliehen mir an ihrer Seite wie Minuten; aber auf dem Grunde meiner Seele schlummert ein unheimliches Gefühl, ein Gefühl, dem ich keinen Namen zu geben weiß; so viel ist entschieden, ich bin über mein Empfinden für sie nicht im Klaren. Ich fürchte, ich fürchte, meine Sinne haben mir da einen Streich gespielt, den mein Herz nicht verantworten kann!
Was ist das, mein Vater? Was geht vor in dem geheimnißvollen Schlosse, das Giuliettens Liebe dem Auge der Welt verbirgt?
Drei Tage lang hatte ich sie nicht gesehen, der vertraute Bursche, der mir immer die Stunde anzusagen kam, in welcher sie mich erwartet, blieb aus, meine Ungeduld stieg auf's Höchste.
Ich ging in das Haus des Marchese, und erfuhr mit Schrecken, daß Giulietta einen heftigen Fieberanfall habe, und in mehreren Tagen die Villa nicht werde verlassen dürfen.
Ich fühlte mich auf's Aeußerste beunruhigt, und faßte den Entschluß, sie wider ihren Willen zu sehen. Kaum dämmerte der Abend, so lag ich schon im Wagen, um meinen Plan auszuführen, und ehe Hesperus am Himmelsbogen glänzte, nahm mich der schattige Park in einem seiner dichtesten Laubgänge auf. Ich war entschlossen, zu warten, bis Alles im Schlosse ruhig würde, dann in ihr wohlbekanntes Gemach zu schleichen, weil eine innere Scheu mich immer zurückhielt, ihrem verhaßten Gatten zu begegnen.
Es war eine jener unbeschreiblich schönen Sommernächte Italiens. Leise flüsternd wogten die duftigen Blüthen der saftigen Orange um mich her, wilde, wie der würzige Hauch der Geliebten, wehte mich der laue Nachtwind an, über mir bezogen still die funkelnden Sterne den dunkeln Himmelsplan, und meine Brust begann sich zu dehnen in dem schwellenden Gefühl einer Sehnsucht, der ich keinen Namen zu geben weiß.
In dem Schlosse gingen noch immer Lichter hin und her, ich trat, des Wartens müde, aus der Laube, und sah mit feuchten Blicken zu dem schimmernden Himmelszelt empor.
Eben stieg der Mond leuchtend auf, und seine Strahlen ergossen sich mild, aber mit blendender Helle über den herrlichen Park, und beleuchteten mit seltsamen Lichtern das finstere groteske Schloß.
Ich stützte den Arm auf das Piedestal einer marmornen Leda, die, den göttlichen Schwan an die schwellende Brust pressend, als eine Hauptzierde des Gartens, hier zwei Scheidewege begrenzte. Die milchweißen Glieder der Statue glänzten weithin durch die erhellte Nacht, und unwillkührlich mußte ich aufblicken zu der herrlichen Gestalt. Und mir war's, als lebe es in dem Stein, als müßten diese Formen unter meiner Berührung erbeben, und ein seltsam unheimliches Gefühl ergriff mich; da hörte ich plötzlich leise athmen neben wir, mein Haar sträubte sich, ich wagte kaum, den Blick zur Seite zu wenden, endlich wandte ich das Haupt, und – lächeln Sie nicht, mein Vater, es ist reine Wahrheit, die ich Ihnen berichte – eine weiße, von Schleiern umwogte Gestalt stand neben mir.
»Giulietta!« rief ich, ihr nahend, die Gestalt aber schüttelte mit einer heftigen Bewegung das Haupt, ein seltsames, geisterartiges Lachen rang sich aus den Schleiern hervor, und dahin schwebte sie, kaum den Boden berührend, die Allee hinab. Ich, mich von meinem kindischen Schrecken ermannend, unaufhaltsam sie verfolgend, war immer dicht hinter ihr, ohne sie erreichen zu können. Gleich einem Irrlichte schien sie bald hinter den Gebüschen verschwunden, bald tauchte sie ganz nahe vor meinen Blicken wieder auf. Jetzt trat sie in das Schloß, ich hinter ihr, sie flog die Treppen hinan, einen Gang hinab, und – verschwunden war sie.
Athemlos lehnte ich am Treppengeländer. Wie lange ich so stand, weiß ich nicht, nur daß ich zu mir selbst kam, als Mariette, die alte Dienerin, meine Hände heftig schüttelnd, mich bat, ich möge ihr doch um Gotteswillen Antwort geben, was ich denn um diese Zeit hier wollte!?
»Giulietten sehen,« stammelte ich.
»Um Mitternacht! Der Himmel steh' uns bei, sie schläft seit zwei Stunden, und in Drei Nächten hat sie kein Auge geschlossen, soll ich sie wecken, das wäre ja grausam.«
»Nein! sie soll nicht erwachen,« rief ich, »aber sehen will ich, daß sie hier ist, daß sie schläft; nur einen Blick in ihr Gemach, dann verlasse ich augenblicklich das Schloß.«
»Gott bewahre, das darf ich nicht,« flüsterte Mariette erschrocken, und zog mich rasch die Treppen hinab zur Gartenthüre, schob mich hinaus, und rief mir ängstlich nach: »Kommt lieber morgen Abend, und wartet im Garten, bis ich Euch rufe. Da könnt Ihr sie vielleicht sprechen.«
Ich versprach es, suchte den Ausgang, und kehrte wunderbar aufgeregt nach der Stadt zurück.
Die Gestalt, welche ich sah, war nicht Giulietta, denn sie war wohl einen halben Kopf größer, und die Formen schlanker, zarter; aber wer, wer konnte es seyn?
Dieser Gedanke martert mich, und meine Unruhe ist so groß, daß ich mein Lager nicht suchen kann, ohne mit Ihnen erst über diesen sonderbaren Vorfall zu sprechen.
Mein Abenteuer fängt an, eine wunderbare Gestalt zu bekommen.
Kaum dämmerte der Abend, so stand ich schon im Park, um Mariettens Ankunft zu erwarten. Doch sonderbar genug, sehnte ich mich mehr darnach, das Räthsel von gestern zu lösen, als Giulietten zu sehen.
Der Himmel war mit finstern Wetterwolken bedeckt, die Luft schwül und drückend; kein Vogel, kein Lufthauch rührte sich im Gezweige, und die allgemeine Todesstille verkündete das Nahen eines schweren Gewitters.
Wohl eine Stunde durchstrich ich den Park in allen Richtungen, ohne mich um die drohende Atmosphäre zu bekümmern; es ward Nacht, ohne daß sich die Gestalt von gestern zeigte. Mariette erschien noch immer nicht, und schon begann sich ein leiser Wind zu heben, die Wolken schienen sich auf die Erde zu senken, und lang anhaltende Blitze durchzuckten die Luft.
Ich sah bei dem hellen Leuchten sorgsam umher, ob kein Pavillon, ob keine Laube zu entdecken, in welcher ich Schutz suchen könnte gegen das Ungewitter. Doch ich befand mich in einer Gegend, die mir bis jetzt gänzlich fremd geblieben, und spähte vergebens nach einem Obdache.
Indessen begannen die Wipfel der Pinien sich klagend zu beugen unter dem mächtigen Athem des Sturmes. Mein Hut flog in die Gesträuche, und mein Haar verwirrt um Stirn und Nacken. Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag folgten sich jetzt, und plötzlich rauschte es in meiner Nähe, ein weißes Gewand flatterte durch die dunklen Gebüsche, und ehe ich mich besinnen konnte, lag eine Gestalt an meiner Brust, und flüsterte zitternd: »Schütze mich, der Marchese zürnt!«
Stumm vor Ueberraschung schlug ich schweigend meinen Arm um die Wankende, die, fest an mein pochendes Herz geschmiegt, mich fortzog, so daß ich willenlos, ohne zu wissen, wohin, ihr folgen mußte. Nach wenig Sekunden standen wir vor einem kleinen Gebäude, sie öffnete rasch die Thüre, drängte mich zu einem Sitze, warf sich neben mir nieder, und lehnte sich, am ganzen Körper zitternd, au meine Brust. Ihr Herz schlug hörbar, ihre Zähne klapperten wie im heftigsten Fieber, und fühlte ich nicht ihre bebende Brust an meiner sich heben und senken in raschen, bangen Athemzügen, so wandelte mich gewiß das unheimliche Gefühl von gestern an.
Ich erwartete nun in der seltsamsten Lage meines Lebens, daß sie sprechen sollte, doch da sie schwieg, fragte ich endlich: »Bist Du es, Giulietta?« Ich weiß nicht, warum ich dies that, denn ich war fest überzeugt, daß sie es nicht seyn könne.
»O nicht doch, nicht doch,« rief sie mit seltsam gepreßter Stimme, »ich bin ja Biondetta, die arme Biondetta, die da lebt und nicht sterben kann, und stündlich sterben muß, um leben zu können.«
Ein kalter Schauer lief durch meine Adern; das war der unverkennbare Ausdruck des Wahnsinns. Ich machte mich mit einer unwillkührlichen Bewegung von ihr los, und sprang auf, um zu entfliehen. Ein gespenstischer Schrecken hatte mich erfaßt. Doch mit fester Hand hielt sie meinen Arm, und lispelte in einem Ton, der unendlich rührend in meine Seele drang: »O Du bist so mild, Du schöner Stern, willst Du mir auch erblassen? Soll mich der furchtbare Marchese in seinem Zorn vernichten, wie den armen Gregor? Ach, geh' nicht fort!« flehte sie, die weiche Hand schmeichelnd an meine Wangen legend.
In diesem Augenblicke erhellte ein langer Blitzstrahl den engen Raum, der uns unschloß; ich sah ein Antlitz – nein, mein Vater, ich bin unfähig, Ihnen dies unvergeßliche Bild zu malen!
Eine Sekunde lang nur blickte ich in die wunderbaren Augen, doch ich werde diese Sekunde nie vergessen. Geblendet schloß ich das Auge, und sank unwillkührlich an ihrer Seite auf den Sitz zurück. Da zuckte ein zweiter lang anhaltender Strahl durch das Gewölbe, mein Auge berührte die Umgebung, und mit Staunen fand ich mich in einer kleinen kapellenartigen Gruft, deren bleierne Särge uns zum Ruhesitz dienten.
»Wo sind wir?« rief ich schaudernd, »und wer bist Du, räthselhaftes Wesen?«
»In Gregors, meines Lieblings, Hause,« wimmerte sie klagend, »und ich bin die arme Biondetta.«
Weiter vernahm ich nichts mehr; denn Sturm und Wetter sausten, daß ihre Stimme ungehört verhallte. Steine schlugen krachend an die Fenster des Gewölbes, und zersplitterte Scheiben fielen klirrend zu unsern Füßen nieder. Mein Herz pochte krampfhaft an der Brust der Unglücklichen, die, fest an mich geschmiegt, das Gesicht an meinen Hals gedrückt, mich regungslos umschlungen hielt.
Meine Lage war die sonderbarste von der Welt, und ich bin mir noch in dieser Stunde der Ruhe nicht deutlich der Gefühle bewußt, die meine Seele durchkreuzten; nur das erinnere ich mich, daß ich plötzlich Lichtschein in der Nähe gewahrte, und rufende Stimmen mich aus dem wirren Treiben weckten, das mich umgab.
Sogleich sprang Biondetta empor, rief: »Verrathe Dich nicht!« und war verschwunden.
In tiefes Sinnen verloren saß ich noch, ich weiß nicht, wie lange. Das Wetter hatte ausgeras't, und der Tag graute schon in Osten, als ich aus meinem düstern Zufluchtsort in den Garten trat.
Schrecklich hatte hier der Sturm gehaus't, Zweige und Blumen, Bäume und Gestrüpp versperrten, gewaltsam aus dem Schooße der Erde gerissen, rings den Weg; mit Mühe gelangte ich an den Ausgang des Parks.
Mein Wagen war natürlich verschwunden, denn der Wuth dieses Gewitters mußten Menschen und Thiere weichen. Ich kehrte zu Fuß nach der Stadt zurück, und kam, vom Fieber gerüttelt und von den seltsamsten Empfindungen bestürmt, in unserm Hotel an.
