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Wie ist das zugegangen?

Erzählung nach einer wahren Anekdote.


» Reizenderes als Sie ward nicht geboren!« versicherte Jeanette, das niedliche Kammerkätzchen der ersten Liebhaberin am französischen Theater zu St. Petersburg, und befestigte das Fermoir Spange. [ Anm.d.Hrsg.] mit dem blitzenden Solitär auf Ninons blendend weißer Stirn; diese lächelte triumphirend, schob die Blonden-Garnitur, die neidisch den blühenden Nacken etwas verhüllte, noch mehr von den Schultern, und sprach: »Meinst Du? – ja, die werden sich heute wieder Alle zu Tode ärgern, und der Neid, ach der Neid! Nein es giebt keine Seligkeit, die darüber ginge, den machtlosen Neid zu wecken, der sich die Lippen blau beißt, und doch bewundern muß, wo er nicht will, und staunend lächeln muß, wo er knirschen möchte. – So – jetzt noch das Sevigné »Sévigné-Broschen« besaßen eine Schleifenform; Namensgeberin war die Marquise de Sévigné, durch die vom Hofe Ludwigs XIV. aus dieses Schmuckstück sich in ganz Europa im Lauffeuer verbreitete. [ Anm.d.Hrsg.]« – rasch schob sie nun den Stuhl zurück, erhob die schöne, nicht eben hohe, aber üppige Gestalt, schnallte den Goldgürtel fester um die schlanke Taille, und rief:

»Ja, beim Himmel, ich bin schön, nicht wahr, Jeanette? – nun noch die Schminke, die Beleuchtung, ich werde heut wieder alles um mich herum vernichten!« Sie versank in ihren eignen Anblick, und Jeanette füllte die Pause ihres schweigenden Wohlgefallens durch die Worte: – »Ja, Sie werden alles vernichten, die Lapérure wird vom Publikum vergessen, wenn Sie nur erst die Bühne betreten haben, Ihre Blicke werden wieder alle Männer wahnsinnig machen, und morgen regnet es Geschenke.« – »Das hoffe ich« – entgegnete die geschmückte Schöne nachlässig – »es ist Zeit, ich habe in drei Tagen nun schon kein Cadeau erhalten; hast Du dem Fürsten Solikow merken lassen, daß ich einen echten Shawl bedarf; weiß der Obrist Grubenikoff, daß ich gestern auf der Newsky-Perspektive den göttlichen Zobel der Fürstin Tscherbatof bewunderte?« –

»O« – lächelte Jeanette – »das habe ich Alles sehr schlau angebracht, aber diese Russen sind verwünscht harthörig, sie begreifen nicht so leicht als unsre galanten Landsleute zu Paris; ja, der hübsche junge Baron Saldern, des reichen Banquiers Sohn, ist freigebig genug – aber« –

»Ach – Thorheiten« – schmeichelte Ninon – »der Narr ist verliebt, und ich schwärme nun schon drei Wochen mit ihm zwischen Mond und Sternen, zwischen Blumenduft und Sphärenklang; ja, ich weinte sogar in einer süßen Stunde, wo er viel von Treue und reiner Seele sprach, aber noch immer ist keine Blume zum Brillanten-Bouquet in meinem Haar, und keine Thräne zum Perlencollier um meinen Nacken geworden, und wenn das so fortgeht, ist sein Laufpaß schon geschrieben!« –

»St!« – warnte Jeanette – und herein trat ein eleganter Bediente, bückte sich tief, reichte der Süßlächelnden ein niedliches Carton dar, und berichtete:

»Nebst den süßesten Grüßen meines Herrn.« –

Rasch hob die Liebliche den Deckel, und griff mit gewaltig verlängertem Gesicht nach einem frischen Blumenstrauß, der ihr lieblich entgegenduftete. – »Blumen, in diesem Sybirien, mitten im Winter – das ist sehr artig« – lispelte Ninon, mit einem wegwerfenden Lächeln; »ich danke, François, sagen Sie Ihrem Herrn, aus seiner Hand sey mir jedes, auch das vergänglichste Geschenk willkommen. Adieu!« – Sie drehte sich rasch ab, nahm aus Jeanettens Hand den weichen Shawl, und nickte dem Bedienten, sich zu entfernen. François sah sie mit einem verschmitzten Lächeln an, verbeugte sich tief, und ging. – Auf der Treppe aber flüsterte er in sich hinein:

»Ein vergängliches Geschenk! – ja da hat sie recht – Blumen sind nichts für sie.« Er eilte nun rasch von dannen, um seinem Herrn, dem Baron Saldern, zu sagen, welchen zweideutigen Effekt sein duftendes Cadeau gemacht habe.–

*

Der junge Saldern saß indeß im Speisesaal seines Vaters auf glühenden Kohlen: denn ihm gegenüber marterte ihn der Obrist Grubenikoff mit beißenden Fragen, und an seiner Seite sprach man von einer Heirath der Gräfin Alexandrine Orloff. Jener Erstere aber war sein Nebenbuhler bei der reizenden Ninon, und in Alexandrine war der junge Herr verliebt. Daß er der Ninon den Hof wachte, gehörte zum Ton; Ninon war die erste Schönheit Petersburgs, talentvoll, Coquette, und wie man versicherte, nicht unempfindlich für reiche Anbeter, darum betete sie Victor auch an; dem alten Saldern dagegen, – so sehr er es liebte, daß sein hübscher eleganter Sohn dem Ton des Tages huldige, und für einen der ersten Fashionables Petersburgs passirte – war doch seine Kasse und ein alter Plan zu lieb, als daß er den jungen Mann gelassen in Ninons Banden sehen konnte; so war denn Victors Lage nicht zu beneiden, da der rachsüchtige Obrist Grubenikoff jeden Augenblick mit geheimen Beziehungen auf sein Verhältniß zu der schönen Schauspielerin sprach.

Endlich war das lange Diner überstanden, man ging in die Seitenzimmer, nahm Caffee, und hier entspann sich ein lebhafter Streit über die erste Schönheit der Residenz. Der alte Baron Saldern erklärte sich nämlich entschieden für Alexandrine Orloff, und mehrere andere Herren, besonders Grubenikoff, stimmten für die Ninon.

»Ihr Sohn möge entscheiden,« – rief endlich boshaft der Obrist.

»Der Streit ist leicht entschieden« – entgegnete rasch und mit glühenden Wangen Victor. »Alexandrine ist die Schönste.«

»Das ist nicht Ihr Ernst,« – lächelte der Obrist.

