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Bücher haben ihre Schicksale, sagt ein altes Wort. Eines der merkwürdigsten Schicksale hatte Heinrich von Veldekes Eneide, deren Handschrift man dem Dichter durch neun Jahre vorenthielt; ähnlich erging es Klemens Brentano mit seinem Drama »Aloys und Imelde«, dessen Handschrift ihm von einem falschen Freunde gestohlen oder geraubt (dieser selbst sagt: konfisziert und als Pfand seiner guten Aufführung zurückbehalten) wurde, so daß er in der Zwischenzeit, bis er es wieder erhielt, das Werk neu dichtete und mit geheimnisvoll vergifteten Stacheln gegen seine einstigen Freunde versah. Das Schicksal des vorliegenden Buches ist noch merkwürdiger. Sie selbst haben die Aufsätze sorgsam ausgewählt und kunstvoll aneinandergereiht, Sie selbst haben die Korrektur von der ersten bis zur letzten Zeile peinlich genau überwacht und meinten es vor jedem fremden Auge behütet und gar vor jedem fremden Eingriff beschützt in die Welt zu entlassen; ja vielleicht hatten Sie schon den liebevoll geschliffenen Dolch einer Widmung auf einen von uns gezückt. Da haben wir die Spitze gegen Sie selbst gewendet. Unter der Presse haben wir es Ihnen entzogen und es zu dem unserigen zu machen verstanden, damit wir es nunmehr als Ihr eigenstes Eigentum an Ihrem Jubeltage feierlich und festlich wieder in Ihre Hände zurücklegen können.
»Zu den Fingern, die's geschrieben,
– – – – – – – – – –
Zu der Brust, der sie entquollen,
Diese Blätter wandern sollen;
Immer liebevoll bereit,
Zeugen allerschönster Zeit.«
Und im Namen Ihrer Freunde und Verehrer sollte ich als Chorführer das Wort ergreifen. Wir wollten Ihnen einen Spiegel entgegenhalten, aus dem Ihnen Ihre Züge herausleuchten sollten. Aber da haben Sie uns einen bösen Streich gespielt. Als ob Sie unser frevelhaftes Vorgehen geahnt hätten, haben Sie ihm im wahrsten Sinne des Wortes »vorgebaut«. Sie haben in der Vorrede selber ein Bild Ihrer Zeit und eine Charakteristik Ihrer Persönlichkeit entworfen und das ganze Buch zu einer halben Selbstbiographie ausgestaltet, so daß Sie uns diese Möglichkeit genommen haben. Keiner von uns hätte Bild und Rahmen besser, feiner, getreuer liefern können. Und wie immer im Leben haben Sie auch hier so sauber und erschöpfend gearbeitet, daß Sie uns kaum eine dürftige Nachlese übrig gelassen haben. Resigniert müßten wir eigentlich die Feder sinken lassen, um Sie nur bewundernd zu grüßen und liebend zu umarmen.
So bewundern wir denn, soweit wir vom literarhistorischen Handwerk sind, in Ihnen den ausgezeichneten Biographen und Charakteristiker und beneiden Sie um das Glück, sich Ihre Helden und Heldinnen nach freiem Belieben auswählen zu können. Der Literarhistoriker kann nicht wählen; er muß Kraut und Unkraut hinnehmen, wie Gott es geschaffen hat und oft verschlingen magere Jahre und öde Strecken die Reichtümer der fetten Zeiten und der fruchtbaren Gelände. Und Sie sind mit besonderer Vorsicht bei Ihrer Wahl vorgegangen. Die besten Männer und Frauen Ihrer eigenen Zeit, die ragendsten Gestalten Ihrer Heimat, die größten Dichter des schließenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, Ihre nächsten Lebensfreunde haben Sie um sich versammelt in Ihrer Burg und das lichtscheue Gesindel, die Strolche und Wegelagerer der Literatur konnten und durften Sie leichten Herzens ausschließen, ohne daß Ihnen jemand den Vorwurf der Ungerechtigkeit oder Unvollständigkeit hätte machen können. Daher jene Wärme und Innigkeit, die uns aus allen Ihren biographischen Arbeiten so wohltuend entgegenstrahlt und den Leser zum behaglichen Verweilen lockt, jene liebende Hingabe an die verehrten Meister, an die hohen Ideale der Dichtung, die Ihr Leben schmückt wie Ihr Lebenswerk.