Drei Tage waren verflossen, seit ich von Giulietten keine Nachricht hatte. Ich konnte mich nicht entschließen, in das Hans ihrer Aeltern zu gehen, und wenn Sie mich fragen, weiß ich selbst nicht, warum. Ihr Bild trat fast in den Hintergrund meiner Seele, und dennoch waren meine Gedanken unablässig auf ihrer reizenden, geheimnißvollen Villa.
Heute endlich führt mich der Zufall in ein Haus, das ich seit einiger Zeit nicht besuchte, wie ich seit Wochen Alles vernachlässigte, selbst den Prinzen, der meine Laune mit wahrhaft himmlischer Geduld ertrug. Er wünschte das Mittagsmahl dort einzunehmen, ich konnte nicht ausweichen, ihn zu begleiten. Anfangs langweilte ich mich, wie mir das gewöhnlich in den Cirkeln der großen Welt geschieht; doch plötzlich kam ein Gespräch an die Reihe, welches bald meine ganze Aufmerksamkeit fesselte.
»Haben Sie die Marchese lange nicht gesehen?« fragte der Prinz gleichgültig den Grafen Luchesi, der sonst täglich dort verkehrt.
»Seit einer Ewigkeit nicht,« entgegnete er leichthin, »man wird sie auch so bald nicht zu sehen bekommen, sie hat sich ganz sicher nach Ischia übersetzen lassen.«
»Nach Ischia? Was macht sie dort?« fragte der Prinz verwundert.
Luchesi lächelte boshaft, zuckte die Achseln, und schwieg. Ich trat näher, und bat ihn, sich zu erklären.
»Ja,« meinte der Graf, »das ist eine komische Geschichte. Die schöne Frau hat ihre Schwächen, wie jede andere ihres Geschlechts, und so geschah es, daß vor einigen Jahren ein vornehmer, reicher und bildschöner Grieche im Golf einlief, für den die reizende Giulietta bald ein wunderbares Faible blicken ließ. Der Marchese, der sonst sehr diskret ist, hatte seltsamer Weise die Grille, gerade diesen Cicisbeo nicht dulden zu wollen, so wie Giulietta ihrerseits gerade nach ihm und keinem andern strebte. Die Sache kam endlich dahin, daß der Grieche plötzlich verschwand. Nach kurzer Zeit fühlt Giulietta eine unwiderstehliche Lust, Ischia zu besuchen, und läßt sich im Geleite ihrer Dienerin übersetzen. Da soll es sich nun getroffen haben, daß der Grieche, auch benöthigt, die Götterluft der Insel zu athmen, ihr mehrere Wochen lang als treuer Gesellschafter zur Seite blieb, indessen den Marchese auf seiner prächtigen Villa die Langeweile fast verzehrte. Man ist hier nun schon so daran gewöhnt, Giulietten immer um diese Jahreszeit nach Ischia gehen zu sehen, daß man gar nicht mehr fragt, wenn man sie in diesen Tagen vermißt. Komisch genug ist es, daß der Marchese allein den Grund nicht zu ahnen scheint, der seiner Gattin Ischia so anziehend macht. Dies, meine Herren, ist der Schlüssel des Geheimnisses, das uns die schöne Giulietta auf einige Zeit entziehen wird.«
Um die Lippen des Prinzen zuckte ein verächtliches Lächeln, er sah mich mit einem langen Blicke an, als wollte er sagen: »Siehst Du, wie wohl ich daran that, mein Herz bei Zeiten aus ihren Schlingen zu ziehen,« und wandte sich mit einem leichten Achselzucken zur Gesellschaft.
Ich fühlte, daß mir die Zornesgluth auf die Stirn stieg, und war kaum fähig, ein anderes Gespräch anzuknüpfen. Fest entschlossen, mir noch heute Gewißheit zu verschaffen, ob ich wirklich der Getäuschte sey, konnte ich den Augenblick kaum erwarten, wo mir der Wohlstand erlauben würde, mich zu entfernen.
Jetzt, jetzt endlich brach der Prinz auf, auch er schien bewegter, als sonst. Als wir im Wagen saßen, sagte er plötzlich nach langem Schweigen: »Sehen Sie, August! so sind nun die Weiber. Diese Giulietta zog mich an, ich will's nicht läugnen, und ihre Art ist keineswegs dazu geeignet, kühne Liebeswerbung zu verscheuchen; wer weiß, wohin mich das geführt hätte, fand ich nicht einen treuen Freund, der mich warnte. Nun, da Alles vorüber, mag ich's Ihnen wohl sagen, daß es mir viel kostete, sie gänzlich aufzugeben, aber mein fester Wille siegte über meine aufgereizten Sinne, denn mein Herz war wohl nicht im Spiele, und so errang ich bald den ruhigen Standpunkt, von wo aus ich ihr Treiben überschauen, und mir selbst Glück wünschen konnte.«
Ich starrte schweigend auf die wimmelnden Straßen. Nach einer Weile faßte der Prinz meine Hand, drückte sie sanft, und fuhr fort: »Sie waren weniger vorsichtig, und gaben sich ohne Widerstreben dem Drange der Leidenschaft hin. Warum sollten Sie auch nicht? Sie sind frei, ohne Rücksicht auf Ihren Stand, Ihre Umgebung. Ich will hoffen, August, daß die heutige Entdeckung Sie nicht unglücklich macht; es würde mich tief betrüben, wenn Ihnen Giulietta mehr wäre, als das Spielzeug einer vorübergehenden Männerlaune, denn, bei Gott, mehr verdient sie Ihnen nicht zu seyn.«
Ich weiß nicht, warum mich die wohlgemeinten Phrasen des Prinzen so heftig reizten, aber mein ganzer Unwille wandte sich auf ihn; Giulietta, die mir vor wenig Augenblicken strafbar und verächtlich erschien, gewann Unschuld und Seelenreinheit wieder durch die Beschuldigungen des ehemaligen und, wie ich wähnte, verschmähten Nebenbuhlers; ich beachtete mit Mühe die ihm schuldige Schonung, und entgegnete, wohl etwas spitz: »Noch habe ich für Giuliettens Vergehen keinen Gewährsmann, der mehr Glauben verdiente, als ihr klares freies Auge. Graf Luchesi ist ein Wüstling, ein Etourdie, der mir nie meines Vertrauens werth erscheinen wird; Sie, mein Prinz, urtheilen nach seiner Anklage.«
»Keineswegs,« unterbrach mich dieser schnell und gereizt, »im Gegentheil, Luchesi ist nicht der Mann, dem ich glauben würde, wenn nicht seine Aussage das bestätigte, was ich längst wußte. Ist der Banquier S*** ein Mann, dessen Charakter einer Beschuldigung Glaubwürdigkeit geben kann?«
»Gewiß, das ist er!«
»Nun, so hören Sie. Auch mich hatten Giulietta's Augen umstrickt, so fest, wie Sie, mein Freund! Der Banquier, ein alter Ehrenmann im strengsten Sinne des Wortes, mochte dies wohl bemerkt haben, denn er traf eines Abends mit mir und ihr in einer Gesellschaft zusammen. Mit aufmerksamen und immer besorgter werdenden Blicken beobachtete er mich, ich bemerkte dies, und war nicht angenehm dadurch überrascht. Doch bald gewahrte ich, was mir noch mehr auffiel, daß er zuweilen Giulietten scharf fixire, die dann in seltsamer Bewegung die Augen von ihm wandte, und ihre Blicke gedankenlos und unstät im Saale herumsandte. Den andern Tag erhielt ich eine Einladung auf die Villa des alten S***. Ich fuhr hinaus, und fand ihn zu meinem Befremden ganz allein. Er that nicht, als bemerke er meine Verwunderung, sondern ergriff meinen Arm, und führte mich unter heiterm Gespräche in seiner herrlichen Besitzung umher, bis wir den höchsten Punkt des weit ausgedehnten Parks erreichten, wo sich plötzlich der wunderbar schöne Golf vor unsern Blicken öffnete. In einer gegen das Meer zu offenen Rotunda nahmen wir Platz. Die Pinien säuselten leise im frischen Winde, der vom Meer herüberdrang, blühende Orangen nickten zuweilen, wie neugierig, zwischen den schlanken Marmorsäulen herein, und ihr balsamischer Duft umwehte uns; eine leise, fast unwillkührliche Wehmuth beschlich mein Herz, ich starrte hinaus in die blaue Fluth, und Giuliettens Feueraugen stiegen leuchtend in meinem Innern empor.
Da ergriff S*** sanft meine Hand, sah mir mild, aber ernst in's Gesicht und sprach: ›Mein Prinz, Sie sind mir aus Deutschland empfohlen von einem meiner liebsten Freunde, darum waren Sie mir ein geehrter Gast, als Sie zum erstenmal mein Haus betraten; späterhin, da ich Sie näher kennen lernte, wurden Sie mir ein lieber Gast, und ich wünschte, daß Sie eben so heiter und leichten Herzens aus Italien scheiden, wie Sie es betraten. – Sind Sie wohl gelaunt, eine Erzählung aus meinem Munde zu hören, deren Moral Ihnen höchst wichtig werden kann?‹
Ich sah ihn verwundert an, und nickte dann schweigend mit dem Kopfe.
Er begann: ›In dem Hause des Marchese Vinelli erwuchs neben Giulietten eine junge Waise, das einzige Vermächtniß eines fernen Verwandten, deren sich die Familie mitleidig angenommen hatte. Biondetta, mehrere Jahre jünger, als die Tochter des Hauses, war gewohnt, diese zu bedienen, und sich überhaupt mehr als Dienerin, denn als ein Glied der Familie behandelt zu sehen. Lange Zeit beachtete fast niemand das stille bleiche Kind, denn Giulietta's glänzende Schönheit überstrahlte jeden weiblichen Reiz, der sich in ihre Nähe wagte, und sie allein war der Magnet, der täglich Fremde und Einheimische aller Stände nach dem Hause des Marchese zog.
Gewohnt, nur sich als Centralpunkt jeder Gesellschaft zu betrachten, fiel ihr Blick selten nur auf die vernachlässigte Biondetta, und dann war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, was Andere schon längst nicht mehr übersahen, daß das Mädchen anfing, Reize zu entwickeln, deren Heranblühen der stolzen Giulietta sehr gefährlich werden konnte. Um diese Zeit erschien in meinem Hause ein Grieche, der auf's Dringendste an mich empfohlen war. Er war der einzige Sohn eines reichen griechischen Handelshauses, und ich habe selten eine auffallendere Erscheinung gesehen, als diesen Gregorio, der, wie Giulietta, die Blicke Aller auf sich zog, die in seine Nähe kamen; die längst versunkenen Helden seines Vaterlandes schienen erstanden in dieser einzigen Gestalt! Was Adel der Erscheinung, Schönheit der Züge und volle ungeschwächte Jugendkraft einem Manne Anziehendes verleihen können, besaß er vereint, und nicht acht Tage war er in Neapel, als man ihn schon unter keinem andern Namen, als dem des schönen Griechen kannte. Seine persönliche Liebenswürdigkeit erhöhte den Zauber seines Körpers, und bald war er mein unzertrennlicher Gesellschafter, den ich in allen Häusern meiner Freunde aufführte.