»Warum nicht!« – rief Victor, sich erhitzend. »Können Sie zweifeln, daß ich das reine, seelenvolle Auge Alexandrinens dem herausfordernden Blick Ninons vorziehe? – Ninon ist schön, aber der höchste Reiz mangelt ihr, das Nichtbewußtseyn ihrer Vorzüge. Alexandrine besitzt diesen Zauber in seiner vollsten Macht! unbewußt hebt sie das schwimmende Auge, das so himmlisch schön ist – unbewußt zieht sich die frische Lippe lächelnd von den perlweißen Zähnen, unbewußt wendet sie das Haupt, und zeigt das reizendste Profil der Erde – dies Alles ist bei Ninon berechnet, soll seine Wirkung machen, und macht sie wohl auch, aber eine Wirkung anderer Art, als der Anblick Alexandrinens. Beide Mädchen sind Perlen, Ninon ist die Perle, welche elegant gefaßt im Auslagekasten des Juweliers prangt, und begehrliche Blicke wecken soll, Alexandrine ist die Perle in der kaum geöffneten Muschel, die hold verschämt in ihrem reinen Glanze strahlt! – So ist denn auch sie ohne Zweifel die Schönste

»Ha – ha – ha!« lachte der Obrist boshaft, »Sie erhitzen sich, werden zum Dichter – ja, da muß man sich Ihnen gefangen geben, schon aus Mitleid für Ihre Lunge, denn Sie haben sich wahrlich aus dem Athem geeifert.« –

Victor erröthete, der alte Baron lachte, und nach wenigen Minuten entfernte sich der Obrist.

»Wir sind allein,« sprach nun der Vater, sich behaglich im Sopha zurücklehnend, »und ich kann Dir mit wahrem Vergnügen sagen, daß ich in diesem Augenblick entdeckt habe, wie Du anfängst, zu Verstande zu kommen. – Du hast lange genug tolle Streiche gemacht, und mir scheint, Deine Anbetung der leichtfertigen Ninon war der letzte.«

»Schon?« fragte Victor etwas gedehnt – »ich dächte, im sechsundzwanzigsten Jahre dürften Sie schon noch einige der Art zugeben! Ich wenigstens habe die Rechnung noch nicht beschlossen.«

»Nun, vor der Hand doch suspendirt – hoffe ich, denn Du wirst heirathen.«

»Hei – rathen?« – fragte Victor erbleichend, und das Wort auf den Lippen stockte ihm.

»Heirathen!« lachte der Vater, – »in aller Form Rechtens! Und zwar – die reizende Alexandrine!«

»Nicht möglich!« schrie Victor aufspringend.

»Sehr möglich! denn das reiche schöne Fräulein liebt den tollen Springinsfeld, und hofft glücklich mit ihm zu werden.«

»Das ist viel Glück auf einmal!« seufzte der junge Herr, die blonden Locken aus der Stirn streichend. –

»Mehr, als Du verdienst!« meinte der Alte, stand auf, reichte ihm eine elegante Brieftasche, und sprach: »Hier sind 50,000 Rubel, damit fährst Du zur Stelle zum Juwelier, kaufst die schönste Perlenschnur mit einem Fermoir en Solitair, die Du findest, und bringst sie noch diesen Abend vor dem Theater zu mir, Du sollst sie dem Fräulein heute noch geben. Diese Nacht ist Ball im Orloff'schen Hause, wie Du weißt, da wird Deine Verlobung bekannt gemacht werden. Adieu bis dahin, Herr Bräutigam.«

Victor stand eine Weile schweigend, dann wiederholte er zweimal mit gefurchter Stirne:

»Heirathen, heirathen! – Aber – Alexandrine« – rief er, plötzlich sich auf dem Absatz herumdrehend – »das entschädigt für Vieles – für Alles.« – Forteilend traf er auf François, welcher bereits eine geraume Zeit unbemerkt an der Thüre stand.

»Der Wagen ist vorgefahren, die Ninon erwartet Sie noch vor dem Theater« – stammelte François mühsam, denn das Wort: Heirathen! war ihm in alle Glieder geschlagen.

»Ach ja – schon gut – das hätte ich fast vergessen« – sprach Victor zerstreut, – »komm, erst zum Juwelier – das Andere wird sich finden – komm!«

»O weh, Mademoiselle Ninon« – flüsterte François, seinem Herrn folgend, »ihre Aktien stehen schlecht, sehr schlecht!«

*

»Wie ich Ihnen sage, göttliche Ninon!« versicherte Obrist Grubenikoff, mit ihren braunen Locken tändelnd, »es hat einen Verstockten gegeben, der die Orloff reizender fand, als Sie!«

»Nicht möglich!« eiferte Ninon glühend vor Aerger, »die fade Blondine – mit den nichtssagenden Augen, das kann nur ein Blinder oder ein Mensch ohne allen Geschmack behaupten.«

»O – der Mann ist nicht ohne Geschmack, der vor einer ganzen Tischgesellschaft seinen Satz durchfocht, der Mann ist sogar bekannt als ein Kenner weiblicher Schönheit, und doch –«

»Und doch bewies er, daß die Orloff schöner sey als ich? Nehmen Sie mir nicht übel, dann muß er nothwendig einen Korb von mir bekommen haben, und beleidigt seyn, sonst wäre es doch wahrlich unmöglich!«

»Er hat keinen Korb bekommen, im Gegentheil, man hat dem Undankbaren mehr Gunst erwiesen, als er verdient – man –«

»Wie?« – unterbrach ihn Ninon gedehnt – »doch nicht gar –«

»Baron von Saldern!« rief jetzt Jeanette in's Zimmer, und Victor folgte ihr auf dem Fuß, höchst elegant gekleidet, und doppelt schön durch die vornehme Nachlässigkeit, mit der er die Aufspringende begrüßte.

»Doch nicht Der?« flüsterte Ninon halblaut. – »Eben Der!« entgegnete eben so der Obrist. Ninon nahm schnell ihren Platz im Canapee wieder ein, und deutete schweigend mit schlecht verhaltnem Aerger auf einen Stuhl.

Victor sah lächelnd von ihr auf den Obrist, von diesem auf Ninon, sprach endlich sich verbeugend:

»Ich störe wohl, schöne Ninon?« und wandte sich zum Gehen.

»O bleiben Sie doch – Sie stören nicht!« rief Ninon, denn die reichen Anbeter verlor sie nicht gern aus dem Garn, und Victor's nachlässige Kälte hatte ihr bereits bedeutend imponirt – sie rückte in die Mitte des Divans, legte die weiße Hand einladend auf den dunkeln Sammt des Polsters, und flötete mit ihrem lieblichsten Ton:

»Wir haben alle Drei Platz!«

Victor, ohne von dieser übergroßen Gunst Gebrauch zu machen, nahm einen Stuhl.

