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Marie von Ebner-Eschenbach und Gustav Frenssen

Zwei Briefe Gustav Frenssens an Marie Ebner-Eschenbach, die dem Schreiber und der Empfängerin zu gleicher Ehre gereichen, kamen mir bei der Durchforschung des Zdislavicer Archivs für mein 1920 veröffentlichtes Buch »Marie von Ebner-Eschenbachs Wirken und Vermächtnis« im Nachlaß der Dichterin vor Augen und bestimmten mich, den Schleswig-Holsteiner Erzähler nach den Antworten unserer Meisterin zu fragen. Frenssen hatte die Güte, mir einen Brief und eine Karte in eigenhändiger Abschrift zu senden: »Ich möchte in dieser unruhigen Zeit die Originale nicht unterwegs schicken. Was ich sende, ist alles, was ich von ihr habe. Ihre schlichte Wahrhaftigkeit ist mir damals, im Anfang meiner Arbeiten, Mahnung und Leitung gewesen.« Die Beziehung begann mit folgenden Zeilen Frenssens, die seinen Roman »Die drei Getreuen« einbegleiteten.

 

Hemme in Dithmarschen, Holstein, 26. März 1901.

Verehrte gnädige Frau! Das Buch, das ich Ew. Hochwohlgeboren mit gleicher Post sende, habe ich in großer Einsamkeit auf dem Lande geschrieben, wo ich geboren bin und nun als Pastor lebe. Nachdem es vollendet war, habe ich mich weiter nicht darum gekümmert. Ich hatte wohl das Gefühl, daß ich aus dem Heimatleben Wahres geschrieben hätte und mit einer Anschauung, als wäre ich bei allem dabei gewesen und mit großer Sorge und Mitleid. Aber ich hatte, da des Bücherschreibens in der Welt kein Ende, und durch eine sorgenvolle Jugend verschüchtert, nicht den Glauben, daß mein Buch auffallen würde.

Da bekam ich ohne mein Zutun, der ich wieder an anderes dachte, das Lob jenes Geheimrats W. Petersen-Schleswig, der durch mehr als zwanzig Jahre der Intimus von Storm, Keller, Heyse und Groth gewesen ist und für einen der ersten Kunstkenner in Deutschland galt. Der alte Herr hat mich besucht und ich ihn, und es ist im letzten Jahr seines Lebens eine große Freundschaft mit uns geworden. Er hat anderen große Dinge von mir geweissagt. Nun hat auch neulich Paul Heyse ohne meine Veranlassung an eine Freundin seines Hauses geschrieben, daß »Die drei Getreuen« ein wundersames Buch seien; viele Szenen stelle er neben das »Schönste, Zarteste und Ergreifendste, was überhaupt je in deutscher Sprache erzählt worden sei«. Darnach macht der alte Meister und Goethe-Schüler auch Ausstellungen, besonders an der Christlichkeit der einen Figur.

Die Anerkennung dieser Männer – sonst hätte ich nie den Mut bekommen – macht mich waghalsig, daß ich Ew. Hochwohlgeboren schreiben mag, daß die Erzählungen Kellers und die Ihren mir am meisten geholfen haben, die schlichte Wahrheit zu finden. Keller ist tot. Aber Ihnen konnte ich noch Ehrerbietung und Dank bringen.

Es wird in dem Buch noch Jugendliches und Unsicheres sein. In der nächsten Erzählung aber, an der ich seit drei Jahren arbeite, wird das, hoffe ich, verschwunden sein. Ich arbeite langsam und werde nicht viele Bücher schreiben.

Ergebenst
G. Frenssen.

 

Die Entgegnung von Marie Ebner lautete:

Zdislawitz, Post Zdounek, Mähren, 25. Sept. 1901.

Verehrter Herr Pastor!

Wer hat mir »Die drei Getreuen« vorgelesen? (selbst lesen kann ich nur noch Bücher mit großem Druck). Eines meiner liebsten Kinder, deren ich Kinderlose sehr viel habe, und das zugleich Ihrem Heim Heiderieter als Vorbild hätte dienen können. Aufs Haar getroffen, und weil ein junges Geschöpf nicht ahnt, wie es in ihm aussieht, hatte der gute Junge keine Ahnung von dieser äußeren und inneren Ähnlichkeit. Er las und las und seine Wangen erglühten immer mehr und vor lauter Gedankenarbeit wölbte sich ihm die Stirn über den Brauen. Die alte Tante war ebenso bewegt und hingerissen wie der junge Neffe, und manchmal unterbrach er sich, um in tiefster Ergriffenheit zu sagen: Wie schön!

Das glaube ich Ihnen, verehrter Herr Pastor, daß Sie nicht viel Bücher schreiben werden. Bücher, wie »Die drei Getreuen« werden immer große Seltenheiten bleiben, immer nur in kleinster Anzahl erscheinen, aber eine gewaltige Anzahl anderer Bücher überdauern.