Biondetta war sechszehn Jahr alt, als Giulietta dem reichen Marchese Cimorra die Hand gab. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Gregorio begleitete mich zum erstenmal in das Haus des Marchese. Die Braut strahlte im auserlesensten Putze, mit Brillanten und Perlen bedeckt, und ihre Erscheinung in der Gesellschaft war wahrhaft imposant. Doch bald zog Biondetta's liebliches Bild Aller Blicke gewaltsam an, denn in ihrer ganzen Schöne zeigte sie sich heute erst den Staunenden. Hoch und schlank, ohne mager zu seyn, gehörte ihre Gestalt an Ebenmaß und Haltung zu den edelsten, welche ich je sah. Bei dem schwärzesten Haare, das Nacken und Stirn in tausend Locken umkräuselte, war ihre Haut so blendend weiß, als die der blonden Giulietta, und nie habe ich wunderbar schönere Augen gesehen, als die tiefblauen Sterne, die, von feuchtem Schmelz bedeckt, unter ihren langen dunklen Wimpern hervorleuchteten. Wenn sie lächelnd die schmalen Purpurlippen von den Perlenzähnen zurück zog, verbreitete sich ein Zauber über das Oval des Gesichts, der sogar mich alten Mann unwiderstehlich ergriff, und die zarte Jungfräulichkeit, die über ihr ganzes Wesen ausgegossen schien, erhöhte noch den Reiz der lieblichsten Erscheinung. ›So und nicht anders hat sich der heilige Raphael die Madonna gedacht!‹ flüsterte mir mein Grieche zu, auf Biondetta zeigend, und das Leuchten seiner Blicke verkündete mir nur zu deutlich, was in ihm vorging. Er ruhte nicht, bis ich ihn in Biondetta's Nähe brachte, und kaum noch die Pflichten der Höflichkeit beachtend, trat er auf die Jungfrau zu, welche, im tiefen Gespräche mit einer andern Dame, ihn noch nicht bemerkt zu haben schien. Bei dem Klange seiner sonoren Stimme wandte sie das schöne Haupt langsam zu ihm hin. Ich eilte, ihn vorzustellen, doch Biondetta hörte mich nicht, unbeweglich stand sie da, den Blick fest auf sein Antlitz geheftet; Gregor brachte keinen Laut mehr über die Lippen, und zum erstenmal in meinem Leben sah ich den Blitzstrahl der Liebe zwei Herzen in einem und demselben Augenblicke tödtlich verwunden.
Nach wenigen Sekunden stieg eine glühende Röthe auf Biondetta's Wangen und Stirn, leise senkten sich die langen Wimpern, den Strahl des wunderbaren Auges umschleiernd, und jetzt erst, wie von einem Zauber gelöset, öffneten sich Gregors Lippen wieder; er sprach, ohne zu wissen, was, ohngefähr was Anstand und feine Weltbildung, welche er sich auf seinen Reisen in Europa genügend gesammelt, ihm eingeben mochten. Ich sah daß Biondetta nicht hörte, sondern mit hochklopfender Brust und immer gesenkten Blicken nur dem Klange seiner Stimme lauschte; ich nahm ihn endlich am Arme, und zog ihn hinweg, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft nicht auf Beide zu wenden. – ›Mein Schicksal ist entschieden!‹ rief Gregor, in ein Seitenzimmer mit mir tretend; ›wer ist das Mädchen, nein, nicht Mädchen, wer ist der Engel, das göttliche Geschöpf, dem Olymp entstiegen, dem ewig jungen Kreise der Götter, um zu entzünden mit unlöschbarer Flamme, wohin ihr Blick trifft?‹
›Gregor,‹ lächelte ich, ›Sie sind außer sich; Fassung ziemt in jeder Lage dem Mann, wie kam eine Minute so ihr ganzes Wesen verwandeln?‹
›Das frage ich mich selbst,‹ rief er, die Hand an die glühende Stirn pressend; ›ich gestehe Ihnen, mein Freund, ich liebe den Umgang mit Weibern, ich bin reizbar, ich glaubte, bis jetzt jedes Gefühl zu kennen, welches das schöne Geschlecht in uns erwecken kann; aber in diesem Augenblick empfinde ich es, ich bin ein Neuling in dem Gebiete der Liebe, ich kannte die höchste Seligkeit nicht, das erste Erblicken des Gegenstandes, der für uns bestimmt ist! Biondetta ist für mich, ich für sie geschaffen! Nur an meiner glühenden Brust findet die Sehnsucht ein Ziel, die laut aus ihrem seelenvollen Auge spricht; nur in ihrem Herzen schläft das Vermögen, meine Gefühle zu verstehen, zu erwiedern.
›Und dies Alles,‹ unterbrach ich den Stürmischen, ›dies Alles sollte Ihnen in den wenigen Augenblicken klar geworden seyn, in welchen Sie Biondetten sahen?‹
Ich hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da rauschte die stolze Giulietta am Arme einer Dame in's Gemach. Eine Demantschleife des Haarputzes war losgegangen. Rasch die Handschuhe von dem blendend weißen Arm ziehend, beugte sie das schöne Haupt, um sie wieder zu befestigen, als ihr Auge auf Gregor fiel, der sich erhoben hatte, um hinweg zu gehen. Ein langer Flammenblick Giuliettens glitt über seine Züge hin; Sie kennen ihre Macht, ich habe nicht nöthig, Ihnen zu beschreiben, was sie aufbot, um Gregors Aufmerksamkeit zu fesseln. Ohne sich in ihrem Geschäfte stören zu lassen, der Gewalt ihrer Reize in jeder Bewegung gewiß, rief sie mich herbei, ließ sich den jungen Mann vorstellen, und von diesem Augenblicke an ward Gregor der einzige Gegenstand, der ihre Seele zu beschäftigen schien.
Seit jenem verhängnißvollen Abend waren Wochen verstrichen, Gregor besuchte unausgesetzt das Haus des Marchese, und während Giuliettens Leidenschaft immer heftiger für ihn entbrannte, drang Biondetta's Bild tiefer in seine Seele. Doch in stiller, jungfräulicher Zurückgezogenheit verhüllten sich Biondetta's Gefühle in dichte Schleier, und je mehr sie sich von der Stärke ihrer Empfindungen für Gregor überzeugte, je verschlossener trug sie sie in der Brust.
Ich war Gregors Vertrauter, und oft Zeuge des seltsamen Wechselspieles zwischen diesen drei Menschen. Da er wohl wußte, daß Giulietta ihre Aeltern, so wie ihren Gatten beherrschte, und es von ihrem Willen allein abhing, ihn für immer aus dem Hause zu bannen, so wagte er es nicht, ihrer Liebe die Kälte entgegen zu setzen, die er ihr unter jedem andern Verhältniß gezeigt haben würde. Giulietta, gewohnt, angebetet zu werden, wo sie eines Blickes würdigte, dachte sich den Fall nicht als möglich, ohne Erwiederung zu lieben, und kaum verbarg sie ihre Leidenschaft für Gregor vor fremden Blicken. Biondettens Auge war sie nicht entgangen, und die leise Hoffnung, welche eine Zeit lang in ihr aufdämmerte, verschwand immer mehr und mehr; war sie doch von jeher zurückgesetzt, unbeachtet neben der glänzenden Giulietta dahin gewandelt, wie sollte ihr jetzt der Vorzug vor ihr werden? Monde wären vielleicht vorübergegangen, ehe Gregor Gewißheit erhalten hätte, als die Dazwischenkunft eines Vierten sein Schicksal entschied.
Giulietta's Gemahl sprach oft von seinem ältern Bruder, dem Marquis Pietro Cimorra, den er schon am Tage seiner Hochzeit erwartet hatte, und der noch immer nicht eingetroffen war. Er schilderte ihn als einen Weiberfeind, der fest entschlossen sey, ehelos zu bleiben; ein Vorsatz, welcher den Marchese dereinst zum Erben des ganzen kolossalen Vermögens der Cimorra's machte. Dieser oft besprochene Bruder war es nun, den wir eines Tages in Giulietta's Hause fanden. Er war ein langer, hagerer Mann von ohngefähr vier und vierzig Jahren, mit schönen bleichen Gesichtszügen und großen finstern Augen. Seine Stirn, geistvoll und edel, war stets mit düstern Wolken umzogen, und sein Anblick hatte etwas Ehrfurchterweckendes, eine gewisse Würde, welche unwillkührlich imponirte.
Dieser Mann, ganz das Gegentheil seines Bruders, brachte plötzlich Leben in den kleinen Kreis, denn nach kurzer Zeit zeigte sich an ihm eine Vorliebe für Biondetta, welche bald, zu des Marchese tödtlichstem Schrecken, in eine heiße, unbegränzte Leidenschaft überging.
Gewohnt nur seinen eignen und keinen andern Willen auf Erden zu erkennen, bemühte er sich so wenig, seine Gefühle zu verbergen, daß Biondetta nur zu bald mit Schrecken das Unheil gewahrte, welches ihr drohte.
Der ernste Mann hatte ihr vom ersten Augenblick an Furcht und scheue Ehrerbietung eingeflößt, mit niedergeschlagenen Blicken hörte sie seine Bewerbungen an, ohne sie zu verstehen oder verstehen zu wollen; mit Gregor sprach sie nie von den bangen Ahnungen, die sie quälten, und so waren wir beide zweifelhaft, was in dem Hause eigentlich vorgehe. Eines Abends, denken Sie sich mein Erstaunen, eben als ich mit dem unglücklichen Gregor hier, auf dieser Stelle sitze, gewahren wir eine verschleierte weibliche Gestalt, die mit fliegenden Schritten den Hügel herauf eilt; ein Gebetbuch und ein Rosenkranz in ihrer Hand zeigten den Ort an, woher sie kommt; ich stehe verwundert auf, gehe ihr entgegen als sie den Schleier zurückschlägt, und Biondetta, mit bleichen verstörten Zügen, halb ohnmächtig, an meine Brust sinkt.
Ich halte sie mit Mühe aufrecht, Gregor eilt herbei; wir bringen die Athemlose auf die Bank, er vergißt Alles um sich her, faßt sie in seine Arme, und bedeckt ihre Stirn mit glühenden Küssen. Mit unbeschreiblichem Ausdrucke öffnet das schöne Geschöpf die geschlossenen Augen, und was ihr Mund bis jetzt verschwiegen, der einzige Blick enthüllt ihm sein Glück. Unfähig, zu sprechen, kniet Gregor leise vor ihr nieder, und faltet wie betend die Hände, von einer Seligkeit durchströmt, die ihm bis diese Stunde unbekannt geblieben. Schweigend stand ich zur Seite, und Thränen der Rührung befeuchteten meine alten Augen.
Nach einer langen Pause sprach Biondetta sanft: ›Nicht Sie sind es, Gregor, den ich hier suchte, obgleich meine Seele stets bei Ihnen ist; Sie, mein würdiger Freund, Sie sind's, bei dem ich Rath und Hülfe hoffe in dem schrecklichsten Augenblick meines Lebens. Doch da ich Sie gefunden, Gregor,‹ – sie hielt einen Augenblick ein, die langen Wimpern senkten sich verhüllend über das flammende Auge; eine Sekunde saß sie so, dann erhob sie rasch den Blick, sah ihm fest in das glühende Antlitz, und die seligste Zufriedenheit spiegelte sich in ihren Engelszügen; ihm beide Hände reichend und die seinigen fest an ihr pochendes Herz pressend, fuhr sie fort: ›Doch, da wir uns gefunden, habe ich kein Geheimniß mehr Ihnen vorzuenthalten, und am wenigsten das, welches mich hierher bringt.‹
Gregor war mir in diesem Augenblicke so interessant, als Biondetta, denn in stummer Seligkeit hing er an der Geliebten, und dennoch sah man ihm an, daß ihm dieser Ausdruck von Gefühlen eben so neu, als entzückend erscheine. Es war ja die Liebe eines reinen fleckenlosen Herzens, die ihm so lange fremd geblieben.
Biondetta erzählte uns nun in fliegender Eile, daß der Marchese Pietro gestern bei den Aeltern um ihre Hand geworben, und man ihr heute ihr Glück verkündet habe. In wenigen Wochen sollte die Vermählung gefeiert werden. Niemand fragte sie um ihren Willen, denn der Marchese hatte der Familie Vinelli fünfzig tausend Zechinen für den Hochzeittag bewilligt, und selbst Giulietta's und ihres Gatten Einwürfe verhallten ungehört zwischen dem Klange des Goldes, der die Einwilligung der Pflegeältern bestimmt hatte.