»Sie haben sich lange erwarten lassen,« zankte Ninon, und der kleine Mund war schmollend noch einmal so reizend. »Wichtige Geschäfte!« entschuldigte Victor. »Ach Geschäfte, Geschäfte – wie kann man an derlei nur denken, wenn man sich von einer Dame erwartet weiß!« Sie senkte den schönen Kopf in die Hand, legte sich die Locken über der Stirn zurecht, heftete die, eben nicht großen, aber vielsagenden Augen auf die seinen, und Victors Herz begann etwas stärker zu klopfen, als für einen Bräutigam, fern von der Braut, zuträglich ist.

»Es kommt darauf an,« nahm jetzt der Obrist mit einem triumphirenden Blick das Wort, »welche Art Geschäfte es sind, die veranlassen können, Sie warten zu lassen! Ich z. B. hatte auch ein Geschäft, aber es betraf nur Sie; sehen Sie hier dies Etui? –«

Ninons schmachtendes Auge wandte sich blitzschnell von Victor, und heftete sich verlangend auf das Etui; denn die Enthüllung solch eines korduanenen Korduan ist ein mit Gerber-Sumach und Galläpfeln gegerbtes, geschmeidiges, weiches, feinnarbiges Leder, das hier die Verkleidung des Etuis darstellt. [ Anm.d.Hrsg.] Geheimnisses war für sie das Reizendste auf Erden. – Der Obrist kannte sie wohl, und fuhr fort:

»Es sind neue Armbänder aus Paris angekommen, die allerliebste Uhren enthalten – wie glücklich würde es mich machen, schöne Ninon, an Ihren Arm das erste Armband dieser Art befestigen zu dürfen!«

»O wie gern!« lächelte Ninon holdselig, und reichte ihm den weißen Arm; Grubenikoff drückte rasch einen Kuß darauf, legte ihr das Armband um, und flüsterte zärtlich, auf die Uhr deutend: »Möchte sie doch bald die Stunde zeigen, wo Ninons hartes Herz sich nun bricht!« Ein vielsagender Blick lohnte ihn, ein ziemlich verächtlicher streifte an Victor hin, und nicht ohne Spott sprach Ninon jetzt: »Wahrlich, Obrist, Sie haben da ein allerliebstes Geschäft gemacht!«

»Ich wäre also gerechtfertigt!« triumphirte Grubenikoff.

Victor erglühte vor Aerger, aber er blieb ruhig.

»Nun, mein Herr Baron,« lächelte Ninon hämisch, »nach Ihrem Geschäft darf man wohl nicht fragen, das war ohne Zweifel anderer Natur, als das des Obristen!«

»Ja, darauf wollte ich schwören, es war anderer Art!« fügte Grubenikoff hinzu.

»Meinen Sie?« entgegnete Victor mit verbissenem Grimm.

»Ob ich meine?« lachte Ninon – »ich wollte die größte Wette darauf machen!«

»Wetten Sie immer,« rief der Obrist, »Sie gewinnen!«

»Geckenhafter Prahler!« knirschte Victor unverständlich zwischen den Zähnen, dann stand er plötzlich auf, wandte sich mit der kalten Gewandtheit eines Mannes von Welt an Ninon, ohne Grubenikoff eines Blickes zu würdigen, und sprach:

»Allerdings war mein Geschäft anderer Natur, als das des Herrn Obristen. Sie klagten schon öfter, schöne Ninon, daß Sie keine Perlen nach Ihrem Wunsche finden könnten« – er zog ein Etui hervor, und reichte es der Betroffenen – »empfangen Sie diese; ich darf mir um so eher schmeicheln, Ihren Geschmack getroffen zu haben, als Sie keine Freundin von vergänglichen Geschenken sind; meine Blumen sind morgen verwelkt, diese Perlen werden mich länger in Ihrem Andenken erhalten!« Mit einer höflichen Verbeugung und einem seltsamen Lächeln verließ er das Zimmer.

Ninon öffnete rasch das Etui, und fuhr mit einem Schrei des Entzückens zurück: »Mein Gott, ist's möglich, nun sehen Sie, Obrist, das ist das schönste Geschenk, welches mir in meinem Leben zu Theil wurde, sehen Sie nur!«

Mit Staunen betrachtete der Obrist den Schmuck, der aus einer kostbaren Perlenschnur, einem Sevigné und Fermoir von Perlen und Diamanten bestand.

»Fürwahr, ein fürstliches Geschenk!« brachte er endlich hervor – »ich begreife nicht, woher er die große Summe nahm, die das gekostet haben mag; der Vater hält den jungen Leichtfuß, trotz seinen Millionen, sehr kurz. Auch sollten wohl seine letzten Worte eine Spitze seyn – bemerkten Sie?«

»Immerhin,« lachte Ninon, im bezaubernden Anblick des Schmuckes versunken, – »die Perlen sind göttlich – und Victor ist der liebenswürdigste Sterbliche!« Sie ließ die Steine im Lichte spielen, sah schmachtend darauf hin, und flüsterte plötzlich in ihrem zärtlichsten Tone: »Ach, Obrist, die muß ich heute noch zur Schau tragen, adieu!« und rauschte aus dem Zimmer.

Der Obrist aber schlug sich mit der Faust vor die Stirn, murmelte in sich hinein: »Verdammt! diese Perlen verderben mir Alles, und das verwünschte Armband ist noch nicht einmal bezahlt!« und eilte verdrießlich nach der Oper.

*

»Mein Sohn ist wohl längst hier?« fragte der alte Baron Saldern, im glänzend beleuchteten Vorsaale der Gräfin Orloff, und reichte seinen Zobel dem harrenden Diener, – »da tönt ja schon die Tanzmusik, der Junge dreht sich wohl schon längst, daß es eine Freude ist.«

»Der junge Herr Baron sind noch gar nicht hier!« berichtete der alte Haushofmeister, der prächtig geputzt in der Thüre stand.