Ich weiß nicht, was ich mehr bewundere, Ihre Schilderung der Menschen oder die der Natur, die großartige Kraft, mit der Sie uns in eine fremde Welt versehen und uns vom ersten Augenblick an so heimisch in ihr werden lassen, als hätten wir schon Jahrzehnte lang in ihr gelebt.

Verzeihen Sie mir nur, ich bitte herzlichst und dringend, daß mein Brief so spät kommt. Aber ich fand Ihre schöne Spende erst in Wien bei meiner Rückkehr aus Italien vor, wurde dann mit Arbeit überbürdet und konnte erst jetzt anfangen, etwas von den Liebesgaben zu genießen, die mir das letzte Jahr Am 13. September 1900 war der siebzigste Geburtstag der Dichterin mit außerordentlichen Ehren gefeiert worden. eingetragen hat.

»Die Sandgräfin« habe ich bestellt und freue mich innigst darauf, sie im Laufe des Winters zu lesen. Entweder hier in meiner mährischen Heimat oder – wenn mein Arzt darauf dringt, daß ich wieder ein wärmeres Klima aufsuche – im alten ewigen Rom.

Mit den wärmsten Empfehlungen, verehrter Herr Pastor

Ihre dankbar ergebene
Marie Ebner-Eschenbach.

Sehen Sie es nicht als Selbstüberhebung an, wenn ich mir erlaube, Ihr wertvolles Geschenk mit einer kleinen Gegengabe zu erwidern Wahrscheinlich die 1901 erschienenen Erzählungen »Aus Spätherbsttagen« von Marie v. Ebner-Eschenbach..

 

Gustav Frenssens Erwiderung ist am Vorabend vor Weihnachten geschrieben:

Hemme in Holstein, 23. Dezember 1901.

Verehrte Frau Baronin! Über den Brief vom 25. September habe ich mich mächtig gefreut, sowohl weil Sie so freundlich geschrieben, als weil Sie »Die drei Getreuen« so sehr und so herzlich gelobt haben.

Für das gesandte Buch danke ich. Es gefällt mir aber gar nicht und ich bin ganz verlegen geworden und rot, daß Sie von »einer kleinen Gegengabe« reden und gar von »Selbstüberhebung«. Aber ich habe nachher gedacht: »Die da unten müssen immer auf der Hut sein, daß sie nicht zu höflich werden, wir hier oben, daß wir nicht zu grob werden. Sorg' du für das deine.«

Ich muß oft denken, wenn ich Ihre Bücher, von »Božena« an lese: wenn doch von tausend Männern nur zehn so viel Männliches hätten als Sie zeigen, ohne im geringsten unweiblich zu sein. Es gibt so schrecklich viele, selbst unter denen mit blanken Helmen und Gardelitzen, die sind wie nasse Handtücher. Die sind mir ein Greuel. Sie aber, verehrte Frau Baronin, Sie wollen immer etwas. Und setzen es auch durch. Und wollen etwas Großes und Starkes, im Guten oder Bösen, und bringen das mit großer Macht und Wucht zu Ende. So daß man, selbst wenn man selbst ein Mann ist, schon darum an Ihren Büchern seine helle Freude hat. Aber dann kommt erst das eigentlich künstlerische: ob Sie einen armen Jungen schildern oder einen frechen Tyrannen, einen wilden Mann oder eine tapfere Frau oder ob Sie Denkers Freude und Not erzählen Frenssen würdigt hier wohl die Hauptgeschichten der »Spätherbsttage«: »Der Vorzugsschüler«, »Ein Original«, »Mašlans Frau«, u. s. w. – wie kann eine Frau von über siebzig so ein Schelm sein oder, wie wir hier sagen, »so ein Schloof!« – immer ist das Bild, das gerade gemalt wird, klar und tief, nüchtern und farbenfroh, einfach und mannigfach; kurz, es ist Menschenleben in seiner unendlichen Weite, Breite und Tiefe wohl nicht erkannt – wer hat des Herrn Wege erkannt? –, aber geahnt, als wär's entdeckt und erkannt. Und am Ende hat man dann, wie bei jedem Kunstwerk, das Gefühl: du hast in gewaltige und schöne Tiefen gesehen, aber du mußt mal wiederkommen an diesen Ort, denn du hast noch lange nicht ausgesehen.

An Ihrem Brief hat mir auch nicht gefallen, daß Sie »Die Sandgräfin« lesen wollen. Dies mein erstes Buch ist nach Stoff und Darbietung nicht frei von Schönfärberei samt Appretur. Niemals hätte ich gewagt, Ihnen das Buch zu senden. Ei, ich wollte mich wohl hüten! Nun aber das Buch, über dem ich nach Vollendung der »Drei Getreuen« drei Jahre lang gesonnen habe: das wage ich zu senden und hoffe nicht lästig mit der Sendung zu fallen, da ich nun drei Jahre nicht wiederkomme. Nachdem »Die drei Getreuen« schon das Lob der Besten bekommen haben, scheint dies neue Buch so recht einzuschlagen.