›Es giebt keine, keine Rettung für mich,‹ rief Biondetta, und heiße Thränen stürzten unaufhaltsam über ihre Wangen; ›denn selbst die Flucht in ein Kloster ist mir versagt, das Gold des Marchese sprengt ja alle Schlösser. Rathen Sie mir, mein Freund, mein Vater,‹ rief sie jetzt, zu meinen Füßen stürzend, ›ich habe die heilige Messe versäumt, um zu Ihnen zu eilen, Gott wird mir vergeben, aber ich kann Pietro's Weib nicht werden, ich kann nicht.‹
In diesem Augenblicke gewahrte sie einen Mann, der den Hügel herauf kam. ›Man kommt,‹ rief sie, rasch den Schleier über das Gesicht ziehend; ›ich bin verloren, Ihre Hülfe ist es für mich, wenn man mich hier findet; retten Sie mich! Diesen Abend ist Conzert in unserm Hause.‹
Die Schritte nahten sich, wie ein Pfeil flog Biondetta zwischen jene Säulen durch, den Hügel hinab, nach dem Orangenwäldchen; Gregor stand wie betäubt, und ich ging meinem Besuch entgegen, dem Biondetta zur rechten Zeit entfloh; denn es war der Graf Luchesi, ein täglicher Gast in dem Hause ihrer Aeltern.«
Der Prinz hielt hier inne – ich starrte ihn schweigend an. Wir waren in dieser Zeit außerhalb der Stadt, und der Prinz stieg aus, mir den Rest seiner Erzählung, im Schatten der Cypressen und Pinien mitzutheilen, der sich schon riesengroß um uns herzog, denn die sinkende Sonne sandte ihre letzten Strahlen. – Biondetta's Bild als reizumflossene Jungfrau schwebte gaukelnd vor meinen Blicken – Biondetta im Todtengewölbe an meine Brust gepreßt, mit heiserem Ton, mit stierem Wahnsinnsblick mein Mitleid anflehend – drängte sich neben die blühende Gestalt, und das Blut in meinen Adern erstarrte zu Eis.
»Sie sind angegriffen, August,« sprach jetzt der Prinz mild, »ruhen Sie hier, und lassen Sie mich mit den Worten meines alten Freundes die Warnungsgeschichte beschließen.« Wir nahmen Platz auf einer Steinbank, die im Gebüsch versteckt stand, und der Prinz fuhr fort:
»Nach einer halben Stunde verließ uns der Ueberlästige. Gregor warf sich rasch an meine Brust, und sein volles überseliges Herz strömte in Thränen über! ›Biondetta muß mein werden, was auch Schicksal und Bosheit zwischen uns schleudre! Helfen Sie, mein Vater, rathen Sie.‹
Ich sah keine Hoffnung für die Liebenden, keine! Gregor war reich, der Marchese noch reicher, Gregor der einzige Sohn eines Kaufmanns, Pietro der Stammhalter eines der ältesten Häuser in Italien, die Vinellis stolz und dünkelhaft; im Kreise der Möglichkeit lag keine Hoffnung! Ich stellte ihm Alles vor, vergebens!
›Ich entführe sie,‹ rief der Unglückliche, ›hinüber in mein Vaterland trage ich sie auf diesen Armen; wer hat jemals starke Liebe bezwungen?‹
›Tugend und Ehre!‹ unterbrach ich ihn; ›Biondetta wird Dir nicht folgen, ich kenne sie, sie ist stark genug, Unglück zu tragen, aber Schande – nimmermehr!‹
Gregor schlug die Hand vor die Stirn und verließ mich schweigend. Erst am Abend fanden wir uns wieder in Giulietta's Hause. Gregor in Fieberhitze glühend, Biondetta bleich, wie die weiße Rose, deren Kelch die Sonne entfaltete. Freier als sonst trafen sich die Augen der Liebenden, Gregor vergaß die Rolle, welche er bis diesen Tag gegen Giulietten gespielt, und mit eifersüchtiger Wuth verfolgten seine Augen jede Bewegung Pietro's, der, gleich dem Falken, seine Beute in sicheren Ringen umkreis'te.
Vergebens suchte ich Gregors Blicke, er war verwandelt; die Gewißheit, geliebt zu seyn, die Nähe der Gefahr, sie zu verlieren, hatten ihn wie mit einem Zauberschlag verwandelt, und mit Schrecken sah ich Giuliettens Befremden, das mit jeder Minute stieg, das Feuer, das aus ihren Blicken wie rasche Blitze bald über Gregors, bald über Biondetta's Antlitz hinschoß. Schnell war die Scene verändert, denn sie, deren einziges Streben es bis jetzt gewesen, den Marchese von Biondetten fern zu halten, war jetzt plötzlich die Beschützerin seiner Liebe, und das beängstete Mädchen in wenigen Augenblicken so belagert, daß ihr kein freies Wort, kein freier Blick für Gregor blieb, der in stummer Wuth, gleich dem ergrimmten Löwen, sich in ihrer Nähe hielt.
Acht Tage waren verstrichen, ohne daß es den Liebenden gelang, sich auch nur das kleinste Zeichen zu geben. So oft Gregor kam, ward er abgewiesen. Mit Giulietten hatte er eine Unterredung, in welcher sich ihre Leidenschaft für ihn fessellos kund gab, und er versicherte mir oft nachher, daß er der ganzen Stärke seiner Liebe für Biondetten bedurft habe, um dem unaussprechlichen Reiz Giulietta's, mehr aber noch, ihren Thränen, ihrem ungeheuchelten Schmerz zu widerstehen.
Der Tag der Vermählung war festgesetzt. Der Marchese hörte Biondetta's Klagen, selbst ihr Geständniß mit eiserner Ruhe an.
›Jugendpossen,‹ höhnte er, ›die im Arme der Liebe und des Reichthums in wenig Tagen, gleich bunten Träumen, hinter dir liegen werden. Ich hatte am Lebensglück verzweifelt, Du trittst vor mich hin mit der Anweisung auf alle Erdenseligkeit; glaubst Du, ich werde Dich sinnlos von mir stoßen, und wie ein Rasender mich selbst zurückschleudern in das endlose Chaos eines öden trüben Daseyns? Nimmermehr!«
An seiner Felsenbrust, an der Härte der Pflegeältern, an Giulietta's schlangenglatter Geschmeidigkeit scheiterten alle Versuche zur Rettung, und ich sah Biondetta bleich, matt, ohne Hoffnung und Klage dem Grabe zu welken.
Vergebens hatten wir beide Alles versucht, irgend ein Wort, ein Zeichen in ihre Hand zu spielen; es war unmöglich. Verzweifelnd eilte Gregor neben mir die Treppen herab, zum vierten Mal in acht Tagen waren wir abgewiesen. Eben wollte er seinem Zorne in Worten Luft machen, als Giulietta's Gemahl durch das Gartenthor eintrat, und uns mit einem durchdringenden Blick seiner kleinen blitzenden Augen messend, vom Kopf bis zu den Füßen ansah.
Gregor blieb stehen, und maß auch ihn eine Weile, ohne ihn zu begrüßen, bis der Marchese lächelnd begann: ›Meine Menschenkenntniß reicht genau so weit, um zu sehen, daß Sie abermals von meiner stolzen Gattin abgewiesen wurden; nehmen Sie mir das nicht übel, aber ich frage nicht ohne Staunen. Ist es wahr, daß man Sie in dieser Woche schon drei Mal zurückwies?‹
›Es ist wahr!‹ knirschte Gregor, ›und glauben Sie mir, mein Herr, es sind Ursachen eigner Art, die mich nach solcher Behandlung bestimmen konnten, Ihr Haus wieder zu betreten.‹
Eine rasche Röthe flog über das bleiche Gesicht des Marchese. ›Ich müßte blind seyn, wenn diese Ursachen eigner Art mir nicht längst in die Augen geleuchtet hätten. Und obgleich es mein fester Vorsatz ist, nicht zu sehen, wo ich nicht sehen soll, wenn man mich anders nur schonend dabei behandelt, so will es mir dennoch meiner Ehre, bei aller Diskretion, nicht recht zuträglich scheinen, daß Sie mir dieses so unumwunden in's Antlitz sagen, und ich muß Sie bitten, mein Herr, mir in den Garten zu folgen, wo ich jeden Augenblick bereit bin, Ihnen als Cavalier Rede zu stehen.‹
Ich trat rasch dazwischen, und den Irrthum durchschauend, hielt ich beide Männer, die sich schon zum Gehen wandten, mit den Worten zurück: ›Ich fühle wohl, daß ich ein Unheil durch ein zweites zu verdrängen im Begriffe stehe, aber ich kann nicht anders, ich muß den Irrthum lösen, Herr Marchese; nicht ihre glänzende Gattin, die reizende Biondetta ist der Magnet, welcher den jungen Mann wieder und immer wieder nach Ihrem Hause zieht.‹
Als hätte ihn die Tarantel gestochen, so blitzschnell drehte sich das kleine Männchen nach mir herüber.
›Biondetta, wie mein Freund, Biondetta?‹ fragte er rasch.
›Biondetta!‹ rief Gregor, daß es in den gewölbten Corridor zehnfach wiederhallte, ›ja, sie ist's, sie –‹
›St, um Gottes Willen!‹ flüsterte der Marquese, Gregors Arm ergreifend, ›kommen Sie schnell, darüber müssen wir sprechen,‹ und ehe wir's uns versahen, saß er neben uns im Wagen, und lockte nun aus Gregors Seele das Geständniß seiner Liebe und seiner Qualen.
Immer heller ward die Stirn des Marchese, bald rieb er sich die Hände, bald legte er in tiefem Nachdenken die Finger an die Stirn; daß ein Plan in ihm arbeite, war nicht zu verkennen.
Als Gregor geendet, rief er: ›Hätte ich das gewußt, wäre ich nicht auf ganz falscher Spur gewesen, wie anders müßte jetzt Alles stehen. Nur vielleicht ist jetzt noch Rettung, denn Giulietta und mein Bruder halten den Raub fest, den sie einmal fassen. Hören Sie, Sie dürfen mir vertrauen, in diesem Falle meine ich's ehrlich. Ich war der Erbe meines Bruders, wenn er diese unselige Biondetta nie gesehen hätte; urtheilen Sie nun, ob es mein Ernst ist, Ihnen das Mädchen zu verschaffen. Sie muß entführt werden, und zwar morgen in der Nacht, denn übermorgen in der Frühstunde soll die Trauung seyn. Geben Sie mir ein Billet, unterrichten Sie darin Biondetta, vielleicht gelingt es mir, ihr es zuzustecken. Auch mich beobachte man scharf, denn Giulietta und Pietro trauen mir nicht.‹
Auf Gregors Gesicht wechselte die Gluth der Hoffnung mit der Blässe der Verzweiflung. Unser Plan war bald gefaßt.
Der Marchese unterrichtete uns, daß Biondetta's Gemach nach dem Parke gehe, und der erste Stock an dem Rebengeländer leicht zu ersteigen sey. Ein Zettelchen mit den wenigen Worten:
›In der Nacht vor Deiner bestimmten Vermählung harre meiner, ein weißes Tuch bezeichne Dein Fenster, die Liebe rettet Dich!
Gregor‹ sollte ihr verbürgen, daß es Gregor sey, der den Marchese an sie sende, dann sollte ihr dieser den Plan enthüllen.
Er kehrte nun nach Hause zurück, und brachte uns gegen Abend die Nachricht, daß er vergebens versucht habe, sie zu sprechen; er mußte sich damit begnügen, im Vorübergehen das Blatt in ihre Hand zu drücken, denn Giulietta und sein Bruder hätten von Beiden kein Auge verwendet.
›So weiß sie doch, daß Rettung ihr naht,‹ rief Gregor, ›Gott und seine Engel werden mich schützen.‹
Die verhängnißvolle Nacht erschien endlich. Biondetta war den Tag über in ihrem Zimmer geblieben, und der Marchese hatte sie nicht zu sehen bekommen, wohl aber sah er den Ernst, mit welchem die Anstalten zur Vermählung betrieben wurden. Mit hochklopfender Brust schied Gregor von mir, als die Mitternachtstunde nahte. Der Marchese hatte ihm einen Schlüssel zur kleinen Pforte des Parks verschafft.