»Nicht? – Teufelsjunge! Wenn er kommt, soll er mich gleich rufen lassen, ich wollte die Perlen sehen – sagen Sie ihm das!« damit ging der alte Herr zur Gesellschaft. – Nicht zehn Minuten währte es, so erschien auch Victor mit glühendem Gesicht, gab seinen Pelz an François, der ihm folgte, und erfuhr den Befehl seines Vaters, den der aufmerksame Haushofmeister nicht schnell genug ausrichten zu können glaubte. Victor winkte François in ein Fenster, und es entspann sich zwischen Beiden folgendes Gespräch:

»François, jetzt ist guter Rath theuer!«

»Wie so?«

»Der verwünschte Schmuck!«

»Nun, den haben Sie ja in der Tasche.«

»Ich hatte ihn, vor der Hand ist er im Besitz der Ninon! Ich habe ihn ihr geschenkt. Keine Ausrufungen! Du weißt, ich liebe dergleichen nicht! kurz und gut der Schmuck ist fort, es bleibt nichts übrig, als vom Papa andere 50,000 Rubel zu bekommen!«

»Gratulire zu dem Geschäft!«

»Erst muß er den Verlust der ersten 50,000 erfahren! Hier, mein leeres Portefeuille, das vernichtest Du, und nun, aufgepaßt, spiele Deine Rolle gut, ich fange die Komödie sogleich an – ich habe das Geld verloren

»Prächtiger Einfall – wenn der Papa nur bei Laune ist, und uns hübsch glauben will! –«

»Das sey unsre Sorge!« Und nun begann Victor wie toll hin und her zu laufen, zu rufen, alle Bedienten kamen herbei: »Hinab, hinunter in meinen Wagen, vielleicht liegt es dort –« rief er, François forttreibend, und dieser jammerte kläglich: »O Gott, das macht mich unglücklich! Wie soll ich es finden!« Es dauerte nicht zehn Minuten, so war es wie ein Lauffeuer durch alle Säle gedrungen, »der junge Baron Saldern hat eine Brieftasche mit 50,000 Rubel verloren.« Victor aber war nicht aus dem Vorsaale wegzubringen, wo er beständig Befehle gab, und Rapports empfing. Eben war er beschäftigt, vor mehreren seiner theilnehmenden Freunde François begreiflich zu machen, daß er an Allem Schuld sey, als aus einem Seitenzimmer ein höchst elegant gekleideter Mann trat, und, ohne bemerkt zu werden, unter der Thüre stehen blieb. Der Mann mochte zwischen vierzig und fünfzig Jahre zählen, er war sehr lang und mager, ohne daß jedoch seiner Gestalt ein angenehmes Ebenmaß gefehlt hätte. Sein schmales Gesicht, belebt durch ein Paar große dunkle Augen, hatte einen Ausdruck von Schlauheit, der fast zu markirt gewesen wäre, hätte nicht eine Beimischung von Humor diesem Gesicht einen ganz eignen, interessanten Zug verliehen. In der Art, wie er dastand, wie er zuhörte, sprach sich ein gewisses Uebergewicht aus, und die Gewohnheit, seine Stimme geltend zu machen. Mit einem wahren Falkenblick hörte er zu, als Victor rief: »Du, François, Du allein bist schuld, hättest Du mich nicht beredet, in's französische Theater zu fahren, so wäre das Geld nicht verloren gegangen!«

»Also im französischen Theater waren Sie?« fragte jetzt der oben beschriebene Mann, und trat mitten in den Kreis.

Alles machte ihm Platz, Victor erschrak sichtlich, und stammelte mit schlecht verhehlter Bestürzung: »Wie, Herr Polizei-Präsident, Sie selbst? Entschuldigen Sie, wenn mein Unfall Ihre Partie störte!«

»Meine Partie?« entgegnete der Präsident, »die ist höchst gleichgültig, wenn es sich um einen so bedeutenden Verlust handelt, als den Ihrigen. Sie haben 50,000 Rubel verloren, wie ich höre, und es ist nicht leicht, Ihnen die Summe wieder zu schaffen; doch ich will das Meine jedenfalls für Sie thun, ich will mich selbst mit der Sache beschäftigen!«

»O nicht doch, wie könnte ich das zugeben?«

»Sie sind der Sohn meines alten Freundes, möchte mir es doch gelingen, Ihnen zu helfen, ehe der arme Saldern, der jetzt ganz sorglos spielt, etwas davon erfährt. Wie sah die Brieftasche aus, in welcher das Geld war?«

»Rother Corduan, an den Ecken mit Gold beschlagen.«

»Und der Inhalt?«

»Hundert Banknoten, jede zu 500 Rubel.«

»Welchen Weg nahmen Sie?«

Victor wurde nun verlegen, das Parquet wurde ihm zum glühenden Lavaboden, denn der Präsident war berühmt wegen der Verschlagenheit, mit welcher er den verborgensten Dingen auf die Spur kam; aber die Sache war nun geschehen, er mußte antworten, um sich nicht verdächtig zu machen. Er entgegnete daher ziemlich dreist:

»Von Hause fuhr ich nach der Galeerenstraße, von da über den Admiralitätsplatz, nach dem Newskyprospect, wo ich im französischen Theater abstieg, dort einige Minuten verweilte, und dann über die Anitschkowsche Brücke hierher fuhr.«

Der Präsident hatte indeß ganz gleichgültig sein Portfeuille hervorgezogen, und notirte sich Alles auf. Victor sah ihm sehr gespannt zu; in dem Gesicht des Präsidenten war auch nicht einer seiner Gedanken zu lesen, es blieb sich immer vollkommen gleich. Da trat ein Freund seines Vaters heraus, und bat ihn, doch augenblicklich hinein zu gehen, der alte Herr fange an, sehr unruhig zu werden über das Flüstern ringsum. Victor ward ängstlicher: »Gehen Sie immer,« tröstete der Präsident gütig, »beruhigen Sie Ihren Vater, ich will indeß für Sie handeln.«

»Das ist wahrlich mehr Güte, als ich erwartete, und verdiene!« stotterte Victor, sich verbeugend, und verschwand im Nebenzimmer. Der Präsident sah ihm mit einem seltsamen Blick nach, wandte sich dann rasch zu François, der die ganze Zeit in einer Ecke gestanden, die er wohl längst gern verlassen hätte, wenn ihn nicht des Präsidenten Luchsauge festgehalten; jetzt eben wollte er den Rückzug nehmen, als dieser ihm mit einem sarkastischen Lächeln zurief: »Nur näher, Camerad, nur näher!«

*

François, nicht wenig erschrocken, nahte mit tiefen Kratzfüßen, und der Präsident begann:

»Du warst heute wohl den ganzen Tag um Deinen Herrn?«

»Zu dienen.«

»Er fuhr gleich nach Tisch aus, sagte er mir – wohin war es doch gleich?« François, der wenig von dem verstanden hatte, was vorhin gesprochen wurde, da der Präsident durch seine Falkenblicke ihn fortwährend in der fernen Ecke fest hielt, war in der peinlichsten Verlegenheit.

»Wohin wir fuhren, gleich nach Tisch?« stotterte er – und wußte nicht, was er weiter sagen sollte.