Denn wahrlich, wie es Goethe an Wieland rühmt: Leben und literarisches Schaffen ist bei Ihnen eine untrennbare Einheit: Mensch und Schriftsteller haben sich in Ihnen ganz durchdrungen; Sie schrieben als ein Lebender und Sie lebten schreibend. Und nirgends wird dies deutlicher als in diesem lebenssprühenden Buche der Begegnungen und Erinnerungen. Hat unser großer Dichter geklagt, daß er zwei Fremden und keine Heimat habe. Sie, glücklichster Bruder und Gatte, können von sich sagen, daß Sie zwei Heimaten und keine Fremde haben. Inmitten schmucker Villen, nicht weit von jenem schönen Parke Wiens, in dem jetzt der Dichter des Hochwalds treue Wacht hält, schmiegt sich das trauliche Häuschen still und ruhig ins verbergende Grün und von außen schon grüßen den Gast die scharfen Züge des grimmen Hagen und des römischen Selbstherrschers Caligula, aber nicht zu schroffer Abwehr, sondern als Hut und Hort der treuesten Erinnerungen an das alte Burgtheater und an das dichterische und darstellerische Wien, die es in unermeßlicher Fülle birgt. Und des unvergeßlichen Künstlerpaars ebenbürtige Tochter waltet darinnen, die Fackel des Hauses schwingend und die Feder führend in unvergleichlicher Doppelheit. Österreichs große Lyrikerin (von Grillparzer sogar über alle männlichen Lyriker Österreichs gestellt) hatte als Patin an ihrer Wiege gestanden und dieser Schutzgeist mit dem großen glühenden Aug einer geborenen Führerin hat nie im Leben versagt. Urväterhausrat drängt sich zusammen, Altbücherwust duckt und schiebt sich in die Ecken, um den neueinströmenden Massen notdürftig Platz zu schaffen und, ein prächtiger Erzähler und anregender Plauderer, zieht der liebenswürdige Hausherr den erstaunten Gast in die weltweiten Kreise seiner ebenso tiefgründigen wie anmutigen Gelehrsamkeit, seiner erwanderten wie erlesenen Erfahrungen, seiner reichen Menschenkenntnis, seiner fürsorglichen Güte.
Und drüben: in der Döblinger Hauptstraße, groß und vornehm ein altes stattliches Bürgerhaus, wie sie jetzt schon sehr selten geworden sind im sich wandelnden Weichbilde Wiens, nach unserm Gefühl ein kleiner Palast, eingebettet in den parkartigen Garten, umsäumt von jenen Erinnerungsstätten, die die Namen Beethovens, Bauernfelds und Saars an der Stirne tragen, und erfüllt vom Atem der Kunst in jedem Raum, in jedem Stück. Wir lieben es im Frühling, wenn der Blütenduft berauschend uns entgegenweht, wir lieben es noch viel mehr im Herbst, wenn sich das Laub färbt und in wehmütiger Erinnerung schwelgt. Die guten Geister, die dieses Buch vor uns heraufbeschwört, beseelen es. Und wie dem Bruder, so eignet dieser Zauberstab der willensstarken kunstdurchglühten Herrin, der Töne und des Glückes Meisterin.
Heute liegt mehr als tiefe Wehmut, liegt Trauer und Schmerz über dem edelsten Leben Wiens wie über diesem Buche. Altwien und Altösterreich haben wir, seine treuesten Söhne und Töchter, dahinsterben sehen. Wir legten ihnen unsere liebsten Andenken in den Sarg, wir bestreuten diesen Sarg mit Blüten und Blumen wie das beginnende 19. Jahrhundert denjenigen Klopstocks unter der schattenden Linde, wir betauten ihn mit unseren Tränen. Aber wir wollen diese Stadt und diesen Staat auferstehen lassen in ihrer vollen Pracht und Herrlichkeit, groß und mächtig, wie sie einst gewesen, blühend und sprühend von Leben und Geist: im Wort, im Bild, in unseren Träumen, in unseren Gedanken. Und dieses gestaltenreiche und gefühlswarme Buch soll uns dabei behilflich sein.
Sie reden in Ihrer Vorrede von Abschluß und wollen Ihre Hände ruhen lassen. Das ist Selbsttäuschung. Je älter Sie werden, desto fleißiger werden Sie, was nicht bedeuten soll, daß es je Zeiten in Ihrem Leben gegeben habe, in denen Sie müßig gegangen wären. Aber was Sie im letzten Jahre bewältigt haben, was Sie an Nach- und Neuarbeiten, an ältere Forschungen und Funde anknüpfend, für Anzengruber, für Marie Ebner, für Luise von François und Conrad Ferdinand Meyer geleistet haben, übersteigt die Kraft eines Jungen. Kaum können Leser und Kritiker damit Schritt halten. Das ist eine gute Vorbedeutung für Ihr nächstes Jahrzehnt, für den Nachwinter Ihres Lebens.
Prag, am 5. Juli 1921.
August Sauer.