›Mein väterlicher Freund!‹ sprach Gregor mit bebender Stimme, ›diese Nacht entscheidet Wohl und Weh meines Daseyns; gelingt es mir, sie zu retten, so fliehe ich mit der Geliebten nach Ischia, und halte mich dort verborgen, bis der Wind zur Flucht günstig wird, dann soll uns mein treues Schiff zum Vaterland tragen. Kann ich sie nicht retten,‹ er sank an meine Brust, und hielt mich fest umklammert, ›so vergeben Sie mir, wenn wir uns nie wieder sehen.‹
Ohne meine Antwort abzuwarten, stürzte er hinaus, und ich betete zum erstenmal in meinem Leben für das Gelingen einer gesetzwidrigen Handlung.
Gregor war im Schutze einer finstern, gewitterschweren Nacht in den Park gedrungen, und stand bald vor Biondetta's Fenster; denn leise schwebend verkündete ihm die weiße Flagge das Harren der Geliebten. Kein Laut regte sich in den Blättern, tiefe Stille umgab ihn. Eine Weile stand er regungslos, und das Pochen seines Herzens allein tönte durch die dumpfe Ruhe. Kein Lichtstrahl drang aus ihrem Zimmer, doch, das konnte Vorsicht seyn. Rasch schwang er sich jetzt auf dem Rebengeländer hinan zu dem Fenster der Theuern, das er geöffnet fand, und aus der Tiefe des Gemaches dämmerte ihm durch die Dunkelheit ein weißes Gewand entgegen.
›Biondetta!‹ flüsterte er, sich in das Fenster beugend.
Ein schwerer, lang gedehnter Seufzer war die Antwort.
›Du bist's!‹ stammelte er entzückt, ›auf, Geliebte, nahe Dich, folge mir in die Welt, die Dir mein Herz zu einem Paradiese umschaffen soll.‹
Sie schwankte heran. Gregor befestigte rasch die mitgebrachte Strickleiter an dem Kreuzstocke des Fensters, dann streckte er ihr den bebenden Arm entgegen. Eine kalte, zitternde Hand legte sich in seine; leises Schluchzen drang unter dem Schleier hervor.
›Fehlt Dir der Muth, Biondetta, Dich der Liebe zu vertrauen? Willst Du im Arme des Schrecklichen ruhen, der zwischen unsre Herzen tritt, eisern, wie das kalte unerbittliche Schicksal?‹
›Ich folge Dir!‹ flüsterte sie jetzt leise, und ihre Stimme drang zitternd aus der gepreßten Brust hervor.
›So komm',‹ flehte Gregor, sie unterstützend, und bald standen sie auf dem duftigen Boden des Parkes. Eine selige Minute lang ruhten sie, einander Herz an Herz, dann zog er sie fort durch die Finsterniß, die breite Allee hinab, die er gekommen war; bald schlug die Pforte hinter ihnen zu, die bestellten Maulthiere brachten sie zum Hafen, und nach wenig Minuten wiegte die stille See das Boot in schaukelnden Armen, das sie mit raschem Ruderschlag hinüber trug nach der felsigen Insel, die Gregors Liebe zum Schutzorte erwählte.
Mit hochklopfender Brust lehnte die Geliebte an Gregors pochendem Herzen, der im seligen Gefühl gelungener Rettung, die Arme um sie geschlungen, sie fest an sich drückte, wie einen kostbaren Schatz, den er jeden Augenblick zu verlieren fürchtete. Finster lag schwarzes Gewölk über dem Meere, kein Lüftchen regte sich, kein Lichtschein verrieth die Bahn des fliehenden Paares, selbst über dem Schlund des alten Vesuv lagerte schwarze Nacht, und kopfschüttelnd meinten die Bootsleute, kaum vor Ausbruch des drohenden Sturms Ischia zu erreichen.
Leise flüsternd, als fürchteten sie noch immer durch den Klang ihrer Stimme verrathen zu werden, hauchten sich die Liebenden Worte des Entzückens zu, aber ihre Seufzer verhallten unter dem Geplätscher der Wellen und dem kräftigen Ruderschlag der arbeitenden Matrosen – und bald verstummten sie in dem fruchtlosen Versuch, sich verständlich zu machen; wozu auch bedurften sie der Worte? ihre Herzen ruhten ja an einander, ihre Arme hielten sich umschlungen, sie waren ihrer selbst gewiß.
Reges Leben, starkes Hin- und Widerlaufen im Boot weckten Gregor endlich aus dem Taumel des Entzückens; der Wind erhob sich sausend, und fuhr in abgesetzten Stößen über das unruhig wogende Meer dahin. Die Wellen begannen zu steigen und dichter ward die Finsterniß, welche sich herabsenkte, mit einem dunklen Schleier die dumpfbrausende See zu umhüllen.
›Das ist Sturm!‹ rief Gregor, das Haupt erhebend, und Biondetta zuckte in raschem Schreck zusammen. ›Ja, Sturm,‹ wiederholte ein Bootsmann in seiner Nähe, ›und was für Sturm! wenn uns nicht alle Heiligen unter ihren Schutz nehmen, so schlucken wir heute alle noch mehr Seewasser, als uns zuträglich ist.‹
Biondetta schauerte zusammen, und Gregor rief aufspringend: ›Nein, so tückisch ist das Geschick nicht; nicht um Dich zu verlieren, gab Dich der Himmel in meine Hände, nicht um an meiner Seite zu sterben, rettete er Dich, Biondetta! Er wird ums gnädig seyn, wir werden Ischia erreichen!‹ – ›Davor bewahre uns St. Januario!‹ schrie der Bootsmann, ›wo sollen wir landen im Sturm an diesem Felsennest? Wir müssen zurücksteuern nach dem Golf, sonst sind wir verloren.‹
›Nimmermehr!‹ rief Gregor wüthend; ›nach dem Golf zurück, meinen Feinden in die Hände? Ihr seyd wohl verrückt geworden?‹ Brummend ging der Bootsmann an seine Arbeit, und schien sich wenig um den Zorn des Herrn zu kümmern, denn ohne daß er es in der Dunkelheit ahnete, machten sie alle Anstalten, den Rückweg zu suchen.
Gregor beugte sich indeß zu Biondetta nieder, die sich zitternd an ihn schmiegte, und suchte die Zagende zu beruhigen. Sie war in großer Bewegung, krampfhaft schlangen sich ihre Arme um seinen Hals. ›Wenn wir jetzt untergingen!‹ flüsterte sie und ihre Zähne schlugen an einander.
›Warum so zaghaft, Biondetta? Wenn wir nun untergingen, ruhest Du nicht lieber im Meeresgrunde an meiner treuen Brust, als in Pietro's räuberischen Armen?‹
Sie antwortete nicht; die Windsbraut strich wieder losgelassen über die See, und die Wellen schleuderten spielend das leichte Boot aus der Höhe in die Tiefe, und aus der Tiefe wieder der Höhe zu; der Sturm wirbelte über die erschrockenen Bootsleute hin, und plötzlich flog, wie ein lichter Nebelstreif, Biondetta's Schleier dahin, ein Spiel der Lüfte. Sie sprang auf und wollte danach fassen, doch im nämlichen Augenblick sank sie, von einer heftigen Bewegung des Boots aus dem Gleichgewicht gebracht, in Gregors Arme.
Da durchzuckte der erste Blitzstrahl die rabenfinstere Nacht. Gregor starrte, zur Bildsäule versteinert, in Giulietta's leichenblasses Antlitz, und kaum vermochten seine Lippen das Wort: Giulietta! hervor zu stammeln.
Da drückte sie das kalte Antlitz an seine Brust, und rief so laut, daß ihre Stimme den brausenden Sturm übertönte: ›Gregor, Biondetta ist für Dich verloren; ich bin Dein, ich folge Dir, wohin Du mich führen wirst; verwerfe nicht das Opfer meiner gränzenlosen Liebe!‹
Als hätte Gregor eine Natter berührt, so schleuderte er das trügerische Weib von sich, daß sie bewußtlos in das Boot hinstürzte; dann brüllte er mit Tönen, die, gleich dem Winde, in's Ohr der staunenden Bootsleute drangen: ›Wendet, wendet, ich befehle es, nach dem Hafen zurück, schnell, wenn Gott Euch gnädig seyn soll.‹
›Das thaten wir längst, Signor,‹ entgegnete der Steuermann; ›aber der Sturm will es anders, was vermag ein Strohhalm gegen das brausende Meer? Mit Macht treiben wir Ischia zu, der Morgen graut schon durch die Wetterwolken, und geht es so fort, so stranden wir, ehe es tagt, an den Klippen.‹
Wer könnte den Zustand meines unglückseligen Gregors beschreiben? Das Wetter ras'te, Blitze auf Blitze durchkreuzten die Luft, und schlugen bald hier, bald dort zischend in die Wogen, daß der Gischt hoch aufspritzte zum Himmel. Giulietta lag betend auf den Knieen, die Bootsleute überließen das leichte Boot den Wellen, und lagen ausgestreckt umher, um vom Sturme nicht über Bord gerissen zu werden. Gregor allein saß auf einer Bank, durchnäßt vom Schaume des Meeres, und flehte Gott um Rettung an für Biondetta. So schnell herabgeschlendert ans dem Himmel seiner Hoffnungen, so teuflisch betrogen, stand er am Rande eines Abgrundes, der seine gesunden Sinne zu verschlingen drohte.
Da wandte sich der Wind, und pfeilschnell schoß das Boot der Felseninsel zu. Die Schiffsleute empfahlen Gott ihre Seele, und nach wenig Minuten rief der Bootsmann: ›Gelobt sey mein Schutzpatron, es treibt uns gerade in die Bucht.‹ Ruhiger ward jetzt die See, in längern Bogen wölbten sich die Wellen, die Männer griffen ermuthigt nach den Rudern, und eben als der grauende Tag durch die gelichteten Wolken brach, trug sie die letzte Woge rasch und mit gewaltigem Stoße, aber sicher an das rettende Land.
Unter lautem Jubelgeschrei sprangen Alle an's Ufer, und stürzten dankend zur Erde, nur Gregor saß unbeweglich, und Giulietta wankte mit unsicherm Tritte und gesenktem Haupte zu ihm hin, und sank laut schluchzend vor ihm nieder: ›Gregor! so wär' es möglich, so verwirfst Du mich und das höchste Opfer, welches ein Weib Dir bringen konnte? Ehre, Reichthum, Vaterland, alles, alles verließ ich, von dem Glauben getäuscht, daß ein fühlendes Herz in Deiner Brust schlägt; doch wehe mir, wehe, Dein Blick ruht eisig kalt auf mir, um Deine stolzen Lippen lagert sich Verachtung, mein Tod ist gewiß!‹
›Er ist's!‹ entgegnete Gregor mit furchtbarem Ernste, ›er ist's, wenn Biondetta für mich verloren ist. Dort geht hin, Signora!‹ er deutete auf eine kleine Kapelle, die am Strande stand; ›verlobt Euer sündiges Daseyn zu ewiger Reue und Buße der heiligen Mutter, denn, wenn nicht ein Wunder Biondetta rettete, so sterbt Ihr von meinen eignen Händen!‹
Giulietta wankte entsetzt zurück, eilte an den Strand, und warf sich, von Gewissenspein und Todesangst umnachtet, vor der Heiligen nieder, und gelobte ihr, jedes Jahr vier Wochen in strengem Gebet und Fasten hier vor ihrem Bilde zuzubringen, wenn sie lebend gerettet werde aus den Händen dieses furchtbaren Menschen.
Es ruhte die See, der Sturm hatte ausgewüthet, und prachtvoll erhob sich die Sonne aus dem kristallenen Schooße der Wogen, das verlassene Bett mit langen Strahlenbahnen bezeichnend, da riß Gregor eine Goldbörse aus dem Gürtel, hob sie hoch empor, und rief den schlafenden Bootsleuten zu: ›Wer ist's, der mich zur Stelle zurückbringt nach dem Golf?‹
Sie sahen einander zögernd an, ermüdet von der Arbeit der Nacht, wollte es lange in Keinem zum Entschluß kommen, doch endlich siegte der Anblick des Goldes, vier Männer sprangen in das Boot.