»Mich dünkt,« setzte der Präsident das Verhör fort, ohne eine Verlegenheit zu bemerken – »mich dünkt, nach Wasiliostrow hinüber, sagte Dein Herr?«

François, froh, einen Leitfaden gefunden zu haben, bekräftigte herzhaft:

»Ja, richtig, ich besinne mich, nach Wasiliostrow fuhren wir.«

»Dort stiegt ihr in der dritten Linie Dieser Stadttheil ist in Linien abgetheilt nach den Querstraßen, die von der Newa an die Hauptstraßen durchschneiden. ab?«

François, nun kecker werdend, antwortete:

»Ganz richtig, Euer Excellenz, so war es. Später fuhren wir in's kleine Theater.«

»So?« meinte der Präsident, etwas gedehnt – »so! – Und weißt Du nicht, wozu Dein Herr so viel Geld bei sich trug!«

»Das weiß ich nicht!«

In diesem Augenblick traten mehrere Polizeileute ein, die sich am Eingang des Saales postirten, um, wie es schien, die Befehle des Präsidenten zu erwarten; mit einem flüchtigen, aber vielsagenden Blick vergewisserte sich dieser von ihrer Nähe und ohne sich stören zu lassen, fuhr er fort:

»Zu einem Thé dansant pflegt man sonst nicht eine so bedeutende Summe mit sich zu führen – thut Dein Herr dies öfter?«

»Das weiß ich nicht!

»Denke Dir einmal, Du stündest im Polizeihause vor mir für jedes ›ich weiß nicht‹ haben wir dort für so verschwiegene Leute, wie Du bist, eine Antwort von 20 Stockschlägen.«

François fuhr zusammen, denn sein Auge folgte dem des Präsidenten, und es genirte ihn nicht wenig, die stets willigen Klopfmaschinen der Polizei schon in Positur an der Thüre zu erblicken.

»Willst Du wohl so gefällig seyn, zu antworten?« sprach der Präsident kalt, »ich will mir die Mühe nehmen, noch einmal zu fragen.«

»O bitte sehr,« komplimentirte François mit erneuten Kratzfüßen – »Euer Excellenz sind gar zu gütig!«

»Wozu nahm Dein Herr das Geld mit sich?«

»So viel ich mich erinnere – um einen Schmuck für seine Braut zu kaufen.«

»Ach so! Und wohin fuhr er zuerst? – Deine vorige Angabe war falsch, ihr seyd nicht nach Wasiliostrow gekommen.«

»Ach nein,« stammelte François zitternd, »wir fuhren zu dem Juwelier Verneuille auf dem Prospekt, wo er auf Befehl des alten Herrn einen Brautschmuck für Fräulein Alexandrine kaufte.«

»Und von dort?«

»Das – das weiß ich wahrhaftig nicht!«

Der Präsident winkte nach der Thüre.

»Kommt einmal näher, man muß dem Gedächtniß dieses jungen Mannes zu Hülfe eilen.«

»Ist nicht vonnöthen,« rief François schnell. »Bitte unterthänigst, eben fällt mir Alles haarklein bei: Wir fuhren zur Mademoiselle Ninon, der ersten Liebhaberin der französischen Truppe.«

»Und – sollte nicht vielleicht dort das Portefeuille verloren worden seyn?«

»Das gewiß nicht,« fiel François schnell ein – »dafür kann ich stehen, denn ich sah es noch im Herabgehen in der Brusttasche meines Herrn.«

»Du warst also sehr aufmerksam auf das Portefeuille, wie mir scheint: Bist Du gewiß, daß es Dein Herr verlor

»Sehr gewiß, Euer Excellenz!«

»Nun, da Du dessen so gewiß bist, könntest Du, der seinen Herrn aus und in den Wagen hilft, eben so leicht der Finder seyn, wie jeder Andere.« Der Präsident winkte wieder nach der Thüre: »Kommt näher, ihr Leute, und visitirt die Taschen dieses treuen Dieners.«

François begriff, daß da nichts mehr zu thun sey. Mit dem ganzen Anstand eines Bedienten von Welt verbeugte er sich gegen die anrückenden Polizeileute und sagte: »Incommodiren Sie sich nicht, meine werthen Herren,« und zog das Portefeuille hervor, es mit aller Anmuth dem Präsidenten überreichend. »Hier, Euer Excellenz,« sprach er, mit dem vollen Gefühl der Wahrheit seiner Worte – »hier, mit dem Portefeuille kann ich dienen, doch die Rubel sind ausgeflogen. Machen mich Euer Excellenz nicht unglücklich, ich schwöre Ihnen, ich habe sie eben so wenig, als es Euer Excellenz je gelingen wird, sie wieder in dieser Brieftasche zu versammeln.«

»Das wollen wir einmal versuchen,« sprach der Präsident mit seiner unerschütterlichen Ruhe. »Komm, Taugenichts, mein Wagen wartet, Du sollst mich hinbringen, wo ich Dir befehle, und zwar wird Dir die Ehre zu Theil, bei mir im Wagen zu sitzen.«

»O bitte, Euer Excellenz, dieses Glück – ich bin so großer Ehre nicht würdig.«

»Weiß es, mein Freund, tröste dich, morgen werde ich Sorge tragen, daß Du nach Würden belohnt wirst – nun aber ohne Umstände vorwärts.« Der Präsident schritt neben dem tief gebeugten François aus dem Vorsaal.

*

Eben war die liebenswürdige Ninon aus dem Theater zu rückgekehrt, sie saß wieder auf ihrer Lieblingsstelle, vor dem Ankleidespiegel, und wechselte zärtliche Blicke mit ihrem wunderschönen Ebenbilde, das heute, umglänzt von dem kostbaren Geschenke des Barons, noch weit reizender als sonst aus dem reinen Glase ihr entgegenstrahlte.

»Gieb Acht, Jeanette, heute läßt sich Niemand mehr zum Soupé bei mir sehen, weder Fürst Alexèjeff noch der Graf Ortsai!«

»Das will ich glauben« – entgegnete diese – »sie erschracken alle, als sie den fürstlichen Schmuck erblickten; jeder fühlt, daß es für ihn vorbei sey, denn welches weibliche Herz widersteht solchen Perlen!«

»Nicht wahr?« – lachte Ninon – »es ist wahr, betrachte ich dies Geschenk, so sehe ich erst recht, wie außer Saldern doch eigentlich Niemand meinen Werth recht zu schätzen weiß: Herr Tschenstikoff sagte mir in der Loge, der Schmuck habe wenigstens 50,000 Rubel gekostet! Ich weiß nicht, mir ist seit ein Paar Stunden zu Muthe, als wäre ich bis zum Sterben in Victor verliebt.«

»Ha – ha – ha« kicherte Jeanette, »was doch solch eine Perlenschnur Alles kann!«

»Nein, nein, Saldern ist ein liebenswerther Mensch, wahrlich, wenn ich mir nicht vorgesetzt hätte, irgend einen fürstlichen Gemahl hier zu erobern, ich wäre im Stande, ihn zu heirathen.«

»Hei – rathen – Sie? einen Fürsten« – stammelte die staunende Jeanette.