Der alte Vater Raabe in Braunschweig, mit dem ich schon seit längerer Zeit gelegentlich einen Brief wechsle, schreibt mir: das sei Heimatkunst, an der man Behagen habe; die großen Zeitungen loben es alle, einige mit naivem dummen Verwundern, daß man das Buch so sonderbar gern lese, obwohl es gar keine Überraschungen, noch gewaltige Ereignisse enthalte; der Kunstwart will, wie ich höre, »mit aller Kraft« dafür eintreten und der Verleger redet von neuer Auflage. Darum habe ich zu meiner Frau gesagt: »Leg' Jörn Uhl auf den Weihnachtstisch.« Die da Seite 385 unten dargestellt sind, das sind die Leute vom Hemmer Pastorat.

Ich schreibe dies am Tage vor Weihnachten. Meine Frau und der alte Totengräber schmücken am Altar die Weihnachtsbäume und der alte Vater trägt Kuchen ins Dorf hinein; es ist der Tag, mit Fräulein Susanne zu sagen: »Komme Freundin Phantasie und male!« Ich sende ehrerbietig und herzlich meine Weihnachtsgrüße.

G. Frenssen.

 

Im Schlußwort dieses reichen (eines echten Weihnachts-) Briefes läßt Frenssen ein Motiv aus Marie Ebners Geschichte »Fräulein Susannens Weihnachtsabend« anklingen, die rührende Erzählung, die sie ihm vermutlich mit den »Spätherbsttagen« als Gegengabe geschickt hatte.

Die nächste (das heißt die einzig noch erhaltene) Äußerung der Dichterin an Frenssen ist eine Postkarte:

 

Löschna in Mähren, 9. Juli 1902.

Darf ich heute nur mit wenig Worten melden, daß Jörn Uhl die Herzen im Sturm erobert? Ein etwas längerer Brief folgt in einigen Tagen.

Verehrungsvoll
M. Ebner-Eschenbach.

 

Dieser auf der Karte in Aussicht gestellte Brief ist (wie mir Frenssen mitteilt), »wie es scheint, nicht geschrieben worden; jedenfalls finde ich ihn nicht«.

Daß und weshalb Frenssen mehr noch als mit seinem tiefbescheidenen, herzbewegenden Widmungsbriefe zu den »Drei Getreuen« den Anteil der Ebner mit dieser Probe seiner »Freundin Phantasie« wecken mußte, kann keinem empfänglichen Leser des Buches verborgen bleiben. Der dritte »Getreue«, Dichter und zugleich Bauer, Heim Heiderieter, gibt sich ohne viel Verstellung als Doppelgänger des Erzählers mit seinen »treuen, reinen Augen, glänzend von allerlei bunten Gedanken, wie die Fenster eines Hauses, hinter denen der brennende Tannenbaum steht«. Ein Nordländer, der in seinen Tübinger Semestern nach dem ernstgemeinten Scherzwort seiner süddeutschen Universitätskameraden zur »Fakultät Uhland gehört«. Ein Strebender, der auf der Suche nach der richtigen künstlerischen Lebensaufgabe sich das Gebot vor Augen hält: »er muß seine Seele mit Glauben füllen und seine Seele in Hoffnung tauchen und muß ihnen von der neuen Liebe Gottes erzählen, die durchs Land geht«. Das Ziel, das Heiderieter-Frenssen dabei von seinen Anfängen als das richtige erstrebte, war »so recht Deutsches und Einfaches wie Reuter und Freytag geschrieben haben, so etwas für das ganze, große deutsche Volk, was der Gebildete gern liest und auch der einfache Mann«. Solche Gedanken, in solch eigenem Ton ausgesprochen und in ganz eigenen Menschen- und Landschaftsbildern verkörpert, mußten Marie v. Ebner-Eschenbach, die so mutig und erbarmungslos mit allen Stutzern, Schwindlern und Schwätzern der Modeliteratur, mit allen »Heini Rufins« und anderen Literatur-Hanswursten der Neuesten in »Bertram Vogelweid«, »Verschollen« u. s. w. abgerechnet hatte, wie der Gruß eines Gesinnungsverwandten, wie die beispielgebende Tat eines Verbündeten anmuten. Und da in Frenssen, wie in Marie Ebner mindestens ebenso stark als der dichterische Trieb der Drang lebte, die Menschen zu bessern und zu bekehren, fanden sich die mährische Gräfin und der holsteinsche Pastor eines Sinnes in ihren letzten Wünschen für Volk und Kunst – ein paar Erzähler, die selbstgefundene Wege gehen und weisen, wie wenige vor und nach ihnen.


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