›Schafft mir die Donna herbei!‹ rief Gregor mit fürchterlicher Stimme, und Giulietta erhob sich bleich, doch vollkommen gefaßt von den Knieen, und betrat mit kalter Würde das Boot, ihren alten Platz einnehmend. Lautlos durchschnitten sie die klaren Fluthen, ein frischer Wind blies in das kleine, rasch aufgezogene Segel, und pfeilschnell, wie in der Nacht Ischia, flogen sie jetzt Neapel zu, das noch verhüllt in grauen Nebeln vor ihren Blicken lag.
Gregor konnte sich nicht entschließen, dem verrätherischen Weibe eine Frage, ein Wort zu gönnen. Nur selten schlug sie die schönen Augen zu ihm auf, doch sein blasses, verstörtes Antlitz, auf dem sich die Ruhe der Verzweiflung gelagert hatte, erfüllte sie mit Schauder, und regungslos starrte sie dann wieder in die Fluth. Die Sonne brannte heiß, als man im Hafen ankam.
Gregor faßte Giulietta's Hand, zog sie aus dem Boot, und raunte ihr zu: ›Jetzt keinen Laut, Signora, denkt nicht daran, Euch aus meiner Macht zu retten, oder Eure Ehre ist auf ewig vernichtet.‹
›Wenn Ihr noch so viel Menschlichkeit im Busen tragt, meiner Ehre zu gedenken, so bringt mich nicht in das Hans meines Gatten,‹ flehte Giulietta mit bebender Stimme, ›bringt mich, wohin Ihr wollt, haltet mich gefangen, bis Eure Rache befriedigt ist, nur in diesem gräßlichen Zustande nicht zu meinem Gatten!‹
›Wohl,‹ rief Gregor, ›ich werde Euch besser bewahren.‹
Ich hatte eben mein Lager verlassen, als Gregor in mein Gemach stürzte. Ich fuhr bei seinem Anblicke entsetzt zurück.
In fliegender Eile erzählte er wir, was geschehen, und bat mich, die Elende in strenger Haft zu halten, bis er rückkehren werde.
›Nicht ihren Tod will ich,‹ rief er, ›aber Rache, Rache muß ich an ihr nehmen, wenn Biondetta,‹ doch sich selbst unterbrechend, riß er sich rasch von mir los, und rief: ›Was zögere ich noch, Leben oder Tod hängt an den nächsten Sekunden; leben Sie wohl, mein väterlicher Freund!‹ und eilte hinaus.
Ich stand verstummt, sollte ich ihm folgen, oder sollte ich das verirrte Weib hüten? Diese Fragen durchkreuzten meine Seele, als Giulietta verstört, unkenntlich, wie vorhin Gregor, in's Gemach und zu meinen Füßen stürzte.
›Retten Sie mich, retten Sie; wenn er den Betrug entdeckt, er wird mich tödten!‹ schrie sie mit heiserer Stimme, und ihr Körper zuckte krampfhaft, ihre Lippen bebten, ihr Zustand war erschrecklich. Ich brachte sie zu einem Sopha, und nachdem ich es versucht hatte, sie zu überzeugen, daß Gregor nicht ihren Tod wolle, verließ ich sie unter der Aufsicht meines Kammerdieners, und eilte nach dem Hause des Marchese.
Der unglückliche Gregor war von mir hinweg, gerade nach dem Park gestürzt, zu dessen kleiner Pforte er den Schlüssel noch bei sich trug; von dort dachte er ungehindert und unbemerkt in's Haus zu dringen. Rasch durchstrich er die Laubgänge, Alles schien noch todt und still, kein Laut bewegte sich in den duftenden Gebüschen, die nach dem Gewitter frischer und stolzer die blühenden Häupter erhoben.
Da ist ihm plötzlich, als höre er tiefe Seufzer in seiner Nähe, er dringt durch die Gesträuche, und im Schatten einer dämmernden Laube, auf einer Steinbank sitzt Biondetta vor ihm. Bleich, wie der Todesengel, das dunkle Haar aufgelöset um den weißen Nacken, die Hände krampfhaft gefaltet im Schooße ruhend, gleicht sie ihrem Schatten eher, als der vor wenig Tagen noch so blühenden Jungfrau.
›Biondetta!‹ ruft Gregor, bei ihrem Anblicke zurücktaumelnd, und sein Schreckenston schallt laut durch die Stille des Parkes.
Sie erhebt langsam das bleiche Antlitz, richtet einen matten erloschenen Blick auf ihn, und fragt mit kranker, klagender Stimme: ›Was willst Du von Deinem Opfer?‹
Da stürzt der Unglückliche zu ihren Füßen, umfaßt ihre Knie, und ruft unter strömenden Thränen: ›Ich bin das Opfer eines höllischen Betrugs, Biondetta! Im Namen Gottes, sage die Wahrheit, was ist mit Dir geschehen?‹
Einen Augenblick lang sah sie ihn starr an, dann ward ihr Blick milder, ihr Auge glänzte in Thränen, und sie begann, anfangs deutlich, dann aber immer verworrener erzählend: ›Ich war der Verzweiflung nahe, als ich Dein Blatt erhielt, welches mich vom Rande des Abgrundes in alle Himmel froher Hoffnungen trug. Dies Blatt war mein höchstes Gut, mein theuerster Schatz; ich trug es den ganzen Tag über auf meiner armen, gequälten Brust, und das Herz schlug dann so beruhigt und froh! Als ich am andern Morgen erwachte, konnte ich's nirgends finden. Doch ich wußte ja, Du werdest mich retten, was bedurfte ich mehr! Man machte Anstalten zu der Vermählung, ich sah alles gelassen an; gestern Abend waren der Marchese und Giulietta sehr heiter, und tranken viel Lacrimä Christi; auch mir reichten sie ein Glas, ich sollte trinken auf die Feier des morgenden Tages. Da trank ich; denn ich sollte ja den Tag an Deiner Brust, gerettet, frei das Licht der Sonne wieder grüßen.‹
Sie schwieg einen Augenblick, legte die Hand an die Stirn, als verwirrten sich ihre Gedanken. Gregor kniete athemlos vor ihr, und lauschte ihren Tönen; endlich fuhr sie fort: ›Da ward mir auf einmal so schwindlicht und dumpf zu Muthe. Giulietta faßte mich in ihre Arme, küßte mich und sprach, nun müßte ich zu Bette gehen, es wäre schon Nacht. Als man mich auf mein Lager brachte, dachte ich an Dich, und daß Du kämest, mich zu retten, aber so sehr auch meine Seele kämpfte, ich mußte dennoch einschlafen. Bange Träume quälten mich, bald riß der Wind das weiße Zeichen von meinem Fenster los, bald brach das Rebengeländer, an welchem Du heranklettertest, bald stand Giulietta zwischen Dir und mir, und ich konnte Dich nicht erreichen, und immer fühlte ich, daß ich schlafe, und daß Du nicht kämst, mich zu retten. Da erweckte mich ein furchtbarer Donnerschlag, ich sprang vom Lager auf, doch ich taumelte; erst als ich das Fenster aufriß, und Sturm und Regen mir erfrischend in's Antlitz schlugen, ward ich wach, und besann mich, daß Du jeden Augenblick kommen müßtest. Ich band meinen Schleier an das Geländer, und der Wind spielte lustig mit dem Zeichen der Liebe – ich freute mich, daß die Blitze Deinen Pfad erhellten, und stand am Fenster; doch, Du vergaßest Dein Wort und die arme Biondetta! Ich weiß nicht, wie lange ich Deiner harrte, aber es war wohl eine Ewigkeit. Mein Gehirn brannte, meine Glieder erstarrten, der Morgen graute, und mein Herz schlug immer matter, immer stiller, ich hörte auf zu denken, und meinte, Alles wäre nun vorüber. Da kamen sie in mein Gemach, zogen mich zur Kirche; dort waren meine Aeltern und der Marchese, und dann führte man mich vor den Altar, er stellte sich neben mich; ich sträubte mich und wollte nicht, man kehrte sich aber nicht an mich, man fragte mich auch nicht; ich bekam einen Ring, man segnete mich, und ich sank bewußtlos zurück. Als ich erwachte, saß meine Mutter bei mir, und sagte: "Du bist nun Marchese von Cimorra, zeige Dich Deines Glückes werth!" Ich starrte sie an, und sprach: "Laßt mich in den Park, es liegt eine Welt auf meiner Brust." Da sah sie den Marchese an, der neben ihr stand, und bat: "Lassen Sie das arme Kind, sie wird sich ausweinen, dann ist Alles gut." – Da ließen sie mich,‹ schloß Biondetta mit starrem Blicke, ›und hier sitze ich nun, und kann nicht weinen.‹
Gregor war aufgesprungen, und stand vor ihr, mit den Geberden des Wahnsinns ihre Worte begleitend.
›Marchese Cimorra!‹ stammelte er knirschend, ›so lange dies Herz schlägt, so lange das Gezelt des Himmels sich wölbt über unsern Häuptern, sollst Du seine Gattin nicht werden! Biondetta,‹ rief er wild, sie umfangend, ›Biondetta, liebst Du mich, so stirb mit mir, aber ihm gehöre niemals an.‹
Da schlang sie den Arm um seinen Nacken, und rief jauchzend: ›Ja, Gregor, laß uns sterben!‹
Fest hielten sich die Liebenden umfaßt, als gälte es hinüber zu gehen in dieser Umarmung.
Da schrie plötzlich Gregor laut auf, und sank, Biondetta mit Blut überströmend, zur Erde.
Von rückwärts hatte ihn der mörderische Degen des rachedürstenden Marchese Pietro durchbohrt, und aus zwei Todeswunden entstürzten die Quellen seines jugendlichen Blutes.
Zu dieser Schreckensscene kam ich in das Haus. Ersparen Sie mir die Qual, Ihnen zu beschreiben, wie Biondetta, zu Stein verwandelt, lautlos den Geliebten anstarrte, der, die matte Hand nach ihr hinstreckend, mit letzter Kraft die Worte hervorhauchte: ›Folge bald!‹
›Ich folge!‹ schrie das Mädchen in furchtbaren Tönen, und sank leblos über ihn hin. Man riß sie von ihm los, ich bemächtigte mich meines unglückseligen Freundes, der noch drei Stunden lebte, und in meinem Hause, an meiner Brust seine edle Seele verhauchte. Giulietta lag zu seinen Füßen, als er verschied, selber einer Leiche ähnlich; doch kein Blick der Vergebung aus seinem Auge fiel auf die Unselige, deren schrankenlose, sündige Leidenschaft das Entsetzliche herbeigeführt. Vernichtet verließ sie mein Haus. Biondetta erwachte zum Leben, doch nicht mehr zum Bewußtseyn; in unheilbarem Wahnsinne entfliehen ihre traurigen Tage, der Marchese erndtete die Früchte seines Verbrechens nicht, ein frühes Grab umschließt ihn, und mein armer Freund ist gerächt.
Dunkle Nacht deckt das traurige Geheimniß, die Welt, nur halb von der Sache unterrichtet, lügt nach ihrer Art seltsame Dinge dazu; ich nur, außer der Familie, kenne die gräßliche Wahrheit und den Grund von Giulietta's Wallfahrten nach Ischia. Jahre lang nagte der Wurm in ihrer Seele, doch seit Kurzem scheint die Leichtsinnige des Unheils nicht mehr zu gedenken, das sie schuf, ihre Lebenslust ist wieder erwacht, und ihr glühendes Auge sucht ein neues Opfer. Noch keinem Sterblichen habe ich entdeckt, was ich weiß, Sie sind der Erste, nützen Sie mein Vertrauen.
So schloß der alte Mann; ob ich es nützte, wissen Sie, der mich zurückkehren sah von der gefährlichen Bahn; August! nützen Sie nun, wie ich, die warnende Stimme des Freundes.«
Ich saß verstummt und erschüttert bis in die Tiefe meiner Seele, kalte Schauer durchrieselten mich, der Prinz ahnete nicht, wie nahe mir Alles stand, was er mir sagte. Biondetta, die Unglückliche, stieg wieder auf vor meinen Blicken, und ich verließ nach wenigen entschuldigenden Worten den Prinzen, um in der lauen Mondnacht, in tiefer Einsamkeit, den Sturm in meiner Brust zu beschwören.
Neapel.