»Nun« – fuhr Ninon auf, das Madonna-Gesicht zur Ungebühr verfinsternd, »was will das einfältige Geschöpf? wäre ich die erste Künstlerin, die sich in Petersburg einen hochgebornen Gatten holte? – Wer verdient es wie ich! Schönheit ist der erste Adelsbrief in der Welt, Talent der große Freipaß in alle Länder; ich besitze Beides, und fühle so recht, daß ich geboren bin, um zu herrschen!«

»Ja, das sey Gott geklagt,« seufzte Jeanette in sich hinein, »das Talent, die Menschen zu quälen, das hat sie!«

Ninon achtete ihrer nicht, und versank in Nachdenken über ihre hochstrebende Plane, endlich fuhr sie nach langem Schweigen auf:

»A propos, wenn der Obrist wieder kommt, wird er nicht vorgelassen, er denkt am Ende gar, ich sey ihm für das elende Armband Dank schuldig! – Hörst Du? Er wird abgewiesen.«

»Schon gut,« entgegnete Jeanette verdrießlich.

In diesem Augenblick ward ziemlich stark an die Thüre des Vorsaals geklopft: »Aha« – flüsterte Ninon froh, da sind doch noch Gäste zum Soupé;« nachlässig im Stuhl sich zurück lehnend, rief sie:

»Nur immer herein!«

Aber das liebliche Oval ihres Gesichtes verlängerte sich gewaltig, da sie plötzlich den ihr sehr wohl bekannten Polizeipräsidenten vor sich stehen sah. Er begrüßte sie höchst verbindlich:

»Entschuldigen Sie, Mademoiselle, daß ich gezwungen bin, Sie so spät noch zu stören, ohne mich vorher melden zu lassen. Mein Geschäft ist dringend, und da die Art desselben für uns Beide gleich unangenehm ist, so zog ich es vor, die Dunkelheit zu Hülfe zu nehmen, wo mein Erscheinen bei Ihnen nicht bemerkt werden wird.«

»So angenehm mir Ihr Besuch ist,« – sprach Ninon mit schlecht verhehltem Staunen, und zeigte auf einen Stuhl – »so kann ich dennoch nicht umhin, Herr Präsident, Ihnen zu gestehen, daß er mich – nach dieser Aeußerung eben so sehr befremden als überraschen muß! – Ich bin mir nicht bewußt, auf irgend eine Art der Polizei Gelegenheit gegeben zu haben, sich mit mir zu beschäftigen.«

»Mit Ihrem Wissen wohl nicht, dennoch« – fuhr der Präsident mit der höchsten Artigkeit fort – »dennoch sind die Constellationen der Begebenheiten oft so seltsam, daß ich z. B eben jetzt gezwungen bin, Sie zu bitten, mir den Schmuck auszuliefern, den Sie heute vom jungen Baron Saldern erhielten.«

»Dies wird Mademoiselle um so weniger Mühe kosten, als sie ihn eben um hat, so viel ich sehe,« sprach ein Mann, der die Zeit über in der Ferne gestanden hatte, und sich nun näherte – es war der Juwelier Verneuille.

*

»Mein Himmel« – rief Ninon erblassend – »den göttlichen Schmuck, den ich kaum drei Stunden besitze, soll ich wieder verlieren?« – Dieser Gedanke verwandelte jedoch ihren Schrecken schnell in den höchsten Zorn, und sie schloß kurz und heftig: »Das will ich nicht, das werde ich nicht, dazu kann mich Niemand zwingen.«

Galant und mit einem feinen Lächeln entgegnete der Präsident: »Eine so liebenswürdige und gebildete Dame wird keinen Zwang abwarten!«

»Ich begreife nicht, mein Herr,« eiferte Ninon aufgebracht, »welches Recht das Gericht an einen Schmuck haben sollte, den ich zum Geschenk erhalten habe! Ich habe durchaus nicht Lust, ihn herzugeben, und versichere Sie, daß mich nichts, nichts in der Welt bewegen soll, ihn abzulegen!«

Sehr gelassen sprach jetzt der Präsident, sich erhebend:

»Das ist gar nicht nöthig, Mademoiselle, ich mache mir ein Vergnügen daraus, Sie nebst den Perlen nach dem Polizeihause zu bringen!«

»Mich – mich – stammelte Ninon in athemlosem Schreck – »nach dem – Polizeihause? – Das wäre zu entsetzlich!«

»Wir haben zwar dort sehr brillante Zimmer,« lächelte der Präsident, »freilich aber ist es kein Aufenthalt für eine geborne Grazie, wie Sie, Mademoiselle; allein, da Sie sich nicht entschließen können, sich von dem Schmuck zu trennen, müssen Sie wohl seinen Aufenthalt theilen, bis sein Schicksal entschieden ist!«

»Ist es erhört,« – rief Ninon wüthend, »daß man in einem kultivirten Lande erhaltene Geschenke herausgeben, oder nach dem Polizeihause wandern muß!«

»Allerdings, wenn der Geber kein Recht hat, sie zu verschenken. Diese Perlen sind das Eigenthum der Gräfin Alexandrine Orloff.«

»Der Orloff? – Jeanette – schnell, Eau de Cologne, mir wird schlimm,« – seufzte Ninon, in ihrer graziösesten Stellung in's Canapee sinkend.

Der Präsident war galant genug, der Halbohnmächtigen zu Hülfe zu kommen, und flüsterte ihr, von ihrem Leid gerührt zu: »Es schmerzt mich tief, Ihnen so großen Kummer bereiten zu müssen, aber die eiserne Pflicht gebietet mir, den Schmuck seiner Eigenthümerin wieder zu verschaffen; Sie wollen ihn durchaus nicht von sich lassen, und so muß ich, ich kann nicht anders – beide, Sie und die Perlen, zusammen mitnehmen.«