Ich weiß bis diesen Augenblick nicht, wie ich mich endlich in Giulietta's Park, an den Stufen ihrer Villa wieder fand. Erstaunt sah ich zu dem dunklen Gebäude empor, aus dessen oberstem Stocke ein Lichtstrahl durch die Nacht drang. Alles war todtenstill. Ich stieg die Treppen hinan, eilte bis zu Giulietta's Zimmer, es war verschlossen, alles still und dunkel. Ich ging in das zweite Stockwerk, mit dem festen Vorsatze, Biondetta aufzusuchen, alles öde und leer. Eine lange finstere Gallerie lag vor mir, ich eilte hinab; leise strich der Abendwind durch die offnen Bogen an meiner Stirn hin, mein Blut begann ruhiger zu fließen, mein Herz pochte sanfter, da drang mir aus der Tiefe des Ganges eine weiche klagende Stimme entgegen, in lang gehaltenen Tönen, bald stark anschwellend, bald leise, wie in tiefen Seufzern verschwimmend.
»Ist dies Biondetta?« fragte ich, vorwärts eilend. Jetzt stand ich an einer halb geöffneten Thüre, ein kostbar verziertes Zimmer, in der seltsamsten Unordnung, lag vor meinen Blicken. Eine Lampe, welche von der Decke herabhing, beleuchtete das Gemach. An den Fenstern, auf dem Kamine, überall standen Blumen, welche zerrissen und bestaubt die welken Blätter zur Erde senkten. Hier lag ein Buch, dort eine Zeichnung, an einem offenen Fenster hing ein weißes Tuch, welches, vom Abendwinde bewegt, hin und her flatterte, und vor demselben saß Biondetta, eine Laute lässig im Arme, das Haupt hinten über gelehnt. Regungslos starrte sie hinaus in die Nacht. Ein weißes Gewand umfloß den edlen Körper, in langen Locken fiel das dunkle Haar um ihre weißen Schultern. Der starre Ausdruck des Wahnsinns war gewichen aus den schönen Zügen, nur tiefer Schmerz lagerte um den blassen Mund. Bald leise, bald stärker sang sie die vorige Weise, und nur selten, kaum hörbar, als streiche der Wind über die Saiten, schlug ihre Hand begleitende Akkorde an.
Wie festgezaubert stand ich am Eingange, und es war, als ziehe meine Seele dahin auf diesen ergreifenden Tönen, und als müßte ich sie in Thränen verhauchen, daß das reizendste Wesen der Schöpfung gefangen liege auf immer in den gräßlichen Banden des Wahnsinns; leise, mir selbst kaum bewußt, hauchte ich den Namen: »Biondetta!« hervor.
Ruhig, ohne zu erschrecken, wandte sie das Haupt zu mir her. Ein unbeschreiblicher Ausdruck von milder Freude flog über das lilienweiße Antlitz, sie erhob die Hand, streckte sie mir rasch entgegen, und flüsterte: »Ich wußte es ja, daß Du kommen würdest.«
Ein süßer Schauer rieselte durch meine Adern, als ich ihr nun näher trat, sie die weiche Hand in meine schmiegte, und vertraulich nickend fortfuhr: »Ich dachte es wohl, daß Du mich nicht verrathen würdest.«
Ich vergaß in diesem Augenblicke den Zustand der Aermsten, kein Laut, kein Wort verkündete mir die Wahnsinnige. Ich legte meine heiße Stirn auf ihren Arm, und drückte die Lippen fest auf die blühende Hand.
Sie ließ mich gewähren, doch als ich den Blick zu ihr erhob, und ihr Auge das meine traf, zuckte mir's eisig durch's Mark der Gebeine; denn mit dem vollen Staunen des Wahnsinns, mit starren, träumerischen Blicken, in denen das vergebene Aufsuchen verwischter Erinnerungen nur zu deutlich ward, schaute sie mich an, und Biondetta aus dem Gruftgewölbe stand wieder vor mir. Mit einer seltsamen Bewegung fuhr sie endlich mit der Hand nach dem Herzen, und schüttelte dann, wie unbewußt, mit dem Kopfe. Ich wandte mich eben hinweg, das Grauen zu bekämpfen, welches sich auf's Neue meiner bemächtigen wollte, als aus der entgegengesetzten Thüre ein alter Diener eintrat, den ich öfters in Giulietta's Nähe gesehen hatte.
»Was wollen Sie hier, Signor!« rief er, erschrocken zurück fahrend, »die Signora ist krank, und ich habe Befehle –«
»Ich weiß es,« unterbrach ich ihn rasch, »ich bin hier auf den Wunsch des Marchese, ich soll die Krankheit der Donna hier zu erforschen und, wo möglich, zu heilen suchen.«
»Nun, wie Sie wollen,« entgegnete der Alte kopfschüttelnd, und mich mit mißtrauischen Blicken messend; »ich fürchte aber, Sie werden sich vergebens bemühen, und beunruhigen die Aermste nur.«
»Zu Bette, Biondetta!« befahl er, zu der Unglücklichen gewendet, »es ist spät, und Dein Kopf ist müde.«
»Ja, ja,« sprach diese, die Hand an die Stirn pressend; »Du hast Recht, mein Kopf ist sehr müde, und Gregor kömmt doch nicht,« seufzte sie mit einem schmerzlichen Blick nach dem Fenster.
»Heute nicht mehr!« entgegnete der Alte, »warte nur auf morgen!«
»Ja, morgen!« klagte sie in sich hinein, und wandte sich; auf einmal fiel ihr Blick auf mich, sie blieb stehen, ging dann rasch auf mich zu, und bat im rührendsten Ton, der wieder jeden Anklang des Wahnsinns entfernt hielt: »Aber Du, nicht wahr, Du kommst morgen wieder, und alle Tage. Ach, ich würde bald genesen, wenn ich Dich recht oft sähe; komme ja wieder!«
Ihr Auge hing so flehend und innig an meinen Blicken, ich reichte ihr die Hand, und sprach: »Gewiß, Biondetta, morgen kehre ich wieder.«
Ein Strahl von Freude flog über ihr Gesicht, sie drückte meine Hand an ihr Herz, das krampfhaft pochte, und blickte mit leuchtenden Augen zum Himmel auf. Dann folgte sie ruhig, wie ein frommes Kind, dem alten Diener.
Ich eilte zur Stadt, und der dämmernde Morgen findet mich hier am Schreibtische und im ernstesten Nachdenken über mich selbst.
Sie werden es mißbilligen, mein Vater, aber rechten Sie mit dem seltsamen Räthsel, was der Mensch Herz nennt, es zieht mich unwiderstehlich zu Biondetten, und jeder Abend findet mich bei der Unglücklichen. Ich versuche es, systematisch ihr eine Erzählung ihrer Leiden zu entlocken, von deren erschütternder Wirkung ich viel für ihre Gesundheit hoffe; doch es gelingt mir nicht, sie schweigt hartnäckig, und die Erinnerung an ihr Schicksal scheint gänzlich verwischt, bis auf einige Phrasen, die ihr fast unbewußt stets auf den Lippen schweben, und worin allein der Name Gregor noch zu leben scheint. Sie hat oft Momente, wo sie still, und sichtlich im Innersten erquickt, meinen Worten lauscht, und wo in holdem Vertrauen die arme umnachtete Seele sich mir anschließt, und mir die reichen Schätze eines gebildeten, seltenen Geistes zeigt; doch es sind nur Momente, schnell senkt sich das Dunkel wieder, das meine Bemühung einen Augenblick lichtete, ihr Auge wird starr, der Ausdruck ihrer Züge seelenlos, und meine Hoffnung, sie jemals zu heilen, wird schwächer und schwächer.
Dennoch muß ich immer wieder hinaus, und kann nicht von ihr lassen! Sie hat einen Eindruck auf mich gemacht, dem ich vergebens einen Namen zu geben strebe, meine Gedanken sind bei ihr, während ich mich des Tags in Gesellschaften umher treibe, und mein Gemüth wird nicht eher ruhig, bis ich an ihrer Seite sitze, bis die Freude, mich wieder zu sehen, in ihrem beachtenden Auge glänzt.
»Und Giulietta?« werden Sie fragen, und Giulietta? frage ich mich selbst. Wie weggehaucht ist ihr Bild aus meiner Brust, kein Gedanke, keine Erinnerung führt mich zu ihr, gleichgültig, als hätte ich sie nie gekannt, höre ich in Gesellschaft ihren Namen nennen; ich denke nicht an ihre Rückkehr, und wie ein ängstigender Traum, aus dem man mit raschem, frohem Athemzug erwacht, liegt dies düstere, ephemere Verhältniß hinter mir.
Meine Seele ist frei und leicht, und ich könnte sagen, ich fühle mich wohl, wenn nicht das schmerzlichste Mitleid mit Biondetten oft seinen Stachel tief in meine Brust drückte.
Als ich gestern zu ihr eilte, begegnete mir Marietta auf dem untersten Gang; ich hatte sie seit jener Nacht nicht gesehen; sie blieb stehen und rief mir zu: »Die Signora ist noch immer krank, Sie suchen sie vergebens!«
»Ich weiß es,« entgegnete ich ruhig, und stieg die weite Treppe hinan. Ich bemerkte wohl, daß sie erstaunt stand, und mir nachsah, aber gleichgültig, wie ich seit einiger Zeit für alles bin, außer für sie, verfolgte ich meinen Weg.
Ob wohl Giulietta bald wiederkehrt, weil Marietta zur Stadt kam? Und was dann? Diese Fragen beunruhigen mich dennoch, obgleich ich sie stets von mir entfernt zu halten suche.
*
Mein Vater, o mein Vater! Wie vieles drängt sich oft in ganz kurzen Lebenstagen zusammen – doch ich habe Klarheit und Ruhe in meinen Berichten versprochen, ich will es halten, wenn es möglich ist!
Als ich das letzte Mal von Biondetten nach Hause kam, fand ich den Unglücksbrief, der die Krankheit des Fürsten verkündend, uns plötzlich nach Deutschland zurückruft. Der Prinz war außer sich, Sie wissen, wie innig er seinen Vater liebt, alles war in höchster Thätigkeit, die Abreise auf morgen bestimmt.
Betäubt stand ich, das Blatt in meiner Hand zitterte, ich war in einer Bewegung, die sich nicht verbergen ließ.
»Ist es möglich, August!« rief der Prinz, »noch hat diese unselige Leidenschaft Ihnen Herz und Seele gefesselt? Seyn Sie ein Mann!«
Ich sah ihn ruhig an, ein leises, schmerzliches Lächeln mochte sich um meine Lippen ziehen, denn sein Irrthum hatte den Widerspruch in meiner Brust plötzlich gelöset; ich wußte nun, was in mir vorging. Er blickte mir lange schweigend in die Augen, dann sprach er: »Sonderbarer Mensch, warum sind Sie mir seit einiger Zeit unverständlich, Sie, dessen Gedanken ich sonst verstand, ehe er ihnen Worte gab. Sey es jedoch mit Ihnen, was es sey; es ist gut, daß wir reisen, treffen Sie Ihre Anstalten, rasch!«
Meine Anstalten waren schnell getroffen; aber was sollte werden! Die Unglückliche, in deren Nacht ich ein mildes Hoffnungslicht entzündet hatte, sollte ich verlassen, trostlos, auf's Neue ihrem Schicksal dahin gegeben; dieser Gedanke folterte mich, und benahm mir gänzlich die Freiheit des Geistes. Ich sann darüber, wie ich sie noch einmal sehen wollte.
Der Morgen fand mich noch schlaflos, so wie die Nachricht, daß wir erst in zwei Tagen reisen könnten, weil der Chef des Hauses, welches unsre Geschäfte bis jetzt besorgte, und den der Prinz durchaus noch sprechen muß, abwesend ist, und erst morgen zurückkehren werde. Ich vernahm diese Neuigkeit, welche den Prinzen höchlich beunruhigte, nicht ohne einen leisen Anflug von Freude; so konnte ich sie doch heute noch einmal sehen! Vergebene Hoffnung, der Prinz ließ mich nicht von sich, tausend Aufträge hatte ich zu besorgen, tausend höchst nöthige Vorwände gab es, Tag, Abend, ja ein Theil der Nacht verstrich, ehe ich todtmüde nach unsrer Wohnung zurückkam.