Ninon sprang jetzt, die malerische Ohnmacht vergessend, auf, und rief halbweinend: »Die erste Liebhaberin der französischen Truppe im Polizeihause – das ist ein entsetzlicher Gedanke; ich sterbe, wenn ich nur davon rede!« Rasch hob sie die niedlichen Hände zum Hals, da fiel ihr Blick im Spiegel auf den göttlichen Schmuck, dessen sie sich entäußern sollte, und sie sanken kraftlos wieder herab. Ach die liebliche Ninon kannte nur die Süßigkeit des Wortes: Nehmen; Geben, und vollends wieder hergeben – war ihr bis jetzt etwas ganz Neues! »Nun?« – fragte jetzt der Präsident, indem er die Uhr hervorzog. Ninon fuhr blitzschnell nach dem Fermoir, nahm den Schmuck ab, und legte ihn, tief aufseufzend, auf die Toilette; ihr Blick hing scheidend an dem prächtigen Geschmeide, und als sie jetzt den Präsidenten darnach greifen, es in dessen Brusttasche verschwinden sah, da traten die ersten wahren Schmerzensthränen ihres Lebens in die Veilchenaugen. Der Präsident schien es nicht zu bemerken, sondern sprach, sich verbeugend: »Ich wußte wohl, daß die liebenswürdige Ninon der Stimme der Vernunft und einer so zarten Behandlung nicht würde widerstehen können. Auch bin ich gewiß, Sie werden aus diesem Vorfall die Lehre ziehen, nie wieder von einem jungen Manne, dessen Verhältnisse Ihnen ganz unbekannt sind, ein Geschenk von so großem Werth anzunehmen.« Damit verließ er das Zimmer. Ninon sah ihm nach, sprang auf, stampfte mit dem niedlichen Fuße, daß es wiederhallte, und ging dann heftig auf und nieder: »Ja,« rief sie, plötzlich stille stehend – »ja, Jeanette, bei Gott, dieser Vorfall soll mir eine Warnung seyn, nie wieder etwas anzunehmen, ehe ich mich nicht im Voraus vor jeder möglichen Rückgabe sicher gestellt habe.«

Jeanette, welche mit wahrem Seelenvergnügen die Beschämung ihrer Gebieterin angesehen hatte – denn Ninon war eben so boshaft als schön – meinte spitz: »da haben Sie ganz recht – aber ein ähnliches Geschenk, wie dieses, Mademoiselle, kommt Ihnen doch wohl nie mehr, solche Perlen werden Ihren Nacken kaum mehr schmücken!« – Ninon biß sich in die Lippen, und ging, ohne zu antworten, nach ihrem Schlafkabinet. – »Also der Obrist wird morgen abgewiesen?« fragte Jeanette, sie entkleidend. Sehr kleinlaut antwortete Ninon: »Du magst ihn immer hereinlassen, wenn er sich meldet, nur Saldern soll mir nie mehr vor die Augen, hörst Du? – nie mehr!«

»Der liebenswürdige Mensch?« lachte Jeanette – »wie Sie befehlen! Schlafen Sie wohl! denken Sie, es habe Ihnen von den Fünfzigtausend-Rubel-Perlen geträumt, dann sind sie bald verschmerzt.«

»Boshafte!« seufzte Ninon, ihr Lager suchend, und sank mit gebrochenem Herzen in die Arme des Schlummergottes, der noch hämischer war, als die Kammerkatze, denn er lockte sie durch Felder und Wälder mit dem Perlenschmuck in der Hand; sie lief immer hinterdrein, bepackt mit einer Menge früher empfangener Geschenke. Durch die rasche Bewegung flog hier ein Etui – dort ein Armband auf den Weg, sie fühlte den Verlust, konnte aber nicht inne halten in ihrem tollen Lauf, denn die Perlen schwebten beständig vor ihr her – jetzt, jetzt waren sie ganz nahe, sie warf Alles weg, was sie hielt, faßte darnach, und hielt plötzlich die Hand eines Polizeidieners, der sie in ein finsteres Gewölbe stieß, laut schreiend erwachte sie, und dankte dem Himmel, daß sie diesmal nur geträumt.

*

»Nun, das wäre abgemacht,« sprach der Präsident zu Verneuille, als sie Ninons Treppe hinabstiegen – »das Mädchen hat Charakter, es ist doch immer viel von ihr, daß sie nicht wirklich in Ohnmacht fiel, jedenfalls werde ich dafür sorgen, daß sie auf irgend eine andere Weise entschädigt wird. – Nun aber, mein Herr, haben Sie, wie ich Sie bat, die Summe bei sich, die Sie für den Schmuck erhielten?«

»Zu Befehl.«

»Wohl, so ersuche ich Sie, für diesen Abend den Schmuck zurückzunehmen, und mir die Banknoten auszuliefern, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß bis morgen früh neun Uhr der Schmuck wieder bei Ihnen gekauft wird.«

Verneuille verbeugte sich, zog die 50,000 Rubel hervor, empfing den Schmuck, und sprach, indem er dem Präsidenten in den Wagen half: »Euer Excellenz Wort ist mir genug.«

Bei Orloffs war indeß Alles in Bewegung, und der arme Victor war in der peinlichsten Lage von der Welt. Mit jedem Athemzug verwünschte er den Leichtsinn, mit welchem er an die gewöhnlichste aller Koketten den herrlichen Schmuck verschleudert hatte, der keine würdigere Stelle hätte finden können, als Alexandrinens Schwanenhals. Nie war das reizende Geschöpf lieblicher, anziehender gewesen, als eben heute, wo sie das Mitleid mit dem geliebten Victor verschönte, dessen sichtliche Zerstreutheit und Unruhe sie allein dem großen Verlust zuschrieb, den er erlitten. Aus einer Verlegenheit kam er in die andere. Erst war sein Vater außer sich gerathen über den Leichtsinn, mit welchem Victor eine so große Summe verloren hatte, dann, als es endlich gelungen war, ihn ein klein wenig zu besänftigen, und Victor sich mit rückkehrender Ruhe an Alexandrinen wandte, trat der entsetzliche Obrist Grubenikoff zu ihm, bei dessen Anblick schon das Blut ihm in den Adern starrte, und mit Todesangst sah der Gequälte, so oft jener die Lippen öffnete, seine famöse Großmuth von heute an's Licht kommen. Doch der Obrist begnügte sich damit, ihn mit kleinen Spitzworten zu martern, und zog sich nach einer Weile von den Liebenden zurück. Vergebens hing Alexandrinens Blick an Victors schönen Augen, die sie sonst so fest zu bannen wußte, heute wollte es ihr nicht gelingen, denn sie flogen fortwährend unstät hin und her. Er sah, wie der Obrist zu seinem Vater trat, wie sie sich in ein Fenster zurückzogen, wie eine Zornesflamme in seinem Gesicht aufschlug, und seine Blicke drohend nach dem Sohn hinüberflogen. Es fing an, ihm bange zu werden, Alexandrine quälte ihn mit leisen Vorwürfen über seine Zerstreuung, der alte Baron eilte auf ihn zu, und zu allem Ueberfluß – trat plötzlich der Polizeipräsident in den Saal, er, den er in diesem Augenblicke mehr als alles Andere fürchtete. Aller Augen wandten sich nach jenem hin, Alexandrine flog ihm entgegen, und rief, sich ganz vergessend: »Ach Herr Präsident, was bringen Sie für unsern armen Victor für Neuigkeiten?« Der Präsident trat mit einem seltsamen Lächeln auf Victor zu, sprach:

»Die fröhlichsten,« und zog die gefüllte Brieftasche hervor, sie Victor darreichend, der seinen Augen und Ohren nicht traute, als der Präsident fortfuhr: »Nehmen Sie, Herr Baron, mit wahrem Vergnügen stelle ich Ihnen hiermit Ihr verlornes Eigenthum wieder zu. Sie werden an der Summe keinen Rubel vermissen.« Victor öffnete, übersah mit einem Blick die Banknoten, und stand wie versteinert. Ein allgemeines Jubelgeschrei erhob sich, der alte Baron nahte mit schlecht verhehltem Staunen, der Obrist machte einen langen Hals, um sich von der Existenz der Banknoten zu überzeugen, und Alexandrine fiel ihrer Mutter freudig in die Arme. Von Allen gab allein Victor kein Lebenszeichen, denn ihm war natürlich unbegreiflich, was hier vorgegangen.

»Sehen Sie,« – flüsterte der alte Baron dem Obristen zu – »Sie thaten ihm doch Unrecht, da ist ja das Geld!«

»Ich begreife nicht,« antwortete Jener eben so, – »aber ich versichere Sie, dahinter steckt etwas! Verheirathen Sie ihn, das ist das Beste, was Sie mit ihm machen können.«

»Wie mir scheint,« sprach jetzt der Präsident, mit einem Seitenblick auf Victor – »habe ich hier mehr Befremden als Freude erzeugt.« Victor faßte sich so viel ihm möglich, und entgegnete verbindlich:

»In der That, euer Excellenz haben mich auf eine so außerordentliche Weise überrascht, daß ich vor Staunen noch nicht recht zur Freude kommen kann. Ich war so überzeugt, von diesem Gelde nie wieder einen Rubel zu Gesicht zu bekommen, daß ich darauf hätte schwören wollen. Wirklich, Sie haben das Unglaubliche möglich gemacht; darf ich mir wohl die Freiheit nehmen, zu fragen, wie ist das zugegangen?«

»Ja, die Frage möchte ich mir auch erlauben,« meinte der Obrist spitz.

»Kann's nicht läugnen,« murmelte der alte Baron, »möchte auch wissen, wie das zugegangen ist?«

»Ich auch,« flüsterte Alexandrinens Silberstimme. – »O Herr Präsident, das haben Sie gewiß wieder recht schlau angefangen.«

Mit einem vielsagenden Blicke auf Victor, sprach der Präsident lächelnd: »Es hat allerdings Mühe genug gekostet, die ausgeflogenen Rubel in der Brieftasche wieder zu versammeln, die ich anfangs leer fand – wenn Baron Victor es wünscht, mein Fräulein, so werde ich Ihnen das ganze Ereigniß sogleich …«

»O ich bitte sehr« – unterbrach ihn dieser, – welcher den Zusammenhang zu ahnen begann – »das wäre viel von Ihnen verlangt, Herr Präsident; lange genug setzten Sie Ihr eigenes Vergnügen bei Seite, um den Fehler meines Leichtsinns wieder gut zu machen. Lassen Sie mich nicht den Vorwurf tragen, Sie noch länger der Gesellschaft zu entziehen.«

»Sie haben recht,« – lächelte der Präsident, – »das Portefeuille ist nun einmal wieder da, wie es zuging, können wir zu gelegener Zeit besprechen.«

»Was meinen Euer Excellenz,« nahm jetzt der alte Baron leise das Wort, den Präsidenten bei Seite ziehend – »soll ich den leichtsinnigen jungen Mann nicht je eher je lieber in die Ehefesseln legen, damit Sie nicht nächstens nieder ähnliche Arbeit mit ihm bekommen?«

»Das würde ich Ihnen jedenfalls enstlich rathen,« entgegnete der Gefragte rasch und mit Beziehung.

Nach wenig Minuten war die Verlobung der jungen Leute proclamirt. Aus Victors Augen glänzte die reinste Wonne, es war ihm eine Centnerlast vom Herzen gewälzt, und nimmermehr hätte er geglaubt, an seinem Verlobungsabend so heiter seyn zu können. Alexandrine war selig; aber als sie von einer Quadrille zurückkam, stand der Präsident mit Victor an einem Pfeilertischchen, und wie es schien, im eifrigsten Gespräche – Alexandrine trat hinzu, legte die weiße Hand auf des Präsidenten Arm, und bat: »Aber nun können Sie mir doch erzählen, wie das zugegangen ist – nicht?«

»Geduld, Comtesse!« tröstete der Präsident, »in einiger Zeit soll Ihre Neugier gestillt werden; dann bitten Sie aber Ihren jungen Gatten, künftighin keine Brieftasche mehr auf ähnliche Weise zu verlieren, die Umstände möchten sich nicht leicht wieder so günstig gestalten.« »Seyn Sie ohne Sorge, Excellenz« versicherte Victor, »der heutige Fall soll mir unvergeßlich bleiben

Als Alles vorüber war, und Alexandrine, von Glück und Liebe berauscht, ihr Lager suchte, sprach sie, das schöne Köpfchen recht bedenklich schüttelnd:

»Ach das war wohl ein schöner Abend – wenn ich aber nur wüßte, wie das zugegangen ist!« – Der Schlaf lös'te jedoch alle ihre Zweifel, und ruhigere Träume umgaukelten sie diese Nacht, als die gekränkte Ninon.

 

Am andern Morgen erhielt jene von Victor ein zierliches Portefeuille mit 20,000 Rubeln, begleitet von wenigen Worten. Man erfuhr nie, was dieses Billet enthielt. Ninon aber war, ihrem Charakter gemäß, durch das Portefeuille vollkommen versöhnt, empfing ihre übrigen Anbeter noch einmal so freundlich als sonst, da der reiche Saldern nun für immer verloren war, und sah noch oft, wenn auch nicht ohne Neid, doch ohne Aerger, an dem Halse seiner schönen und allgemein geachteten Gattin die verhängnißvollen Perlen, welche ihr so viele Schmerzen verursacht hatten.

Alexandrine aber lebte so glücklich mit Victor, dass sie die Frage: »Wie ist das zugegangen?« nie mehr wiederholte, und es auch wohl nie erfahren hat, daß ihre bewunderten Perlen erst die Feuer- und Wasserprobe bei einer leichtfertigen Schauspielerin bestehen mußten, ehe sie sich um ihren Nacken schlangen.

* * *

 


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