Am andern Morgen erschien unser Geschäftsführer, der Prinz übertrug seine Angelegenheiten mir, und der Tag verfloß heute, wie gestern, in seinen Aufträgen. Es war fast Nacht, als ich nach Hause kam, ich traf den Prinzen nicht, wohl aber die feste Bestimmung, daß wir am frühen Morgen reisen würden.
Mein Entschluß war gefaßt; ich warf einen Mantel um, nahm einen Wagen, und nach wenig Minuten flog ich Biondetta's Wohnung entgegen.
Eine finstere, schwüle Nacht, wie damals, als ich Giulietta suchte, hing über der Erde. Ich lehnte mich in die Ecke, und fragte mich, was ich denn eigentlich bei der Unglücklichen wollte.
Sie noch einmal sehen, flüsterte mein Herz, sie an die Brust drücken, und dann scheiden für immer.
Und wozu das Alles? fragte ich mich wieder, wozu die dumpfe Ruhe des Wahnsinns stören, die noch ihr einziges Glück ist?
Ein Schauder durchrieselte mich, ich konnte mir's nicht mehr verbergen, ich liebte die Unglückliche, liebte sie mit einer Kraft, über die ich mich entsetzte. Seit gestern wußte ich es, und ich fühlte, daß ihr Bild nie in mir verlöschen werde.
Seltsames Geschick! Meine erste Liebe fand ihr Grab unter dem Zergliederungsmesser der Anatomie; ich glaubte mich für immer geheilt; mein Herz regt sich zum zweiten Mal, doch schlimmer, als früher, verirrt sich meine Leidenschaft in die labyrinthischen Gänge des Wahnsinns, und ich fühle, wie gefährlich mir diese Gemeinschaft ist, denn mein Geist schwankt in einem Selbstvergessen von einem Extrem zum andern.
Jetzt hält mein Wagen, und nach wenig Sekunden stehe ich vor Biondetta's Gemach, und, wie damals, tönt ihr weinender Gesang durch den wiederhallenden Korridor. Ich öffne leise; mit einem Schrei des Entzückens wirft sie die Laute weg, und fliegt an meine Brust. Ihre Arme schlingen sich um meinen Nacken, ihr Herz pocht stürmisch an dem meinen, ihre heißen Thränen bedecken mich.
»Biondetta!« rufe ich überrascht, erschüttert von dem unwillkührlichen Geständniß, das in ihrer heftigen Freude liegt. Sie läßt mich nicht, fester schmiegt sie sich in meine Arme, und flüstert in Tönen, die in unbeschreiblichem Wohllaut durch meine Seele zittern: »Ach, sie sagten, Du würdest nimmer wieder kommen, Du habest die arme Biondetta nur getäuscht; Du würdest sie allein lassen, allein mit ihrem Elend und den Geistern ihrer Geschiedenen, und nimmermehr zurückkehren. Da sah ich Dich auf lichten Wolken hinziehen, und immer weiter verschwebtest Du in die Nacht, endlich hingst Du gleich einem thränenthauenden Stern am Himmel, und ich sah auf in ewiger Sehnsuchtspein, und Du warst mir auf ewig fern. Und nun bist Du wir dennoch wieder herabgestiegen, und bist mein, und ich habe Dich wieder!«
Ich drückte sie an mein Herz, meine Seele strömte über, ich vergaß Alles, Alles, ich bedeckte die klare Stirn mit heißen Küssen, ich war außer mir. Da faßte sie plötzlich meine Hände, sah mir starr in's Antlitz, und flüsterte: »Sie sagten mir, Du liebtest die Fürchterliche, die den Brand in meinem Gehirn entzündet, Giulietta liebtest Du.«
Ich zuckte zusammen; ihr Blick ward starrer, ihre Hände bebten, sie fuhr mit heiser werdender Stimme fort: »Wenn Du sie liebst, so reiße mir das Herz aus der Brust, und bringe ihr's zum Brautgeschenk. Du erfreuest sie, und mich beglückest Du, denn dann wird Alles vorbei seyn, Alles.«
Entsetzt vor dem Ausdrucke des wiederkehrenden Wahnsinns in ihren Zügen, wandte ich mich von ihr, den Anblick nicht länger ertragend. Sie sank plötzlich schmerzlich weinend auf das Sopha, und ich trat mit bedecktem Gesicht an das offene Fenster. Grausam rissen ihre Worte an meiner Seele; es war zu viel. Was sollte aus der Uuglücklichen werden, die heute zum ersten Mal mit tiefer Wahrheit eines, von allem Aeußern abgezogenen Gemüths, ihre Liebe, ihr Leid vor mir enthüllte! Ich lehnte das Haupt an den Marmor des Fenstergesimses, und meine Augen starrten, von Thränen feucht, in den dunklen Park hinab. Da hörte ich einen lauten Schrei, Biondetta flog auf mich zu, ich wandte mich zu ihr, in demselben Augenblicke fühlte ich mich krampfhaft umschlungen, Biondetta hing, meinen Körper mit dem ihrigen deckend, in meinen Armen, und Giulietta's Antlitz mit Furienblick und bleichen verstörten Zügen starrte mich fürchterlich lachend an. Das Blut in meinen Adern stockte. Eine Sekunde standen wir so regungslos, jetzt erhob sie den Arm, ein blanker Dolch blitzte im Lampenschein.
»Wertloser Verräther!« stammelte sie bebend vor Wuth, und ihr Dolch suchte meine Brust. Schnell besonnen umfaßte ich mit dem linken Arm die sinkende Biondetta, hielt mit der rechten Hand Giulietta's erhobenen Arm fest, und donnerte sie in wildem Zorne an: »So versöhnst Du Gregors Schatten, Mörderin!« Zur Bildsäule erstarrt stand sie einen Augenblick, ich entriß ihr den Dolch, schlenderte ihn durch das offene Fenster, und rief: »Fort, Giulietta, kehre nach Ischia zurück, und thue Buße.«
Mit einem lauten Schrei wandte sie sich plötzlich, und stürzte, wie vom Sturme getrieben, aus dem Gemache. Nach wenig Sekunden vernahm ich einen dumpfen Schlag, wie von einem schweren Fall, dann fernes Gewimmer und rasches Hin - und Wiederlaufen in dem untern Stocke. Ich brachte die ohnmächtige Biondetta, deren Zusammensinken ich für eine Folge des Schreckens hielt, nach dem Sopha, um zu sehen, was geschehen war; nun erst, da ich sie aus meinen Armen gleiten ließ, gewahrte ich mit Entsetzen, daß sie mit Blut bedeckt war. Ein Dolchstich hatte ihre linke Schulter durchbohrt, kalt und starr lag sie vor mir.
Es giebt Augenblicke, wo der Anblick des Furchtbarsten die Seele mit einer Spannkraft begabt, deren sich ein Mensch kaum fähig halten sollte. Für mich war ein solcher Augenblick gekommen. Rasch verband ich mit einem zerrissenen Schleier die Wunde, und es gelang mir, das strömende Blut zu stillen, dann faßte ich, schnell entschlossen, die schöne Beute in meine Arme, trug sie nach meinem Wagen, und brachte sie, so langsam als möglich, nach der Stadt, in unsere Wohnung.
Der Prinz schlief schon, ich ließ ihn wecken, führte ihn zu dem blutenden Körper der Unglücklichen, und rief, da er schaudernd zurückfuhr: »Dies ist die wahnsinnige Biondetta, und Giulietta's Dolch bohrte diese Wunde! Erlauben Sie, daß ich zurückbleibe, um alles zu versuchen, sie dem Daseyn zu erhalten.«
Seine Antwort brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, er war tief erschüttert, und verließ, wie ich, ihr Lager nicht. Die Wunde war schwer, aber nicht tödtlich; trotz aller angewandten Mittel verkündete erst gegen Morgen eine leise Bewegung des schönen Hauptes rückkehrendes Leben.
Ich beugte mich über sie hin, ihr Auge öffnete sich, sie blickte langsam schweigend zu mir auf, dann versuchte sie, sich empor zu richten. »Bleib, Biondetta!« bat ich leise, »Du bedarfst der Ruhe!«
»Wo bin ich?« fragte sie schwach; doch etwas stärker setzte sie schnell hinzu: »gleichviel, ich bin bei Dir!«
Ihr Blick ward immer heller, ihre Stirn freier, ihr Antlitz bekam einen eigenen mir fremden Ausdruck, sie legte die Hand in meine, und flüsterte nach einer langen Pause, in welcher sie nachzudenken schien: »Giulietta's Hand zitterte, die Wunde ging wohl nicht tief genug. Ich kann ihr das vergeben; wenn sie Dich liebte, ist ihre That verzeihlich!«
Ich staunte sie an. »Wie, Biondetta!« rief ich, »Du weißt, was mit Dir vorging?«
»O wohl,« entgegnete sie ernst; »Giulietta schlich leise herein, trat mit dem blinkenden Dolch vor mich hin, ich schlug beide Hände schützend vor die Brust, und lautlos stieß sie mit dem Dolch nach mir; in ihren Blicken lag Wahnsinn! Der Schmerz hielt mich eine Sekunde gefesselt, bis die Schreckliche auf Dich zueilte, da riß ich mich in Todesangst empor; was weiter geschah, ist mir nicht deutlich!«
Der Prinz und ich sahen uns fragend an, kein Laut, kein Zug verkündete hier eine Verwirrung des Geistes. »Biondetta!« rief ich, »wie fühlst Du Dich?« Sie sah mich einige Sekunden schweigend an, dann sprach sie: »matt, sehr matt – doch wohl! Mein Kopf ist so leicht und frei, meine Gedanken verwirren sich nicht mehr, mir ist, als sey ich aus einem langen, schweren Traum erwacht!«
Wieder schwieg sie eine Weile, dann legte sie sanft die Hand auf meine, ein leichtes Roth flog über die blassen Wangen, und mich näher zu sich ziehend, flüsterte sie: »Ach, wohl auch kein Traum! Nein, mein geliebter Freund! Du, der mir alles ist, und dessen Namen ich nicht einmal kenne, nein, Du mußt es wissen, meine Liebe für Gregor war kein Traum, aber sie ruht im Grabe, bei dem armen Gemordeten, meine Seele ist Dein!«
Ich konnte nicht mehr zweifeln, der Wahnsinn war von ihr gewichen, die schreckliche Katastrophe hatte ihrem Geist die alte Spannkraft wieder gegeben, Giulietta's Verbrechen hatte sie geheilt!
Sprachlos sank ich auf die Knie, und meine heißen Dankesthränen netzten ihre Hände.
Der Prinz ist auf dem Wege zur Heimath. Biondetta geneset unglaublich schnell, in wenig Tagen werde ich ihm folgen können.
Ihre Seele ist geheilt, jede Spur des Wahnsinns verschwunden, und kein Rückfall zu befürchten, als wenn ich sie verließe; denn ihre Liebe für mich gränzt an Vergötterung. Was ich für sie empfand, wissen Sie, mein väterlicher Freund; nicht, was sie mir jetzt ist, wo ich die ganze Schönheit ihres Herzens, ihres Gemüthes sich täglich in neuen Blüthen vor meinen entzückten Blicken entfalten sehe.
Giulietta's Strafe ist schrecklich, sie hatte sich in der Raserei ihres Schmerzes von der offenen Gallerie hinabgestürzt. Man fand sie zerschmettert auf der marmornen Terrasse.
Ich habe mich mit der Familie abgefunden, die mein Schweigen über Giulietta's Frevel freudig mit Biondetta's Hand erkaufen will.
Halten Sie daher ein Paar schöne freundliche Gemächer in Bereitschaft, mein geliebter, gütiger Vater! Der Prinz wird Ihnen die Würdigkeit meiner Wahl verbürgen; in wenig Wochen komm' ich mit meiner jungen Frau in die Heimath, und Sie sollen sich freuen, und stolz seyn auf die Perle, welche Ihr August Ihnen aus »dem Lande der Liebe« bringt.
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